Trauma- und Streß-induzierte Störungen des autobiographischen

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Trauma- und Streß-induzierte Störungen des autobiographischen
Promotionsprojekt im GK Verhaltensstrategien und Verhaltensoptimierung
Trauma- und Streß-induzierte
Störungen des autobiographischen
Gedächtnisses bei psychiatrischen
Patienten.
Ein interdisziplinärer
Forschungsansatz
Martina Piefke
In Studien über Personen, die psychische Traumata wie z.B. sexuellen
Mißbrauch, Kriegssituationen, Umweltkatastrophen oder schwere Unfälle
erlebt haben und in der Folge psychisch erkrankt sind, wurde immer wieder
beobachtet, daß diese Patienten einhergehend mit verschiedenen
psychiatrischen Erkrankungen Gedächtnisstörungen zeigen, insbesondere
Bereich des autobiographischen Gedächtnisses, die zum einen als
Intrusionen und flash backs, Bremner et al., 1999) zum anderen aber auch
als anterograde und/oder retrograde Amnesien ihren Ausdruck finden
können (Markowitsch, 1999; Markowitsch et al., 1999).
Die neuroendokrinen Grundlagen der physiologischen Streß-Antwort
beruhen auf Funktionen des Hypothalamus-HypophysenNebennierenrinden-Systems (HPA-Achse) und weiterer
Interaktionsprozesse zwischen verschiedenen komplexen NeurotransmitterHormon-Systemen. Untersuchungen pathologischer Veränderungen der
physiologischen Streß-Antwort durch chronische Streßeinwirkungen, deuten
auf neuronale Schädigungen durch langfristig erhöhte GlucocorticoidAusschüttung hin. Besonders betroffen sind hier der Hippocampus und
angrenzende limbische Strukturen, d.h. Gehirnregionen, die insbesondere
relevant sind für deklarative Gedächtnisleistungen und Emotionalität (Cahill,
1997, 1999). In Tierversuchen wurde eine erhöhte Anzahl von
Glucocorticoidrezeptoren in den Hippocampi langfristig streß-exponierter
Tiere gefunden sowie z.T. irreversible hippocampale
Neuronendegenerationen (Uno et al., 1989; Charney et al., 1993). Bei
Menschen zeigte sich ein reduziertes Hippocampusvolumen bei Patienten
mit PTSD (Bremner et al., 1995; 1997), und eine erhöhte Anzahl
lymphozytärer Glucocorticoidrezeptoren in neuroendokrinologischen
Untersuchungen von Personen, die mehrere Jahre zurückliegend schwere
psychische Traumatisierungen erlitten haben (Yehuda et al. 1991a, b; 1995)
Unter den psychiatrischen Erkrankungen, die in der Folge von Trauma- und
Streßerfahrungen entstehen, sind die Posttraumatische Belastungsstörung
(PTSD), die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPD) sowie dissoziative und
affektive Störungen besonders häufig, wobei eine hohe Komorbidität dieser
Krankheitsbilder besteht.
In dem geplanten Projekt werden an Patienten mit PTSD, BPD,
dissoziativen und affektiven Störungen, deren Erkrankungen auf Traumaund Streßeinwirkungen zurückführbar sind, die physiologischen und
psychologischen Folgen von Trauma- und Streßerfahrungen auf
verschiedenen Ebenen untersucht, wobei im Mittelpunkt eine differenzierte
Untersuchung von Dysfunktionen in den vielfältigen Dimensionen des
autobiographischen Gedächtnisses dieser Patienten steht.
Neurophysiologische und neuropsychologische Untersuchungen sollen
ergänzt werden durch Perspektiven der Sozial- und
Entwicklungspsychologie, da zu erwarten ist, daß traumatisierte Patienten
auch auf diesen Ebenen beeinträchtigt sind (Van der Kolk, 1997).
Entwicklungs- und sozialpsychologische Studien über das
autobiographische Gedächtnis haben vielfältige Verknüpfungen
verschiedener Dimensionen dieser Gedächtnisform aufgezeigt.
Lebensgeschichtliche Erinnerungen sind Interpretationen der persönlichen
Vergangenheit, die auf komplexen Integrationsleistungen basieren, da sie
eine Vorstellung von der Kontinuität der eigenen Person, den Entwurf
kohärenter Identitätsvorstellungen und Selbstkonzepte, die Fähigkeit des
Geschichtenerzählens sowie den Umgang mit sozio-kulturell determinierten
Wertvorstellungen und Verhaltenserwartungen implizieren (Köhler, 1998).
Insbesondere in der psychotherapeutischen Arbeit hat sich immer wieder
gezeigt, daß traumatisierte Patienten im Hinblick auf derartig komplexe
Integrationsleistungen gestört sind.
Das Projekt ist als Longitudinalstudie konzipiert, d.h. alle Patienten und
gesunden Kontrollpersonen werden nach einer Zeit von ca. 12-18 Wochen
erneut untersucht. Die Patienten werden in dieser Zeit psychotherapeutisch
behandelt, eine Gruppe im Rahmen eines tiefenpsychologisch orientierten
Therapiekonzepts, eine zweite im Rahmen verhaltenstherapeutisch
ausgerichteter Therapieformen. Die zweite Untersuchung findet dann statt,
wenn sich bei einem Patient eine klinische Besserung zeigt, da anzunehmen
ist, daß mit einer klinischen Besserung neurobiologische Veränderungen
einhergehen. Der Zeitraum zwischen der ersten und zweiten Untersuchung
wird von Patient zu Patient variieren, da die Zeit, die ein Therapieerfolg
erfordert, individuell sehr unterschiedlich ist und u.a. von dem Ausmaß der
Traumatisierung sowie den prämorbiden Dispositionen, den
Persönlichkeitsstrukturen und der sozialen Situation eines Patienten
abhängt.
Das Design der Studie ermöglicht die Ermittlung der physiologischen und
psychologischen Folgen von Trauma- und Streßerfahrungen, der
physiologischen und psychologischen Faktoren einer klinischen Besserung
und sowie auch die Evaluierung der Wirksamkeit zwei unterschiedlicher
Therapiekonzepte. Studien auf den folgenden Untersuchungsebenen sollen
eine differenzierte Sichtweise von Störungskomplexen erlauben, die als
Folgen schwerer Traumatisierung zu betrachten sind:
1. Psychiatrie (standardisierte diagnostische Verfahren),
2. Neuropsychologie (standardisierte diagnostische Verfahren),
3. Autobiographisches Gedächtnis (narratives, teil-strukturiertes
Interview),
4. Neuroendokrinologie (Labordiagnostik, Bestimmung relevanter
Parameter des HPA-Systems),
5. Strukturelle und funktionelle Bildgebung (MRI u. fMRI),
6. Psychophysiologie (Blutdruck, Herzschlagfrequenz, EKG).
Eine Studie, die sich über diese fünf Ebenen erstreckt, erfordert einen
interdisziplinären Forschungsansatz, insofern sie auf Methodologien und
Methoden einer Reihe von Wissenschaftsdisziplinen zurückgreifen muß, die
z.T. unterschiedlichen wissenschaftlichen Paradigmen verpflichtet sind
(Piefke, 1999). Mit dem übergeordneten Ziel der Integration der auf den
einzelnen Untersuchungsebenen erzielten Ergebnisse sollen die folgenden
Fragestellungen bearbeitet werden:
1. Gehen mit den physiologischen und psychologischen Folgen von
Trauma- und Streßerfahrungen spezifische Störungen im Bereich des
autobiographischen Gedächtnisses einer?
2. Welches sind die physiologischen Korrelate von Defiziten im Bereich
des autobiographischen Gedächtnisses.
3. In welchem Verhältnis stehen unterschiedliche Dimensionen des
autobiographischen Gedächtnisses zueinander, wie z.B. das Selbst
eines Menschen, die Narration, Prozesse subjektiver emotionaler
Bedeutungsgebung, die Herstellung zeitlicher Kontinuität und
kohärenter Identitätsvorstellungen, und wie sind diese Dimensionen
auf der Gehirnebene repräsentiert
4. Manifestieren sich die Störungen des autobiographischen
Gedächtnisses bei psychiatrischen Patienten selektiv in spezifischen
Dimensionen dieses Gedächtnisses?
5. Unterscheiden sich die Defizite im Bereich des autobiograhischen
Gedächtnisses bei traumatisierten Patienten, die sekundär eine
psychiatrische Erkrankung entwickelt haben, von denen, die sich bei
Patienten mit primären psychiatrischen Erkrankungen beobachten
lassen?
6. Welche Rolle spielen der Zeitpunkt, die Dauer (chronischrezidivierende Traumatisierung) und das Ausmaß der
Traumatisierung für die sekundäre Entwicklung einer psychiatrischen
Erkrankung?
7. Inwiefern unterscheiden sich vor dem Hintergrund der Evidenz
neurobiologischer Veränderungen infolge psychischer Traumata die
Folgen psychologischer und physiologischer Traumata voneinander?
Die folgenden, auf der Grundlage des Forschungsstands auf den einzelnen
Untersuchungsebenen sowie eigener Vorarbeiten entwickelten Hypothesen
sollen überprüft und ausgearbeitet werden:
1. Mit den physiologischen und psychologischen Folgen von Traumaund Streßerfahrungen gehen verschiedenartige Störungen im Bereich
des autobiographischen Gedächtnisses einher, deren jeweils
spezifische Ausformung charakteristisch ist für die psychiatrischen
Erkrankung, die der individuelle Patient infolge der Traumatisierung
entwickelt hat.
2. Unterschiedliche psychiatrische Erkrankungen und die ihnen
korrespondierenden unterschiedlichen Störungen des
autobiographischen Gedächtnisses haben unterschiedliche
physiologische Korrelate.
3. Die Störungen des autobiographischen Gedächtnisses, die
psychiatrische Patienten beobachten lassen, manifestieren sich
selektiv in spezifischen Dimensionen dieses Gedächtnissystems.
4. Entscheidende Einflußfaktoren bei der spezifischen Ausformung einer
Störung des autobiographischen Gedächtnisses sind 1) genetische
Faktoren, 2) erworbene prämorbide Dispositionen, 3) die aktuelle
Lebenssituation des Patienten, 4) der Zeitpunkt, die Art und der
Schweregrad der Traumatisierung, 5) die Art und der Schweregrad
der psychiatrischen Erkrankung u.a.m.
5. Die für die Dimensionen des autobiographischen Gedächtnisses
besonders relevanten Gehirnregionen sind der präfrontale Cortex und
limbische Strukturen, insbesondere in der rechten Gehirnhemisphäre.
6. Traumatische Erlebnisse können nicht oder nur unvollständig in das
autobiographische Gedächtnis integriert werden, üben aber
unterschwellig einen Einfluß aus insbesondere auf den affektiven und
kognitiven Bezug des Individuums zu seinem Selbst und zu anderen
Menschen .
7. Trauma-Erzählungen sind fragmentarisch und weisen eine andere
narrative Struktur auf als lebensgeschichtliche Erzählungen über
nicht-traumatische Erlebnisse (van der Kolk, 2000).
8. Traumatisierte Patienten zeigen häufig Amnesien und/oder
Intrusionen im Bereich des autobiographischen Gedächtnisses, deren
physiologische Korrelate (z.B. veränderter Gehirnmetabolismus,
Veränderungen neuroendokriner und neuroimmunologischer
Funktionen sowie autonomer Reaktionen) mittels
Laboruntersuchungen und bildgebender Verfahren ermittelt werden
können.
9. Psychologische (z.B. sexueller Mißbrauch in der frühen Kindheit) und
physiologische Traumata (z.B. schwere Virusinfektion in der frühen
Kindheit) können zu ähnlichen neurobiologischen Veränderungen und
damit zur Entstehung ähnlicher psychiatrischer Krankheitsbilder
führen (Aldenhoff, 1997).
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Martina Piefke
http://www.techfak.uni
bielefeld.de/GK518/projekte/MPiefke/projekt.html