Versöhnung, Teil 1 / Luk. 15, 11-24

Transcrição

Versöhnung, Teil 1 / Luk. 15, 11-24
Stefan Moll, Pfarrer
056 221 66 67 / [email protected]
Versöhnung Teil I
Predigt zu Lukas 15, 11 – 24 (oder bis 32)
Es ist faszinierend, diesen Bibeltext unter dem Gesichtspunkt der Versöhnung zu lesen. Dabei
denke ich an ein versöhntes Leben unter uns Menschen: in der Familie, zischen den Generationen, in Konflikten. Manchmal denke ich sogar an Versöhnung mit mir selber. Immer spielen ähnliche Mechanismen.
Heute machen wir uns auf, um Versöhnung besser zu verstehen. Sechs Gottesdienste widmen
wir dem Thema. Das lohnt sich. Denn wer versöhnt lebt, ist freier und viel zufriedener. Was wollen wir alte Geschichten warm halten, wozu Lasten des Vergangenen mit uns herumschleppen?
Warum soll ich mich nicht mit allen – zum Beispiel hier in der Kirche – frei und fröhlich unterhalten können, ohne gleich an eine elende Sache, eine Kränkung oder an eine alte Gemeinheit zu
denken?
Weg mit dem Zeug! Nur: Wie geht das? Wie zur Versöhnung finden? Wie kann ich versöhnt leben, wenn der andere nicht will? - Darüber denken wir nach – und halten das Ergebnis in
Merksätzen fest. Ein erster solcher Merksatz ist schon entstanden:
1. Merksatz
Versöhnung strebe ich nicht wegen den anderen an, sondern es geht allein um mich, damit es
mir trotz Konflikten und Kränkungen gut geht und ich entspannt, glücklich und frei leben kann!
Zurück zum Bibeltext: Vielleicht fragen Sie: „Geht es im Gleichnis vom ‚verlorenen Sohn’ nicht
um Gott? Ja, das liegt nahe. Wir haben doch gelernt, dass dieser Vater Gott ist. Auch mit Gott
können wir versöhnt oder unversöhnt leben. Aber zunächst geht es ganz einfach um gewöhnliche Konflikte in Familien, wie sie überall vorkommen. Ausdrücklich steht da: „Ein Mensch hatte
zwei Söhne...“. Bleiben wir einmal dabei.
Es könnte ja gut sein, dass dieser Mensch, dieser Vater, ein ganz normaler Mann war. Und es
könnte sein, dass der Sohn gute Gründe hatte, wegzuziehen. Gut möglich , dass er weg wollte,
weil er es seinem Vater nie recht machen konnte. Oder weil dieser Vater ihn gekränkt hatte. Oder weil es am Familientisch immer wieder mal dicke Luft gab, weil so viel Unausgesprochenes
im Raum stand. Das Übliche eben.
Wollen Sie lieber an der Version festhalten, die Sie vielleicht aus der Sonntagsschule kennen?
Gut, dann stellen wir uns vor, dass dieser Vater herzensgut ist, dass er alles für seine Söhne tut!
Dass er nichts als Liebe und Güte ist! – Erst recht könnte ich verstehen, dass der Sohn gehen will.
Das ist ja nicht zum Aushalten, wenn es in einer Familie so ideal zu und hergeht. Wie sollte hier
ein Kind je erwachsen werden und eigene Wege gehen? Wie soll es noch atmen können, wenn es
auch als Erwachsener noch vom Morgen bis am Abend bemuttert und bevatert wird? Wirklich:
Es ist Zeit zu gehen! Das führt zum 2. Merksatz:
2. Merksatz
Es gibt gute Gründe, auch einmal auf Distanz zu gehen. Dadurch nehmen wir uns und unsere
Gefühle ernst.
Aber nun kommt das Drama. Dieser Sohn, der mutig und mit gutem Grund weggeht von der väterlichen Scholle, scheitert dabei jämmerlich. Er weiss mit seinem Erbe nicht umzugehen. Er
verschleudert alles.
Ich gehe davon aus, dass wir alle von unseren Eltern und von anderen unser Erbe mitnehmen.
Vielleicht auch Geld. Oder die Nase der Mutter, die Aversion des Vaters gegen Fastfood, die kontrollierende Seite der Mutter, das Herummäkeln, die Ängste der Älteren, ihre Art zu denken.
Vielleicht auch ihren Humor, ihre Lebenskompetenz, ihre Erfahrung, ihre Werte, ihre Religion,
ihre Stärken und Macken.
Beides ist im Erbe dabei: Stärken und Schwieriges. Wir haben unser Erbe immer dabei – und
wenn wir ausziehen, nehmen wir es mit. Mit diesem Erbe lassen sich grossartige Dinge tun. Davon könnte man leben. Nur: wenn wir unversöhnt sind, werden wir damit nicht gut umgehen.
Das Erbe ist dann eine Last, manchmal gar eine Qual. So gesehen ist es logisch, dass der Sohn
sein Erbe verprasst und vergeudet. Das führt zum nächsten Merksatz:
3. Merksatz
Im Zustand der Unversöhntheit gehen wir destruktiv mit dem Erbe um.
Ich kann mir gut vorstellen, wie dieser junge Mann aus der Bibel sich jetzt fühlt. Ich kann ihn vor
mir sehen, wir er innerlich die Stimme des Vaters hört: „Ich hab’s dir doch gesagt...!“. Und ich
kann mir gut vorstellen, wie er hadert: Wäre nicht dieser Vater mit seiner Übermacht, seinen
Kränkungen, seiner ganzen Gefühllosigkeit. Oder wenn Sie das andere Verständnis bevorzugen:
Wäre dieser Vater doch nicht so perfekt, so richtig, so erdrückend liebevoll... Wenn der Vater
sich nur ändern würde, dann wäre alles gut!
Nun ist es sehr oft so, dass wir in Konflikten oder Kränkungen die Lösung beim anderen suchen.
„Der sollte sich wenigstens einmal bei mir entschuldigen“. Oder: „Ich habe es immer wieder versucht, aber die will einfach nicht“.
Diese Woche habe ich mich mit Freunden getroffen. Einer hat einen ganzen Krug voll Wasser auf
dem Tisch umgestossen. Und was sagte er? – „Das ist der blödeste Krug, den ich je gesehen habe“. Nun: ich konnte beim besten Willen nicht erkennen, was der Krug falsch gemacht hatte.
Selbst wenn er einen schlechten Stand gehabt hätte, hat er sich nicht selber umgeworfen!
Aber genau so machen wir es in unversöhnten Beziehungen. Wir schimpfen über unser Eltern.
Wir klagen an. Wir reden schlecht über andere. Hier in der Kirche gibt es viele Geschichten dar2
über, wie schwierig diese oder jene Person sei. Wir schaffen uns Entlastung, indem auf die Fehler, Macken, Boshaftigkeiten, Neurosen oder Sünden anderer verweisen. Das hilft uns, dass wir
uns selber entlasten und selber rechtfertigen können.
Natürlich können wir versuchen, die anderen zu verändern, bis sie anders werden oder sich bei
uns entschuldigen. Die Erfahrung lehrt aber, dass das eigentlich gar nie funktioniert. Darum
drängt sich ein nächster Merksatz auf:
4. Merksatz
Fast reflexartig suchen wir die Lösung in unversöhnten Beziehungen bei den anderen. Die Erfahrung lehrt aber, dass uns das keinen Millimeter weiterbringt.
Zurück zum ‚Verlorenen Sohn’ aus der Bibel. In alten Übersetzungen stand an der entscheidenden Stelle: „Da schlug er in sich“. Er hörte auf, um sich zu schlagen und ging in sich.
Sehen Sie: Es ist unglaublich, wie viel Energie und Kraft viele in unversöhnten Beziehungen
brauchen, um sich selber zu rechtfertigen und das ganze Unglück bei den anderen zu deponieren. Obwohl es gar nichts bringt! Mal ehrlich: Warum tue ich das immer wieder? Warum verschwenden und vergeuden wir so viel Kraft, das Unversöhnte von uns wegzuhalten? Warum so
verbissen?
Der Weg – und es ist der einzig mögliche Weg – führt zu mir selber! Nicht mehr um mich schlagen! Stattdessen: Zu mir kommen. Wie geht das?
Es geht nur, wenn ich mich dem, was geschehen ist, stelle. Ich spüre den Schmerz über das, was
andere mir angetan haben. Ich erlebe die Enttäuschung bewusst. Ich anerkenne die Gefühle wie
Zorn, Scham, Wut oder Ärger. Ich spüre meiner Angst vor neuer Enttäuschung nach. Und ich
beleuchte auch mein eigenes Verhalten und meine Deutung des anderen kritisch. Was ist mein
Beitrag zum Unversöhnten? Welche Rolle spiele ich darin? Welches Motiv hat mich angetrieben? Ist das so edel, wie ich das mir immer wieder sage? Wie sehe ich den anderen? Ist das gerecht?
Der Weg zur Versöhnung führt mich zu mir selber. Immer, wenn ich diesen Wege gehe, erlebe
ich den Schmerz, dass ich selber auch ein Player der Unversöhntheit bin. Ich habe selber Anteil
am unversöhnten Miteinander.
Es ist ein Glück, wenn ich aufhören kann, um mich zu schlagen. Es ist ein Glück, wenn ich Distanz
gewinne und in mich gehen kann. Das führt zum nächsten Merksatz:
5. Merksatz
Der Weg der Versöhnung führt mich immer zuerst zu mir selber. Ohne das Unrecht, das mir angetan wurde, herunterzuspielen, setze ich mich mit meinen Gefühlen und meinen eigenen Beiträgen zum Unversöhnten auseinander.
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Damit sind wir bei einer zentralen Aussage der Bibel angelangt. Diese innere Bewegung zu mir
selber nennt die Bibel ‚Umkehr’. Oder ‚Bekehrung’. Oder schlechter übersetzt bei Luther: ‚Busse
tun’. Im biblischen Verständnis ist es eine grosse Chance, die Gott uns einräumt. Glücklich ist ein
Mensch, der umkehren kann. Gott öffnet uns diese Möglichkeit. Er schafft uns einen Weg zur
Umkehr und damit auch zur Versöhnung. Gott hilft uns, loszulassen. Innerlich weich zu werden.
Hinzuhören. Zu mir selber zu kommen. Umkehr ist nicht nur Hinwendung zu Gott. Sie meint,
dass wir in allen Fragen unseres Lebens und Alltages mit Gottes Hilfe neue Wege wagen.
Der nächste Merksatz:
6. Merksatz
In der biblischen Umkehr komme ich zu mir selber, und der Weg der Versöhnung kann beginnen.
Die Geschichte vom verlorenen Sohn endet mit einer gewaltigen Enttäuschung. Der Sohn kommt
heim und erkennt, dass er sich in seinem Vater total getäuscht hat. Aus dem Unversöhnten und
aus der Distanz hat er sich ein Bild gemacht von seinem Vater. Und jetzt merkt er, dass das gar
nicht stimmt. Er hat sich getäuscht. Jetzt erfährt er, dass der Vater sich gewaltig freut, dass sein
Sohn wieder heimkommt. Trotz allem.
Auch das erleben wir oft. In unversöhnten Beziehungen fangen wir fast automatisch an, uns ein
negatives Bild vom anderen zu machen. Wir neigen dazu, ihn zu dämonisieren. Wir sehen nur
noch das Schwierige an ihm oder an ihr...
Umkehr zu uns selber schafft neue Begegnungen und erlaubt, neue Erfahrungen zu machen. Sie
führt uns zwangsläufig in eine ähnliche Enttäuschung, wie es dieser junge Mann in der Bibel
gemacht hat. „Der ist ja gar nicht so!“. – „Die ist ja ganz anders!“. – Damit sind wir beim letzten
Merksatz:
7. Merksatz
In der Versöhnung erkennen wir, dass wir andere einseitig und verzerrt wahrgenommen haben.
Wir täuschen uns in anderen! Neue Begegnungen ermöglichen neue Erfahrungen.
So viel zum Thema. Es bleibt eine letzte Frage: Ist mit diesem Text nicht vor allem unser Beziehung zu Gott gemeint? Ist Jesus Christus nicht darum Mensch geworden, um uns mit Gott zu versöhnen?
Aber selbstverständlich ist das so. Was wir über Unversöhntes und Versöhnung angesprochen
haben, betrifft auch unsere Beziehung zu Gott. Jesus Christus holt uns aber da, wo wir stehen. Er
führt uns auch in eine neue Beziehung zu Gott.
Baden, den 25. Oktober 2015 / svm
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