MERKBLATT 8/12 DER ABBRUCH GEFESTIGTER

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MERKBLATT 8/12 DER ABBRUCH GEFESTIGTER
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MERKBLATT 8/12
DER ABBRUCH GEFESTIGTER GESCHÄFTSBEZIEHUNGEN
IM FRANZÖSISCHEN RECHT
Unser Kölner Team im Bereich Vertrags- und Wettbewerbsrecht:
Die Kanzlei Epp & Kühl ist Ihr Partner im
deutsch-französischen Rechtsverkehr.
Dr. Christophe Kühl,
Rechtsanwalt
Avocat à la Cour
Gordian Deger, LL.M.
Rechtsanwalt
Christophe Klinkert, LL.M. Jeanne Ledig, LL.M.
Avocat à la Cour
Rechtsanwalt
Herr Dr. Kühl hat als
Partner der Kanzlei im
Jahre 2001 den Standort Köln aufgebaut. Er
berät
und
begleitet
Unternehmen in allen
Bereichen des deutschen,
französischen
und internationalen Wirtschaftsrechts.
Als
Rechtsanwalt
und
Avocat tritt er sowohl
vor deutschen als auch
vor
französischen
Gerichten auf.
Herr
Deger
berät
unsere Mandanten in
Fragen des gewerblichen
Rechtsschutzes
sowie des deutschen
und französischen Wettbewerbs- und Kartellrechts. Daneben berät
er im deutschen und
französischen Zivil- und
Handelsrecht,
insbesondere im Bereich der
Gestaltung
internationaler Verträge.
Herr Klinkert ist im
Bereich des Vertragsrechts spezialisiert. Er
berät
und
betreut
unsere
Mandanten
insbesondere bei der
Gestaltung von Verträgen
und
AGB.
Außerdem begleitet er
deutsche
Unternehmen im Bereich der
erneuerbaren Energien
in Frankreich.
kuehl[at]avocat.de
deger[at]avocat.de
klinkert[at]avocat.de
Frau Ledig ist im
Bereich des Handelsrechts und des internationalen Privatrechts
(IPR)
spezialisiert.
Daneben berät sie
unsere Mandanten im
Bereich des grenzüberschreitenden
Forderungseinzugs
und
Insolvenzrechts.
ledig[at]avocat.de
INHALT:
I.
Überblick
II.
Wann besteht nach französischem Recht ein Haftungsrisiko bei Beendigung einer Geschäftsbeziehung?
III. Wann gilt eine Geschäftsbeziehung als abgebrochen?
IV. Wie kann man das Haftungsrisiko verringern?
Wir beraten deutsche Unternehmen im
Frankreichgeschäft und betreuen die
französischen Niederlassungen deutscher,
österreichischer und schweizer Unternehmen in allen rechtlichen Bereichen in
Frankreich.
Köln
Konrad-Adenauer-Ufer 71
D-50668 Köln
Tel. 00 49 – (0)2 21 – 1 39 96 96 0
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V. In welcher Höhe droht die Haftung?
VI. Ratschläge für die Praxis
Die Artikel dienen ausschließlich der generellen Information und ersetzen kein individuelles Beratungsgespräch. Ein Mandantenverhältnis kommt hierdurch nicht zustande. Jegliche Haftung wird hiermit ausgeschlossen
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I.
Überblick
Immer wieder sehen sich Unternehmen, die eine Geschäftsbeziehung mit einem französischem
Partner (Lieferant, Vertragshändler, Distributor, Kunden etc.) beenden wollen, mit Schadensersatzforderungen konfrontiert. In der Tat hat nach Artikel L. 442-6 I Nr. 5 des französischen Handelsgesetzbuchs (Code de commerce) derjenige Schadenersatz zu leisten, der unvermittelt eine gefestigte
Geschäftsbeziehung abbricht, ohne dies dem Partner vorab schriftlich angezeigt zu haben und ohne
dabei eine der Dauer der Geschäftsbeziehung angemessene Auslauffrist eingehalten zu haben
(rupture brutale d‘une relation commerciale établie). Dies gilt sowohl bei Kündigung eines Vertragsverhältnisses als auch in Fällen, in denen die Geschäftsbeziehung lediglich aus einer Folge von Einzelgeschäften besteht, ohne dass die Partner eine Rahmenvereinbarung abgeschlossen hätten.
Mit der Vorschrift des Artikels L. 442-6 I Nr. 5 Code de commerce greift der französische Gesetzgeber in die Vertragsfreiheit ein, indem er das Recht der Partner zur freien Wahl des Vertragspartners
einschränkt. So soll das Gleichgewicht der Kräfte der zwischen den Geschäftspartnern bestehenden
wirtschaftlichen Beziehungen gesichert werden. Für die Partei, die eine Geschäftsbeziehung beenden will, stellt die Regelung allerdings eine beträchtliche Einschränkung dar.
Nach der französischen Rechtsprechung handelt es sich bei Artikel L. 442-6 I Nr. 5 Code de commerce um eine international zwingende Rechtsnorm mit der Folge, dass diese auch für ausländische
Unternehmen mit Geschäftsbeziehungen zu französischen Partnern verbindlich ist. Die Regelung ist
nicht abdingbar, so dass abweichende Vereinbarungen unwirksam sind. Die Regelung setzt sich sogar dann gegenüber der Parteivereinbarung durch, wenn diese die Geltung einer anderen Rechtsordnung als der französischen vorsieht.
Im Folgenden soll kurz dargestellt werden, was bei der Beendigung einer unter Artikel L. 442-6 I Nr.
5 Code de commerce fallenden Geschäftsbeziehung zu beachten ist, um das Risiko einer Haftung
soweit wie möglich zu begrenzen.
II.
Wann besteht nach französischem Recht ein Haftungsrisiko bei der Beendigung
einer Geschäftsbeziehung?
1. Die betroffenen Geschäftspartner
Zunächst soll aufgezeigt werden, welche Geschäftspartner in den Anwendungsbereich des
Artikels L. 442 - 6 I Nr. 5 des Code de commerce fallen. Dabei ist zwischen dem die Geschäftsbeziehung beendenden Partner und dem vom Abbruch der Geschäftsbeziehung betroffenen Partner zu unterscheiden.
a) Der die Geschäftsbeziehung abbrechende Partner
Nach Artikel L. 442-6 I Nr. 5 des Code de Commerce können sich alle Hersteller, Unternehmer, Industrielle und jede im Handelsregister eingetragene Person wegen eines
plötzlichen Abbruchs einer Geschäftsbeziehung schadensersatzpflichtig machen können. Vom Anwendungsbereich der Vorschrift ausgenommen sind dagegen juristische
Personen des öffentlichen Rechts, Idealvereine, Gesellschaften bürgerlichen Rechts
(sog. „sociétés civiles“), Freiberufler und freiberufliche Zusammenschlüsse („sociétés
d’exercice libéral“) sowie natürliche Personen, die weder eine gewerbliche noch eine
handwerkliche Tätigkeit ausüben.
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Die Artikel dienen ausschließlich der generellen Information und ersetzen kein individuelles Beratungsgespräch. Ein Mandantenverhältnis kommt hierdurch nicht zustande. Jegliche Haftung wird hiermit ausgeschlossen
b) Der vom Abbruch der Geschäftsbeziehung betroffene Partner
Ein Anspruch des vom Abbruch einer Geschäftsbeziehung Betroffenen besteht nur,
wenn dieser die Geschäftsbeziehung zu einem Zweck aufgenommen hat, der seiner
gewerblichen oder seiner selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden
kann. Allerdings reicht es aus, wenn er bloß mittelbar von dem Abbruch betroffen ist.
So kann etwa ein Subunternehmer gegen den Auftraggeber anspruchsberechtigt sein,
wenn dieser die Geschäftsbeziehung mit dem Hauptunternehmer ohne Einhaltung einer ausreichenden Frist abgebrochen hat.
2. Der Abbruch muss eine gefestigte Geschäftsbeziehung betreffen
Nicht jeder Abbruch einer Geschäftsbeziehung führt zu Schadensersatzansprüchen. Vielmehr
ist erforderlich, dass die Geschäftsbeziehung gefestigt ist, sie also eine gewisse Dauerhaftigkeit aufweist (sog. „relation commerciale établie“). Die Existenz eines Vertrages zwischen
den Parteien ist dagegen nicht erforderlich. Eine gefestigte Geschäftsbeziehung kann vielmehr allein durch den mehrfachen Bezug von Waren oder Dienstleistungen über einen gewissen Zeitraum hinweg begründet werden.
Zwar begründen punktuelle Einzelgeschäfte grundsätzlich noch keine gefestigte Geschäftsbeziehung, jedoch legt die französische Rechtsprechung den Begriff der gefestigten Geschäftsbeziehung weit aus. So hat der französische Kassationshof (Cour de Cassation) in einem Urteil vom 15. September 2009 (Az. 08-19200) entschieden, dass bereits neun aufeinanderfolgende Teilnahmen eines Ausstellers an einer einmal jährlich stattfindenden Messe eine gefestigte Geschäftsbeziehung darstelle, so dass sich der Aussteller gegenüber dem Veranstalter
dadurch schadensersatzpflichtig machte, dass er im 10. Jahr nicht an der Messe teilnahm,
ohne dies ausreichend früh schriftlich mitgeteilt zu haben.
Bei der Frage, ob eine Geschäftsbeziehung bereits ausreichend gefestigt war, berücksichtigen
die französischen Gerichte alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere aber die Gesamtdauer der Geschäftsbeziehung. Die Rechtsprechung hierzu ist allerdings uneinheitlich: Während
das Berufungsgericht Versailles (Cour d’Appel) die Auffassung vertreten hat, eine Geschäftsbeziehung von sechs Monaten könne noch keinen „gefestigten Charakter“ aufweisen (Urteil
vom 21. März 2012), hat das Berufungsgericht Aix-en-Provence eine Geschäftsbeziehung
derselben Dauer als gefestigte Geschäftsbeziehung angesehen (Urteil vom 19. November
2004). Die Annahme einer gefestigten Geschäftsbeziehung hängt aber neben der Dauer auch
von weiteren Umständen, insbesondere der Natur der Geschäftsbeziehung, ab. Auf der
Grundlage der derzeitigen Rechtsprechung sollte man sich jedenfalls vor der Beendigung von
Geschäftsbeziehungen, die mehr als sechs Monate gedauert haben, die Frage nach der angemessenen Auslauffrist und der Form der Beendigungserklärung stellen.
III.
Wann gilt eine gefestigte Geschäftsbeziehung als abgebrochen?
1. Kündigung eines unbefristeten Vertrags
Haben die Parteien schriftlich oder mündlich einen unbefristeten Vertrag geschlossen, so kann
dieser nach französischem Recht grundsätzlich jederzeit ordentlich gekündigt werden. Um jedoch eine Kündigung des Dauerschuldverhältnisses zur Unzeit auszuschließen, sieht Artikel
L. 442-6 I Nr. 5 Code de commerce vor, dass eine schriftliche Kündigungserklärung abzugeben und dabei eine angemessene Kündigungsfrist einzuhalten ist. Ein Verstoß gegen diese
Pflichten berechtigt die andere Partei zum Schadensersatz.
Die Dauer der angemessenen Kündigungsfrist hängt von der Dauer der Geschäftsbeziehung
ab und ist unter Berücksichtigung der Handelsbräuche und, soweit vorhanden, von Kollektivvereinbarungen zu bestimmen (näher dazu unten IV 2).
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Die Artikel dienen ausschließlich der generellen Information und ersetzen kein individuelles Beratungsgespräch. Ein Mandantenverhältnis kommt hierdurch nicht zustande. Jegliche Haftung wird hiermit ausgeschlossen
2. Nichtverlängerung eines befristeten Vertrages
Neben der Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses kann die Regelung des Artikels L. 4426 I Nr. 5 Code de commerce auch dann Anwendung finden, wenn ein befristeter Vertrag nach
seinem Auslaufen nicht fortgesetzt wird. So kann bei einer Kettenbefristung in der Verweigerung der Vertragserneuerung der missbräuchliche Abbruch einer gefestigten Geschäftsbeziehung liegen, sofern der andere Vertragspartner berechtigterweise davon ausgehen durfte,
dass der Vertrag erneuert werden würde. Dies gilt auch dann, wenn der befristete Vertrag keine Klausel betreffend der Möglichkeit der stillschweigenden Verlängerung vorsieht, die Parteien den Vertrag aber dennoch mehrfach erneuert haben.
3. Vollständiges oder teilweises Einstellen der Bestellungen
Darüber hinaus gilt die Regelung des Artikels 442-6-I Nr. 5 Code de commerce aber auch für
Geschäftsbeziehungen, deren Rahmen nicht vertraglich geregelt ist, und die lediglich aus einer Reihe von Einzelgeschäften bestehen. Somit kann z.B. der plötzliche Wechsel des Lieferanten durch einen Abnehmer auch dann als rechtswidriger Abbruch der Geschäftsbeziehung
einzustufen sein, wenn kein Rahmenvertrag existiert.
Dieselben Grundsätze gelten nach dem Gesetzeswortlaut nicht nur für den Fall des vollständigen Abbruchs, sondern auch bei einer „teilweisen Beendigung“, mithin bei einer bloßen Reduzierung der Aufträge/Bestellungen. Das Berufungsgericht Douai hat etwa mit Urteil vom 26.
Februar 2008 festgestellt, dass eine plötzliche Reduzierung der Bestellungen um ca. 60% den
Kunden zum Schadensersatz verpflichtet. In diesem Fall bestand allerdings die Besonderheit,
dass das betroffene Unternehmen fast ausschließlich von den Bestellungen eines Kunden abhängig war.
4. Einseitige Änderung der Geschäftskonditionen
Schließlich kann ein Abbruch der Geschäftsbeziehung auch dann angenommen werden,
wenn ein Geschäftspartner einseitig eine wesentliche Änderung seiner Konditionen durchsetzt.
So kann eine substantielle Erhöhung des Preises einem plötzlichen Abbruch der Geschäftsbeziehung im Sinne des Artikels L. 442-6 I Nr. 5 Code de Commerce gleichkommen, falls der
Anbieter diese seinem Kunden ohne Einhaltung einer angemessenen Frist aufzwingt.
IV.
Wie kann man das Haftungsrisiko verringern?
Um eine Haftung zu vermeiden, müssen gefestigte Geschäftsbeziehungen im oben dargestellten Sinne immer unter Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Form sowie einer angemessenen Frist gekündigt bzw. beendet werden.
1. Beendigungsform: Schriftliche Kündigung bzw. Beendigungsanzeige
Wie bereits oben ausgeführt, setzt die Beendigung der Geschäftsbeziehung zunächst die
Schriftform voraus. Zwar könnte dies mit einfachem Brief erfolgen, jedoch empfiehlt es sich
aus Beweisgründen, das Schreiben per Einschreiben mit Rückschein zu übersenden.
In inhaltlicher Hinsicht ist zu beachten, dass im Beendigungsschreiben deutlich angegeben
werden muss, zu welchem Termin, bzw. mit welcher Frist die Geschäftsbeziehung beendet
wird. Sofern es sich nicht um eine Kündigung aus wichtigem Grund handelt, muss kein Beendigungsgrund angegeben werden.
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Die Artikel dienen ausschließlich der generellen Information und ersetzen kein individuelles Beratungsgespräch. Ein Mandantenverhältnis kommt hierdurch nicht zustande. Jegliche Haftung wird hiermit ausgeschlossen
2. Die angemessene Frist
Die Beendigung einer gefestigten Geschäftsbeziehung hat stets unter Einhaltung einer angemessenen Frist zu erfolgen. Die Einhaltung einer vertraglich vereinbarten ordentlichen Kündigungsfrist schützt den Kündigenden nicht vor Schadensersatzansprüchen auf der Grundlage
des Artikels L. 442-6 I Nr. 5° Code de Commerce, falls die vertragliche Frist vom Gericht als
unangemessen kurz angesehen wird.
Sofern die Mindestdauer der Kündigungsfrist nicht durch eine Kollektivvereinbarung oder für
bestimmte Branchen durch den französischen Wirtschaftsminister festgelegt ist, hat das Gericht die Frage der Angemessenheit der Frist nach freiem Ermessen unter Berücksichtigung
aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Grundsätzlich muss die Kündigungsfrist so bemessen sein, dass dem Geschäftspartner ausreichend Zeit bleibt, sich auf die aus dem Abbruch der Geschäftsbeziehung resultierenden Beeinträchtigungen einzustellen (Berufungsgericht Versailles, Urteil vom 27. April 2000), sich also mit seiner Tätigkeit umzuorientieren (Berufungsgericht Paris, Urteil vom 22. Dezember 1966).
Zur Bestimmung der angemessenen Frist werden von den französischen Gerichten die folgenden Umstände berücksichtigt:
-
Die Gesamtdauer der Geschäftsbeziehung;
Die Branche, in welche die Geschäftsbeziehung fällt;
Der Grad der Abhängigkeit des Geschäftspartners von der Geschäftsbeziehung und
seine Möglichkeit, sich wirtschaftlich umzuorientieren;
Das Bestehen einer Exklusivvereinbarung zwischen den Parteien;
Die Investitionen, die im Rahmen der Geschäftsbeziehung getätigt worden sind.
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien geht die französische Rechtsprechung je nach den
Umständen von Mindestkündigungsfristen zwischen 3 Monaten und 2 Jahren aus. Aus Gründen der Vorsicht ist dem die Geschäftsbeziehung beendenden Geschäftspartner im Zweifel zu
empfehlen, eher eine etwas längere Kündigungsfrist zu wählen. Bei Geschäftsbeziehungen
von über 10 Jahren sind Kündigungsfristen von 12 bis 24 Monaten keine Seltenheit.
3. Haftungsausschließende Gründe
Artikel L. 442-6 I Nr. 5 Code de commerce sieht lediglich zwei Fälle vor, die es einem Partner
erlauben, die Geschäftsbeziehung ohne Einhaltung einer angemessenen Frist zu beenden:
Umstände höherer Gewalt (sog. „force majeure“) und die schuldhafte Pflichtverletzung des
Kündigungsempfängers.
Nach französischer Rechtsprechung setzt höhere Gewalt das Vorliegen unvorhersehbarer,
unabwendbarer Ereignisse voraus, die dem beendenden Geschäftspartner nicht zurechenbar
sind. In der Praxis ist festzustellen, dass die französischen Gerichte die höhere Gewalt nur
sehr zurückhaltend annehmen.
Etwas häufiger wird von den französischen Gerichten als haftungsausschließender Grund die
Nichterfüllung der Vertragspflichten durch den Kündigungsempfänger akzeptiert. Dabei gilt jedoch zu beachten, dass nicht jede Pflichtverletzung des Geschäftspartners dazu geeignet ist,
eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Vielmehr muss es sich um eine Pflichtverletzung von
ausreichender Schwere handeln. Nach der Rechtsprechung des Berufungsgerichts Pau ist
dies zum Beispiel der Fall, wenn der Vertragspartner Zahlungsfristen wiederholt nicht eingehalten hat (Berufungsgericht Pau, Urteil vom 31. März 2009).
Aufgrund der Zurückhaltung der Gerichte bei der Annahme haftungsausschließender Gründe
sollten diese nur mit Vorsicht zur Begründung einer fristlosten Kündigung herangezogen werden.
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V.
In welcher Höhe droht die Haftung?
1. Der zu ersetzende Schaden
Bei dem zu ersetzenden Schaden handelt es sich in der Regel um den Gewinn, den der Geschäftspartner bis zum Ablauf der angemessenen Beendigungsfrist hätte erzielen können.
Die französischen Gerichte berechnen den entgangenen Gewinn in der Regel auf der Grundlage des durchschnittlichen Bruttoumsatzes der letzten drei Geschäftsjahre (vgl. nur Berufungsgericht Amiens, Urteil vom 30. November 2011).
Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass die Instanzgerichte darüber hinaus oftmals eine Störung des finanziellen und wirtschaftlichen Gleichgewichts des gekündigten Geschäftspartners annehmen und u.a. die ausbleibende Amortisierung von Investitionen, immaterielle Schäden und allgemein den Umsatzrückgang als zusätzlich zu ersetzende Schäden
ansehen.
Allerdings sind diese Positionen nur dann ersatzfähig, soweit sie gerade durch die Abruptheit
der Kündigung verursacht worden sind. Dazu reicht es reicht nicht aus, dass der Anspruchssteller darlegt, dass der geltend gemachte Schaden durch den Abbruch der Handelsbeziehung verursacht worden ist.
2. Weitere mögliche Sanktionen
a) Anspruch auf Fortführung der Geschäftsbeziehung
Gemäß Artikel L. 442-6 IV Code de commerce kann das Gericht im einstweiligen
Rechtsschutz die Unterlassung diskriminierender oder missbräuchlicher Praktiken (also auch die eines plötzlichen Abbruchs einer bestehenden Geschäftsbeziehung) oder
jede andere geeignete einstweilige Maßnahme anordnen. Danach kann der vom Abbruch betroffene Vertragspartner im einstweiligen Rechtsschutz regelmäßig auch verlangen, die Geschäftsbeziehung bis zum Ablauf der angemessenen Beendigungsfrist
anzuordnen. Voraussetzung hierzu ist, dass dem Kündigungsempfänger aufgrund der
Abruptheit der Kündigung (bzw. Beendigung) ein unmittelbarer Schaden droht (sog.
„dommage imminent“) oder die Rechtswidrigkeit des Abbruchs der Geschäftsbeziehung offensichtlich ist (sog. „trouble manifestement illicite“).
b) Bußgelder
Da die Regelung des Artikels L. 442-6 Code de commerce wettbewerbsrechtlicher
Natur ist, ist nicht nur der betroffene Geschäftspartner klagebefugt, sondern auch die
Staatsanwaltschaft, der Wirtschaftsminister und die Kartellbehörden. Während des
Verfahrens können der Wirtschaftsminister oder die Staatsanwaltschaft beim befassten Gericht beantragen, die Fortsetzung der abgebrochenen Geschäftsbeziehung anzuordnen. Weiter können sie die Verhängung eines Bußgeldes in Höhe von maximal
2 Millionen Euro, sowie den Ersatz der erlittenen Schäden an den Betroffenen verlangen.
VI.
Ratschläge für die Praxis
1. Bei Vertragsschluss: Vermeidung einer Exklusivität zugunsten des Geschäftspartners
Insbesondere bei Vertriebsbeziehungen wird dem französischen Vertriebspartner häufig ohne
wirkliche Notwendigkeit die Exklusivität eingeräumt. In diesem Fall ist der Hersteller während
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Die Artikel dienen ausschließlich der generellen Information und ersetzen kein individuelles Beratungsgespräch. Ein Mandantenverhältnis kommt hierdurch nicht zustande. Jegliche Haftung wird hiermit ausgeschlossen
des Laufs der Kündigungsfrist (bis zu 24 Monate) daran gehindert, den Vertrieb seiner Waren
in Frankreich anderweitig zu organisieren. Hierbei ist zu bedenken, dass sich der gekündigte
Geschäftspartner in dieser Phase vermutlich bereits nach einem neuen Vertragspartner umsehen wird und dabei möglicherweise den Vertrieb vernachlässigt.
Diese Situation kann vermieden werden, wenn dem Vertriebspartner keine Exklusivität eingeräumt wird. Der Hersteller kann in diesem Fall sofort einen neuen Vertrieb in Frankreich aufbauen und muss daneben lediglich die noch laufende Geschäftsbeziehung mit seinem alten
Vertriebspartner bis zum Ende der Kündigungsfrist ordnungsgemäß erfüllen.
2. Zum Zeitpunkt der Beendigung der Geschäftsbeziehung
a) Prüfung möglicher Kündigungsgründe
In manchen Fällen kann die Geschäftsbeziehung bei Vorliegen wichtiger Gründe fristlos beendet werden. Deshalb ist vor Ausspruch einer ordentlichen Kündigung immer
zunächst zu prüfen, ob dem Vertragspartner nicht etwa Pflichtverletzungen vorgeworfen werden können.
b) Prüfung der angemessenen Beendigungsfrist vor Ausspruch der Kündigung
Vor Ausspruch der Kündigung sollte die Angemessenheit der Beendigungsfrist geprüft
werden, und zwar auch dann, wenn im Vertrag eine Kündigungsfrist vertraglich vereinbart wurde, da diese unter Umständen zu kurz sein kann.
c) Einhaltung der Schriftform
Die Kündigung bzw. Beendigung muss schriftlich erklärt und sollte aus Beweisgründen per Einschreiben mit Rückschein versendet werden. Die Beendigungsfrist bzw.
das Beendigungsdatum muss im Kündigungsschreiben angegeben werden.
Sollten Kündigungsgründe vorliegen, die eine fristloste Beendigung begründen können, ist es empfehlenswert, diese im Kündigungsschreiben darzulegen, da nachgereichte Kündigungsgründe von französischen Gerichten oft nicht berücksichtigt werden.
Diese Information wird Ihnen zur Verfügung gestellt von:
Kühl Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Konrad-Adenauer-Ufer 71, 50668 Köln
www.avocat.de
STRASBOURG KÖLN PARIS BADEN-BADEN SARREGUEMINES
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Ein Mandatsverhältnis kommt durch dieses Merkblatt nicht zustande. Eine Haftung für dessen Inhalt ist ausgeschlossen.
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