Seite8 - Iceland

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Seite8 - Iceland
S8
SONNTAGS
DER TAGESSPIEGEL
ISLÄNDISCHE LISTE
NR. 19 676 / SONNTAG, 23. SEPTEMBER 2007
D
Geschichten
aus einem
kleinen Land
im Norden.
Wäre doch
schade, wir
hätten sie nicht
aufgeschrieben.
1
RAUSCH LIGHT
Dienstagabend in Reykholt, fünf Häuser, zwei Kirchen – und ein Hotel. Die
Dame an der Rezeption:
„Heute um Mitternacht
gibt’s Polarlicht, bestimmt.“ Man wartet an
der Bar, trinkt ein Bier,
dann noch eins. Ein Uhr.
Immer noch kein Polarlicht. Dafür die Rechnung:
16 Euro.
2
DER FLUSS KOCHT
Bei Borgarnes im Westen
der Insel. Am Wegesrand
eine Quelle, die aus einer
Felsspalte strömt.
Ein Schild warnt in fünf
Sprachen: „Vorsicht, 100
Grad Celsius“.
3
ALS ELFEN VERSAGT
Donnerstagnacht in einer
Bar auf dem Laugavegur,
eine Band spielt, alle sind
betrunken. Ein junger
Mann lehnt sich zu zwei
Frauen rüber und sagt:
„Smiling!“ Die gucken nur.
„Smiling!“, ruft er noch
mal. Dann: „Where are
you from?“. Die Frauen:
„Berlin.“ Er: „Ach nö.“
Ein Steinmetz aus Kiel.
4
WAL DA WAS?
In Húsavík zur Walbeobachtung. Vorher bekommt
man eine Tablette gegen
Übelkeit – das Polarmeer
ist ziemlich rau. Auf dem
Schiff die Nebenwirkung:
Alles wird schwer, das
Kinn sinkt auf die Brust.
Am Ende zeigen die anderen Fotos von unglaublichen Walen.
5
IST JA TÖLT
Letzte Einweisung vor
dem Proberitt auf einem
Islandpferd. „Das kleine
Kraftpaket“ kenne fünf
Gangarten: Schritt, Trab,
Galopp, Tölt und Rennpass. Tölt? Zu spät.
6
WEGWEISEND
Freitagabend im traditionellen Wikinger-Restaurant „Viking“ in einem
Reykjavíker Vorort.
Ein rotblonder Mann sitzt
mit fünf jungen Frauen
beim Essen. Da werden die
Wikinger, die von Tisch zu
Tisch gehen und alte Weisen anstimmen, modern –
und singen: „Sex Bomb,
Sex Bomb …“
7
DANKE
Für die nette Hilfe bei
Planung und Realisierung
dieses Spezials möchten
wir uns ganz besonders
herzlich bei Arthur Bollasón von Iceland Air bedanken (Informationen über
Flugpläne und Ticketpreise unter im Internet:
www.icelandair.de).
Außerdem fliegt die Linie
Iceland Express nach
Island.
SONNTAG
Norbert Thomma (Leitung),
Andreas Austilat (Stv.),
Ariane Bemmer, Susanne
Kippenberger, Esther
Kogelboom. Mitarbeit: Deike
Diening, Alva Gehrmann,
Anna Kemper, Dr. Hartmut
Wewetzer, Sabine Wilms;
Bettina Seuffert (Gestaltung).
Liebe Leser, falls Sie unserer
Berliner Liste schreiben wollen:
Der Tagesspiegel,
Sonntag-Redaktion,
10876 Berlin oder
[email protected]
Dr. WEWETZER
Wurzel
des Übels
Hartmut Wewetzer
fahndet nach guten Nachrichten
in der Medizin
Heute: Isländer auf Genjagd
I
Vom Leben gezeichnet. An dieser Stelle findenSie jede Woche eine Comic-Geschichte, die von Künstlern für den Tagesspiegel gezeichnet wurde. Es wechseln sich ab: ArneBellstorf, TimDinter, Flix undMawil. Heute: Arne Bellstorf.
Die halbe Wahrheit
Suche das Glück nicht mit dem Fernrohr!
Von Esther Kogelboom
dessen unmittelbarer Nähe aufhält.
Und es heißt, dass man die individuell
verträgliche
Glücksportion
schnell übersieht, wenn man das
ganz große, grenzenlose Glück
sucht. Dieses Sprichwort hat nur am
Rande mit Astrophysik zu tun. Eigentlich ist es ein kurzes Plädoyer
für mehr Bescheidenheit und größere Gelassenheit.
Mit dieser demütigen Einstellung
habe ich mir am Mývatn-See blubbernde Erde im Schwefeldampf angesehen. Es war mehr eine hellgraue,
flexible Masse, die von einer gewaltigen Kraft aus dem Inneren an die
Oberfläche der Erde geschleudert
wurde. Auf meinem Reisenotizblock
steht, geschrieben in meiner vor
Kälte zittrigen Handschrift: „Wie
weiße Wandfarbe, in die Asche gefallen ist, die Konsistenz irgendwie sahnig-weich, eine kochende Milch-
Illustration: Oliver Grajewski
W
as bedeutet eigentlich Gemütlichkeit? Ich finde, gemütlich ist der Übergang
von der Kälte in die Wärme, wenn
man langsam auftaut, die vormals abgestorbenen Füße und Hände zu
kribbeln beginnen, der Kiefer beim
Auftauen zu knistern scheint und
langsam wieder beweglich wird.
Insofern ist Island ein sehr gemütliches Land. Nirgendwo sonst ist der
Übergang von draußen nach drinnen so schön. Hier kann man bereits
im Juni halbgefrorenen Atemwölkchen nachsehen, mit der Fingerspitze Herzen auf beschlagene Fenster zeichnen und im Café heißen Gewürztee genießen.
Man muss das alles natürlich mögen. Man muss sich mit einer Wollmütze auf dem Kopf und festem
Schuhwerk an den Füßen gefallen,
das ist eine wesentliche Voraussetzung.
Die Isländer haben ein Sprichwort, es heißt: Suche das Glück nicht
mit dem Fernrohr.
Das bedeutet wahrscheinlich, dass
man das Glück ohne ein Fernrohr suchen soll, was bedingt, dass sich die
Glücksportion eines jeden bereits in
suppe mit Püriertem vom alten
Stein.“
(Kann sein, dass mir der Schwefeldampf das Gehirn etwas vernebelt
hat. Der Dampf, der auf Fotos spektakulär aussieht, ist in der freien Natur
etwas weniger romantisch. Machen
wir uns nichts vor: Er riecht kräftig
nach faulen Eiern.)
Das Innere der Erde fand ich
schon immer recht interessant. Früher nahm ich an, es sehe so aus wie
das Innere eines Apfels und habe
eine Art Kerngehäuse. Das war, bevor ich mit den anderen Kindern in
den Schacht des Bergbaumuseums
in Bochum fahren musste. Von da an
glaubte ich, wir leben alle auf einer
dünnen Brotkruste und darunter
liegt ein unfassbar großes Reich mit
unerschöpflichen Steinkohlevorräten, für die man gar nicht mal besonders tief graben muss. Und wenn
man doch mal tief gräbt, können uns
die Kängurus aus Australien zusammen mit einheimischen Maulwürfen
durch den Tunnel besuchen kommen.
Es ist unmöglich, sich in Island
nicht daran zu erinnern, dass es im Inneren der Erde heiß ist. Man kommt
sich neben sprotzelnden Geysiren
undangefahrenen versteinertenLavaformationen vor wie ein hilfloses
Tierohne schützendesFell, das auf einem hochexplosivem Dampfkessel
spazieren geht und sich Sorgen um
die falschen Sachen macht.
Wer aus Island heimreist, fährt
mit der aufgefrischten Gewissheit,
dass einem sowieso jeden Moment
alles um die Ohren fliegen könnte,
von mir aus sogar Elfen und andere
humanoide Insekten.
Aber vorher, dachte ich, mache
ich es mir noch schnell mit einem heißen Gewürztee und etwas Trockenfisch auf dem Sofa gemütlich. Glück
auf!
— Unsere Kolumnistin, 32, bekommt
laufend gute Ratschläge. An dieser
Stelle überprüft sie jede Woche einen
davon auf seinen Wahrheitsgehalt.
rgendwo tief in unseren Erbanlagen
steckt die Ursache von Krankheiten
wie Rheuma, Diabetes, Gefäßverkalkung und Krebs, um nur einige wichtige
Leiden zu nennen. Wenn es uns gelänge,
die genetische Wurzel des Übels zu finden, könnte man neue, maßgeschneiderte Wirkstoffe finden. Oder gezielt vorbeugen, wer weiß?
Noch liegt dieses Ziel in der Ferne.
Aber das Netz um die Gene für weit verbreitete Krankheiten zieht sich zusammen, wie kürzlich das Fachblatt „Science“ feststellte. Das menschliche Erbgut wird immer weiter erforscht, die Kosten für die Entzifferung der Erbinformation DNS sinken rapide. Damit ist es möglich, die Gene vieler verschiedener Menschen zu vergleichen und Unterschiede
mit Krankheitsrisiken in Verbindung zu
bringen. Am weitesten in der Kunst der
Genjagd ist man in – Island. Der Grund
dafür heißt Kari Stefansson.
Stefansson, 58, hatte es in der Fremde
zu Ruhm und Ehre gebracht. Der Mediziner lebte fast 30 Jahre in den USA und
war Pathologieprofessor an der Harvard-Universität. 1996 kehrte er jedoch
Amerika den Rücken und kehrte in seine
Heimat zurück. Er
gründete in Reykjavík die Firma De15 Gene für
code. Stefanssons
häufige
ehrgeiziges Ziel: das
Krankheiten Erbgut aller rund
300 000 Isländer zu
hat die
durchleuchten, um
auf dieser Wissensisländische
basis KrankheitsFirma bereits tests und Medikamente zu entwigefunden
ckeln. Aus Sicht Stefanssons war Island
der ideale Ort für eine Genhatz. Denn die
Insel ist genetisch weitgehend homogen,
darin vergleichbar einem abgelegenen
Bergdorf. Seit 1915 gibt es Aufzeichnungen des öffentlichen Gesundheitswesens, und ihre Stammbäume können
viele Isländer über Jahrhunderte zurückverfolgen. All diese Dinge machen es
leichter, bestimmten Erbanlagen Krankheiten zuzuordnen.
Zwar wurde das isländische Gesamtgenom Ende 2003 per Gerichtsbeschluss
vor allem wegen der Bedenken von Datenschützern gestoppt. Aber zwei von
drei Isländern gaben Stefansson die Erlaubnis zur Genrecherche. Informationen von mehr als 100 000 der erwachsenen Inselbewohner hat Decode in seiner
Datenbank, und seit einigen Jahren sprudelt es Forschungsergebnisse.
15 Erbanlagen und damit Ansatzpunkte für neue Medikamente bei zwölf
weit verbreiteten Krankheiten haben die
Wissenschaftler gefunden. Darunter
sind Prostatakrebs, Schlaganfall, Herzinfarkt, Asthma und Diabetes. Letzter
Coup der Firma war ein genetischer Risikofaktor für unruhige Beine.
Decode behauptet stolz, weltweit führend bei der Fahndung nach Genen für
häufige Krankheiten zu sein. Das geschieht nicht aus reiner Nächstenliebe.
„Ich bin ein knallharter Kapitalist“, hat
der stattliche, muskulöse Stefansson einem Reporter des Magazins „Brand eins“
verraten. Irgendwie ähnelt er dem amerikanischen Gen-Tycoon Craig Venter,
dessen komplettes Erbgut kürzlich veröffentlicht wurde. Stefansson ist sozusagen
seine isländische Version. Wenn am
Ende ein brauchbares Medikament entsteht, kann uns der Erfolg von Decode
nur recht sein.
— Unser Kolumnist leitet das Wissenschaftsressort des Tagesspiegels. Haben
Sie eine Frage zu seiner guten Nachricht?
Bitte an: [email protected]