Erich Kästner – Der kleine Grenzverkehr
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Erich Kästner – Der kleine Grenzverkehr
Erich Kästner – Der kleine Grenzverkehr Buchbesprechung von David Trapp (6R), Mai 2009 Über den Autor Emil Erich Kästner, ein berühmter deutscher Schriftsteller, Drehbuchautor und Kabarettist, der vor allem wegen seiner humorvollen, scharfsinnigen Kinderbücher und seiner humoristischen bis zeitkritischen Gedichte bekannt ist, wurde am 23. Februar 1899 in Dresden geboren. Sein Vater war Sattlermeister, seine Mutter Dienstmädchen, Heimarbeiterin und später Friseurin. Zu ihr hatte Kästner eine sehr intensive Beziehung. Später kamen nie bestätigte Gerüchte auf, dass der jüdische Hausarzt der Familie sein leiblicher Vater gewesen sei. Kästner besuchte seit 1913 ein Lehrerseminar in Dresden-Neustadt, brach die Ausbildung zum Volksschullehrer jedoch kurz vor deren Ende ab. 1917 wurde er zum Militärdienst einberufen. Die Brutalität der Ausbildung bei der schweren Artillerie prägte Kästner und machte ihn zum Antimilitaristen; er zog sich außerdem durch den harten Drill seines Ausbilders eine lebenslange Herzschwäche zu. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges absolvierte er schließlich das Abitur mit Auszeichnung und erhielt dafür auch das Goldene Stipendium der Stadt Dresden. Im Herbst 1919 begann Kästner in Leipzig Geschichte, Philosophie, Germanistik und Theaterwissenschaft zu studieren. Er musste dabei aufgrund seiner schwierigen finanziellen Lage mehrere Nebenjobs annehmen. 1927 zog Kästner nach Berlin, von wo aus er unter dem Pseudonym „Berthold Bürger“' als freier Kulturkorrespondent für die Neue Leipziger Zeitung schrieb. Später erfand er auch noch andere Pseudonyme für sich. Die Zeit von 1927 bis 1933 gilt als seine produktivste. Er publizierte seine Gedichte, Reportagen und Rezensionen in verschiedenen Zeitschriften Berlins. Leider gingen viele dieser Werke verloren, als Kästners Wohnung 1944 völlig ausbrannte. 1928 veröffentlichte er sein erstes Buch „Herz auf Taille“, eine Sammlung von Gedichten aus seiner frühen Zeit in Leipzig. Drei weitere Bände folgten. Im Oktober 1929 erschien „Emil und die Detektive“. Kästners erstes und bis heute berühmtestes Kinderbuch. Mit „Pünktchen und Anton“ (1931) und „Das fliegende Klassenzimmer“ (1933) schrieb Kästner dann zwei weitere Kinderbücher, alle auf die Gegenwart bezogen, was damals für Kinderbücher sehr unüblich war. Einen nicht unwesentlichen Anteil am großartigen Erfolg der Bücher hatten auch die Illustrationen von Walter Trier. Als Kästners einziger Roman von literarischer Bedeutung gilt „Fabian – Die Geschichte eines Moralisten“ (1931 veröffentlicht). Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht ergriffen, emigrierte Kästner im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen nicht. Er begründete dies dadurch, dass er vor Ort Chronist der Ereignisse sein wolle. Er wollte aber auch seine Mutter nicht alleine lassen, was wahrscheinlich der wichtigste Grund für sein Bleiben war. Er wurde mehrmals von der Gestapo vernommen und aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen. Seine Werke wurden bei der Bücherverbrennung als „wider den deutschen Geist“ verbrannt, was er selbst aus nächster Nähe beobachten musste. Er wurde nicht in die Reichsschrifttumskammer aufgenommen, was einem Publikationsverbot im Deutschen Reich gleichkam. In der Schweiz, die er in dieser Zeit einmal besuchte, konnte Kästner harmlose Unterhaltungsromane wie „Drei Männer im Schnee“ (1934) auf den Markt bringen. 1938 stellte er „Der kleine Grenzverkehr“ fertig und veröffentlichte es damals noch unter dem Namen „Georg und die Zwischenfälle“. 1942 konnte er aber mit einer Ausnahmegenehmigung das Drehbuch zu Münchhausen liefern, unter dem Pseudonym „Berthold Bürger“. 1944 wurde seine Wohnung in Charlottenburg durch Bomben zerstört. Anfang 1945 flüchtete indem er mit einem Filmteam zu angeblichen Dreharbeiten nach Mayrhofen in Tirol. Dort erlebte er das Kriegsende. Diese Zeit hielt er in einem später auch veröffentlichten Tagebuch fest. Er zog dann zurück nach Deutschland – nach München – wo er bis 1948 den Kulturteil der Neuen Zeitung leitete und die Jugendzeitschrift Pinguin herausgab. Er wandte sich in dieser Zeit auch verstärkt dem literarischen Kabarett zu. Es entstanden zahlreiche Lieder, Hörspiele, Reden und Aufsätze, die sich mit dem Nationalsozialismus, dem Krieg und dem zerstörten Deutschland auseinandersetzten, u.a. „Die Konferenz der Tiere“. Er veröffentlichte dann jedoch immer weniger, wozu auch sein zunehmender Alkoholismus beitrug. Er fand keinen Anschluss an die Nachkriegsliteratur und wurde in den 50er- und 60er-Jahren vor allem als Kinderbuchautor angesehen und gewürdigt. Die Wiederentdeckung seines literarischen Werks aus der Zeit der Weimarer Republik begann erst ab den 70er-Jahren. Insgesamt war Kästner jedoch sehr erfolgreich. Seine Kinderbücher verkauften sich gut und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und verfilmt, Kästner wurde vielfach geehrt. Er blieb zwar lebenslang unverheiratet, hatte aber immer wieder langjährige Beziehungen und Affären. 1957 wurde sein Sohn Thomas geboren; ein gemeinsames Familienleben mit dessen Mutter gab es jedoch nicht. Die Existenz des unehelichen Kindes wurde verschwiegen, Kästner lebte weiterhin mit seiner langjährigen Lebensgefährtin Luiselotte Enderle zusammen. Kurz vor seinem Tod gab Kästner die Genehmigung, das Erich Kästner Kinderdorf, dessen Arbeit sich an seinem Verständnis der Kinder orientiert, nach ihm zu benennen. Schließlich verstarb er am 29. Juli 1974 in Bogenhausen. Inhalt Der in Berlin wohnende Schriftsteller Georg Rentmeister möchte seinen Freund Karl besuchen, der von der Leitung der Salzburger Festspiele eingeladen wurde, da man ihn fürs nächste Jahr als Bühnenbildner gewinnen möchte. Da jedoch so strenge Devisenvorschriften gelten – das Geschehen spielt ein paar Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg –, darf Georg nur 10 RM pro Monat nach Österreich mitnehmen. Dies ist natürlich zu wenig, also muss er Devisengesuch für einen höheren Betrag einreichen. Die Bürokratie braucht aber so viel Zeit, dass Georg sich entschließt, den sogenannten „kleinen Grenzverkehr“ auszunutzen: Er quartiert sich in einem Hotel in Bad Reichenhall in Bayern ein und pendelt nun täglich nach Salzburg. Seine 10 RM gibt er bereits am ersten Tag zur Gänze aus und ist nun auf Freikarten, Proviant aus dem Hotel und die Spendierhosen seines Freundes Karl angewiesen. Es wird ausführlich über die ersten Eindrücke in Salzburg berichtet. Eines Tages gibt es ein Missverständnis zwischen Georg und Karl, was den Treffpunkt betrifft. Georg wartet im falschen Café und kann nun, da Karl nicht erscheint, seinen bereits getrunkenen Kaffee nicht zahlen. Notgedrungen bittet er ein in seiner Nähe sitzendes Fräulein, seine Rechnung zu begleichen – eine sehr unangenehme Situation. Das Mädchen mit dem Namen Konstanze tut ihm den Gefallen jedoch gerne. Er verliebt sich sofort in sie und sie verbringen den restlichen Tag gemeinsam. Sie erzählt ihm, sie sei Stubenmädchen im Schloss H., die Grafschaft sei gerade verreist. Nach einigen weiteren Tagen verliebten Beisammenseins macht er ihr einen Heiratsantrag. Weil sie die Zeit übersehen haben, verpasst er den letzten Bus. Konstanze lädt ihn zu sich ins Schloss ein, wo sie durch die Türe einem gewissen „Franzl“, offenbar auch einem Bediensteten, eine gute Nacht wünscht. Als Georg später seinem Freund freudenstrahlend von seinen Heiratsgedanken erzählt, berichtet dieser ihm, dass er gestern in einem Lokal neben einem jungen, gut gekleideten Paar gesessen habe. Sie haben sich mit „Franzl“ und „Konstanze“, hin und wieder auch mit „Herr Graf“ und „Komtesse“ angeredet. Für Georg bricht eine Welt zusammen. Als er sich ins Hotel zurückzieht, wartet nach dem Tennis-Training ein Herr auf ihn, der sich als „Franzl“ entpuppt. Er möchte einige Missverständnissse aufklären. Franzl ist Konstanzes Bruder, beide sind in Wirklichkeit kein Dienstpersonal, sondern Adelige. Die gesamte Familie spielt mit, alle sind im Moment nur Dienstboten. Nicht die Grafschaft, sondern das echte Personal ist nämlich verreist, inzwischen ist im Schloss eine amerikanische Millionärsfamilie zu Gast. Der alte Graf, der sich für Schriftstellerei interessiert und gerne ein Lustspiel schreiben würde, selbst jedoch keine Ideen hat, inszenierte so sein Theaterstück im echten Leben und bezieht aus der Entwicklung neue Ideen. Georg wird ins Schloss eingeladen und ist dort als „Doktor Rentmeister“ zu Gast und wird erstmals dem noch nichts von der Liebesbeziehung ahnenden Vater vorgestellt. Als jedoch die amerikanische Familie bemerkt, wie Georg Konstanze küsst und beim Abendessen eine entsprechende Bemerkung fällt, muss der alte Graf Konstanze „entlassen“, um nicht aus der Rolle zu fallen. Georg springt auf und verkündet sofort, er wolle Konstanze mit sich nehmen, sie würden schon eine Stellung für sie finden. Der Graf ist so überrumpelt, dass er keine Zeit findet, mit Konstanze noch ein privates Wort zu wechseln. Zwei Tage später wollen Konstanze und Georg ins Schloss zurückfahren und die ganze Sache aufklären. Doch die amerikanische Familie ist inzwischen abgereist. Als der Millionär die Dienstboten spielende Familie vor dem Haus versammelt hatte, um sich bei ihnen zu bedanken, erzählt er, dass sie von dem Schauspiel die ganze Zeit über gewusst haben, da sie in einem Reiseführer über das Schloss und dessen Besitzer gelesen hatten und auch ein Foto abgebildet war. Der alte Graf versteht sich nun ausgezeichnet mit Georg und gibt ihm und Konstanze bereitwillig seinen Segen. Konstanze muss zum alljährlichen Familienurlaub nach Meran mitfahren, daher fährt Georg wieder allein nach Hause. Sie wollen aber zu Weihnachten heiraten. Als Georg nach Hause kommt, trifft die Antwort vom Amt ein: Sein Devisengesuch sei nun genehmigt worden. Hintergrund Die Handlung dieses Buches entstammt einem Tagebuch seines Freudes, des tatsächlich existierenden Schiftstellers Georg Rentmeister, der jedoch nie etwas veröffenlichte. Das Buch vereint die tatsächlich erlebte Geschichte Georgs mit Kästers eigenen Erfahrungen beim Grenzverkehr. Als Erich Kästner das Buch 1937 vorbereitete, durften pro Monat ohne weitere Erlaubnis höchstens 10 RM mitgenommen werden. Da bei 30 Tagen eine Menge von 33 Pf. pro Tag ja nicht mal für einen Besuch in Salzburg reichen konnte, beschloss Kästner, sich ein Zimmer in Bad Reichenhall zu nehmen und täglich im kleinen Grenzverkehr mit dem Bus nach Salzburg zu fahren, wo er auch andere emigrierte Schriftsteller und Maler treffen konnte. Das Buch „Georg und die Zwischenfälle“ wurde schon kurz nach Veröffentlichung vom Reichspropagandaministerium sowohl für das In- als auch für das Ausland verboten. Daraufhin schrieb Kästner ein Drehbuch mit dem Titel “Der kleine Grenzverkehr”, welches von der Ufa verfilmt wurde und nach Besichtigung einiger Szenen von Hitler dann erneut verboten wurde, denn in Kästners Film kamen keine Hakenkreuzfahnen vor. Die Absicht dieses Verbotes war nicht misszuverstehen, man wollte Kästner wirtschaftlich erledigen. Ein halbes Jahr später gab es den kleinen Grenzverkehr nicht mehr. Österreich wurde dem Deutschen Reich „angeschlossen“. Charakteristik Georg Georg wird im Vorwort von Kästner als verschrobener Literat kritisiert, der in 5 Arbeitszimmern Material über den deutschen Konjunktiv und ähnlich langweilige Themenbereiche anhäuft und sich für nichts weiter interessiert. Beim Lesen des Buchen erhält man jedoch einen anderen Eindruck. Georg ist da ein humorvoller, einfallsreicher, lebenslustiger und charmanter Herr, der sich in ein Mädchen verliebt und einen Grafen auf den Arm nimmt. Karl Karl, der Freund Georgs, ist an Theater interessiert und hauptberuflich Maler. Er ist freundlich, spendabel und man kann vieles mit ihm machen. Wenn er allerdings gerade, den Pinsel zwischen den Zähnen, an einem seiner Bilder feilt, ist er nicht wegzubewegen. Er soll nächstes Jahr möglicherweise Bühnenbildner bei den Salzburger Festspielen werden. Konstanze Konstanze ist ein junges, adeliges Mädchen, dass jedoch gerne schauspielert und sich wunderbar in die neue Rolle als Stubenmädchen einfügen kann. Sie verliebt sich auch sofort in Georg, fällt jedoch ihm gegenüber nie aus der Rolle. Sie ist eigentlich die Tochter des Grafen H. Ihr unverfälschtes, liebevolles und lustiges Gemüt ist für Georg noch liebenswürdiger. Graf H. Der alte Graf, der den Portier, Empfangschef und Geschäftsführer spielt, ist, wie es sich für eine ältere Person blauen Bluts gehört, etwas schrullig und will die Studien der komischen Situation in einem Theaterstück verwerten – er ist Amateurschriftsteller. Er hat einiges mit dem Graf Franz Walsegg gemeinsam, der bei Wolfgang Amadeus Mozart ein Requiem Auftrag gab. Mozarts Frau hieß ebenfalls Konstanze. Stilmittel Die Geschichte wird sehr geradlinig und einsträngig erzählt. Sie ist als Tagebuch verfasst und wird also von einem Ich-Erzähler vermittelt. Erich Kästner verwendet einen sehr einfachen Satzaufbau mit kurzen Sätzen und wenig verschachtelten Elementen. Dafür ist die Wortwahl überaus originell und humorvoll. Immer wieder werden Zeugmen verwendet, d.h. es werden zwei Aussagen mit gleichem Prädikat in einem Satz kombiniert, was mit unter etwas ungewohnt klingen kann (z.B. „Diesmal wollen sie sich ihn und er soll sich einige Aufführungen ansehen.“). Es kommen auch öfter ungewöhnliche Metaphern vor, wie „Der Regen prasselte spöttisch gegen die Fenster“. Ansonsten sind, außer gelegentlichen Metonymien1, Hyperbeln, Euphemismen und rhetorischen Fragen nur noch eine Vielzahl an Vergleichen zu finden. Trotz des einfachen Satzbaus ist der Text sehr abwechslungsreich gestaltet und ist angenehm, humorvoll und spannend zugleich zu lesen. Allerdings ist die erste Hälfte des Buches etwas langwierig. Es scheint, also ob es sich um zwei Bücher handeln würde: ein seichtes, im ziellos vorwärts strebenden Stil (wie bei „Die neuen Leiden des jungen W.“) geschriebenes, und ein mit Wendepunkten und Überraschungen zugepacktes zweites, das einen fesselt und neugierig auf den Fortgang der Handlung macht. Ob der leichten Hand Kästners sollte man nicht leichter Hand seine feinen Beobachtungen überlesen. So zum Beispiel die touristische Situation in Salzburg allgemein und besonders, wenn die Touristen die Einheimischen in puncto Tracht übertrumpfen wollen. Interpretation Mit hat besonders die zweite Hälfte des Buches sehr gefallen. Mag es auch von einigen Personen als „veraltete, seichte Literatur“ abgestempelt werden, ist es, wie die meisten Bücher Kästners, ein zeitloses, beschwingtes Buch mit einer abwechslungsreichen und ungewöhnlichen Geschichte. Dabei wird zu Beginn durch das Devisenproblem die politische Situation beim Grenzverkehr dargestellt, dann gezeigt, dass man sich nur zu helfen wissen muss, um dennoch schöne Tage im Ausland zu verbringen, und dass vieles auch ohne einen Pfennig in der Tasche möglich und schön sein kann. In der zweiten Hälfte spielt sich ein klassisches Kästner-Verwirr-Szenario ab, in dem deutlich wird, dass die Realität der beste Librettist ist und der Versuch, das reale Theaterstück zu kontrollieren, schnell scheitern kann. Außerdem sieht man hier, dass Liebe nicht von der gesellschaftlichen Position der oder des Geliebten abhängig ist (außer man hat es nur auf materielle Werte abgesehen, dann kann aber nicht von echter Liebe gesprochen werden) – Georg liebt Konstanze als Komtesse nicht mehr oder weniger als als Stubenmädchen. Die vielen detailreichen Umgebungsbeschreibungen stellen auch gut die Stadt Salzburg dar und laden zu einem Besuch ein. Kästner dürfte diese Stadt sehr gefallen haben. Mir hat die Lektüre sehr viel Spaß gemacht und ich kann „Georg und die Zwischenfälle“ oder „Der kleine Grenzverkehr“ nur weiterempfehlen. 1 Eingebürgerte Wortersetzung, z.B. Leder (Ball), einen Ford fahren, ein Gläschen trinken, …