Leidenschaftliche Lesarten
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Leidenschaftliche Lesarten
6/2/1997 Chris Holmlund Leidenschaftliche Lesarten Die Rezeption von Filmfiguren als „Fatal Attraction"* FATAL ATTRACTION (Paramount [deutscher Verleihtitel: EINE VERHÄNGNISVOLLE AFFÄRE]) ist nach seiner Premiere am 18. September 1987 schnell zu einem der erfolgreichsten Filme überhaupt geworden: Im Februar 1990 setzte Variety den Film in der Kategorie „Beste Verleihergebnisse aller Zeiten" auf den 31. Platz, und von den Filmen, die 1987 herauskamen, spielte nur Eddie Murphys BEVERLY HILLS COP II mehr ein. Auch in Euro1 pa sprengte FATALATTRACTION den Kassenrekord von Paramount. Aber Zahlen können nicht annähernd erklären, warum die Figuren von FATAL ATTRACTION eine solche Bandbreite von heftigen Reaktionen auslösten. Es war dieser sensationelle Erfolg, der den Film praktisch über Nacht in die Schlagzeilen brachte. 2 In den Kinosälen überall in den Vereinigten Staaten schrie das Publikum: "Kill the bitch!"3 Obwohl die meisten Kritiken den Film als „grob manipulativ" oder als „aufgeblasene Geschichte" einschätzten, wurde mit großer Ausdauer darüber berichtet, wie stark Rezensenten und Publikum für oder gegen die wichtigsten Figuren des Films Partei ergriffen.4 Manche identifizierten ~ich am stärksten mit Beth (Ann Archer), andere mit Dan (Michael Douglas), wieder andere mit Alex (Glenn Close)5, aber in allen Fällen wurden wirkliches Leben und Fiktion untrennbar miteinander verbunden. In England z.R berichtete Regina Nadelson im Guardian, daß sie gehört habe, wie eine junge Frau zu ihrem Begleiter gesagt hätte: „Wenn Du je fremd gehst, schneide ich D~r die Eier ab." l!nd Amy Taubin gestand in der Village Voice : „Ich habe mich ~war selb~t mc~t mit Alex identifiziert, aber ich befürchte, daß andere eine Ahnlichkeit zwischen uns entdecken könnten" (1987, 90). Anm.d.Hrsg.: Dieser Artikel erschien zuerst unter dem Titel "Reading Character with a Vengeance: The FATAL ATIRACTION Phenomenon" in Velvet light Trap, Nr. 3, 1991, S. 25-36. Wir danken Chris Holmlund und der University of Texas Press für die freundliche Genehmigung zur Übersetzung. Aus ilbersetzungsrechtlichen Gründen folgen Zitationsweise und Form der Bibliographie weitgehend dem von der Autorin verwendeten Verfahren. Leidenschaftliche Lesarten 37 Die Anzahl der Zuschauer, die sich von dem Film direkt betroffen zeigten, war überwältigend. Phil Donahue und Oprah Winfrey führten stundenlange Interviews mit Menschen, die selbst ähnliche Erfahrungen wie Alex, Beth und Dan gemacht hatten, dazu Donahue: ,,Der Grund dafür, daß FATAL A TTRACTION so einen enormen Profit macht, liegt darin, daß wir offensichtlich alle zu irgendeiner Zeit zumindest indirekt mit dieser Art von Verhalten in Berührung gekommen sind. [... ] Viele Menschen, die keine Filmstars sind und die es nie auf die große Leinwand schaffen werden, machen selbst diese schrecklichen und unerwarteten Dramen durch" (THE PHIL DONAHUE SHOW, 5, 12). Illustrierte und Boulevardblätter in Supermärkten und an den Kiosken im ganzen Land stürzten sich auf das FATAL ATTRACTION-Thema. Monatelang posaunte der National Enquirer Schlagzeilen wie: „Zwanghafte verhängnisvolle Begierde macht krank", während das Hochglanz-Magazin New Woman den Abdruck einer fiktiven FATAL ATTRACTION-Story, „Tagebuch der Affäre mit einem verheirateten Mann", mit praktischen Ratschlägen verband: Was tun, „wenn einer mehr liebt?'.6 People Weekly untersuchte die „verhängnisvolle Begierde im wirklichen Leben" mit dem Untertitel „Das ist mehr als nur ein Film". Der Artikel „Die dunkle Seite der Liebe" bestand aus vier „wahren Begebenheiten", die zeigten, „warum dieser Film so ins Schwarze trifft", darunter auch meine persönliche Lieblingsgeschichte, das warnende Beispiel einer Frau aus Racine im Bundesstaat Wisconsin, die auf die Verlobte ihres Ex-Liebhabers 97mal eingestochen hatte und „sie tötete", wie People überflüssigerweise klarstellte. Die allgemeine Strategie der Kommentatoren in Filmkritiken, FernsehTalk-Shows und allen möglichen populären Publikationen und Sensationsblättern bestand darin, Experten der verschiedensten Gebiete heranzuziehen: Psychiater und Kriminologen, Geisteswissenschaftler, darüber hinaus Rechtsanwälte und Sozialarbeiter, und alle stimmten sie darin überein, daß es „verhängnisvolle Affären" überall gäbe. Oprah Winfreys kühne Behauptung: „Experten bestätigen: [ ... ] dieser Film ist mehr als ein Film" (THE OPRAH WINFREY SHOW 1987, 2) ist nur eines der vielen Beispiele, in denen Fachautoritäten zitiert wurden.7 Zum endgültig unentwirrbaren Knäuel wurden dann Tatsache und Fiktion, als kolportiert wurde, daß die Schauspielerin Glenn Close, Regisseur Adrian Lyne, Drehbuchautor James Dearden und Produzentin Sherry Lansing ähnliche Erfahrungen wie die Filmfiguren durchgemacht hätten.8 38 Chris Holmlund montage/av Dank solcher Kommentare scheint heute, drei Jahre, nachdem der Film herausgekommen ist**, die Fusion von Repräsentation und Wirklichkeit bei diesem Charakterdrama fast gänzlich vollzogen. Der Begriff „fatal attraction" ist in die amerikanische Umgangssprache eingegangen und wird in Fernsehserien und in allen möglichen lockeren Unterhaltungen verwendet, um eigene oder die Erfahrungen anderer Menschen zu beschreiben. Ganz offensichtlich berührt dieser Film, stärker als andere Filme, einen ganz empfindlichen Punkt in unserer nationalen Psyche, obgleich zum Zeitpunkt des Kinostarts keinesfalls klar war, welcher Punkt das war, wie und warum er berührt wurde: War der Film eine versteckte Warnung vor AIDS9, ein antifeministisches Pamphlet gegen „Karriere-Frauen" und für die Kleinfamilie10, oder besaß der Film stattdessen oder gleichzeitig einen feministischen Subtext? 11 War er lediglich eine „Parabel von sexueller Schuld" 12 oder, wie Adrian Lyne und Sherry Lansing gern behaupteten, ganz einfach eine Liebesgeschichte, die Geschichte einer „unkontrollierbaren Leidenschaft''?13 Solche Diskussionen sowie die Intensität und Bandbreite der professionellen und öffentlichen Reaktionen auf diese Filmfiguren sind es. die mich beschäftigen. Und natürlich ist da auch noch mein ganz persönliches Interesse am Thema, meine eigene Version einer „verhängnisvollen Affäre'". Auf einer eher akademischen Ebene bin ich allerdings der Meinung. daß das FATAL ATTRACTION-Phänomen, also das, was ich als „leidenschaftliche Lesarten" l„ reading character with a vengeance"'] bezeichne. einige wichtige Fragen für die Filmtheorie und die Populärkulturtheorie aufwirft. Wenn FATAL ATTRACTION wirklich so voller Klischees ist, wie kommt es dann. daß sich Kinopublikum und Kritiker dermaßen stark für oder gegen die Filmcharaktere aussprechen? Wie kann man das weite Spektrum der Reaktionen erklüren. die sich im FATAL ATTRACTION-Phänomen manifestieren? Ist dieses Phänomen ein ideologischer Zufallstreffer? Oder ist es im Gegenteil symptomatisch für das politische Unbewußte der USA in den späten 80er Jahren? Und wenn ja: Wie ließe sich dieses politische Unbewußte beschreiben? lm folgenden werde ich untersuchen. wie verschiedene literatur- und filmtheoretischen Ansätze herangezogen werden können. um Fragen über den Zusammenhang von fiktionalen Figuren, Zuschauern/Lesern und Ideologie zu beantworten. Wie John Frow in seinem Artikel "Spectacle Binding: Anm.d.Hrsg.: Die Zeitangabe bezieht sich auf die Fertigstellung des Manuskripts. 61211997 Leidenschaftliche Lesarten 39 On Character" ( 1986) werde ich zunächst mit der humanistischen Konzeption der fiktiven Figuren beginnen und dann schauen, wie sich Strukturalismus, Rezeptionstheorie und Psychoanalyse desselben Problems annehmen. Obschon ich der Analyse von Frow sehr viel verdanke, unterscheidet sich meine Diskussion von Figuren von seiner doch in drei grundlegenden Punkten: Erstens beschäftige ich mich mit Figuren im Unterhaltungsfilm und nicht in Werken „großer" Literatur. Während Frows Argumentation meist auf einer abstrakten, theoretischen Ebene bleibt, wird meine Analyse die Stärken und Schwächen der oben genannten Methoden anhand des FATAL ATTRACTION-Phänomens testen, wobei ich ganz unterschiedliches Material heranziehen werde: populäre Rezensionen und filmwissenschaftliche Analysen, aber auch Klatsch über Schauspieler, Produktionsaufzeichnungen, Notizen zu Publikumsreaktionen, Transkripte von Fernseh-TalkShows usw. Zweitens interessiere ich mich, anders als Frow, dafür. wie Charaktere die allgemeine Beliebtheit massenmedialer Texte noch weiter zu steigern vermögen, indem sie intensive und zugleich verschiedenartige Zuschauerreaktionen auslösen. Frow konzentriert sich dagegen auf die Frage, wie „die Charaktere funktionieren, um die Lesbarkeit der Texte sicherzustellen" ( 1986, 232; meine Herv.). Und schließlich interessiere ich mich weitaus stärker, als Frow das tut, für den ideologischen Widerhall fiktionaler Figuren. Deswegen werde ich mich im letzten Teil dieses Artikels mit den eher anthropologischen und soziologischen Ansätzen zur Frage der Figuren auseinandersetzen, wie sie von den Cultural Studies vertreten werden. Frow argumentiert dagegen, daß die brauchbarste Lösung für die Ungereimtheiten fiktionaler Charaktere eine Kombination von Psychoanalyse und strukturalistischer Semiotik sei. Ich meine aber, daß eine solche Lösung die vielschichtige und widersprüchliche Art und Weise, in der Figuren in populären Filmen Ideologie „verkörpern", nicht adäquat beschreiben kann. 14 Meine Absicht in diesem Artikel ist also zu klären, wie FATAL ATTRACTION, um die Produzentin Sherry Lansing zu zitieren, „für jeden, der den Film sieht, als Rorschachtest" (vgl. Corliss 1987, 74) benutzt werden kann und außerdem, sogar gleichzeitig völlig verschiedene Vertreter seines Publikums in dem Ausruf "Kill the bitch!" vereinigt. Die widersprüchlichen Botschaften, die der Film verbreitet, werden in dem sarkastischen Kommentar von Lydia Sargent auf den Punkt gebracht: In dem Moment, wenn Alex „[ ... ] das Hauskaninchen in den Kochtopf wirft [„.], können selbst die überzeugtesten Feministinnen im Publikum nicht anders als sich gegen 40 Chris ·Holmlund montage/av Alex zu wenden. Wo kommen wir denn da hin? Männer umzubringen ist o.k., aber niemand wirft ein Häschen in den Kochtopf - und kommt damit durch" (Sargent 1988, 34) Aber ist diese feministische Kehrtwendung unvermeidlich? Wir werden sehen. Der Humanistische Ansatz Die Überzeugung, daß fiktive Charaktere „beschriebene Menschen" seien, wie Seymour Chatman formulierte (1978, 108), wird durch die überwältigende Mehrzahl der Publikumsreaktionen auf die Figuren in FATAL A TTRACTION bestätigt. Auf jeden Fall gingen all die Geschichten „über verhängnisvolle Affären im wirklichen Leben" in der Regenbogenpresse und in den Fernseh-Talk-Shows davon aus, daß Filmcharaktere und reale Menschen ein und dasselbe seien, So viele Zuschauer hatten ähnliche Erfahrungen gemacht, daß die überdrehten Behauptungen der Boulevardpresse wie etwa: „FATAL ATTRACTION wird jede Frau, die ihren Mann liebt, zu Tode erschrecken[ ... ] und der Alptraum jedes Mannes sein (anon. 1987)", durchaus nicht übertrieben klangen. Eigentlich stimmten alle und allerorts mit Adrian Lyne überein, daß so etwas wirklich jedem passieren könne, Oprah Winfrey beispielsweise stellte ihre Gäste gleich als Filmcharaktere vor: ,,Ann ist Glenn Close, sie macht gerade das gleiche durch" (I'HE OPRAH W!NFREY SHOW 1987, 7). Für den humanistischen Ansatz ist diese': Verschmelzung des Charakterdramas mit persönlicher Erfahrung sowohl vorhersagbar als auch wünschenswert. Nach Seymour Chatman ist eines der Ziele klassischer Filmerzählung, das sie vom Roman des 19. Jahrhunderts übernommenen hat, die Darstellung von kohärenten, abgerundeten, einzigartigen und an einem bestimmten Ort und in einer bestimmten Zeit situierten Figuren ( 1978, 120f). Darüber hinaus dienen diese Charakter-lndividµen aber, wie Richard Dyer ausführt, paradoxerweise als Typen, repräsentativ für die Menschheit als Ganzes (vgl. 1979, 108-13). Folglich kann das persönliche Erleben eines jeden Zuschauers zur Norm werden, an der der ,,Realismus" einer Figur, d.h. ihre Einzigartigkeit als auch ihre Universalität, gemessen wird. 15 Die Figuren aus FATAL ATTRACTION scheinen zumindest aus einer bestimmten Optik wunderbar in dieses humanistische Modell zu passen. Zweifellos unterscheiden sich Alex, Beth und Dan voneinander, sie verändern sich, entwickeln sich weiter und „leben" an einem bestimmten Ort und 6/2/1997 Leidenschaftliche Lesarten 41 zu einer bestimmten Zeit - in New York resp. seinen Vororten Ende der 80er Jahre. Gleichzeitig funktionieren sie erfolgreich als Typen: Man nehme nur die vielen Menschen, die von sich behaupten, eine oder einer von ihnen zu „sein". Und schließlich war für das Publikum der Talk-Shows von Oprah Winfrey und Phil Donahue - aber auch für die professionelle Filmkritik gerade das persönliche Erleben ausschlaggebend für die Beurteiluno der "' . Figuren. ~ber hier .~r~ibt sich ein Problem: Wie kann man diese Einschätzungen, diese personhchen Erfahrungen voneinander unterscheiden? Denn die Urteile, die die verschiedenen Zuschauergruppen und die Kritik schließlich dazu abgaben, ob die Figuren aus FATAL ATTRACTION „real" und/oder „typisch" seien, fielen tatsächlich sehr verschieden aus. Die Bandbreite der Einschätzungen von Seiten der Kritik verwischte das Bild sogar noch stärke~: Viele Kritiker fanden es nicht nachvollziehbar, daß sich Alex gegen Mitte des Films in eine völlig ausgerastete Irre verwandelt und argumentierten, daß dieses Verhalten eben gerade nicht typisch sei und Alex aufgrund dessen nicht der Kategorie der „Durchschnittsfrau" entsprechen 16 würde. Einige fanden, daß überhaupt alle „Charaktere Tiefe vermissen ließen".17 Andere gaben gemischte Bewertungen ab, indem sie selbst die Charaktere als „unrealistisch" verurteilten, aber zugleich ein Publikum beschrieben, das diese als „realistisch" empfand, oder sie fanden einige der Figuren „unrealistisch" und andere ,,realistisch". 18 Und wieder andere ~timmten mit der weitverbreiteten Wahrnehmung überein, bei den Figuren m FATAL ATTRACTION handele es sich tatsächlich um zutreffende Darsteh lungen. 19 · Wer hat recht? Das humanistische Paradigma kann diese Frage nicht beantworten, weil der Boden der „Realität", auf dem es errichtet ist, heftig schwankt. Wie Jacques Aumont, Alain Bergala, Michel Marie und Marc Vernet ausführen, wird im humanistischen Modell die materielle ,,Realität" textueller Elemente mit der ,,Realität" von Rezeption und Produktion in einen Topf geworfen, ohne dabei konzeptuelle Differenzen in Betracht zu ziehen. Zudem wird ,,Realität" mit „Plausibilität" vermengt, und Plausibilität wiederum wird von allgemeinen Erwartungshaltungen aufgrund von Genre-Konventionen und Star-Images mitbestimmt (Aumont et al. 1987, 133-48). Schlußendlich läßt der humanistische Ansatz mit seinem Rekurs auf Erfahrung alle Lesarten als gleichwertig erscheinen und besteht dennoch darauf, daß es so etwas wie eine „richtige" Lesart gäbe, die „neutral", „objektiv" und „kritisch" sei. Daß diese Annahme eng mit Fragen der Klassenzugehörigkeit und/oder der Erziehung verbunden ist, wird als unwesent- 42 Chris Holmlund montage/av lieh abgetan, desgleichen die Möglichkeit, daß sich die kritischen Bewertungen und/oder Reaktionen des Publikums mit der Zeit verändern können. Das humanistische Modell hat keinen Begriff dafür, daß Primärtexte und Gruppen von Sekundärtexten Konstrukte sind, mit denen Zuschauer interagieren. Zudem weigert es sich zu berücksichtigen, wie Erziehung, Klassenzugehörigkeit, Rasse, Geschlecht, Sexualität und so weiter die verschiedenen Lesarten massenmedialer Texte durchdringen und prägen. Folglich kann der humanistische Ansatz weder das Spektrum noch die Intensität der Publikums- und Kritikerreaktionen auf FATAL ATTRACTION erklären, obwohl er sowohl die Vielfalt der Meinungen als auch deren große Übereinstimmung zu berücksichtigen scheint. Er bietet keinen Anhaltspunkt für ideologische Implikationen, weil sich einerseits die Beziehungen zwischen den Texten und den Zuschauern in isolierte persönliche Erfahrungen auflösen und andererseits zu bedeutungslosen Verallgemeinerungen aufgeblasen werden. Seiner Popularität als deskriptives Modell zum Trotz: Als erklärender Ansatz hinsichtlich fiktionaler Charaktere scheitert der humanistische Ansatz vöHig. Der strukturalistische Ansatz Strukturalistische Darstellungen zum Figurenproblem scheinen, obschon oberflächlich betrachtet gar nicht mit Zuschauerreaktionen befaßt, besser ausgerüstet zu sein, um zu erklären, wie und warum die Charaktere in FATAL ATTRACTION so leidenschaftlich gelesen werden. Was Figuren als „typische" Individuen tun, ist für die meisten Strukturalisten weniger wichtig als die Frage, wie sie innerhalb des Gesamtgefüges der Erzählung funktionieren. „Beziehungen der Ähnlichkeit, Opposition, Hierarchie und Anordnung [ ... ] gegenüber den anderen Figuren oder Elementen des Werks" orientieren und konditionieren die Reaktionen der Zuschauer (Hamon, zit.n. Frow 1986, 231). Der Leser/Zuschauer wird als Zentrum und Ausgangspunkt der Sinnstiftung abgelöst. Charaktere, argumentiert John Fiske, werden nicht „als psychologisch motivierte, vielschichtige Individuen gelesen", eben weil der strukturalistische Ansatz sich nicht mit Realismus und Erfahrung befaßt, sondern „als metonymische Repräsentation von sozialen Positionen und Werten" (1987, 158). Im Fall von FATAL ATTRACTION provozierten die krassen Unterschiede, aber auch die oftmals verblüffenden Ähnlichkeiten zwischen den drei Hauptfiguren aufgeladene emotionale Reaktionen und Lesarten. Alex zum Beispiel kann zu einem solchen Haßobjekt werden, weil der Film sie als 6/211997 Leidenschaftliche Lesarten 43 aggressive, ehrgeizige Karrieristin kennzeichnet und sie, im Gegensatz zu Beth, als auf einer Stufe mit Dan oder gar als diesem überlegen herausstellt. Ihre Wahrnehmung als höchste Gefahr für die Kleinfamilie und als Bedrohung traditioneller Geschlechterrollen wird vom Film gefördert, indem sie die ganze Zeit hindurch eher maskulin als feminin kodiert dargestellt wird. Wie Dan hat sie einen männlichen Vornamen und eine erfolgreiche Karriere. Lichtsetzung und Make-up betonen ihr scharf geschnittenes Gesicht, sie trägt maskuline Kleidung (einen Ledermantel mit Schulterpolstern, Stiefel etc.), und natürlich ist sie es, die in den Schlüsselszenen ein großes Messer schwingt. In Kontrast zu ihr wird Dan als schwach und passiv dargestellt. Nicht etwa er, sondern sein Freund Jimmy wirft als erster ein Auge auf Alex. Und als Alex bei ihrem ersten Treffen Dan bedeutungsvoll fragt: „Können Sie diskret sein?", bringt er nur ein „Das wird völlig von Ihnen abhängen" heraus. Er ist später nicht dazu fähig, seine Familie zu beschützen, und der entscheidende Kampf am Schluß wird zwischen Alex und Beth entschieden, nicht zwischen Alex und Dan. Obwohl Kleidung und Haarstil oft vermuten lassen, Alex und Beth seien austauschbar, werden doch eher die Kontraste als die Ähnlichkeiten zwischen ihnen herausgestellt. Die Oppositionen zwischen den beiden Frauen sind in alle Aspekte des Films eingearbeitet, von der Handlungsebene über die mise-en-scene bis zu Kamerabewegungen und -positionen. Alex ist blond, alleinstehend, kinderlos und unabhängig. Sie hat ihren Beruf, ist ständig in der Stadt unterwegs und scheint weder Freunde noch Familie zu haben. Sie bewohnt eine Loft im Fleischmarkt-Distrikt von Lower Manhattan, wo Tag und Nacht die Feuer in den Tonnen brennen. Beth hingegen ist brünett, verheiratet und Mutter einer Tochter, sie ist von liebevollen Verwandten und Freunden umgeben. Im Gegensatz zu Alex verbringt sie die meiste Zeit zu Hause, kümmert sich um ihre Tochter und renoviert das neubezogene Heim in einem Vorort von New York. Und wenn sie Haus und Herd (tatsächlich ist das Haus mit einem anheimelnden Kaminfeuer ausgestattet) einmal verläßt, dann nur, um in die sinnbildliche Fortsetzung des amerikanischen Eigenheims, einen Kombi, zu steigen. Am Ende des Films haben sich die Oppositionen so angehäuft, daß Alex als fürchterlichste Hexe und Beth als perfekter Engel erscheint. Wenn Beth Alex schließlich umbringt, scheint dieser Mord also mehr als gerechtfertigt, denn Alex ist zu einer so „ekelerregenden Ansammlung von Semen" geworden - um meine Freundin Diane Waldmann zu zitieren-, daß ihr Tod die einzige Lösung ist. Es ist also nicht weiter verwunderlich, daß das Publikum von FATAL ATTRACTION im Chor "Kill the bitch!" intonierte und daß nahezu alle Kriti- 44 Chris Holmlund montage/av ker Dan für einen Schlappschwanz hielten, für einen „weichen Typen in einer harten Situation", für eine „maskuline Tante". Viele sahen Alex auch als seinen Widerpart, „die Gefährliche, die Dämonische, die sexuelle Abenteurerin".w Und die Darstellung von Beth als ebenso feminin und sexy wie Alex verstärkt noch den von Dan erweckten Eindruck als einem rückgratlosen Bastard, in Fred Brunings Worten: „Nur in einer bösen bösen Welt kann ein Mann, dessen eigene Frau in schwarzer Unterwäsche so zauberhaft aussieht, sich so daneben benehmen." Viele Kritiker stimmten mit Richard Corliss, dem Rezensenten der Time überein, „daß in diesem Film die Frauen die Eier haben" (1987, 76), und andere machten auf weitere Ähnlichkeiten zwischen Alex und Beth aufmerksam. Barbara Creed zum Beispiel lieferte folgende Aufstellung: „Beide Frauen sind schön, beide sind in Dan verliebt, beide kämpfen verzweifelt darum, ihn zu halten" ( 1988, 34). Fast alle Kritiker erwähnten die Unterschiede zwischen den beiden Frauen, und die meisten - wenngleich nicht alle - lehnten Alex ab.21 Manche begründeten ihre Ablehnung damit, daß Alex vom Opfer zur Kriminellen wird, von Beth' Äquivalent zu deren alptraumartigem Gegenpol. Und wieder andere, hier vor allem Autoren feministischer und/oder linker Publikationen, bezogen sich eher auf strukturelle Verschiebungen, um ihre Antipathie dieser Figur gegenüber zu erklären und wiesen insbesondere darauf hin, wie sehr sie Alex' Rückentwicklung von der selbständigen, unabhängigen Karrierefrau zur einsamen alleinstehenden Frau und frustrierten zukünftigen Mutter übelgenommen hätten. Wie lassen sich die Unterschiede in diesen nur oberflächlich einvernehmlichen Positionen erklären? Was entscheidet darüber, welchen textuellen Elementen eines Filmcharakters Bedeutung zukommt? Spielt es dabei eine Rolle, wer der Filmzuschauer, die Filmzuschauerin ist? Die strukturalistischen Ansätze zu den Figuren lassen diese Fragen in der Regel unbeantwortet, weil sie sich auf Oppositionen und Überschneidungen zwischen textuellen Elementen konzentrieren und sich um die soziale Einbindung der Leser/Zuschauer überhaupt nicht kümmern. Fiske macht denn auch seine berechtigte Kritik am Strukturalismus an dessen engstirnigem Beharren auf der Spezifität und Nichtreduzierbarkeit des kulturellen Textes fest: Das strukturalistische Modell erkennt nicht, daß „Beziehungen und Kategorien nicht im Text operieren, sondern Sinnstiftungsprozesse des Lesers sind" (1987, 160). Obschon strukturalistische Analysen durchaus verstehen helfen, wie die Zuschauerhaltung gegen Alex organisiert wird oder allgemeiner: wie es zu dieser .Intensität kommt, mit der die populäre und die professionelle Kritik auf alle Figuren in FATAL AITRACTION reagierte, was huma- 6/2/1997 Leidenschaftliche Lesarten 45 nistische Analysen nicht zu leisten vermögen, werden auch hier die historischen Dimensionen von Produktion und Rezeption außer acht gelassen. Der Ansatz der Rezeptionstheorie Zunächst sieht es so aus, als würde die Rezeptionstheorie von Robert Jauss die textuelle Einschränkung und den Ahistorismus der strukturalistischen Diskussionen zu den Figuren ausgleichen, indem sie sich direkt mit dem Leser befaßt und die Frage der Figuren im Kontext von breitangelegten historischen Perspektiven diskutiert. In Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik untersucht Jauss die Interaktionen von Lesern und Texten im Sinne seines Konzepts des „Erwartungshorizonts", der „Summe aller Reaktionen und Vorurteile, jedes verbale und sonstige Verhalten, auf das ein Werk bei seinem Erscheinen stößt" (1982, xii). Im Kapitel „lnteraktionsmuster der Identifikation mit dem Helden" befaßt er sich spezifisch mit Fragen fiktionaler Charaktere. Er beschreibt fünf Grundmuster von Identifikation, die in erster Linie - aber nicht ausschließlich - mit einer bestimmten Art von Literatur assoziiert und an eine spezifische historische Epoche gebunden sind. Die fünf Kategorien gründen nicht darauf, wie der Held in Bezug zu anderen Elementen der Erzählung funktioniert, wie es in strukturalistischen Analysen der Fall wäre, sondern darauf, wie die Leser den Helden wahrnehmen. Die Bandbreite der Interaktionen mit den Figuren reichen daher von der kultischen Partizipation des Mittelalters, die Jauss als „assoziative Identifikation" bezeichnet, bis zur „ästhetischen Reflexion" der Modeme oder zur „ironischen Identifikation". Jauss' dritte Kategorie, eine Art Übergangsstufe, nämlich „die sympathetische Identifikation mit dem Helden", trifft auf FATAL ATTRACTION am ehesten zu. Hierbei identifizieren sich die Zuschauer/Leser mit einem unvollkommenen, aJltäglichen Helden und fühlen sich mit seinem Leiden solidarisch, weil er oder sie „den Spielbereich der eigenen Möglichkeiten [im Helden] erkennen kann" (1977, 172). Signifikanterweise schließt bei Jauss eine solche Solidarität jede kritische Distanz aus. Im besten Fall ist sie mit Mitleid assoziiert, im schlechtesten mit Sentimentalität.22 Jauss behauptet, daß nur die „kathartische Identifikation", die für Tragödie und Komödie der französischen Klassik charakteristisch ist, die „Reflexion erleichtert", weil sie Distanz fördert, und zwar Distanz weder vom Text noch von den Figuren, sondern von „den unmittelbaren Interessen des täglichen Lebens [der Leser}" (1982, 286). 46 Chris Holmlund montage/av Frow weist jedoch darauf hin, daß Jauss' Vertrauen in die Katharsis seine naive und letzten Endes konservative Überzeugung verrät, daß ideologische Interessen abstreifbar seien. Die Ästhetik wird hier - wie in der humanistischen Diskussion fiktionaler Charaktere - zu einer neutralen, objektiven, von jeglicher Ideologie unberührten Disziplin. Jauss' Vorliebe für kathartische Identifikation geht Hand in Hand mit seiner Verachtung populärer Texte, die insbesondere massenmedialen gilt, weil diese darauf abzielen, besonders intensive Identifikationen der Zuschauer hervorzurufen. Das folgende Zitat aus der Ästhetischen Erfahrung ist nur eines der Beispiele dafür, wie abschätzig Jauss mit dem Thema umgeht: „Heutzutage ist Erziehung auf die Untiefen des Abgedroschenen, des nur noch Unterhaltsamen und des Dämagogischen beschränkt; es tritt auf in Dreigroschenheften, clownesken Romanzen und in Schlagertexten" (1982, 98). Und schließlich widmet Jauss der Konstituierung einer spezifischen Leserschaft, obgleich er von der Annahme ausgeht, der Leser sei oberster Richter über die Bedeutung eines Werkes, tatsächlich sehr wenig Aufmerksamkeit. Dafür sind die Zeitspannen, die er bearbeitet, einfach zu umfassend.23 Gleichwohl gelingt es dem Jauss'schen Modell sympathetischer Interaktion der Leser mit fiktionalen Figuren die Reaktionen auf FATAL ATTRACTION einigermaßen befriedigend zu erklären. Die auf Anteilnahme gründende Identifikation ist mit melodramatischen Formen wie z.B. dem Familienroman oder dem Familiendrama des 18. Jahrhunderts verbunden, und FATAL A TTRACTION bezieht sich deutlich auf das Melodrama. Die Zuschauer, insbesondere die Männer unter ihnen, identifizierten sich deutlich mit Dan, dem Helden des Films. So schrieb John Simon in seiner Rezension: „[D]ie tiefen mitfühlenden Seufzer von Männern im Publikum schienen zu bestätigen [ ... ],daß jeder verheiratete Mann an so eine neurotische, ieidenschaftliche Frau gerateri kann [„ .], die alles tun wird, um einen völlig durchschnittlichen, von ihr verhexten Mann für sich zu behalten" ( 1987, 57). Auch Michael Musto fühlt mit Dan, schreibt er doch davon, daß „selbst an den seriösesten Orten in New York so fürchterliche und schrecklich anstrengende Frauen wie Alex anzutreffen sind, Frauen, die geradezu darum betteln, ,diskret' sein zu dürfen" (1987, 90f). Aber was ist mit den Zuschauern und Kritikern, die sich nicht mit Dan identifizierten, obwohl von der Kritik doch durchgehend bestätigt wird, daß der Film weitgehend aus seiner Perspektive erzählt ist: „Dan ist in fast allen Szenen anwesend, die subjektiven Einstellungen zeigen überwiegend seine Blickrichtung oder aber die seiner Familie" (Creed 1988, 43)?24 Vernachlässigt Jauss andere Möglichkeiten der Identifikation, weil er sich aus- 6/2/1997 Leidenschaftliche Lesarten 47 schließlich auf den Helden konzentriert?25 Oder vermögen seine beiläufigen Anmerkungen zur unfertigen, variablen und transitorischen Natur der Publikumsidentifikation zu erklären, warum Dan die Anteilnahme verweigert wird? Sind Kritiker in eben dieser Eigenschaft als Kritiker in der Lage, ästhetische Distanz zur Erzählperspektive des Films zu halten, während gewöhnliche Sterbliche dazu gerade nicht fähig sind? Und welche die Haltung der Zuschauer unterstützenden oder auch untergrabenden Effekte könnten diese anderen Perspektiven möglicherweise nach sich ziehen? Da Jauss sich nicht mit realen Lesern befaßt oder spezifische Texte analysiert, geschweige denn Texte der Massenkultur, ist schwer zu sagen, was alles zum „Erwartungshorizont" von FATAL A TTRACTION gehören würde oder wie er diesen Horizont interpretieren würde. Klar geworden sein dürfte indes, daß die Rezeptionstheorie zwar ein Erklärungsmodell für die grundsätzliche Vielfältigkeit und Veränderbarkeit, für die Übereinstimmuno und 0 Intensität von Zuschauerreaktionen zu bieten hat, aber auch, daß Widersprüche, Redundanzen und tatsächliche Veränderungen in der Rezeption wie schon bei den humanistischen und strukturalistischen Ansätzen zur Analyse von Charakteren, wenngleich hier aus anderen Gründen, unter einem Wust von Verallgemeinerungen verschwinden. Der psychoanalytische Ansatz Filmtheoretiker, die sich auf psychoanalytische Konzepte nach Freud oder Lacan berufen, um Zuschauerinteraktionen mit fiktionalen Charakteren zu beschreiben, haben keine Schwierigkeit, Identifikation als vielfältig, gebrochen und veränderbar zu analysieren. Da bei der kinematographischen Identifikation auch Träume und Phantasien ins Spiel kommen, finden identifikatorische Prozesse nicht ausschließlich in Übereinstimmung mit dem filmischen „Point of View" und den vorgegebenen Geschlechterrollen statt - Männer identifizieren sich demnach mit männlichen Figuren und Frauen mit weiblichen -, sondern Identifikation ist, wie John Ellis formuliert, möglich „mit den verschiedensten Positionen, die in die fiktive Narration verwoben sind: sei es die des Helden oder der Heldin, des Bösewichts, des Nebendarstellers, des aktiven oder passiven Darstellers" (1982, 43). Das narzißtische, voyeurisische, sadistische und/oder masochistische Interesse des Zuschauers an der Filmerzählung kann sich auf jeden einzelnen dieser Charaktere oder auch auf alle gemeinsam konzentrieren. Im Gegensatz zu Konzeptionen des bürgerlichen Humanismus, die davon ausgehen, daß runde Charaktere Zuschauer widerspiegeln, die selbst einzigartig und ge- 48 Chris ·Holmlund montage/av schlossen sind, besteht die psychoanalytische Theorie darauf, daß Figuren Konstrukte und die Zuschauer - egal ob männlich oder weiblich - grundsätzlich gespalten sind. Eindeutige Positionen existieren schlichtweg nicht, obwohl das Reizvolle an fiktionalen Charakteren oft gerade in der Vorstellung begründet ist, es könne sie doch geben. Bandbreite und Vehemenz der Reaktionen auf die Figuren in FATAL A TTRACTION verweisen auf die grundsätzliche Anwendbarkeit des psychoanalytischen Ansatzes auf die Analyse fiktionaler Figuren. Allein die Tatsache, daß in den verhängnisvollen Affären des „wirklichen Lebens", die in Fernseh-Talk-Shows und Boulevardpresse herbeizitiert wurden, die Geschlechterrollen der Filmfiguren oftmals umgekehrt wurden, macht ansatzweise deutlich, wie variabel Identifikationsprozesse sein können. Eine Frau aus Donahues Publikum beschrieb zum Beispiel eine Situation, in der sie sich in der Rolle von Dan Gallagher sah und der Mann in der Beziehung eher die Rolle von Alex einnahm (FHE PHIL DONAHUE SHOW, 7t). Und People brachte eine Geschichte über einen männlichen Alex unter der Überschrift: „Der Entführer war ein Zimmermann, er baute ihr ein Liebesgefängnis", ein ähnlicher Fall wurde in New Woman (Kunen 1987; Schwarz 1988) berichtet. Aber es gab auch viele andere Identifikationsmuster, die über diese einfachen Umkehrungen der Geschlechterrollen hinausgingen. Alle Figuren im Liebesdreieck - Alex, Beth und Dan - fanden Anhänger im Publikum, so auch die vierte und oft vergessene Figur, Ellen, die kleine Tochter von Dan und Beth (Ellen Hamilton Latzen), die Zeugin des Familiendramas wird.26 An den jeweiligen Identifikationen mußte durchaus nicht den ganzen Film hindurch festgehalten werden, und sie variierten zudem von Person zu Person. Von Adrian Lyne gibt es die Aussage, daß er „immer noch auf der Seite von Alex stand, als es für das übrige Publikum schon längst eine abgemachte Sache war, daß sie sich alles, was ihr zustoßen würde, selbst zuzuschreiben hätte" (Tanner 1987, 597). Jeder der Charaktere hat lustvolle und zugleich unangenehme Subjekt-Positionen anzubieten, Alex ist hierfür ein gutes Beispiel: Sie wird gleichzeitig als aktiv und unabhängig, als depressiv und auf Männer bezogen charakterisiert. Damit ennöglicht sie Macht- und Masochismusphantasien zugleich und das sowohl beim männlichen als auch beim weiblichen Publikum. Und auch die unterschiedlichen feministischen Reaktionen auf Alex können aufgrund des flexiblen Rahmens, den psychoanalytische Ansäfze zur Analyse fiktionaler Charaktere bereitstellen, plausibel erklärt werden. Einige Frauen empfanden die Darstellung von Alex und Beth zum Beispiel als diskriminierend und reaktionär, während sich andere wie die oben zitierte 61211997 Leidenschaftliche Lesarten 49 Amy Taubin sorgten, „daß andere eine Ähnlichkeit zwischen uns entdecken könnten". Und wieder andere, so etwa Karen Durbin, konnten der Macht, die Alex über Dan hat, durchaus süße Rachegefühle abgewinnen. Mit einer gewissen Schadenfreude sah Durbin in Dans Dilemma einen Rollentausch im „klassischen weiblichen Alptraum" - ungewollte Schwangerschaft, Abtreibung ausgeschlossen. Sie beschreibt Dans traurigen Zustand als: [ ... ]eine gewaltige endlos erscheinende Kette von Konsequenzen, die er nicht wieder loswerden kann. Und alles nur, weil der arme Kerl sich ein bißchen amüsieren wollte. Das Leben ist schon sehr ungerecht, oder? Er bemüht sich sogar um eine Abtreibung, aber für Alex kommt das nicht in Frage: Es tut mir leid, mein Lieber, sagt sie, aber Du kannst nicht abtreiben (Durbin 1987, 90). Indem die psychoanalytische Sicht auf die Interaktionen des Publikums mit den Filmfiguren die „widersprüchlichen Gefühle des Zuschauers zu Treue, sexueller Anziehung und Verantwortung" (Cally 1987, 47) konzeptuell einbezieht, kann sie den Erfolg des Films weit besser erklären als irgendeiner der bereits besprochenen Ansätze. Aber obwohl hier Vielfalt, Intensität und Veränderung in den individuellen Reaktionen klarer zum Vorschein kommen, tendiert auch die psychoanalytische Lesart zur übertriebenen Verallgemeinerung. Besonders deutlich wird diese Tendenz bei den Populärversionen psychoanalytischer Deutung, wie sie von den sogenannten FATAL ATTRACTION-,,Experten" und einem Teil der Filmkritik verbreitet wurden. Um die Allgemeingültigkeit des Films zu belegen, beriefen sich diese Fachleute in der Presse und im Fernsehen auf ihre Autorität als Psychiater und Psychologen, wobei sie Sätze formulierten wie: ,,Jeder von uns trägt die Veranlagung in sich, nach einem anderen Menschen süchtig zu werden" (THE OPRAH WJNFREY SHOW, 12), „all das [bis auf das Ende] ist Menschen aus meiner Umgebung tatsächlich zugestoßen" (Kunen 1987, 98), und „wir sind [von obsessiver Liebe] so fasziniert, weil wir imgrunde alle so geliebt werden wollen" (THE PHIL DONAHUE SHOW, 5). Und Kritiker wie Filmwissenschaftler vertraten gleichermaßen die ahistorische psychoanalytische Lesart: daß der Film die zeitlose Geschichte von weiblichem (Penis-)Neid, Masochismus und Rache erzähle, die Uralte Geschichte der Angst der Männer vor den Frauen. Aber wer sagt denn, daß sich die Angst- und Phantasievorstellungen von Männern und Frauen so und nicht anders manifestieren müssen: Alex und Beth sind eben keine Platzhalter für die „Durchschnittsfrau". Sie verkörpern nur ganz bestimmte Weiblichkeitsvorstellungen, die in die amerikanische obere Mittelschicht des späten 20. Jahrhunderts gehören. 27 Obwohl also die psychoanalytische Filmanalyse fiktionale Charaktere und Zuschauer theo- 50 Chris Holmlund montage/av retisch befriedigender aufeinander beziehen kann, als das humanistischen, stukturalistischen oder rezeptionstheoretischen Ansätze gelingt, so scheitert sie doch weiterhin daran, die Beziehungen zwischen Filmfigur, Zuschauer und Ideologie in ihrem jeweiligen historischen Kontext zu diskutieren und die intertextuellen Netze, die die Figuren im populären Unterhaltungskino umgeben, in all ihrer Komplexität zu analysieren. Der Ansatz der Cultural Studies Das Kino ist beides: soziales Ereignis und soziale Institution. Die Cultural Studies reagieren auf diese komplexe Wechselbeziehung und die Beschreibungsprobleme, die sich daraus ergeben, indem sie in ihrer Theorie nicht allein Text und Leser, sondern den Text und seinen Kontext berücksichtigen. Nach Tony Bennett und Janet Woollacott wirken die Sekundärtexte und in einem weiteren Sinn „die institutionellen Praktiken, die Einfluß auf die Lesekompetenz haben" ( 19~7, 248), sowohl auf die Primärtexte als auch auf die Leser zurück. Für die Cultural Studies ist keine dieser Kategorien allein bestimmend oder ausschlaggebend, und ebenso ist kein einzelner Text - sei es nun ein Primär- oder ein Sekundärtext - als selbständige Einheit zu betrachten. Texte und Leser stehen vielmehr in einer fruchtbaren wechselseitigen Beziehung zueinander und sind in übergreifende Netzwerke von Inter- und Extratextualität eingebunden, die die spezifischen Lesarten anregen und bahnen. Um die multiplen Verbindungen zwischen Texten und Lesern zu erkunden, bedienen sich die Cultural Studies eines ':ganzen Spektrums von Methoden, die sie von den verschiedensten Disziplinen übernehmen: aus der Ethnographie, Soziologie, Psychoanalyse, Geschichtswissenschaft, aus feministischer und strukturalistischer Literatur- und Filmkritik. Natürlich kann bei einem solchen Flickwerk von Methoden die Theorie zuweilen ein wenig unsauber werden. Curran, Gurevitch und Woollacott räumen denn auch ein, daß sich die „Cultural Studies, wenn sie sich mit Medien befassen, im Vergleich zu den theoretischen Anliegen von Strukturalismus und Politikwissenschaft zugegebenermaßen in einer problematischen und uneindeutigen Position" befinden (1982, 26). Aber manchmal erweisen sich Anpassungen und Überschneidungen als notwendig, und die Bereitschaft der Cultural Studies, sich auf unsicheres Terrain zu wagen und sich mit aktuellen Fragestellungen zu beschäftigen, befördert historisch spezifische Informationen über Texte und Leser und ein Verständnis von Ideologie, das die anderen Ansätze vermissen lassen. 6/2/1997 Leidenschaftliche Lesarten 51 Aus der Perspektive der Cultural Studies kann das FATAL ATTRACTIONPhänomen - das Verschmelzen von Realität und Repräsentation bei Filmfiguren und die Vielfalt heftiger, zugleich aber sehr unterschiedlicher Publikumsreaktionen - mit verschiedenen konvergierenden Faktoren in Zusammenhang gebracht werden, als da wären: (1) die durchlässige Qualität populärer Texte, die den verschiedensten sozialen Gruppen Vergnügen verschaffen sollen; (2) die soziohistorische Situation, innerhalb derer sich die Zuschauer Welt aneignen und Sinn zuweisen; (3) Publikumserwartungen aufgrund von Genre- und/oder „Autoren"-Konventionen; (4) „Beweise" für die Authentizität des Gezeigten und eine damit einhergehende Fokussierung auf das Persönliche, nicht etwa das Politische, die von Sekundärtexten bereitgestellt werden, welche alles und jeden herausstellen: vom Star über das gesamte Filmteam zu Mitgliedern des Publikums bis hin zu diversen psychologischen Experten. Um den ersten dieser vier Faktoren zu erklären warum der Film, wie Richard Corliss es beschreibt, an einem haften bleibt „wie ein Klettverschluß" (1987, 74) -, verwenden die Cultural Studies eine Kombination von strukturalistischen und psychoanalytischen Ansätzen zur Figurenanalyse. Aber selbst diese Tandem-Konstruktion kann noch immer nicht hinreichend darlegen, warum die Figuren in FATAL ATTRACTION so leidenschaftliche Reaktionen provozierten oder warum sie Ideologie auf so vielschichtige und widersprüchliche Art verkörperten. Aus diesem Grund ziehen die Cultural Studies auch soziologische und ethnographische Interviews mit Zuschauern und eine Auswahl von den gängigen Sekundärtexten der Massenmedien heran. Auch der humanistische Theorieansatz und die Rezeptionstheorie von Jauss erkennen die Rolle des Publikums bei der Sinnproduktion an und beziehen sich auf vergleichbare Sekundärtexte: Der humanistische Ansatz behandelt sie dabei als Zeugnisse für den Realismusgehalt und die Rezeptionstheorie als Komponenten innerhalb des Erwartungshorizonts. Aber beide vermögen nicht, „die grundsätzliche ideologische Natur der Massenkommunikation und die Komplexität der linguistischen Strukturierung ihrer Formen" (Hall 1980, 118) zu erkennen. Der humanistische Ansatz behandelt die einzelnen Texte als transparente Träger von Bedeutung und Realität, während die Rezeptionstheorie massenmediale Texte für gänzlich unter ihrer theoretischen Würde hält. Und beide tun so als ob Ästhetik außerhalb von Ideologie stünde. ' Publikumsbefragungen und Interviews würden leider den Umfang dieses Artikels sprengen. Dies ist besonders bedauerlich, da das Verständnis dafür, wie das „Subjekt" an kulturellen, pädagogischen und institutionellen zusammenhängen teilhat, von entscheidender Bedeutung ist, will man mit 52 Chris Holmlund montage/av Zuschauern differenzierter umgehen, als von ihnen nur hypothetisch anzunehmen, daß sie weiß sind, männlich/weiblich und der Mittelklasse angehören. Ungewöhnlich viele Sekundärtexte haben zu FATAL ATTRACTION Stellung bezogen und dadurch die Publikumsreaktionen noch weiter angefacht. Ich habe mich bereits auf viele dieser Artikel und Transkripte von Fernsehshows bezogen, um zu zeigen, wie eingeschränkt die anderen Theorieansätze in ihren Möglichkeiten hinsichtlich der Untersuchung von Filmcharakteren sind. An dieser Stelle will ich diese Sekundärtexte noch einmal daraufhin untersuchen, wie sie die ideologischen Grenzen abstecken, innerhalb derer der Film gelesen wurde. Dabei werde ich mich auf den dritten und vierten der oben erwähnten Faktoren beziehen: wie sich Erwartungen hinsichtlich Genre und ,,Autor" mit den Images der Stars, mit den Aussagen der Experten, den Klatschgeschichten vom Dreh und den persönlichen Erfahrungen der Zuschauer verbinden. Bei der Berichterstattung über den Film in Boulevardblättern und der Publikumspresse wurde wiederholt angemerkt, daß sich die Zuschauer in ihren Erwartungen sehr stark auf das Filmgenre bezogen. Mehrere Rezensenten erklärten, daß FATALATTRACTION durch Konventionen in Handlungsablauf und filmischem Stil als Horrorfilm ausgewiesen sei. 28 Viele erwähnten auch, daß Lyne im Film bewußt andere Horrorfilme zitiere wie z.B. PLA Y MISTY FOR ME, PSYCHO und DIABOLIQUE. 29 Aber nirgends wurde die Bedeutung des Genres augenfälliger als in den schier endlosen Hinweisen auf das abgeänderte Ende des Films30: In früheren Versionen endete der Film damit, daß Alex Selbstmord begeht und Dan unter Mordverdacht verhaftet wird. Aber das Publikum der Testvorfüqrungen war damit nicht zufrieden. Alex war offensichtlich zum genrespezifisch Bösen, zum Monster des Horrorfilms geworden. Sie mußte ganz einfach umgebracht werden, damit der Held mit seiner Familie friedlich weiterleben konnte. Und wenn sie nicht gestorben sind ... Aber FATAL ATTRACTION ist kein reiner Horrorfilm, sondern eher - wie einige der Rezensenten bemerkten - eine zeitgenössische Mischung von Horror, Melodrama und Film Noir, abgerundet mit einem Schuß romantischer Komödie nebst Schlafzimmer-Farce.31 Viele verbanden den Film auch mit dem Frauenfilm der 40er, 50er und 70er Jahre. 32 Solche fließenden Genre-Referenzen bedeuteten aber durchaus nicht, daß dadurch die Publikumserwartung an eines oder alle diese Genres weniger intensiv ausfielen: Im Gegenteil wurden so mögliche Erwartungen vervielfacht und aufgefächert und damit gewährleistet, daß der Film Interessenten ansprach, die normalerweise unmöglich unter einen Hut zu bringen wären, wie etwa radi- 6/2/1997 Leidenschaftliche Lesarten 53 kale Feministinnen und reaktionäre Republikaner. Zudem wurden (Regisseur) Lyne und (Produzentin) Lansing als „Autoren" des Films sehr unterschiedlich wahrgenommen, was ebenfalls zur Ausweitung der GenreErwartungen beitrug: Die meisten Kritiker stellten eine Verbindung zwischen FATAL ATTRACTION - mit seinem Gemisch von Feminismus und Frauenfeindlichkeit - und Lynes früheren Filmen her, mit FLASHDANCE und 9~ WEEKS, und mit seiner Herkunft aus der Werbung. 33 Manche Kritiker erwähnten den leicht verdaulichen, aber doch eher fragwürdigen Feminismus von Lansings früheren Produktionen KRAMER vs. KRAMER und THE VERDICT. 34 Obschon die grundverschiedenen Erwartungen an die mit verwin-enden „Autoren"-Traditionen ausgestattete Genre-Mixtur FATAL ATTRACTIO!'I jede beliebige Lesart des Films zu legitimieren schienen, ermöglichten sie es zugleich, daß der Film eine historisch sehr spezifische Konstellation von Anliegen bediente. Weder die Behauptung der Filmemacher, FATAL A TTRACTION handele lediglich von der Leidenschaft der Liebe, weil der Film ein Melodrama sei, noch die psychoanalytischen Argumente, daß es um die Angst der Männer vor weiblicher Sexualität gehe, weil der Film ein Horrorfilm sei, vermögen wirklich zu überzeugen. FATAL ATTRACTION ist beides: Melodrama und Horrorfilm. Alex ist ein untypisches Monster, wenn man sich die Mehrzahl der Monster in den 80er Jahren anschaut, die Robin Wood untersucht hat. Er argumentiert dahingehend, daß sich die meisten Horrorfilme der 80er Jahre mit dem Konzept der Strafe befassen: Monster repräsentieren eine patriarchale „Superego-Figur, die sich an der befreiten weiblichen Sexualität oder der sexuellen Freizügigkeit von Jugendlichen rächt" (1986, 195). FATALATTRACTION aber vermischt den Horror mit dem Melodrama, einem Genre, das starke Frauen in den Mittelpunkt der Handlung stellt und sich in erster Linie den Problemen von Frauen widmet. Daraus läßt sich schlußfolgern: Monster dieses Films ist die befreite weibliche Sexualität, ein Monster, das sich an Männern mittleren Alters auf weitaus gefährlichere Art rächt als an Frauen und Kindern. Durch diese Transformation des Monsters richtete sich FATAL ATTRACTION direkter als die meisten anderen Filme an das Publikum der späten 80er Jahre und zielte (und zwar nicht allein in der übertragenen Bedeutung des Wortes) auf das „weiße, junge, heterosexuelle und[... ] ehrgeizig professionelle [ ... ] Cosmo Girl" der Frauenfilme der 70er ab (Brunsdon 1982, 20), Für diejenigen Männer und Frauen, die durchaus noch an die gute alte Zeit glauben wollen, hatte der Film ein vorfeministisches Paradies im Angebot,. in dem Ehefrauen nicht arbeiten und Aids kein Problem ist. Und schließlich 54 Chris Holmlund montage/av gewährte der Film der Hälfte aller verheirateten Männer und dem Drittel aller verheirateten Frauen, die ihre Ehepartner betrügen, Vergebung nach dem großen Schrecken. Paradoxerweise war aber dieselbe Genre-Mixtur, die FATAL ATTRACTION zu einem spezifischen historischen Typus gemacht hatte, schuld daran, daß das Publikum die ideologischen Aussagen des Films ignorieren konnte. Denn die Genres, auf denen FATAL ATTRACTION beruht, haben zumindest in ihren für die 80er Jahre typischen Ausformulierungen „Charakter" als reines Persönlichkeitsattribut ohne jedwede politische Dimension betont. Seit den 60ern wurden Horrorfilme von Problemen der individuellen Psyche eingeholt und interessieren sich seitdem für Monster, die zugleich psychotisch und schizophren sind (Wood 1986, 83). Und für Melodramen ist es typisch, daß sie soziale Probleme zu persönlichen Dramen umschreiben. Die Anekdoten über Stars, Produktionsteam, Publikum und Experten, die im Umfeld von FATAL ATTRACTION in so vielen Sekundärtexten auftauchten, bestärkten das Publikum noch darin, sich ganz auf das individuelle Trauma zu konzentrieren. Dementsprechend wurde die Fiktion als Tatsache verkleidet. Das Image von Glenn Close etwa mußte umgeschrieben werden, damit es mit dem Charakter von Alex übereinstimmte: Man beachte nur die zahlreichen Bemerkungen, die Figur der Alex sei völlig verschieden von allen Rollen, die Close bisher gespielt hatte.35 Lyne selbst unterstrich wiederholt, wie sehr sich Close um diesen Part bemüht hätte: „Sie ist dieser Rolle wirklich hinterhergejagt" (Hirschberg 1987, 34). Oder man beachte Closes vielsagende Beschreibung des ersten Treffens mit Michael Douglas: „Michael stand splitternackt in der Küche", und Douglas' provokante Beurteilung ihres Schauspielstils: „Glenn war wie ein Vulkan, der in ihren früheren Rollen noch nicht ausbrechen konnte - was für eine Leidenschaft!" (Guthrie/MacGuigan 1987, 76). Alle bestärkten, wie gut diese Rolle auf sie passen würde und versahen Alex noch zusätzlich mit Dimensionen aus dem „wirklichen Leben": Berichte von Barbara Walters und anderen, Close hätte sich mit Psychiatern über den Gemütszustand von Alex beraten, und Ausführungen über das Privatleben von Close im National Enquirer und in The Globe - Scheidung und ein außereheliches Kind - hinterließen einen umso stärkeren Realitätsabdruck auf der Repräsentation. Interviews mit Lyne vermischten persönliche Erfahrungen mit Produktionsgeschichten, quasi als zusätzliche Absicherungen für den Wahrheitsgehalt des Films. Lyne wiederholte zum Beispiel immer wieder, daß er seiner zwölfjährigen Tochter einige „genaue Details" zu verdanken habe. zum 6/2/1997 Leidenschaftliche Lesarten 55 Beispiel die klebrigen Fruchtbonbons und blöden Kartentricks, die den Film so real erscheinen liessen (Harmetz 1987, C 17). Sowohl er als.auch James Dearden vermischten ihre Gefühle für Alex mit ihrer Ablehnung gegenüber alleinstehenden Feministinnen und der Liebe zu ihren Ehefrauen, in Lynes Worten: [Alleinstehende Frauen] tun so, als wären sie Männer, oder zumindest versuchen sie, so zu tun, das ist so eine Art Überkompensation dafür, daß sie keine Männer sind. Das ist traurig, verstehen Sie, weil es einfach nicht funktioniert. Man hört Feministinnen reden, und in den letzten zehn, 20 Jahren kann man immer wieder Frauen darüber reden hören, wieviel lieber sie Männer bumsen wollen, als von ihnen gebumst zu werden, um es einmal ganz krass zu sagen. Das ist irgendwie unattraktiv, auch wenn es noch so befreit und emanzipiert klingt. Es geht vö llig gegen die Rolle der Ehefrau und Mutter. Klar. so bekommst Du Deine Karriere und Deinen Erfolg, aber Du hast als Frau kein erfülltes Leben. Meine Frau hat noch nie gearbeitet. Sie ist der am wenigsten ehrgeizige Mensch, den ich kenne. Sie ist eine wunderbare Ehefrau und hat nicht das geringste Interesse an einer eigenen Karriere. Sie lebt diese Karriere irgendwie mit mir, und das ist ein wundervolles Gefühl. Ich komme nach Hause. und sie ist da (Faludi 1988, 49). Selbst Lynes Beschreibungen vom Leben während der Dreharbeiten spiegelten das Leben im Film: „Bei diesem Dreh hat sich der Unterschied zwischen Realität und dem Filmemachen verwischt, und es gab eine Überdosis an aufgeladener Energie und Panik" (Hirschberg 1987, 34). Lyne und Close erzählten beide, wie sie mit „realen verhängnisvollen Affären" in Berührung kamen, Lyne berichtet etwa von Anrufen, in denen Männer ihm sagten: „Tausend Dank, Kumpel, Sie haben es für uns verschissen", und Close erzählte von einer Frau, die ihren Mann mit in den Film nahm, „,damit er nie auf den Gedanken kommt, mich zu betrügen'. Und er reagierte mit ,Haha', mit so einem nervösen Kichern" (Corliss 1987, 72-74). Durch all diese Aufregung in den Sekundärtexten schien es, als ob die FATAL ATTRACTION-Charaktere überall präsent wären. Fred Brunings folgende Anekdote zum Beispiel war nur eine von unzähligen, die überall erzählt .wurden - zu Hause, im Fernsehen, in der Presse (1987, 7): „Ein Reporter der Washington Post, d.e r über das Phänomen berichtete, zitierte einen Barmann, der Frauen sagen gehört hatte: ,Gott, ich habe so oft mit dem Gedanken gespie lt. '" Diese Mini-Erzählungen, die um die FATAL ATTRACTION-Figuren herum konstruiert wurden, schrieben die Interaktionen zwischen Text und Zuschauern zu persönlichen und gleichzeitig allge- 56 Chris Holmlund montage/av meinen um und verstärkten diejenigen Lesarten, welche die fiktionalen Charaktere mit Realität zur Deckung brachten. Aber diese Verallgemeinerungen über Charaktere als „real" oder „universal" dürfen eben nicht als ahistorisch abgetan werden: Sie stellen vielmehr Lesarten dar, die unter bestimmten historischen Bedingungen produziert und verbreitet wurden. Zusammen lieferten sie eine Art Gerüst für mögliche Wahrnehmungen des Films und trugen dazu bei, die Intensität und die Vielfalt der Publikumsreaktionen zu orchestrieren. Das ist das, was ich als „leidenschaftliche Lesarten" bezeichnen möchte. Die verschiedenen Stimmen des FATAL ATTRACTION-Phänomens scheinen aber der grundsätzlichen Frauenfeindlichkeit der Filmerzählung zu widersprechen, zumindest sehen das die Cultural Studies so. Ellen Willis, Karen Durbin, Barb ODair und all die nicht namentlich genannten Frauen, die Richard Schicke! „mit geheimnisvollem Lächeln" über die „schwesterliche Lust an der Bestrafung" aus dem Film kommen sah (Schicke! l 987, 69) sie alle zogen eine gewisse verbitterte Genugtuung aus Dans ungemütlicher Situation und konnten auch der manischen Rache von Alex einen etwas beängstigenden Genuß abgewinnen. Meine Durchsicht der Sekundärtexte deutet auch darauf hin, daß, wenn es tatsächlich zutrifft, daß „verhängnisvolle Affären" weit verbreitet sind, Alex und Beth vielleicht weit weniger als Monster respektive Engel wahrgenommen werden, während Dan (der bedauernswerte, „ein wenig aufgeschwemmte Familienvater" Dan) ohne weiteres die Impotenz des modernen Mannes verkörpern könnte. Der Ansatz der Cultural Studies zur Analyse fiktionaler Figuren vermag also nicht allein, auf die hegemoniale Macht von Filmen wie FATAL ATTRACTION zu verweisen, sondern auch auf die Art und Weise, wie verschiedene Gruppen und Individuen sich dieser Macht widersetzen - etwas, was keiner der anderen theoretischen Ansätze leistet, weil keiner von ihnen Zuschauerreaktionen im Detail untersucht. Und schließlich hat der Ansatz der Cultural Studies hinlänglich klargestellt, daß das politische Unbewußte nie einheitlich ist. Als Feministin und Filmprofessorin bin ich froh, jetzt sagen zu können, daß Lydia Sargent falsch, falsch und nochmals falsch liegt, wenn sie abfällig und ihrer Sache so sicher schreibt: ,,Dieser Film hat den letzten Nagel in den Sarg der lange schon im Sterben liegenden Frauenbewegung getrieben [„.]" (1988, 35). Die Cultural Studies lassen mich hoffen, daß es zum Schrei "Kill the bitch!" durchaus alternative Verhaltensweisen gibt. Selbst wenn Alex ein Häschen in den Kochtopf wirft. Aus dem Amerikanischen von Birgit F/os ( TEXTRAFIK, Wien) 6/2/1997 Leidenschaftliche Lesarten 57 Anmerkungen: Vgl. anon. (1990) All-Time Film Rental Champs. Jn: Variety 84th Show Business Annual v. 21. Februar 1990, S. 183-218. Die Zahlen beziehen sich auf die Verleihsummen, die an Verleiher in den USA und in Kanada bezahlt wurden und nicht auf die Einspielergebnisse an den Kinokassen, zum Vergleich: Mit $79.375.077 war GONE WJTH THE WIND nur unwesentlich erfolgreicher als FATAL AITRACTION. E.T. steht bei Variety mit $228.618.939 an erster Stelle. Der Verleih von BEVERLY HILLS COP II belief sich 1987 auf $80.900.000. Vgl. dazu auch anon. (1990) 1956-1988 Big-Buck Scorecard. Jn: Variery 84th Show Business Annual v. 21. Februar 1990, S. 226 sowie Cohn, Lawrence ( 1988) Overseas Marks for Firm, Via Fatal. Jn: Variety v. 23. März 1988, S. 3 u. 34. 2 Falls doch ein paar Leser den Film nicht kennen oder mit seiner Handlung nicht vertraut sein sollten: FATAL AITRACTION erzählt die Geschichte des glücklich verheirateten und beruflich erfolgreichen Dan, der mit der ebenfalls sehr erfolgreichen, aber möglicherweise psychotischen Alex eine Wochenendaffäre hat. Als Alex klar wird, daß Dan diese Beziehung nicht weiterführen will, beginnt sie, ihn und seine Familie zu tyrannisieren. Der Film endet mit einem Showdown zwischen Alex und Dans leidgeprilfter, aber loyaler Ehefrau Beth. Wie zu erwarten, fielen die Reaktionen in England weniger extrem aus. Vgl. Stuart, Andrea (1988) FATAL AITRACTJON Jn: Spare Rib, März 1988, S. 33: „Selbst das eher zurilckhaltende britische Publikum gibt unmißverständlich seiner Erleichterung Ausdruck, wenn Close schließlich erledigt wird." 4 Guthrie, Constance / McGuigan, Cathleen (1987) Crazy Alex, Foxy Glenn. In: Newsweek v. 12. Oktober 1987, S. 76; O'Toole, Lawrence (1987) Brief Encounters. In: Maclean 's v. 21. September 1987, S 58; vgl. auch Bischoff, Dan (1987) Dressed to Kill. Jn: Village Voice v. 15. Dezember 1987, S. 91; Bruning, Fred (1987) Sex and the Psychopath Factor. In: Maclean 's v. 23. November 1987, S. 7; Christgau, Robert (1987) Lust Stinks. In: Village Voice v. 15. Dezember 1987, S. 91; Corliss, Richard (1987) Killer! In: Time v. 16. November 1987, S. 72-79; Creed, Barbara (1988) Fatal Attraction. In: Cinema Papers, März 1988, S. 42-44; Denby, David (1987) Russian Revels. In: Ne w York v. 5. Oktober 1987, S. 118; Doherty, Thomas (1988) FATAL AITRAcnON. In: Cinefantastique 18,2/3, S. 13; Faludi, Susan (1988) Fatal Distortion. In: Mother Jones, Februar-März 1988, S. 28; Hoberman, J. (1987a) The Other, Woman. In: Village Voice v. 29. September 1987, S. 68 und Hoberman, J. (1987b) Sex and the Single Family. In: Village Voice v. 15. 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Beaulieu 1988, S. 76; Mars 1988, S. 31; Vincenzi 1988, S. 11. 14 Es muß fairerweise angemerkt werden, daß Frow die Notwendigkeit zur Analyse historischer Funktionsweisen des Lesens durchaus sieht und einräumt, keinen Versuch unternommen zu haben, „organisierte Identifikationsapparate wie Star- und Fan-Systeme oder religiöse Gruppen" zu bearbeiten (1986, 247). 15 Vgl. Watts, lan (1963) The Rise of the Novel. London: Penguin, S. 23. Viele der Analysen zum Problem der Filmcharaktere basieren auf Untersuchungen zu Romanfiguren. Richard Dyer bezieht sich bei seiner Definition zum Beispiel auf Watts, wenn er schreibt, daß Charaktere im klassischen Film und im Roman 1 60 16 17 18 19 20 21 22 23 24 Chris Holmlund 6/2/1997 montage/av 25 folgende Eigenschaften gemeinsam haben: ,,Besonderheit, Interesse, Autonomie, Abgerundetheit, Entwicklung, Innerlichkeit, Motivation, eine von anderen abgegrenzte Identität, Konsistenz" (1979, 104). Dyer argumentiert aber auch, daß es grundsätzliche Unterschiede zwischen den Figuren in Film und denen im Roman gäbe, die zum Teil darauf zmiickzuführen seien, daß im Film das Image des Schauspielers und/oder Stars die Figur überlagere (ibid„ 109-116 u. 120149). Vgl. Bischoff 1987, S. 91; Christgau 1987, S 91; Creed 1988, S 43; Denby 1987, S. 118; Faludi 1988, S. 28-30 u. 49-50; Harrison 1988, S. 197; Williamson 1988, S. 29; Willis 1987, S. 85. Vgl. Bruning 1987, S. 7; Creed 1988, S. 43; Guthrie/McGuigan 1987, S. 77; Kannapell 1987, S. 91; O'Dair 1987, S. 90; OToole 1987, S. 58; Williamson 1988, s. 29. Vgl. Fitzgerald 1988, S. 6; Simon 1987, S. 57. Vgl. anon. (1987) Mortal Friends, S.11; Cally, K. (1987) FATAL ATIRACTION. In: Film Journal, Oktober 1987, S. 42; Musto 1987, S. 90-91; O'Brien 1987, S. 565; Schicke! 1987, S. 69; Tanner 1987, S. 597. Vgl. Aufderheide 1987, S. 24; Bischoff 1987, S. 91; Bruning 1987, S. 7; Conlon 1989, S. 152; Denby 1987, S. 118; Doherty 1988, S 13; Hoberman l987a, S. 68; Kannapell 1987, S. 91; O'Dair 1987, S. 90; Stuart 1988, S. 33; Willis 1987, S. 85. Folgenden Kritikern gefiel Alex, und/oder sie beschrieben Menschen im Publikum, die positiv auf sie reagierten: Conlon 1989, S. 152; Corliss 1987, S. 79; Durbin 1987, S. 90; Hoberman 1987a, S. 68; Kauffmann 1987, S. 27; Merck 1988, s. 91. Jauss bezieht sich auf die Psychoanalyse von Freud, wenn er von der grundsätzlichen Ambivalenz spricht, „die für jede ästhetische Erfahrung charakteristisch ist, da diese vom Imaginären abhängt" (1982, 158). Aber seine Auffassung von Ambivalenz ist bestenfalls schematisch: Innerhalb der Identifikationsmodi bezeichnet er nur jeweils, was er als positive und negative Pole ansieht. Filr eine Kritik der ahistorischen Haltung bei Jauss vgl. Holub, Robert ( 1984) Reception Theory. London: Methuen, S. 79. Von seiten der Produktion war offensichtlich beabsichtigt, Dan zum Mittelpunkt des Films zu machen und nicht Alex. Das Drehbuch wurde ein paarmal umgeschrieben, um Dans Perspektive in den Vordergrund zu stellen und zu legitimieren. Susan Faludi zitiert einen Studio-Manager, der nicht 11amentlich genannt werden wollte: ,,Der Mann sollte nicht so extrem 'rüberkommen. Wenn man gesehen hätte, daß er es jedes Wochenende mit einer anderen Frau treibt, hätte das Publikum ihn für kalt und berechnend gehalten, und man sollte doch auf Dans Seite sein" (1988, 30). Vgl. Harmetz, Aljean (1988) Behind Fi ve Top Films, Five Directors. In: New York Times v. 10. April 1988, S. 2.1. 26 28 Leidenschaftliche Lesarten 61 Jauss bemerkt nebenbei, daß Identifikation auch „durch andere Relevanzfiguren" auftreten könne, besteht aber darauf, daß „der totgesagte Held [sich] als ein unentbehrliches Paradigma der ästhetischen Erfahrung [ ... ] [erweist]" (1982, 153; 160). Hoberman und Merck nennen Ellen als wichtige Indentifikationsfigur für das Publikum; vgl. Hoberman 1987a, S. 68; Merck 1988, S. 91-92 u. 95-99. Virginia Wexman schreibt, daß der Begriff „Identifikation"' mehrfach aufgeladen sei, wenn er bei der Diskussion von geschlechtsbezogener Rezeption angewendet wird. Der Begriff zielt „auf drei unterschiedliche Phänomene, zu denen sich der Zuschauer/die Zuschauerin in Beziehung setzt: I) auf die männlichen und weiblichen Figuren innerhalb der Fiktion; 2) auf Genres, die sich besonders an Frauen richten und 3) auf den filmischen Prozeß selbst" (Wexman, Virginia (1989) Individual Response. In: Camera Obscura, Mai-September 1989, S. 323 [''The Spectratrix".]). Vgl. Corliss 1987, S. 79; Creed 1988, S. 42-44; Denby 1987, S. 118; Dieckmann 1987, S. 92; Fitzgerald 1988, S. 5; Hueng 1988, S. 11; Slavin 1988, S. 34; Williamson 1988, S. 28. VgL anon. (1987) Mortal Friends, S. 11; Cally 1987, S. 42; Conlon 1989, S. 49; Corliss 1987, S. 72, 76 u. 79; Creed 1988, S. 94; Doherty 1988, S. 13; Maslin 1987b, S. CIO; Merck 1988, S. 97; Musto 1987, S. 90; Nadelson 1988; Petley 1988, S. 15; Travers 1987, S. 10. 30 31 32 33 34 Vgl. anon. ( 1987) Mortal Friends, S.11; Aufderheide 1987, S. 24; Corliss 1987, S. 76; Doherty 1988, S. 13; Faludi 1988, S. 28 -30 u. 49-50; Forsberg, Myra (1988) James Dearden: Life After FATAL ATIRACTJON. In: New York Times v. 24 Juli 1988, S. 2.36; Guthrie/McGuigan 1987, S. 76-77; Harmetz, Aljean (1987) FATAL ATIRACTION Director Analyzes the Success of His Movie, and Rejoices. In: New York Times v. 5. Oktober 1987, S. Cl7; Hirschberg 1987, S. 34; Hoberman 1987a, S. 68; Mars 1988, S. 31-32; Schmers 1988, S. 47; Van Gelder 1987, S. CIO; Vincenzi 1988, S. 114-15; Willis 1987, S. 85. Folgende Kritiker beschreiben FATAL ATIRACTION als Horrorfilm, Melodrama oder Soap Opera: Corliss 1987, S. 79; Creed 1988, S. 42-44; Denby 1987, S. 118; Dieckmann 1987, S. 92; Slavin 1988, S. 3-4; Williamson 1988, S. 28. Vgl. Corliss 1987, S. 79; Denby 1987, S. 116; Dieckmann 1987, S. 92; Sargent 1988, S. 33-34; Williamson 1988, S. 28-29. Vgl. anon. (1987) Mortal Friends, S. 11; Aufderheide 1987, S. 24; Beaulieu 1988, S. 74; Corliss 1987, S. 76; Denby 1987, S. 116; Doherty 1988, S. 13; Faludi 1988, S. 30; Guthrie/McGuigan 1987, S. 76; Harmetz 1987, S. CI7; Hirschberg 1987, S. 34; Hoberman 1987a, S. 68; Maslin 1987a, S. 22; Maslin 1987b, S. CIO; Nadelson 1988; Petley 1988, S. 15; Schmers 1988, S. 47; Tanner 1987, S. 599; Travers 1987, S. 1O; Vincenzi 1988, S. 114; Williamson 1988, s. 28-29. Vgl. Mars 1988, S. 28-36; O'Brien 1987, S. 565. 62 35 Chris Holmlund montage/av Vgl. Bruning 1987, S. 7; Cally 1987, S. 42; Denby 1987, S. 116; Guthrie/McGuigan 1987, S. 76; Schmers 1988, S. 69; Summers 1987, S. 82; Van Gelder 1987, S. CIO; Vincenzi 1987, S. 114. Literatur anon. (1987) Every Man's Nightmare. In: Globe v. 27. Oktober 1987. Aumont, Jacques/ Bergala, Alain /Marie, Michel/ Vernet, Marc ( 1987) Estetica del Cine. Barcelona: Ediciones Pandos. Bennett, Tony I Woollacott, Janet (1987) Bond and Beyond. London: Methuen. Bischoff, Dan (1987) Dressed to Kill. In: Village Voice v. 15. Dezember 1987, s. 91. Bruning, Fred (1987) Sex and the Psychopath Factor. In: Maclean's v. 23. November 1987, S. 7. Brunsdon, Charlotte ( 1982) A Subject for the Seventies. In: Screen, SeptemberOktober 1982. Cally, K. (1987) FATALATIRACTION. In: Film Journal, Oktober 1987. Chatman, Seymour ( 1978) Story and Discourse: Narrative Structure in Fiction and Film. lthaca: Comell University Press. Corliss, Richard (1987) Killer! In: Time v. 16. November 1987, S. 72-79. 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