Exposé Kirsten Moritz

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Exposé Kirsten Moritz
Dissertationsprojekt von:
Kirsten Moritz
Didaktik der Geschichte
Waldweg 26, 37073 Göttingen
[email protected]
Betreuer: Prof. Dr. Michael Sauer
Zeitzeugen in Fernsehdokumentationen über die Zeit des Nationalsozialismus –
eine empirische Studie zum Einsatz des Gestaltungselements in Produktionen
von ARD, ZDF und Spiegel TV (1995–2011)
(Arbeitstitel)
Forschungsstand
Obwohl dem Fernsehen immer wieder zugeschrieben wird, längst das Leitmedium der
Geschichtskultur zu sein1, hat die Geschichtsdidaktik das Forschungsfeld „Geschichte im
Fernsehen“ bisher nur höchst unzureichend bearbeitet. Das Thema gilt nach wie vor als das
„Stiefkind geschichtsdidaktischer Forschung“2.
Neben Fernsehfilmen zur Zeitgeschichte wie „Schicksalsjahre. Eine deutsche
Familiengeschichte“ oder „Die Luftbrücke. Nur der Himmel war frei“ sind es vor allem
historische Fernsehdokumentationen über die Zeit des Nationalsozialismus, die sich beim
Publikum großer Beliebtheit erfreuen. Die Kritik an diesen Sendungen fällt sowohl im
Feuilleton als auch in der Geschichtswissenschaft äußerst negativ aus. Im Fokus der kritischen
Auseinandersetzung stehen die Produktionen der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte unter der
Leitung Guido Knopps, der „von vielen Historikern als Beelzebub der Verfilmung
historischer Themen behandelt [wird]“3. Die Diskussion über die Sendungen ist zuweilen
emotional aufgeladen und wird polemisch geführt, sodass „ein konstruktiver Dialog zwischen
Historikern und [den verantwortlichen Fernseh-]Journalisten nicht mehr möglich zu sein
scheint“4.
Die vorhandenen Studien zu den Dokumentationen, die sich um sachliche Analysen bemühen
– meist medien- oder geschichtswissenschaftliche Arbeiten –, haben einige methodische
Defizite.5 Den Untersuchungen liegen weitgehend subjektive Einzelbeobachtungen zugrunde:
Sowohl regelgeleitete Interpretationen als auch Angaben zur Häufigkeit der festgestellten
1
Unter anderem: Paul, Gerhard: Einführung. In: Popp, Susanne [u.a.] (Hrsg.): Zeitgeschichte – Medien –
Historische Bildung. Göttingen 2010, S. 193-200, hier S. 193.
2
Handro, Saskia: „Wie es euch gefällt!“ Geschichte im Fernsehen. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 6
(2007), S. 213–231, hier S. 213.
3
Plato, Alexander von: Medialität und Erinnerung. Darstellung und „Verwendung“ von Zeitzeugen in Ton, Bild
und Film. In: BIOS 21 (2008) H. 1, S. 79–92, hier S. 88.
4
Neitzel, Sönke: Der Erste Weltkrieg in den Geschichtsdokumentationen des ZDF. In: Rother, Rainer/HerbstMeßlinger, Karin (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg im Film. München 2009, S. 219–235, hier S. 219.
5
Zu den einschlägigen Studien zählen: Bösch, Frank: Das ‚Dritte Reich‘ ferngesehen. Geschichtsvermittlung in
der historischen Dokumentation. In: GWU 50 (1999), H. 4, S. 204–220; Keilbach, Judith: Geschichtsbilder und
Zeitzeugen. Zur Darstellung des Nationalsozialismus im bundesdeutschen Fernsehen (Medien‘ Welten,
Braunschweiger Schriften zur Medienkultur, Bd. 8). Münster 2008; Näpel, Oliver: Historisches Lernen durch
‚Dokutainment‘? Ein geschichtsdidaktischer Aufriss. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 2 (2003), S. 213–
244.
1
Merkmale in den Dokumentationen fehlen. Darüberhinaus wird die Auswahl der untersuchten
Sendungen nur unzureichend begründet. Nur eine geringe Anzahl von Produktionen wird in
die Analysen einbezogen, was die Aussagekraft der Ergebnisse erheblich limitiert. Diese
stammen meist von der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte. Die Forschung geht davon aus, dass
die Sendungen der Redaktion nach einer spezifischen „Marke Knopp“ aufgebaut seien,
empirisch überprüft wurde dies jedoch bisher nur unzulänglich.6 Selten werden in den Studien
auch ARD-Produktionen betrachtet und ein Vergleich mit Sendungen der privaten Sender
zum Thema liegt bisher nicht vor.
Ziele und Fragestellung
Das vorgestellte Projekt verfolgt drei übergeordnete Ziele: Zum einen soll es dazu beitragen,
die Stellung des Themas „Geschichte im Fernsehen“ innerhalb der geschichtsdidaktischen
Forschung zu verbessern. Zum anderen hat die Arbeit das Ziel, die skizzierten Defizite
vorliegender Studien durch den methodischen Zugriff zu beheben. Letztlich soll die Studie
dadurch zu einer dringend notwendigen Versachlichung der Debatte um historische
Fernsehdokumentationen beitragen.
Im Fokus steht der Einsatz von Zeitzeugen in Dokumentationen über die Zeit des
Nationalsozialismus. Die Untersuchung nimmt gerade dieses Gestaltungselement in den
Blick, weil den Zeitzeugen zugeschrieben wird, das Genremuster zu bestimmen.7 Zudem
kritisieren Presse und Forschung an historischen Fernsehdokumentationen neben der
eingesetzten Musik und der schnellen Bildabfolge vor allem den Einsatz von Zeitzeugen.8 Die
Fokussierung auf dieses Gestaltungselement ist daher besonders lohnend und dazu geeignet,
die Diskussion um eine empirische Basis zu ergänzen.
Die Forschungsfragen der Studie lauten: Wie werden Zeitzeugen als Gestaltungselement
historischer Fernsehdokumentationen eingesetzt? Welche Veränderungen sind von 199592011 festzustellen? Inwiefern unterscheidet sich der Einsatz von Zeitzeugen in Sendungen,
die von ARD, ZDF und Spiegel TV10 stammen?
In der Untersuchung werden die zentralen Aspekte identifiziert, die in der Forschung bisher
am Einsatz von Zeitzeugen in historischen Dokumentationen betrachtet, jedoch nur
unzureichend empirisch untersucht wurden. Folgende Untersuchungsfragen konkretisieren in
diesem Sinne die aufgeworfenen Leitfragen: Wie werden Zeitzeugenstatements
gestaltungsästhetisch inszeniert? Welche „Typen“ von Zeitzeugen können ausgemacht
werden? Inwiefern erfüllen die Zeitzeugen die von Bösch konstatierten Funktionen der
6
Einzig quantitative Methoden können beantworten, inwiefern diese unterstellten Erkennungszeichen tatsächlich
in der Mehrzahl der ZDF-Dokumentationen zu finden sind und inwiefern sie möglicherweise auch in Sendungen
auftreten, die auf anderen Sendern ausgestrahlt wurden. Neitzel, Weltkrieg (Anm. 4), S. 231–232.
7
Lersch, Edgar/Viehoff, Reinhold: Geschichte im Fernsehen. Eine Untersuchung zur Entwicklung des Genres
und der Gattungsästhetik geschichtlicher Darstellungen im Fernsehen 1995 bis 2003 (Schriftenreihe
Medienforschung der LfM, Bd. 54). Düsseldorf 2007, S. 210.
8
Schleinhege, Yvonne-Maria: Vom politischen Ereignis zur erlebten Geschichte. Historische Dokumentationen
zum Mauerfall 1999 bis 2009 (Geschichte & Kultur. Kleine Saarbrücker Reihe, Bd. 1). Trier 2012, S. 23.
9
Es ist davon auszugehen, dass 1995 mit der Sendung „Hitler – Eine Bilanz“ (ZDF) eine dokumentarische
Auseinandersetzung „neuen Stils“ begonnen hat. Lersch/Viehoff: Geschichte im Fernsehen (Anm. 7), S. 84.
10
Die privaten Sender verfügen über keine eigenen Geschichtsredaktionen und kaufen historische
Fernsehdokumentationen von Produktionsfirmen. Die Sendungen der Produktionsfirma Spiegel TV werden
sowohl auf RTL als auch auf VOX und Sat.1 ausgestrahlt. Lersch/Viehoff: Geschichte im Fernsehen (Anm. 7),
S. 254.
2
Authentifizierung, der Identifikation sowie der Entlastung?11 Welche Bedeutung haben
Zeitzeugen und ihre Geschichten für die Narration der Dokumentation: Sind sie
„Stichwortgeber“12 oder „Träger der Leiterzählung“13? Ist in den letzten Jahren eine
Entwicklung dahingehend festzustellen, dass „Historiker stellvertretend die Rolle der
Zeitzeugen übernehmen“14?
Untersuchungsdesign
Die vorgestellte Studie wählt eine für das Thema methodisch innovative Herangehensweise,
die es ermöglicht, historische Fernsehdokumentationen erstmals systematisch, quantitativ und
intersubjektiv nachvollziehbar zu untersuchen. Eine systematische Auswahl an Sendungen
dient dabei als Materialgrundlage der Untersuchung. Innerhalb des Untersuchungszeitraums
werden vier Zeitabschnitte ausgewählt (1995/1996/1997, 1999/2000/2001, 2004/2005/2006,
2009/2010/2011).15 Je Abschnitt werden mindestens neun Sendungen – je vier von ARD und
ZDF sowie mindestens eine von Spiegel TV – analysiert. Die Auswahlkriterien sind: Format,
räumlicher Geltungsbereich, Inhalt, Sender/Produktionsfirma sowie Resonanz, die die
Sendung in der Forschung, der Presse oder bei den Sendern selbst hervorgerufen hat. Als
Referenzrahmen und mögliche Einflussfaktoren einer Entwicklung gilt es zudem drei
Produktionen der BBC zu analysieren, welche auf der ARD ausgestrahlt wurden.
Die ausgewählten Sendungen werden mittels einer standardisierten Inhaltsanalyse
untersucht.16 Die genannten Untersuchungsfragen beinhalten Konstrukte, die es für die
Methode zu operationalisieren gilt. Die Konstrukte werden daher in messbare Merkmale
übersetzt. Diese sind als Kategorien im Untersuchungsinstrument, dem Codeplan, definiert.
Die ebenso festgelegten Ausprägungen dieser Kategorien werden in der Datenerhebung, der
Codierphase, in ihrer Häufigkeit verzeichnet. Die erhobenen Daten werden anschließend
mittels statistischer Verfahren ausgewertet.
Das Projekt soll durch die Wahl dieser Methode die geführte Diskussion über historische
Fernsehdokumentationen um einen kriteriengeleiteten und quantifizierenden Beitrag
bereichern.
11
Bösch, ‚Dritte Reich‘ (Anm. 5), S. 214.
Blanke, Horst Walter: Stichwortgeber. Die Rolle der "Zeitzeugen" in G. Knopps Fernsehdokumentationen. In:
Oswalt, Vadim/Pandel, Hans-Jürgen (Hrsg.): Geschichtskultur. Die Anwesenheit von Vergangenheit in der
Gegenwart. Schwalbach/Ts. 2009, S. 63–74;
13
Schleinhege, Ereignis (Anm. 8), S. 132.
14
Bösch, Frank: Geschichte mit Gesicht. Zur Genese des Zeitzeugen in Holocaust-Dokumentationen seit den
1950er Jahren. In: Fischer, Thomas/Wirtz, Rainer (Hrsg.): Alles authentisch? Popularisierung der Geschichte im
Fernsehen. Konstanz 2008, S. 51–72, hier S. 71.
15
Durch diese „Drei-Jahres-Konstruktion“ soll die Auswahl sowohl Sendungen mit ereignisgeschichtlicher
Orientierung erfassen, wie sie bei den Gedenkjahren zu Kriegsbeginn und -ende zu erwarten ist, als auch
Dokumentationen zu Themen außerhalb der „Gedenkjahresagenda“ inkludieren.
16
Unter anderem: Früh, Werner: Inhaltsanalyse. Theorie und Praxis. Konstanz/München 7. Aufl. 2011; Rössler,
Patrick: Inhaltsanalyse. Konstanz 2. Aufl. 2010.
12
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