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BONIFATIUS UND SEINE BEDEUTUNG
FÜR UNS HEUTE
Die Fällung der Donareiche - Mythos und Realität.
Keine Begebenheit aus dem Leben des hl. Bonifatius ist so populär und allbekannt wie
die Fällung der Donareiche bei Geismar in Nordhessen. Die Szene, von seinem
Biographen Willibald beschrieben1, wie der Heilige als unerschütterlicher Glaubensheld
den anwesenden Heiden, die ihn in ihrem Herzen verwünschen, die Machtlosigkeit ihres
Gottes Donar handgreiflich vor Augen führt, indem ihn kein Blitz vom Himmel her trifft
und statt dessen die Eiche nach den ersten Axthieben niederstürzt und in vier Stücke
zerbirst, galt auch manchen neueren Historikern als überzeugende “Tatmission”, genau
dem Mentalitätshorizont und der Fassungskraft der heidnischen Germanen angepaßt.
In Wirklichkeit war die Bedeutung und der Stellenwert dieses Ereignisses - seine von
manchen neueren Forschern bestrittene Historizität einmal vorausgesetzt - etwas
anders, als wir sie ihm gewöhnlich beimessen. Denn
1. Hatte es Bonifatius bei der Fällung der Donareiche nicht oder zum geringsten
Teil mit echten Heiden zu tun - die hätten wahrscheinlich aggressiv auf die Zerstörung
ihres Heiligtums reagiert und sich keineswegs überzeugen lassen. Er hatte es vielmehr
mit Christen zu tun, die auch noch im Banne heidnischer Tabus standen oder
heidnische Kultstätten aufsuchten und dort opferten. Die Fällung der Donareiche gehört
deshalb wohl in den Kontext des Kampfes gegen den christlich-heidnischen Synkretismus.
1
Briefe des Bonifatius. Willibalds Leben des Bonifatius, neu bearb. v. R. Rau
(Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1968), 494.
2
2. Genau so wichtig oder vielleicht noch wichtiger als die Fällung der Donareiche
ist, was Bonifatius nachher mit dem Holz des Baumes machte. Er ließ nämlich aus dem
Holz eine Kirche errichten, die dem hl. Petrus geweiht war. Dies gehört einmal in den
Rahmen der "Kultsukzession", der vielleicht wichtigsten Form der Inkulturation, die bei
der Germanenmission befolgt wurde und die sich auf eine Weisung von Papst Gregor
dem Großen für die Angelsachsenmission stützte2. Sie ging von der Einsicht aus:
Religion ist für archaische Menschen viel mehr mit heiligen Orten verbunden als mit
Inhalten. Inhalte können wechseln, heilige Orte bleiben. Deshalb ist für die
Einwurzelung des Christentums nichts wichtiger, als daß man diese Orte neu christlich
besetzt, an Stelle von Tempeln oder anderen Kultstätten Kirchen baut. Aber weshalb
gerade eine Kirche des hl. Petrus? Hier ist nicht unwichtig, daß es in der germanischen
Religion zwei Hauptgötter gab. Dies war einmal Wotan (oder Odin bei den
Nordgermanen), der Schlachtenlenker, der Herr der Geschichte, der menschlichen
Geschicke. Der zweite war Donar oder Thor, der Gott des Wetters, des Gewitters, des
Wachstums, auch des häuslichen Herdes, kurz der Gott der Natur. An die Stelle von
Wotan trat nun Christus, als der mächtigere Gott der Schlachten und der Völker. Wer
aber trat an die Stelle Donars? Nichts war naheliegender, als an seine Stelle den hl.
Petrus zu setzen, der die Schlüssel des Himmels in seiner Hand hatte.
Missionar oder Kirchenordner?
2
Gregor der Große, Epistolae XI, 76 (PL 77, 1215-1217).
3
Dies jedoch kann uns dazu verhelfen, von einer romantisierenden Sicht weg und dem
wirklichen Winfried-Bonifatius näherzukommen. Wenn für unser Bewußtsein Bonifatius
vor allem der große Heidenmissionar ist, dann entspricht dies zwar dem, was er auch
selbst in erster Linie sein wollte, als er 716 im Alter von schon mehr als 40 Jahren aus
seiner angelsächsischen Heimat auf die apostolische "Peregrinatio", die Pilgerfahrt in
die Fremde, zog. Tatsächlich besteht aber nicht darin seine Hauptbedeutung und
geschichtliche Wirkung. Missioniert haben schon viele andere vor ihm. So gut wie
vollständig christianisiert waren die linksrheinischen Gebiete, aber auch die
süddeutschen Stämme der Alemannen und Bayern. Auch zu seiner Zeit noch
missionarisch unberührt war das heutige Norddeutschland, d.h. das Gebiet des
sächsischen Stammes, nur schwach berührt das Gebiet des friesischen Stammes, in
dem er zu Beginn missionierte (mit eher bescheidenen Erfolgen) und dann wieder am
Ende seines Lebens, vor seinem gewaltsamen Tod, der in seiner Sicht sicher ein
Martyrium war, vonseiten der Täter aber wohl ein einfacher Raubüberfall. Sein
eigentliches Wirkungsgebiet war der mainfränkisch-hessisch-thüringische Raum, etwa
das Gebiet der heutigen Bundesländer Hessen, Thüringen sowie des Nordens Bayerns.
Dies war aber ein Gebiet, in welchem das Christentum keineswegs neu war. Das
Hauptproblem, mit dem sich Bonifatius hier auseinanderzusetzen hatte, war vielmehr
der heidnisch-christliche Synkretismus, die Gemengelage und das Ineinander von
christlichen und heidnischen Glaubensvorstellungen und religiösen Praktiken. Dies hing
aber wiederum zusammen mit der Eigenart germanisch-vorchristlicher Religiosität. Der
germanische Götterhimmel war nicht exklusiv, sondern offen für Neuaufnahmen, ja für
"Aufsteiger-Götter", die sich bewähren und von Randpositionen allmählich zu führenden
Stellungen aufrücken konnten. Den "Krist" als zusätzlichen Gott zu verehren, ja sich
persönlich besonders an ihn zu binden, dies war deshalb nicht das Problem. Das
eigentliche Problem war die Aussschließlichkeit des christlichen Gottes, der keine
fremden Götter neben sich duldet, also das Verlassen der alten Götter. Das Problem
war nicht, die Taufe zu empfangen, an der Messe teilzunehmen, christliche Segnungen
zu empfangen, die sich dazu noch durch ihre Exotik empfahlen und magische Wirkung
versprachen. Das Problem war, nicht mehr gleichzeitig zu den heiligen Bäumen und
Quellen zu pilgern. Und vor allem damit hatte sich Bonifatius auseinanderzusetzen. Er
berichtet selbst von Priestern, die das Meißopfer feierten und daneben auch noch dem
4
Wotan opferten und an heidnischen Opfermählern teilnahmen3. Und er hat wohl mehr
Menschen, die halb Christen und halb Heiden waren, vom heidnischen Kult abgebracht,
als Ungetaufte bekehrt. Und geschichtlich folgenreich ist Bonifatius in erster Linie als
Organisator, Ordner und Gestalter der Kirche "Austrasiens", d.h. des Ostens des
Frankenreiches, viel mehr denn als Missionar. Gerade darin aber entzieht er sich einer
allzu leichten Vereinnahmung, begegnet uns vielmehr in seiner ganzen Fremdheit und
Sperrigkeit.
Fremdheit und historische Distanz.
Es hieße, den historischen Graben zwischen ihm und uns zu ignorieren, wenn wir uns
nicht zunächst dieser Fremdheit und Sperrigkeit aussetzten. So leicht läßt sich Gestalt
und Wirken des hl. Bonifatius nicht aktualisieren. Vier Momente dieser Fremheit mögen
genannt werden.
1. Kein Sinn für ”Inkulturation”: Inkulturation im heutigem Sinne ist dem
historischen Bonifatius ziemlich fremd, ganz zu schweigen von "interreligiösem Dialog".
Die heidnische Religion ist für ihn selbstverständlich Werk des Teufels; die Menschen
von ihr zu befreien, heißt sie aus der Herrschaft Satans zu befreien. Aber auch
pädagogische Anpassung in den Gebräuchen, abgesehen von dem speziellen bereits
erwähnten Fall der Kultsukzession, findet man bei ihm eigentlich kaum. Schärfstens
geht er immer wieder vor gegen heidnischen Aberglauben, gegen Amulette, gegen
Opfermähler, gegen alles, was aus dem Heidentum stammt. In unseren Köpfen hat sich
ja die Vorstellung festgesetzt, daß die Kirche im frühen Mittelalter heidnische
Gebräuche übernommen, umgeformt, und so allmählich, manchmal bis in
Abergläubische, verchristlicht habe. Das gilt jedoch meist erst für viel spätere Zeiten, oft
erst für das Spätmittelalter oder gar erst die frühe Neuzeit. Bei Bonifatius selber herrscht
zunächst einmal eine ganz andere Linie vor: rigoroser Kampf gegen alle heidnischen
3
Br. 80 (Briefe des Bonifatius, 261).
5
Gebräuche, nicht Anpassung und positive Anknüpfung. Dazu gehört u.a. Kampf gegen
das Essen von Pferdefleisch, das ja bei den heidnischen Opfermählern der Germanen
eine religiöse Bedeutung hatte. Hinzu kommt bei ihm persönlich die offensichtliche
Schwierigkeit, sich in die ganz andere Welt des östlichen Frankenreichs innerlich
einzufühlen, vor allem in das dortige mit Heidnischem vermischte Christentum. Er maß
alles an dem geordneteren Maßstab der angelsächsischen Kirche, der er entstammte;
und zumal dort, wo er sich auf römische Traditionen und päpstliche Weisungen berufen
konnte, kannte er keine Kompromisse.
2. Kirchenzucht und Kampf gegen das Heidentum mithilfe des weltlichen
Arms: Für Bonifatius ist die Unterstützung durch die fränkische Staatsgewalt, d.h. vor
allem durch den Hausmeier, von elementarer Wichtigkeit, sowohl um die Ordnung der
Kirche aufrechtzuerhalten, wie um heidnische Bräuche, durchaus auch mit Gewalt, zu
unterdrücken. Wie wenig er ohne die fränkische Staatsgewalt auszurichten vermochte,
wird deutlich im Brief an den vertrauten Bischof Daniel von Winchester: "Ohne den
Schutz des Frankenfürsten kann ich weder das Kirchenvolk leiten noch die Priester und
Geistlichen, die Mönche und Gottesmägde beschirmen noch ohne seinen Auftrag und
die Furcht vor ihm heidnische Bräuche und die Greuel des Götzendienstes in
Germanien verhindern"4. Wenn faktisch seine Mission weniger “Zwangsmission” war,
als aus diesen Worten zu sprechen scheint, dann einmal wegen der notorischen
Schwäche frühmittelalterlicher Staatsgewalt, welche zur Folge hatte, daß im ganzen
Zwang und Gewalt in der Mission des frühen Mittelalters eine geringere Rolle spielten,
als die offizielle kirchliche Doktrin zuließ, dann weil bei ihm die Hausmeier (Karl Martell
und dann nach 747 wieder Pippin) mehr politische Rücksichten auf den Adel nahmen,
als Bonifatius lieb war. Diese enge Bindung an die staatliche Zentralgewalt ist freilich im
Lichte der damaligen Alternative zu sehen. Und diese lautete nicht: eine freie Kirche,
auf ihre eigenen Kräfte gestützt. Sondern: eine von den lokalen Machthabern und
schließlich von den örtlichen Grundherren beherrschte Kirche. Es war entweder eine
durch das Eigenkirchenwesen völlig zersplitterte Kirche, in welcher der einzelne Priester
von seinem Eigenkirchenherrn abhängig war und die Bischöfe jegliche reale Kontrolle
über den Klerus verloren; oder es war der Zustand, wie er in den Diözesen Trier, Mainz
4
Br. 63 (Briefe des Bonifatius, 191).
6
und Lüttich vom 7. zum 8. Jahrhundert bestand: daß das Bistum generationenlang vom
Vater auf den Sohn überging, von einer Dynastie beherrscht, die von keiner
Zentralgewalt kontrolliert wurde. Im allgemeinen gilt im Frühmittelalter: Die Kirche wird
entweder vom Königtum oder vom Adel beherrscht. Im ersteren Fall bestehen
tendenziell mehr Chancen, gewisse objektive Normen und Grundsätze der kirchlichen
Tradition zur Geltung zu bringen. Von da aus herrscht von Bonifatius über die
Karolingerzeit bis zur ottonischen und frühsalischen Zeit jene offizeille kirchliche Linie
vor, die man "Option für das Königtum" nennen könnte. Erst durch die "gregorianische
Wende" des 11. Jahrhunderts wird diese Linie ihre erste Brechung und Krise erfahren.
3. Archaisch-religiöse Petrusverbundenheit: Noch spezifischer ist freilich für
Bonifatius die Bindung an Rom als an den Sitz Petri. Bonifatius besucht nicht nur
dreimal in seinem Leben die ewige Stadt, holt sich nicht nur 722 die Bischofsweihe in
Rom, 732 mit dem Pallium die Erzbischofswürde, ordnet nicht nur als päpstlicher Legat
die Kirche Germaniens. Vor allem fragt er immer wieder an, oft in scheinbaren
Kleinigkeiten, etwa ob bei der Meßfeier ein oder zwei Kelche auf dem Altar stehen
sollen (denn damals war die Kelchkommunion der Laien noch allgemein üblich)5, oder
wieviel Kreuzzeichen beim Meßkanon zu machen seien6. Er will immer wieder wissen,
wie es die römische Kirche in Lehre und Praxis hält (“quomodo teneat vel doceat haec
sancta Romana ecclesia”7). Rom ist der Ort privilegierter Tradition; und der Papst ist
einfach der Sprecher und Zeuge dieser Tradition. Er soll nicht so sehr Entscheidungen
fällen, als Zeugnis geben. Indem man sich an Rom hält, ist man den Aposteln, ist man
dem heiligen Petrus nahe. Der Papst tritt hier als Person noch völlig zurück; er ist noch
nicht "Stellvertreter Christi", sondern "Stellvertreter Petri": in ihm und durch ihn handelt
Petrus vom Himmel herab; Petrus ist es, der Bonifatius auf apostolische Reise schickt
und ihn sendet, nicht Gregor II. oder Gregor III. Und Bonifatius unterscheidet gewiß
nicht zwischen dem Notwendigen kirchlicher Einheit und den Dingen, wo
5
Br, 26 (Briefe des Bonifatius, 91 f.).
6
Br. 78 (Briefe des Bonifatius, 301).
7
So in der Wiedergabe seiner Anfragen durch Papst Gregor II.: Br. 26 (Briefe des hl.
Bonifatius, 91).
7
Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit herrschen soll und kann. Denn für ihn bildet wie
für die meisten Menschen des frühen Mittelalters alles in Glauben und Leben eine
Einheit, vom Glauben und der Litzurgie bis zu jener Frage, die selbst Papst Zacharias
offensichtlich zuviel war, als er dem Bonifatius erwiderte: "Du hast gefragt, nach wie viel
Zeit man Speck essen soll. Uns ist dafür von den Vätern keine Weisung gegeben. Wir
geben Dir daher aber auf Deine Bitte den Rat, ihn erst zu essen, wenn er über dem
Rauch getrocknet oder auf dem Feuer gekocht worden ist; hat man aber Lust ihn
ungekocht zu essen, soll man das erst nach dem Osterfeste tun"8 (also nicht in der
Fastenzeit). Man hat diese Rombindung des Bonifatius kritisiert, von protestantischer
und - im Namen eines legitimen kirchlichen Pluralismus - auch von katholischer Seite
aus. Man könnte hervorheben, daß hier an die Stelle der bisher auch im lateinischen
Westen bestehenden Vielheit von Landeskirchen
zwar noch keineswegs der
administrative römische Zentralismus tritt (der war in der Karolingerzeit undenkbar: die
Kirche regiert der König, erst recht unter Karl dem Großen), wohl aber die Vorstellung,
"katholisch" bedeute Angleichung in Liturgie und Recht (und nicht nur im Glauben) an
die römische Kirche. Man kann auch mit Recht darauf hinweisen, daß so etwas Gregor
dem Großen noch fremd war, der vielmehr 601 an Erzbischof Augustinus von
Canterbury schreibt, er solle bei den Angelsachsen nicht unbedingt die römische
Liturgie einführen, sondern was immer er aus Rom, Gallien oder sonstwo gut finde9.
Was jedoch diesen Eindruck der Fremdheit verstärkt, ist, daß diese Angleichung an
Rom und an die römische Petrustradition bei Bonifatius und seinen Zeitgenossen, erst
recht später bei Karl dem Großen, einen ausgesprochen archaisch-religiösen
Hintergrund hat. Das wird schon deutlich, als im Heimatland von Bonifatius, im
Königreich Northumbria, etwa ein Jahrzehnt vor seiner Geburt auf der Synode von
Whitby 664 entschieden wird, den römischen Ostertermin und nicht den irischen zu
übernehmen. Die Iren berufen sich als Autorität auf den hl. Kolumban, die römische
Partei auf den hl. Petrus. Die Entscheidung fällt König Oswiu. Als er von den Worten
Jesu in Mt 16,18 f. hört, vor allem, daß dem hl. Petrus die Schlüssel des Himmelreiches
8
9
Br. 87 (Briefe des Bonifatius, 299).
Beda der Ehrwürdige, Kirchengeschichte des englischen Volkes, übers. V. G. Spitzbart,
Wissenschaftl. Buchgesellschaft Darmstadt 1997), I 27 II (S. 87).
8
verliehen sind, fragt er die Iren, ob sie ähnliche Wort Jesu an den hl. Kolumban
anführen könnten. Natürlich können sie solche nicht bieten; und damit steht für den
König die Entscheidung fest: Wenn Petrus die Schlüssel des Himmels hat, dann wolle
er ihm nicht widersprechen, “damit nicht dann, wenn ich zur Pforte des Himmels
komme,
niemand ist, der aufmacht, weil der sich abgewendet hat, der
öerwiesenermaßen die Schlüssel besitzt”10. Aber auch über diese mehr als interessante
Episode hinaus ist bei Bonifatius und dann in der ganzen Karolingerzeit bei der Übernahme der römischen Liturgie im Hintergrund die Vorstellung leitend: In der Religion
und speziell im Kult kommt es auf die "richtigen" Vollzüge, auf den "korrekten" Verlauf
an; jedes Wort muß stimmen, es muß von der richtigen Person zur rechten Zeit richtig
ausgesprochen werden, sonst wird die göttliche Wirklichkeit nicht erreicht. Und die
beste Garantie für die "richtigen" religiösen Vollzüge ist die Tradition des hl. Petrus, die
vor allem durch sein Grab, in dem er nach wie vor wirkt und präsent ist, in der römischen Kirche gegenwärtig ist11. Es ist eine durchaus archaisch-religiöse Vorstellung, die
10
11
Ebd. III 25 (S. 295).
Dazu bes.: R. Schieffer, “Redeamus ad fontes”. Rom als Ort authentischer
9
bei dieser Ausrichtung an den Gebräuchen der römischen Kirche im Hintergrund steht.
Überlieferung im frühen Mittelalter , in: A. Angenendt / R. Schieffer, Roma - Caput et Fons. Zwei
Vorträge über das päpstliche Rom zwischen Altertum und Mittelalter. Opladen 1989, 45-70; A.
Angenendt, Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900. Stuttgart
1990, 456 f.; K. Schatz, Königliche Kirchenregierung und römische Petrus-Überlieferung im
Kreise Karls des Großen, in: R. Berndt (Hsg.), Das Frankfurter Konzil von 794.
Kristallisationspunkt karolingischer Kultur. Mainz 1997, 357-371.
10
4. Gerichtsangst: Bonifatius lebte wesentlich aus der Angst vor dem göttlichen
Gericht, in einem Maße, daß es seiner Religiosität in unseren Augen etwas
Bedrückendes verleiht12. Das ist einmal zeitgeschichtlich bedingt, hängt aber auch
wiederum mit seinem Charakter und seinem Werdegang zusammen: absolut lauter,
sehr gewissenhaft, sehr genau, sicher mit einem Hang zum Perfektionismus, fühlt er
sich auch leicht überfordert, und dies insbesondere in der ihm immer bis zu einem
gewissen Grade fremden Wirklichkeit Germaniens. Und dies verstärkt sich bei ihm im
Alter. Gerade gegen Ende seines Lebens erscheint er angefochten von sehr
pessimistischen Stimmungen, von Zweifeln am Erfolg seiner Tätigkeit, die dann in
Schuldgefühle übergehen. So schreibt er 747 an Erzbischof Cudbert von Canterbury:
Synodenbeschlüsse seien zwar erfolgt, aber sie drohten auf dem Papier stehen zu
bleiben, die Realität werde durch sie noch nicht verändert; "und um beispielsweise zu
sagen, wie ich in Angst bin, wir haben in den Fluten eines wilden Meers ein für allemal
ein Schiff zu steuern übernommen, das wir weder richtig lenken können noch auch
ohne Sünde im Stich lassen dürfen"13. Und dann kommt die nagende Frage: Habe ich
versagt? Er selbst, gewissenhaft bis ins Letzte, lebt aus all den Schriftstellen, die an die
Hirten gerichtet sind, die von Wachsamkeit und Hirtensorge sprechen, aber auch das
"Wehe" verkünden für die verantwortungslosen Hirten, die sich selbst weiden. "Diese
und ähnliche Betrachtungen haben mich erschreckt, und Furcht und Zittern ist über
mich gekommen, und die Finsternis meiner Sünden hat mich fast zugedeckt, und das
einmal übernommene Steuer der Kirche gänzlich aus der Hand zu geben, wäre mir lieb
und recht gewesen, wenn ich das bloß fertig brächte"14. Und doch ist auch für ihn die
Angst vor dem Gericht nicht das Letzte, sondern das Vertrauen auf den, der letzten
Endes wirkt und ihn berufen hat. Und deshalb fährt er im selben Brief fort: "Vertrauen
wir dem, der uns die Last auferlegt hat. Was wir nicht durch uns tragen können, wollen
wir durch den tragen, der allmächtig ist und sagt: Mein Joch ist süß und meine Bürde ist
12
Dazu immer noch lesenswert: E. Iserloh, Die Kontinuität des Christentums beim
Übergang von der Antike zum Mittelalter im Lichte der Glaubensverkündigung des hl. Bonifatius:
TrThZ 63 (1954), 193-205.
13
Br. 78 (Briefe des Bonifatius, 243).
14
Ebd. (251).
11
leicht"15. In einer letzten Dimension weiß er die Antwort - aber emotional ist für ihn die
Gerichtsangst doch stärker.
Ist uns also nicht Bonifatius so fremd gerückt, sind nicht gerade die historischen
Rahmenbedingungen und mentalen Voraussetzungen seines Wirkens so radikal
anders, daß es schwer fällt, von seiner aktuellen Bedeutung zu sprechen? Daß seine
geschichtliche Wirkung, keineswegs nur für die Kirche Deutschlands, sondern für das
ganze Abendland, immens ist, steht außer allem Zweifel; es sei nur an die spezifische
Rombindung erinnert, die er der fränkischen und in den Konsequenzen der ganzen
abendländischen Kirche übermittelte, ob man sie nun in jeder Hinsicht positiv beurteilt
oder nicht. Aber können wir dem, was er zu seiner Zeit gewollt, versucht und
verwirklicht hat, exemplarische Bedeutung für uns heute abgewinnen, ohne im Grunde
anachronistisch zu werden?
Fünf bleibend gültige Dimensionen christlicher Glaubens-Weitergabe.
Dennoch erscheinen durch alle Fremdheit hindurch in Bonifatius Dimensionen des
Christseins und seineer Weitertradierung durch die Geschichte hindurch, die für alle
Zeiten Gültigkeit behalten und die wir gerade heute wieder in Gefahr sind, aus dem
Blick zu verlieren.
15
Ebd.
12
1. Mission gegen Gentilreligion. Hier geht es um jenen Impuls, der Bonifatius
beseelte, als er seinem Leben eine ganz neue Richtung gab. Er war nicht nur kein
junger Mann mehr, er war auch nicht irgendwer, als er 716 seine angelsächsische
Heimat verließ und sich der Mission widmete. Er war war ein anerkannter und
angesehener Lehrer, nämlich Leiter der Klosterschule von Nursling, literarisch
hochgebildet, Verfasser mehrerer Schriften, sicher einer der bedeutendsten geistigen
Köpfe in der angelsächsischen Kirche seiner Zeit. Wenn wir freilich fragen, was ihn
genau motivierte, diese Wende zu vollziehen, dann lassen uns die Quellen im Stich. Wir
kennen nicht seine persönlichen Motive. Aber wir kennen die Tradition und die
geistliche Linie, in die er sich stellte. Und das war das geistliche Ideal der Peregrinatio,
wie es zuerst von vielen irischen Mönchen und Glaubensboten, dann in ihrer Nachfolge
von Angelsachsen gelebt wurde. Es war das Ideal, Christus dadurch radikal
nachzufolgen, daß man sich von allen Bindungen an Heimat, Familie und Zuhause löste
und in die Fremde zog. Es war zunächst ein rein asketisches Ideal; es bekam aber
schon bei den Iren, etwa bei Kolumban um 590, einen missionarischen Sinn: sich von
der Heimat lösen, um fremden Völkern das Evangelium zu verkünden. Und das war von
historisch folgenschwerer Bedeutung. Denn Mission als Aufbrechen zu fremdenVölkern
war, anders als wir denken, im frühen Mittelalter zunächst einmal nicht ein
selbstverständliches christliches Ideal. Das Wiederaufbrechen der universal-missionarischen Dimension des Christentums war vielmehr eine überraschende und neue
Entwicklung16. Denn das Christentum war drauf und dran, bei den bereits bekehrten
Reichen und Stämmen zur Reichsreligion oder Stammesreligion zu werden. Es war das
gentilreligiöse Verständnis: Jedes Volk hat seine Götter; die Kraft der Götter wurzelt im
Boden; und wer anderswohin zieht, unterstellt sich anderen Göttern. Nun wurde im
westlichen Christentum an zwei Stellen dieses gentilreligiöse Verständnis aufgebrochen
und missionarisches Bewußtsein der Sendung für alle Völker neu geweckt: bei den
Iren, vom Ideal ihrer "Peregrinatio" als radikaler Christusnachfolge her; und in Rom, von
der universalen Verpflichtung des römischen Bischofs her, speziell seit Gregor dem
Großen, der im Jahre 596 die Initiative zur Angelsachsenmission ergriff. Beides kommt
16
Dazu vor allem W. Fritze, Universalis gentium confessio. Formeln, Träger und Wege
universalmissionarischen Denkens im 7. Jahrhundert, in: Frühmittelalterliche Studien 1969, 78130.
13
gleichsam bei Bonifatius zusammen.
Nun ist sicher gentil-religiöses Denken in seiner spezifisch archaischen Form
keine Versuchung für uns. Aber in der Form, daß einzelne Religionen nicht für alle
Völker wahr oder falsch, sondern jeweils nützlich oder hilfreich für die einen, weniger
hilfreich für die andern sind, ist es speziell im Rahmen der Postmoderne, die von allen
universalen Wahrheitsansprüchen Abstand nimmt, und den “pluralistischen”
Religionstheorien wieder ungeheuer aktuell. Es begegnet in der ganz selbstverständlich
auch bei vielen Christen verbreiteten Vorstellung: Das Christentum ist die kulturellreligiose Tradition, aus der wir leben; andere leben, genau so glücklich, aus anderen
Traditionen. Mission in dem Sinne, andere, wenn auch noch so behutsam, von der
eigenen Wahrheit zu überzeugen, gilt dann schon als sublimer Imperialismus. Nur ist
eben Mission keine Zugabe der christlichen Kirche. Christentum gibt es nur, weil es
Mission gibt; sonst wäre es beim Judentum geblieben, wiederum einmal abgeshen
davon, daß dieses selbst in der Zeit Jesu missionarischer war, öals uns meist newußt
ist. Mission als Sendung zu allen Völkern, und dies in der Sendung des auferstandenen
Christus gründend, ist Seinsgrund des Christentums überhaupt. Aber die Geschichte
zeigt, daß diese missionarische Dimension immer wieder neu entdeckt und gegen die
Versuchung gentil-religiöser Selbstgenügsamkeit erkämpft werden mußte. Diese
missionarische Dimension hat wiederum, wie schon im Frühmittelalter und besonders
bei Bonifatius, zwei wesentliche Wurzeln und Angelpunkte: eine spirituelle und eine
institutionelle. Es ist die radikale Christusnachfolge und die universalkirchliche Einheit,
verkörpert im römischen Bischof als Zentrum dieser Einheit. Wo der Sinn für beides
schwindet, schwindet auch der sinn für Mission.
2. Tradition gegen allzuleichte Anpassung: Bonifatius sagt uns die auch heute
bitter notwendige Wahrheit, daß bei dem Schritt der Kirche zu neuen Völkern oder
überhaupt bei geschichtlichen Übergangsprozessen die Devise nicht einfach
Anpassung sein kann. Eine solche Anpassung kann sich als ein sehr gefährlicher Irrweg
erweisen und das Salz des Christentums schal machen. Denn Bonifatius hatte es mit
einer Kirche zu tun, die sich in erschreckender Weise an die Lebenswelt und die
Moralvorstellungen des germanischen Kriegsadels angepasst hatte, in welcher
Anpassung an das Germanische auf Kosten der christlichen Substanz gegangen war.
Ein Großteil der Probleme der "Verweltlichung" des Klerus, mit denen Bonifatius zu
14
kämpfen hatte, hängt zusammen mit der Germanisierung des Christentums, der
Anpassung an die Normen und Wertmaßstäbe des germanischen Kriegsadels. Von
dem Moment an, wo dieser germanische Kriegsadel in den Besitz der Bischofsstühle
kommt, wo in den Bischofslisten von Köln, Trier oder Straßburg nicht mehr lateinische,
sonder germanische Namen auftauchen - und das ist meist um 600 der Fall - leben
diese Bischöfe auch wie Herren ihres Standes. Und von dem Moment an häufen sich
die Klagen, daß die Bischöfe der Jagd ergeben sind und selber in den Krieg ziehen17.
Dies gehört aber einfach zum Adel hinzu. Wir haben zur Zeit von Bonifatius das Beispiel
des Bischofs Gewilib von Mainz, der Blutrache übte, indem er auf einem
Sachsenfeldzug den Mörder seines Vaters und Vorgängers auf dem Mainzer
Bischofsstuhl unter dem Schein einer Unterredung zu sich herbeilockte und dann
umbrachte. Dieser Bischof wurde zum Schluß auf Betreiben von Bonifatius auf einer
Synode abgesetzt - nur dadurch wurde ja Bonifatius 745 Bischof von Mainz;
ursprünglich war er für Köln vorgesehen. Aber dieser Gewilib war kein Unmensch.
Bezeichnend ist, daß er in der Mainzer Überlieferung, die doch sicher eher Bonifatius
als Heiligen aufwertet, in positiver Erinnerung blieb, so daß noch zwei Bonifatiusviten
aus dem 11. Jahrhundert ihn entschuldigen und Verständnis für ihn zu wecken
suchen18. Er hatte im Grunde nur das getan, was ihm als einem Mann von Adel seine
Ehre gebot. Ihm das zu verbieten, war wie wenn man heute einem Bischof verbieten
würde, Prozesse vor staatlichen Gerichten zu führen. Wer sich entrüstete, waren
17
18
E. Ewig, in: H. Jedin (Hsg.), Handbuch der Kirchengeschichte II/2. Herder 1975. 111.
W. Levison (Hsg.), Vitae Sancti Bonifatii (Scriptores Rerum Germanicarum 57).
Hannnover-Leipzig 1905. 90-93. 154-157.
15
Bonifatius und seine angelsächsischen Begleiter.
Im konkreten historischen Kontext der jeweiligen Zeitumstände sehen “Skandale”
oft viel harmloser aus, ja lassen sich legitimieren und entschuldigen. Der Historiker kann
sich nicht davon dispensieren, die Dinge auch aus dieser Warte zu beleuchten und zu
verstehen zu versuchen. Die Frage ist nur, ob diese historische “Bodenperspektive” die
einzige und letzte sein muß. Eine Kirche, die sich an die gängigen Zeitvorstellungen
anpaßt, mag zwar in ihre Zeit “passen”, muß sich jedoch oft später sagen lassen, daß
sie in erschreckender Weise blind gewesen ist. Vielleicht ist ein solches Urteil
manchmal “unhistorisch” und in vielem ungerecht (wie so viele nachträgliche Urteile
über das Verhalten von Kirche und Katholiken in der NS-Zeit und speztiell im Jahre
1933), aber doch, wenn man nicht ganz im historischen Moment und seinen
Augenblicksbedingungen vergeht, nicht ganz ohne Berechtigung.
Mehr noch: Richtig verstandene christliche "Inkulturation", also Einpflanzung des
Christentums gerade in seinem unterscheidenden Charakter gelingt dort nicht, wo
"Inkulturation" in recto als Ziel intendiert wird. Überall, wo dies so direkt versucht worden
ist und wird, war und ist das Ergebnis entweder Häresie, wo es um die Lehre geht, oder
moralische Verirrung, in jedem Fall Verkürzung des Christlichen. "Inkulturation" in
richtigem Sinne - die übrigens eine sehr langsam wachsende und reifende Pflanze ist gelingt nur, wo man in recto einfach Christentum und christliches Leben intendiert und
sich in die christliche Tradition einfügt, und dies natürlich als Mensch seiner Zeit, seiner
Kultur und seines Volkes.
Und in diesem Kontext steht auch die Rombindung des Bonfatius. Sie hat sicher
ihre uns sehr fremden Begleitvorstellungen. Aber, was sie vielleicht gerade als Korrektiv
einer heute oft allzu personenfixierten Papstbiundung wichtig erschienne läßt, sie ist gar
nicht auf die Person der Päpste konzentriert. Sie ist objektiver. Und gewiß haben auch
nicht alle Päpste die Situation, in der sich Bonifatius befand, verstanden. Sein erster
Papst, Gregor II. (715-31), ein Römer, der klar erkannte, daß die Zukunft der Kirche im
Westen und bei den Germanen lag, war wohl der weitsichtigste und flexibelste. Der
Nachfolger Gregor III. (von Abstammung Syrer, 731-41) konnte sich schon schwerer in
die germanischen Wälder hineindenken. Dies gilt recht für Zacharias (745-51), einen
16
Griechen, der im Grunde nur imstande war zu sagen: So ist das kirchliche Recht, und
so muß es sein. Anderseits entsprach das ja auch wieder dem, was Bonifatius von den
Päpsten erwartete: Zeugnis geben von der römischen Tradition. Rom ist für Bonifatius
vor allem der Punkt, wo die Kirche mit ihrem apostolischen Ursprung verbunden ist. Und
wo es darum ging, eine verweltlichte, mit dem Heidentum vermischte Kirche wieder in
Ordnung zu bringen, da konnte dies für ihn nur im engsten Anschluß an jene Instanz
geschehen, die die Tradition verkörpert, an Rom. Deshalb läßt er sich von den Päpsten
die Sendung geben, läßt sich in Rom zum Bischof weihen. Nicht weil er dies aus
praktischen Gründen brauchte: für die Effizienz ist die Beziehung zur fränkischen
Staatsgewalt wesentlich wichtiger, denn regiert wird die fränkische Kirche nicht von
Rom, sondern vom König, bzw. vom Hausmeier. Nicht also aus praktischen Gründen,
sondern weil er dem Zentrum der christlichen Einheit besonders nahe sein will und weil
er sein Apostolat aus der Mitte dieser Einheit erfüllen will; dann ist er wirklich "von
Petrus gesandt".
3. Verbindlichkeit gegen Auswahlchristentum: Der christlich-heidnische
Synkretismus der Zeitgenossen des Bonifatius, die meinten, Christus und gleichzeitig
Donar oder Wotan dienen zu können, mag in dieser Weise nicht unsere Versuchung
sein, ist jedoch in gewandelter Gestalt wieder erschreckend modern, nämlich in der
verbreiteten Tendenz, sich aus beliebigen Versatzstücken seinen “persönlichen”
Glauben zusammenzusetzen, wobei letztlich das einzige Kriterium das ist, was mir
subjektiv “Lebenshilfe” bietet. Oder wenn damals die Taufe zu einer magischen Segensund Zauberformel wurde, zu allem brauchbar, losgelöst von ihrem kirchlichen Kontext,
dann gibt es heute, im evangelischen Bereich freilich viel mehr, aber auch vereinzelt
unter
katholischen
Priestern,
die
Meinung,
im
Sinne
einer
unbegrenzten
Gastfreundschaft die Eucharistie Allen spenden zu können, auch Nichtchristen, auch
solchen, die nicht getauft sind. Diese Tendenz ist zumal unter solchen, die nur noch
lockere Kirchenbindung haben, sehr verbreitet und entspringt einer vagen Religiosität,
wo es alle möglichen Riten, heilige Zeichen und Formen des Segens gibt, letzten Endes
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alles nützlich, im Sinne unbegrenzter Offenheit Allen angeboten, aber alles beliebig.
Damit zusammen hängt die Tendenz, christliche Riten wie Taufe, Erstkommunion,
Firmung und Ehe als numinos-sakrale Ausschmückung von Lebenswenden oder als
allgemeine Segenszusagen haben zu wollen, ohne damit sich in eine christliche
kontinuierliche Lebenspraxis einzubinden. Das Problem war auch zur Zeit von
Bonifatius, daß christliche Riten gerne und bereitwillig übernommen wurden,
unverstanden schon wegen der lateinischen Sprache, die jedoch häufig die Priester
selbst nicht verstanden oder verballhornten, aber gerade wegen ihrer Exotik umso faszinierender und anziehender, und dies zusätzlich zu heidnischen Gebräuchen, daß
Christentum als ein Sammelsurium von magischen Praktiken übernommen wurde.
Bonifatius und die Reformer mit ihm forderten hier einmal ein Minimum an
Lehrunterweisung und Katechese, dann stellten sie gewisse Minimalforderungen
christlicher Lebenspraxis auf. - Und so radikal unterschiedlich auch die damalige
Situation von der heutigen ist, gemeinsame Einsicht bleibt: Christlicher Glaube bildet ein
Ganzes, nicht durch uns willkürlich zusammensetzbar, sondern auf Offenbarung durch
Christus beruhend und durch die Kirche überliefert, und seine Einzelteile sind ohne
dieses Ganze weder zu haben noch sinnvoll.
4. Gleichgewicht von kirchlicher Struktur und geistlichen Zentren: Es gab
gerade zur Zeit des Bonifatius einen massiven Trend der "Privatisierung" des
Kirchlichen. Dies war das Eigenkirchenwesen. Denn die altkirchliche Gemeindestruktur,
die im Bischof ihren Mittelpunkt hatte, war an eine damals schon vergangene politischsoziale Ordnung gebunden. Dies war die antike hellenistisch-römische Stadtkultur. Der
Bischof war der Seelsorger der Stadt; kirchliche Öffentlichkeit, u.a. sichtbar in den
Bischofswahlen, spielte sich in der Öffentlichkeit der Stadt ab, welche den primären
Lebensraum für den antiken Menschen bildete. Das Land war hier eher Zubehör; es war
auch kirchlich unzureichend erfaßt.
Und auf den Wandel, der nun geschah, war die kirchliche Organisation
unzureichend oder gar nicht vorbereitet. Die Städte verfielen, wurden immer kleiner, und
gleichzeitig wurde das Land immer mehr christianisiert; ja, rechts des Rheins wurden
weite Gebiete christianisiert, die nie zum Römischen Reich gehört hatten und keine
Städte, daher auch keine bischöfliche Organisation kannten. Hier bildete sich nun das
Eigenkirchenwesen als "Religion in Privatregie". D.h. adlige Grundherren gründeten
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"ihre" Kirche, stellten "ihren" Priester an, der ihnen praktisch völlig unterstand (nicht
selten war er auch ihr Sklave oder Leibeigener); und die Erwartung war, daß dieser
Priester ihren religiösen Bedürfnissen zur Verfügung stand, ihnen göttlichen Segen und
Heil verbürgte. Die ganze Entwicklung in den Sakramenten, z.B. in der Taufspendung,
der Buße und in der Meßfeier, geht damals in die Richtung der Privatisierung dessen,
was einmal öffentlicher Gemeindevollzug war, und zwar wesentlich auch deshalb, weil
die altkirchliche Gemeinde in einer Welt, in der die Mehrzahl der Menschen nicht einmal
in Dörfern lebte, sondern auf Einzelhöfen, gar nicht mehr realisierbar war. Gerade die
irischen Glaubensboten waren diesen Bedürfnissen einer "Privatreligiosität" bis zu
einem gewissen Grad entgegengekommen. Anderseits brachten sie von Irland eine
neue Gestalt von Kirche mit, deren Mittelpunkt nicht mehr der Bischof, sondern das
Kloster war. Sie zogen entweder wandernd umher, predigten überall, weihten auch
Priester, die aber dann keinem Bischof fest unterstanden. Oder sie gründeten Klöster,
residierten dann als Klosterbischof in einem Kloster, hatten jedoch weder eine fest
umschriebene Diözese noch einen Klerus, der ihnen unterstand. Die Bedeutung von
Bonifatius besteht nun darin, daß er, so zunächst in Bayern 739, dann auf dem
"Concilium Germanicum" von 742, auch in den rechtsheinischen Gebieten Bistümer und
kirchliche Organisation errichtete, und zwar Bistümer mit klar umschriebenen Grenzen,
flächendeckend, die auch das Land umfaßten, denen ein Klerus fest zugeordnet war;
von den heute noch existierenden Bistümern waren dies Würzburg und Eichstätt. Weiter
war wichtig, daß er für feste Strukturen und kirchliche Ordnung oberhalb der Bistümer
sorgte: d.h. für Metropolitanorganisation und vor allem für Synoden, die für ihn äußerst
wichtig als Mittel der Kirchenreform waren. Anderseits sind auch für ihn Klöster wichtig:
als geistliche Mittelpunkte und Kraftzentren, als Stätten der Bildung und Ausbildung. Er
hat nicht nur Bistümer gegründet, sondern auch Klöster: die Männerklöster Amöneburg,
Ohrdruf, Fritzlar, schließlich als Krönung Fulda, die Frauenklöster Tauberbischofsheim,
Kitzingen und Ochsenfurt.
Und diese Doppelstruktur ist wohl in allen Epochen und auch heute für das
Leben und das rechte Gedeihen der Kirche lebenswichtig: einerseits bischöflichsynodale
Kirchenorganisation,
anderseits
geistliche
Zentren
oder
geistliche
Gemeinschaften. Die rechtliche Form, wie beides im Verhältnis zueinander steht,
wandelt sich in erheblichem Maße im Laufe der Zeit; aber beides ist und bleibt für die
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Kirche wichtig. Ohne feste Struktur zerfällt das kirchliche Leben; ohne geistliche Zentren
und lebendige Kommunitäten, ob Ordensgemeinschaften oder moderne geistliche
Geimeinschaften, trocknet es aus. In beiden Fällen wird der Wildwuchs der
Privatisierung des Religiösen gerade nicht aufgefangen, bzw. ödie berechtigten
Bedürfnisse einer “persönlicheren” Religiosität gerade nicht integriert: Kirche präsentiert
sich dann entweder als “geist-lose” Struktur oder als ungeordnete Bewegung.
5. Buch und Lesekultur: Was Bonifatius in Briefen an seine angelsächsischen
Freunde und Bekannte - abgesehen von Gebetshilfe - immer wieder erbittet, was sein
Lebenselixier bildet, sind Bücher. Denn damals sind die britischen Inseln der einzige
Fleck des westlichen Europa, wo es geistige Tätigkeit gibt, wo abgeschrieben und
Neues geschrieben wird - wir sind noch nicht in der Zeit Karls des Großen, wo auch im
Frankenreich das geistige Erwachen beginnt und wieder Bücher geschrieben und
abgeschrieben werden. Und am wichtigsten ist für ihn das Wort Gottes, die Heilige
Schrift. "Wer die finsteren Winkel der Völker Germaniens durchziehen muss, würde in
die Schlinge des Todes fallen, wenn er nicht als Leuchte für die Füße und als Licht auf
seinen Wegen das Wort Gottes hätte" - so schreibt er um 735 an die Äbtissin Eadburg,
der er für die empfangenen Bücher dankt19.
Christliche Religion ist zumindest bei denen, die ihre verantwortlichen Tradenten
sind, ob Priester oder Laien, auf Lesen und Lesekultur angewiesen. Die Tradierung des
Christentums beruht auf bestimmten Bildungsvoraussetzungen; und die lassen sich
nicht einfach auf Spezialisten abschieben, weil diese ja nicht nur die Aufgabe haben,
Kenntnisse zu vermitteln, sondern kirchliches Bewußtsein zu prägen, und gerade diese
Aufgabe nicht mehr erfüllen könnten, wenn sie nicht in einem größeren Medium des
theologischen Interesses und der Lesekultur leben. Und es kann Zeiten geben, wo
diese Bildungsvoraussetzungen nicht selbstverständlich sind, wo sie in der profanen
Gesellschaft
dahinschwinden
und
wo
die
Kirche
selber
sich
diese
Bil-
dungsvoraussetzungen wieder neu schaffen muß, wie im Frühmittelalter und vielleicht in
ganz anderer Weise heute. Die Anstrengung des Lesens, die Pflege einer Lesekultur,
und weiter die Beschäftigung mit der Vergangenheit, mit ihren Zeugnissen, sind nicht
nur kulturelle, sondern letzten Endes auch spirituelle Werte.
19
Br. 30 (Briefe des Bonfatius, 105).
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Es sind dies alles jnachdenklich machende Gedanken. Daß aber Bonifatius, auch
wenn er sehr streng und genau sein konnte, nicht zuletzt in Dingen der Ehemoral,
dennoch, hierin wieder echt katholisch, dennoch nicht einfach öein Verächter der guten
Dinge des Lebens war, dafür haben wir auch ein rührendes Zeugnis. So schickt er
einmal vom Rhein aus dem Bischof Ekbert von York zwei Weinfäßchen "mit der Bitte,
euch davon mit Euren Brüdern einen fröhlichen Tag zu machen"20. Auch das gehört zu
seiner Gestalt hinzu.
20
Br. 91 (Briefe des Bonifatius, 313).