Dylan 1967 bis 1970 – Der Popstar geht in sich und schockiert seine

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Dylan 1967 bis 1970 – Der Popstar geht in sich und schockiert seine
Dylan 1967 bis 1970 – Der Popstar geht in sich und schockiert seine Fans
Im Juni 1966 erlitt Bob Dylan einen schweren Motorradunfall – zumindest war dies die Schlagzeile,
welche um die Welt ging. Es war in der Öffentlichkeit unklar, ob er je wieder würde singen können.
Tatsächlich schien alles viel glimpflicher abgelaufen zu sein, als es zunächst den Anschein machte.
Nach seiner Genesung zeigte er ein anderes Gesicht – äusserlich unauffällig, ein Familienvater wie
andere auch! In jener Zeit kursierten die ersten inoffiziellen Kopien von „Tarantula“, Dylans ProsaGedicht, das ganz im Stil der Beat-Poetry als „Stream-Of-Consciousness-Writing“ verfasst war. A.
Pennebaker drehte den Dokumentarfilm zu Dylans Englandtournee im Mai 1966 (Eat The Document,
uraufgeführt 1971). In den Augen vieler seiner Anhänger war Dylan der Messias einer kommenden
Zeit. Er verkörperte die intellektuelle und zugleich musikalische Speerspitze einer ganzen Generation.
Es macht rückblickend den Anschein, als hätte Dylans Motorrad-Crash
zu keinem günstigeren Zeitpunkt geschehen können als an jenem
Junitag im Jahre 1966. Er gab ihm auf jeden Fall die Möglichkeit, sich
aus allem auszuklinken, was bisher sein öffentliches Leben
ausgemacht hatte. Mit einem Schlag war der androgyne Hippster
verschwunden und ein nachdenklicher, eher zurückgezogener, fast
menschenscheuer Dylan als Familienmensch mit Brille blieb zurück –
immer mehr auf der Flucht vor einer penetranten Öffentlichkeit und
vor denjenigen, welche ihn zu einer Gallionsfigur einer politischen
Bewegung machen wollten. Als der Unfall geschah, lebte Dylan mit
Sara, seiner Frau, und dem gemeinsam Sohn Jesse in Woodstock.
Weitere Kinder kamen in den darauffolgenden Jahren hinzu (1967
Anna, Samuel 1968, Jakob 1971). Die Familie wechselte in den
kommenden Jahren ihren Wohnsitz im Dreimonatsrhythmus.
Im Jahre 1967 erschien ein neues Album mit dem Titel „John Wesley
Harding“ von dem Dylan selbst sagte, es sei das erste biblische
Rockalbum der Geschichte. Das Cover zeigt einen Dylan mit Kinnbart in der Gesellschaft dreier
eigenartiger Gestalten. Das kurze Prosastück über die „Three Kings“ im Umschlag macht die Sache
nicht verständlicher – im Gegenteil. Das Album selber ist ein (verglichen mit seinem Vorgänger)
minimalistisch instrumentiertes Werk (fast ausschliesslich akkustische Gitarre, Mundharmonika,
Schlagzeug und Bass) mit berührenden Melodien und lyrisch
einzigartigen, bodenständigen und gleichzeitig mystischen
Texten. 12 teilweise allegorische Songs von menschlicher
Vergänglichkeit, existentieller Betroffenheit, vom Sinn des
Lebens und von der Suche nach Gerechtigkeit zeigen einen
Dylan, der zu sich selbst zugleich auf Distanz gegangen und in
ein neues Verhältnis zur eigenen Rolle getreten ist. Im
Titelsong taucht eine Alter Ego Dylans auf, die Figur des
Outlaws, der zugleich als der eigentliche Gerechte erscheint.
Eine Figur, die immer wieder in Dylans Bildersprache
auftaucht (und schon vor John Wesley Harding etwa in
Outlaw Blues auf Bringing it all Back Home und in Absolutely
Sweet Marie auf Blond on Blond). Todd Haines hat diese
Figur in seiner Dylan Allegorie I Was Not There bekanntlich
mit Richard Gere besetzt. Auf dieser Scheibe finden sich auch Schlüsselsongs aus Dylans Oeuvre wie
etwa All Along The Watchtower, das in der Version von Jimi Hendrix (der auch den Titel The Drifter’s
Escape vom gleichen Album gecovert hat) zu einem absoluten Welthit und meiner Meinung nach
zum besten Dylancover aller Zeiten geworden ist. Durch zahlreiche Covers Bekanntheit erworben
hat von dieser Platte auch I’ll Be Your Baby Tonight!
Als eigentlicher Schock für viele Dylanfans (ich zähle mich selbst dazu, weiss ich doch noch gut,
wie befremdet ich mich damals bei ersten Anhören der Platte bei Musik-Jecklin am Bahnhofplatz
in Zürich gefühlt habe) wirkte die 1969 veröffentliche „Nashville Skyline“ –LP. Man war schon gar
nicht sicher, ob auf dieser Platte tatsächlich Bob Dylan als Sänger zu hören war. Die Stimme tönte
auf jeden Fall völlig fremd und überhaupt nicht „dylanlike“. Der Sound war offensichtlich komplett
von der Country-Metropole Nashville geprägt. Dylan hatte schon Blond On Blond (1966) in Nashville
aufgenommen, was aber keineswegs dazu geführt hatte, dass er je Country-Musik komponierte oder
intonierte (Country war schliesslich die Musik der Rednecks, jener konservativer amerikanischer
Spiessbürger des Mittleren Westens!). Und nun ging es auf Nashville Skyline direkt mit einem
Duett mit der Country-Ikone Johnny Cash los: Girl From The North Country, der Klassiker von The
Freewheelin‘ Bob Dylan aus dem Jahre 1963, wurde als ziemlich schnulziger Country Song von den
beiden ungleichen Sängern als Eingangsstück der Platte aufbereitet. Einem „echten“ Dylan-Fan
stockte der Atem, nicht mehr die krächzende Halsstimme des Sängers von Like A Rolling Stone war
hier zu hören („Der Koyote im Stacheldraht“ wie Richard Klein scheibt), sondern ein breiter BrustBariton mit entsprechendem Hall. Die Texte der nachfolgenden Songs schienen zudem so banal und
non-kryptisch, dass es schon fast an Verrat am Intellekt des Hörers grenzte. Zwar gab es Stücke, die
sofort ans Herz gingen, wie etwa Lay Lady Lay oder I Threw It All Away. Dennoch hinterliess das Werk
Konsternation bei der Fangemeinde - und es sollte noch dicker kommen.
Nach seinem ersten Life Konzert seit langem am ersten Isle Of Wight-Festival im Jahre 1969
(nachdem er am legendären Woodstock-Festival gefehlt hatte) veröffentliche Dylan 1970 die DoppelLP „Self Portrait“, eine sehr heterogene und willkürliche Sammlung von Eigenkompositionen,
Covers und Life-Nummern (vom Isle Of Wight-Konzert im Sommer 1969). Den Umschlag ziert
ein Selbstportrait des Künstlers im Stil einer Kinderzeichnung. In die Geschichte der Dylanologie
eingegangen ist der Ausspruch von Greil Marcus, dem anerkannten Dylanologen, angesichts dieses
Elaborats: „What is this shit …?“ Nun ja, so schlecht ist sie nicht (zumindest aus heutiger Sicht)!
Zwar waren und sind da Stücke, die man schlicht nicht einordnen kann, wie etwa das als Single
ausgekoppelte instrumentale „Wigwam“ oder das absurde Eingangsstück „All The Tired Horses“.
Aber da finden sich auch einige Reminiszenzen der Basement Tapes aus dem Jahre 1968, die erst
später veröffentlicht werden sollten, die durchaus spannend und intensiv tönen.
Diese beiden LPs spalteten die Dylan-Gemeinde aufs Schärfste. Der Prophet hatte sich seinen
Anhängern entzogen und sie auf geradezu provozierende Weise herausgefordert.

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