Zahlenketten

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Zahlenketten
Aufgaben zur Illustration der Bildungsstandards
Thema: Zahlenketten mit Zielzahl 20 bzw. 100
Gruppe: West
Verfasser: Selter
Inhaltliche Kompetenzen: I-1.2.c; I-3.1.b
Prozessbezogene Kompetenzen: A-1.2; A-1.3; A-2.1; A-2.3; A-3.2; A-3.3
Jahrgang ab Ende Klasse 2 (je nach Leistungsstärke und Vorerfahrungen)
1. Worum geht es?
Eine Vierer-Zahlenkette wird wie folgt gebildet: Man wählt zwei Startzahlen, schreibt
sie nebeneinander und notiert rechts daneben deren Summe. Daneben schreibt man
die Summe aus der zweiten und der dritten Zahl als Zielzahl rechts daneben, also zum
Beispiel …
2
10
12
22
oder
8
4
12
16.
Ein Kontext für Aufgabenstellungen unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades ist der folgende:
• Wähle beide Startzahlen so, dass du möglichst nahe an die Zielzahl 20 herankommst.
• Finde ein Startzahlpaar, das zur Zielzahl 20 führt.
• Finde weitere Möglichkeiten, die Zielzahl 20 zu erreichen.
• Finde alle Möglichkeiten, die Zielzahl 20 zu erreichen.
Zur Erklärung des mathematischen Hintergrunds kann man operative Beziehungen
ausnutzen, eine Herangehensweise, die Schülerinnen und Schüler in der Regel nicht
spontan entwickeln, die aber Lehrpersonen das Verständnis erleichtert: Wir beginnen
mit den beiden Startzahlen 20 und 0. Eine größere erste Startzahl kann es nicht geben, weil sonst die zweite Startzahl eine negative Zahl sein müsste. Das nächste
Startzahlpaar, das man erhält, lautet 18 und 1.
20
0
20
20
18
1
19
20
16
2
18
20
…
…
…
…
0
10
10
20
Man kann nun die erste Startzahl jeweils um 2 vermindern und im Gegenzug die zweite um 1 erhöhen. Über die Startzahlpaare (14, 3), (12,4), ... kommt man schließlich
zu (0, 10).
Weitere Möglichkeiten kann es nicht geben. Beim nächsten Startzahlpaar -2 und 11
würde man mit der ersten Startzahl in den Bereich der negativen Zahlen gelangen.
Man erhält demnach 11 Möglichkeiten, die Zielzahl 20 zu erreichen.
In manchen Klassen mag es sinnvoll sein, Viererketten mit der Zielzahl 20 zu behandeln, in anderen bieten sich Fünferketten mit der Zielzahl 100 an. Auch hier kann man
sich mit Hilfe einer Tabelle überlegen, wie viele Möglichkeiten es gibt. Hierzu vermindere man – beginnend bei (50, 0) die erste Startzahl um 3 und erhöhe im Gegenzug
die zweite um 2.
50
0
50
50
100
47
2
49
51
100
44
4
48
52
100
…
…
…
…
…
2
32
34
66
100
Man erhält hier 17 Möglichkeiten, die Zielzahl 100 zu erreichen. Es bleibt noch die
Frage, warum man die erste Startzahl immer um 3 und die zweite stets um 2 verändern muss, um weitere Möglichkeiten zu finden. Das hat damit zu tun, dass die erste
Startzahl – wir nennen sie a – zweimal und die zweite – wir nennen sie b – dreimal in
die Zielzahl eingeht.
a
b
a+b
a+2b 2a+3b
Vermindert man – so wie wir es oben getan haben – die erste Zahl um 3, ohne die
zweite Startzahl zu verändern, so wird die Zielzahl um 2·3, also 6 kleiner.
50
0
50
50
100
47
0
47
47
94
Erhöht man im Gegenzug die zweite Startzahl um 2, so wird die Zielzahl wieder um
3·2, also 6 größer und man erhält die auch oben angegebene zweite Möglichkeit, genau 100 zu erreichen.
47
0
47
47
94
47
2
49
51
100
Abschließend muss man sich noch überlegen, warum man die erste Startzahl um 3
(oder Vielfache davon) verändern muss. Wenn man sie um 1 oder 2 ändern würde,
würde das eine Veränderung der Zielzahl um 2·1=2 bzw. um 2·2=4 zur Folge haben,
weil die erste Zahl ja zweimal in die Zielzahl eingeht. Das kann aber durch eine Veränderung der zweiten Startzahl, die sich stets dreifach auswirkt, also 3·1 bzw. 3·2,
nicht kompensiert werden.
Analoge Überlegungen gelten auch für Viererketten mit der Zielzahl 20.
Zur vorgeschlagenen (Doppel-)Stunde, die exemplarisch für Fünferketten beschrieben
wird, aber mit leichten Modifikationen so auch für Viererketten denkbar ist: Die Kinder
sollen in der zunächst versuchen, selbstständig Lösungswege zu finden, die die Ermittlung möglichst vieler Startzahlen ermöglichen, die nahe an die Zielzahl 100 heranführen. Dabei werden nicht nur die prozessbezogenen angesprochen, sondern auch
die inhaltlichen Kompetenzen, denn das Kopfrechnen im 20er- bzw. im 100er-Raum
wird implizit geübt.
Den oben zur Aufhellung des mathematischen Hintergrunds beschriebenen Weg werden dabei vermutlich nur wenige Schülerinnen und Schüler wählen. Im Sinne eines
Unterrichts, der die unterschiedlichen Kompetenzen der Kinder berücksichtigt, werden
die Anforderungen zieldifferent wie folgt formuliert.
Die Minimalanforderung besteht in der Ermittlung von Zielzahlen, die möglichst nahe an 100 liegen, durch eher unsystematisches Vorgehen im Sinne eines ‚Versuchund Irrtum-Denkens’.
Maximalanforderung ist die Ermittlung aller möglichen Zahlenketten mit der Zielzahl 100 durch zielgerichtete systematische Variation der Startzahlen oder rückschrittiges Vorgehen (s. u.). Dabei nutzen die Schülerinnen und Schüler den Transfer der in
den Vorstunden gewonnenen Erkenntnisse bezüglich der Struktur der Übungsform aus
(Auswirkungen auf die Zielzahl bei Einwirkung auf die Startzahlen).
Die (Doppel-)Stunde ordnet sich wie folgt in eine Unterrichtsreihe ein:
1. Einführung der Rechenvorschrift und Sammlung erster Erfahrungen mit der Übungsform durch operative Variation der Startzahlen (Erhöhung bzw. Erniedrigung)
2. Vertiefung und Transfer der gewonnenen Erkenntnisse durch Konstruktion selbst
gewählter Zahlenketten mittels Vertauschung der Startzahlen
3. Zahlketten mit Zielzahl 100
4. Erweiterung der Rechenvorschrift (Verlängerung der Zahlenketten) als Anregung
für die Erstellung eigener Variationen für die ‚Knobelecke’
2. Wie kann man vorgehen? Wie kann man anders vorgehen?
Die vorgeschlagene Unterrichtsstunde, die – wie o. a. – als Bestandteil einer Unterrichtsreihe auf geleistete Vorarbeiten bezüglich des Aufgabenverständnisses zurückgreifen kann, wird in vier Phasen gegliedert:
• Kopfrechnen,
• Anknüpfung und Problemstellung,
• Problemlösung,
• Reflexion.
Die Kopfrechenphase beabsichtigt eine erste Sammlung der Konzentration der Kinder.
Im Sinne eines Rituals wird diese Mathematikstunde mit Übungen zum Blitzrechnen
eingeleitet, um den notwendigen Beitrag zum Ausbau grundlegender Zahlvorstellungen und Rechenfertigkeiten zu leisten.
In der Phase der Anknüpfung soll zunächst die Rechenvorschrift wiederholt werden,
um an die Vorstunden gewonnenen Erkenntnisse zu erinnern. Die Wiederholung erfolgt dadurch, dass einige Kinder Zahlenketten ihrer Wahl auf einer Folie notieren.
Die Problemstellung wird den Schülern durch einen stummen Impuls nahe gebracht,
indem die Zahl 100 als Zielzahl auf der Folie notiert wird. Um zu gewährleisten, dass
die Aufgabenstellung allen Leistungsgruppen der Klasse deutlich wird, erproben die
Kinder erste Lösungsmöglichkeiten.
Im Sinne zieltransparenten Arbeitens werden sie in dieser Phase zu systematischem
Vorgehen angeregt, um den ‚Forscherauftrag’ zielgerichtet ‚übernehmen’ zu können.
Dieser beinhaltet, Lösungswege zu suchen, die es ermöglichen, möglichst alle Startzahlenpärchen der fünfgliederigen Folge zu ermitteln, deren Zielzahl 100 ist, um
schließlich (voraussichtlich in der Folgestunde das Ziel zu erreichen,) Begründungen
dafür zu finden, dass und warum es nur eine begrenzte Anzahl von Lösungen geben
kann. Abschließend wiederholt ein Kind die Aufgabenstellung und die ‚Chefs’ der Gruppentische verteilen die Arbeitsblätter.
Der Arbeitsauftrag lautet: Versuche Wege zu finden, mit denen du möglichst viele
Zahlenketten (alle Startzahlenpärchen) mit der Zielzahl 100 finden kannst. Gegebenenfalls kann ergänzend gesagt werden: Zahlenketten, die nicht genau die 100 als
Zielzahl haben, radiere nicht weg. Überlege, wie du mit diesen Ergebnissen weiterrechnen kannst.
In der Phase der Problemlösung versuchen die Schüler, Startzahlen zu finden, die
möglichst nahe an die Zahl 100 heranführen. Bei stark voneinander abweichenden
Lösungsansätzen der einzelnen Kinder sollte gezielt auf die Differenzierungsangebote
aufmerksam gemacht werden (s. u.).
Für den Fall, dass gehäuft Schwierigkeiten auftreten, erfolgt ggf. eine kurze Zwischenreflexion, in der erste Lösungsansätze vorgestellt werden.
Für die gemeinsame Reflexion ist die Bildung eines Sitzhalbkreises beabsichtigt. Folgender Reflexionsauftrag wird gegeben: Gibt es einen Trick, wie man schlau vorgehen
kann? Gegebenenfalls ergänzend: Wie bist du vorgegangen? Was ist dir aufgefallen?
Bist du sicher, dass du alle möglichen Ketten gefunden hast? Woher weißt du das?
Hier wäre auch eine ausschließlich mündliche Fixierung der gewonnenen Einsichten im
Klassenverband denkbar, welche erst in der Folgestunde schriftlich konkretisiert würden. Diese Handlungsalternative zum vorgesehenen Verlauf könnte aufgrund zeitlicher
Verschiebungen wirksam werden. Eigentlich ist jedoch eine Würdigung und Sicherung
der Ergebnisse mittels der eingangs verwendeten Folie beabsichtigt, auf der die Kinder
ihre Lösungen vorstellen können.
Falls einige Kinder bereits ‚Forscherberichte’ verfasst haben sollten, können diese hier
- abhängig vom Arbeitsstand der anderen Kinder - ansatzweise als ‚Tipps’ bzw. vollständig als ‚Bericht’ vorgetragen werden. Für den Fall, dass die Kinder ihre Ergebnisse
nicht systematisch notieren bzw. die Strategie des rückwärtigen Vorgehens nicht thematisiert wird, ist beabsichtigt, die Kinder über einen stummen Impuls dazu anzuregen, dies anschließend zu versuchen.
Zu diesem Zweck kann man die Folie zerschneiden und einige der von den Kindern
notierten Zahlenketten nach der Größe der Summanden ordnen. Die Kinder können
dann analog fortfahren und erhalten somit die Gelegenheit, die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Zahlenketten zu entdecken und u. U. bereits in dieser Stunde
über die Nutzung einer möglichen Lösungsstrategie die Anzahl der möglichen Zahlenketten zu bestimmen.
3. Wie kann die Aufgabe variiert werden? Wie kann es weiter gehen?
Einige Möglichkeiten der Variation und der Weiterführung wurden bereits unter Punkt
2 erwähnt.
Die Anzahl der möglichen Modifikationen, die in sich selbst noch vielfach variiert werden können, gestalten diese Übungsform zu einer vielseitig einsetzbaren. Darüber
hinaus ermöglicht sie eine natürliche Differenzierung und Motivation aus der Sache
heraus, ohne dass die Aneignung der Rechenvorschrift - wie es häufig in der Auseinandersetzung mit Arbeitsmitteln der Fall ist - viel Zeit in Anspruch nimmt.
Daher erscheint der Einsatz verschiedener, im Schwierigkeitsgrad differenzierter Arbeitsblätter unnötig zu sein. Gegebenenfalls kann ein Hinweis auf den Zahlenraum, in
welchem die Startzahlen zu suchen sind, erforderlich werden, um die Motivation aufrecht zu erhalten.
Abhängig vom Grad der angeforderten Hilfestellung kann man diese mündlich leisten
oder – sofern erforderlich – gezielt den Hinweis auf die ‚Tipp-Blätter’ (vgl. Anlage) geben. Diese bieten sowohl erste Lösungsmöglichkeiten als auch Operationspfeile, welche die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Zahlenketten deutlich machen: Das
erste Differenzierungsangebot (Tipp 1) erinnert an die bereits in den Vorstunden erkannten Auswirkungen auf die Zielzahl bei operativer Veränderung der Startzahlen,
also im Sinne der o. g. Lösungsstrategie ‚systematisch zu variieren’.
Das zweite Differenzierungsangebot (Tipp 2) greift die Lösungsstrategie des
rückschrittigen Vorgehens auf, indem es dazu anregt, zunächst die Zielzahl in zwei
Summanden als drittes und viertes Glied der Folge zu zerlegen, um entsprechend ergänzend das zweite und schließlich das erste Glied der Folge ermitteln zu können.
Darüber hinaus stehen den Kindern, die additive Operationen im Zahlenraum bis 100
noch nicht sicher durchführen können, entsprechende Anschauungsmaterialien in der
Mathe-Ecke zur Verfügung. Die Nutzung dieses Materials erfolgt in der Regel selbstständig.
Ebenso ist es den Kindern geläufig, dass sie erkannte mathematische Zusammenhänge schriftlich fixieren können. Anhand der Leitfragen ‚Was fällt dir auf?’ und ‚Wie bist
du vorgegangen?’ werden diese Eigenproduktionen adressatenbezogen als ‚Tipps’ für
andere Kinder bzw. als ‚Forscherberichte’ für die Reflexionsphase genutzt. Daher ha-
ben diese sowohl eine instrumentelle als auch eine dokumentierende Funktion. Hierzu
können die Kinder das in der Mathe-Ecke befindliche Notizpapier nutzen.
Für den – wenig wahrscheinlichen – Fall, dass einige Kinder bereits vor der geplanten
gemeinsamen Reflexion das Problem vollständig gelöst haben sollten, sind auf dem
Wochenplan-Tisch weitere Anregungen ausgelegt (zum Beispiel: ‚Denke dir selbst eine
Zielzahl aus und finde dazu möglichst viele Startzahl-Pärchen.’), deren Bearbeitung
zum Transfer der bis dahin gewonnenen Erkenntnisse anregt.
Einige weitere Variationen seien im Folgenden genannt:
• Was geschieht, wenn man die erste (zweite) Zahl um 1, 2, 3, ... erhöht bzw. vermindert?
• Welche Konsequenzen hat es, wenn man beide Startzahlen um 1, 2, 3, ... erhöht
bzw. vermindert?
• Welche Folgen hat eine Vertauschung der beiden Startzahlen?
• Welche Zielzahl ergibt sich, wenn man zwei gleiche Startzahlen wählt?
• Welche Auswirkungen hat die Wahl einer anderen Zielzahl?
• Wann ergeben sich gerade, wann ungerade Zielzahlen?
• Was geschieht, wenn man die Anzahl der Kettenglieder variiert (z. B. Viererketten
mit Zielzahl 20)? usw.
4. Welche Kompetenzen, welche Anforderungsbereiche werden angesprochen?
Die Kinder sollen Versuche unternehmen, Problemlösestrategien selbstständig zu entwickeln bzw. durch Kommunikation und Kooperation mit anderen Kindern kennen zu
lernen, indem sie …
• die Struktur der Zahlenketten durch das Erarbeiten von Beziehungen zwischen Zahlen zunehmend systematischer reflektieren und
• auf verschiedenen Anspruchsniveaus versuchen, eigene Lösungswege zu finden
(‚Versuch und Irrtum’, systematische Variation, rückschrittiges Vorgehen), diese
(geordnet) darstellen und miteinander vergleichen.
Ferner sollen sie ihre Rechenfertigkeiten im Bereich der Addition, Subtraktion und des
Ergänzens mit ein- und zweistelligen Zahlen anwenden und festigen.
In der Sprache der Bildungsstandards
• I-1.2.c: mündliche und halbschriftliche Rechenstrategien verstehen und bei geeigneten Aufgaben anwenden
• I-3.1.b: Gesetzmäßigkeiten in geometrischen und arithmetischen Mustern erkennen, beschreiben und fortsetzen
• A-1.2: Lösungsstrategien entwickeln und nutzen (z. B. systematisch probieren)
• A-1.3: Zusammenhänge erkennen, nutzen und auf ähnliche Sachverhalte übertragen
• A-2.1: Eigene Vorgehensweisen beschreiben, Lösungswege anderer verstehen und
gemeinsam darüber reflektieren
• A-2.3: Aufgaben gemeinsam bearbeiten, dabei Verabredungen treffen und einhalten
• A-3.2: Mathematische Zusammenhänge erkennen und Vermutungen entwickeln
• A-3.3: Begründungen suchen und nachvollziehen
5. Dokumentierte Erprobung
wird ggf. ergänzt
Literaturhinweis
SCHERER, Petra & Christoph SELTER (1996): Zahlenketten - ein Unterrichtsbeispiel für
natürliche Differenzierung. In: Mathematische Unterrichtspraxis. H. 2, S. 21 - 28
Selter, Christoph & Hartmut Spiegel (1997): Wie Kinder rechnen. Leipzig: Klett, S. 68.
VERBOOM, Lilo (1998): Die ‚goldene Zahlenkette’ – ein kindgemäßer Zugang zum Entdecken und Begründen von Gesetzmäßigkeiten. In: Grundschulunterricht. H. 9, S. 9
- 11
Anlagen
• Ausschnitt aus Differenzierungsangebot 1: ‚Tipp 1’
• Ausschnitt aus Differenzierungsangebot 2: ‚Tipp 2’