Diesel aus dem Baukasten

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Diesel aus dem Baukasten
Diesel aus dem Baukasten
Alternativer Treibstoff: Der Schwerlast-Güterverkehr wird auf absehbare Zeit nicht
ohne Diesel auskommen. Sprit aus erneuerbaren Rohstoffen bietet eine Alternative, um
den Kraftstoffmix breiter aufzustellen und die Umwelt zu entlasten.
E
Dr. Jörg Adolf, Shell
„Der Diesel bildet das motortechnische Rückgrat des Güterkraftverkehrs, Dieselkraftstoff das
energetische Rückgrat.“
lektromobilität hin und Hybridfahrzeuge her – fest
steht, dass derlei Antriebskonzepte auf absehbare Zeit
höchstens für den Liefer- und Stadtbusverkehr in Frage
kommen. Nur dort sind sie wirtschaftlich oder zumindest
annährend wirtschaftlich. Eine Studie des Mineralölkonzerns
Shell und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) belegt die derzeit noch geringe Nachfrage nach
alternativen Antriebstechnologien. Der Dieselmotor dominiert
demnach mit 94 Prozent Anteil an der gesamten Nutzfahrzeugflotte. Betrachtet man allein schwere Nutzfahrzeuge,
sind es sogar 99 Prozent. „Damit bildet der Selbstzünder das
motortechnische Rückgrat des Güterkraftverkehrs, Dieselkraftstoff das energetische Rückgrat“, sagt Dr. Jörg Adolf,
Chefvolkswirt von Shell.
Gleichzeitig geht die Studie davon aus, dass der
Gütertransport auf der Straße weiterhin kräftig zulegt. Liegt
die Güterverkehrsleistung in Deutschland heute bei 670
Milliarden Tonnenkilometern, sollen es bis ins Jahr 2030 mehr
als 1.000 Milliarden Tonnenkilometer sein. 70 Prozent davon
bewältigt der Lkw, Tendenz leicht steigend. In der EU soll die
Transportleistung im gleichen Zeitraum um 50 Prozent auf
3.400 Milliarden Tonnenkilometer zulegen. Ohne Lastwagen
geht es also nicht – gelangen Lebensmittel und Konsumgüter
nicht in die Regale der Supermärkte. Er bleibt das flexibelste
und zuverlässigste Gütertransportmittel. „Notwendigkeit und
Nutzen des Straßengüterverkehrs für die Güterverteilung und
Versorgung der Bevölkerung sind weiterhin unbestritten“,
erklärt Projektleiter Lischke vom DLR. Entsprechend wächst
der Bestand an Nutzfahrzeugen. Damit drohen die Belastungen für Mensch und Umwelt zuzunehmen. Der Gesetzgeber
steuert dieser Entwicklung schon seit 1993 vor allem mit den
Euro-Normen gegen, die unter anderem Stickoxide (NOx) und
Derzeit nur Probepflanzungen: Jatropha als Biodieselbasis.
Sonderdruck aus lastauto omnibus 6-7/2010
TITEL | Diesel der Zukunft [ 2 ]
Partikelzahl und -masse (PM) beschränken, nicht aber den
Kohlenstoffdioxid-Ausstoß (CO2), also den Verbrauch eines
Fahrzeugs.
Seit der Einführung von Grenzwerten haben die LkwHersteller die regulierten Schadstoffe um etwa zwei Drittel bis
fast 90 Prozent gesenkt. Aber bei der Minderung von Emissionen ergeben sich Zielkonflikte. NOx-Emissionen steigen, wenn
der Partikelausstoß sinken soll, und umgekehrt. Auch der
Spritverbrauch und damit der CO2-Ausstoß steigen tendenziell
durch die Abgasminderungstechnologien. Heute trägt der
Straßengüterverkehr laut Umweltbundesamt in Deutschland
etwa fünf Prozent zum gesamten CO2-Ausstoß bei. Laut Adolf
könnten es bis zum Jahr 2030 trotz verbrauchsmindernder
Maßnahmen allein durch die steigende Verkehrs- und Fahrleistung des Lkw deutlich mehr sein. Noch dazu dürfte angesichts weltweit steigender Energie- und Ölnachfrage – vor
allem aus den Schwellenländern – das Angebot an konventionellem Erdöl nicht in gleicher Weise zulegen.
Was also ist zu tun, damit der Lkw künftig nicht als
Klimakiller dasteht und zugleich der Transport auf der Straße
nicht unbezahlbar werden soll? Eine heute schon greifbare
Lösung neben Optimierungen an Motor und Antriebsstrang
– zehn Prozent Dieselersparnis, schätzt die Studie, seien
dadurch noch möglich –, wirtschaftlicher Fahrweise sowie
intelligentem Verkehrsmanagement ist Diesel aus erneuerbaren Rohstoffen. Schon seit Längerem widmen sich die
Fotos: Juliane Bezold, Thomas Rosenberger, Choren, Daimler, Neste Oil, PE International, Shell, Volvo
Lkw haben das Potenzial,
mit zehn Prozent weniger
Diesel auszukommen
Lkw-Hersteller dem Biodiesel (FAME: Fettsäure-Methylester,
etwa aus Raps-, Soja- und Altspeiseöl oder tierischen Fetten).
In den Tank kommt FAME als reiner Kraftstoff (B100 beziehungsweise RME: Rapsmethylester) oder als siebenprozentige
Beimischung zu fossilem Diesel (B7). So ließe sich laut der
Studie die Klimabilanz mit Biodiesel aus Raps um bis zu
45 Prozent gegenüber herkömmlichem Diesel verbessern.
Im vergangenen Jahr haben die Tankstellen laut Shell
2,6 Millionen Tonnen Biokraftstoff abgesetzt, davon 2,3 Millionen Tonnen Biodiesel. Allerdings dominieren Beimischungen.
Moderne Lastwagen verschlucken sich jedoch gerne
am Genuss reinen Biodiesels, selbst höhere Beimischungen
können zu Problemen führen. Die Schmierfähigkeit von FAME
ist geringer als die des mineralischen Diesels. Öl- und Filterwechsel sind häufiger fällig, Dichtungen am Motor leiden
ebenfalls. Zudem ist reiner Biodiesel im Großhandel teurer als
mineralischer. Die steuerliche Begünstigung, die FAME für den
Flottenbetreiber dennoch finanziell interessant macht, ist auf
Dauer nicht gesichert.
Besserung scheint in Sicht. Inzwischen haben die
großen Mineralölkonzerne auf dem Weg zur zweiten Generation
von Biotreibstoffen Fortschritte erzielt – also Sprit, der nicht
nur aus den Früchten einer Pflanze gewonnen wird, sondern
aus der vollständigen Pflanze, was die CO2-Bilanz des jeweiligen Biosprits deutlich verbessert. Der Zwischenschritt ist BioSonderdruck aus lastauto omnibus 6-7/2010
Rohstoff für Sun-Diesel: Choren will Holzreste zu BTL verarbeiten.
diesel aus hydrierten Pflanzenölen (HVO: Hydrated vegetable
Oils) wie NExBTL (BTL: Biomass to Liquids). Die Klimabilanz
des Treibstoffs ist nach Angaben von Forschungsunternehmen
sehr gut (siehe Seite 28). Denn Pflanzen nehmen CO2 beim
Wachstum auf und gelten daher als CO2-Senke.
„Zudem sparen die Fahrzeuge 15 Prozent NOx und einen
Teil der Partikelemissionen ein“, sagt Dr. Manfred Schuckert,
Chefstratege bei Daimler. Noch dazu sei der Sprit chemisch
so beschaffen, dass Dieselmotoren keine Probleme bei dessen
Verbrennung bekommen. „Die Fahrzeuge verfügen über einen
Serienmotor und über herkömmliche Serviceintervalle“, sagt
Schuckert. Auch der Betrieb bei Kälte sei problemlos. „Nur die
Motorsteuerung muss optimiert werden, da der synthetische
Sprit über eine geringere Dichte als herkömmlicher Diesel
verfügt“, erklärt der Daimler-Mann. NExBTL verbrennt deutlich
sauberer. Der Grund dafür ist eine andere Zusammensetzung
der Molekülketten verglichen mit fossilem Diesel. Die Infrastruktur zur Versorgung mit NExBTL ist im Aufbau. NExBTL
lässt sich genauso wie herkömmlicher Diesel befördern und
Anteile an der CO2-Bilanz eines Lkw
58 %
30 %
12 %
Dr. Manfred Schuckert, Daimler
5%
Nutzungsende
Materialien Kraftstoff
Abgasund
(Ressource & emissionen
Produktion Produktion) einschl. CO2
Quelle: PE International
Wartung
-5 %
„Während sich die Partikelmasse
innermotorisch, beispielsweise
durch den Einspritzdruck, regulieren lässt, ist für die Reduktion
der Partikelanzahl unbedingt ein
Partikelfilter nötig.“
[ 3 ] TITEL | Diesel der Zukunft
ebenso einfach lagern. „Zudem kann NExBTL problemlos
mineralischem Diesel beigemischt werden“, argumentiert
Schuckert. Das sei gut, um geplante höhere Beimischungsquoten zu erfüllen, etwa B10 (zehn Prozent) bis 2020 oder
sogar B20 (20 Prozent). Trotzdem sieht Schuckert noch
Verbesserungspotenzial. „Der nächste Schritt muss hin zur
zweiten Generation von BTL führen. „Wir sollten nicht nur die
Kerne der Früchte verwenden, sondern auch die Zellulose-Bestandteile der Pflanze“, fordert der Chefstratege. Dann hätte
BTL das Potenzial, 90 Prozent CO2 einzusparen.
Neben Palmöl bekennt sich der Daimler-Konzern zur
Jatropha-Pflanze als Rohstofflieferant. „Inhaltlich ist sie die
beste Lösung“, behauptet Schuckert. Bisher gibt es aber nur
kleinere Anpflanzungen zu Versuchszwecken. „Es geht derzeit darum, die Art zu finden, die den besten Ertrag bringt“,
erklärt der Daimler-Mann. Jatropha wächst auch auf kargen
Böden, die heute noch nicht zur Nahrungsmittelgewinnung
genutzt werden. „Sie steht damit nicht in Konkurrenz zur
Lebensmittelproduktion“, erläutert er. Zahlreiche Umweltverbände beobachten die Herstellung von Biokraftstoffen
Vor- und nachteile alternativer treibstoffe
Einfluss aufs
Klima
(Verringerung
bezogen auf
fossilen Diesel)
Energieeffizienz
(Energiemenge,
die die Antriebsräder erreicht)
Effizienz
Anbaufläche
(Fahrstrecke pro
Hektar)
Kraftstoffpotenzial
(Verfügbarkeit des
Rohstoffs)4)
Biodiesel
(RME, FAME)
37–46 %
18–19 %
<2.000 km
84 TWh
Synthetischer
Diesel (BTL)
95–97 %
19–21 %
5.350–6.400 km
229 TWh
Dimethylether
(DME)
95–97 %
20–26 %
9.200–11.000 km
374 TWh
Zum Vergleich: flüssige und gasförmige Kraftstoffe für Lkw mit Ottomotoren
Methanol2)
89–92 %
19–25 %
8.700–10.500 km 374 TWh
Ethanol1)
-10–75 %
13–18 %
700–4.350 km
255 TWh
Biogas3)
77–93 %
18 %
7.900 km
414 TWh
Biogas +
Biodiesel3)
77–89 %
21 %
8.800 km
381 TWh
Wasserstoffgas 78–92 %
+ Biogas3)
19 %
8.400 km
415 TWh
Fahrzeuganpassung
(bewertet Effizienz
von Motorleistung,
Mehrgewicht,
Aktionsradius)
Verwendbar für
alle Anwendungen,
keine Anpassung
nötig
Verwendbar für
alle Anwendungen,
keine Anpassung
nötig
Verwendbar für
die meisten Anwendungen, keine
teure Anpassung
Kraftstoffkosten
(im Vergleich zu
fossilem Diesel
inkl. Produktion
und Bereitstellung)5)
20–59 %
KraftstoffInfrastruktur
(Tankstellennetz, Sicherheit,
Umweltverträglichkeit)
Geringe Veränderung nötig
100–140 %
Keine Veränderung
nötig
60–99 % /
niedriger als
fossiler Diesel
Gas in flüssiger Form bei
niedrigem Druck
hantiert
Verwendbar für
die meisten Anwendungen, keine
teure Anpassung
nötig
Verwendbar für
die meisten Anwendungen, keine
teure Anpassung
nötig
Verwendbar nur
für eine begrenzte
Zahl aller Anwendungen, teure
Anpassung nötig
Verwendbar
für die meisten
­Anwendungen,
teure Fahrzeug­
anpassung
Verwendbar nur
für eine begrenzte
Zahl aller Anwendungen, teure
Anpassung nötig
60–99 % /
niedriger als
fossiler Diesel
Große
Veränderung nötig
100–140 %
Große
Veränderung nötig
60–99 % /
20–59 %
Gas unter hohem
Druck oder in
flüssiger Form bei
niedrigen Temperaturen hantiert
Gas unter hohem
Druck oder in
flüssiger Form bei
niedrigen Temperaturen hantiert
Gas unter hohem
Druck oder in
flüssiger Form bei
niedrigen Temperaturen hantiert
100–140 % /
20–59 %
60–99 % /
20–59 %
Quelle: Volvo. Alle Angaben aus europäischer Sicht. Grün: besonders gute Werte, Rot: besonders schlechte Werte. 1) Mit Zündverbesserer. 2) Eine Vergasung von Schwarzlauge ist
erforderlich, um den höchsten Wert zu erhalten. 3) Eine Vergasung von Biomasse ist erforderlich, um den höchsten Wert zu erhalten. Der niedrige Wert gilt, wenn Biogas durch eine
anaerobe Vergärung von Haushaltsabfällen produziert wird. 4) 350–420 Terrawattstunden (TWh) entsprechen rund 10–12 % der erwarteten Nachfrage nach Benzin und Diesel in
der EU im Jahre 2015. 5) Schwierige Kalkulation aufgrund von teils starken Preisschwankungen bei Rohstoffen. Berechnung auf Basis 70 US-Dollar pro Barrel Öl und ohne Steuern.
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TITEL | Diesel der Zukunft [ 4 ]
kritisch, wollen die Umnutzungen von Feldern und Plantagen
zur Biospritproduktion verhindern. Daher haben sich die
Partner der NExBTL-Produktion, Daimler, Neste Oil und OMV,
entschlossen, den World Wildlife Fund (WWF) an den Tisch zu
holen. Gemeinsam wolle man Kriterien für eine nachhaltige
Produktion festschreiben. „Wir brauchen einen Nachhaltigkeitsnachweis“, sagt Schuckert. Dieser müsste aber auch von
den Nahrungsmittelproduzenten eingehalten werden, also
auch eine maßlose Abholzung von Regenwäldern für kultivierte Pflanzflächen verbieten.
GTL (Gas to Liquids) ergibt ebenfalls einen synthetischen Diesel mit vergleichbar günstigen Eigenschaften wie
NExBTL. Shell und wenige andere Unternehmen produzieren
derzeit nur recht kleine Mengen davon. „Wir mischen GTLKomponenten dem V-Power-Dieselkraftstoff bei“, berichtet
Adolf. Eine Großanlage soll in Katar entstehen, um weitere
sieben Millionen Tonnen GTL-Produkte (etwa Diesel, Kerosin,
Grundöl und Naphta) jährlich zu produzieren. Der Rohstoff
ist Erdgas (CNG), das im Fischer-Tropsch-Verfahren zu GTL
umgewandelt wird. Schuckert ist das GTL-Verfahren zu
aufwendig. „Wir sind im Gespräch mit Shell, können unsere
beschränkten Entwicklungskapazitäten in der Krise aber nur
auf ein Projekt verwenden und das ist NExBTL“, begründet
er. Jedoch begrüße er jedes Engagement, das den Preisdruck
vom mineralischen Öl nimmt. „Es gibt noch viel zu geringe
Kapazitäten an synthetischem Diesel, daher müssen wir alle
Alternativen nutzen, die vorhanden sind“, argumentiert er.
Neste Oil etwa produziert gerade mal 200.000 Tonnen NExBTL
jährlich, plant aber weitere Produktionsstätten, sodass in den
DME setzt Anpassungen am D 13-Motor im Volvo FH voraus.
nächsten Jahren die Kapazität auf zwei Millionen Tonnen ansteige. Zum Vergleich: Allein Europa benötigt derzeit über alle
Sorten hinweg 300 Millionen Tonnen Treibstoff pro Jahr.
Angesichts der verhältnismäßig geringen Mengen
kommt jeder Dieselersatz gerade recht, vor allem dann, wenn
er klimafreundlich produziert werden kann. Choren Industries
will zur BTL-Herstellung (Markenname: Sun-Diesel) Holzreste
verwenden, sie dazu vergasen und der Fischer-Tropsch-Synthese unterziehen. Auch hier ist neben Volkswagen unter
anderem Daimler als Anteilseigner involviert. Derzeit befindet
sich eine Anlage im sächsischen Freiberg im Anlaufprozess,
die Kapazitäten sind wiederum recht gering. Die Fabrik soll es
auf 14.000 Tonnen BTL pro Jahr bringen. Eine weitere Anlage
mit größeren Kapazitäten ist geplant.
Volvo Trucks hat einen anderen Weg eingeschlagen
und bevorzugt Schwarzlauge, ein energiereiches, hochviskoses Nebenprodukt der Papierproduktion, als Basis für einen
Kraftstoff. Daraus lässt der Lkw-Hersteller beim Treibstoffproduzenten Chemrec Dimethylether (DME) erzeugen. Bei der
Vergasung der in der Schwarzlauge enthaltenen Biomasse
entstehen täglich vier Tonnen DME. 14 Volvo FH sollen im
Herbst im Raum Göteborg für zwei Jahre in die Kundenerprobung gehen. Dafür reiche die Produktionskapazität, sagt Volvo
Trucks-Umweltdirektor Lars Mårtensson. Der Einsatz von DME
statt Diesel gelingt nicht ohne Weiteres. Einige Modifikationen
am D 13-Dieselmotor des FH 440 sind laut Mårtensson dazu
notwendig. Zudem benötigt der Lkw neue Tanks, eine veränderte Kraftstoffpumpe und ein angepasstes Common-RailEinspritzsystem. Der Energiegehalt von DME liegt bei etwa
Lars Mårtensson, Volvo
„Schwarzlauge entsteht bei der
Papierproduktion und erzeugt
somit keine zusätzlichen Emissionen. Wir planen bis 2013 eine Fabrik, um 2.000 Lkw zu versorgen.“
[ 5 ] TITEL | Diesel der Zukunft
Der Fährtenleser
Umweltbilanz: Das Beratungsunternehmen PE International aus LeinfeldenEchterdingen hat im Auftrag der Stuttgarter Straßenbahnen den erneuerbaren
Dieselkraftstoff NExBTL unter die Lupe genommen.
N
Dr. Michael Faltenbacher,
PE International
„In welchem Maße Treibstoff- und
Lebensmittelproduktion konkurrieren, erfordert eine differenzierte
Antwort. Bis heute ist es nicht gelungen, das der Öffentlichkeit zu
vermitteln. Die Diskussion muss
sich unbedingt versachlichen.“
ur die Emissionen, die aus dem Auspuff eines Fahrzeugs dampfen, und deren Effekte auf die Umwelt zu
betrachten, das wäre zu kurz gesprungen. Entscheidend
für die Ökobilanz eines Treibstoffs ist, welche Umweltbelastungen von der Rohstoffgewinnung über die Raffinerie bis hin
zum Betrieb des Lkw entstehen – und sogar darüber hinaus,
bis zum Lebensende des Fahrzeugs. Auf solche Untersuchungen hat sich das Beratungsunternehmen PE International
spezialisiert. Es berät seit 1989 Unternehmen auf der ganzen
Welt rund um das Thema Nachhaltigkeit, darunter auch DHL
und Stuttgarter Straßenbahnen (SSB).
„Für solch eine Lebenszyklusbetrachtung unterteilen wir
den gesamten Prozess in einzelne Module“, erklärt Dr. Michael
Faltenbacher, Leiter für Verkehrs- und Energieprojekte bei PE
International. Im Falle NExBTL heißt das: Welche Emissionen
treten beim Anbau des Rohstoffs Palmöl auf? Ist es sinnvoller,
andere Rohstoffe als Rapsöl zu verwenden? Wie werden die
Pflanzen auf dem Acker behandelt – in welchem Umfang werden sie gedüngt oder mit Maschinen kultiviert? Was passiert
bei der Verarbeitung in der Raffinerie? Welche Stoffe müssen
zugesetzt werden, etwa als Katalysatoren? Auf welchem Weg
gelangen Rohstoff und Beigaben zur Raffinerie? Und welche
Abfallstoffe bleiben zurück? „In der Regel verwenden wir vier
bis sechs Monate, bis die Ökobilanz eines Kraftstoffs und des
Fahrzeugs feststeht. Es kann auch schneller gehen, je nach
module der co2-Bilanz
Anbau Palmöl
Anbau Raps
Tier- und
Schlachtabfälle
Verarbeitung
Palmrohöl
Verarbeitung
Rapssamenöl
Verarbeitung
Tierfette
Energie
Transport
H2 Produktion
vor Ort
Propan
NExBTL
Prozess
Trocknung des
festen Abfalls
Dampf
Diesel
Produktion
Raffinerie
Diesel
Transport
Chemikalien
Produktion
Transport
Katalysatoren
Produktion
Rohmaterial
Rohmaterial
Vorbehandlung
Wasser
andere
Rohmaterialien
NExBTL
erneuerbarer Diesel
Transport
Kläranlage
Umwandlung
fester Abfall in
Energie
Transport
Produktverwendung
Quelle: PE International
Impressum: Sonderdruck aus lastauto omnibus 6-7/2010 von ETMservices – Ein Geschäftsbereich des ETM Verlag
Verantwortlich: Thomas Paul Göttl, Telefon (07 11) 7 84 98-80 · www.etmservices.de
Komplexität der untersuchten Prozesskette“, erklärt Faltenbacher. Beschleunigt wird die Erstellung einer Ökobilanz heute
vor allem dadurch, dass mittlerweile viele Voruntersuchungen
zu einzelnen Modulen schon bekannt sind. Etwa aus eigenen
Untersuchungen oder solchen von Dritten wie dem Heidelberger Ifeu-Institut.
Im Falle von NExBTL hat sich gezeigt, dass vor allem
der Transport mit dem Schiff von Malaysia nach Europa zur
Raffinerie die Bilanz dieses Biodieselkraftstoffs belastet.
Andererseits sind die beim Schiffstransport entstehenden
Emissionen auf den Ozeanen nicht so bedeutend für lokal
relevante Umweltwirkungen. Die Schadstoffemissionen, die
in Ballungszentren durch den Betrieb von Kraftfahrzeugen
entstehen, sind in ihren Auswirkungen auf die menschliche
Gesundheit wesentlich bedeutsamer, erklärt der Verkehrsexperte Faltenbacher. Die Berechnung hat zudem ergeben,
dass NExBTL aus 100 Prozent Rapsöl nicht ohne Weiteres
Düngerintensiver Anbau
belastet CO2-Bilanz von
Biodiesel aus Rapsöl
die Vorgaben der EU-Richtlinien zur Förderung der Nutzung
von Energie aus erneuerbaren Quellen erfüllen würde. Die
Gesamtbilanz an CO2-Äquivalenten in Gramm je Megajoule
Energiegehalt (71 gCO2e/MJ laut einer von Neste Oil in Auftrag
gegebenen Studie) des Biodiesels ist in diesem Fall nur etwa
14 Prozent besser verglichen mit fossilem Diesel (84 gCO2e/
MJ). 35 Prozent müssen es aber laut EU sein. Schuld daran ist
die aufwendige und düngerintensive Kultivierung des Raps,
die mit einer hohen Belastung an CO2 einhergeht.
Deutlich besser schneidet laut Faltenbacher der
Rohstoff Palmöl ab. Er emittiert insgesamt etwa 68 Prozent weniger an CO2-Äquivalent (31 gCO2e/MJ) als fossiler
Diesel. Noch besser wäre Biodiesel der zweiten Generation auf
Basis tierischer Fette (14 gCO2e/MJ). Hier läge das Potenzial
demnach bei etwa 83 Prozent Treibhausgas-Reduktion, da
als Rohstoff ein Abfallstoff aus der tierischen Produktion
verwendet wird. Die Vorräte an tierischen Fetten seien jedoch
überschaubar, eine flächendeckende Versorgung in der Praxis
kaum möglich, argumentiert Faltenbacher.
Rapsöl ergibt demnach je Hektar Anbaufläche 0,8 bis
1,5 Tonnen NexBTL, Palmöl dagegen durchschnittlich knapp
vier Tonnen je Hektar. „Bei einer intensiven Kultivierung der
Plantagen wären sogar bis zu zehn Tonnen je Hektar möglich“, erklärt Faltenbacher. Entscheidend für die ökologische
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TITEL | Diesel der Zukunft [ 6 ]
Gesamtbilanz sei, dass keine Umnutzung des Landes erfolgt,
vor allem keine Gewinnung von Anbauflächen durch Brandrodung von Regenwäldern. Jedoch ist der CO2-Malus für
solche Umnutzung vom Gesetzgeber noch nicht festgeschrieben. Der Anbau der Rohstoffe auf bereits landwirtschaftlich
genutzten Flächen sei dagegen unproblematisch. „Was aber
immer schwierig bleibt, ist die Diskussion um die mögliche
Nutzungskonkurrenz“, sagt Faltenbacher. Und diese werde
schnell emotional. „Treibstoff statt Essen“ erhitzt die Gemüter. „Dieses komplexe Thema erfordert eine differenzierte
Antwort, die der Öffentlichkeit bisher noch nicht vermittelt
werden konnte. Die Diskussion muss auf jeden Fall versachlicht werden“, betont der Nachhaltigkeitsexperte. Um eine
größtmögliche Transparenz zu schaffen, sei es wichtig, dass
jeder Hersteller angibt, woher der NExBTL-Rohstoff stammt.
Mutet die Ökobilanzierung der Rohstoffe vom Feld
bis zum Rad komplex an, wird es bei den Rohstoffpreisen
dagegen schnell spekulativ. Verantwortlich dafür sind vor
allem die Rohstoffbörsen. „Sobald eine Ressource als Treibstoffquelle in Betracht kommt, beginnen die Spekulationen“,
begründet Faltenbacher. Studien rechnen mit 1.500 US-Dollar
je Tonne Rapsöl, 1.200 US-Dollar für die Tonne Palmöl und
980 US-Dollar je Tonne tierische Fette. „Das ist aber alles mit
Vorsicht zu genießen. Eine seriöse Antwort kann ich auf die
Preisfrage nicht geben“, erläutert er. Nur so viel: Derzeit sei
NExBTL noch teurer als herkömmlicher Diesel.
Fest steht aber, dass die derzeit vorhandenen Produktionskapazitäten für Biokraftstoffe kaum reichen werden,
um allein die Beimischungsquoten zu herkömmlichem Diesel
nach europäischen Vorgaben zu erfüllen. Vorhandene Anlagen
und solche, die kurz vor dem Start stehen, haben vorerst
nur geringe Kapazitäten im Vergleich zu Raffinerien, die
fossiles Rohöl zu Diesel verarbeiten. So hat die erste Anlage
von ­Choren Industries in Freiberg (Sachsen) eine Jahresproduktionskapazität von etwa 14.000 Tonnen synthetischem
Biodiesel aus Biomasse. Eine weitere geplante Fabrik soll
200.000 Tonnen pro Jahr liefern. „Kraftstoff auf 100 Prozent
NExBTL Basis wird daher also eher mittelfristig ein Thema
sein. Heute geht es vielmehr um den Einsatz in Testflotten
und als Beimischung“, sagt Faltenbacher. Derzeit beschäftigen sich die Versorger mit dem Aufbau von großtechnischen
Produktionskapazitäten, um zunächst einmal Beimischungsquoten sicherzustellen.
◂ Thomas Rosenberger ▸
Plantage in Malaysia: Belastung durch weite Wege.
Sonderdruck aus lastauto omnibus 6-7/2010
55 Prozent verglichen mit Diesel. Daher muss die Flussrate
des Treibstoffs zum Motor erhöht werden. Zudem müssten
einige Additive hinzugegeben werden, weil die Schmierfähigkeit ebenfalls niedriger liegt als beim fossilen Diesel. Die
Leistungsdaten blieben aber die Gleichen, behauptet der
Umweltchef. Und das Potenzial, die Umwelt zu schonen, sei so
groß wie das von NExBTL.
Schuckert steht dieser Alternative skeptisch gegenüber.
„Am Fahrzeug sind zahlreiche Modifikationen nötig.“ Zudem
lasse sich DME nicht mineralischem Diesel beimischen. Auch
eine Infrastruktur zu errichten sei schwerer. „DME erfordert Drucktanks und wird erst oberhalb von fünf bar Druck
flüssig“, begründet er. „Das Engagement von Volvo begrüßen
wir dennoch. Schwarzlauge zu verwenden ist prinzipiell nicht
als schlecht einzustufen, weil es eine günstige CO2-Bilanz
aufweist und weil es die Rohstoffbasis für erneuerbaren Sprit
verbreitert“, sagt der Daimler-Mann. Mårtensson bestätigt:
„Ein einziger Kraftstoff reicht nicht aus, um den Bedarf zu
decken.“ Volvo testet neben DME auch andere Treibstoffe im
Nutzfahrzeug. „GTL ist eine Option, wir haben die Tür auch für
weitere Alternativen nicht zugeschlagen“, sagt er.
Noch Zukunftsmusik ist dagegen das Vorhaben des
Energiekonzerns BP mit Partner Martek Biosciences. Die
Partner haben angekündigt, aus Algen und anderen mikrobiellen Substanzen durch Fermentation Biodiesel zu erzeugen.
Die Basis dafür ist Zucker aus verschiedenen Quellen. Die
Mikroorganismen wandeln diesen zu Fetten um, aus denen
Nachweispflicht gefordert:
Wurden die Palmölfrüchte
nachhaltig produziert oder
zu Lasten der Umwelt?
Preisbewertungen sind nicht möglich,
weil die Produktionskapazitäten noch
viel zu gering sind
wiederum Öl gewonnen werden kann. 80 bis 90 Prozent könnte die CO2-Ersparnis laut BP betragen. Eine weitere derartige
Pilotanlage betreibt Cellana, ein Tochterunternehmen von
Shell, auf Hawaii.
Wie sich bei alledem die Preise für Diesel entwickeln,
lässt sich heute nicht voraussagen. Angesichts der geringen
produzierten Mengen sind sie jedenfalls nicht konkurrenzfähig
zu fossilem Diesel. Die Experten blicken aber zuversichtlich
in die Zukunft und erwarten, dass die Preise sinken. „NExBTL
wird langfristig wettbewerbsfähig sein“, behauptet etwa
Schuckert. „Derzeit gibt es für DME keinen Marktpreis. Künftig
wird es aber mit einem Marktpreis von 60 US-Dollar für das
Barrel Rohöl konkurrieren können“, sagt Mårtensson.
Der Volvo-Umweltchef fordert daher, dass die EU
schnell ein verbindliches Regelwerk schafft, das Standards
für synthetische Treibstoffe definiert und Anreize für deren
Nutzung schafft. Denn: „Der Dieselmotor bleibt der bei
Weitem beste Antrieb für Nutzfahrzeuge. Er ist bewährt, seine
Fahreigenschaften sind ausgezeichnet und er arbeitet höchst
energieeffizient“, argumentiert er. Und wenn die Studie von
Shell und DLR Recht behält, stecken im dieselbetriebenen
Sattelzug über alle Bauteile hinweg – Antrieb, Sprit und Fahrzeugkonstruktion – noch fast 30 Prozent Kraftstoffeinsparungen drin. Das würde die Transportbranche entlasten.
◂ Thomas Rosenberger ▸
Link zur Lkw-Studie von Shell
auf lastauto-omnibus.de