Nur Befürworter von Abtreibungen erwünscht
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Nur Befürworter von Abtreibungen erwünscht
Nr. 113 | 1. Quartal 2015 | ISSN 0945-4586 | Einzelpreis 4,– € B 42890 LEBENSFORUM Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA) Ausland Abtreibung - ein Menschenrecht? Ausland Österreich streitet über Suzidhilfe Medizin »Pille danach« wird zum Kassenknüller Kommunalpolitik Nur Befürworter von Abtreibungen erwünscht LebensForum 113 In Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V. und Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e.V. (TCLG) 1 INH ALT LEBENSFORUM 113 Zum Abschuss freigegeben Dr. med. Claudia Kaminski DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR EDITORIAL 3 TITEL »Dreckig, feige und gemein« Stefan Rehder 4 »Du sollst nicht töten« Peter Winnemöller 8 BIOETHIK-SPLITTER 10 4-9 AUSLAND Anfang des Jahres hat der »Fall Hollemann« ganz München in helle Aufregung versetzt. Was wie eine Posse wirkt, wirft eine grundsätzliche Frage auf: Können Lebensrechtler in Deutschland noch ein öffentlichen Amt bekleiden? »Je suis Vincent Lambert« Georg Dietlein 15 Zwei Lesarten zur »Würde am Ende des Lebens« Stephan Baier 17 DANIEL RENNEN Abtreibung als neues Menschenrecht? 12 Stephan Baier 20 - 21 Hormonpräparate wie die »Pille danach« sind keine Smarties, sind nach ihrer Rezeptfreigabe aber ähnlich stark gefragt. MEDIZIN 20 Notwendige Evaluierung Stellungnahme 22 »Große Besorgnis« Medienstatement mehrerer Verbände 23 Das Impfdilemma Alexandra Maria Linder M. A. 24 GESELLSCHAFT Erklärtes Rechtssubjekt: der ungeborene Mensch Dr. med. Maria Overdick-Gulden 27 BÜCHERFORUM KURZ VOR SCHLUSS LESERBRIEFE IMPRESSUM 30 32 34 35 2 17 - 19 DANIEL RENNEN »Pille danach«: Der Sturm bricht los Stefan Rehder In Österreich wackelt der bisherige Konsens über die Ablehnung der Euthanasie gewaltig. LebensForum 113 E DITOR IA L 12 - 14 Die Sozialisten im EU-Parlament lassen nicht locker. Das Ziel: Abtreibung soll als Menschenrecht anerkannt werden. 27 - 29 Lesenswert: 12 Autoren nehmen aus unterschiedlichen Perspektiven das Abtreibungsgeschehen unter die Lupe. LebensForum 113 Zum Abschuss freigegeben ser sollen offenbar vermummte Gestalten erscheinen, die, mit Pflastersteinen und Molotow-Cocktails bewaffnet, vor Liebe Leserin, lieber Leser, Abtreibungspraxen aufmarschiewas wäre eigentlich in Deutschland ren. Dabei ist die los, wenn ein für fachlich geeignet gehalWirklichkeit eitener Politiker sich für das Amt des Gene ganz andere: sundheits- und Umweltreferenten einer Es sind die Ledeutschen Großstadt bewürbe und Gegbensrechtler, die ner ihm die Mitgliedschaft in einem Verjedes Jahr im September in Berlin mit ein vorhielten, der die ersatzlose Streieinem friedlichen Schweigemarsch dachung des Paragrafen 218 aus dem Strafran erinnern, dass das »Recht auf Legesetzbuch (StGB) fordert? Ein Sturm ben« auch ungeborenen Menschen zubräche los. Leitartikler würden sich die kommt. Und es sind Lebensrechtler, die Finger wund schreiben. Das Grundrecht dabei von der Polizei vor gewaltsamen auf Meinungsfreiheit würde in Stellung Übergriffen von Abtreibungsbefürworgebracht und darauf verwiesen, dass an tern geschützt werden müssen. Dass zu Recht und Gesetz sich auch halten köndiesen Gegendemonstrationen ein Bündne, wer persönlich eine andere als die dernis aufruft, dem auch »pro familia« anzeit geltende rechtliche Regelung bevorgehört, sei hier nur der Vollständigkeit zugt. Von der Errichhalber erwähnt. tung einer »MeinungsDie Strategie, die diktatur« wäre die Rehinter einer solchen »Mit welchem Argument ließe Falsch-Etikettierung de. Vermutlich würde sogar daran erinnert, ist so durchsichsich das Töten rechtfertigen?« steht, »dass nur tote Fische tig wie primitiv. Wer so mit dem Strom schwimetikettiert wird, soll in men« und dass erst der die Schmuddel-Ecke »Rechtsbruch« einen Politiker für ein Amt abgeschoben und aus dem gesellschaftlidisqualifiziere und nicht etwa schon sein chen Diskurs verbannt werden. Auf diese »kritisches Bewusstsein«. Weise will man sich die AuseinandersetVon alledem war in dem »Fall Hollezung mit den Argumenten der derart Etimann« jedoch nichts zu lesen. Der Grund: kettierten ersparen. Lebensrechtler könHerr Hollemann ist eben nicht Mitglied nen eine solche Vorgehensweise nicht tobei »pro familia«, die, obwohl sie für die lerieren, wohl aber verstehen. Denn mit Abschaffung des Paragrafen 218 StGB welchem Argument ließe sich auch das eintritt, nicht nur Beratungsstellen unTöten unschuldiger und wehrloser Menterhält, die Schwangerenkonfliktberatunschen im Mutterleib rechtfertigen? gen durchführen, bei denen das geltenZu Diffamierung und Ausgrenzung de Recht beachtet werden muss, sondern greift, wem es an Argumenten mangelt. auch selbst Einrichtungen unterhält, in Das mag funktionieren. Zugleich ist es denen Abtreibungen vorgenommen weraber das öffentliche Eingeständnis der den. Herr Hollemann ist einfaches Miteigenen Schwäche. glied der »Aktion Lebensrecht für Alle«, die für das Lebensrecht eines jeden Ihre Menschen eintritt – ganz gleich ob geboren oder ungeboren, behindert oder unbehindert, schwach oder stark, krank oder gesund. Und da gelten nun einmal andere Maßstäbe. Claudia Kaminski Da werden LebensschutzorganisatioBundesvorsitzende der ALfA nen wie die ALfA mal eben als »radikale Abtreibungsgegner« etikettiert: Vor dem geistigen Auge der Leserinnen und Le3 DANIEL RENNEN / REHDER MEDIENAGENTUR TI T EL »Dreckig, feige und gemein« Januar 2015: Der ÖDP-Politiker Markus Hollemann gilt als Wunschkandidat der CSU für das Amt des Gesundheits- und Umweltreferenten der Stadt München. Münchner Medien, allen voran die »Süddeutsche Zeitung«, skandalisieren seine Mitgliedschaft in der Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e. V. und schrecken dabei auch vor Diffamierungen nicht zurück. Ob hier Journalisten selbst Politik machten oder sich »nur« benutzen ließen, muss vorerst offen bleiben. Von Stefan Rehder M anchmal ist das Leben ziemlich absurd. Seit Anfang des Jahres zählt der protestantische Bürgermeister der südbadischen Gemeinde Denzlingen, Markus Hollemann (ÖDP), zu den wohl bekanntesten Mitgliedern der Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) in Deutschland. Und das, obwohl er als Lebensrechtler noch nie öffentlich in Erscheinung getreten war. Er stand keinem Regionalverband der ALfA vor, bekleidete auch kein anderes Ehrenamt in der Lebensrechtsorganisation, bestritt keine Podiumsdiskussionen zu Le4 bensrechtsthemen und rief zu nichts auf, was ihm den Ruf eines Lebensrechts-Aktivisten hätte einbringen können. Selbst in der ALfA kannte so gut wie niemand seinen Namen: »Markus wer?« Auf seiner Internetseite kann man über sein Engagement Folgendes lesen: »Als gläubige Christen ist mir und meiner Frau der Lebensschutz ein wichtiges Anliegen. Meine Frau begleitet schwerkranke und sterbende Menschen. Die tägliche Konfrontation mit dem Tod lässt uns die Würde und Einmaligkeit eines jeden Lebens in besonderer Weise wertschätzen. Vor einigen Jahren hat meine Frau für uns eine passive Familienmitgliedschaft bei dem überkonfessionellen Verein Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) abgeschlossen. ALfA setzt sich unter anderem für Inklusion, gegen Euthanasie und Eugenik sowie den Schutz allen Lebens ein. Wir wollten damit unsere Unterstützung für das Lebensrecht eines jeden einzelnen symbolisieren – egal, ob geboren, ungeboren, behindert, krank oder alt.« Die Mitgliedschaft in einer Lebensrechtsorganisation ist in Deutschland (noch) nicht verboten. Das ist auch bei LebensForum 113 LebensForum 113 WWW.MARKUS-HOLLEMANN.DE muss, die sich radikaler und nicht mehr tolerierbarer Mittel bedienen«. So lehne er es »zum Beispiel ab, wenn Frauen vor Arztpraxen, die entsprechende Eingriffe vornehmen, aggressiv bedrängt« würden. »Die Organisation ALfA, die Markus Hollemann, ÖDP Markus Hollemann auf seiner Weibsite unterstützte, wurde in den Münchner Medien mit solchen radikalen Praktiken und extremen Standpunkten in Verbindung gebracht.« Mit anderen Worten: Auch der CSUPolitiker und Zweite Bürgermeister der Allen voran von der »Süddeutschen Zeitung« (SZ). »Designierter Gesundheitsreferent« und »Sympathie für radikale Abtreibungsgegner« überschrieb das Blatt am 28. Januar einen Artikel von Dominik Hutter und Josef Kelnberger im München-Teil der SZ. »Wer abtreibt, begünstigt auch Euthanasie sowie die Forschung an widerstandsunfähigen Menschen; und als Familie darf nur anerkannt werden, was auf der Ehe zwischen Mann und Frau aufbaut: Es sind Sätze, wie diese, die die radikalen Abtreibungsgegner von der ›Aktion Lebensrecht für alle‹ in Misskredit gebracht haben«, beginnt der Beitrag in dem Blatt, das sich für eine Qualitätszeitung hält. Und weiter heißt es: »Beim ›Marsch für das Leben‹, den der Dachverband der Organisation schon mehrmals in Berlin veranstaltet hat, haben im vergangenen Jahr etwa 1.000 Gegendemonstranten gegen das reaktionäre Familienbild der selbsternannten Lebensschützer demonstriert. Nun ist das Thema auch im Münchner Rathaus angekommen: Markus Hollemann, den der Stadtrat an diesem Mittwoch zum neuen Umwelt- und Gesundheitsreferenten wählen soll, ist Mitglied der ›Aktion Lebensrecht‹.« Die Wirklichkeit ist freilich eine ganz andere. »Ein Staat, der seinen Bürgern ›gestattet‹ unschuldige und wehrlose ungeborene Kinder im Mutterleib zu töten, M(E)ISTER EISKALT der ALfA nicht anders. Ganz im Gegenteil sogar: Staatliche Stellen haben die ALfA stets als gemeinnützig anerkannt, weshalb Zuwendungen, Mitgliedsbeiträge und/oder Spenden denn bislang auch bei jedem Finanzamt steuermildernd geltend gemacht werden können. Nur Gesundheits- und Umweltreferent der Stadt München kann man, wie der »Fall Hollemann« zeigt, selbst als passives ALfAMitglied offenbar nicht werden. »›Etwas ist faul im Staate Deutschland‹, möchte man – William Shakespeares Tragödie ›Hamlet‹ abwandelnd – ausrufen«, schrieb die Bundesvorsitzende der ALfA, Dr. med. Claudia Kaminski, kürzlich im »LebensZeichen«, einem 8-Seiter, mit dem die ALfA vierteljährlich Spender über die Arbeit des Vereins und seiner Regionalverbände informiert. Was sich Ende Januar in München zugetragen habe, sei »tatsächlich« ein »Trauerspiel«, so die Ärztin, die an dieser Stelle gleich noch die »Kurzfassung« des Inhalts des Dramas für all jene nachreichte, welche die, so Kaminski weiter, »bühnenreife Inszenierung« verpasst hätten: »1. Akt: In München, Bayerns rotschwarz regierter Hauptstadt, gilt es, das Amt des Umwelt- und Gesundheitsreferenten neu zu besetzen. Das Vorschlagsrecht liegt bei der CSU. Als ihr Wunschkandidat gilt der ÖDP-Politiker Markus Hollemann, Bürgermeister der südbadischen Gemeinde Denzingen. 2. Akt: Die Grünen im Stadtrat, die der ÖDP in inniger Feindschaft zugetan sind, äußern Bedenken gegen den Kandidaten. In München angesiedelte Medien – allen voran die ›Süddeutsche Zeitung‹ – werfen Hollemann die Mitgliedschaft in der ›Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V.‹ und die finanzielle Unterstützung der ›Christian Solidarity International‹ (CSI) vor, einer Organisation, die sich für von Islamisten verfolgte Christen einsetzt. Die ALfA erhält das Etikett ›radikale Abtreibungsgegner‹, die CSI wird als ›islamfeindlich‹ tituliert. 3. Akt: Die SPD droht dem Vernehmen nach daraufhin mit dem Bruch der Koalition. Die CSU lässt Hollemann fallen. Münchens Zweiter Bürgermeister Josef Schmid (CSU) drängt den ÖDP-Politiker zur Aufgabe seiner Kandidatur.« Dem Rechtsanwalt und Münchner Urgestein war das Ganze offenbar zumindest peinlich. Gegenüber der katholischen Zeitung »Die Tagespost« erklärte er: »Ich persönlich spreche mich eindeutig für den Schutz des ungeborenen Lebens aus.« Er, Schmid, sei allerdings der Meinung, dass man eine »klare Grenze zu Abtreibungsgegnern ziehen Sitz der Süddeutschen Zeitung im Münchner Stadtteil Zamdorf Bayerischen Landeshauptstadt wirft der ALfA keineswegs vor, Frauen vor Abtreibungspraxen in seiner Heimatstadt »aggressiv bedrängt« zu haben, sondern behauptet lediglich, dass die von Hollemann unterstützte Lebensrechtsorganisation von »Münchner Medien« damit »in Verbindung gebracht« worden sei. kann denselben Bürgern schlecht verbieten, sich selbst töten zu lassen«, schrieb etwa die Bundesvorsitzende der ALfA, Claudia Kaminski, im »LebensForum«. Und weiter: »Denn wo bereits die ungeplante Existenz eines anderen Menschen die Tötung zu rechtfertigen scheint, stürzt jedes noch so gute Argument gegen die 5 TIT EL eigene Auslöschung – und davon gibt es zahlreiche – unweigerlich ins Leere« (vgl. LF Nr. 109, S. 3). Evidente »Sätze wie diese« eignen sich nicht zur Skandalisierung und können daher auch niemanden in Misskredit bringen. Das geschieht erst durch den Beitrag der SZ-Autoren selbst, der mit »Schmieren-Journalismus« fast noch freundlich umschrieben wäre. Denn anstatt belastbare Fakten zu präsentieren, die einsichtig machen könnten, warum ein Mitglied der ALfA unmöglich Gesundheits- und Umweltreferent der Stadt München werden könne, beschränken sich Hutter und Kelnberger darauf, Stimmung zu erzeugen (»Sätze wie diese«, »Misskredit«) und Etiketten (»radikal«, »reaktionär«) zu verteilen. Kein Wort darüber, dass der »Marsch für das Leben« jedes Jahr von einem großen Polizeiaufgebot geschützt werden muss, weil einige der Gegendemonstranten auch vor Gewalt nicht zurück- schrecken und die friedlich demonstrierenden Lebensrechtler mit Farbbeuteln und Wasserbomben attackieren oder gar die Reihen der Polizisten durchbrechen und Lebensrechtlern gewaltsam die weißen Holzkreuze entreißen, die sie schweigend durch die Straßen der Bundeshauptstadt tragen. »In die Nähe von Rechtsextremen gerückt« Ja, Hutter und Kelnberger scheuen sich nicht einmal, die ALfA in die Nähe von Rechtsextremisten zu rücken. So schreiben sie: »Auch Marcus Buschmüller von der Münchner Fachinformationsstelle Rechtsextremismus warnt vor der ›Aktion Lebensrecht‹. Die Übergänge zu christlichem Fundamentalismus und rechtsgerichtetem Antifeminismus seien fließend, sagt er. So sei die stellvertretende Aktions-Vorsitzende Alexandra Linder im April 2010 in München zusammen mit der ›ultrarechten homosexuellenfeindlichen Autorin‹ Christa Meves aufgetreten.« Dass der Beitrag von Hutter und Kelnberger sowie andere, die ihm noch folgen sollten, in Teilen von Politik, Medien und Gesellschaft Diskussionen ausgelöst und die Frage aufgeworfen hat, wie ein fairer Umgang der Medien mit Menschen aussehen müsse, die Positionen vertreten, welche Journalisten nicht teilen, mag erfreulich sein, den durch die Beiträge Diffamierten ist damit freilich nicht geholfen. Allen anderen voran natürlich Markus Hollemann. »Ein Aufrechterhalten der Kandidatur« hätte angesichts der »medialen Diskussion die Stadtgesellschaft und auch den Münchner Stadtrat gespalten. Das ist das Letzte, was ich will. INFO »Niemand hat uns um eine Stellungnahme gebeten« Mit diesem Leserbrief wandte sich die Vorsitzende des ALfA-Regionalverbandes München, Antonia Egger, an die »Süddeutsche Zeitung«. Der Leserbrief wurde von der SZ nicht veröffentlicht. »LebensForum« veröffentlicht ihn im Wortlaut: Mit größtem Befremden habe ich den Artikel »Designierter Gesundheitsreferent: Sympathie für radikale Abtreibungsgegner« in der Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 28. Januar 2015 zur Kenntnis genommen. Ich bin 48 Jahre alt, von Geburt an querschnittgelähmt und deshalb ständig auf den Rollstuhl angewiesen. Hinzu kommt eine spastische Behinderung der rechten Hand. Trotz dieser Einschränkungen lebe ich ausgesprochen gerne und habe sogar ein Fachhochschulstudium der Informatik absolviert und abgeschlossen. Da es mir ein Anliegen ist, auch andere Menschen in ihrer Liebe zum Leben zu bestärken, engagiere ich mich seit Jahren in der »Aktion Lebensrecht für Alle«, derzeit als 1. Vorsitzende des Regionalverbandes München. Die Einschätzungen unserer Arbeit, die der Artikel zum Ausdruck bringt, muss ich entschieden zurückweisen. Kernbereiche unserer Aktivitäten sind Öffentlichkeitsarbeit zu allen Themen des Lebensschutzes und Hilfe für schwangere Frauen und Mütter in Not. Wir veranstalten Informationsabende mit renommierten Ärzten, Professoren und Fachleuten für soziale Probleme. Unsere gut besuchten Infostände in der Münchner Innenstadt, beim Streetlife-Festival, auf dem Corso Leopold, bei Fachmessen etc. werden stets von den zuständigen Behörden genehmigt und freundlich unterstützt. Bei all unseren Aktionen orientieren wir uns ganz klar an den Vorgaben des Grundgesetzes und an allgemein christlichen Grundsätzen. Wir nehmen das von der Verfassung garantierte Menschenrecht und das Fünfte Gebot ernst und werben friedlich und sachlich fundiert für Verbesserungen im Schutz bedrohten Lebens. Nie haben wir gewalttätige Demonstrationen angezettelt. Wir wurden im Gegenteil bei unseren friedlichen »Märschen für das Leben« wiederholt von linksradikalen Gegnern angepöbelt, ohne uns davon provozieren zu lassen. Dass in dem Artikel zwar die 1.000 Gegendemonstranten gegen den »Marsch für das Leben« 2014 in Berlin erwähnt werden, nicht 6 aber die 5.000 Demonstranten, zeugt von unglaublicher Voreingenommenheit. Sympathien mit rechtsradikalen Gruppierungen sind uns fremd. Ich frage mich, was an unserer Arbeit »radikal«, »fundamentalistisch« und »frauenfeindlich« sein soll. Darf man heutzutage für ungeborene Kinder und ihre Eltern nicht mehr beten? Darf man eine Frau, die im Begriff ist, ihr ungeborenes Kind dem Tod preiszugeben, nicht vor einem Schritt bewahren, der unumkehrbar ist und aufgrund der körperlichen und physischen Folgeschäden, die in der Öffentlichkeit fast immer verschwiegen werden, oft ein Leben lang bitter bereut wird? Der Anfang des Artikels »Wer abtreibt, begünstigt auch Euthanasie sowie die Forschung an widerstandsunfähigen Menschen; und als Familie darf nur anerkannt werden, was auf der Ehe zwischen Mann und Frau beruht« wirkt wie ein Zitat. In Wirklichkeit ist er eine freie Erfindung der Verfasser oder ihrer Informanten. Im Übrigen überschüttet der Artikel die ALfA geradezu mit wild zusammengeklaubten populären Totschlag-Wörtern wie »extrem«, »(rechts-)radikal«, »antifeministisch«, »ultrarechts« und »wertkonservativ« und »christlich«, ohne für diese Einschätzung irgendwelche Beweise anzuführen. Damit betet die SZ unkritisch die Verdächtigungen unserer Gegner nach. Niemand hat vor Abfassung des Artikels mit uns Kontakt aufgenommen, um uns um eine Stellungnahme zu bitten. Ich halte dieses Vorgehen für journalistisch äußerst fragwürdig. Nach wie vor sind wir jederzeit zu einem Dialog mit allen Interessierten über unsere Anliegen bereit. Es wäre erfreulich, wenn unsere Gegner für unsere Ziele wenn schon nicht Zustimmung, so doch wenigstens Achtung aufbringen könnten und ein wenig von der Toleranz, die sie uns täglich predigen. Gerade die Deutschen samt ihren Medien sollten sich prüfen, ob im Bereich Lebensschutz nicht ein Aufgabenfeld liegt, das sie mit größerem Ernst angehen sollten. Wir setzen uns mit guten Argumenten für eine gute Sache ein. Antonia Egger, München LebensForum 113 ARCHIV bekundete, dass er immer noch glaube, »dass Herr Hollemann der Stadt gerade im Umweltbereich wichtige Impulse hätte geben können«. Es gebe für ihn HARALD BISCHOFF Ich wollte im Gegenteil mit diesem personellen Vorschlag Ökonomie und Ökologie miteinander versöhnen und ideologische Gräben schließen. Ich bin des- Josef Schmid, CSU Claudia Kaminski halb mit Herrn Hollemann in einem persönlichen Gespräch übereingekommen, dass er seine Kandidatur zurückzieht«, erklärt Münchens Zweiter Bürgermeister Josef Schmid hinterher auf seiner Facebook-Seite. Der bodenständige Metzgersohn bedauerte sogar »die Entwicklung« und »überhaupt keinen Grund, an der persönlichen Integrität von Markus Hollemann zu zweifeln. Viele Angriffe gegen ihn – vor allem in den sozialen Netzwerken – empfinde ich als unfair und über die Maßen aggressiv«, so Schmid. Durchstehen wollte oder konnte Schmid die Kampagne gegen den ÖDP- Politiker, die dem Vernehmen nach von Münchner Grünen angezettelt wurde, nicht. Aus Münchner CSU-Kreisen verlautete später, die SPD habe der CSU schließlich mit dem Bruch der Koalition gedroht. Schmid habe letztlich vor der Wahl gestanden, Hollemann zur Aufgabe seiner Kandidatur zu drängen oder aber seinen eigenen Hut zu nehmen. Dann hätte ein anderer »Hollemann entsorgt«. Mit seinem Namen einstehen will für diese Behauptung allerdings niemand. Das gilt auch für andere Lesarten der Causa. Nach einer von ihnen soll die passive ALfA-Mitgliedschaft von Hollemann gar nicht das tatsächliche Problem, sondern nur ein Vorwand gewesen sein. Das eigentliche Problem sei vielmehr, dass Hollemann Mitglied der ÖDP sei, einer Partei, mit der die Grünen darüber stritten, wer von ihnen die »wahre Öko-Partei« sei. Sollte dies zutreffen, dann wäre die »Süddeutsche Zeitung« nicht einmal der Urheber der Kampagne gegen Hollemann gewesen, sondern hätte sich bloß benutzen lassen. Einen schlimmeren Vorwurf als diesen kann man einem Medium beinah nicht machen. Oder wie es einer formuliert, der namentlich nicht genannt werden will: »Dreckig, feige und gemein zu sein« werde in Journalistenkreisen »immer noch goutiert«. Nur »dumm« zu sein, das ginge »gar nicht«. INFO Diffamiert und abgeschossen Die katholische Zeitung »Die Tagespost« (DT) kommentierte den »Fall Hollemann« in Gestalt ihres Chefredakteurs Markus Reder in ihrer Ausgabe vom 30.01.2015. »LebensForum« dokumentiert den Kommentar mit freundlicher Genehmigung der DT im Wortlaut: Von Markus Reder Von einer Provinzposse kann man nicht sprechen. Schon deshalb nicht, weil die bayerische Landeshauptstadt nun mal keine Provinz ist. Mehr noch: Die Vorgänge um die Besetzung der Stelle des Münchner Gesundheitsreferenten sind von derart grundsätzlicher Bedeutung, dass einem graust. Wenn Schule macht, was sich da abgespielt hat, können bekennende Christen Engagement in politischen Ämtern künftig vergessen. Getrieben von wüsten, völlig unhaltbaren Anwürfen einer linken politischen Allianz und medialer Hetze lässt die CSU binnen weniger Stunden ihren Wunschkandidaten fallen. Verbrochen hat der ÖDP-Politiker Markus Hollemann nichts. Er ist bekennender Christ, setzt sich für das Lebensrecht Ungeborener ein und zeigt sich solidarisch mit verfolgten Christen im Ausland. Das ist alles, aber das reicht. Seit dem »Fall Hollemann« weiß man: Mehr braucht es nicht, um in Windeseile abserviert zu werden. Nicht ohne dass einem zuvor der gute Ruf genommen wird, indem linke Ideologen christliches Engagement in die rechtsradikale Schmuddelecke stellen. Das ist ein Musterbeispiel für jenen Kopf-ab-Journalismus, der immer mehr um sich greift. An die Stelle sorgfältiger Berichterstattung und differenzierter Betrachtung tritt der ideologisch motivierte, öffentlich exerzierLebensForum 113 te Rufmord. Dabei arbeiten die Ideologen in Parteien und Medienhäusern Hand in Hand, um ihnen unliebsame Personen auszuschalten. Auf diese Weise verschieben Stimmungs- und Meinungsmächtige die Koordinaten dessen, was als »politisch korrekt« gilt und als hoffähig, sprich amtsfähig, akzeptiert wird. Inzwischen reicht es also, für den Schutz des Lebens einzutreten und für durch Islamisten verfolgte Christen zu spenden, um in der rechten Ecke versenkt zu werden. Es lässt sich nicht bestreiten, dass es unter Lebensschützern auch schräge Vögel gibt. Die »Aktion Lebensrecht für Alle« (ALfA) gehört sicher nicht dazu. Was jeder unschwer feststellen kann, der sich fair mit ihrer Arbeit beschäftigt. Die ALfA ist eine überkonfessionelle Lebensschutzorganisation, die in Fragen des Lebensrechts mit den Positionen der Katholischen Kirche übereinstimmt. Wenn man das heute nicht mehr tun darf, ohne politisch erledigt zu werden, nennt man das wohl »Gesinnungsterror«. Was sich in München abgespielt hat, ist ein erschreckender Präzedenzfall, der zeigt, wie es um Lebensrecht und Meinungsfreiheit bestellt ist. Über Politikverdrossenheit und Frust über die etablierten Parteien braucht sich da keiner mehr wundern. All jenen in Parteien und Redaktionen, die Abtreibung als Menschenrecht proklamieren und Andersdenkende mundtot machen wollen, sei ein Blick ins Gesetzbuch empfohlen. Abtreibungen sind rechtswidrig, heißt es da. Das gilt, auch wenn sie straffrei sind. 7 TI T EL »Du sollst nicht töten« Anlässlich der Eröffnung der diesjährigen bundesweiten »Woche für das Leben« veranstaltete der Bundesverband Lebensrecht (BVL) erstmals eine Fachtagung in Hamburg, wo die von den beiden christlichen Kirchen ins Leben gerufene Woche eröffnet wurde. Impressionen von vor Ort. Von Peter Winnemöller E rstmals hat der Bundesverband Lebensrecht (BVL) begleitend zur bundesweiten Eröffnung der »Woche für das Leben« eine Fachtagung veranstaltet. Die »Woche für das Leben«, eine gemeinsame Veranstaltung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), wurde in diesem Jahr mit einem ökumenischen Gottesdienst in der Hauptkirche St. Katharinen in Hamburg und einer anschließenden Podiumsdiskussion in der Katholischen Akademie Hamburg eröffnet. Die Fachtagung des BVL war um die Programmpunkte der offiziellen Eröffnungsveranstaltung von DBK und EKD herum angeordnet, so dass die Teilnehmer der Fachtagung auch an der offiziellen Eröffnung teilnehmen konnten. Dabei bewies der BVL große Flexibilität, denn die anberaumte Podiumsdiskussion in der Katholischen Akademie machte es nötig, das Nachmittagsprogramm um etwa eine Stunde nach hinten zu verschieben. Die Teilnehmer begrüßten dies ausdrücklich. Wünschenswert wäre es natürlich, wenn DBK und EKD als Ausrichter der »Woche für das Leben« und der BVL als Ausrichter der Fachtagung sich vorher abstimmen könnten. Auch böte eine gemeinsame Einladung oder eine gegenseitige Einladung zu beiden Veranstaltungen allen Teilnehmern die Möglichkeit, beide Veranstaltungen zu besuchen. So nahmen zwar fast alle Teilnehmer der Fachtagung auch an der offiziellen Eröffnung von DBK und EKD teil, umgekehrt aber gab es keinen Gegenbesuch. Im Hinblick auf die hochkarätigen Vorträge, die der BVL organisiert hatte, war dies durchaus bedauerlich. Trotzdem war die Fachtagung in den Räumen der »CityChurchHamburg« sehr gut besucht. »Du sollst nicht töten! Dies ist keine Erfindung von christlichen Lebensschützern oder gar des Bundesverbandes Lebensrecht. Dies ist ein göttliches 8 Gebot, das seit Jahrtausenden gilt.« Mit diesen Worten begrüßte der Vorsitzende des BVL, Martin Lohmann, die Teilnehmer der Fachtagung. Und fügte hinzu, statt Sterbehilfe sei Lebenshilfe gefragt. Dazu solle diese Zusammenkunft ihren Beitrag leisten. Auf der Fachtagung in Hamburg sprachen der Frauenarzt Dr. Michael Kwiorr und die Professoren Manfred Spieker und Axel W. Bauer. Der Schwerpunkt lag auf der gesellschaftlichen Diskussion um den assistierten Suizid. In seinem Grußwort wies der Philosoph Robert Spaemann darauf hin, dass der Suizid in unserer Rechtsordnung nicht erlaubt sei und auch gar nicht erlaubt werden könne. Dass der Selbstmord moralisch geächtet bleibe, sei für die menschliche Gemeinschaft von größter Wichtigkeit. Das Grußwort wurde von Alexandra Ma- »Robert Spaemann schickte ein Grußwort« ria Linder, Stellvertretende Bundesvorsitzende der ALfA, verlesen. Der erste Vortrag fiel etwas aus der Reihe, hatte jedoch einen sehr aktuellen Bezug. Michael Kwiorr stellte die neuen Schwangeren-Bluttests vor. Mit diesen neuartigen Testmethoden kann aus dem Blut von schwangeren Frauen DNA des ungeborenen Kindes gewonnen werden. Mit diesen Informationen kann schon heute in einer sehr frühen Phase der Schwangerschaft, nämlich etwa der zehnten Schwangerschaftswoche, festgestellt werden, ob bei einem Kind Trisomie 21 vorliegt. Die Tests stellen eine massive Gefahr für Menschen mit Behinderungen dar. Diese Tests, erläuterte Kwiorr, seien bereits Realität. Sie seien auf dem Markt und würden in der Praxis angewandt. Dies sei geschehen, ohne dass es eine vorherige ethische Debatte gegeben habe. Es sei aber dringend an der Zeit, eine solche zu führen. Die Testverfahren dürften auf keinen Fall Kassenleistungen werden. Im Kern handele es sich bei den Bluttests um Auswahlverfahren. Welches Kind darf leben und welches Kind nicht? Diese Frage stehe im Grunde hinter jedem Test dieser Art. Im Falle einer festgestellten Trisomie 21 würden in Deutschland inzwischen 95 Prozent aller Kinder abgetrieben. Ein solches Auswahlverfahren, erläuterte der Mediziner, sei eine »slippery slope«, was im Deutschen mit »schiefe Ebene« übersetzt wird. Wenn wir erst einmal anfangen, auf diese Weise zu selektieren, begeben wir uns auf einen gefährlichen Weg. Der Test auf Trisomie 21 sei nur der Anfang. Es werde zukünftig noch weitere Tests geben. Da das menschliche Genom entschlüsselt sei, bestehe die Gefahr, dass künftig schon eine Veranlagung zu bestimmten Krebsarten oder anderen Erkrankungen eine Abtreibung nach sich zöge. Das hieße Kinder zu töten, nur weil sie eine gewisse Wahrscheinlichkeit besäßen, eine bestimmte Krankheit zu bekommen. Eine gesellschaftliche Diskussion über diese Frage und ihre Konsequenzen sei unbedingt erforderlich. Kwiorr forderte das Auditorium auf, sich selbst einzubringen. Ärzte, Politiker und die Öffentlichkeit müssten für das Thema sensibilisiert werden. Die Tagung wurde nach dem Gottesdienst und dem Podium in der Katholischen Akademie mit einem Vortrag von Professor Spieker fortgesetzt. Mit »Selbsttötung als neues Menschenrecht?« stellte Spieker gleich schon in der Überschrift die entscheidende Frage. Einem Überblick über die Formen der Sterbehilfe folgte eine Einführung in die Grundrechtssystematik. Grundrechte sind keine positiv gesetzten Rechtsakte, vielmehr bestehen sie »als unmittelbar geltendes Recht«. Dies sei zu erkennen an der Tatsache, LebensForum 113 zulehnen, liege doch genau diese in der Logik des assistierten Suizids. Wenn ein assistierter Suizid scheitere oder auch nur das Risiko dazu bestehe, sei genau dieses aktive Eingreifen des Arztes die logische Konsequenz. Am Ende führte Spieker die christliche Alternative der Sterbebegleitung aus. Schon 1992 hatte Papst Johannes Paul II. auf die Notwendigkeit der Hospizbewegung hingewiesen. Das Ster- ARCHIV ARCHIV dass das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sich zu den Grundrechten bekenne, wie in Art. 1, Abs. 2 GG zu lesen sei. Daraus ergebe sich die Konsequenz, führte der Sozialethiker weiter aus, dass Grundrechte eben nicht wieder verschwinden können. Wohl aber könnten neue Formulierungen hinzukommen. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit wurde in Deutschland »nach den bitteren Erfahrungen mit den tödlichen Menschenversuchen in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern«, so Spieker wörtlich, dem Recht auf Leben, das schon die Weimarer Reichsverfas- Alexandra Maria Linder Martin Lohmann sung kannte, hinzugefügt. Einem vermeintlichen Recht auf Selbsttötung erteilte der Sozialethiker eine klare Absage. Dabei bezog er sich auf die Einschränkungen, die der Art. 2, Abs. 3 GG der freien Entfaltung der Persönlichkeit setzt. Dabei handele es sich um die Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz. Der Suizid sei zumindest immer eine Verletzung der Rechte anderer, da er die sozialen Beziehungen zerstört. Die Beihilfe zum Suizid, der zwar selber nicht strafbar sei, aber dennoch niemals Anspruch auf Legalität erheben könne, dürfe auf keinen Fall explizit erlaubt werden. Eine organisierte Beihilfe zum Suizid suggeriere soziale Akzeptanz. Darüber hinaus entstehe ein sozialer Druck auf all jene, die ihr Weiterleben in Leiden schwerer Krankheit als Belastung für ihr Umfeld wahrnehmen. »Eine tödliche Falle der Selbstbestimmung: sie mündet in Selbstentsorgung«, betonte Spieker. Das Ende der Fahnenstange ist damit allerdings noch lange nicht erreicht. Trotz aller Beteuerung, aktive Sterbehilfe abLebensForum 113 ben müsse ebenso wie die Beerdigung ein soziales Ereignis werden, betonte Spieker. Beispielhaft stehe dafür das Sterben dieses Papstes. Seine letzten Worte »Ich bin froh, seid ihr es auch!« seien ein großes Vermächtnis für die Wiederbelebung der ars moriendi, für eine Kultur des Lebens, die dem Leiden und Sterben nicht ausweicht, schloss Manfred Spieker seinen Vortrag. Nahtlos schloss sich daran der Vortrag von Professor Axel W. Bauer an. Der Medizinethiker aus Heidelberg bringt sich seit längerem sehr aktiv in die Diskussion um den assistierten Suizid ein. Mit seinem Buch »Wir sollen sterben wollen« hat er bereits 2013 gemeinsam mit Andreas Krause Landt ein Standardwerk zum Thema vorgelegt. Bauer erinnerte daran, dass Anfang 2013 ein Gesetz verhindert werden konnte, dass nur die gewerbliche Suizidbeihilfe verboten und alle anderen Formen legitimiert hätte. Dabei spiele die gewerbliche Suizidbeihilfe in Deutschland praktisch keine Rolle. Genauso gut hätte man das Falschparken auf dem Mars verbieten können. Laut Bauer sei das Gesetzgebungsverfahren gestoppt worden, weil die Bundeskanzlerin im Wahljahr keinen Streit mit den Kirchen hätte gebrauchen können. Das damals geplante Gesetz nann- te er einen Gesetzestrojaner. Als Gründe für die nur scheinbare rechtliche Begrenzung gab Bauer insbesondere die demographische Entwicklung und die fortschreitende Medizin an. So würden die jetzt 45- bis 55-Jährigen zwar durchaus älter, aber dann die Krankheiten, die man heute mit 75 bekommt, mit 85 bekommen. Die Folge seien steigende Pflegekosten in der letzten Lebensphase. Es sei eine Illusion zu glauben, wir würden künftig nicht nur später, sondern auch in einem kerngesunden Zustand sterben. Das Problem der Renten-, Krankheitsund Pflegekosten werde eskalieren, wenn 2030 rund ein Viertel der Bevölkerung in einem Alter von 65 bis 85 Jahren sei. In dieser Lage, so Bauer, käme ein angeblich selbstbestimmter Freitod der älteren Generation passend. Dazu verwies er auf den Roman »Schöne neue Welt« von Aldous Huxley, der, 1932 erschienen, für das Jahr 2540 prophezeite, dass man dann freiwillig aus dem Leben scheide, bevor man ernsthaft erkranke und Kosten verursache. Wir seien, so Bauer, diesem ernüchternden Gesellschaftsentwurf gefährlich nahe gekommen. Massive Kritik äußerte der Medizinethiker auch an dem Gesetzentwurf von Taupitz, Wiesing, Jox und Borasio, die insbesondere für zwei Gruppen den assistierten Suizid freigeben wollen. Dies seien zum einen nahe Angehörige, welche selber emotional involviert seien und mitlitten, zum anderen Ärzte als privilegierte Suizidassistenten. Angehörige, deren Mitleid mit einem Leidenden auch eigenes Leid sei, könnten zu tödlichem Mitleid neigen oder als Erben davon betroffen sein, dass durch lange Pflegezeiten das Vermögen des Erblassers erheblich geschmälert wird. Dieser Gruppe, hielt Bauer fest, solle man am allerwenigsten die Beteiligung am Suizid erlauben dürfen. Die Konsequenzen für ärztliche Suizidhelfer ließen sich kaum ausloten. So müssten angehende Ärzte dann künftig Suizidassistenz im Studium lernen. Eine vorgeschlagene Änderung des Betäubungsmittelgesetzes mache den Tod auf Rezept dann zur grausigen Wirklichkeit. »Wer die Suizidbeihilfe effektiv einschränken möchte, der muss sie ohne Ausnahme verbieten«, schloss Bauer. Den Abschluss der Tagung bildete ein kurzer Bericht aus der Hospizbewegung. Nach den Vorträgen zog Hartmut Steeb ein kurzes Fazit aus dem Gehörten und lud die Teilnehmer besonders zum »Marsch für das Leben« am 19. September in Berlin ein. Es sei sehr wichtig, auch öffentlich und zahlreich für das Recht auf Leben eines jeden Menschen sichtbar zu werden. 9 BI O ET HI K - SPLIT TE R %LRHWKLN6SOLWWHU%LRHWKLN6SOLWWHU%LRHWKLN6SOLWWHU%LR DANIEL RENNEN Paris (ALfA). Die Französische Nationalversammlung hat das 2005 eingeführte, nach dem UMP-Abgeordneten Jean Leonetti benannte Leonetti-Gesetz geändert, das die Rechte von Patienten am Lebensende regelt und Ärzte zum Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen verpflichtet, wenn der Patient dies scheidend betrachtete Neuerung in einem Gesetzentwurf auf. In ihr warnten der Primas der Katholischen Kirche in Frankreich, Philippe Kardinal Barbarin, der Präsident des Evangelischen Bundes in Frankreich, Francois Clavairoly, der Metropolit der Orthodoxen, Emanuel von Frankreich, sowie der Oberrabiner Haim Korsia und der Vorsitzende der Vereinigung der Moscheen Frankreichs Mohammed Moussaoui vor einem Missbrauch der tiefen Sedierung, bei der dem Patienten ein das Zentralnervensystem dämpfendes Beruhigungsmittel verabreicht wird. Zwar könne aus medizinischer Sicht die Notwendigkeit einer solchen Sedierung bestehen. Allerdings bestehe die Gefahr, dass eine solche Sedierung nicht nur zur Entlastung des Patienten angewandt werde, sondern um seinen Tod herbeizuführen. Holland: Jeder dritte Arzt für Sterbehilfe bei Lebensmüden Frankreich: Tiefe Sedierung auf Wunsch wünscht. Mitte März stimmten die Abgeordneten für eine Ergänzung des Gesetzes, das Patienten unter bestimmten Bedingungen nun auch das Recht auf eine »kontinuierliche tiefe Sedierung« einräumt. Abgelehnt wurde dagegen mit 89 zu 70 Stimmen ein Änderungsvorschlag des sozialistischen Abgeordneten JeanLouis Touraine, der eine Legalisierung aktiver Sterbehilfe zum Ziel hatte. Touraine hatte seinen Vorschlag mit Gefahren begründet, die mit illegal durchgeführter Sterbehilfe verbunden seien und diese auf rund 4.000 Fälle im Jahr beziffert. Ärztlich assistierter Suizid und die Tötung auf Verlangen sind in Frankreich verboten. Ein Arzt, der Beihilfe zur Selbsttötung leistet, muss bei einer Verurteilung mit Haftstrafen von bis zu fünf Jahren rechnen. Vor der Abstimmung hatten führende katholische, evangelische, jüdische und muslimische Religionsvertreter in Frankreich Kritik an dem Entwurf für das neue Sterbehilfegesetz geübt. In einer gemeinsamen Erklärung riefen die Vertreter der monotheistischen Religionen zum Widerstand gegen die als ent- Amsterdam (ALfA). Rund ein Drittel der Ärzte in den Niederlanden ist bereit, auch psychisch kranken Lebensmüden und Menschen mit Frühformen der Demenz bei einem Suizid zu assistieren. Das geht aus einer erst jetzt im Journal of Medical Ethics veröffentlichten Studie hervor. Für die Studie hatten die Autoren um Eva Bolt vom EMGO Institute of Health and Care Research zwischen Oktober 2011 und Juni 2012 insgesamt 2.500 Hausärzte sowie Fachärzte verschiedener Spezialgebiete befragt. noch 450 gewesen. Seit dem Jahr 2010, in dem die Organisation 257 Menschen bei einem Suizid unterstützt hat, hat sich demnach die Zahl der von »Exit« durchgeführten Suizidbegleitungen mehr als verdoppelt. Papst fordert mehr Palliativmedizin Papst Franziskus hat dazu aufgerufen, die Palliativmedizin zu stärken. Vor Mitgliedern der Päpstlichen Akademie für das Leben ermutigte Franziskus Ärzte und Studenten, sich auf dieses Fachgebiet zu spezialisieren. Die Palliativmedizin kümmere sich um Menschen, die von der »heilenden Medizin« vernachlässigt würden, und sei Ausdruck der Wertschätzung für die Person, so Franziskus. Nur weil sie keine Leben retten, seien schmerzlindernde Behandlungen nicht weniger wert, sagt der Papst. KOREAN CULTURE AND INFORMATION SERVICE (JEON HAN) Frankreich führt »Recht auf tiefe Sedierung« ein Schweiz: »Exit« meldet Rekorde bei Mitgliedern und Suiziden Zürich (ALfA). Die Schweizer Suizidbegleitungsorganisation »Exit« hat eigenen Angaben zufolge 2014 einen neuen Mitgliederrekord aufgestellt. Demnach erlebte die Organisation im vergangenen Jahr mit 13.500 Neuanmeldungen einen wahren Boom. Wie »Exit« mitteilte, seien dies rund zwei Drittel mehr Neumitglieder als im Jahr 2013 gewesen. Die Organisation, die die Zahl ihrer Mitglieder nun mit 81.000 beziffert, will 2014 auch mehr Menschen als jemals zuvor bei einem Suizid begleitet haben. Demnach hat »Exit« 2014 insgesamt 583 Personen bei einem Suizid unterstützt. 2013 seien es Papst Franziskus Zugleich hob das Oberhaupt der Katholischen Kirche hervor, dass auch die Palliativmedizin nicht Pflege von alten und kranken Menschen durch die Familie ersetzen könne. In seiner Ansprache wandte sich der Papst auch gegen ein ausschließlich auf Wirtschaftlichkeit und Effizienz zielendes Denken und Handeln im Gesundheitswesen. Wirtschaftlichkeit und Effizienz dürften nicht die einzigen Kriterien sein, nach denen die medizinische Versorgung erfolge. Ein Staat dür- %LRHWKLN6SOLWWHU%LRHWKLN6SOLWWHU%LRHWKLN6SOLWWHU%LR 10 LebensForum 113 RHWKLN6SOLWWHU%LRHWKLN6SOLWWHU%LRHWKLN6SOLWWHU%LRHWKLN fe nicht das Ziel haben, mit der Medizin Geld zu verdienen. Die oberste Pflicht sei es vielmehr, die menschliche Person zu schützen. Patientenschützer für mehr Suizidprävention Berlin (ALfA). Die Vorsorge für suizidgefährdete ältere Menschen müsse verbessert werden. Angesichts der hohen Selbsttötungsraten müsse dringend ein »Aktionsprogramm Suizidprophylaxe 60plus« aufgelegt werden, fordert Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Begründung: »Der Anteil der Über-60-Jährigen an der Bevölkerung beträgt 27 Prozent.« Mit 45 Prozent sei sie jedoch die größte Gruppe unter den Menschen, die Suizid begehen. Luxemburg plant Verbot von Leihmutterschaft burtliche Kindstötung in einem Bundesland vornehmen, in dem sie nicht wohnten. Luxemburg plant ein Verbot der Leihmutterschaft. Bislang ist Leihmutterschaft in Luxemburg rechtlich nicht geregelt. Parteiübergreifendes Ziel ist es, Leihmutterschaftsverträge wie in Deutschland für sittenwidrig zu erklären. Der zuständige Parlamentsausschuss will nun Stellungnahmen von Organisationen einholen, die sich mit dem Thema befassen. Derzeit ist die Leihmutterschaft in zahlreichen EU-Staaten verboten, so in Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Italien, Lettland, Portugal, Schweden, Tschechien und Ungarn. In Spanien sind zwar Leihmutterschaften nicht verboten, wohl aber Leihmutterschaftsverträge. Norwegen verbietet die Leihmutterschaft im eigenen Land, toleriert diese aber, sofern sie im Ausland herbeigeführt wird und die Leihmutter nicht auf der Geburtsurkunde erscheint. In Belgien, Griechenland und Großbritannien werden nur nicht-kommerzielle Leihmutterschaften geduldet. Gesetzlich nicht geregelt ist die Leihmutterschaft außer in Luxemburg auch in Estland, Litauen, Österreich, Polen, Rumänien und Slowenien. Spaniens Regierung für kleine Korrektur bei Abtreibung Madrid (ALfA). Nach ihrem Verzicht auf eine umfassende Reform der Abtreibungsgesetze wollen Spaniens Konservative nun eine Mini-Korrektur vom Parlament verabschieden lassen. Die Volks- Wiesbaden (ALfA). In Deutschland hat die Zahl der dem Statistischen Bundesamt in Wiesbaden gemeldeten vorgeburtlichen Kindstötungen erstmals die Marke von 100.000 unterschritten. Laut dem Amt wurden den Statistikern 2014 rund 99.700 Abtreibungen gemeldet. Das entspricht, verglichen mit dem Vorjahr, einem Rückgang um rund drei Prozent. Knapp drei Viertel (73 Prozent) der Frauen, die 2014 eine vorgeburtliche Kindstötung durchführen ließen, waren zwischen 18 und 34 Jahre alt, 16 Prozent zwischen 35 und 39 Jahre. Rund acht Prozent der Frauen waren 40 Jahre und älter. Vier Prozent waren unter 18 Jahre alt. Rund 39 Prozent der Frauen hatten vor der Abtreibung noch keine Lebendgeburt. 96 Prozent der gemeldeten vorgeburtlichen Kindstötungen wurden nach der Beratungsregelung vorgenommen. Medizinische und kriminologische Indikationen waren in vier Prozent der Fälle die Begründung für die Abtreibung. Die meisten Abtreibungen (68 Prozent) wurden mit der Absaugmethode (Vakuumaspiration) durchgeführt, bei 18 Prozent wurde die Abtreibungspille Mifegyne verwendet. Die Eingriffe erfolgten überwiegend ambulant – rund 79 Prozent in gynäkologischen Praxen und 18 Prozent ambulant im Krankenhaus. Sieben Prozent der Frauen ließen die vorge- DANIEL RENNEN Abtreibungszahlen erstmals unter 100.000 Alberto Ruiz Gallardón partei (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy legte kürzlich einen Entwurf vor, wonach abtreibungswillige Mädchen zwischen 16 und 18 Jahren künftig die Erlaubnis der Eltern benötigen. Das Vorhaben solle noch im Frühjahr beschlossen werden, sagte der PP-Fraktionschef Rafael Hernando. Rajoy hatte vor den letzten Parlamentswahlen versprochen, die 2010 von den Sozialisten eingeführte Fristenregelung wieder abzuschaffen. Nach massiver Kritik in den Medien, Protesten bei Teilen der Bevölkerung sowie in den eigenen Reihen gab Rajoy dieses Vorhaben jedoch wieder auf. Justizminister Alberto Ruiz Gallardón, der bereits einen entsprechenden Gesetzentwurf ausgearbeitet hatte, erklärte daraufhin seinen Rücktritt und zog sich völlig aus der Politik zurück (vgl. »LebensForum« Nr. 111, S. 16f.). Leihmütter: Verbot in Luxemburg geplant Leihmutterschaften sind ethisch unter anderem umstritten, weil Wissenschaftler davon ausgehen, dass das Kind bereits im Mutterleib eine Bindung zu der es austragenden Leihmutter aufbaut, die aber in aller Regel im späteren Leben nicht als Bezugsperson fungieren soll und will. Außerdem verpflichten viele Leihmutterverträge die Leihmutter, das Kind abzutreiben, wenn die späteren sozialen Eltern dies, etwa nach Diagnose einer Fehlbildung, verlangen. RHWKLN6SOLWWHU%LRHWKLN6SOLWWHU%LRHWKLN6SOLWWHU%LRHWKLN LebensForum 113 11 DANIEL RENNEN AUSL AND Abtreibung als neues »grundlegendes Menschenrecht«? Vor allem Linke und Liberale drängen im Europäischen Parlament immer vehementer darauf, Abtreibung europaweit sowie im Zusammenhang mit der Entwicklungshilfe auch in anderen Teilen der Welt durchzusetzen. Europäische Christdemokraten und Konservative zeigen sich in beiden Fragen gespalten. Von Stephan Baier O bgleich die Abtreibungsgesetzgebung unstrittig nicht in die Zuständigkeit der Europäischen Union, sondern in die ihrer 28 Mitgliedstaaten fällt, propagiert eine Mehrheit im Europäischen Parlament seit vielen Jahren deren Legalisierung: nicht nur für jene wenigen EU-Mitgliedstaaten, die das ungeborene Leben noch mit den Mitteln des Strafrechts schützen, sondern auch als Bedingung in der Entwicklungszusammenarbeit. Lange waren die in Brüssel und Straßburg tagenden Europaparlamentarier bemüht, ihre offensive Abtreibungspolitik zu chiffrieren: von »sexueller und reproduktiver Gesundheit« war in den Menschenrechtsberichten und in zahlreichen Erklärungen des Europäischen Parlaments dann die Rede. Kecker, weniger getarnt setzte 12 der Bericht der portugiesischen Sozialistin Edite Estrela über »Rechte auf dem Gebiet der sexuellen und reproduktiven Gesundheit« an. Zu keck offenbar, denn er wurde nach monatelanger Kontroverse und massiven öffentlichen Protesten am 10. Dezember 2013 mit denkbar knapper Mehrheit (334 gegen 327 Stimmen) endgültig abgelehnt. Fünfzehn Monate später gelang nun dem belgischen Sozialisten Marc Tarabella, woran seine Fraktionskollegin aus Portugal gescheitert war: Das Europäische Parlament verabschiedete Tarabellas Bericht »über die Gleichstellung von Frauen und Männern in der EU«, in dem Abtreibung – erneut unter der genannten Chiffre – als »grundlegendes Menschenrecht« bezeichnet wird. In dem am 10. März in Straßburg gebilligten Text ver- weist das Europäische Parlament aber auch ausdrücklich darauf, »dass Frauen nicht zuletzt durch den einfachen Zugang zu Empfängnisverhütung und Abtreibung die Kontrolle über ihre sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte haben müssen; unterstützt daher Maßnahmen und Strategien zur Verbesserung des Zugangs von Frauen zu Dienstleistungen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit«. Durch die Vokabel »müssen« wird der Satz zu einer unmittelbaren Rüge für EU-Mitgliedstaaten wie Irland, Polen und Malta, in denen Frauen eben keinen »einfachen Zugang zu … Abtreibung« haben. Immerhin votierten 200 Europaabgeordnete gegen diese Formulierung in Artikel 45, darunter die meisten Christdemokraten und Konservativen. Sogar LebensForum 113 »Was wird mit Frauen, die lieber bei den Kindern bleiben« von Kindern und die Vollbeschäftigung von Frauen: »Was wird mit Frauen, die lieber bei ihren Kindern bleiben?« Die konservative Slowakin Jana Zitnanská kritisierte, dass Mutterschaft keine Würdigung findet, und forderte Pensionen für Mütter. Ihr Landsmann und Fraktionskollege Branislav Skripek fragte: »WarLebensForum 113 um vergisst man das wichtigste Recht: das Recht auf Leben?« Die EU solle die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten in der Abtreibungsfrage respektieren. AfD-Mandatar Bernd Lucke merkte an, »dass es den fundamentalen Menschenrechten widerspricht, ein ungeborenes Kind töten zu können«. Der christdemokratische Ungar József Nagy erinnerte daran, dass Abtreibung in die Zuständigkeit der Staaten, nicht der EU fällt. Die kroatische Christdemokratin Marijana Petir erinnerte nicht bloß an das Subsidiaritätsprinzip, sondern versuchte ihre Kollegen davon zu gisch« als der Estrela-Bericht. Sollte jedoch der Abtreibungs-Passus (also Artikel 45) angenommen werden, dann könne sie den Bericht nur ablehnen, denn es sei ihr »eine Herzensangelegenheit, für das Lebensrecht zu sprechen«. Die öffentlich einsehbare Liste der namentlichen Abstimmungen zeigt, dass Frau Niebler Wort hielt: Sie stimmte zunächst gegen Artikel 45, am Ende dann gegen den Tarabella-Bericht insgesamt. Die Abstimmungsliste zeigt auch klar, wie die Fraktionen in der Abtreibungsfrage ticken: Linke und Liberale votierten in großer Geschlossenheit dafür. So PABLO GARRIGOS acht Sozialisten wichen an dieser Stelle von ihrer Fraktionslinie ab und stimmten gegen diese Abtreibungspropaganda. Doch angesichts der Spaltung, die in der Abtreibungsfrage offenbar quer durch die christdemokratische EVP-Fraktion wie auch durch die konservative ECR-Fraktion geht, hatten Sozialisten (S&D), Grüne (Verts/ALE), Liberale (ALDE) und Kommunisten (GUE/NGL) eine satte Mehrheit für den Abtreibungs-Passus in Artikel 45 (440 Ja-Stimmen) wie für den Tarabella-Bericht insgesamt (441 Ja- gegen 205 Nein-Stimmen bei 52 Enthaltungen). In Artikel 46 findet sich hier die Behauptung, »dass die Abtreibungsraten unabhängig davon, ob Abtreibung legal oder illegal ist, ähnlich hoch beziehungsweise in den Ländern mit einem Abtreibungsverbot sogar höher sind«. Weiter werden »Präventions-, Bildungs- und Informationsmaßnahmen für Jugendliche, junge Erwachsene und Erwachsene« gefordert, »damit ein hohes Maß an sexueller und reproduktiver Gesundheit in der Öffentlichkeit vorhanden ist«. Damit wird die Türe dafür geöffnet, bei Minderjährigen – etwa in den Schulen – Abtreibung offensiv zu bewerben. Der Abstimmung war am Abend des 9. März in Straßburg eine kontroverse Debatte vorangegangen. Auch hier trat die Christdemokratie gespalten auf, während Sozialisten, Liberale, Grüne und Kommunisten geschlossen für »Tarabella« warben. Es waren so wenige Europaabgeordnete, die den Abtreibungs-Passus der Entschließung kritisierten, dass es sich lohnt, sie namentlich zu erwähnen: Da war die konservative Polin Jadwiga Wiśniewska, die vor der Zerstörung der Familie warnte und eine Aufwertung der Mutterschaft forderte. Mireille D‘ Ornano von der französischen »Front National« warf dem Bericht vor, Kinder und Familien zu bekämpfen. Ihr Parteifreund Aymeric Chauprade fragte angesichts zahlreicher Plädoyers für die Fremdbetreuung Gleich und gleich gesellt sich gern: Maria Noichl und Marc Tarabella überzeugen, dass das Recht auf Leben ein Grundrecht ist: »Wir werden keine Gleichstellung erreichen, wenn wir das Lebensrecht einschränken.« Es gab jedoch auch viel Applaus für Tarabella aus der EVP: Die bulgarische Christdemokratin Mariya Gabriel etwa sah im Plädoyer für umfassende Fremdbetreuung von Kleinkindern und Vollbeschäftigung für Frauen ein Bemühen, »das wirtschaftliche Potenzial voll auszuschöpfen«. Die französische Christdemokratin Constance Le Grip freute sich über das gemeinsame Vorgehen gegen »Geschlechter-Stereotypen«. Und die italienische Christdemokratin Barbara Materia warb offensiv um Zustimmung: »Frauen sollen einen Beitrag leisten zur europäischen Wirtschaft.« Wortführerin der EVP-Fraktion war die CSU-Europaabgeordnete Angelika Niebler. Sie würdigte, Tarabellas Bericht sei »weitaus weniger ideolo- stimmte kein Mandatar der Sozialisten und der Kommunisten gegen »Tarabella«; von den Grünen nur einer (Klaus Buchner von der ÖDP). Diese Geschlossenheit auf der linken Seite des Straßburger Vielvölkerparlaments hatte sich in der Debatte abgezeichnet: Bei der kommunistischen Links-Fraktion, bei Grünen und Liberalen gab es nur Zustimmung zu Gender-Mainstreaming, Abtreibungspropaganda und Frauen-Vollbeschäftigung. Die österreichische Grüne Ulrike Lunacek erklärte etwa, zur Gleichheit gehöre »der Zugang von Frauen zu Möglichkeiten, einer Schwangerschaft ein Ende zu setzen«. Die christdemokratische EVP zeigte sich gespalten: 94 für »Tarabella«, 97 dagegen, 16 Enthaltungen. Unter den Nein-Stimmen waren auch EVPFraktionschef Manfred Weber sowie alle Mandatare von CDU, CSU und der österreichischen ÖVP. 13 AUSL AND geborenen auch strafrechtlich geschützt ist, verändern, sondern global wirken. Es geht hier ausdrücklich um »die weltweite Achtung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit«. Familienplanung und Abtreibung seien »wichtige Faktoren, um das Leben von Frauen zu retten«. Dies soll JENNIFER JACQUEMART Bereits zwei Tage nach der Verabschiedung des Tarabella-Berichts billigte das Europäische Parlament den vom italienischen Sozialisten Pier Antonio Panzeri eingebrachten »Jahresbericht 2013 über Menschenrechte und Demokratie in der Welt«. Darin finden sich dutzende For- Respektiert auch nicht die Kompetenzgrenzen des EU-Parlaments: Edite Estrela derungen, die gesellschaftlich konsensfähig und rechtlich unumstritten sind. Aber auch ein neuerliches Plädoyer für die Abtreibung: »Das Europäische Parlament bedauert, dass die Körper von Frauen und Mädchen, insbesondere was ihre sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte betrifft, noch immer als Schauplatz ideologischer Grabenkämpfe fungieren, »Abtreibung soll die Entwicklungsund Außenpolitik der EU prägen« und fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, die unveräußerlichen Rechte von Frauen und Mädchen auf körperliche Unversehrtheit und eigenständige Entscheidung anzuerkennen, unter anderen im Zusammenhang mit dem Recht auf Zugang zu einer freiwilligen Familienplanung, dem Recht auf ungefährliche und legale Abtreibung ...« Dieser Bericht will nicht nur die Abtreibungsgesetzgebung jener EU-Staaten, in denen das Lebensrecht der Un14 künftig die Entwicklungs- und die Außenpolitik der EU prägen: Der Text betont im Zusammenhang mit Familienplanung und Abtreibung, »dass diese Maßnahmen im Zentrum der Entwicklungszusammenarbeit mit Drittländern ... stehen müssen«. Doch nicht nur in Sachen Familienplanung und Abtreibung soll nach Panzeri die Welt an Europas Ideologie genesen: Auch die Interessen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen und Intersexuellen (abgekürzt LGBTI) sollen Eingang in die Entwicklungspolitik finden, etwa in allen »politischen und die Menschenrechte betreffenden Dialogen mit Drittstaaten sowie auf multilateralen Foren«. Die EU solle überdies »Organisationen unterstützen, die sich für LGBTI-Rechte einsetzen«. Einen durchgehend kinder- und familienfeindlichen, ideologischen Duktus hat der Entwurf eines Berichts der bayerischen SPD-Europaabgeordneten Maria Noichl, der im Mai im »Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter« und anschließend im Juni im Plenum des Europäischen Parlaments diskutiert und verabschiedet werden soll. Hier wird unter der Überschrift »Globaler Blick« mit Stoßrichtung auf die Entwicklungshilfe behauptet, »dass der allgemeine Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und den damit verbundenen Rechten ein grundlegendes Menschenrecht ist«. Die europäische Entwicklungszusammenarbeit soll deshalb die »Wichtigkeit von Familienplanungsdiensten« sehen. Mit Blick auf Europa selbst fordert Noichls Entwurf die EU-Kommission auf, »das Konzept des Gender Mainstreaming in allen Bereichen als auch durch einzelne gezielte und konkrete Maßnahmen zu verfolgen« sowie »die Mitgliedstaaten bei der Sicherstellung von qualitativ hochwertigen, geographisch angemessenen und niedrigschwellig zugänglichen Diensten im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte, sicherer und legaler Abtreibung und Verhütungsmittel« zu unterstützen. Für die Abstimmung nicht relevant, gleichwohl aber aufschlussreich, ist die Begründung, die Frau Noichl ihrem Berichtsentwurf angefügt hat. Darin heißt es: »Die derzeitigen, rückwärtsgewandten Tendenzen in der europäischen Gesellschaft wirken sich auch auf die Gesundheit und die damit verbundenen Rechte von Frauen und Männern aus. Für ein verantwortungsvolles und sicheres Sexualleben muss jedoch der Zugang zu Information und Vorsorge sowie zu sicherer, effektiver und erschwinglicher Verhütung, sicherer und legaler Abtreibung und Sterilisation sowie die Unterstützung bei Adoption gesichert sein.« In den kommenden Wochen – bis zur Abstimmung im Juni – wird sich zeigen, ob der Noichl-Bericht das Schicksal des Estrela-Berichts teilen wird oder doch eher jenes von Marc Tarabella. IM PORTRAIT Stephan Baier Der Autor, 1965 in Roding (Bayern) geboren, ist Österreich- und Europa-Korrespondent der überregionalen katholischen Tageszeitung »Die Tagespost«. Nach dem Studium der Theologie in Regensburg, München und Rom arbeitete er zunächst als Pressesprecher für die Diözese Augsburg, dann fünf Jahre lang als Pressesprecher und Parlamentarischer Assistent für Otto von Habsburg im Europäischen Parlament. Baier, Autor mehrerer Sachbücher, ist verheiratet und Vater von fünf Kindern. LebensForum 113 AUSL AND »Je suis Vincent Lambert« Beim 10. »Marche pour la Vie« in Paris gingen mehr als 45.000 Menschen für den Schutz des menschlichen Lebens auf die Straßen. Im Mittelpunkt stand in diesem Jahr dabei das Thema Sterbehilfe. Von Georg Dietlein J e suis Charlie«? Non! Je suis Vincent Lambert! – In diesem Jahr haben sich die Organisatoren des 10. »Marsches für das Leben« in Paris den berühmten »Je suis«-Slogan, der zur Zeit überall en vogue ist, geschickt zu eigen gemacht. Nein, wir sind nicht Charlie. Wir sind Vincent Lambert! Damit erinnerten die 45.000 Demonstranten in Paris an das Schicksal des 38-jährigen Koma-Patienten Vincent Lambert, der zum Symbol der französischen SterbehilfeDebatte geworden ist. Vincent Lambert war vor einigen Jahren mit dem Motorrad schwer verunglückt und liegt seitdem im Koma. Vincent kann zwar seine Augen bewegen und ist schmerzempfindlich. Kommunizieren kann man aber mit ihm nicht. Im Februar 2014 stellten die Ärzte auf Wunsch der Ehefrau die künstliche Ernährung ein. Hiergegen klagten Vincents Eltern und gewannen in der ersten Instanz. Doch Vincents Ehefrau und die behandelnden Ärzte gingen in Berufung. Mittlerweile liegt der Fall beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der vermutlich in den nächsten Wochen ein abschließendes Urteil über das LeLebensForum 113 bensschicksal Vincent Lamberts treffen wird. Viviane Lambert, Vincents Mutter, ging beim diesjährigen »Marche pour la Vie« in der ersten Reihe mit und betonte: »Wir kämpfen für Vincent, aber zugleich für die Gesellschaft. Es geht hier um eine Tür, die geöffnet wird. Heute ist es Vincent. Aber er ist nicht der Erste und er wird nicht der Letzte sein.« EIN MARSCH DER SUPERLATIVE Wer schon einmal am jährlich stattfindenden »Marsch für das Leben« in Berlin teilgenommen hat, für den ist Paris gleichsam die Superlative. Etwa 6.000 Menschen waren im vergangenen September in Berlin für die Würde des menschlichen Lebens auf die Straßen gegangen. In Paris waren es am vergangenen Sonntag zwischen dem Place Denfert-Rochereau und dem Hotel des Invalides im Süden von Paris bereits mehr als 45.000 Demonstranten – Tendenz: steigend. Die europäische Lebensrechtsbewegung befindet sich zurzeit in einem starken Aufwärtstrend. Das belegen die Zahlen aus den Vorjahren. Im Jahr 2012 gingen in Berlin immerhin 3.000, in Paris bereits 20.000 Demonstranten für den Wert des menschlichen Lebens auf die Straßen. Zwei Jahre später (2014) betrugen die Teilnehmerzahlen bereits jeweils das Doppelte. Wenn nur jeder Zehnte, der zum »Marsch für das Leben« in Berlin oder Paris eingeladen wurde, diese Einladung auch angenommen hat, bekommt man eine Ahnung davon, welche Sprengkraft dieser Marsch bereits in den Köpfen der Menschen entfaltet hat und in Zukunft wohl auch noch weiter entfalten wird. Die Bedeutung des jährlichen Lebensmarsches in Paris unterstrich auch der Primas von Frankreich und Erzbischof von Lyon, Philippe Kardinal Barbarin, der am »Marche pour la Vie« im vergangenen Jahr teilgenommen hatte: »Diese Demonstration ist von großer symbolischer Bedeutung und wirkt sich mehr aus, als man denkt. Sie weist darauf hin, dass die Unterdrückung menschlichen Lebens, das seinen Lauf begonnen hat, tiefes Unrecht darstellt, einen Akt schrecklicher Schwere.« Zum »Marsch für das Leben« in Paris hatte neben zahlreichen französischen Bischöfen auch Papst Franziskus aufge15 AUSL AND rufen. Er ermutigte die Teilnehmer, eine »Zivilisation der Liebe« und »Kultur des Lebens« zu erbauen. Als eine junge Dame bei der Kundgebung zu Beginn des Marsches »Vive le Pape« ins Mikrofon rief, applaudierte die ganze Menge. KERNTHEMA: STERBEHILFE Im Mittelpunkt des Pariser »Marsches für das Leben« stand in diesem Jahr das Thema Sterbehilfe – auf Französisch »euthanasie«, ein ziemlich klares und unge- sein kann, wenn ein solcher ausdrücklicher Patientenwille nicht vorliegt: Soll dann die Entscheidung über Leben und Tod den nahen Verwandten oder einem Ärzteteam überlassen werden? Droht so nicht gerade die Aussortierung alter, kranker, schwacher und besonders hilfsbedürftiger Menschen, eben Euthanasie – wie im Falle von Vincent Lambert? Auch die jüngsten Pläne François Hollandes, den assistierten Suizid oder sogar aktive Sterbehilfe quasi durch die Hintertür zu legalisieren, sollten einen nachdenklich Beeindruckte nicht nur den Autor: Das authentische Zeugnis vieler junger Menschen schöntes Wort, das bei uns Deutschen Erinnerungen an unsere dunkle Vorgeschichte weckt. Nicht nur in Deutschland, wo der Deutsche Bundestag bis zum Herbst dieses Jahres über eine Reform des Verbotes des ärztlich assistierten Suizids beraten möchte, sondern auch in Frankreich polarisiert dieses Thema. Der Fall Vincent Lambert beschäftigt in diesen Tagen ganz Frankreich und war in der vergangenen Woche auch Thema im französischen Parlament. Dabei ist das gesetzliche Sterbehilfeverbot in Frankreich sogar noch strenger ausgeprägt als bei uns in Deutschland: In Frankreich sind aktive Sterbehilfe und Beihilfe zur Selbsttötung – auch durch Nicht-Ärzte – streng verboten. Die passive Sterbehilfe, also das »Sterben lassen« (wie im Fall Vincent Lamberts), wurde 2005 durch das »Loi Leonetti« unter bestimmten Bedingungen erlaubt, nämlich dann, wenn eine entsprechende Willensäußerung des Patienten vorliegt. Der Fall Lambert zeigt nun aber auf, wie schwer die Situation 16 stimmen. In Frankreich droht ein ethisches Tabu zu brechen, dessen Konsequenzen wir in den Benelux-Staaten bereits heute »bewundern« können. VIELE RELIGIÖS MOTIVIERTE TEILNEHMER Vergleicht man den Pariser mit dem Berliner »Marsch für das Leben«, so springt nicht nur die wesentlich höhere Teilnehmerzahl ins Auge, sondern auch die Zusammensetzung der Demonstranten: katholische Priester und Ordensleute, erkennbar an Soutane und Ordenshabit, zahlreiche katholische Jugendliche mit entsprechenden Symbolen und Fahnen, eine eigene Gebetsgruppe mit ca. 1.000 Teilnehmern am Ende des Marsches. Etwa zwei Drittel der Demonstranten seien praktizierende Katholiken und kämen aus religiösen Gründen nach Paris, erzählten mir Teilnehmer des Marsches. Besonders auffällig war der hohe Anteil Jugendlicher beim Marsch. Etwa jeder zweite Teilneh- mer zählte zur Altersklasse U30. Zahlreiche Männer und Frauen hatten ihre ganze Familie mit nach Paris gebracht. Entsprechend jugendgerecht war der Marsch gestaltet worden. Die kilometerlange Menschenversammlung wurde aufgelockert durch tönende Mobile, auf denen junge Menschen Zeugnis für den Wert des menschlichen Lebens abgaben und die Demonstranten anschließend durch moderne Musik in Stimmung brachten. Die Themen des Pariser Marsches unterschieden sich nicht wesentlich von den Themen, die auch beim »Marsch für das Leben« in Berlin eine Rolle spielen: Abtreibung, vorgeburtliche Selektion, aktive und passive Sterbehilfe, Euthanasie. Vermutlich war nicht nur die hohe Teilnehmerzahl in Paris dafür verantwortlich, dass – im Gegensatz zu Berlin – keine Gegendemonstrationen zu vermelden waren. Die »Manifestation« verlief gänzlich ohne gewaltsame Vorkommnisse. Offensichtlich ist das Verständnis für die unantastbare Würde und den Wert jedes einzelnen Menschen bei den Franzosen noch tiefer verwurzelt als bei uns Deutschen. Dafür spricht auch die unterschiedliche Zahl der lebendgeborenen Kinder in den zwei Nachbarländern: Während in Deutschland pro 1.000 Einwohner im Jahr etwa acht Kinder geboren werden, liegt die Geburtenziffer in Frankreich noch einmal 50 Prozent höher. Mich persönlich hat es sehr beeindruckt, dass in Paris so viele junge Menschen auf die Straßen gegangen sind und dabei keine Kosten und Mühen gescheut haben, um sich für den Wert des menschlichen Lebens von seinem Anfang bis zu seinem Ende einzusetzen. Das stimmt mich sehr hoffnungsvoll. Letztlich werden es diese jungen Menschen sein, die Gleichaltrige von einem geplanten Schwangerschaftsabbruch abbringen können. Ich wünsche mir für jeden einzelnen Jugendlichen, der in Paris beim »Marche pour la Vie« mitgegangen ist, dass er mit anderen jungen Menschen befreundet ist, die sein persönliches Lebenszeugnis vom Wert des menschlichen Lebens und von der Schönheit der Familie offenherzig annehmen. Das authentische Zeugnis so vieler junger Menschen in Paris kann eigentlich keinen Menschen kalt lassen – auch nicht in Deutschland. Und so war auch für mich persönlich der »Marche pour la Vie« nicht nur mit Lächeln und Freude verbunden, sondern auch mit der einen oder anderen Träne. Denn der erbitterte Kampf für den Wert jedes menschlichen Lebens ist auch in Deutschland Pflicht eines jeden Christen – unsere Mission und meine Mission. LebensForum 113 Zwei Lesarten zur »Würde am Ende des Lebens« In Österreich gibt es einen breiten Konsens für den Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung. Die weltanschauliche Bruchlinie durch Regierung, Parlament und Bioethikkommission wird an der Kontroverse um die Suizidbeihilfe sichtbar. Von Stephan Baier D ie parteienübergreifende Ablehnung der Euthanasie schien in Österreich – nicht zuletzt aus historischen Gründen – ein unerschütterbarer Konsens. Doch der gerät nun ins Wanken, denn spätestens seit die am Bundeskanzleramt angesiedelte Bioethikkommission sich des Themas annahm, ist es dem freien Spiel der parteipolitischen und ideologischen Kräfte ausgeliefert. Dabei begann alles mit ganz viel gutem Willen: Die zur christdemokratischen Parteienfamilie Europas zählende ÖVP wollte in den Koalitionsverhandlungen Ende 2013 den Weg dafür bereiten, das Verbot der Euthanasie in Österreichs Bundesverfassung zu verankern. Im Regierungsübereinkommen mit der Sozialdemokratie heißt es wörtlich: »Sterbebegleitung, Hospiz- und Palliativversor- gung können bis zuletzt ein hohes Maß an Lebensqualität ermöglichen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen auch in Zukunft ein würdevolles Sterben ermöglichen. Zugleich soll ein nachhaltiges Bekenntnis zum Verbot der Tötung auf Verlangen abgegeben werden.« Weil eine einfachgesetzliche Regelung eben nicht »nachhaltig« ist, wurden im Dezember 2013 zwei politisch besetzte Expertengremien zeitgleich damit beauftragt, die »Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Verankerung des Verbots der Tötung auf Verlangen« zu untersuchen: die am Bundeskanzleramt angesiedelte Bioethikkommission und eine LebensForum 113 parlamentarische Enquete-Kommission. Diese präsentierten nun ihre Erkenntnisse: Für eine Straffreistellung der Suizidbeihilfe unter bestimmten Bedingungen sprach sich Österreichs Bioethikkommission mit großer Mehrheit aus. Die »Tötung auf Verlangen« soll, ebenso wie die »Verleitung zum Suizid«, dagegen weiter strafbar sein. Bisher ist die Mitwirkung an der Selbsttötung eines Menschen in Österreich – wie in den meisten Ländern der Europäischen Union – verboten und strafbar. Wörtlich heißt es nun in der im Februar veröffentlichten Stellungnahme der Bioethikkommission: »Die Verleitung zum Suizid sollte weiter unter Strafe stehen, um zu gewährleisten, dass vulnerable Menschen keinem Druck ausgesetzt werden können. Es erscheint aber angebracht, für Angehörige und persönlich nahestehende Personen eine Straflosigkeit vorzusehen, wenn sie einer an einer unheilbaren, zum Tode führenden Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung leidenden Person beim Suizid Hilfe leisten.« Darüber hinaus soll nach Ansicht der Mehrheit in der Bioethikkommission auch »die Hilfeleistung durch Ärzte beim Suizid in bestimmten Fällen entkriminalisiert werden«. Dies solle dem Patienten ermöglichen, »offen mit dem Arzt zu sprechen, ohne gleich fürchten zu müssen, aufgrund akuter Selbstgefährdung zwangsweise untergebracht zu werden«. Die straffreie Hilfeleistung beim Suizid solle »in allen Fällen auf volljährige und einwilligungsfähige Personen begrenzt sein und deren ernsthaftes Verlangen einfordern«. Diese Sicht wird in der Bioethikkommission von 16 Mitgliedern mitgetragen. Eine Minderheit von acht Mitgliedern – darunter die Moraltheologen Matthias Beck (Wien) und Walter Schaupp (Graz), der Wiener Krebsforscher Lukas Kenner sowie die katholische Lebensrechtlerin und Juristin Stephanie Merckens – for17 AUSL AND wie diese Würde gesichert werden sollte: Die Vorsitzende der Enquete-Kommission, die ÖVP-Nationalratsabgeordnete Gertrude Aubauer, sprach sich mehrfach öffentlich gegen eine Legalisierung der Beihilfe zur Selbsttötung aus, während ihr Stellvertreter, SPÖ-Justizspre- der Enquete-Kommission des Parlaments der Ruf nach einem Rechtsanspruch auf Palliativ- und Hospizversorgung. Diese solle »bundesweit flächendeckend ausgebaut werden«, so die Bioethikkommission. Der Zugang zu »Palliative Care am Lebensende« dürfe nicht vom Wohnort oder von den finanziellen Möglichkeiten des Betroffenen abhängen. Die EnqueteKommission forderte gar einen »Hospiz- und Palliative Care Stufenplan bis 2020«, kritisierte, dass die Hospiz- und Palliativversorgung österreichweit erst zu 50 Prozent gedeckt sei, wies mit konkreten Zahlen auf fehlende Betten, Palliativteams und Gelder hin, machte Vorschläge für die Finanzierung wie für die Weiterbildung von Ärzten, Gesundheitspersonal, Psychiatern und Seelsorgern. Die Enquete-Kommission zeigte sich stolz auf den erreichten Konsens zu 51 Empfehlungen, doch beruht dieser Konsens eben darauf, dass das strittige Thema einfach ausgeklammert wurde. Gelöst Lukas Kenner Hannes Jarolim, SPÖ beim Nein zur Tötung auf Verlangen. Die Kommission plädiert für »die Beibehaltung der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen entsprechend den derzeit geltenden gesetzlichen Regelungen«. Zur Begründung heißt es in der Stellungnahme: »Damit sollen vulnerable Gruppen auch mit den Mitteln des Strafrechts hinreichend geschützt werden.« Lediglich der in Krems »Ethik in der Medizin« lehrende frühere Dekan der Wiener Philosophischen Fakultät, Peter Kampits, sprach sich dafür aus, »für Angehörige und persönlich nahe stehende Personen eine Straflosigkeit vorzusehen, wenn sie eine Tötung auf Verlangen gegenüber einer an einer unheilbaren, zum Tode führenden Erkrankung leidenden Person vornehmen«. In bestimmten Fällen solle auch die Tötung auf Verlangen durch Ärzte »entkriminalisiert« werden, meint Kampits. Auch innerhalb der parlamentarischen Enquete-Kommission mit dem Titel »Würde am Ende des Lebens« gab es zwei konträre Auffassungen darüber, 18 cher Hannes Jarolim, die gegenteilige Position einnahm und dafür plädierte, keine »Nachdenkverbote in diesem Bereich« zuzulassen. Im Gegensatz zur Bioethikkommission ließ es die parlamentarische Enquete-Kommission am Ende jedoch nicht auf eine Mehrheitsfeststellung ankommen, sondern zielte auf den Konsens. Sie diskutierte am 23. Januar zwar die »Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Verankerung strafrechtlicher Normen, insbesondere des Verbots der Tötung auf Verlangen und eines sozialen Grundrechts auf würdevolles Sterben«, vermied dann aber jegliche Empfehlung an Regierung und Parlament. Im Anfang März veröffentlichten Abschlussbericht heißt es nun lediglich, diese Themen seien »umfassend beleuchtet« worden und es habe ein »Meinungsspektrum im Rahmen der Erörterungen« gegeben. Aber: »Es handelt sich hierbei um eine rein rechtspolitische Entscheidung.« Die parlamentarische Enquete-Kommission zitierte zwar die Empfehlung 1418 der Parlamentarischen Versammlung des Europarates aus dem Jahr 1999, die unter anderem das Verbot der vorsätzlichen Tötung von Todkranken und Sterbenden bekräftigt, enthält sich aber – mangels Einigkeit in der Sache – einer eigenen Empfehlung an die Politik. Nicht umstritten war in der österreichischen Bioethikkommission wie auch in WWW.AERZTEKAMMER.AT WWW.HANNES-JAROLIM.AT ARCHIV mulierte ein abweichendes Votum. Vulnerable Personen müssten vor Fremdbestimmung geschützt werden, heißt es darin. »Bei Angehörigen oder betreuenden Ärzten der suizidwilligen Personen kann ein solcher Suizidwunsch zu gravierenden Gewissenskonflikten führen, nicht zuletzt aufgrund von Unkenntnis der geltenden Rechtslage.« Die Minderheit in der Bioethikkommission spricht sich dafür aus, »die Entwicklung von verbindlichen Richtlinien für die Strafverfolgungsbehörden in Fällen des Verdachts auf Suizidbeihilfe zu prüfen«. Weitestgehend einig sind sich die Mitglieder der Bioethikkommission dagegen Artur Wechselberger wurde die Frage der Suizidbeihilfe damit nicht. Im Gegenteil: Jetzt ist das Thema dem offenen Schlagabtausch der parteipolitischen Kräfte ausgeliefert. Kritik am Mehrheitsvotum der Bioethikkommission kam von der Ärztekammer: Es gebe »zeitlose ethische Bindungen, die die Aufgabe der Ärzteschaft nicht in der Herbeiführung des Todes kranker Menschen sehen«, meinte deren Präsident, Artur Wechselberger. Leben zu beenden widerspreche dem ärztlichen Berufsethos und dürfe nicht Bestandteil ärztlichen Handelns werden. Pflicht des Arztes sei es, Leben zu erhalLebensForum 113 G E S ELLSC H AFT und bestmöglichem medizinischen Beistand beantworten muss, nicht aber mit Beihilfe zum Selbstmord«. Töten könne »niemals Ausdruck von Liebe und Mitgefühl sein«. Bischof Klaus Küng fordert nun, »alles daranzusetzen, dass der vorhandene Konsens in Österreich, Euthanasie konsequent abzulehnen, nicht unterminiert wird«. WWW.OEVP.AT WWW.ETHIKRAT.ORG durch das Mehrheitsvotum in der Bioethikkommission bestätigt: »Eine Trennung von Verleitung, die weiter unter Strafe stehen soll, und Hilfestellung erscheint mir sinnvoll.« Letztere solle »in genau umschriebenen Ausnahmefällen« durch Angehörige, Nahestehende und Ärzte möglich sein. Von der parlamentarischen Enquete-Kommission ist die Grün-Politikerin folgerichtig enttäuscht, denn – so ihre Begründung – »es kann schreckliche Ausnahmesituationen geben, in denen Menschen aufgrund unerträglichen Leidens aus dem Leben scheiden möchten – begleitet und in der Nähe ihrer Liebsten«. Auch die laizistische »Initiative Religion ist Privatsache« begrüßte die neue Offenheit der Bioethikkommission für den »assistierten Suizid« euphorisch und attackierte die parlamentarische Enquete-Kommission »Würde am Ende des Lebens« als »PR-Veranstaltung des Hospizverbandes, von Palliativmedizinern und Kirchenvertretern«. Sankt Pöltens Bischof Klaus Küng – in Österreichs Bischofskonferenz für Fragen der Bioethik zuständig – nannte die WWW.KATHBILD.AT ten und Sterbende palliativmedizinisch zu begleiten. Für das Behindertenberatungszentrum »Bizeps« ist die Empfehlung der Bioethikkommission ein »Rückfall in eine überwunden geglaubte Phase menschenverachtender Philosophie und ein offener Schlag ins Gesicht von Menschen, die sich in der letzten Phase ihres Lebens befinden«. Dahin ist nun der jahrelange Schein einer einhelligen Ablehnung der Suizidbeihilfe seitens der Politik. Die Aufspaltung der Bioethikkommission in Mehrheit (16) und Minderheit (8) wie die Unfähigkeit der Enquete-Kommission, zu Peter Kampits Bischof Klaus Küng einer klaren Empfehlung zu kommen, machen den Dissens offenbar. Und auch die Regierungsparteien stehen sichtbar auf gegensätzlichen Seiten: Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner sagte, er sei »eher skeptisch«. Seine Partei wolle »nicht Liberalisierung um jeden Preis«. Noch deutlicher äußerte sich Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP): »Ich bin davon überzeugt, dass es ein Fehler wäre, hier Lockerungen vorzunehmen.« Dadurch würde »der psychologische Druck auf pflegebedürftige Personen sehr stark«. Brandstetter warnte mit Blick auf Belgien und die Niederlande vor Änderungen der Gesetzeslage in Österreich. Dagegen forderten mehrere SPÖ-Politiker, darunter Justizsprecher Jarolim, die Empfehlungen der Bioethikkommission ernsthaft zu diskutieren. Eine Verankerung des Euthanasieverbots in der Verfassung lehnt die SPÖ ausdrücklich ab. Die Gesundheitssprecherin der »Grünen«, Eva Mückstein, sieht ihre Partei LebensForum 113 Wolfgang Brandstetter, ÖVP Empfehlungen der Bioethikkommission »alarmierend«. Der »Mitwirkung beim Selbstmord die Türe zu öffnen« sei gefährlich und »eine erste massive Aufweichung des Lebensschutzes in Bezug auf das Ende des Lebens«. Der Arzt müsse Sterbenden beistehen durch Schmerzlinderung, Sedierung, Erleichterung der Atmung und andere begleitende Maßnahmen, meinte Bischof Küng, der auch selbst Mediziner ist. Die Bitte, sterben zu wollen, sei »fast immer ein dramatischer Hilfeschrei, den man mit mehr Fürsorge Ein deutliches Nein kommt auch vom Präsidenten des Katholischen Familienverbands, Alfred Trendl: »Über Leben und Tod zu entscheiden steht uns schlicht nicht zu.« Trendl würdigte die Stellungnahme der Ärztekammer, »die sich ihres Berufsethos erinnert und die Empfehlungen der Bioethikkommission ebenfalls ablehnt«. Es sei zu befürchten, dass durch die Möglichkeit eines assistierten Suizids der Druck auf Schwerkranke und Menschen mit Behinderung steigen könnte, ihre Existenzberechtigung rechtfertigen zu müssen. Die Präsidentin der Katholischen Aktion, Gerda Schaffelhofer, warnte: »Wer die Selbstbestimmung unheilbar kranker und intensiv pflegebedürftiger Menschen schützen will, der darf gerade diese Tür nicht öffnen, auch nicht einen kleinen Spalt. Denn so wird es erst möglich, auf direkte oder subtile Weise Sterbenskranken zu signalisieren, dass sie den Mitmenschen und der Gesellschaft einen ›Dienst‹ erweisen würden, wenn sie ›freiwillig‹ vorzeitig aus dem Leben scheiden.« Die Erfahrung lehre, »dass findige Geschäftemacher ganz schnell rechtliche Schlupfwinkel finden, um ihre Suizidbeihilfe-Dienste anbieten zu können«. Als Vorwand diene »dann immer die vorgebliche ›Selbstbestimmung‹ des Patienten«. 19 DANIEL RENNEN MED I ZI N »Pille danach«: Der Sturm bricht los Kaum aus der Rezeptpflicht entlassen, findet die »Pille danach« auch in Deutschland reißenden Absatz. Nun schlagen selbst Frauenärzte und Fortpflanzungsmediziner Alarm (s. Dokumentation Seite 22f.). Lebensrechtler hatten in den vergangenen Jahren immer wieder vor einer solchen Entwicklung gewarnt. Vergeblich. Dabei hätte ein Blick in das benachbarte Ausland gereicht, um zu wissen, was auf Deutschland zukommt. Von Stefan Rehder G erade einmal 13 Zeilen füllt der eigentliche gesetzgeberische Akt, mit dem die »Pille danach« aus der Verschreibungspflicht entlassen wurde. In dem 94 Seiten umfassenden Protokoll der 931. Sitzung des Deutschen Bundesrats vom 6. März 2015 liest er sich so: »Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 19: Vierzehnte Verordnung zur Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung (Drucksache 28/15). Es liegen keine Wortmeldungen vor. Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussempfehlungen vor. Hieraus rufe ich auf: Ziffer 1! – Mehrheit. Ziffer 2! – Mehrheit. Wer nun der Verordnung, wie soeben festgelegt, zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Mehrheit. Dann ist so beschlossen.« Nachdem auch der Bundesrat in Berlin der Änderung der Arzneimittelver20 schreibungsordnung zugestimmt hatte, werden in der Zentrale des französischen Herstellers HRA Pharma in Paris wohl die Champagnerkorken geknallt haben. Denn für das Unternehmen ist die Entscheidung des Bundesrats eine geldwerte. Der Grund: Jedes Mal, wenn das hochdosierte Hormonpräparat irgendwo aus der Rezeptpflicht entlassen wurde, schossen anschließend die Absatzzahlen durch die Decke. Der Konzern, der zwei der vier auf dem Markt erhältlichen Präparate mit unterschiedlichen Wirkstoffen bestückt hat, kennt das längst. Beispiel Norwegen: Auf der skandinavischen Halbinsel wurde die Verschreibungspflicht für die »Pille danach« im Jahr 2000 aufgehoben. Binnen sieben Jahren verdreißigfachte sich hier der Absatz von 5.000 auf 150.000 Packungen im Jahr. Beispiel Schweiz: Wie die stellver- tretende Bundesvorsitzende der ALfA, Alexandra Maria Linder, in ihrem Buch »Geschäft Abtreibung« schreibt, wurden in der Alpenrepublik im Jahr 2001 24.000 Packungen des Präparats verkauft. Nach der Rezeptfreigabe im Jahr 2002 seien bereits drei Jahre später 850.000 Packungen der »Pille danach« über die Ladentheken gereicht worden: 35 Mal so viel wie vier Jahre zuvor. Beispiel Spanien: Auf dem Territorium der parlamentarischen Erbmonarchie wurde das Präparat 2009 aus der Rezeptpflicht entlassen. Danach stieg der Abverkauf von 300.000 Packungen (2008) auf 775.000 Packungen im Jahr 2011. In Deutschland, wo die »Pille danach« nun seit dem 15. März in Apotheken frei verkäuflich ist, dürfte die Entwicklung ähnlich verlaufen. Nicht nur, dass es keinen einzigen Grund gibt, etwas anderes LebensForum 113 LebensForum 113 Auch der Politik ist offenbar nicht ganz wohl bei der Sache. Ende Februar billigte der Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages gewissermaßen auf den letzten Metern des Gesetzgebungsverfahrens noch einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen von Union und SPD zum Gesetzentwurf der eigenen Bundesregierung. Und das sogar einstimmig. Der Grund: Laut dem Heilmittelgewerbegesetz (HWG) können rezeptfreie Arzneimittel vom Hersteller wie in Apotheken offensiv beworben werden. Doch für die »Pille danach« änderten die Politiker nun legen. Die Folge: Selbst wenn, was keinesfalls als sicher gelten kann, die Beratung in der Apotheke künftig überall eine Qualität bekäme, die der im geschützten Raum des Behandlungszimmers eines Arztes vergleichbar wäre, so entfiele sie bei jenen, die das Präparat auf Vorrat kauften. Vor allem Mädchen und junge Frauen könnten zu dem Irrtum verleitet werden, anzunehmen, künftig »für alle Fälle« gerüstet zu sein. Und weil mit zunehmendem Gebrauch bei jedem Verhütungsmittel auch die Zahl der Anwendungsfehler steigt und es nun einmal keinen Anlass ST-FOTOGRAF/FOTOLIA.COM anzunehmen; erste Zahlen weisen bereits in genau diese Richtung. Wie der Branchendienst »Apotheke adhoc« am 28. März in Berlin unter Berufung auf das Marktforschungsunternehmen IMS Health berichtete, reichten heimische Apotheker allein in den ersten zwei Wochen nach Beginn des rezeptfreien Verkaufs fast ein Drittel mehr Packungen als im Vorjahreszeitraum über die Tresen. So verkauften die Apotheken allein in der zwölften Kalenderwoche dieses Jahres rund 13.500 Packungen der »Pille danach«. Hochgerechnet auf den ganzen Monat entspricht das 54.000 Packungen. Gegenüber 41.000 Packungen, die im Vergleichsmonat des Vorjahres abgegeben worden waren, bedeutet dies einen Anstieg um mehr als 30 Prozent. HRA Pharma will sich damit keineswegs zufrieden geben. Laut dem Branchendienst rechnet das Unternehmen in Deutschland mit einem noch viel höheren Wachstumspotenzial. Bis zu 2,4 Millionen Packungen pro Jahr, schätzt der Pharmakonzern, könne man in dem einwohnerreichsten Land Europas absetzen. Davon sei man mit zuletzt 400.000 Packungen im Jahr derzeit allerdings noch weit entfernt, räumt Klaus Czort, Deutschlandchef des Konzerns, ein. Anders formuliert: In Deutschland strebt HRA Pharma nicht weniger als die Versechsfachung des Absatzes seiner als »Notfall-Verhütungsmittel« verharmlosten Präparate an. Ein Ziel, das selbst Befürwortern der »Pille danach« offenbar nicht ganz geheuer ist. Denn laut einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungs- und Beratungsinstituts YouGov befürworten zwar 63 Prozent der Befragten die Aufhebung der Rezeptpflicht. Genauso viele halten jedoch ein aufklärendes Gespräch über die Wirkungen und Nebenwirkungen des Hormonpräparats vor dem Verkauf für notwendig. Das ist, folgt man derselben Erhebung weiter, wohl auch tatsächlich erforderlich. Denn laut der Umfrage sind rund 15 Prozent der Befragten der irrigen Auffassung, die »Pille danach« könne andere Verhütungsmittel ersetzen. »Es gibt offensichtlich Defizite in der Kommunikation rund um die Wirkung und Anwendung des Präparats, da immerhin fast jeder Siebte sich vorstellen kann, die ›Pille danach‹ als Ersatzverhütungsmittel zu verwenden. Hier sind auch die herstellenden Pharmaunternehmen gut beraten, ihre Informationswege anzupassen«, rät Dr. Ella Jurowskaja, Verantwortliche für den Bereich Healthcare bei YouGov. Für die Umfrage interviewte YouGov 1.021 Personen. Die Zahl der Teenager-Mütter wird wohl auch in Deutschland künftig zunehmen eigens das HWG. Der Grund: Die Abgeordneten befürchten, dass Frauen andernfalls häufiger von dem Präparat Gebrauch machen könnten, als für den vorgesehen Zweck erforderlich, oder diese gar anstelle der rezeptpflichtigen Standard-Kontrazeptiva verwendeten. Eine Sorge, die nicht nur angesichts des jüngsten Umfrageergebnisses alles andere als aus der Luft gegriffen ist. Sondern auch, weil Ärzte, die die »Pille danach« bisher verschrieben haben, immer wieder berichteten, dass nicht wenige Frauen um die Ausstellung eines Rezeptes nachsuchen, bei denen die Gabe der »Pille danach« angesichts der fraglichen Situation gar nicht indiziert ist. Die Gefahr, dass in Panik geratene Frauen künftig grundlos das hochdosierte Hormonpräparat einnehmen, muss also als höchst real betrachtet werden. Hinzu kommt, dass Abtreibungsbefürworter wie »pro familia« Frauen dazu raten, sich einen »Vorrat« des Präparats anzu- gibt, anzunehmen, dass Deutschlands Jugend weit weniger promiskuitiv ist als die Englands oder Frankreichs, werden wohl die Zahlen ungewollter Teenagerschwangerschaften auch hierzulande in absehbarer Zeit wieder steigen. Fragt sich nur, ob die Bundesregierung den Mut haben wird, diese – wie von der Bundesärztekammer gefordert – dann auch statistisch zu erfassen. Falls ja, wäre dies nicht bloß eine Überraschung. Es böte die – und nach Lage der Dinge wohl auch einzige – Möglichkeit, mittels empirischer Fakten ein ideologisches Projekt wieder zu Fall zu bringen, dessen Scheitern für jeden, der keine Scheuklappen trägt, völlig vorhersehbar ist. In England etwa sind nach Aufhebung der Rezeptpflicht für die »Pille danach« nicht nur die Teenagerschwangerschaften, sondern auch die übertragbaren Geschlechtskrankheiten rapide angestiegen. Was zeigt: Aus der »Notfall«-Verhütung wurde dort oft eine Regel-Verhütung. 21 MED I ZI N Notwendige Evaluierung Auch wer wie Lebensrechtler die »Pille danach« nicht aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnt, sieht deutlich mehr Regelungsbedarf als die uneingeschränkten Befürworter dieser Präparate, zu denen auch »pro familia« zählt. »LebensForum« dokumentiert daher nachfolgend ungekürzt die am 13. Februar veröffentlichte Stellungnahme der Bundesärztekammer und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zum Entwurf der Änderung der Arzneimittelverordnung vom 22. Januar (Bundesrats-Drucksache 28/15). Die Ärzteschaft hat die Entlassung der sogenannten »Notfallkontrazeptiva« (Wirkstoffe Ulipristalacetat (UPA) und Levonorgestrel (LNG)) aus der Verschreibungspflicht bisher abgelehnt. Leitgedanke war dabei, dass die Indikationsstellung für eine »Notfallkontrazeption« zur Verhinderung unnötiger Einnahmen durch einen Arzt erfolgen soll. Die Verschreibung dieser Wirkstoffe erfolgt bislang einhergehend mit einer umfassenden ärztlichen Beratung über Sexualität inklusive sexuell übertragbarer Krankheiten und Kontrazeption und somit im Interesse eines möglichst hohen Schutzniveaus der betroffenen – nicht selten jugendlichen – Frauen. Durch den Verordnungsentwurf soll den betroffenen Frauen ermöglicht werden, »Notfallkontrazeptiva« rezeptfrei in der Apotheke zu erwerben. Damit das Schutzniveau der betroffenen Frauen möglichst wenig abgesenkt wird, ist die Beibehaltung des Arztvorbehalts für eine umfassende Beratung zu Indikation, Wirkung und Nebenwirkung der Wirkstoffe und/oder zu Sexualität inklusive sexuell übertragbarer Krankheiten und Kontrazeption von wesentlicher Bedeutung. Eine solche ärztliche Beratung ist im Interesse der Aufklärung (vgl. § 630e BGB) und somit des Schutzniveaus der betroffenen Frauen; sie ist nicht durch eine Information in der Apotheke zu ersetzen. Bei einer Entlassung der Wirkstoffe aus der Verschreibungspflicht, u. a. wegen der Anpassung an den durch die EU-Kommission beschlossenen Zulassungsstatus in Deutschland, tritt die Ärzteschaft nachdrücklich dafür ein, das bisher erreichte Schutzniveau der betroffenen Frauen möglichst wenig abzusenken. Dazu sind folgende Maßnahmen notwendig: • Die Packungsbeilage muss insbesondere die Empfehlung enthalten, sich bei Fragen zur Indikation, Wirkung und Nebenwirkung der Wirkstoffe und/oder 22 zu Sexualität inklusive sexuell übertragbarer Krankheiten und Kontrazeption von einem Arzt beraten zu lassen. • Der das Notfallkontrazeptivum abgebende Apotheker weist die betroffene Frau, der Empfehlung der Packungsbeilage folgend, darauf hin, sich insbesondere bei Fragen zur Indikation, Wirkung und Nebenwirkung der Wirkstoffe und/oder zu Sexualität inklusive sexuell übertragbarer Krankheiten und Kontrazeption von einem Arzt beraten zu lassen. Weiterhin soll bei unklaren Auskünften zur Regelblutung keine Abgabe eines Notfall- kontrazeptivums erfolgen, sondern die betroffene Frau aufgefordert werden, sich von einem Arzt beraten zu lassen. • Besondere Vorsichtmaßnahmen sind bei der Abgabe von Notfallkontrazeptiva an Minderjährige zu treffen. So sollte die Abgabe von Notfallkontrazeptiva an Minderjährige im Interesse eines möglichst hohen Schutzniveaus der jugendlichen Frauen nur im Kontext einer umfassenden ärztlichen Beratung über Sexualität inklusive sexuell übertragbarer Krankheiten und Kontrazeption erfolgen. • Außerdem müssen aus Gründen der Patientensicherheit geeignete Maßnahmen getroffen werden, um eine Bevorratung durch Patienten mit Notfallkontrazeptiva zu verhindern. • Um sicherzustellen, dass die geplante Neuregelung dem Ziel des Gesundheitsschutzes und somit dem Zweck der Managementregel 4 der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie nicht zuwiderläuft (vgl. IV des Allgemeinen Teils der Begründung), legt das BfArM der Bundesregierung fünf Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung einen Bericht zur Evaluation der Entlassung dieser »Notfallkontrazeptiva« aus der Verschreibungspflicht vor, in welchem die Auswirkungen, insbesondere Angaben zu verkauften Packungen pro Jahr, Rate der unge- wollten Schwangerschaften und Schwangerschaftsabbrüche pro Jahr und Auftreten unerwünschter Nebenwirkungen vor und fünf Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung, dargestellt werden. • Der mit der Entlassung aus der Verschreibungspflicht verbundene Einfluss von Marketingstrategien und kommerzieller Werbung auf eine sichere Anwendung von Notfallkontrazeptiva muss dringend berücksichtigt werden. Die Bundesärztekammer begrüßt ausdrücklich, dass in der Begründung zu dem vorliegenden Verordnungsentwurf davon ausgegangen wird, dass »für [...] Apotheken [...] durch den Erlass dieser Verordnung keine weiteren Kosten« entstehen, d. h., dass Apotheken wie bisher ausschließlich im Rahmen der Packungsbeilage informieren. LebensForum 113 »Große Besorgnis« Kritik an der Rezeptfreigabe der »Pille danach« üben auch Frauenärzte und Fortpflanzungsmediziner. »LebensForum« dokumentiert nachfolgend das »gemeinsame Medienstatement des Berufsverbandes der Frauenärzte (BVF) e. V., der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) e. V. und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin (DGGEF) e. V.«. München/Berlin/Heidelberg, den 3. März 2015 – Mit großer Besorgnis sehen die Präsidenten des Berufsverbandes der Frauenärzte, der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin der Einführung der Rezeptfreiheit für die Notfallverhütung entgegen. Denn in den Handlungsempfehlungen für die Beratung, die die ABDA – Bundesvereinigung der Apothekerverbände – für die Apotheken herausgegeben hat, sind grundlegende Beratungsinhalte nicht enthalten. Dazu zählen im Wesentlichen • die nachlassende Wirkung von Levonorgestrel (LNG) bei einem Körpergewicht von über 75 kg • die nachlassende Wirkung von Ulipristalacetat (UPA) bei einem Körpergewicht von über 90 kg und • der Hinweis darauf, dass eine Kupferspirale eine sichere Alternative ist, die vom Körpergewicht der Frau unabhängig ist. • Auch ist eine Kupferspirale das Mittel der Wahl, wenn der Zeitpunkt des ungeschützten Sex bereits länger verstrichen ist. nach der Verwendung der Notfallverhütung fortsetzen. Bis zur nächsten Menstruation wirkt die Pille nicht mehr, wenn eine Notfallverhütung verwendet wurde. Zudem schützt die Notfallverhütung nicht bei weiteren, späteren ungeschützten Sexualkontakten im gleichen Zyklus. Es ist zu befürchten, dass diese unverzichtbaren Informationen in den Apotheken nicht in jedem Fall mit der gebotenen Dringlichkeit an Mädchen und Frauen weitergegeben werden. Eine fehlerhafte Beratung erhöht jedoch die Gefahr unerwünschter Schwangerschaften dramatisch. Deutschland hat die weltweit niedrigste Rate an Schwangerschaftsabbrüchen bei Teenagern und eine der weltweit niedrigsten Raten an Schwangerschaftsabbrüchen überhaupt. Die Frauenärztinnen und Frauenärzte Deutschlands wünschen sich, dass das so bleibt. Die derzeit festgelegten Inhalte für die Beratung in den Apotheken geben Anlass zu der Befürchtung, dass die Abbruchraten als Folge einer lückenhaften Aufklärung künftig ansteigen könnten. Diese Fakten sind seit langem bekannt; auch aktuelle Veröffentlichungen in der Deutschen Apotheker Zeitung (DAZ) bestätigen dies. In den Unterlagen, die die Apothekerkammern ihren Mitgliedern zur Verfügung stellen, finden sie jedoch keine Erwähnung. Die Kupferspirale wird in den Unterlagen der Apothekerkammern nicht erwähnt. Sie ist in jedem Fall die sicherste Notfallmaßnahme nach ungeschütztem Sex. Zudem müssen Mädchen und Frauen unbedingt bis zum Eintreten der nächsten Monatsblutung nichthormonell verhüten, also mit einer Barrieremethode wie Kondom oder Diaphragma. Dies gilt auch dann, wenn sie die Pille einnehmen und dies – nach einem Einnahmefehler – Zudem ist zu befürchten, dass die vorgesehene Regelung zur Abgabe der Notfallverhütung Missbrauch nicht ausreichend ausschließt. So kann nach derzeitigem Stand das Arzneimittel auch durch Dritte gekauft werden; eine persönliche und vertrauliche Beratung des betroffenen Mädchens bzw. der betroffenen Frau würde dann unterbleiben. Gerade nach einem Gewaltdelikt innerhalb gefestigter sozialer Strukturen sehen wir hier erhebliches Gefahrenpotential für die betroffenen Mädchen und Frauen. Des Weiteren kann Vorratshaltung mit dem jetzigen Modell nicht ausgeschlossen werden. UPA ist jedoch nur bei Einnahme einer einzigen 30-mg-Dosis sicher. Wenn es höher dosiert wird und bereits LebensForum 113 GEPLANTE REGELUNGEN SCHÜTZEN NICHT AUSREICHEND VOR MISSBRAUCH eine Schwangerschaft vorliegt, so besteht die Gefahr lebensbedrohlicher Blutungen. Eine solche Komplikation könnte ausgeschlossen werden, wenn das Arzneimittel bereits in der Apotheke eingenommen werden muss. Alle hier vorgebrachten Argumente sind der ABDA bekannt. Sie wurden jedoch in den Handlungsempfehlungen zur Abgabe der Notfallkontrazeption nicht umgesetzt. »Noch haben die Apotheker es in der Hand, bis zur Einführung der Rezeptfreiheit und auch nach diesem Stichtag alle von uns vorgebrachten Bedenken aufzunehmen und in den Beratungsunterlagen für die Apotheken zu berücksichtigen«, betonen die Präsidenten des Berufsverbandes der Frauenärzte, Dr. med. Christian Albring, der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Prof. Dr. med. Diethelm Wallwiener, und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin, Prof. Dr. med. Thomas Rabe. »Wir appellieren an den Vorstand der ABDA, die Curricula, die Handlungsempfehlungen und die Checklisten für die Dokumentation kurzfristig zu überarbeiten. Die Sicherheit der Mädchen und Frauen und die Verhütung unerwünschter Schwangerschaften sollten an erster Stelle stehen. Es ist nicht sinnvoll, Informationen zurückzuhalten, die in dieser Situation von großer Bedeutung wären.« EVALUATION SOLLTE HELFEN, SICHERHEITSLÜCKEN AUFZUDECKEN Die drei Institutionen unterstützen zudem die Forderung der Bundesärztekammer, die Einführung der Rezeptfreiheit für die Notfallverhütung über einen Zeitraum von fünf Jahren hinweg durch eine Evaluation zu begleiten. Zwischenberichte sollten in jährlichem Abstand vorgelegt werden. Inhalte dieser Evaluation müssten sein: • Meldungen zu Nebenwirkungen nach Einnahme von LNG oder UPA zur Notfallkontrazeption • Statistik der Schwangerschaftsabbrüche bei Teenagern und bei volljährigen Frauen • Erhebung über die Entwicklung der Zahl der verkauften Packungen an LNG und UPA zur Notfallkontrazeption. Mit einer solchen Evaluation könnte überprüft werden, ob die Einführung der Rezeptfreiheit mit Sicherheitsrisiken für Mädchen und Frauen verbunden war. Es könnten dann Maßnahmen getroffen werden, um diese möglichen Sicherheitslücken aufzudecken und zu schließen. 23 MED I ZI N Das Impfdilemma In Deutschland geht die Angst vor einer Masernepidemie um. Nicht völlig zu Unrecht. Denn eine Infektion mit dem Virus kann tödlich enden. Sachliche Aufklärung, fern jeder Hysterie, die bei Teilen der Befürworter wie der Gegner des Impfens gleichermaßen angetroffen werden kann, tut daher not. Was allerdings kaum einmal thematisiert wird: Für die Herstellung vieler Impfstoffe werden Zellen abgetriebener Kinder verwendet. Von Alexandra Maria Linder M. A. D eutschland sucht den Impfpass« – in dieser Kampagne suchen erwachsene Menschen ihren Impfpass tanzend unter Müslischalen und in Waschmaschinen. Anlass für die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung initiierte Aktion ist ein schwerer Masernausbruch in Berlin, der seit Oktober 2014 anhält. Eines der Auslösezentren waren Asylbewerberunterkünfte, wo Menschen aus Bosnien, Herzegowina und Serbien untergekommen waren. In diesen Ländern hatte es im Februar 2014 einen massiven Anstieg der Masernerkrankungen gegeben. Derzeit (Stand Mitte März 2015) hat das Robert Koch-Institut in ganz Deutschland 1.043 Masernfälle seit Jahresbeginn registriert, die meisten davon in Berlin (839 Erkrankte), weitere Erkrankungen »Laut der WHO starben 2013 146.000 Kinder an Masern.« gab es vor allem in Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen und Nordrhein-Westfalen. Für die Stadt Berlin bedeutet diese Entwicklung den größten Masernausbruch seit 2001 (6.139 Fälle), als das Infektionsschutzgesetz eingeführt wurde. Solche Wellen von Masernerkrankungen sind nicht neu, ähnliche Ausbrüche gab es außer 2001 auch 2002 (4.564 Fälle), 2006 (2.308 Fälle), 2011 (1.608 Fälle) und 2013 (1.769 Fälle), meistens regional begrenzt. Eigentlich wollte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Masernvirus, das eines der ansteckendsten Infektionskrankheiten überhaupt verursacht, vollständig ausrotten; als Ziel hatte sich die Weltgemeinschaft das Jahr 2020 ge24 setzt. Tatsächlich war es gelungen, die tretenden Influenza (Grippe)-Raten, ist weltweiten Masernerkrankungsraten zwiPanik eigentlich nicht angebracht. Denn schen 2000 und 2013 um 75 Prozent zu allein in den ersten sieben Wochen des senken. Impfkampagnen konzentrieren Jahres 2015 wurden 21.676 Fälle von Insich hier vor allem auf Kinder in den so genannten Entwicklungsländern, in denen die Krankheit zur hohen Kindersterblichkeit beiträgt. Im Jahr 2013 starben laut Angabe der WHO weltweit 146.000 Kinder an Masern, statistisch gesehen verläuft einer von 1.000 Krankheitsfällen tödlich. Das Gefährliche an dieser Krankheit ist, dass es neben der eigentlichen Erkrankung Folgewirkungen geben kann, die trotz guten Krankheitsverlaufs in späteren Jahren möglicherweise tödlich enden. Die Masernviren können sich beispielsweise im Gehirn festsetzen und eine SSPE (Subakute Sklerosierende Panenzephalitis) auslösen: Die Viren beginnen, die Nervenzellen zu schädigen, Ein Motiv der bundesweiten Impf-Kampagne der BZgA bis das Gehirn nicht mehr funktionsfähig ist. fluenza, gleichfalls sehr ansteckend und Aufgrund dieser Tatsachen gehören die ebenfalls manchmal tödlich verlaufend, Masern zu den meldepflichtigen Krankgemeldet. Da die Influenza aber in jedem heiten, ebenso wie HIV, Malaria, TuberJahr in den Wintermonaten gehäuft aufkulose oder Keuchhusten. Vergleicht man tritt, wird dies nicht als ungewöhnlich die Masernfälle mit den gleichzeitig aufangesehen. Ebenfalls relativ hoch sind LebensForum 113 die gemeldeten Fälle von Keuchhusten (1.501 Fälle allein in den ersten sieben Wochen des Jahres 2015), Tuberkulose (575 Erkrankungen im selben Zeitraum) oder dem Norovirus (24.062 Erkrankungen), abgesehen von sexuell übertragbaren Krankheiten wie Syphilis (2014 insgesamt 5.722) oder HIV (3.525). Die Empfehlungen zur Eindämmung der weiteren Verbreitung reichen von den genannten Impfpasssuchkampagnen über eindringliche Ratschläge bis hin zu Schulund Kindergartenverboten für nicht geimpfte Kinder und der Einführung einer Impfpflicht. Der tragische Todesfall eines Kleinkindes, das sich in Berlin-Reinickendorf in einer Kindertagesstätte an- »Für Eltern ist es schwierig die richtige Entscheidung zu treffen.« gesteckt hatte, heizt die Diskussion zusätzlich an. Denn wäre dieses Kind gegen Masern geimpft gewesen, würde es noch leben. Eine hier zu stellende Frage wird wohlweislich nicht gestellt: Würde das Kind noch leben, wenn es mit eineinhalb Jahren statt in einer Kita zu Hause gewesen wäre, was medizinische Fachleute für Kinder in diesem Alter wegen des nicht ausgereiften Immunsystems zum Teil schon empfehlen? Darf man eine Impfpflicht verhängen? Unterminiert man nicht damit das Elternrecht? Viele Eltern sind gegenüber dem Impfen vorsichtig geworden. Es mehren sich Stimmen, die vor schweren Nebenwirkungen bis hin zu autistischen Erkrankungen warnen, welche möglicherweise durch Impfungen, vor allem die starken Mehrfachimpfungen (gegen fünf Krankheiten gleichzeitig), ausgelöst werden könnten. Von Impfbefürwortern zum Teil als Spinner oder Ideologen abgetan, findet man bei Recherchen bedenkenswerte Krankheitsfälle und wissenschaftliche Hinweise, die ernst zu nehmen und zu erforschen angebracht wäre. Manche Eltern aus der Generation der 60er Jahre, die selbst alle möglichen Kinderkrankheiten unbeschadet überstanden haben, halten einige Impfungen für übertrieben und möchten ihre Kinder in dieser Beziehung natürlich aufwachsen lassen. Bei manchen Kinderkrankheiten ist es jedoch schwer, sie überhaupt zu bekommen, weil es bei Kindern inzwischen eine so genannte Durchimpfungsrate von über 90 Prozent gibt, unter anderem gegen Mumps und Röteln. LebensForum 113 Eine weitere Frage lautet: Muss ich gegen alle möglichen Erkrankungen impfen? Für Eltern ist es schwierig, die richtige Entscheidung zu treffen. Während die Impfbereitschaft bei Kinderlähmung (Polio), Röteln oder Tetanus sehr hoch ist, ist das Für und Wider im Falle von Windpocken schwerer zu bewerten. Bei Kindern verlaufen die Windpocken in der Regel relativ harmlos, bei Erwachsenen dagegen gibt es Fälle von Hirnhaut- oder Lungenentzündungen, besonders gefährlich, wenn auch selten, ist die Krankheit bei Schwangeren. Daraus ergibt sich, wenn man die Impfungen bei Kindern nicht durchführen lässt, also ein Folgeproblem: Hatte man als Kind keine Windpocken und wurde später nicht dagegen geimpft, ist eine Erkrankung im Erwachsenenalter möglich, die dann eben weit schwerer verlaufen kann als im Kindesalter. Eine weitere Frage, die in keiner Impfkampagne, in keiner Zeitung, keiner Fachzeitschrift und keinem anderen Medium während der letzten Monate gestellt wurde, lautet: Welche ethischen Gründe könnten jemanden dazu bewegen, impfkritisch zu sein? Man muss bei diesem Thema Ärzten und Apothekern zugutehalten, dass sie es nicht wissen, weil man von selbst nicht darauf kommt und sich das meistens auch nicht vorstellen kann. Tatsache ist aber, dass sehr viele Impfstoffe mit Hilfe von Zelllinien abgetriebener Kinder hergestellt wurden und werden. Das wurde eine Zeit lang ebenfalls als Spinnerei von Lebensrechtlern abgetan, lässt sich aber, im Gegensatz zu anderen Dingen, relativ leicht und schlüssig nachweisen. In den Packungsbeilagen der Impfstoffe muss angegeben werden, auf welchem Medium das Virus vermehrt worden ist – um einen Impfstoff gegen ein Virus herzustellen, ist die gängige Methode, dieses Virus zunächst zu vermehren und danach für die Herstellung abzuschwächen oder zum Beispiel nur einzelne Bestandteile davon zu verwenden. Viren vermehren sich nur auf lebendem Gewebe, im Gegensatz zu Bakterien, die auf Nährlösungen wachsen können. Die Angabe ist zum Beispiel notwendig, weil bisherige Grippeimpfstoffe mit bebrüteten Hühnereiern hergestellt werden. Da minimale Reste des Gewebes, in diesem Fall des Hühnerembryos, nicht vollständig entfernt werden können, besteht in geringem Maße eine Reaktionsmöglichkeit bei Menschen, die gegen Hühnereiweiß allergisch sind. Neben Hühnerembryonen können Zellen von Affen, Hamstern oder Hunden verwendet werden, was seit Jahren ebenso wie zum Beispiel bei kosmetischen Tests die Tierschützer auf den Plan ruft. Dass die Alternative neben der ethischen Variante der Bierhefe in der Verwendung fötaler Zelllinien besteht, wird verschwiegen. Man spricht, zwar korrekt, aber nicht exakt, von »humanen« Zelllinien oder von »humanen diploiden Zellen«. Alle gängigen Zelllinien, die stetig weiter kultiviert werden, sind mit Kürzeln versehen und finden sich mit der entsprechenden Erklärung in Zellbanken, die sie verkaufen. Bei Impfstoffen sind dies vor allem drei Zelllinien: MRC-5, WI-38 und PER.C6. Hinter diesen Abkürzungen verbergen sich abgetriebene Kinder, deren sofort nach der Abtreibung entnommene Gewebe seitdem neben Forschungsarbeiten für die Massenproduktion von Impfstoffen verwendet werden. Eine der älteren Linien ist MRC-5 (Medical Research Council London, Lungenzellen eines im September 1966 abgetriebenen Jungen im Alter von 14 Wochen), nach Angaben der Verkaufsfirmen sind diese Zellen besonders geeignet für die Vermehrung von folgenden Viren: Varicella Zoster (Erreger von Windpocken und Gürtelrose), Herpes simplex, Polio und Adenoviren. Die andere ältere Linie, WI-38, stammt von einem in den 60er Jahren im 3. Monat abgetriebenen Mädchen, wird besonders für Polio oder Herpes empfohlen und zum Beispiel bei dem Unternehmen ATCC für 575 Dollar pro gefrorener Portion verkauft. Die »Die Verwendung fötaler Zelllinien wird verschwiegen.« meisten in Deutschland zugelassenen Virus-Impfstoffe werden mit einer dieser beiden Linien hergestellt. Man könnte sich darauf zurückziehen zu sagen, diese Impfstoffe sind bewährt, es gibt sie schon lange und es war jeweils nur ein Kind. Bei einigen Krankheiten (Polio, Hepatitis B) gibt es auch ethische Alternativen. In Deutschland findet sich jedoch keine Masern-Mumps-Röteln-Kombinationsimpfung ohne fötalen Zellhintergrund, bei Windpocken ist das weltweit der Fall. Würde das genannte Argument weiterhin dafür genutzt, keine weitere Forschung und Produktion in dieser Hinsicht zu betreiben und nach für Tierschützer wie für Lebensrechtler verträglichen Alternativen zu suchen, könnte man vielleicht damit leben. 25 MED I ZI N Die aktuelle Situation zeigt ein anderes Bild, was zu der neuesten Linie PER. C6 führt: Diese Linie wurde von Dr. van der Eb unmittelbar nach der Abtreibung des betreffenden Kindes isoliert. Der Forscher erklärte in einem Vortrag vor der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA, dass es sich um ein vollständig gesundes »In menschlichen Zellen vermehren sich Viren besonders schnell.« Kind gehandelt habe, eine unabdingbare Voraussetzung für die Nutzung. Aus dessen Zellen hat sich eine komplette Technologie entwickelt, die von der niederländischen Firma Crucell seit Jahren erfolgreich betrieben und vermarktet wird. Die Zukunft legen diese Firmen also gerade und verstärkt in die Nutzung der Kinderzellen, was angesichts der Vorteile dieser Methode auf der Hand liegt: In menschlichen Zellen vermehren sich Viren besonders gerne und schnell, außerdem ist die Gefahr von allergischen Reaktionen seitens der geimpften Personen gering bis gleich null. Diese Techno- logie ist mittlerweile so weit ausgereift, dass viele Pharmakonzerne sie in Lizenz kaufen, um damit neue Impfstoffe herzustellen, darunter Mehrfachimpfstoffe für Kinder, Impfstoffe gegen Hepatitis A und B, gegen Influenza oder Kinderlähmung. Möglichst bald soll es auch wirksame Impfungen gegen HIV oder Ebola geben (hier wird der Impfstoff gerade produziert, um ihn für klinische Studien zur Verfügung zu stellen), ebenfalls mit der PER.C6-Linie, außerdem steigt der Markt für monoklonale Antikörper, basierend auf dieser Technologie, ebenfalls stetig. Die Firma wirbt mit »aluminiumfreien« Impfstoffen und Massenimpfungen in den Entwicklungsländern, zurzeit ist sie Hauptlieferant einer Fünffachimpfung für UNICEF. Im Jahr 2013 wurden nach eigenen Angaben über 111 Millionen Impfdosen in mehr als 60 Staaten verkauft. Im Oktober 2014 änderte das Unternehmen seinen Namen: Die Firma Janssen gehört jetzt zu Johnson & Johnson, der unter anderem Penaten und Carefree produziert. Die gewinnbringende Hoffnung einiger pharmakologischer Bereiche liegt besonders in der Nutzung von Geweben abgetriebener Kinder. Für viele Menschen verstärkt dies das Impfdilemma. Die Empfehlung der Päpstlichen Akademie für das Leben (die einzige kirchliche Institution, die sich damit beschäftigt hat) lautet: Man kann impfen, wenn es keine Alternativen gibt, muss sich aber gleichzeitig dazu verpflichten, bei Aufklärung und Veränderung der Situation mitzuwirken. Ein Dilemma kann nicht gelöst werden. Insgesamt betrachtet, ist eine totale Impfverweigerung ebenso wenig zu empfehlen wie die widerstandslose Hinnahme der Tatsachen. IM PORTRAIT Alexandra Maria Linder M. A. Die Autorin, Jahrgang 1966, hat Romanistik und Ägyptologie studiert und sich als Übersetzerin und Lektorin selbständig gemacht. Die 1. Stellvertretende Bundesvorsitzende der ALfA e. V. hat 2009 das Sachbuch »Geschäft Abtreibung« veröffentlicht, das auch das Impfthema behandelt. Sie lebt mit ihrem Ehemann und drei Kindern im Sauerland. ANZEIGE ͙͝Ǥ͚͙͘͝ ͚͘ o͙ǡ͘͘͟͟͠ VV ,FKZROOWHGHQ)UDXHQKHOIHQǤ ǡ ǡǡ ǣȋ òȌȁǨ 26 LebensForum 113 DANIEL RENNEN G E S ELLSC H AFT Erklärtes Rechtssubjekt: der ungeborene Mensch Unter dem Titel »Abtreibung – Ein neues Menschenrecht?« haben deutsche Lebensrechtler gemeinsam ein Buch herausgegeben, das unlängst bereits seine Auflage erfahren hat. In ihm nehmen zwölf Autoren ganz unterschiedliche Aspekte des Abtreibungsgeschehens in den Blick und beleuchten seine Folgen für Staat, Recht und Gesellschaft sowie den Einzelnen. Grund genug für eine ausführliche Rezension. Dr. med. Maria Overdick-Gulden D ie Neuauflage des Titels »Abtreibung – Ein neues Menschenrecht?« ist der eindringliche Appell der zwölf Autoren des Werkes an unsere Gesellschaft, Ernst zu machen mit dem im deutschen Grundgesetz, in der Perspektive Europas und der Weltorganisation UNO verbürgten Grundrecht auf Leben und Achtung vor der unantastbaren Menschenwürde eines jeden von uns. Sein Lebensrecht ist nicht nur unverbindlich zu zitieren, sondern in der Lebenspraxis zu verwirklichen. Denn im Hier und Jetzt erscheint die Wahrnehmung der Wirklichkeit des Menschenlebens gerade in seiner embryonalen Phase oft interessengeleitet: als verfügbares »Forschungsobjekt«, hinter »psychoLebensForum 113 sozialem« Schleier missverstanden oder durch mangelhafte Pädagogik im Unwissen belassen. Die Europäische Menschenrechtskonvention und der Europäische Gerichtshof, wie auch die Charta der Grundrechte der EU, berücksichtigen die jeweilige nationale Rechtsordnung und legen das Recht auf persönliche Autonomie und Freiheit der Wissenschaft »sehr weit« aus, so Katharina Pabel kritisch, was gerade für die unwägbar entwicklungsoffene Fortpflanzungsmedizin zutrifft. Hier gewinnt die Eugenik an wissenschaftlichem Boden und demzufolge an privater Akzeptanz. Die deutsche Gesetzesnovelle von 1995 beurteilte den Tatbestand der Abtreibung im gesellschaftlichen Kompromiss als »rechtswidrig, aber straffrei«, sollte sich im »helfen statt strafen« äußern. In Bezug auf die Klärung der Rechtslage und der Lebensverhältnisse geschieht kaum Aufklärung, sodass ein Nachdenken über gewissenhaft geprüfte Entscheidung eher unterbleibt. Der juristische Begriff des »rechtswidrig« wird zunehmend als »Worthülse« empfunden und letztlich mittels des vorgeschriebenen Beratungsscheins als einziger »Rechtsunterlage« für eine Menschentötung übersehen, so der Richter a. D. Bernward Büchner. Was nicht strafbar ist, wird de facto als »erlaubt« gedeutet, das Lebensrecht bleibt unerörtert, letztendlich »im Volksmund« verleugnet. Der Jurist Reiner Beckmann schreibt: »Das ›Beratungskonzept‹ ist da27 GESELLSC HA FT 28 liche Nothilfe für das ungeborene Kind soll ausgeschlossen sein! Der auf Tötung des Ungeborenen gerichtete Arztvertrag soll rechtswirksam sein! Die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen sowohl die bei Abtreibung erforderlichen Voruntersuchungen und komplikationsbedingte Nachbehandlungen. Für entsprechende Versorgungszentren kommen staatliARCHIV sorge (mindestens!) zwei Menschenleben gegenüber verpflichtet ist. Dies dürfte inzwischen jedem Zeitgenossen bewusst sein, doch wird diese Einsicht überlagert von dem Begriff beanspruchter »Selbstbestimmung« (Rainer Beckmann). Zwar widerspricht die ausschließliche Selbstbezüglichkeit beim Akt des Tötens unserem Grundgesetz Artikel 1 und dem ihm vorausliegenden philosophischen »Würdekonzept«. Der Abtreiber entfernt kein materielles Schwangerschaftsgewebe, sondern einen Menschen in der ersten Phase seines Lebens, die wir alle durchlebten, um uns als Menschen weiter zu entwickeln. Der Mensch ist wesentlich geistig komponiert. Insofern ist er Person von Lebensbeginn an: ARCHIV her prinzipiell ungeeignet, individuellen Rechtsschutz zu gewährleisten.« Außerdem verlangen die Besonderheiten des Beratungsgesetzes nach BVerfGE 88,203 (280), »davon abzusehen, den nach Beratung vorgenommenen Schwangerschaftsabbruch, obwohl er nicht gerechtfertigt ist, als Unrecht zu behandeln«. Gravierend in solchem Zusammenhang ist die faktische Nichtbeachtung der vom Gesetzgeber auferlegten Kontrollpflicht über die Folgen eines derartigen »Schutzkonzepts« für die künftige Wahrnehmung des Lebensrechts des Ungeborenen. Bis heute wird dieser juristischen Auflage, eine lebensfördernde Wirkung einerseits gegenüber den lebensfeindlichen Nebenwirkungen abzuwägen, nicht entsprochen. Wie stellt sich die gesellschaftspolitische Praxis dar, nun, da man den »demografischen Wandel« registriert? Konsequenzen scheinen sich nicht zu ergeben. Der an den hippokratischen Eid gebundene einzelne Arzt kann sich, wie auch Hebammen und Krankenpersonal, auf das persönliche Weigerungsrecht bei Abtreibung berufen, dabei sollte er keinerlei Benachteiligung ausgesetzt sein. Welche diesbezügliche Einzelerfahrung seit 1974 gemacht wurde, liegt bis heute im Dunkeln. Schließlich betonte im Jahr 2000 der Präsident der DGGG, dass das Fach Gynäkologie selbst »die Last des Tötens« auf seine Schultern nehme: »aus Verständnis und Hilfsbereitschaft für die Frauen!« Denn der Bundesgesetzgeber hatte 1992 die Organisation der Tötung Ungeborener zur »Aufgabe eines Rechtsstaates« im Sinne der »Fürsorge« (VerfGE 88, 203, (328)) erklärt. Zeichenhaft für die faktisch mögliche Wahrnehmung des Lebensrechts eines jeden von uns erscheint Richter a. D. Bernward Büchner der Hinweis auf das juristisch mögliche Weigerungsrecht des seinem Gewissen verpflichteten Apothekers (!) zum Schutz des Embryos in seiner vornidativen Lebensphase: er hat die »Pille danach« nicht in seinem Angebot! Bislang nicht, bleibt einzuräumen! Demgegenüber ist die resultierende juristische Problematik um das ärztliche Weigerungsrecht sehr viel komplexer. Denn Ärzte seien aufgrund derzeitiger Gesetzeslage nur noch grundsätzlich zum Schutz des Ungeborenen verpflichtet, sie können »nicht gezwungen werden, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen oder ihn zu unterlassen« – ein rechtliches »Sowohl als auch«! Jeder ärztlich Tätige weiß heute aus seinem Studium der Embryologie indessen, dass er bei der übernommenen Schwangerenfür- Claudia Kaminski Giovanni Maio Er ist ab seiner Zeugung Rechtsträger und als solcher vom Staat in seinem Lebensrecht konsequent zu schützen. Seine Menschenwürde ist unantastbar. Dieses Menschenbild ist im Grundgesetz vom 8. Mai 1949 festgehalten: als Prinzip unserer Justiz. Diese Anthropologie ist wesentlich Seinslehre und widerspricht jedwedem Utilitarismus, gerade dem von Peter Singer, der sich einem größtmöglichen Glück der Menschheit verpflichten (oder ausliefern) will, ungeachtet, ob es dabei »Schwache« zu opfern gilt, die in seinen Augen »Unglück« bedeuten. Das ist durch die Logotherapie nach Viktor E. Frankl längst widerlegt. »Glück« entspringt den je individuellen Sinndeutungen des menschlichen Da-Seins und ist ein Lernprozess. Die »Logik« der Beratungsregelung auf dem Konzept vereinseitigter Selbstbestimmung führt darüber hinaus zur staatlichen Billigung von Unrecht: jeg- che Mandatsträger auf. Und was ist unter »ergebnisoffener Beratung« zu verstehen? Darf man hier überhaupt zum Erhalt des frühen Menschenlebens ermutigen und etwas dazu »sagen« oder hat man nur schweigend anzuhören, was die betroffene Frau aussagt – wenn sie das überhaupt will? Soll man ihr in der Aushändigung des »Scheins« die gesetzlich einzig benötigte Begründung der Kindestötung wortlos übergeben, vielleicht mit einem »Au revoir!«? Auch wenn, wie nicht selten, die Abtreibungsbegründung von der Wortstärke des Partners oder des familiären Umfelds geweckt und somit als Fremdbestimmung aufgebürdet wurde? Ausführlich berichtet der Sozialwissenschaftler Manfred Spieker über den »Missbrauch der UNO« im Doppelsinn, denn einmal wird sie von Interessengruppen als Weg zu einem vorgeblichen »Abtreibungsrecht« benutzt, wobei Unterorganisationen und NGO’s, UNFPA, IPPF (in Deutschland »pro familia«), WHO und allen voran CEDAW sich bei internationalen Konferenzen in eigenwilliger Sprache zu Frauenrechten und sogenannter Familienplanung, vornehmlich zur »reproduktiven Gesundheit«, äußern (Konferenzen von Kairo 1994 und Peking 1995) und unter diesem planetenweiten Dach intensive Beihilfe erfahren. Eigentlich hatten 1948 die 51 LebensForum 113 UNO-Gründungsmitglieder die Achtung recht nicht zu »gefährden«. Zynismus zu dem »Kompromiss« über acht Milvor den Menschenrechten zum Schutz pur: 1983 erhielt China den Population lionen Abtreibungen seit 1975 mit dem des Individuums vereinbart. Alle MenAward für die erfolgreich durchgeführte nachfolgenden demografischen Wandel schen sind »mit Vernunft und Gewissen Ein-Kind-Politik, auch wenn diese eine in unserem Land (und in Europa) kombegabt und sollen einander im Geist der Möglichkeit der Abtreibung bis zur Gemen konnte. So manchem fällt Heinrich Brüderlichkeit begegnen«. Entsprechend burt beinhaltet. Aus Deutschland flieHeine ein: » (…) da bin ich um den Schlaf betont die Charta der Kinderrechte die ßen jährlich etwa 21 Millionen US-Dolgebracht.« Was bleibt zu tun in unserem Verpflichtung zu einem angemessenen lar zur Unterstützung diesbezüglicher Land und vor allem zu ändern? »Es gibt Schutz des Kindes »vor und nach der GeUNO-Einrichtungen: die »Pilleninduskeine Alternative zur Familie«, und hier burt«! Heute allerdings bleibt immer öftrie« – vor allem Hersteller der frühabhaben Schulen, vor allem die Frühpädater in aktuellen Berichten das Kind unertreibenden »Pille danach« – erfährt trotz gogik, anzusetzen, es sind frauenpolitische wähnt und das Post-Abortion-Syndrom relativ häufigen Versagens breite UnterNetzwerke zu gründen. Uns Bürgern, d. (PAS) verschwiegen. Ein Trost: Es gibt stützung von Stiftungen und Organisatih. eigentlich jedem von uns, ist sowohl immer noch Dämme der Vernunft geonen vorwiegend aus den USA. Die Nader Einsatz für das Lebensrecht im Eingen die Unkultur des Tötens: so die »San türliche Empfängnisregelung auf der Bazelfall (M. Grundberger) wie in der ÖfJosè-Artikel« (2011), das Vaticanum II in sis von Vernunft und Naturrecht bleibt fentlichkeit aufgegeben. Jeder Mensch Gaudium et Spes (No.51 und 27) sowie unerörtert. Inzwischen bieten Abtreihat (s)ein Gewissen und so viel Vernunft, die einschlägigen päpstlichen Enzykliken, bungsdienstleister wie IPPF und MSI dass er die Begrenzung seiner Autonomie die im Geist von »Evangelium vitae« zur sogenannte »manuelle Vakuum-Absauanzuerkennen und sich als soziales WeVerteidigung des Menschenrechts auf Legetechniken« an, die den Uterus »reisen mit Pflichten für den Nächsten verben auffordern, ja um des Menschen wilstehen lernt. Beispielsweise kann er die len darauf drängen. Auch im EuropaparSelektion von Menschen durch PID und BUCHTIPP lament lässt sich, so Dr. Peter Liese, bei PND zurückweisen (G. Maio). allem Pluralismus durch die klar vertreEin Ethik-Codex der Mitmenschlichtene Position eines Abgeordneten etwas keit steht uns zur Verfügung. Durch gefür den Lebensschutz erreichen. schultes Wissen und Gewissen beginUm die Not des Post-Abortion-Synnen wir uns als Selbst zu erfahren und droms wissen inzwischen aufmerksame so gesehen auch tatsächlich als »selbstInternetbenutzer. Die lange Zeit praktiernannt« zu verstehen, wie uns Populiszierte wissenschaftliche und öffentliche ten hämisch bezeichnen. Wir wollen in Tabuisierung dieser spezifischen Posttrauunserer Sprache verdeutlichen: Schwanmatischen Belastungsstörung nach Abtreigerschaftsabbruch ist Tötung eines unbung in Form körperlicher und vor allem geborenen Menschen, nicht nur die Verpsychischer Störungen wie schwerer Deänderung des physischen Zustands einer pression mit Suizidhäufung und die breit Frau. Diesbezügliche Aufklärung ist begefächerte Nachbetreuung dieser Leiden reits aus antiken Schriften zu erlernen, ist inzwischen weltweit aufgebrochen, die beim hippokratischen Ärztekreis, in der Leiden der Frauen werden »veröffentBibel und der Didache des 2. Jahrhunlicht«. Seit 1993 bereits fordert § 2 Abs. derts, in der Frühzeit der Moderne bei 2 Nr. 6 SchKG die Information über die Immanuel Kant: für ihn ist der gerade geBernward Büchner/Claudia Kaminski/ psychischen Folgen der Abtreibung wähMechthild Löhr (Hrsg.): Abtreibung – zeugte Menschenembryo »Erdenbürger« rend der Beratung, schreibt Claudia KaEin neues Menschenrecht? mit seinem Lebensrecht (Metaphysik der minski (S. 209ff.). Zweite Auflage, Beltheim, 2014. Sitten, Rechtslehre § 28). Die ALfA ist Doch gleichzeitig konnte sich eine in»Aktion«, indem sie bundesweit Hilfen 261 Seiten. 14,80 EUR. ternationale Ideologie des Feminismus bei psycho-sozialer Not oder mediziniin der deutschen Stiftung Weltbevölkescher Komplikation vermittelt. Sie ist rung und bei »pro familia« verbreiten, nigen«; sie brüsten sich mit weltweitem »Aufklärung« über aktuelle Forschungsdie hartnäckig Abtreibung als FrauenErfolg solcherart »Menstruationsreguergebnisse zum Menschsein von der Zeurecht zu legalisieren versucht, schreibt lierung« und sind aus Steuermitteln der gung an bis zu seinem natürlichen EnAlexandra Linder. Die dabei praktizierte EU mitfinanziert. Ist »Die EU – Komde. Und dabei sind wir durchaus »radiPerversion reiche so weit, dass der Proplizin der Abtreibungspolitik in Entkal« im ursprünglichen Sinn: »verwurHamburg · Samstag, 18.04.2015 · Fachtagung zur „Woche für das Leben“ Ja zum Leben – für ein Europa test gegen die Ein-Kind-Politik in Chiwicklungsländern?« Diese Frage stellt zelt« (radix = Wurzel) im Grundwissen ohne Abtreibung und Euthanasie! Bundesverband Lebensrecht e. V. · (030) 644 940 39 · www.bv-lebensrecht.de/fachtagung na und die in Indien überwiegende AbSophia Kuby zu Recht. Mechthild Löhr um die naturgemäße einmalige Würde treibung von Mädchen unterbleibe, um will verfolgen, wie es trotz Grundgesetz jedes Menschen. Wir sehen uns im Du das international erstrebte Abtreibungszum Abschied vom Tötungsverbot und und Ich in Augenhöhe. „Du sollst nicht töten … lassen“ – Grenzen der Selbstbestimmung ANZEIGE „Du sollst nicht töten … lassen“ – Grenzen der Selbstbestimmung Bundesverband Lebensrecht e. V. · (030) 644 940 39 · LebensForum 113 Fachtagung zur „Woche für das Leben“ Hamburg · Samstag, 18.04.2015 www.bv-lebensrecht.de/fachtagung Ja zum Leben – für ein Europa ohne Abtreibung und Euthanasie! 29 BÜC H ERFO RUM B ücher, die einzelne bioethische Fragen behandeln oder gar einen Überblick über das immer unübersichtlicher werdende Feld geben, sind längst Legion. Nur wenigen gelingt es, wie Leuchttürme aus dem Meer der übrigen Publikationen herauszuragen. Das von Norbert Arnold im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) herausgegebene und Anfang des Jahres im Herder Verlag erschienene Werk »Biowissenschaften und Lebensschutz – Wissenschaft und Kirche im Dialog« ist eines von ihnen. Es geht auf eine Tagung zurück, zu der die KAS katholische Theologen und Sozialwissenschaftler, Philosophen, Juristen und Biowissenschaftler versammelte. Gegliedert in fünf Teile nimmt es zunächst die »bioethische Agenda« in den Blick. Ein zweiter Teil behandelt den »Status des Embryos«, bevor ein dritter die »Forschung mit embryonalen Stammzellen« beleuchtet. Der vierte Teil des Buches beschäftigt sich mit dem weiten Feld »vorgeburtlicher Diagnostik«, bevor der letzte danach fragt, welche Rahmenbedingungen gegeben sein müssen, damit der wissenschaftliche Fortschritt auch ein humaner sein könne. Jedem Teil schickt der Herausgeber eine profunde Einführung voraus. Der studierte Biologe und Philosoph, der in Gießen und Zürich als Molekularbiologe gearbeitet hat, bevor er zur KAS wechselte, wo er heute das Team Gesellschaftspolitik leitet, verkörpert bis in seine Vita hinein das Anliegen des Buches, das sich redlich um gegenseitige Wertschätzung und Verstehen der jeweils anderen Seite bemüht. Ein schwieriges Unterfangen, wie einige der in diesem Buch versammelten Beiträge deutlich machen. So sieht sich etwa die Katholische Kirche, die die meisten Forschungs- und Anwendungsgebiete der Biomedizin ablehnt – angefangen bei der Abtreibung über die künstliche Befruchtung und die embryonale Stammzellforschung bis hin zum Klonen beim Menschen sowie Eingriffen in die Keimbahn –, regelmäßig dem Vorwurf ausge- setzt, sie verträte eine Sondermoral, die nur jene binden könne, die auch ihr Credo teilten. Ein Irrtum, wie etwa der Beitrag von Eberhard Schockenhoff verdeutlicht. Zwar verpflichtet der Gedanke der Gottesebenbildlichkeit des Menschen die Kirche in besonderer Weise öffentlich für den Schutz des Lebens einzutreten. Zu den gleichen Ergebnissen kann aber auch kommen, wer sich bereitfindet, die Konsequenzen zu akzeptieren, die sich aus dem, für Demokratien konstitutiven Gedanken der Menschenwürde ergeben. Denn konkret bedeutet »die Würde des Menschen anzuerkennen, jeden Menschen von Beginn an, in jeder Form und bis zu seinem Ende zu respektieren«. Aspekte der Menschenwürde behandeln auch die Beiträge des Philosophen Walter Schweidler, des Theologen Stephan Ernst und des Staatsrechtlers Wolfram Höfling, wobei Letzterer die in Mode gekommene »Entkoppelungsthese« von Menschenwürde und Lebensschutz als unvereinbar mit dem Grundgesetz erweist. Der Sozialwissenschaftler Manfred Spieker zeigt in seinem Beitrag, wie die misslungene Reform der rechtlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs aus dem Abtreibungsstrafrecht ein vermeintliches Recht auf vorgeburtliche Kindstötungen gemacht hat und wie sich dies am Ende des Lebens bei der nun anstehenden rechtlichen Neuregelung der Suizidhilfe zu wiederholen droht. Besondere Beachtung in diesem jeden Cent werten Buch verdienen auch die Beiträge der beiden Humangenetiker Hilger Ropers und Klaus Zerres. Zeigen sie doch nicht nur, welche Dynamik der genetischen Diagnostik innewohnt, sondern auch, wie schwierig sich eine rechtliche Regulierung dieses boomenden Marktes ausnehmen würde. Bioethischer Dialog 30 Stefan Rehder Norbert Arnold (Hrsg.): Biowissenschaften und Lebensschutz. Wissenschaft und Kirche im Dialog. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2015. Gebunden. 302 Seiten. 24,99 EUR. Im Schaufenster Medizin zwischen Markt und Moral In dieser Studie zeigt der Soziologe Fabian Karsch von der Ludwig-Maximilians-Universität München, wie die wachsende »Medikalisierung der Gesellschaft«, die Gesundheit zu einem »Megatrend« erkoren hat, Ärzte in einen »Konflikt zwischen Markt und Moral« treibt. Die Ausweitung der »Lifestyle-Medizin« stelle sie vor die Entscheidung, »konträr zu ihrem tradierten humanistischen Selbstverständnis systematisch neue Erwerbsfelder« zu erschließen. Dabei zeigt der Autor, dass die Debatte über die Kommerzialisierung der Medizin auch eine stabilisierende Funktion hat, die das Selbstverständnis des Arztes als Heiler stärkt und ihn gegen das neue Bild als Lifestyle-Dienstleister wappnet. Fazit: Empfehlenswert. reh Fabian Karsch: Medizin zwischen Markt und Moral. Zur Kommerzialisierung ärztlicher Handlungsfelder. Transcript Verlag, Bielefeld 2015. 256 Seiten. 32,99 EUR. Selbstbestimmung im Sterben Das Buch zum Gesetzentwurf, den vier Hochschullehrer im August vergangenen Jahres in München vorgestellt haben (vgl. LF Nr. 111, S. 4ff.), hat nur 104 Seiten. Die aber haben es in sich. So wohlklingend viele Formulierungen daherkommen, sie können alle nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier vier Gelehrte der Politik ungebeten nicht nur einen Paradigmenwechsel anraten, sondern ihr diesen auch gesetztechnisch angerichtet auf dem Silbertablett servieren. Das verlässt den Rahmen wissenschaftlich fundierter Politikberatung und eröffnet ein neues Feld, das mit außerparlamentarischer Politikgestaltung nur unzureichend beschrieben ist. Wer den Autoren des Buches nicht unterstellen mag, dass sie die Öffentlichkeit bewusst LebensForum 113 über die Konsequenzen ihres Gesetzentwurfs täuschen, kommt nicht umhin, ihnen zumindest eine Elfenbeinturmmentalität zu assistieren. Denn es ist völlig lebensfremd anzunehmen, die Einführung des ärztlich assistierten Suizids könnte Forderungen nach der Legalisierung der »Tötung auf Verlangen« zum Verstummen bringen. Sie würde, ja muss sie befördern. Denn Patienten, die so verzweifelt sind, dass sie sich den Tod wünschen, werden Fragen wie die nach der »Tatherrschaft« für juristische Feinheiten halten, um die man sich ebenso wenig scheren müsse, wie dass Abtreibungen in aller Regel »rechtswidrig« sind und der Gesetzgeber hier lediglich unter bestimmten Voraussetzungen auf Strafe verzichtet. So gut gemeint der unerbetene Vorschlag sein mag – er liefe letztlich darauf hinaus, die Ärzte die Last des Tötens ein weiteres Mal schultern zu lassen. Fazit: Pflichtlektüre für Lebensrechtler, die sich an der Debatte über »Sterbebegleitung« beteiligen. reh Gian Domenico Borasio/Ralf Jox/Jochen Taupitz/Urban Wiesing: Selbstbestimmung im Sterben – Fürsorge zum Leben. Ein Gesetzesvorschlag zur Regelung des assistierten Suizids. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2014. 104 Seiten. 12,99 EUR. Familiengründung mit Samenspende Pro Jahr werden in Deutschland etwa 1.000 Kinder nach donogener Insemination geboren. Die Autorin ist Therapeutin mit eigener Praxis und Vorsitzende des Beratungsnetzwerks Kinderwunsch Deutschland sowie Vorstandsmitglied des Arbeitskreises donogene Insemination. Auch wenn der Leser hier also keine kritische Einstellung oder gar ablehnende Haltung zu künstlicher Befruchtung sowie zur gleichgeschlechtlichen Elternschaft erwarten kann, ist das Buch für Lebensrechtler dennoch keineswegs uninteressant. Neben Fakten zur Entwicklung der Samenspende in Deutschland hellt das Buch auch ein Feld auf, das bislang kaum erforscht ist: Nämlich welchen Einfluss die Art der Zeugung auf die Entwicklung der Kinder hat und wie sie darüber denken. Fazit: Für kritische Leser. san Petra Thorn: Familiengründung mit Samenspende – Ein Ratgeber zu psychosozialen und rechtlichen Fragen. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2014. 180 Seiten. 29,90 EUR. LebensForum 113 D ieses Buch ist schwer erträglich. Weniger, weil der Autor ein Verfechter des ärztlich assistierten Suizids ist, womit sich Lebensrechtler durchaus auseinandersetzen könnten, sondern weil Uwe-Christian Arnold es dem kritischen Leser recht schwermacht, seine Argumente ernst zu nehmen. So wirft er etwa den Gegnern des ärztlich assistierten Suizids gleich zu Beginn vor, sie beschwörten »die fürchterlichsten Schreckensszenarien« herauf und verkündeten »als vermeintliche ›Prediger in der Wüste‹ bisweilen sogar den ›Untergang des Abendlandes‹«, um genau diesen Kammerton selbst anzuschlagen. Der Beleg hierzu findet sich nur eine Buchseite weiter und liest sich so: »Ich habe lange überlegt, ob es sinnvoll ist, über das heikle Thema ›Suizidbeihilfe‹ so offen zu berichten (...) Letztlich habe ich mich dazu entschieden, weil ich hoffe, dass diese Herangehensweise einige von Ihnen, meine verehrten Leserinnen und Leser, dazu ermutigt, sich aktiver für das Recht auf Selbstbestimmung am Lebensende einzusetzen (...) Andernfalls nämlich ist die Gefahr groß, dass Sie auf den letzten Metern Ihrer persönlichen Wegstrecke in Bedrängnisse geraten, die Sie sich kaum wünschen können.« Okay, hier wird nicht mit dem ›Untergang des Abendlandes‹ gedroht. Aber wen interessiert das, wenn stattdessen das eigene Schicksal derart schwarzgemalt wird? Auch scheint sich der Autor nicht entscheiden zu können, was er eigentlich will. Und dies, obwohl er sich beim Verfassen seines Buches der Mitarbeit des Philosophen und Geschäftsführers der GiordanoBruno-Stiftung (GBS), Michael SchmidtSalomon, versichert hat, in deren Beirat Arnold sitzt. (Dass sein mit »Letzte Hilfe« überschriebenes Buch ausgerechnet den Titel trägt, unter dem auch die Kampagne der GBS firmiert, mag Zufall sein, lädt aber zu Spekulationen darüber ein, wer hier Koch und wer Kellner ist.) »Die Erfahrungen der letzten beiden Jahrzehnte«, in denen Arnold rund 200 Menschen beim Suizid assistiert haben will, hätten ihn überzeugt, »dass es auch in Deutschland möglich sein sollte, dass Ärzte ihre Patienten bei dem Wunsch unterstützten, friedlich und selbstbestimmt aus dem Leben zu scheiden, ohne dafür standesrechtliche Strafe in Kauf nehmen zu müssen.« So weit, so klar, könnte man meinen. Der Mann will, dass Ärzte, die Suizidhilfe leisten, nicht ihre Approbation verlieren. Nur ist es Arnold selbst, der Zweifel an dieser Lesart schürt. Denn an anderer Stelle wirft er Kollegen, die sich weigern, Patienten bei einem Suizid zu assistieren, nicht nur »unterlassene Hilfeleistung« vor und fordert, Patienten sollten diese »auf juristischem Wege« einklagen. Er verlangt sogar, dass Ärzte, die nicht bereit seien, Beihilfe zum Suizid zu leisten, nur auf Gebieten praktizieren sollten, auf denen sich die Frage nicht stelle. Nun ist der Verzicht auf Strafe für eine Tat, die nach Ansicht der Standesvertreter der Ärzte »keine ärztliche Aufgabe« ist, etwas völlig anderes als die Verpflichtung zu gerade dieser. Ein derart grober »Kategorienfehler« muss nicht nur Schmidt-Salomon beschämen, sondern auch Arnold selbst. Schließlich widmet der Arzt in seinem Buch ein ganzes Kapitel einem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts. Das hatte 2012 entschieden, die Berliner Ärztekammer sei nicht befugt, Arnold zu verbieten, einer Patientin eine todbringende Substanz zu überlassen, da ein generelles Verbot der Suizidbegleitung gegen dessen Recht auf Gewissensfreiheit und Freiheit der Berufsausübung verstoße. Dass ausgerechnet der derart Begünstigte meint, nun anderen dieses »Recht« absprechen zu können, lässt sich, wenn überhaupt, nur schwer erklären. Ganz sicher aber nicht mit dem Verweis auf den gesunden Menschenverstand. Großer Unfug Stefan Rehder Uwe-Christian Arnold: Letzte Hilfe. Ein Plädoyer für das Selbstbestimmte Sterben. Verlag Rowohlt, Reinbeck 2014. 240 Seiten. 18,95 EUR. 31 KURZ VO R SC H LU S S Tops & Flops » In Dänemark wird seit 2005 allen Schwangeren angeboten, testen zu lassen, ob sie ein Kind mit Down-Syndrom zur Welt bringen werden. Bereits im Folgejahr nahmen 84 Prozent das Angebot an. Die Zahl der in Dänemark mit Down-Syndrom geborenen Kinder hat sich seither halbiert.« Die Abgeordneten Corinna Rüffer (Bündnis 90/ Die Grünen), Hubert Hüppe (CDU), Dagmar Schmidt (SPD) und Katrin Vogler (Die Linke) in einer Pressemitteilung anlässlich einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung zu Bluttests, mit denen ungeborene Kinder auf das DownSyndrom getestet werden » Das Designer-Baby zeichnet sich am Horizont ab. Das muss gesellschaftlich begriffen und diskutiert werden.« Gerd Weimer (SPD), Behindertenbeauftragter des Landes Baden-Württemberg, gegenüber »Spiegel online« zu den umstrittenen Gentests während der Schwangerschaft » Es kann und darf nicht sein, dass Privatunternehmen die Schwangerenvorsorge in einen Absatzmarkt verwandeln, der politisch und berufsrechtlich weitgehend unkontrolliert und so beschleunigt ist, dass keine Zeit zum Nachdenken bleibt.« Die Journalistin Erika Feyerabend im Deutschen Ärzteblatt zum selben Thema » Dass in Österreich noch immer zwischen wertem und unwertem Leben unterschieden wird, ist unerträglich. Die so genannte eugenische Indikation, nach der Kinder mit Behinderung ohne Angabe von weiteren Gründen bis zum Tag der Geburt abgetrieben werden können, muss dringend gestrichen werden.« » Michael Chalupka, Direktor der Diakonie Österreich, anlässlich des Welt-Down-Syndrom-Tages am 21. März Der Fußballbundesligist FC Bayern München hat am Welt-Down-Syndrom-Tag (21.3.) ein leuchtendes Zeichen für die Inklusion von Menschen mit Down-Syndrom gesetzt. Vor dem Bundesligaheimspiel gegen Borussia Mönchengladbach liefen die Fußballprofis beider Mannschaften mit 24 Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Trisomie 21 in die Allianz Arena ein. Zuvor hatten sie sich noch mit den Spielern in den Katakomben unterhalten können. In der Halbzeitpause trat dann auch noch der 16-jährige Michael Freudlsperger gegen Bayern-Ersatztorwart Tom Starke zum Elfmeterschießen an. Der begeisterte Hobbyfußballer, der Träger des Down-Syndroms ist, verwandelte auf dem Rasen des ausverkauften Stadions dabei zwei von drei Versuchen. »DownSyndrom-Kinder sind wunderbare Menschen, voll mit Emotionen, Freude und Liebenswürdigkeit. Wir möchten allen zeigen, dass sie ein wichtiger und beschützenswerter Bestandteil unserer Gesellschaft sind«, sagte FCB-Kapitän Philipp Lahm zu der Aktion. Ligaweit stand der 26. Spieltag unter dem Motto »Mach einen Strich durch Vorurteile«. »LebensForum« meint: Eine sehr gelungene Aktion! reh JE SUIYSO EMBR JE SUIS EMBRYO Der Popmusiker und Brillenfan Sir Elton John (67) hat zum Boykott des italienischen Mode-Labels Dolche & Gabbana aufgerufen. Der Grund: In einem Interview mit der Zeitschrift »Panorama« hatten die italienischen Modedesigner Domenico Dolche (56) und Stefano Gabbana (52), wie Sir John bekennende Homosexuelle, danach gefragt, warum sie keine Kinder hätten, unter an- Sir Elton John derem erklärt: »Ein Kind braucht eine Mutter und einen Vater. Ich kann mir meine Kindheit ohne meine Mutter nicht vorstellen. Ich glaube auch, dass es grausam ist, einer Mutter ihr Kind wegzunehmen.« Die Leihmutterschaft, die immer mehr Homosexuelle in Anspruch nehmen, um sich Kinderwünsche zu erfüllen, bezeichneten sie als »Mieten von Gebärmüttern«. Sir John, der mit Hilfe einer Leihmutter zwei Kinder in die Welt gesetzt hatte, schrieb daraufhin auf Instagram: »Eure archaische Denkweise ist nicht zeitgemäß, genauso wie eure Mode. Ich werde nie wieder Dolce & Gabbana tragen«, und versah das Ganze mit dem Hashtag #BoycottDolceGabbana. Wie gefährlich es ist, sich eine andere Meinung als die von Sir John zu leisten, sollen die Betreffenden offenbar auf dem Konto spüren. reh JE SUIS EMBRYO DAVID SHANKBONE Expressis verbis JE EMBRSUIS YO JE SUIS EMBRYO JE SUIS EMBRYO Meine biologische Mutter hat für ihre Dienste 10.000 Dollar bekommen. Ich war am Boden zerstört.« Die US-Amerikanerin Jessica Kern in ihrem Blog »I am a product of surrogacy« 32 LebensForum 113 Aus der Bibliothek Immanuel Kant: Die Metaphysik der Sitten (1797) § 28 »Gleichwie aus der Pflicht des Menschen gegen sich selbst, d. i. gegen die Menschheit in seiner eigenen Person ein Recht (ius personale) beider Geschlechter entsprang, sich als Personen wechselseitig einander, auf dingliche Art, durch Ehe zu erwerben: so folgt, aus der Zeugung in dieser Gemeinschaft, eine Pflicht der Erhaltung und Versorgung in Absicht auf ihr Erzeugnis, d. i. die Kinder, als Personen, haben hiermit ein ursprünglichangebornes (nicht angeerbtes) Recht auf ihre Versorgung durch die Eltern, bis sie vermögend sind, sich selbst zu erhalten; und zwar durchs Gesetz (lege) unmittelbar, d. i. ohne dass ein besonderer rechtlicher Akt dazu erforderlich ist. Denn da das Erzeugte eine Person ist, und es unmöglich ist, sich von der Erzeugung eines mit Freiheit begabten Wesens durch eine physische Operation einen Begriff zu machen: so ist es eine in praktischer Hinsicht ganz richtige und notwendige Idee, den Akt der Zeugung als einen solchen anzusehen, wodurch wir eine Person ohne ihre Einwilligung auf die Welt gesetzt und eigenmächtig in sie herüber gebracht haben; für welche Tat auf den Eltern nun die Verbindlichkeit haftet, sie so viel in ihren Kräften ist, mit diesem ihrem Zustand zufrieden zu machen. – Sie können ihr Kind nicht gleichsam als ihr Gemächsel (denn ein solches kann kein mit Freiheit begabtes Wesen sein) und als ihr Eigentum zerstören oder es auch nur dem Zufall überlassen, weil an ihm nicht bloß ein Weltwesen, sondern auch ein Weltbürger in einem Zustand herüber zogen, der ihnen nun auch nach Rechtsbegriffen nicht gleichgültig sein kann.« Immanuel Kant: Die Metaphysik der Sitten. Werkausgabe in 12 Bänden, Band VIII. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel. Suhrkamp, Frankfurt a. Main (15. Aufl.) 2009. 582 Seiten. 18,00 EUR. »Die Welt. Die von morgen« (25) Die »Welt von morgen« ist in Aufruhr. Politiker_innen aller Herren_ Frauenländer fordern, die Universität Oxford müsse dem Humangenetiker Charlotte Detlev Gay mit sofortiger Wirkung die Lehrerlaubnis entziehen. Gay hatte in einem Interview mit dem Deutschen Ärzte_innenblatt die These vertreten, es gebe auch eine genetisch bedingte Form der Homosexualität, und erklärt, sein Start-up-Unternehmen wolle einen Gentest entwickeln, mit dem Schwangere ihr ungeborenes Kind auf das »Homo-Gen« testen lassen können sollen. Gay begründete sein Vorhaben mit der Behauptung, Frauen hätten ein Recht auf reproduktive Gesundheit. Dies schließe nicht nur ein, LebensForum 113 selbst zu bestimmen, wann und wie viele Kinder sie in die Welt setzten. Es umfasse auch das Recht, Kinder abzutreiben, wenn ihnen das Leben mit ihnen unzumutbar erschiene. Die Aufzucht und Erziehung eines Kindes, das voraussichtlich homosexuell veranlagt sei, könne nicht jeder zugemutet werden. Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) forderte ein weltweites Berufsverbot für den Humangenetiker und erklärte, der geplante Gentest diskriminiere Lesben und Schwule auf der ganzen Welt und dürfe daher nicht zugelassen werden. Auch gebe es kein Recht auf ein heterosexuell veranlagtes Kind. Stefan Rehder KURZ & BÜNDIG BGH: Gericht kann Lesben Adoption verweigern Karlsruhe (ALfA). Einem Antrag auf eine (Stiefkind-)Adoption durch die eingetragene Lebenspartnerin der Kindsmutter darf nur dann entsprochen werden, wenn dem leiblichen Vater zuvor die Möglichkeit gegeben wurde, sich an dem Adoptionsverfahren zu beteiligen. Das entschied jetzt der Bundesgerichtshof (BGH). In dem den Karlsruher Richtern zur Entscheidung vorgelegten Fall beantragte die Lebenspartnerin die Adoption eines von der leiblichen Mutter 2010 geborenen Kindes, legte aber nicht die vom Gesetz vorgesehene Zustimmungserklärung des leiblichen Vaters vor. Das Kind selbst war mittels einer »privaten Samenspende« gezeugt worden. Die Frauen gaben an, dass ihnen der Samenspender zwar bekannt sei, er sie jedoch aufgefordert hätte, ihn nicht zu benennen. Daran fühlten sie sich gebunden. Daraufhin lehnte das Amtsgericht den Adoptionsantrag ab. Gegen die Entscheidung legte das lesbische Paar Beschwerde beim Familiengericht ein, das diese jedoch zurückwies. Zu Recht, wie der Zwölfte Zivilsenat des BGH entschied (Az: XII ZB 473/13). Die Einwilligung des leiblichen Vaters sei gesetzlich vorgeschrieben. Das Familiengericht müsse sicherstellen, dass dieser kein Interesse an der rechtlichen Vaterschaft habe, ehe es einem Adoptionsantrag stattgebe. reh Uruguay: Abtreibungen stiegen um mehr als 20 Prozent Tegucigalpa (ALfA). Zwei Jahre nach der Legalisierung vorgeburtlicher Kindstötungen in Uruguay ist die Zahl der Abtreibungen in dem südamerikanischen Land um mehr als 20 Prozent gegenüber 2013 gestiegen. Dies gab die Regierung von Präsident Tabaré Vázquez Ende März bekannt. Laut dem Ministerium für Gesundheit (MOH) wurden 2014 in Honduras 8.500 Abtreibungen gemeldet. 2013 waren es 6.676. Demnach führten im vergangenen Jahr zwölf von 1.000 Frauen im Alter von 15 bis 45 Jahren eine Abtreibung durch. Im Jahr zuvor waren es neun pro 1.000. »Damit liegen die Prozentsätze unter dem internationalen Durchschnitt«, so das Ministerium. reh 33 LESERFO RUM Spiegel vorgehalten In Ihrem nahezu meisterhaften Editorial »Wir sind Embryo« hält Claudia Kaminski Europa und der Welt schonungslos den Spiegel vor. Gesellschaften, die den Mord an der Redaktion der französischen Satire-Zeitschrift »Charlie Hebdo« als illegitimen Angriff auf die westliche Freiheit, die millionenfachen Tötungen wehrloser Kinder im Mutterleib jedoch gleichsam als legitimen Ausdruck jener Freiheit betrachten, messen mit zweierlei Maß. Schon aus Gründen der Selbstachtung sollten wir endlich damit beginnen, beides als Verbrechen zu betrachten, statt wie jüngst eine Mehrheit des Europäischen Parlaments ein Menschenrecht auf Abtreibung deklamieren zu wollen. Vielen Dank für das großartige Editorial von Dr. Claudia Kaminski, das mir aus der Seele spricht. debatte des Deutschen Bundestags zur Suizidbegleitung gelesen. Sollte sich unter den 631 Bundestagsabgeordneten wirklich niemand finden, der einen Gesetzentwurf für ein umfassendes Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung vorlegt, wäre dies meines Erachtens ein Armutszeugnis für das Parlament. Außerdem frage ich mich: Wenn vier Hochschullehrer einen Gesetzentwurf zur Regelung eines ärztlich assistierten Suizids vorlegen können (vgl. LF 111, S. 4ff.), warum lassen sich in Deutschland dann nicht auch vier Professoren(innen) finden, die einen Gesetzentwurf für ein Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung erarbeiten? Barbara Wienand, Bad Hersfeld Dr. Michaela Prusko, Trier nen, zumindest hierzu müsste längst alles gesagt sein. Ein Irrtum, wie ich jedoch viermal im Jahr dankbar feststelle. Besonders hilfreich fand ich außer dem wieder einmal treffenden Editorial von Claudia Kaminski in dieser Ausgabe den Beitrag von Professor von Ritter über eine am hippokratischen Eid Maß nehmende ärztliche Sterbebegleitung. Roman Schneider, Düsseldorf Armutszeugnis Mit großem Interesse und viel Gewinn habe ich Ihre kommentierende Wiedergabe der so genannten Orientierungs- Ein wahrer Heiliger Zum Beitrag »Frohbotschaft des Lebens« von Johannes Paul II. (LF Nr. 113, S. 22ff.): Es ist beeindruckend, wie klar und deutlich dieser heilige Mann gegen Abtreibung Stellung nahm und auch die damals zukünftigen negativen Entwicklungen in der Forschung im Blick und vor ih- Johannes Paul II. nen gewarnt hatte (...). Ein wahrer Heiliger eben. Martin Saumer, Berlin ANZEIGE Dr. Karl-Heinz Neubert, Saarbrücken Neue Facetten Ich beziehe »LebensForum« seit mehr als zehn Jahren und bin immer jedes Mal aufs Neue verblüfft, wie es Ihrer Zeitschrift gelingt, selbst seit Jahren virulente Themen wie Abtreibung, künstliche Befruchtung und Sterbehilfe immer neue, bedenkenswerte Aspekte abzuringen. Man könnte mei- Prof. von Ritter 34 LebensForum 113 IM PRESSUM IMPRESSUM LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 113, 1. Quartal 2015 ISSN 0945-4586 Verlag Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07 www.alfa-ev.de, E-Mail: [email protected] Herausgeber Aktion Lebensrecht für Alle e.V. Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminski (V.i.S.d.P.) Kooperation Ärzte für das Leben e.V. – Geschäftsstelle z.H. Dr. med. Karl Renner Sudetenstraße 15, 87616 Marktoberdorf Tel.: 0 83 42 / 74 22, E-Mail: [email protected] www.aerzte-fuer-das-leben.de Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e. V. Fehrbelliner Straße 99, 10119 Berlin Tel.: 030 / 521 399 39, Fax 030 / 440 588 67 Fax Internet: www.tclrg.de · E-Mail: [email protected] Redaktionsleitung Stefan Rehder, M.A. Redaktion Matthias Lochner, Alexandra Linder, M.A., Dr. med. Maria Overdick-Gulden, Prof. Dr. med. Paul Cullen (Ärzte für das Leben e.V.) Anzeigenverwaltung Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07 www.alfa-ev.de, E-Mail: [email protected] Bankverbindung Augusta-Bank eG IBAN: DE85 7209 0000 0005 0409 90 BIC: GENODEF1AUB Spenden erwünscht Druck Reiner Winters GmbH Wiesenstraße 11, 57537 Wissen www.rewi.de Satz / Layout Rehder Medienagentur, Würzburg www.rehder-agentur.de Titelbild Dipl.-Des. Daniel Rennen / Rehder Medienagentur www.rehder-agentur.de Auflage 6.500 Exemplare Das LebensForum ist auf umweltfreundlichem chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Anzeigen Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 7 vom 7.10.2014. Mit vollem Namen gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder der ALfA wieder und stehen in der Verantwortung des jeweiligen Autors. Erscheinungsweise LebensForum Nr. 114 erscheint am 18.06.2015. Redaktionsschluss ist der 18.05.2015. 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(ALfA) Ottmarsgässchen 8, 86152 Ausgburg Von Stefan Rehder E Zum Hintergrund: Für die künstliche Befruchtung reiste die Berliner Grundschullehrerin immer wieder in die Ukraine. Ein Grund: Die Eizellspende, die Annegret R. aufgrund ihres Alters – neben der Samenspende – benötigt, um überhaupt noch schwanger werden zu können, ist in Deutschland aus guten Gründen verboten. Ob das auch in Zukunft so bleiben wird, ist allerdings ungewiss. Denn Lobbyisten der Reproduktionsmedizin machen seit Jahren mächtig Druck, um das zu ändern. Ein Grund: Sie würden gerne selbst das Geld verdienen, das die ausländische Konkurrenz mit Invitro-Fertilisationen nach Eizellspende macht. Vierlinge, wie sie Annegret R. jetzt erwartet, sind dabei nicht vorgesehen. Allerdings kommt es gar nicht selten vor, dass Frauen, die mehrere erfolglose Behandlungen hinter sich haben, aufgrund der hohen Hormondosen, die sie erhalten haben, wenn sie dann doch schwanger werden, statt eines Kindes sogenannte Mehrlinge erwarten. In So lässt sich die Mutter von Vierlingen bei RTL vermarkten der Regel werden diese jedoch anRechte an ihrer »Story« an einen TVschließend, wie es im Fachjargon der Sender, den manche für das AushängeReproduktionsmediziner heißt, »reduschild des Unterschichtenfernsehens halziert«. Niemand weiß, ob und wie die ten. Nun darf die Republik wochenlang Geschwister die Tötung ihrer Brüder um die Vierlinge bangen und hoffen, dass und Schwestern im Mutterleib erleben, alle vier das russische Roulette überleben, die einzig und allein getötet werden, um das mit ihnen gespielt wird, und sie mögdas Risiko einer Frühgeburt und die dalichst wenig Schädigungen davontragen. bei zu erwartenden EntwicklungsverzöRTL s ist geradezu makaber. Eine 65-jährige Berlinerin, die in ihrem Leben bereits 13 Kindern das Leben geschenkt hat, ist mit Vierlingen schwanger. Nicht aufgrund eines Wunders der Natur. Sondern diesmal dank künstlicher Befruchtung, einer Technik, die mehr Probleme schafft, als sie löst, eigener Sturheit sowie verantwortungsloser Mediziner im Ausland. Und als wäre das noch nicht genug, verkaufte die 65-Jährige auch noch die 36 gerungen oder gar Schädigungen für die verbleibenden Kinder so gering wie möglich zu halten. Auch die Vermeidung von Kosten spielt eine Rolle. Denn die sogenannten »Frühchen« benötigen teure Intensivmedizin, während die Geburt nur eines Kindes billiger kommt. Der »Fall« der Annegret R. macht besonders anschaulich, vor welch furchtbare Entscheidungen die künstliche Befruchtung Menschen stellen kann. Entscheiden sie sich wie Annegret R. gegen die Reduktion, setzen sie das Leben aller Kinder aufs Spiel und erhöhen deren Risiko, mit schweren Schädigungen geboren zu werden. Willigen sie dagegen in den Fetozid ein, müssen sie die Verantwortung für die Tötung eines oder mehrerer Kinder tragen. Befürworter der künstlichen Befruchtung argumentieren gerne, dass sogenannte höhergradige Mehrlingsschwangerschaften auch bei natürlicher Zeugung vorkommen und die Probleme dann die gleichen wären. Dabei wird allerdings nicht nur übersehen, dass Schwangerschaften mit drei und mehr Kindern bei einer natürlichen Zeugung nur sehr selten vorkommen und dass eine 65-Jährige überhaupt nicht schwanger geworden wäre, sondern auch, dass der Mensch Verantwortung für seine Handlungen trägt. So käme ja auch niemand auf die Idee zu fordern, das lebensgefährliche Werfen von Dachziegeln auf Passanten müsse erlaubt sein, weil Stürme auch schon einmal Ziegel vom Dach fegten, die Passanten erschlügen. Lebensrechtler werden den Vierlingen die Daumen drücken. Die christlichen unter ihnen werden sogar für sie und ihre Mutter beten. Und doch kommt man nicht umhin, den Kopf über die Verantwortungslosigkeit zu schütteln, welche Annegret R. und die sie behandelnden Reproduktionsmediziner an den Tag gelegt haben. LebensForum 113