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Artikel aus „Folha de São Paulo“ (eine der größten brasilianischen
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Artikel aus „Folha de São Paulo“
(eine der größten brasilianischen Tageszeitungen)
São Paulo, Mittwoch, 12. Dezember 2007
Ich faste nicht zuletzt für eine wahre Demokratie
Luiz Flávio Cappio
Man wirft mir vor, ich sei ein Feind der Demokratie, weil ich mit Fasten und Beten
ein autoritäres und verlogenes Projekt bekämpfe: die Umleitung der Wasser des
São Francisco Stroms.
Ich werde als demokratie-feindlich gescholten, weil ich mit Fasten und Beten
jenem autoritären, lügnerischen und rückschrittlichen Mammut-Projekt der
Bundesregierung entgegentrete, das die Wasser des São Francisco Stroms
umleiten will.
Meine Reaktion lässt sich aber nicht so hinstellen, als hätte ich mir freiwillig und
allein von mir selbst ausgehend auferlegt, was ich nun tue. Wäre dem so, so
könnte ich bestimmt nicht mit soviel Unterstützung rechnen, die mir von großen
Teilen der Gesellschaft in steigender Intensität zugesichert wird, selbst aus den
Reihen der Regierungspartei PT.
Wenn wir tatsächlich in einer republikanischem Geist verpflichteten,
unverwässerten Demokratie lebten, so bräuchte ich nicht so weit gehen, wie ich es
jetzt tue.
Eine der schlimmsten Übel der „Demokratie“ in Brasilien besteht darin, dass
gemeint wird, mit dem Mandat aus der Wahlurne sei in der Folge schrankenlose
Macht zuerkannt und eine Lizenz für das völlige Abschreiben der im Wahlkampf
vertretenen Positionen erteilt; als wäre mit der Wahl eine Art Blanko-Scheck erstellt
für alles, was mehr Macht und mehr Vermögen verspricht. Deshalb gehören nach
wie vor alle möglichen Formen von Bevorteilung, Abzweigung öffentlicher Mittel,
Interessens-Schieberei und Bestechung zum Repertoire der brasilianischen Politik,
und leider sind die Aussichten sehr gering, daß sich dies bald ändern würde. Der
Gesellschaft aber hängen diese Praktiken längst beim Hals heraus, und es ist
höchste Zeit, dass sich die Gesellschaft massiv dagegen auflehnt.
Es gibt Politiker – und leider sind es nicht eben wenige - , die eine Spur von
Übergriffen, Korruption und unrechtmäßiger Bereicherung ziehen, wo immer sie in
das öffentliche Leben eingreifen. Da Unsitten wie klientilistischer Wählerfang,
Glorifizierung der Kandidaten, unerfüllbare Wahlversprechen und die „Wie-du-mirso-ich-dir“-Schablone weiterhin ziehen und viel eher politische Verführung als
politische Bildung angesagt bleibt,
gelingt es besagten Kandidaten und
Kandidatinnen, immer auf’s Neue wiedergewählt zu werden und in immer höhere
Positionen vorzurücken, ganz unabhängig davon, welcher Partei oder welchem
politischen Bündnis sie angehören.
Im Wahlkampf des Präsidenten Lula wurde das zentrale Thema „WasserUmleitung“ soweit wie möglich gemieden. Und doch werden unsere Wahlgänge,
die auf nichts anderem als bloßem Marketing-Kalkül und abgedunkelter ParteienFinanzierung durch die Unternehmer aufbauen, als hehre Ausdrucksformen
unserer Demokratie-Kultur hingestellt und gern mit dem Verweis auf unser
elektronisches Urnen-System dekoriert, womit wir selbst den USA als Beispiel
dienten ...
Das Wasserumleitungs-Projekt der Regierung ist undemokratisch, just deshalb,
weil es den Menschen im Nordosten Brasiliens, die an Wassermangel leiden, den
Zugang zum Wasser eben nicht erleichtert, ganz gleich, ob sie nun nahe dem
Flusslauf oder weitab vom Rio São Francisco leben.
Die Regierung lügt, wenn sie behauptet, sie würde 12 Millionen Durstleidende mit
Wasser versorgen. Vielmehr handelt es sich um ein Projekt, das öffentliches Geld
zur Begünstigung der Ausführungs-Firmen ausgeben will; ein Projekt, welches das
Wasser des Nordostens Brasiliens privatisieren und in den Händen der
immerselben Eliten konzentrieren wird, sowohl die Wasser der großen Stauseen
wie die Wasser des São Francisco Stroms.
Die Umleitung des Wassers vom São Francisco hat absolut nichts mit der
Trockenheit im Nordosten zu tun. Das zeigt sich allein schon darin, dass der
Nordkanal, in dem 71% des abgezweigten Wassers in den Norden fließen sollen,
weitab von den tatsächlich regenarmen und von Wassernot geplagten Regionen
geplant ist. Von diesem Wasser sind nicht weniger als 87% für Produktionszweige
mit sehr hohem Wasserverbrauch bestimmt: für bewässerten Obstbau, für die
Garnellen-Zucht und für die Stahl-Industrie, allesamt Export-orientierte
Investitionen mit äußerst bedenklichen sozialen und ökologischen Folgewirkungen.
Die genannten Zahlen sind den offiziellen Studien und der abschließenden
Umweltverträglichkeitsstudie des Wasserumleitungs-Projekts zu entnehmen, wie
sie dem Gesetz entsprechend veröffentlicht worden ist – wogegen die Regierung
im Internet nur Propagandistisches über das Projekt veröffentlicht.
Das Wasserumleitungs-Projekt ist illegal und wird auf eine ebenso willkürliche wie
autoritäre Art forciert: Die Untersuchungen zu den ökologischen Folgen sind nicht
abgeschlossen, der rechtmäßige Weg zur Erlangung der umwelt-technischen
Bewilligung wurde verfälscht, indigene Gebiete sind vom Projekt betroffen, ohne
dass dies – wie in der Verfassung vorgesehen – Gegenstand einer Anhörung im
Nationalkongress gewesen wäre.
Insgesamt sind 14 Gerichtsverfahren im Laufen, die Gesetzesverletzungen und
Verfahrensmängel anprangern, doch vom Obersten Gerichtshof bislang nicht
entschieden worden sind. Dessen ungeachtet hat die Regierung Militär-Einheiten
zum Kanal-Anstich mobilisiert, was einem Missbrauch der Heeres-Befugnisse und
einer Militarisierung jener Gegend gleichkommt. Dass der Entscheid des
Regionalen Verwaltungsgerichtshofs vom vergangenen 10. Dezember einen
einstweiligen Baustopp bewirkt hat, gilt als weiteres beredtes Zeugnis für die
rechtswidrige Durchdrücken des Projekts.
Doch die empörendste, weil wirklich schon an Grausamkeit heranreichende
Methode der Regierung besteht darin, die öffentliche Meinung – besonders in den
Bundesstaaten, die als besonders begünstigt hingestellt werden – mit haltlosen
Versprechen zu manipulieren, die von reichlicher und einfacher Wasserzustellung
reden, ohne die wirklichen Nutznießer zu nennen, und auch mit keinem Wort
sagen, wie die Wasserzuleitung funktionieren soll, welche Kosten dann zu
bezahlen sein werden, wie die kleinen Nutzer die großen Verbraucher indirekt
subventionieren werden, ähnlich, wie dies jetzt schon mit den Stromkosten
geschieht. Demgegenüber lässt der offizielle Umwelt-Bericht keinen Zweifel am
Endzweck des abgeleiteten Wassers: 70 % für Bewässerung, 26 % für
industriellen Gebrauch, 4 % für den Konsum der verstreuten Anwohner.
Demgegenüber liegt uns ein weitaus umfassenderes Projekt vor: Wir wollen
Wasser für die 44 Millionen Bewohner und Bewohnerinnen des Trockengürtels
Nordostbrasiliens - für alle neun Bundesstaaten, nicht nur für vier; für 1.356
Gemeinden, und nicht nur für 397. Und das alles zum halben Preis dessen, was
im Regierungsprogramm zur Anheizung des Wirtschaftswachstums für das
Wasserumleitungs-Projekt vorgesehen ist.
Was vom „Atlas des Nordostens“, herausgegeben von der Nationalen
Wasserbehörde (Agência Nacional das Águas), und von den Initiativen der ASANetzwerks (Articulação do Semi-Árido) an Vorschlägen präsentiert wird, ist
wesentlich breiter, stellt die Versorgung mit Trinkwasser für Mensch und Tier in
den Mittelpunkt und baut auf der Nutzung der reichen, durchaus genügenden
Wasserreserven des Nordostens auf.
Man nannte mich einen Fundamentalisten und Feind der Demokratie, weil ich das
Volk aufgerufen hätte, sich aufzulehnen. Davor haben die „Demokraten“, die mir
diese Vorwürfe machen, offenbar Angst. Warum aber wird die Wahrheit über
dieses Projekt nicht eingestanden, und warum wird nicht offen darüber diskutiert,
welches das bessere Projekt ist bzw. welcher Weg tatsächlich zur Entwicklung des
Trockengebiets im Nordosten führt? In genau dieser Auseinandersetzung liegt die
Essenz meines Widerstands, und in genau dieser Auseinandersetzung vollzieht
sich, was Demokratie tatsächlich ist.
Dom Frei Luiz Flávio Cappio, 61, ist Diözesan-Bischof von Barra (Bahia) und
Autor des Buches „Der São Francisco Strom – ein Gang zwischen Leben und
Tod“
Übersetzung: Martin Mayr