Selbsthilfe – für mich und für andere

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Selbsthilfe – für mich und für andere
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01 | 2010
„Selbsthilfe – für mich
und für andere“
Der Paritätische – starker Partner für eine starke Bewegung
Nachrichten | Berichte | Reportagen
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Inhalt
Editorial
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Thema
Selbsthilfe – für mich und für andere
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Das Internet öffnet der Selbsthilfe Türen
„In-Gang-Setzer“ auf Erfolgskurs
„Manchmal geht es um Fragen von Leben und Tod“
Kendine Yardım Grubu – Eine Gruppe, die mir hilft
Informationen zum Thema Selbsthilfe im Internet
Selbsthilfe-Kontaktstellen in
Sachsen-Anhalt stehen vor dem Aus
Mehr Patientenorientierung ist angesagt
„Wir bewegen – was uns verbindet“
Selbsthilfe auf Nachwuchssuche
Geballte Kompetenz unter einem Dach
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Sozialpolitik
Massive Kritik an Plänen für Gesundheitspauschale
Bleiberechtsregelung verlängert
Fünf Jahre Hartz IV ...
Wirtschaftsförderung muss mit
Armutsbekämpfung verknüpft werden
Gutscheine statt Betreuungsgeld?
Grundgesetzänderung gefordert
„Kürzerer Zivildienst bringt Probleme“
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Verbandsrundschau
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Mehr Bildungsgerechtigkeit durch Bürgerschulen
Dufte Briefmarken für einen guten Zweck
Wechsel an der Verbandsspitze
Genauer hinsehen, genauer hinhören
Komfortabel und kostenfrei: der Datenschutzassistent
„Armut muss berühren“
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Forum
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Eine Fundgrube für Beratungsstellen
„Wohnen am richtigen Platz“
Forschung: Leben mit seltenen Erkrankungen
Leitfaden des VAMV: Das neue FamFG
Sexuelle Gewalt. Beiträge aus Theorie und Praxis.
Kinderrechte ins Grundgesetz
Deutsches Kinderhilfswerk beklagt
Verstoß gegen UN-Kinderrechtskonvention
Neues Zentrum für eine bessere Zukunft
DGSP-Memorandum zur medikamentösen
Behandlung psychischer Erkrankungen
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hören & sehen
Rezension | Impressum
was · wann · wo
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Editorial
Dr. Eberhard Jüttner,
Vorsitzender des
Paritätischen
Gesamtverbandes
Liebe Leserinnen und Leser,
übersetzt man das Wort Selbsthilfegruppe wörtlich ins Türkische, wird
daraus eine „Hilf-Dir-Selbst-Gruppe“.
Die Leiterin des in diesem Heft vorgestellten Projektes zur Selbsthilfeunterstützung für Migranten in Hamburg
hat eine bessere Übersetzung gefunden: „Eine Gruppe, die mir hilft“. Selbsthilfegruppen sind kein Zusammenschluss von Einzelkämpfern. Sie sind
das genaue Gegenteil. „Der Mensch ist
die beste Medizin des Menschen“, sagt
ein afrikanisches Sprichwort. Die gegenseitige Unterstützung, die sich Menschen in Selbsthilfegruppen aus eigener
Betroffenheit heraus geben können, ist
unverzichtbar und nichts, das von professionell tätigen Ärzten ersetzt werden
kann. Das macht die Stärke der Selbsthilfearbeit aus.
Doch auch die Selbsthilfe braucht einen
starken Partner. Unter dem Dach des Paritätischen engagieren sich 110 bundesweit tätige Selbsthilfeorganisationen und
mehr als 30.000 Selbsthilfegruppen für
chronisch kranke und behinderte Menschen. Bei der gesundheitsbezogenen
Selbsthilfe reicht das Spektrum von A
wie AIDS bis Z wie Zöliakie, von Aphasie
bis Zwangserkrankung. Um die gemeinsamen Interessen gegenüber der Politik
effektiv vertreten zu können, gibt es das
„Forum chronisch kranker und behinderter Menschen im Paritätischen“.
Die soziale Selbsthilfe ist ein weiterer
Schwerpunkt: Von Arbeitslosen- und
Beschäftigungsinitiativen über Migrantenselbstorganisationen bis zu den aus
der Frauenbewegung entstandenen
rund 200 Frauenhäusern. Insgesamt
sind in diesen Selbsthilfegruppen rund
800.000 Menschen aktiv. Unterstützt
wird ihre Arbeit durch mehr als 170
Selbsthilfekontaktstellen. Dieses breite
Spektrum und die große Zahl der Mitglieder machen den Paritätischen zur
ersten Adresse für die Selbsthilfe.
Die Selbsthilfe ist eine wichtige Säule
des deutschen Gesundheitswesens. Aus
der Hilfe für chronisch kranke und
behinderte Menschen ist eine aktive
Selbsthilfebewegung entstanden, die
sich der Selbstbestimmung und Selbstvertretung verschreibt und die eigenen
Potenziale in den Vordergrund stellt.
Doch es ist noch viel zu tun. So ist die
Beteiligung an der Gestaltung des
Gesundheitswesens mittlerweile zwar
gesetzlich verankert. Doch die Paragrafen müssen mit Leben gefüllt, entsprechende Beteiligungsmöglichkeiten
müssen geschaffen und ausgebaut werden. Und: Noch immer ist es nicht
selbstverständlich, dass behandelnde
Ärzte von sich aus Patienten Hinweise
und Kontakte zu Selbsthilfegruppen
vermitteln. Das zu ändern, hat sich das
neue „Netzwerk selbsthilfefreundliches
Gesundheitswesen“ zum Ziel gesetzt.
Schließlich: Während die finanzielle
Förderung der Selbsthilfe auf der einen
Seite verbessert wurde und die Kassen
jährlich rund 39 Millionen Euro zur
Verfügung stellen, wird an anderer Stelle schon wieder mit massiven Kürzungen gedroht. Wenn der Arbeit der
Selbsthilfe-Kontaktstellen in SachsenAnhalt tatsächlich, wie angekündigt, der
finanzielle Boden unter den Füßen weggezogen werden sollte, wäre das ein herber Rückschlag für die Selbsthilfebewegung. Das muss verhindert werden.
Die in dieser Ausgabe unseres Verbandsmagazins vorgestellten Projekte
zeigen, wie aktive „Hilfe zur Selbsthilfe“ aussehen und unterstützt werden
kann, wie Menschen anderen Menschen helfen, um gemeinsam mehr zu
bewegen. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre!
Herzliche Grüße, Ihr
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Thema
Das Internet öffnet der Selbsthilfe Türen
Die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und
Unterstützung von Selbsthilfegruppen untersucht Rolle der neuen Medien
Rund 40.000 Mal im Monat wird www.nakos.de angeklickt. Tendenz: steigend. Die Betreiberin der Website, die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS), ist eine wichtige Adresse für viele Menschen, die
Informationen rund ums Thema Selbsthilfe suchen.
L
insenschlottern ist ein Symptom
einer seltenen Bindegewebserkrankung: Bestimmte Fasern am
Auge fehlen oder sind zu schwach, um
die Augenlinse am rechten Fleck zu halten. Barbara Krügers* zehnjähriges
Kind hat dieses Linsenschlottern. Gerne möchte die Mutter sich mit anderen
Eltern austauschen, die ebenso betroffene Kinder haben. Sie will mehr wissen
über Krankheitsursachen und -verlauf,
Therapien, eventuell notwendige Operationen und Forschungsergebnisse.
Um Kontakte zu knüpfen und Informationen zu erhalten, hat sie sich in die
„Blauen Adressen“ der NAKOS aufnehmen lassen. In dieser Datenbank sind
Kontaktpersonen aufgeführt, die bundesweit Gleichbetroffene zu einer bestimmten Erkrankung oder einem spezifischen gesundheitlichen oder psychoso-
zialen Problem suchen. Registriert sind
dort auch einzelne Kontaktadressen bereits bestehender Selbsthilfegruppen zu
seltenen Erkrankungen oder besonderen
Problemen, die weitere Betroffene suchen. Wie etwa eine Selbsthilfegruppe
zum Thema „Cyberstalking“. Dort treffen sich Menschen, die unter Nachstellungen, Belästigungen und Psychoterror
von Tätern leiden, die unter anderem im
Internet auf ihren Namen Waren bestellen oder intime Details und Lügen über
sie im Netz verbreiten.
Mehr als 400 Adressen bundesweit tätiger Selbsthilfeorganisationen und -vereinigungen im Sozial- und Gesundheitsbereich finden Interessierte in den „Grünen Adressen“ auf der NAKOS-Homepage – vom Arbeitskreis Down-Syndrom
bis zum „Bundesverband Menschen in
Insolvenz und neue Chancen e. V.“ Loka-
Die NAKOS erleichtert vielen Menschen den Zugang zur Selbsthilfe. Das riesige Informationsangebot auf der Homepage leistet dazu einen wichtigen Beitrag.
Foto: Deutsche Vereinigung Morbus Bechterew | www.bechterew.de
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le Selbsthilfekontaktstellen und Selbsthilfe-Unterstützungseinrichtungen
sind in den „Roten Adressen“ zu entdecken, europaweite Selbsthilfevereinigungen in der Datenbank „Orange Adressen“ und internationale Adressen im
Feld der Selbsthilfegruppen-Unterstützung in den „Gelben Adressen“. Neben
diesen Kontaktdaten gibt es auf der
Homepage eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten, sich über das Thema Selbsthilfe zu informieren – über Wege zur
besseren Einbindung von Migranten
beispielsweise. Oder über Fakten zur
finanziellen Förderung der Selbsthilfe,
zu deren Verbesserung die NAKOS
durch ihr Engagement maßgeblich beigetragen hat. Aber auch über Forschungsergebnisse und neue Entwicklungen in der Gesundheitspolitik ist
einiges zu erfahren.
Telefonische Beratung
Wer im Internet nicht das Gesuchte findet, hat selbstverständlich auch die
Möglichkeit, per E-Mail oder Telefon
direkt Kontakt mit dem NAKOS-Team
in Berlin aufzunehmen. Telefonische
Aufklärung und Information zu Fragen
der Selbsthilfe und Selbsthilfeunterstützung gehören ebenso zum Angebot
der zentralen Service- und Informationsstelle. Wobei Dr. Jutta HundertmarkMayser, stellvertretende Geschäftsführerin der NAKOS, zwei Dinge ausdrücklich betont: „Wir verteilen kein Geld an
Selbsthilfegruppen und -organisationen
und vermitteln in der Regel nicht direkt
an örtliche Selbsthilfegruppen, es sei
denn für den Bereich Blaue Adressen:
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Thema
Seltene Probleme und Erkrankungen.
Wir eröffnen Kontaktmöglichkeiten zu
bundesweit tätigen Selbsthilfeorganisationen und zu den örtlichen Selbsthilfekontaktstellen, die Verzeichnisse der
Gruppen in der Region führen.“ Bis zu
4.000 Anfragen erreichen die sieben
fest angestellten NAKOS-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter sowie die zwei
Projektkräfte pro Jahr. Zum Teil sind
das sehr spezielle Anfragen von Leuten, die sich zuvor schon auf der Homepage kundig gemacht haben und nun
noch Details wissen möchten. Oder
aber es sind ältere Menschen, die das
Internet nicht nutzen.
Selbsthilfe und neue Medien
Für immer mehr Menschen, die eine
körperliche oder psychische Erkrankung
haben oder behindert sind, ist es mittlerweile aber selbstverständlich, sich im
Internet zu informieren und auch auszutauschen: in Blogs, Chats und Foren.
Eine Entwicklung, die nun näher im
Rahmen des zweijährigen (2009 – 2010)
NAKOS-Projekts „Selbsthilfe und neue
Medien“ untersucht wird. „Wir gehen
der Frage nach, welche Rolle das Internet
für die organisierte Selbsthilfe und
Selbsthilfeorganisationen spielt
und
welche Bedeutung der Online-Austausch
für Betroffene hat“, berichtet Projektleiterin Hundertmark-Mayser. Etwa ein
Drittel der 360 in der NAKOS-Datenbank
erfassten bundesweiten Selbsthilfeorganisationen und -verbände betreiben selbst
Foren, Chats oder Blogs, um den Aus-
Die 1984 gegründete NAKOS ist eine
Einrichtung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e. V.
(DAG SHG), die Mitglied im Paritätischen ist. Die DAG SHG ist der Fachverband der Selbsthilfeunterstützung und
-förderung in Deutschland. Schwerpunkte ihrer Aktivitäten sind die fachliche Unterstützung der Selbsthilfe und
das Bemühen um förderliche Rahmenbedingungen für die Arbeit von Selbsthilfegruppen (www.dag-shg.de).
Mit der NAKOS hat die DAG SHG einen zentralen Ansprechpartner für
die Belange von Selbsthilfegruppen,
der Selbsthilfeunterstützung und der
Selbsthilfeförderung in Deutschland geschaffen. Als bundeszentrale NetzwerkEinrichtung bringt sie Akteure der
tausch im Internet zu ermöglichen. Darüber hinaus gibt es aber auch eine Vielzahl von Internet-Angeboten, die nicht an
einen Verband oder eine Gruppe angedockt sind, viele beispielsweise zu Angststörungen, Essstörungen oder gesellschaftlich tabuisierten Themen wie etwa
Mobbing, Mißbrauch oder Kaufsucht.
„Wir haben uns selbst im Rahmen des
Projekts in Foren eingeloggt und die Teilnehmenden nach ihren Motiven und Erfahrungen befragt“, sagt Diplom-Psychologin Hundertmark-Mayser. Dabei war
immer wieder zu lesen, dass Anonymität, zeitliche Flexibilität und örtliche Unabhängigkeit wichtige Gründe für den
Junge Menschen in der Selbsthilfe
„Junge Menschen in der Selbsthilfe
– Junge Menschen in die Selbsthilfe:
Selbstsorge, Sorge und bürgerschaftliches Engagement stützen und erschließen“ – das war der Titel eines
NAKOS-Projekts mit dem Ziel, junge
Menschen im Alter zwischen 18 und
Ende 20 stärker auf Selbsthilfegruppen aufmerksam zu machen. Dabei
ging es einerseits darum, gelungene
Beispiele der Selbsthilfegruppenarbeit junger Menschen sichtbar zu machen, andererseits aber auch herauszuarbeiten, welche Form der Unter-
stützung Selbsthilfegruppen junger
Menschen benötigen und Vorschläge
für eine zielgruppen- und situationsgerechte mediale Ansprache zu entwickeln. So entstand aus dem Projekt
die Internetseite www.schon-mal-anselbsthilfegruppen-gedacht.de, wurden
Werbepostkarten und Flyer entworfen, um junge Menschen gezielter
anzusprechen.
Die Projektergebnisse sind zu finden
auf der Website www.nakos.de.
(Siehe auch Beitrag auf Seite 17
„Selbsthilfe auf Nachwuchssuche“)
Selbsthilfeunterstützung und Selbsthilfeförderung zusammen und vertritt
grundsätzliche Belange der Selbsthilfe
in Öffentlichkeit und Politik. Als Service-Einrichtung bietet sie Bürgerinnen
und Bürgern, Selbsthilfegruppen, Fachleuten und Medien vielfältige Informationen und Unterstützungsleistungen.
Dies alles ist für Interessierte kostenlos.
Die Arbeit der NAKOS wird vom Bundesgesundheitsministerium, dem Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend und den gesetzlichen Krankenkassen finanziert.
Kontakt:
NAKOS, Wilmersdorfer Straße 39,
10627 Berlin, Tel.: 030/31 01 89 60
E-Mail: [email protected].
Internet: www.nakos.de
Online-Austausch sind. Hinzu kommt
die große Reichweite des Internets, die
beispielsweise gerade bei seltenen Erkrankungen und Problemen einen bundesweiten oder grenzüberschreitenden
Austausch erleichtert. Außerdem ermöglicht es der schriftliche Kontakt, „Gesagtes“ nachzulesen und sich über manches
im Nachhinein klarer zu werden.
Online und Face-to-Face
Im Projekt wurde aber auch schon deutlich: Viele bleiben nicht beim OnlineAustausch, sondern wagen aufgrund der
guten Erfahrungen dort auch den Schritt
in eine „Face-to-Face-Selbsthilfegruppe“
oder gründen mit anderen „Chattern“
und „Foris“ eigene Gruppen.
Jutta Hundertmark-Mayser ist überzeugt: Die neuen Medien sind für die
Selbsthilfe keine Bedrohung, sondern
eine Chance. Das Internet kann auf
mehreren Ebenen Türöffner für die
Selbsthilfe sein und sie ergänzen. Es
geht nicht um ein Entweder-oder, sondern darum, die Möglichkeiten des Internets klug zu nutzen. Wahrscheinlich
werde es künftig viel häufiger Menschen
geben, die in eine „echte“ Selbsthilfegruppe gehen, wo sie den direkten persönlichen Kontakt schätzen, zwischen
den Treffen aber auch per Mail Kontakt
halten und davon profitieren, sich darüber hinaus online in Foren und Chats
UB
mit anderen austauschen.
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Thema
In-Gang-Setzer begleiten eine
Selbsthilfegruppe in ihrer Startphase. Sie helfen, die organisatorischen und kommunikativen
Voraussetzungen für deren künftige Arbeit zu schaffen. Aus dem
eigentlichen Anliegen der Gruppe
halten sie sich heraus – so lautet
das Konzept.
Foto: Andreas Greiwe
Der Paritätische
Nordrhein-Westfalen
„In-Gang-Setzer“ auf Erfolgskurs
Bundesweites Projekt gibt der Selbsthilfe neuen Schub
Erfolg macht überflüssig. Für die Frauen und Männer, die als In-Gang-Setzer arbeiten, ist
dieser Widerspruch Programm. Die ehrenamtlichen Kräfte helfen neuen Selbsthilfegruppen
auf die Beine und ziehen sich zurück, sobald das erste „Stolpern“ überwunden ist. Das aus
Dänemark stammende Konzept bereichert seit drei Jahren die Selbsthilfe-Arbeit in Deutschland: Der Paritätische Landesverband Nordrhein-Westfalen hat mit Unterstützung der Betriebskrankenkassen ein bundesweites Modellprojekt entwickelt. Daran sind mittlerweile
22 Selbsthilfe-Kontaktstellen in sechs Bundesländern beteiligt. Bis Ende 2010, hofft Projektleiter Andreas Greiwe, werden so rund 200 neue Selbsthilfegruppen entstanden sein.
R
osemarie Strauß aus Stralsund
leidet unter Borreliose. Vor zwei
Jahren, in einer schlechten Phase
und noch allein mit ihrer Krankheit,
keimte in ihr der Wunsch nach „Hilfe
durch Austausch“. Gemeinsam mit der
örtlichen Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen (KISS) veröffentlichte Frau Strauß einen entsprechenden Aufruf. Gleich 15 Personen
folgten der Einladung. Rosemarie Strauß
war überwältigt. „Ohne Beistand“, erinnert sie sich an das erste Treffen, „hätte
ich gar nicht gewusst, was ich hätte tun
müssen.“ Doch die KISS hatte ihr zur
Vorbereitung eine In-Gang-Setzerin vermittelt. Die gelernte Krankenschwester
führte die Gruppe freundlich, aber straff
durch die Gespräche. Sie trug dazu bei,
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dass die Schüchternen besser zu Wort kamen und jeder Teilnehmer in Ruhe ausreden durfte. Nach wenigen Treffen hatte
die Gruppe ein tragfähiges Miteinander
entwickelt, sodass Frau Strauß sich in der
Lage sah, sie eigenständig zu leiten.
Gefragt ist Einfühlungsvermögen
Im Durchschnitt bleiben In-Gang-Setzer
für vier bis sechs Treffen in den Gruppen.
Gerade im Bereich psychischer Erkrankungen verläuft die Startphase oft zögerlich, weil viele Betroffene erst lernen
müssen, Kontakt zu anderen aufzunehmen, sich zu öffnen und zu vertrauen.
Das verlangt Einfühlungsvermögen und
ein behutsames An-die-Hand-nehmen.
Welches Vorgehen die Helferinnen und
Helfer auch wählen, eines ist ihnen un-
tersagt: „Die In-Gang-Setzer mischen
sich nicht in die eigentlichen Anliegen
der Gruppen ein“, erläutert Andreas
Greiwe das wichtigste Prinzip des Konzepts. Die Unterstützer treten nicht als
Experten, zum Beispiel für Borreliose
oder Depression, auf. „Dann hätten die
Leute automatisch jemanden, an den sie
sich anlehnen könnten“, so der Projektleiter. Dies aber gelte es zu vermeiden,
um keine Abhängigkeiten von einer
bestimmten Person zu schaffen.
In-Gang-Setzer seien keine „Gurus“, so
Greiwe, sondern Moderatoren, die wissen, wie man eine Gruppe organisiert,
und die Voraussetzungen für eine fruchtbare Kommunikation schaffen. „Sie achten zum Beispiel darauf, dass Verantwortungen verteilt werden“, sagt der
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Thema
Projektleiter. „Es sind schon Gruppen
gescheitert, weil vergessen wurde, zu
einem Folgetreffen einzuladen.“
Patentrezepte für eine „In-Gang-Setzung“ gibt es nicht. Damit die Betroffenen die Erfahrung machen: „Selbsthilfe
tut gut“, „muss jede Gruppe ihren eigenen Weg finden“, betont Greiwe. Und die
In-Gang-Setzer wiederum müssen dafür offen sein und akzeptieren, dass ihre
Gruppe sie irgendwann nicht mehr
braucht. Das fällt dem Projektleiter zufolge nicht immer leicht, obwohl es ja
„ein Zeichen guter Arbeit ist“.
Die an dem Projekt beteiligten Kontaktstellen haben dennoch keine Schwierigkeiten, neue Helferinnen und Helfer zu
finden. Die meisten haben einen sozialberuflichen Hintergrund. Ideal seien
Leute, die eigene Erfahrung in der Selbsthilfe mitbringen, so Andreas Greiwe.
„Das erhöht die Glaubwürdigkeit bei den
an Selbsthilfe Interessierten.“
Für ihre Aufgabe werden die In-GangSetzer – der Begriff ist markenrechtlich
geschützt – von der Projektleitung geschult. Die Kontaktstellen begleiten sie
kontinuierlich und bringen sie mit Un-
terstützungssuchenden zusammen. Die
Nachfrage ist groß, ebenso die Vielfalt
der Selbsthilfe-Anliegen. Im Zuge des
Projekts wurden etwa in Bielefeld neue
Selbsthilfegruppen zu den Bereichen
„Esoterik-Sucht“, „Nierenkrank“, „Angst
und Panik“, „Depression“ und „Migräne“ gegründet. Geradezu einen „Boom“
verzeichnen die Projektverantwortlichen
bei psychischen und psychosomatischen
Erkrankungen. Die Angehörigen-Selbsthilfe wächst ebenfalls stark.
Erfolgsquote: 62 Prozent
In-Gang-Setzer werden aber nicht nur
für „Neustarts“ hinzugezogen. Sie können ebenso für eine bestehende Gruppe
hilfreich sein. „Manche Gruppen ermüden, es kriselt“, erklärt Andreas Greiwe.
Außenstehende könnten in dem Fall
neue Impulse geben, zum Beispiel das
Miteinanderreden auffrischen oder Möglichkeiten zur Integration neuer Personen aufzeigen. Aus dem Projekt hat sich
ein drittes Aufgabenfeld herausgeschält:
In-Gang-Setzer als Initiatoren. Andreas
Greiwe zufolge ist ein solches Vorgehen
angebracht, „wenn eine Kontaktstelle
zum Beispiel 20 Interessenten zu dem
gleichen Thema registriert, aber niemand den ersten Schritt zur Gründung
einer eigenen Selbsthilfegruppe wagt“.
Nach der ersten Projektphase in den Jahren 2007 und 2008 haben die Verantwortlichen eine Zwischenbilanz gezogen. Demnach waren 62 Prozent aller
In-Gang-Setzungen erfolgreich, das
heißt: Die Gruppen wie die von Rosemarie Strauß arbeiten weiterhin. „Ein sehr
gutes Ergebnis“, findet Andreas Greiwe,
vor allem angesichts des hohen Anteils
von Betroffenen im psychosozialen Bereich „denen es besonders schwer fällt,
konstruktiv in Gruppen zu agieren.“
Bernd Kleiner
Kontakt
Der Paritätische Nordrhein-Westfalen
Andreas Greiwe
Projektleitung In-Gang-Setzer
Friedrichstr. 1-2
48282 Emsdetten
Tel.: 02572/953566
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Thema
„Manchmal geht es um Fragen
von Leben und Tod“
Im Interview: Werner Kubitza, Sprecher des Forums
chronisch kranker und behinderter Menschen im Paritätischen
Die Interessen chronisch kranker und behinderter Menschen vertreten und die Selbsthilfe stärken – das sind zentrale Aufgaben des „Forums chronisch kranker und behinderter Menschen“ im Paritätischen. Werner Kubitza, Sprecher des Forums fordert:
„Chronisch kranke und behinderte Menschen müssen stärker an der Gestaltung des
Gesundheitswesens beteiligt werden.“
Herr Kubitza, Sie vertreten als Sprecher des
Paritätischen Forums die Interessen chronisch kranker und behinderter Menschen im
Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA).
Er ist das oberste Beschlussgremium der
gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte,
Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland
und bestimmt letztlich, wie der Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für mehr als 70 Millionen Versicherte aussieht. Wie können Sie als einer
von neun Patientenvertretern im G-BA Einfluss darauf nehmen, welche Leistungen der
medizinischen Versorgung von der GKV
erstattet werden?
vertreter kein Stimmrecht. Wir oder
sachkundige Vertreter, die wir vorab
benennen können, dürfen in den Unter-Ausschüssen, deren Arbeitsgruppen und im Gremium selbst zwar mitdiskutieren und Anträge stellen – aber
nicht darüber abstimmen. Und wir haben auch kein Mitbestimmungsrecht,
was überhaupt auf die Tagesordnung
kommt.
Aber ich will unseren Einfluss nicht
kleinreden. Wir Patientenvertreter haben der Übermacht der Leistungserbringer und Kostenträger schon so
manches abtrotzen können. Wir stellen die spezifischen Sichtweisen und
Bedürfnisse der Patienten und Versicherten dar. Unsere Argumente werden gehört und fallen häufig auch auf
fruchtbaren Boden.
Fällt Ihnen da ein konkretes Beispiel ein?
Werner Kubitza: Ja, beispielsweise der
Streit um die Übernahme von Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung.
Nachdem die Übernahme von Fahrtkosten fast völlig gestrichen werden
sollte, konnten wir erreichen, dass für
stark in ihrer Mobilität eingeschränkte
Menschen sowie Patientinnen und Patienten, die wegen einer Grunderkran-
Werner Kubitza: Der Gemeinsame Bun-
desausschuss ist ein sehr mächtiges
Gremium mit einem nichtssagenden
Namen, der meiner Meinung nach
dringend geändert werden müsste. Vor
lauter Neutralität erkennt man nämlich
an dieser Bezeichnung überhaupt nicht,
was der G-BA macht. Dabei trifft er Beschlüsse, die für kranke und behinderte Menschen von enormer Bedeutung
sind – mitunter sogar über Leben und
Tod entscheiden können.
Leider sind unsere Mitgestaltungsmöglichkeiten im G-BA immer noch begrenzt. Anders als die Vertreter der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der
Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung haben wir Patienten-
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Werner Kubitza (62)
fordert mehr
Mitbestimmungsrechte
für die Vertreter
chronisch kranker und
behinderter Menschen
im Gemeinsamen
Bundesausschuss.
Kubitza ist seit vier
Jahren Präsident des
Bundesverbandes der
Kehlkopfoperierten.
Seit zwei Jahren ist der
ehemalige IG-MetallGeschäftsführer aus
Salzgitter Sprecher
des Forums chronisch
kranker und behinderter Menschen im
Paritätischen.
Foto: Bauer
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Thema
kung häufiger zur ambulanten Behandlung müssen, eine Kostenübernahme für Fahrten sichergestellt ist.
Aber natürlich gibt es auch andere Beispiele wie etwa die Einschränkung der
Kostenerstattung für Insulin-Analoga
zur Behandlung von Diabetes Typ 2,
die vom Deutschen Diabetiker Bund
als klarer Fall von Rationierung im Gesundheitswesen empfunden wird.
In etwa 90 Prozent der Fälle finden im
G-BA die Patienteninteressen aber Gehör. In zehn Prozent der Fälle jedoch
auch nicht. Und da muss man schon
fragen: Wie gewichtig sind diese zehn
Prozent? Dahinter stehen ja ganz konkrete Schicksale. Und wenn man dann
sieht, wie Patienten kämpfen müssen,
dass ein Medikament zugelassen wird,
das sie benötigen, kann man manchmal schon wütend werden.
Ich bin überzeugt, wenn wir Patientenvertreter im G-BA mehr Mitbestimmungsrechte hätten, wäre die Ablehnungsquote niedriger als zehn Prozent.
Wobei wir schon auch immer aufpassen müssen, dass Patienteninteressen
und Interessen der Pharmaindustrie
nicht miteinander vermischt werden.
Ein anderes, aber ebenso wichtiges Thema:
die finanzielle Förderung der Selbsthilfe
durch die gesetzlichen Krankenkassen. Auch
hier wünschen Sie sich Verbesserungen ...
Werner Kubitza: Die Selbsthilfeförderung
durch die gesetzlichen Krankenkassen
findet seit 2008 auf zwei Wegen statt.
Doch nur einer wird bislang im Großen
und Ganzen dem Anspruch gerecht, zu
einer verlässlicheren Förderung der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe zu führen, auch wenn bei weitem noch nicht
alles optimal ist: Das ist die kassenübergreifende Gemeinschaftsförderung. Die
krankenkassenindividuelle Förderung
ist aber völlig unbefriedigend.
Es ist ja im Sozialgesetzbuch gesetzlich geregelt, dass die Krankenkassen
pro Versichertem jährlich einen bestimmten Betrag – das sind aktuell 57
Cent – zur Förderung der Selbsthilfe
zur Verfügung stellen müssen. 2010
beläuft sich die Summe auf rund 40
Millionen Euro. Davon entfallen mindestens 50 Prozent auf die kassenübergreifende Gemeinschaftsförderung, die
Das Forum chronisch kranker und
behinderter Menschen im Paritätischen wurde 1986 von überregionalen
Mitgliedsverbänden des Paritätischen
gegründet. Inzwischen gehören ihm
38 bundesweite Mitgliedsorganisationen an. Wichtige Aufgabe des Forums
ist es, politische Positionen zur Stärkung der Selbsthilfe und zur Unterstützung der Betroffenen zu erarbeiten. Im Gemeinsamen Bundesausschuss, dem Vertreter von Ärzten,
Krankenkassen, Krankenhäusern und
Patientenverbänden angehören, setzt
das Forum sich für die Interessen von
Patientinnen und Patienten bei der
medizinischen Diagnose und Therapie sowie der Versorgung mit Medikamenten, Heil- und Hilfsmitteln ein.
Es engagiert sich zudem im Patien-
der Basisförderung der Selbsthilfe
dient. Während die maßgeblichen Spitzenverbände der Selbsthilfe hier bei
der Mittelvergabe aus dem Gemeinschaftsfonds eingebunden sind, mangelt es bei der kassenindividuellen Förderung jedoch sehr an Transparenz.
Viele Kassen geben noch nicht einmal
bekannt, nach welchen Grundsätzen
gesundheitsbezogene Projekte der
Selbsthilfe gefördert werden. Das hat
zu Folge, dass Selbsthilfeorganisationen grundlegende Informationen fehlen, wie sie beispielsweise an Mittel
kommen und wer ihre Ansprechpartner
sind. Außerdem ist die Förderpraxis
uneinheitlich und unübersichtlich.
Der Paritätische fordert daher, dass die
Krankenkassen verpflichtet werden
müssen, ihre Grundsätze für die kassenindividuelle Förderung bekannt zu
geben, und dass die Spitzenorganisationen der Selbsthilfe an der Vergabe der
Mittel beteiligt werden. Und die Kassen
müssen transparent machen, wieviel
Geld sie für die „indirekte Selbsthilfeförderung“ behalten, etwa für Personal- und Sachkosten im Zusammenhang mit der Selbsthilfeförderung. Da
gibt es mit einer Spannbreite, die zwischen zwei und neun Cent pro Versichertem pro Jahr liegt, enorme Unterschiede zwischen den Kassen. Die Förderkriterien und -transparenz gehören
tenforum, einem Zusammenschluss
aus Vertretern von Patienten- und Behindertenorganisationen, der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Vereinigung, der sich für Qualitätsverbesserungen im Gesundheitswesen einsetzt.
Wichtige Voraussetzungen, um das
alles leisten zu können, sind eine
enge Vernetzung der Mitgliedsorganisationen und eine gute Kooperation
mit der Abteilung für Rehabilitation
und Gesundheit beim Paritätischen
Gesamtverband und den Fachabteilungen der Landesverbände sowie die
Einbindung der Akteure in Verbandsgremien wie dem Verbandsrat.
Weitere Informationen gibt es im Internet auf der Seite www.selbsthilfe.
paritaet.org.
dringend auf die Agenda. Unseres Erachtens müsste darüber hinaus generell das Verhältnis zwischen kassenübergreifender und kassenindividueller
Förderung von „halbe halbe“ verschoben werden zu einem Verhältnis von
70:30.
Sie können sich auch noch andere Wege
zur Unterstützung der Selbsthilfe durch
die Kassen vorstellen.
Werner Kubitza: Es wäre sinnvoll, wenn
alle Krankenkassen, also auch die Privaten, die Mitgliedschaft ihrer Versicherten
in einer Selbsthilfeorganisation ebenso
wie die Teilnahme an Präventionsprogrammen beispielsweise über Bonussysteme honorieren. Und außerdem könnten die Mitgliedsbeiträge bei der jährlichen Belastungsgrenze angerechnet
werden, über die hinaus Versicherte keine Zuzahlungen mehr zu Arztkosten,
Medikamenten und ähnlichem zahlen
müssen. Es gibt noch viele Möglichkeiten, die Selbsthilfe besser zu unterstützen. In diesem Zusammenhang möchte
ich auch eine Anregung in den Verband
hinein geben: Viele Selbsthilfegruppen
müssen für ihre Treffen Räume anmieten. Wenn sie verstärkt die Möglichkeit
haben, Räume des Paritätischen zu nutzen, wäre das für viele ein Gewinn.
UB
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Thema
Kendine Yardım Grubu –
Eine Gruppe, die mir hilft
KISS Hamburg erleichtert Migranten den Zugang zur Selbsthilfe
Gut ein Viertel der Hamburger Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund. In den 1.500
Selbsthilfegruppen der Hansestadt suchen Migranten eher selten Unterstützung. Der Paritätische Hamburg, Träger der Kontakt- und Informationsstellen für Selbsthilfegruppen (KISS),
will wissen, warum das so ist. Seit einem Jahr lotet eine KISS-Mitarbeiterin aus, wie sie
Migranten die Tür zur Selbsthilfe öffnen kann.
S
chon das Wort ist ein Problem:
Selbsthilfegruppe. Wörtlich ins
Türkische übersetzt würde daraus eine „Hilf-Dir-Selbst-Gruppe“. Klingt
eher nach Einzelkämpfern. Serpil Klukon hat deshalb mit einem Psychologen aus Istanbul eine Weile gegrübelt,
bis ihr eine gute Übersetzung einfiel:
„Eine Gruppe, die mir hilft“. Das war
die erste Hürde, sagt die Leiterin des
Projektes „Weiterentwicklung der
Selbsthilfeunterstützung für Migranten in Hamburg“. Seit Oktober 2008
hat sie bereits etliche Hürden überwunden.
Mit leichten Themen beginnen
Serpil Klukon, die sowohl in der deutschen als auch der türkischen Kultur
zuhause ist, schwebt ein Ziel vor Augen:
allen Migrantinnen und Migranten den
Zugang zur Selbsthilfe zu ermöglichen.
Damit meint sie auch und gerade die, die
wenig deutsch sprechen und in Deutschland alt werden, obwohl sie ihr Leben
lang von der Heimat träumen. Viele
Frauen leiden unter psychischen Erkrankungen, beobachtet Klukon. Viele rufen
an, weinen und klagen über Depressionen. Es wundert sie nicht: „Frauen tragen die Last der Migration mehr.“ Die
Männer arbeiten, die Frauen haben fast
keine Kontakte zur Außenwelt. Wenn
die Kinder dann das Haus verlassen,
kommt die Leere. Hamburg ist fremd
geblieben, die Heimat fremd geworden.
Bis die ersten Anrufe kamen, hat Serpil
Klukon unermüdlich Kontakte geknüpft.
Zur Auftaktveranstaltung des Projekts
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hat sie Vertreter der Moscheevereinigungen, der Migrantenorganisationen, der
Beratungsstellen und der Verwaltung
eingeladen. Einig waren sich alle Gäste,
dass Selbsthilfe für Menschen anderer
Kulturen mit leichten Themen beginnen, Tabuthemen beachten und genügend Zeit geben sollte. Sie dürfe sich
nicht von bisher bewährten Selbsthilfekonzepten einengen lassen. Seither
pflegt Klukon die Kontakte zu Schlüsselpersonen sorgsam. „Einmal hingehen
reicht nicht“, sagt sie. Wichtig sei, dass
sie immer wieder gesehen werde. Erst
dann reichen ihre Ansprechpartner die
türkischsprachigen Infokarten der KISS
Hamburg an Ratsuchende weiter.
Selbsthilfe ist so ähnlich wie Goldtage
Serpil Klukon war schnell mit Tabuthemen konfrontiert: psychische Probleme
und Alkohol. Beide Tabus sind eng mit
Religion und Volksglauben verbunden.
„Viele meinen, wer seelisch krank ist, ist
vom Glauben abgekommen“, sagt Serpil
Klukon. Manche machten auch böse
Geister oder böse Blicke dafür verantwortlich. Alkohol sei in muslimischen
Ländern verboten. Es werde aber viel getrunken – heimlich. Trotzdem hat es die
türkisch sprechende Beraterin geschafft,
zu beiden Themen Selbsthilfegruppen
zu initiieren. Sie hat engagierte Gründerinnen und Gründer gefunden, denen
sie klar machen konnte, dass sie nicht
alleine mit ihren Problemen sind.
Gründer zu motivieren gelingt ihr nur,
wenn sie den Selbsthilfegedanken in die
türkische Kultur übersetzt. Frauen er-
Selbsthilfeberaterin Serpil Klukon
Foto: Gerlinde Geffers
klärt sie die Selbsthilfe etwa analog zu
den vertrauten Goldtagen in der Türkei:
Zwölf Frauen treffen sich zwölf Monate
lang. Einmal im Monat lädt eine Frau zu
Tee und Köstlichkeiten ein. Jede gibt ihr
dafür einen Goldtaler. So tauschen sich
die Frauen aus, geben Neuigkeiten weiter
und spinnen ein Kommunikationsnetz,
denn manche sind in mehreren Gruppen
aktiv. „Die Frauen tun an den Goldtagen
etwas für sich selbst“, so Serpil Klukon.
„Wenn ich ihnen erkläre, Selbsthilfe ist
so ähnlich wie die Goldtage, dann denken sie darüber nach.“
„Gib’ die Hoffnung nicht auf“
Einige Frauen, die unter Selbstwertproblemen und Depressionen leiden, haben
eine Gruppe gegründet. Sie werben mit
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Thema
den Worten: „Gib die Hoffnung nicht
auf, warte nicht ab, komm zu uns.“ Während der Treffen reden sie sich ihre Sorgen von der Seele und tanken neue
Kraft.
KISS-Kolleginnen lernen vom Projekt
Serpil Klukon ist in die Arbeit der KISS
Hamburg vollständig integriert. Wie ihre
Kolleginnen berät sie alle Anrufer am
Selbsthilfetelefon. Je mehr sie über die
unterschiedlichen Gruppen und die Unterstützung durch die Selbsthilfe-Kontaktstelle lernt, desto deutlicher sieht sie
die Unterschiede zwischen den Kulturen. Die Kolleginnen lernen mit. Petra
Diekneite, die Leiterin der KISS-Wandsbek, findet das nicht nur spannend, sondern auch notwendig: „Wir brauchen
eine gemeinsame Basis, damit die Verzahnung und die Analyse gelingen.“
Schritt für Schritt
So erleben alle, dass KISS Hamburg Migranten nicht einfach auf eine Sammelliste für ein Anliegen setzen kann, um
dann mit Öffentlichkeitsarbeit nach
weiteren Interessenten für eine Gruppengründung zu suchen. Serpil Klukon
muss Gründer und Gründerinnen stärker motivieren und Schritt für Schritt
begleiten – vom ersten Handzettel bis
zur Gestaltung der Gruppensitzungen.
Auch nach der Gründung ist sie immer
für sie da.
Auf diese Weise hat sie auch einer
Gruppe trockener Alkoholiker den Weg
in die Selbsthilfe geebnet. Die türkischen Männer hatten sich gemeinsam
in einer Suchtberatungsstelle auf den
medizinisch-psychologischen Führerscheintest vorbereitet. Anfangs waren
sie misstrauisch, wohl auch aus Scham.
Es war nicht leicht, die Bedenken der
Männer zu zerstreuen, sie könnten
vielleicht auf dem Weg zur KISS gesehen werden. Inzwischen helfen sie
sich gegenseitig, auch dann nicht zur
Flasche zu greifen, wenn sie unter
Druck stehen.
Ohne Übersetzer geht es nicht
Drei Jahre hat Serpil Klukon Zeit, die
Wege zu erkunden, die Migranten in
die Selbsthilfe führen können. Solange
finanziert die AOK Rheinland/Hamburg das Projekt. Klukon probiert derzeit viele Zugangswege aus: Im November hat sie zum ersten Mal gemeinsam
mit der Deutschen Parkinson Vereinigung e. V. türkischsprachige Ärzte und
Apotheker eingeladen, um sie als Multiplikatoren zu gewinnen. Sie hat mit
Hilfe einer russisch-deutschen Kollegin
eine russischsprachige Alkoholikergruppe ins Leben gerufen. Sie hat eine
junge Türkin beraten, die neu in Hamburg ist und für ihre Selbsthilfegruppe
kulturell interessierte Frauen sucht,
und einen Mann mit libanesischem
Hintergrund, der sich ausgegrenzt fühlt
und sich mit anderen Männern austauschen möchte.
Bislang ist jedes Selbsthilfethema neu,
für jedes Thema müssen die Kontaktwege erst gefunden werden. Daran, dass
das Projekt in zwei Jahren beendet sein
will, mag Serpil Klukon im Moment
nicht denken. Eins aber weiß sie schon
jetzt: Ohne Menschen, die zwischen den
Kulturen übersetzen, ist die Selbsthilfe
für Migranten viel schwerer zu erschließen.
Gerlinde Geffers
Kontakt
Serpil Klukon
KISS Hamburg
Kontaktstelle KISS-Wandsbek
Brauhausstieg 15-17
22041 Hamburg
Tel.: 040/399 263 53
Mi. 14.00 -18.00 Uhr
Fax: 040/399 263 52
E-Mail: Serpil.Klukon@
paritaet-hamburg.de
Oder
Der Paritätische Hamburg e. V.
Dr. Wolfgang Busse
Leiter KISS Hamburg
Wandsbeker Chaussee 8
22089 Hamburg
Tel.: 040/41 52 01 80
E-Mail: [email protected]
Informationen zum Thema Selbsthilfe im Internet
Der Umfang eines Verbandsmagazins
ist leider begrenzt, das world wide web
jedoch grenzenlos. Darum hier ein
paar Hinweise auf Internetangebote
rund ums Thema Selbsthilfe:
www.selbsthilfe.paritaet.org
Diese Internetseite präsentiert künftig
die Arbeit des Paritätischen im Bereich
der Selbsthilfe auf Bundes- und Landesebene sowie das Engagement des
Forums chronisch kranker und behinderter Menschen im Paritätischen.
www.selfhelp-emr.eu
Hierbei handelt es sich um eine dreisprachige Website, die als interaktives
Netz die grenzüberschreitende Selbsthilfekommunikation in Deutschland,
Belgien und den Niederlanden fördert.
Dahinter steht das Netzwerk self-help
emr, in dem seit 1988 die professionellen Selbsthilfe-Kontaktstellen und
Patientenberatungsstellen in der Euregio Maas-Rhein zusammenarbeiten.
www.sinn-x.de
Sinn steht für Soziales InterNet Netz
und ist ein Werkzeug für im Sozialbereich Tätige, das die Paritätische Akademie kostenfrei zur Verfügung stellt,
um die Kommunkation im sozialen
Bereich zu verbessern.
Unter anderem stellen sich dort auch
Selbsthilfegruppen mit kurzen Videos
vor.
www.patientennetz.net/patientennetz_0509/wordpress/
Im PatientInnen-Netzwerk NordrheinWestfalen arbeiten zahlreiche bürgerschaftlich organisierte und von Kostenträgern sowie Leistungserbringern unabhängige Gruppen und Initiativen zusammen, die Patientinnen und Patienten beraten und unterstützen.
www.selbsthilfenetz.de
Internetportal des Paritätischen Landesverbands Nordrhein-Westfalen zum
Thema Selbsthilfe in NRW
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Thema
Selbsthilfe-Kontaktstellen in
Sachsen-Anhalt stehen vor dem Aus
Ein System droht zusammenzubrechen – kurz nach seinem Aufbau
Die Zukunft von mindestens acht der 14 Selbsthilfe-Kontaktstellen in Sachsen-Anhalt
steht infrage, nachdem die Landesregierung dieses Jahr keine Personalkostenzuschüsse
für die Kontaktstellen gewähren will. Bislang wird deren Arbeit im Haushaltsentwurf
2010 nicht einmal mehr erwähnt.
D
abei hat das Land selbst den
Ausbau der Selbsthilfeunterstützung vor drei Jahren forciert“, erinnert Oliver Zobel, Grundsatzreferent des Paritätischen für die
Selbsthilfe in Sachsen-Anhalt. 2007
hatte die Landesregierung 250.000
Euro investiert, um die SelbsthilfeKontaktstellen landesweit auf- und auszubauen. Das Unternehmen gelang,
inzwischen gibt es in jeder kreisfreien
Stadt und jedem Landkreis SachsenAnhalts hauptamtlich besetzte Kontaktstellen. Sie betreuen rund 900
Selbsthilfegruppen zu gesundheitlichen und etwa 300 zu sozialen Themen mit insgesamt mehr als 19.000
Mitgliedern.
Vermittlung vor Ort nötig
Viele dieser Gruppen wären ohne die
Arbeit der Kontaktstellen erst gar nicht
entstanden. „Gerade wenn es um
Krankheit, Sucht, Drogen oder andere
Belastungen geht, braucht es Unterstützung, Begleitung und vielfach auch
Anonymität“, sagt Oliver Zobel, „Menschen mit derselben speziellen Krankheit in einer Region finden sich nicht
im Internet – da braucht es Vermittlung vor Ort.“ Diese Vermittlung, aber
auch die Zusammenarbeit mit Krankenhäusern, Ärzten, Behörden, Krankenkassen sowie Öffentlichkeitsarbeit
leisten die Kontaktstellen. Sie stellen
den Selbsthilfegruppen Räume zur
Verfügung und vermitteln Fachreferenten. Bei einem runden Tisch des
Paritätischen im Oktober vergangenen
Jahres berichteten viele, wie Selbsthilfe
dem Gesundheitssystem Geld spart.
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Ob es die Tabletten sind, auf die eine
Frau verzichten kann, seit sie in einer
Selbsthilfegruppe ist, oder die Arztbesuche, die sich an einer Tagesklinik seit
Einrichtung einer Selbsthilfegruppe
im Haus verringert haben. „Solche
Praxiserfahrungen haben die Kontaktstellen gesammelt und wollten sie für
eine wissenschaftliche Evaluierung
aufbereiten“, berichtet Oliver Zobel.
Doch bereits 2009 kürzte das Land
seine Personalkostenzuschüsse auf
110.000 Euro. Die Kontaktstellen konn-
ten nur noch halbtags arbeiten. Den
Wert der eigenen Arbeit, zum Beispiel
in Zahlen zu ermitteln und zu dokumentieren, ist so nicht mehr möglich.
Ministerium: Nur Anschubfinanzierung
Das Sozialministerium rechtfertigt die
Streichung: Die Mittel seien von Anfang an als „Anschubfinanzierung“
gedacht gewesen. „So wurde das nie
kommuniziert“, widerspricht der
Grundsatzreferent des Paritätischen.
Es mache vor allem auch keinen Sinn.
Bisherige Standorte
der 14 SelbsthilfeKontaktstellen in
Sachsen-Anhalt
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Thema
Denn es gibt keine Alternative. Landkreise und Kommunen sind nur in
Einzelfällen finanziell stark genug, um
ihre Kontaktstelle im Rahmen der Daseinsvorsorge ausreichend zu fördern.
Für sechs der 14 Einrichtungen besteht
Hoffnung, auf diesem Weg zu überleben. Andere Finanzierungswege wie
Bußgelder, Stiftungen, Spenden und
Sponsoren sind in Sachsen-Anhalt
nicht etabliert, steuern aber auch bei
Kontaktstellen in anderen Bundesländern weniger als zwei Prozent der Kosten bei. Die Förderung der Krankenkassen funktioniert zwar gut, aber sie
steht nur für Sachkosten zur Verfügung, nicht für das dringend benötigte
Personal. „Gerade die Umsetzung dieser Förderung nach Paragraf 20c des
Sozialgesetzbuchs V ist auch ein Erfolg
der engen Zusammenarbeit zwischen
Selbsthilfegruppen und ihrer Kontaktstelle“, betont Oliver Zobel, denn viele
Gruppen wären ohne Unterstützung der
Kontaktstellen gar nicht in der Lage,
eine Förderung zu beantragen.“ Peter
Piechotta von der Paritätischen Regionalstelle Süd stellt klar: „Das Land hat
viel Geld investiert, um etwas aufzubauen – was jetzt wieder zerstört wird.“
Dabei könnte Sachsen-Anhalt aus seinen
eigenen Erfahrungen lernen. Das Land
hatte bereits in den 90er Jahren in einem
Modellversuch Selbsthilfe-Kontaktstellen aufgebaut. Nach dessen Auslaufen
schloss eine Kontaktstelle nach der anderen mangels Personalförderung, mancherorts wurde die Arbeit von anderen
Kräften „nebenher“ erledigt. Damit gibt
es aber keine Kontinuität der Ansprechpartner – die oft entscheidend ist.
Gesellschaftliche Aufgabe
„Jetzt stehen wir wieder am selben
Punkt“, meint Oliver Zobel, resigniert
aber nicht, sondern mahnt weiter:
„Selbsthilfeunterstützung zu finanzieren ist eine klare gesamtgesellschaftli-
che Aufgabe, die eben auch in Verantwortung des Landes liegen muss.“
Nach monatelangen Protesten des
Paritätischen hat der Sozialausschuss
des Landtages Ende November zwar
empfohlen, doch einzulenken und wieder für die nächsten beiden Jahre jeweils 50.000 Euro für die Kontaktstellen zu bewilligen. Diese Empfehlung
muss aber erst noch den Finanzausschuss, das Kabinett und schließlich
den Landtag passieren. Werden die
Gelder zugesagt, würde dies für Oliver
Zobel zwar eine symbolische Anerkennung und Ansporn für die weitere notwendige gemeinsame Überzeugungsarbeit der Selbsthilfe in Sachsen-Anhalt darstellen, doch die Arbeit selbst
sichern sie nicht. 50.000 Euro sind ein
Fünftel der Ausgangssumme von 2007.
Doch wie soll die jeweils umfangreiche
Arbeit in einer „Fünftel-Stelle“ gelingen?
Gisela Haberer
Mehr Patientenorientierung ist angesagt
Netzwerk will Kliniken und Arztpraxen für Kooperation mit der Selbsthilfe gewinnen
Endlich hat Nina M. Klarheit. Jetzt weiß sie, was für die Schmerzen und Beschwerden verantwortlich ist, die sie seit Monaten quälen: Endometriose, eine chronische Erkrankung,
bei der Gebärmutterschleimhaut auch an anderen Stellen im Körper wächst. Zum Glück
ist die Ärztin nicht so hektisch und nimmt sich Zeit für ihre Fragen. Von ihr hat sie auch den
Flyer einer Selbsthilfegruppe bekommen, die sich sogar im Krankenhaus trifft. Da erfährt
Nina bestimmt, wie es anderen mit der Krankheit geht. Dass Ärzte und Pflegepersonal
nicht nur sporadisch, wenn es gerade mal passt, über Aktivitäten von Selbsthilfegruppen
informieren, sondern die Kooperation zwischen Gesundheitswesen und Selbsthilfe zur
Regel wird, ist Ziel des Projekts „Selbsthilfefreundlichkeit im Gesundheitswesen.“
H
orst Jacob ist froh, wie gut sich
am Klinikum Bielefeld die Kooperation mit der Selbsthilfe entwickelt hat. Der ehemalige Diakon,
Krankenpfleger und Operationssaal-Leiter kennt beide Seiten – die des Krankenhauses und die der Patienten. Der 66-Jährige ist selbst herzkrank und engagiert
sich in der Selbsthilfegruppe „Herzpatienten im Gespräch“. Einmal monatlich
trifft sich die Gruppe im Bielefelder Kli-
nikum zum Erfahrungsaustausch, hört
Vorträge zu gesundheitlichen, aber auch
zu sozialen Themen. Im Rahmen des
2008 gestarteten Projekts „Selbsthilfefreundliches Krankenhaus NRW“ hat
sich das Klinikum Bielefeld für eine intensivere Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen entschlossen. Und das, so
Horst Jacob, macht sich sehr positiv bemerkbar. „Früher konnten wir zwar auch
einen Raum im Krankenhaus für unsere
Treffen nutzen, waren aber nicht weiter
in die Klinik integriert. Viele Ärzte wussten gar nicht, dass es uns gibt. Und wenn
ich mal versucht habe, einen Arzt für
einen Vortrag zu gewinnen, hieß es
meistens: Keine Zeit.“ Wenn Horst Jacob
jetzt denkt, dass es zu einem bestimmten Thema sinnvoll wäre, einen Arzt einzuladen, wendet er sich an Sandra Knicker, die als Leiterin des Patienteninformationszentrums (PIZ) am Bielefelder
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Thema
Klinikum schon Erfahrung in der Kooperation mit Selbsthilfegruppen hat.
Sie ist jetzt auch „Selbsthilfebeauftragte“
der Klinik und hält nicht nur den Kontakt zu den kooperierenden Selbsthilfegruppen, sondern verbreitet den Gedanken des selbsthilfefreundlichen Krankenhauses auch innerhalb der Klinik in
allen möglichen Abteilungen. Außerdem koordiniert sie die unterschiedlichsten Aktivitäten rund ums Thema Selbsthilfe.
Die Zusammenarbeit
systematisch verbessern
Unterstützt wird Sandra Knicker dabei
von Christa Steinhoff-Kemper von der
Selbsthilfe-Kontaktstelle Bielefeld (BIKIS), die das Projekt „Selbsthilfefreundliches Krankenhaus NRW“ leitet. Die
Selbsthilfe-Kontaktstelle
Bielefeld,
gleichzeitig Standort der Unterstützungsagentur NRW, war es auch, die das
Konzept „Selbsthilfefreundlichkeit als
Qualitätsmerkmal“ weiterentwickelt hat.
Das Konzept beruht auf den positiven
Erfahrungen des Hamburger Modellprojektes „Qualitätssiegel Selbsthilfefreundliches Krankenhaus“, das unter
der Federführung von Monika Bobzien
und Professor Alf Trojan (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) durchgeführt wurde. Dabei wurden gemeinsam mit Selbsthilfegruppen und Krankenhäusern die Qualitätskriterien (Siehe
Kasten unten) entwickelt. Projektziel ist
es, häufig zufällige, von Einzelpersonen
abhängige Kooperationen systematisch
zu erfassen, sie damit zu stärken und
nachhaltig zu unterstützen.
Christa Steinhoff-Kemper hilft dem Klinikum Bielefeld, systematisch die Zusammenarbeit mit der Selbsthilfe zu
verbessern und zu intensivieren. Die
Umsetzung der Qualitätskriterien erfolgt in Qualitätszirkeln, in denen Selbsthilfegruppen und der/die Selbsthilfebeauftragte des Krankenhauses unter
Moderation der Selbsthilfe-Kontaktstelle
konkrete Maßnahmen erarbeiten. Beispielsweise sieht eine Maßnahme zur
Erfüllung des 2. Qualitätskriteriums vor,
dass gemeinsam verbindliche Absprachen für die Zusammenarbeit getroffen
werden. Horst Jacob konnte daraufhin
bei einem Treffen seiner Gruppe mit
dem Personal der Kardiologischen Station darüber beraten, wann und wie Patienten am besten auf die Möglichkeit
angesprochen werden, sich an eine
Selbsthilfegruppe zu wenden. „Ich hatte
den Eindruck, die finden das richtig gut,
dass es jetzt eine intensivere Kooperation
mit Selbsthilfegruppen gibt. Von den
Schwestern kamen tolle Vorschläge, was
man noch verbessern kann. Da war
schon klar: Es geht ja nicht nur darum,
einen Flyer zum Mitnehmen in einen
Kasten zu stecken. Es kommt auch auf
das persönliche Gespräch an“, betont
Jacob. Und schließlich haben engagierte
Pflegekräfte auch ein besseres Gefühl,
wenn sie wissen, dass ihre Patienten
nach der Entlassung aus der Klinik nicht
in einen luftleeren Raum fallen, sondern
sich Unterstützung bei Selbsthilfegruppen holen können.
„Die Orientierung an den Bedürfnissen
und Interessen der Patientinnen und
Patienten ist ein wichtiges Qualitäts-
Acht Qualitätskriterien für
selbsthilfefreundliche Krankenhäuser
• Bereitstellung von Räumen, Infrastruktur, Präsentationsmöglichkeiten für die
Selbsthilfe
• Regelhafte Information der Patienten und Patientinnen über Selbsthilfe
• Unterstützung der Öffentlichkeitsarbeit von Selbsthilfe-Zusammenschlüssen
• Benennung eines/r Selbsthilfebeauftragten
• Regelmäßiger Erfahrungs- und Informationsaustausch
• Einbeziehung der Selbsthilfe in die Fort- und Weiterbildung von Mitarbeitern
und Mitarbeiterinnen im Krankenhaus
• Mitwirkung der Selbsthilfe an Qualitätszirkeln, Ethikkommissionen
• Formaler Beschluss und Dokumentation der Kooperation
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Patientenorientierung ist keine Goodwill-Aktion: Im Sozialgesetzbuch V
ist die Einbindung der Selbsthilfe in
die professionelle gesundheitliche
Versorgung gesetzlich festgeschrieben. Zudem ist Patientenorientierung ein wichtiges Kriterium bei
der Bewertung des Qualitätsmanagements von Krankenhäusern.
Immer mehr Institutionen des Gesundheitswesens erkennen, dass sie
selbst davon profitieren, wenn sie
das Erfahrungswissen der Patientinnen und Patienten mit ihrem
ärztlichen und pflegerischen Knowhow verknüpfen.
kriterium für unsere Kliniken“, sagt
Arno Schäfer, Referent für Medizin
und Qualitätsmanagement beim evangelischen Krankenhausverbund Valeo,
der im Mai 2009 ebenfalls einen
Kooperationsvertrag mit dem Projekt
„Selbsthilfefreundliches Krankenhaus
NRW“ unterschrieben hat. Inzwischen
beteiligen sich alle neun Akutkliniken
des Verbundes in Westfalen am Projekt. Arno Schäfer ist von den ersten
Erfahrungen begeistert. Der Internist
und Gesundheitsökonom ist überzeugt. „So ein Projekt muss eine Winwin-Situation sein, sonst wird es keine
Nachhaltigkeit geben.“ Die Kooperation mit der Selbsthilfe sei schon mit
beachtlichem personellem und zeitlichem Aufwand verbunden, aber der
lohne sich nicht nur für die Patientinnen und Patienten, sondern auch für
die Kliniken. Die Projektarbeit fördere
auch in der Institution Krankenhaus
die Transparenz, den Wissenstransfer,
die Vernetzung und den Aufbau neuer
Strukturen, die sich positiv auf die
Qualität auswirkten, so Schäfer.
„Netzwerk Selbsthilfefreundlichkeit im
Gesundheitswesen“
„Wir stoßen in den meisten Krankenhäusern in Nordrhein-Westfalen auf offene Ohren“, freut sich Projektleiterin
Christa Steinhoff-Kemper. Diese gute
Resonanz hat schließlich auch die Pläne
befördert, das Projekt auf andere Bundesländer auszuweiten. Einbezogen werden sollen neben Kliniken auch Arzt-
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Thema
praxen, für die das Krankenhauskonzept
aktuell modifiziert wird. Um das Projekt
bundesweit voranzubringen, entstand
2009 das „Netzwerk Selbsthilfefreundlichkeit im Gesundheitswesen – gemeinsam für Selbsthilfe- und Patientenorientierung“, dessen Koordinierungsstelle
beim Paritätischen Gesamtverband in
Berlin angesiedelt ist, aber verbandsübergreifend arbeitet. Träger des Netzwerks ist die „GSP – Gemeinnützige
Gesellschaft für soziale Projekte mbH“,
die Projektgesellschaft des Paritätischen in Nordrhein-Westfalen.
Dem Netzwerk gehören bislang als
weitere Partner an: die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) und das Institut für Medizin-Soziologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
(UKE) „Der Bundesverband der Betriebskrankenkassen (BKK) hat das
Netzwerkprojekt initiiert und fördert es
finanziell. Er hat zuvor bereits das Projekt in NRW sowie das Pilot-Modellprojekt „Qualitätssiegel Selbsthilfefreundliches Krankenhaus“ in Hamburg und
das Projekt „Selbsthilfefreundliche Arztpraxis“ in Bayern inhaltlich und finanziell unterstützt.“.
„Selbsthilfeorganisationen und -gruppen haben häufig die Erfahrung gemacht, als Bittsteller bei Krankenhäu-
Dagmar Siewerts ist verantwortlich
für das Netzwerkmanagement
sern oder Arztpraxen aufzutreten“, sagt
Dagmar Siewerts, Verantwortliche für
das Netzwerkmanagement. Nur wenige
Gruppen, wie beispielsweise die der
Frauenselbsthilfe nach Krebs oder der
ILCO, hätten schon seit längerem verbindliche Kooperationen. Die gesetzlichen Regelungen des Sozialgesetzbuches
V und das neue Konzept „Selbsthilfefreundlichkeit im Gesundheitswesen“
bringen nun für das breite Spektrum der
gesundheitlichen Selbsthilfe sicherlich
Rückenwind, ist Siewerts überzeugt.
Doch guter Wille allein reicht nicht
aus, um das Kooperationsdreieck
Selbsthilfegruppe, Selbsthilfe-Kontaktstelle und Gesundheitsreinrichtung zu
einer stabilen Konstruktion zu machen. „Die Erfahrung der Agentur
Selbsthilfefreundlichkeit NRW zeigt,
das konkrete Impulse und gezielte Unterstützung durch solch speziell geschulte Selbsthilfe-Kontaktstellen beim
Aufbau dieser Kooperationsbeziehung
zur Umsetzung der Qualitätskriterien
nötig sind“, betont die Gesundheitswissenschaftlerin. Das Netzwerk unterstützt daher den Aufbau weiterer
Agenturen im Bundesgebiet. Außerdem bemüht es sich, weitere Partner
für das Projekt „Selbsthilfefreundlichkeit im Gesundheitswesen“ zu gewinnen, steht Interessierten für Auskünfte
zur Verfügung, sorgt für den fachlichen Austausch zwischen den Akteuren und für die nötige ÖffentlichkeitsUB
arbeit.
Kontakt
Projekt Selbsthilfefreundlichkeit
Netzwerkmanagement
Der Paritätische Gesamtverband e. V.
Dagmar Siewerts, Tel.: 030/32661233
E-Mail: [email protected]
„Wir bewegen – was uns verbindet“
Die Kontakt-, Informations- und Beratungsstelle im Selbsthilfebereich in Göttingen
Sie heißen meist KISS, KIBIS oder SEKIS – ihre Aufgabe ist es, Selbsthilfegruppen zu unterstützen und zu fördern. Bundesweit gibt es rund 270 Selbsthilfekontaktstellen, von
denen mehr als 170 Mitglied im Paritätischen sind oder in dessen direkter Trägerschaft.
Eine von ihnen ist die Kontakt-, Informations- und Beratungsstelle im Selbsthilfebereich
– kurz: KIBIS – in Göttingen.
D
ie 1991 gegründete KIBIS Göttingen ist eine Einrichtung des
Gesundheitszentrums Göttingen e. V., in dessen Domizil sie auch ihre
Kontakt-, Informations- und Beratungsstelle hat. Ein zweiköpfiges Team berät
dort Menschen mit einer Erkrankung,
sozialen Problemen oder einer Behinderung über das breite Selbsthilfeangebot
in Göttingen und Umgebung, unterstützt Selbsthilfegruppen auf vielfältige
Weise und ist auch für professionell Tätige da, die sich über die Selbsthilfe informieren wollen. Der Service der Selbst-
hilfe-Kontaktstelle ist ebenso wie die
Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe
kostenlos. Finanziert wird die KIBISArbeit vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und
Gesundheit sowie den Landesverbänden
der gesetzlichen Krankenkassen.
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Thema
Vom Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom
bis zu Zwillings- und Drillingseltern
reicht das alphabetische Spektrum der
rund 250 Selbsthilfegruppen, die in der
KIBIS-Datenbank registriert sind. Zu finden ist die Datenbank selbstverständlich
auch auf der Homepage der Kontakt-,
Informations- und Beratungsstelle unter
www.selbsthilfe-goettingen.de. Dort gibt
es auch jede Menge Informationen rund
um die Gründung von Selbsthilfegruppen, einen Leitfaden zur Selbsthilfeförderung und Antragsformulare, Veranstaltungstipps, Berichte über KIBIS-Veranstaltungen und vieles mehr. Eine wahre Fundgrube.
„Der Wunsch, etwas
für sich selbst zu tun“
Viele, die sich dafür interessieren, in
einer Selbsthilfegruppe mitzuwirken,
bevorzugen jedoch das persönliche Gespräch in der realen Anlaufstelle, einem
schmucken weiß-grauen Fachwerkhaus
in der Lange-Geismar-Straße 82.
„Manchmal kommen Menschen zu
uns, die noch Bedenken haben, ob eine
Selbsthilfegruppe überhaupt das Richtige für sie ist“, sagt KIBIS-Leiterin
Barbara Meskemper. „Manche glauben, sie müssten besondere Fähigkeiten für die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe mitbringen. Aber das Einzige, was betroffene Menschen mitbringen müssen, ist der Wunsch oder
das Bedürfnis, etwas für sich selbst zu
tun“, betont die Sozialpädagogin und
Körperpsychotherapeutin. „Im Beratungsgespräch klären wir dann mit
den Ratsuchenden, welche Vorstellungen und Bedürfnisse sie hinsichtlich
des Austauschs mit anderen haben
und helfen ihnen, die richtige Selbsthilfegruppe zu finden oder andere
Möglichkeiten, die für sie hilfreich
sein können.“ Wenn es zu einem Thema keine Selbsthilfegruppe gibt, berät
und unterstützt KIBIS Interessierte
auch bei der Gründung einer neuen
Gruppe. Für die bereits bestehenden
Selbsthilfegruppen hat das Team ebenfalls einiges zu bieten. „Wir beraten
Interessierte beispielsweise bezüglich
der Gruppenarbeit und helfen auch,
wenn in Problem- oder Konfliktsituationen unsere Unterstützung gewünscht
ist“, sagt Barbara Meskemper. Außerdem
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Beratungsgespräch in der Göttinger Kontakt-, Informations- und Beratungsstelle im Selbsthilfebereich.
Foto: KIBIS Göttingen
gibt es auch ganz praktische Unterstützung: Materialien und Geräte können für
die Gruppenarbeit ausgeliehen werden
– vom Projektor über den Beamer und
die Leinwand bis hin zu Literatur, Videos
und DVD‘s. Zwei Räume in der Kontaktund Informationsstelle können außerdem für Treffen genutzt werden.
Fortbildungen und Vernetzung
Darüber hinaus bietet die KIBIS Fortbildungsseminare an, bei denen die
Selbsthilfeakteure konkretes Handwerkszeug für die Arbeit in der Selbsthilfegruppen erhalten – beispielsweise
zum Umgang mit Gruppenritualen,
zu finanziellen Fördermöglichkeiten
oder zur Öffentlichkeitsarbeit. Auch
Vernetzungstreffen, bei denen die
Aktiven sich über Erfahrungen in der
Selbsthilfearbeit austauschen können,
organisiert die Kontakt- und Informationsstelle. Gemeinsam mit interessierten Selbsthilfegruppen geht die
KIBIS auch in die Öffentlichkeit, um
auf die Möglichkeiten und Bedeutung
der Selbsthilfe aufmerksam zu machen, wie beispielsweise bei den Göttinger Gesundheitstagen. Außerdem
gibt KIBIS die sehr informative Selbsthilfezeitung „WECHSEL+SEITIG“ heraus, die ein- bis zweimal jährlich erscheint und gratis zu haben ist.
„Selbsthilfegruppen wirken zunächst
auf den einzelnen Menschen, langfristig wirken sie aber auch an gesellschaftlichen Entwicklungen mit“, betont Barbara Meskemper. Etwa durch
ihr Engagement für Verbesserungen
im Gesundheitswesen, aber auch beim
Abbau von Vorurteilen gegenüber
Menschen, die an einer Erkrankung
leiden oder behindert sind.
Mehr über die Arbeit der KIBIS Göttingen und die Selbsthilfe in Niedersachsen allgemein erfahren Interessierte in
einem Film mit dem Titel „Wir bewegen – was uns verbindet“. Die Videoproduktion des Selbsthilfe-Büros Niedersachsen kann als DVD bestellt werden
beim Selbsthilfe-Büro Niedersachsen,
Gartenstraße 18,
30161 Hannover,
Tel.: 0511/391928,
E-Mail: [email protected]
oder bei der KIBIS in Göttingen.
Kontakt
Kontakt-, Informations- und Beratungsstelle im Selbsthilfebereich – KIBIS
Lange-Geismar-Straße 82
37073 Göttingen
Tel.: 0551/486766
E-Mail: gesundheitszentrum-goe
@t-online.de
www.selbsthilfe-goettingen.de
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Thema
Selbsthilfe auf Nachwuchssuche
Andreas Greiwe über das (vermeintliche) Problem Generationenwechsel
Vielen Selbsthilfegruppen drückt der Schuh an derselben Stelle: „Unsere Gruppe ist überaltert“, klagen die einen. „Wir haben so gut wie keine jüngeren Mitglieder, die bereit
sind, Verantwortung für die Gruppenarbeit zu übernehmen“, stellen die anderen fest.
Viele Gruppen sehen ihre Existenz bedroht. Doch so sehr sich die Symptomatik ähnelt
– wer sich mit der Pauschal-Diagnose „Generationenwechsel“ zufrieden gibt, verkennt
nicht selten, dass hinter dem Mitgliedermangel ganz andere Ursachen stecken können
als der demografische Wandel, betont Andreas Greiwe. Der Fachberater für Selbsthilfe
und Selbsthilfe-Kontaktstellen beim Paritätischen in Nordrhein-Westfalen gibt in diesem
Beitrag Impulse, wie Selbsthilfegruppen das Thema Nachwuchsmangel angehen können.
D
en Generationenwechsel als
Problem per se gibt es gar nicht.
Schwierigkeiten beim Generationswechsel sind vielmehr Ausdruck vielfältiger Probleme und bringen oft bislang
verdeckte Konflikte an den Tag. Um einen Generationenwechsel bewerkstelligen zu können, ist oftmals eine Rückbesinnung auf die gemeinsame Betroffenheit und die gegenseitige Unterstützung
als zentrale Quelle der Kraft notwendig.
Die Integration jüngerer Mitglieder und
ein Wechsel in der Gruppenleitung können am ehesten gelingen, wenn die
Gruppe bereit ist, Selbstverständnis und
Zielsetzungen zu reflektieren sowie ihre
eigenen Strukturen kritisch zu hinterfragen und – wo erforderlich – zu verändern.
Häufig ist es sinnvoll, dass die Gruppe
analysiert, wie sie neue Mitglieder anwirbt, begrüßt, begleitet und unterstützt.
Ob sie attraktive Angebote macht, die
Neue ansprechen, und ob sie bereit ist,
die Ideen und Anregungen der Neuen
auch zu schätzen und gegebenenfalls sogar Gruppenstrukturen zu verändern.
Denn leicht kann es passieren, dass mit
dem Hinweis auf jahrelange Gewohnheiten frische Impulse abgeblockt und neue
Interessenten vergrault werden.
Starre Leitungs- und Beteiligungsstrukturen in Selbsthilfegruppen schrecken
nicht nur jüngere Menschen ab. Die
Strukturen im Miteinander, die Legitimation der Leitung und die Beteiligungsmöglichkeiten der Mitglieder haben entscheidende Auswirkungen auf die
Attraktivität der Gruppe und auf die Be-
lastung, die mit der Übernahme der
Gruppenleitung verbunden ist. Nur wenn
Gruppenmitglieder sich in einer für sie
befriedigenden Weise einbringen können, kann die Bereitschaft wachsen, Mitverantwortung zu übernehmen.
Das Projekt „Brücken bauen“ der großen
Sucht-Selbsthilfeverbände hat sich eingehend mit der Integration von „Jungen“ in
die Selbsthilfe befasst und festgestellt:
„Die Verbände und Selbsthilfegruppen
müssen umdenken, um attraktiver für
junge Menschen zu sein.“ Kritisiert wurden unter anderem: hierarchische Gruppenstrukturen, zu große Bedeutung der
Leitungsperson, starres Miteinander in
den Gruppen und die „Komm-Struktur.“
Wen meinen wir mit den „Jungen“?
Oft wird vernachlässigt, dass gerade jüngere Menschen zur Beginn ihres Selbsthilfe-Engagements mehr Begleitung benötigen und wünschen. Hier kann es
hilfreich sein, ihnen Mentoren an die Seite zu stellen. Auch der Wunsch junger
Menschen, sich zeitlich begrenzt einzubringen, muss stärker berücksichtigt
werden. Ebenso wie ihr Interesse an gemeinsamen Freizeitaktivitäten und Gesprächen über Themen, die nichts mit
Krankheit und Problemen zu tun haben.
Zugleich gilt es auch, sich einige wichtige
Aspekte in Erinnerung zu rufen: Unsere
Gesellschaft wird insgesamt immer älter.
Viele Probleme – insbesondere chronische Erkrankungen – treten gehäuft erst
mit zunehmendem Alter auf. Und wir
müssen uns fragen: Wen meinen wir,
Andreas Greiwe
wenn wir von „Jungen“ reden. Nicht nur
die 20-Jährigen fehlen in der Selbsthilfe,
auch die 30- bis 40-Jährigen sind unterrepräsentiert. Der Anteil von Menschen
mit Migrationshintergrund ist gerade in
der Altersstufe der „jungen Erwachsenen“ besonders hoch. Wie können sie
besser eingebunden werden?
Selbsthilfegruppen, die den Wandel aktiv
gestalten möchten, sollten sich nicht
scheuen, die Unterstützung von Selbsthilfe-Kontaktstellen in Anspruch zu nehmen. Diese können nicht nur für das
Thema Generationenwechsel sensibilisieren, sie können Selbsthilfegruppen
als Impulsgeber und Moderatoren auch
dabei unterstützen, Selbstverständnis
und Zielsetzungen zu reflektieren und
Handlungsmöglichkeiten beim Prozess
des Generationenwechsels zu erkennen
und auszubauen.
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Thema
Geballte Kompetenz unter einem Dach
Das Haus der Krebsselbsthilfe in Bonn und seine Berliner Außenstelle
Acht bundesweit tätige Organisationen der Krebsselbsthilfe haben sich in Bonn unter einem
Dach zusammengetan – dem Haus der Krebsselbsthilfe. Seit 2006 bündeln sie im ehemaligen
Domizil der Deutschen Krebshilfe ihre Kräfte, um mit mehr politischem Durchsetzungsvermögen die Interessen von Krebspatientinnen und -patienten besser vertreten zu können.
D
ie Zusammenarbeit im Haus
der Krebsselbsthilfe bringt uns
alle voran“, betont Professor
Dr. Gerhard Englert, Vorsitzender der
Deutschen ILCO, einer der acht kooperierenden Organisationen. „Unter einem Dach zu agieren, ermöglicht es
uns nicht nur, schneller und besser Informationen auszutauschen, wir können auch gemeinsam deutlicher die
Interessen der Krebspatientinnen und
-patienten vertreten und so effektiver
zur Gestaltung eines patientenorientierten Versorgungssystems beitragen.“
So plant der Verbund jetzt beispielsweise auch, einen Sozialrechtler oder
eine Sozialrechtlerin einzustellen, der
oder die für alle acht Organisationen
tätig wird.
Gemeinsam organisieren die Kooperationspartner auch Veranstaltungen wie die
viermal jährlich stattfindenden Patientenkongresse, erarbeiten gesundheitspolitische Stellungnahmen wie etwa
zur Verordnung besonderer Arzneimittel oder verfassen Resolutionen – beispielsweise im September 2009 zur
psychosozialen Versorgung für Menschen mit Krebs. Die Zusammenarbeit
in einem Haus ermöglicht den ansonsten unabhängig bleibenden Organisationen auf unkomplizierte Weise einen
ständigen Erfahrungsaustausch und
Kontakt
Haus der Krebsselbsthilfe
Thomas-Mann-Str. 40
53111 Bonn
Tel.: 0228/338890
E-Mail: [email protected]
Internet: www.hksh-bonn.de
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Das Haus der Krebsselbsthilfe in Bonn
Foto: Deutsche ILCO e. V.
erleichtert die bessere Abstimmung.
Und zusätzlich ist es natürlich auch
noch kostengünstiger, wenn sich mehrere Verbände ein Haus teilen und gemeinsam bestimmte Einrichtungen
und Geräte nutzen.
Die acht Organisationen im Haus der
Krebsselbsthilfe sind:
• Arbeitskreis der Pankreatektomierten
e. V. (Dort engagieren sich Menschen,
die an der Bauchspeicheldrüse operiert wurden)
• Bundesverband der Kehlkopfoperierten e. V.
• Bundesverband Prostatakrebs Selbsthilfe e. V.
• Deutsche Hirntumorhilfe e. V.
• Deutsche ILCO e. V. – die bundesweite Selbsthilfevereinigung von Stomaträgern (Menschen mit künstlichem
Darmausgang oder künstlicher Harnableitung) und von Menschen mit
Darmkrebs sowie deren Angehörige.
• Deutsche Leukämie- und LymphomHilfe e. V. (DLH)
• Frauenselbsthilfe nach Krebs, Bundesverband e. V.
• Selbsthilfe-Bund Blasenkrebs e. V.
Mit dem Ziel, die Arbeit der KrebsSelbsthilfe in Berlin zu fördern, hat
das Bonner Haus der Krebsselbsthilfe in der Bundeshauptstadt 2008
eine Außenstelle eröffnet.
Die Koordinierungsstelle ist zentrale Informationsstelle für an Krebs
erkrankte Menschen in Berlin und
dem Umland. Sie informiert über
Angebote von Krebs-Selbsthilfegruppen, unterstützt diese bei der
Suche nach Räumlichkeiten und
Referenten sowie bei der Beantragung von Fördermitteln. Zudem fördert sie die Zusammenarbeit der
Selbsthilfegruppen mit Fachgruppen und Kliniken im Krebsbereich
und unterstützt die im Großraum
Berlin tätigen Gliederungen der
Bundesverbände, die im Haus der
Krebsselbsthilfe in Bonn zusammenarbeiten.
Ziel ist es unter anderem, die Selbsthilfe-Strukturen zu verbessern, Synergie-Effekte zu nutzen und die
Akzeptanz der Selbsthilfe insbesondere bei Ärzten, aber auch bei Betroffenen zu verbessern.
Finanziert wird die Koordinierungsstelle von der Deutschen Krebshilfe.
Bis Ende Februar ist sie angesiedelt
am Charité Campus-Mitte (CCM).
Danach ist sie in der Hauptgeschäftsstelle des Paritätischen zu
finden (Oranienburger Straße 13-14,
10178 Berlin, Tel. 030/24636-337)
Kontakt bis Februar: Haus der Krebsselbsthilfe, Koordinierungsstelle Berlin, Angela Bleckmann, Charitéplatz
1, 10117 Berlin, Tel. 030/547330-60,
E-Mail: [email protected],
Internet: www.hksh-berlin.de.
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Sozialpolitik
Massive Kritik an Plänen
für Gesundheitspauschale
Nach jüngsten Schätzungen zum Milliardendefizit der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV) müssen sich die Versicherten im nächsten Jahr auf höhere Zusatzbeiträge einstellen.
Der Sozialverband VdK rechnet mit durchschnittlich sechs Euro, die dann einkommensunabhängig von jedem Versicherten gezahlt werden müssten – was besonders hart Bezieher
niedriger Einkommen und Rentner treffe, wie VdK-Präsidentin Ulrike Mascher kritisierte.
Realisiert die Regierung ihre im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Vorstellungen zur künftigen Finanzierung der Krankenversicherung, kommen auf die Versicherten aber wohl noch
weitere Mehrkosten zu.
B
undesgesundheitsminister Philipp
Rösler (FDP) will die Finanzierung der Krankenversicherung
radikal umbauen. Der Arbeitgeberanteil am Krankenkassenbeitrag soll bei
heute sieben Prozent des Bruttolohns
eingefroren werden. Steigende Gesundheitskosten müssten damit die
Arbeitnehmer alleine schultern. Den
bislang einkommensabhängigen Arbeitnehmeranteil will Rösler in eine
Pauschale umwandeln. Nach den
schwarz-gelben Reformplänen soll es
für Geringverdiener einen sozialen
Ausgleich aus Steuermitteln geben.
Details soll eine Regierungskommission in den kommenden Monaten ausarbeiten.
VdK und Volkssolidarität sehen in der
Pauschale eine Zumutung für Niedrigverdiener und Rentner, die überproportional belastet würden.
Volkssolidarität: „Systembruch“
Die für 2011 geplante Einführung sei
ein „Systembruch mit dem Solidarsystem der gesetzlichen Krankenversicherung“, kritisierte der Präsident der
Volkssolidarität, Professor Dr. Gunnar
Winkler. Die Pläne seien zudem unausgegoren. Es bleibe ein Rätsel, wie
bei der geplanten sozialen Abfederung
über Steuerausgleiche Versicherte, die
keine oder nur wenig Steuern zahlen,
ihre höheren Gesundheitskosten finanzieren sollten.
Bleiberechtsregelung verlängert
D
ie Innenministerkonferenz hat
Anfang Dezember das Bleiberecht für geduldete Ausländer
um zwei Jahre bis Ende 2011 verlängert.
Ohne die Verlängerung der seit 2007 geltenden „Altfallregelung“ hätte rund
30.000 Ausländern mit einer bis Ende
2009 befristeten Aufenthaltserlaubnis
der Rückfall in die Duldung und damit
möglicherweise die Abschiebung gedroht, wenn sie keinen Job gefunden haben, mit dem sie ihren Lebensunterhalt
im Wesentlichen bestreiten können.
Der Paritätische hatte sich vor der Konferenz für eine Verlängerung der Bleiberechtsregelung ausgesprochen. In einem
Brief an Bundesinnenminister Thomas
de Maizière betonte Hauptgeschäftsführer Dr. Ulrich Schneider, perspektivisch
sei zudem eine Reform des Aufenthaltsrechts zwingend erforderlich, um dauerhaft Kettenduldungen zu vermeiden.
„Die Aufenthaltserlaubnis muss erteilt
werden können, sobald die Ausreise unzumutbar ist. Es wäre einfach kaltherzig
und inhuman, wenn Kinder, die hier aufgewachsen sind, ständig Angst vor Abschiebung haben müssen, nur weil ihre
Eltern keine Arbeit finden“, so Schneider.
Es sei nicht akzeptabel, hunderttausende
Menschen jahrelang als Mitmenschen
„auf Abruf“ zu behandeln.
Fünf Jahre
Hartz IV...
Der Paritätische stellt der Politik fünf
Jahre nach der Einführung von Hartz
IV ein vernichtendes Zeugnis aus.
Diese Jahre stünden für fünf Jahre
Verfassungsbruch und eine tragisch
verfehlte Arbeitsmarkt- und Armutspolitik, betont Hauptgeschäftsführer
Dr. Ulrich Schneider. „Hartz IV ist in
der Sache gescheitert und hat zu einer
massenhaften Verarmung geführt.
Gerichte haben die Regelsätze, die Bescheide von hunderttausenden Betroffenen und die Verwaltungsstrukturen
für nicht vereinbar mit Recht und Verfassung erklärt. Im Ergebnis steht unser Land vor einem arbeitsmarkt- und
armutspolitischen Scherbenhaufen“,
so Ulrich Schneider.
Keines der ursprünglichen Reformziele sei erreicht worden, bilanziert
der Verband. „Statt der schnellen
Vermittlung in Arbeit gibt es eine
Million Langzeitarbeitslose, die ohne
Perspektive politisch im Stich gelassen wurden. Statt einer effizienten
bürgerfreundlichen Verwaltung gibt
es massenweise falsche Bescheide
und häufig ungerechtfertigte Sanktionen. Statt einer Grundsicherung,
die vor Armut schützt, werden sieben Millionen Menschen mit pauschalierten Armutssätzen abgespeist“, kritisiert Schneider.
Als Sofortmaßnahmen im Rahmen
einer Anti-Armuts-Agenda fordert der
Verband die Anhebung der Hartz-IVRegelsätze auf 440 Euro und die Einführung eines eigenen bedarfsgerechten Kinderregelsatzes sowie den Ausbau der erzieherischen Infrastruktur.
Ferner müsse durch eine Grundgesetzänderung das Prinzip der „Hilfen
aus einer Hand“ für Langzeitarbeitslose garantiert werden. Zudem fordert
der Verband den Ausbau öffentlich geförderter, dauerhafter und sozialversicherungspflichtigerBeschäftigung.
Weitere Informationen gibt es im Internet auf der Paritätischen Website
www.5jahre-hartz4.de.
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Sozialpolitik
Wirtschaftsförderung muss mit
Armutsbekämpfung verknüpft werden
Kritik des Paritätischen am Wachstumsbeschleunigungsgesetz
Der Paritätische Gesamtverband hat das auch auf Ebene der Bundesländer heftig umstrittene Wachstumsbeschleunigungsgesetz als sozial ungerecht bezeichnet. Es verschärfe die Kluft zwischen Arm und Reich und verenge die Spielräume von Ländern
und Kommunen zur Finanzierung der sozialen Infrastruktur, kritisierte Hauptgeschäftsführer Dr. Ulrich Schneider.
D
er Paritätische warnte vor der
Abstimmung im Bundesrat
vor tiefen sozialen Verwerfungen infolge des geplanten Wachstumsbeschleunigungsgesetzes. Korrekturen zugunsten von bedürftigen Familien und Alleinerziehenden sowie ein
Finanzausgleich zur Entlastung der
Länder seien zwingend erforderlich.
Der vorgelegte Entwurf sei armutspolitisch ignorant und stehe für eine ZweiKlassen-Familienpolitik.
„Wenn Gutverdiener ein Steuergeschenk von rund 430 Euro pro Jahr bekommen, während Millionen Familien
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leer ausgehen, deren Regelsatz vorne
und hinten nicht reicht, dann hat das
mit sozialer Gerechtigkeit nichts mehr
zu tun“, sagte Hauptgeschäftsführer
Dr. Ulrich Schneider.
„Die Bundesregierung hat es bereits
mit dem letzten Konjunkturpaket versäumt, Wirtschaftsförderung und Armutsbekämpfung sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Es ist höchste Zeit,
diesen Fehler zu korrigieren“, so Ulrich Schneider. „Das Geld muss dahin
gehen, wo es auch wirklich in den Konsum fließt.“
Ein Konjunkturpaket, das zu Lasten
der kommunalen Infrastruktur gehe, sei
inakzeptabel. „Wer nachhaltiges Wachstum will, darf Erziehungsberatungsstellen, Schulen und Altenclubs nicht kaputt
sparen“, warnte der Hauptgeschäftsführer. Gegebenenfalls müssten die Länder
eine Kompensation für ihre Steuermindereinnahmen erhalten.
Der Verband fordert die Einführung
eines einheitlichen Kindergeldes. Darüber hinaus müssten die bestehenden
Regelsätze für Kinder nach seinen Berechnungen um rund 30 Prozent angehoben werden, um wirklich bedarfsgerecht zu sein.
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Sozialpolitik
Gutscheine statt Betreuungsgeld?
Paritätischer: Beispiellose Diskriminierung einkommensschwacher Eltern
Ein Betreuungsgeld in Höhe von 150 Euro pro Monat sollen nach Plänen der Koalition Eltern
von 2013 an bekommen, wenn sie ihre Kinder bis zu einem Alter von drei Jahren zu Hause
betreuen und nicht in eine Kita schicken. Pläne, die er Paritätische für absolut falsch hält.
Völlig inakzeptabel findet der Verband es aber erst recht, das Betreuungsgeld Beziehern
von Hartz IV lediglich als Gutschein zukommen zu lassen.
D
as Betreuungsgeld geht familien- und bildungspolitisch in
die völlig falsche Richtung“,
betont Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. „Einkommenssschwache Familien werden dazu verleitet, ihre Kinder nicht in eine Einrichtung gehen zu
lassen, um das geringe Familienbudget aufzubessern.“
Besonders betroffen dürften Bezieher
von Hartz IV sein, da die Kinderregelsätze eklatant zu niedrig bemessen
sind, und diese Familien jeden Cent
brauchen, um tatsächlich über den Mo-
nat zu kommen. „In diesem Zusammenhang Familien im Hartz-IV-Bezug
im Unterschied zu allen anderen Familien kein Bargeld, sondern lediglich einen Gutschein zukommen zu lassen,
stellt jedoch eine in der Familienpolitik
bisher beispiellose Diskriminierung einkommensschwacher Eltern, darunter
vor allem alleinerziehende Mütter, dar“,
kritisiert Ulrich Schneider entsprechende Äußerungen von Bundeskanzlerin
Angela Merkel, die gesagt hatte, die Bundesregierung überlege, für die Kinder
von Hartz-IV-Beziehern Bildungsgutscheine anzubieten, um zu verhindern,
Grundgesetzänderung gefordert
Als „faulen Kompromiss“ hat der Paritätische die Pläne der Regierung zur
Neuorganisation der Betreuung und
Vermittlung von Langzeitarbeitslosen
bezeichnet. Danach sollen Kommunen und Arbeitsagenturen diese Aufgaben künftig getrennt wahrnehmen,
können aber auf freiwilliger Basis
kooperieren. Da die in den rund 350
ARGEN praktizierte Mischverwaltung von Agenturen für Arbeit und
Kommunen nach einem Urteil des
Bundesverfassungsgerichs gegen das
Grundgesetz verstößt, muss bis Ende
2010 eine andere Lösung gefunden
werden.
Der Paritätische sieht diese Lösung
jedoch nicht in einer Zerschlagung
des bisherigen Modells, das mit der
Hartz-Reform ja gerade geschaffen
worden sei, um für langzeitarbeitslose Menschen „Leistungen aus einer
Hand“ zu ermöglichen. Der Verband
forderte in einem Brief an die neue
Bundesarbeitsministerin Ursula von
der Leyen, durch eine Änderung des
Grundgesetzes den Weg für eine verwaltungstechnisch sachgerechte Umsetzung des SGB II zu sorgen.
Der Paritätische appellierte an die
Bundesregierung, gemeinsam mit
den Bundesländern den Weg für eine
Grundgesetzänderung frei zu machen, die eine Nachfolgestruktur für
die Arbeitsgemeinschaften wie auch
eine Ausweitung der Zahl der Optionskommunen ermögliche. Für die
Leistungsempfänger wäre der Zugang zu existenzsichernden und
arbeitsmarktintegrativen Leistungen
deutlich erschwert, wenn sie ihre
Leistungen nicht mehr bei einer, sondern bei zwei Behörden beantragen
müssten.
dass das Betreuungsgeld zweckentfremdet werde.
„Die neue Bundesregierung muss endlich die Kinderregelsätze bei Hartz IV
bedarfsgerecht erhöhen und dafür sorgen, dass die betroffenen Kinder kostenlosen Zugang zu allen Bildungs- und
Betreuungsangeboten erhalten“, so
Hauptgeschäftsführer Schneider. „Sie
sollte es dringend unterlassen, arme Kinder und ihre Eltern mit zweifelhaften
Gutscheinsystemen zu stigmatisieren,
während an wohlhabende Familien
familienpolitisch völlig sinnlose Geldgeschenke verteilt werden.“
„Kürzerer Zivildienst
bringt Probleme“
Die für 2011 geplante Verkürzung des
Wehr- und damit auch des Zivildienstes
von neun auf sechs Monate stellt soziale
Organisationen, die Zivildienstleistende
beschäftigen, vor große Probleme. Viele
Mitgliedsorganisationen haben bereits
erklärt, künftig Zivildienstleistende nicht
mehr einsetzen zu können. Bei gut zwei
Monaten für Einweisung, Lehrgänge und
Urlaub blieben nur noch knapp vier Monate für die aktive Arbeit übrig, betont
Werner Hesse, Geschäftsführer des Paritätischen, unter dessen Dach rund 12.000
Zivildienstleistende tätig sind. Insbesondere Menschen mit geistigen Behinderungen und demenziellen Erkrankungen
könne man nicht ständig mit wechselnden Bezugspersonen konfrontieren. Der
Verband plädiert dafür, die Möglichkeit
zu schaffen, den Zivildienst freiwillig zu
verlängern sowie das Freiwillige Soziale
Jahr stärker zu fördern.
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Verbandsrundschau
„Mehr Bildungsgerechtigkeit
durch Bürgerschulen“
Paritätischer fordert bessere Förderung freier Schulen
Bei seiner Fachtagung „Mehr Bürgerschulen – gesellschaftliche Teilhabe durch Bildung“
hat der Paritätische im November in Heidelberg eine grundlegende Reform des deutschen
Schulsystems gefordert. Denn in kaum einem anderen Land sind die Bildungschancen von
Kindern so stark von der sozialen Herkunft abhängig wie in Deutschland. Mehr Bildungsgerechtigkeit erhofft sich der Verband vom Modell der Bürgerschule.
W
ir benötigen dringend ein
Bildungssystem, das es gerade für Kinder aus bildungsfernen Schichten vermag, Chancengleichheit herzustellen“, betonte die
scheidende Verbandsvorsitzende Heidi
Merk zum Auftakt der gemeinsamen
Fachtagung des Paritätische Gesamtverbandes und des Landesverbandes BadenWürttemberg. Schule müsse zu dem Ort
werden, an dem Kinder unabhängig von
ihrer sozialen Herkunft alle erdenklichen
Entwicklungsmöglichkeiten und Förderungen erhalten, statt der Ort zu sein, der
ihre Ausgrenzung und Benachteiligung
manifestiert, so Merk.
Da das deutsche Bildungssystem offensichtlich nicht in der Lage sei,
Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit zu garantieren, sehe sich
der Paritätische gefordert, sich verstärkt in die Bildungsdebatte einzumi-
Bob van de Ven, Vorsitzender des Niederländischen Forums für Bildungsmanagement
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schen und für das Recht eines jeden
Kindes auf gute Bildung einzutreten.
Denn, so die Devise des Verbandes:
Bildung ist die beste Armutsprävention. Der Paritätische will Bildung als
Aufgabe des Verbandes daher nicht
nur in seiner Satzung verankern, sondern sich auch als wichtiger Akteur in
der Bildungslandschaft etablieren und
für eine zukunftsfähige Gestaltung
des Deutschen Bildungssystems engagieren. Dazu setzt er auf das Modell
der Bürgerschule. Neben den staatlichen Schulen soll es gleichberechtigt
eine Vielzahl freier Schulen geben, die
ebenso wie diese finanziell gefördert
werden. Mehr Wettbewerb soll mehr
Qualität ins Bildungssystem bringen.
Mehr Autonomie für Schulen
„Im Kindergartenbereich haben wir
schon den Grundsatz: Das Geld folgt
dem Kind“, sagte Gerd Weimer, Vorstandsvorsitzender des Paritätischen Landesverbandes Baden-Württemberg. Dieses Modell müsse auf die Schulen übertragen werden. Derzeit könnten viele Eltern aus finanziellen Gründen ihren
Kindern den Besuch einer freien Schule
nicht ermöglichen, weil diese wegen
mangelnder staatlicher Förderung gezwungen seien, Schulgeld zu erheben,
betonte Christian Schad von der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Waldorfschulen. Neben der finanziellen Absicherung ist dem Paritätischen aber auch
wichtig, dass die Schulen mehr Autonomie erhalten, um den individuellen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler gerecht werden zu können. Der Staat
solle zwar für die Festlegung der Bildungsziele verantwortlich sein, wie diese
erreicht werden, müssten jedoch die
Schulen mit individuellen Schulprofilen
und pädagogischen Konzepten sowie dafür von ihnen selbst ausgewähltem Personal entscheiden können, sagte Barbara
John, Vorsitzende des Paritätischen Landesverbandes Berlin.
Blick in die Niederlande
Vieles, was der Paritätische sich für das
deutsche Schulsystem wünscht, ist in
den Niederlanden schon Realität. Dort
besuchen mehr als 70 Prozent der Kinder
und Jugendlichen Ganztagsschulen freier Träger, die staatlichen Schulen gleichgestellt sind. Pro Schüler gibt es eine
Pauschale („Lump sum“) von 7.000 Euro
in der Grundschule (ab dem vierten
Lebensjahr) und von 8.000 Euro in der
Sekundarschule, berichtete Bob van de
Ven, Vorsitzender des Niederländischen
Forums für Bildungsmanagement. In
Deutschland erhalten freie Träger in den
ersten drei Jahren keine staatlichen Mittel und danach nur rund 80 Prozent dessen, was es für staatliche Schulen gibt.
Hierzulande besuchen acht Prozent aller
Schüler nichtstaatliche Schulen – Tendenz steigend. Die Zahl der Privatschulen liegt inzwischen bei mehr als 3.000,
darunter rund 200 freigemeinnützige
Schulen Paritätischer Träger.
Die Vorträge der Tagung stehen auf www.
paritaet-bw.de in der Rubrik Fachberatung. Dort sind auch erste Ergebnisse
einer Schulträgerbefragung von frei-gemeinnützigen Schulen unter dem Dach
des Paritätischen zu finden.
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Verbandsrundschau
Dufte Briefmarken für einen guten Zweck
Der Briefträger kommt neuerdings später, weil er sich so schwer von der Post
trennen kann. Und unsereins nimmt
plötzlich sogar Rechnungen freudig in
Empfang. Nie zuvor war Post zu bekommen so ein Ereignis, so ein Dufterlebnis. Einfach an der Marke reiben und
schon entfaltet sich das verlockende Aroma. Was mag’s wohl heute sein? Erdbeere, Apfel, Blaubeere oder Zitrone?
Das duftende Obst ziert die neue
Wohlfahrtsmarkenserie für 2010, herausgegeben vom Sozialwerk Wohlfahrtsmarken. Der Erlös aus dem Zuschlag, der auf diese Postwertzeichen
erhoben wird, kommt der sozialen
Arbeit freier Träger zugute.
Der aufwendigen Produktion dieser
neuen Serie gingen umfangreiche
Tests mit Duftproben der Obstsorten
voraus. Aufbringungsverfahren wurden ebenso getestet wie einwandfreie
postalische Verwendung und gesundheitliche Unbedenklichkeit. Auch
musste im Produktionsprozess eine
Wechsel an der
Verbandsspitze
Jüttner übernimmt Vorsitz
An der Verbandsspitze des Paritätischen hat es einen Wechsel gegeben.
Verbandsvorsitzende Heidi Merk legte
Ende November aus zeitlichen Gründen ihr Amt nieder.
Satzungsgemäß betraute der Verbandsrat Anfang Dezember Dr. Eberhard
Jüttner mit der Aufgabe, den Vorsitz
bis zum Ende der Wahlperiode im
Frühjahr 2012 wahrzunehmen.
Neuer stellvertretender Vorsitzender
ist neben Cord Wellhausen (Vorsitzender des Paritätischen Nordrhein-Westfalen) Josef Schädle (Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie), der bereits dem Vorstand angehörte.
In den Vorstand nachgewählt wurde
der Generalsekretär des Deutschen
Studentenwerkes, Achim Meyer auf
der Heyde.
Höchstzahl an Duftstoffen auf die Marken aufgebracht werden, damit der
Duft nicht nach einmaligem Rubbeln
verbraucht ist. Das Ergebnis können
Sie auch gleich hier nachvollziehen:
Einfach an der Erdbeere oben reiben
und den Duft genießen!
Die einzelnen Motive haben folgende
Wertstufen: Apfel 45 plus 20 Cent, Zitrone 55 plus 25 Cent, Heidelbeere 1,45
Euro plus 55 Cent. Erdbeeren (55 Cent
plus 25 Cent Zuschlag) gibt es auch als
selbstklebende Marken in einem attraktiven Zehner-Set und in einer MarkenBox mit 100 Stück von der Rolle.
Erhältlich sind die neuen Wohlfahrtsmarken im Vertriebszentrum des
Paritätischen Gesamtverbandes,
Oranienburger Str. 13-14,
10178 Berlin,
kostenfreies Servicetelefon:
0800/9645324,
Fax 030/24636-460,
E-Mail: [email protected].
„Genauer hinsehen,
genauer hinhören“
Preis für engagierten Journalismus verliehen
D
rei Beiträge, die das Leben von
Kindern und Jugendlichen in
Deutschland aus ganz unterschiedlichen Perspektiven in den Mittelpunkt stellen, sind mit dem Deutschen
Sozialpreis 2009 ausgezeichnet worden,
der Ende November im Rahmen eines
FestaktesderBundesarbeitsgemeinschaft
der Freien Wohlfahrtspflege im ARDHauptstadtstudio verliehen wurde.
In der Sparte Print wurden Anita und
Marian Blasberg für ihren herausragenden Beitrag „Die verhinderten Retter vom Jugendamt“ in der Wochenzeitung „Die ZEIT“ ausgezeichnet. Die
Reportage beschäftigt sich mit der Situation in deutschen Jugendämtern. Drastische Unterfinanzierung und Überlas-
tung werden als Ursachen für das Versagen der Behörden beim Schützen von
Kindern benannt. In der Sparte Hörfunk ging der von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege
(BAGFW) verliehene Preis an Tom
Schimmeck für „Koma-Kicks. Erkundungen unter jungen Kampftrinkern“.
Das Feature, das bei NDR Info lief, schildert Gefahren und Auswirkungen des
Alkoholmissbrauchs bei Jugendlichen.
Diese erzählen von ihren Trinkgewohnheiten und Abhängigkeiten und von ihren Träumen. Den Preis in der Sparte
Film gewann Simone Grabs mit einem
Beitrag aus der Reihe „Stark! Kinder erzählen ihre Geschichte“ im ZDF-Kinderkanal Ki.KA. Grabs schildert in der Do1 | 2010
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Verbandsrundschau
kumentation „Moritz: Wäre cool, wenn
sie ein Engel wird …“ den Alltag des
14-jährigen Moritz und seine enge Beziehung zur todkranken Schwester Luca.
„Die diesjährigen Preisträger sind Menschen, die in ihrem Beruf, aber auch mit
ihrem persönlichen Engagement, sozialen Themen den notwendigen Raum geben und damit kompetent in die Debatte
um das gesellschaftliche Miteinander
eingreifen und uns wichtige Impulse liefern“, würdigte die BAGFW-Präsidentin
Donata Freifrau Schenck zu Schweinsberg die ausgezeichneten Journalisten.
Dagmar Reim, Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg, hob in ihrer
Festrede das besondere Engagement der
Preisträger hervor, die genauer hinsähen
und hinhörten und den Blick auf Menschen außerhalb des hektischen Informationskosmos lenkten.
Verleihung des Sozialpreises – v.l.n.r.: Ulrich Deppendorf (ARD), Dagmar Reim (RBB),
Marian und Anita Blasberg, Simone Grabs, Freifrau Schenck zu Schweinsberg, Tom Schimmek
Foto: Sattler
Komfortabel und kostenfrei: der Datenschutzassistent
E
rstmals fanden im Oktober 2009
in Nürnberg der Fürsorgetag des
Deutschen Vereins und die Fachmesse Consozial als gemeinsame Veranstaltung statt. Der Paritätische nutzte diese Gelegenheit, dort einem größeren Publikum den neuen Datenschutzassistenten vorzustellen.
Der Umgang mit sensiblen Daten wird
vom Gesetzgeber streng geregelt. So
sind staatliche und private Stellen dazu
verpflichtet, den Umgang mit personenbezogenen Daten offenzulegen. Das
gilt auch für die Betreiber einer Website
oder eine Online-Beratungsstelle. Dabei muss Auskunft über sämtliche erhobenen personenbezogenen Daten,
den Zweck der Datenerhebung, den Zugriff auf die Daten und die Löschfristen
der Daten gegeben werden.
Diese Auskunft, die jeder Person zugänglich sein muss, von der personenbezogene Daten erhoben, gespeichert
und verarbeitet werden, nennt man
„öffentliches Verfahrensverzeichnis“.
Das kann nun kostenlos und unkompliziert binnen etwa 15 Minuten online
erstellt werden. Möglich macht dies
Susanne Senge
von „zone35“
erläutert den
neuen Datenschutzassistenten
Dr. Eberhard
Jüttner,
Vorsitzender
des Paritätischen
Gesamtverbandes (Mitte), und
Hauptgeschäftsführer Dr. Ulrich
Schneider
24
www.der-paritaetische.de
012976_Bundesteil_01_2010.indd 24
der Datenschutzassistent, ein Gemeinschaftsprojekt des Paritätischen und
der Firma „zone35“. Der interaktive Assistent auf der Website www.mein-datenschutzassistent.de führt Schritt für
Schritt zu einem individuell auf die
Einrichtung oder Firma zugeschnittenen öffentlichen Verfahrensverzeichnis, das als PDF-Dokument gleich auf
der Webseite hinterlegt werden kann
– beispielsweise angebunden ans Impressum. So ist es jederzeit möglich,
Auskunft darüber zu erteilen, welche
Daten zu welchem Zweck erfasst werden, was mit den Daten geschieht und
wann sie gelöscht werden. Maßgeblich
mitgewirkt an der Entwicklung des Datenschutzassistenten hat für den Verband Markus Pleyer, Datenschutzbeauftragter des Paritätischen Berlin.
Neben dem Assistenten finden Interessierte auf www.mein-datenschutzassistent.de auch viele nützliche Infos rund
um das Thema Datenschutz. Nähere
Informationen gibt es bei:
zone35
Sascha Dinse
Tel.: 030/440136-16
E-Mail: [email protected].
www.mein-datenschutzassistent.de
1 | 2010
16.12.2009 16:13:59
Verbandsrundschau
Josef Schädle, stellvertretender
Vorsitzender des Paritätischen
Gesamtverbandes, eröffnete die Tagung
zur Armutsberichterstattung (oben
links). Prof. Dr. Richard Hauser (unten) zeigte Perspektiven der
Armutsberichterstattung auf.
Rechts: ein Mitschnitt aus der
Tagesschau vom 9. November 1989.
Der Paritätische stellt den ersten
Armutsbericht vor.
„Armut muss berühren“
Paritätischer fordert: Unabhängige Kommission soll Bericht erstellen
20 Jahre nachdem der Paritätische seinen ersten Armutsbericht für die Bundesrepublik
Deutschland vorgelegt hat, zieht der Verband eine nüchterne Bilanz. Zwar werde es
inzwischen seitens der Regierung nicht mehr bestritten, dass es in Deutschland Armut
gebe – das Ziel, diese wirkungsvoll zu bekämpfen, sei aber immer noch nicht erreicht,
betonte Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, Anfang November in Berlin bei einer Fachtagung des Gesamtverbandes zu Stand und Perspektiven der
Armutsberichterstattung.
A
ls der Paritätische am 9. November 1989 unter dem Titel
„... wessen wir uns schämen
müssen in einem reichen Land ...“ seinen ersten Armutsbericht vorstellte,
gelang es ihm erstmals, Begriff und
Ausmaß der Armut in Deutschland in
die Öffentlichkeit zu transportieren,
betonte Josef Schädle, stellvertretender
Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes und Mitautor des Berichts,
zur Eröffnung der Jubiläumsveranstaltung. Sogar in die Tagesschau, in der
die historische Pressekonferenz zum
Fall der Mauer gesendet wurde, schaffte es der Verband mit seinem Bericht.
„Ein Tabu war gebrochen“, so Schädle.
„Armut als Massenphänomen konnte
nicht länger geleugnet werden.“ Nicht
nur in der Politik, auch in der Bevölkerung hatten bis dahin viele ihre Augen
vor der Tatsache verschlossen, dass an-
gesichts von mehr als zwei Millionen
Arbeitslosen und 600.000 Langzeitarbeitslosen Armut längst keine Randerscheinung mehr war, die nur „Versager“ traf. Die Bundesregierung verweigerte sich einer nationalen Armutsberichterstattung jedoch mit dem Argument, dass Armut nicht allgemeingültig definiert werden könne, und entzog
sich so der Pflicht zu politischem Handeln. „Und das fehlende Wissen um
1 | 2010
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www.der-paritaetische.de
25
16.12.2009 16:14:00
Verbandsrundschau
die alltäglichen Belastungen am Rande
unseres Gemeinwesens machte es wiederum so leicht, Armut zu leugnen“,
erinnerte Ulrich Schneider an die damalige Argumentation.
Zwölf Jahre dauerte es, bis die Bundesregierung 2001 endlich einen Nationalen Armuts- und Reichtumsbericht
vorlegte. Doch bei näherem Hinsehen,
so Schneider, „will es scheinen, als seien
uns unsere politischen Erfolge zum
Teil zwischen den Fingern zerronnen
... Man kann nach 20 Jahren den Eindruck gewinnen, als stünden wir wieder
am Anfang“. Zwar sei heute von Einkommensarmut, Ressourcenarmut, Teilhabearmut und Bildungsarmut die Rede,
doch diese Zerfaserung des Armutsbegriffs habe ihm seine handlungsleitende
Wirkung genommen.
„Das Gute wird mit Verweis auf das
vermeintlich Bessere unterlassen“
„Die Ausdifferenzierung des Armutsbergriffs wird nicht selten politisch als
Legitimation benutzt, um das Gute mit
dem Verweis auf das möglicherweise
Bessere zu unterlassen“, kritisierte der
Hauptgeschäftsführer und Mitautor
des ersten Armutsberichts des Paritätischen. „Jüngstes Beispiel ist das unselige Ausspielen von monetären
Transferleistungen für arme Familien
gegenüber notwendigen Infrastrukturleistungen“, so Schneider. „Die Devisen
lauten: ‚Geld allein macht nicht glücklich‘. Und: ‚Bildung tut not‘. Dass der
Schulbesuch jedoch keinen Wintermantel ersetzen kann, sollte eine
selbstverständliche Einsicht sein, doch
es wird zum Teil hartnäckig ignoriert.“
„Armutspolitisch mehr Schaden
angerichtet als Vernünftiges bewirkt“
Schneider kritisierte, dass der Armutsund Reichtumsbericht der Bundesregierung nicht von einer unabhängigen
Sachverständigen-Kommission erarbeitet werde. Die Erstellung durch das
Arbeitsministerium mache Rollenkonflikte unauflösbar. Der zuletzt vorgelegte 3. Armutsbericht zeige leider
deutlich: „Das Bedürfnis, regierungsamtliches Handeln zu legitimieren,
statt über Armut aufzuklären, hat offensichtlich obsiegt.“ Die Vorlage des 3.
Armutsberichts habe armutspolitisch
mehr Schaden angerichtet als Vernünftiges bewirkt, kritisierte Schneider. „Die vorgelegten Gutachten und
Daten wurden mit Interpretationen versehen, die sachlich und fachlich zum
Teil kaum haltbar waren, jedoch die
Bundesregierung ausschließlich in ein
gutes Licht stellen sollten.“ Schneider
warnte: Sollte die Bundesregierung
künftig nicht bereit sein, den Bericht
durch eine unabhängige Kommission
erstellen zu lassen, müsse ernsthaft
überlegt werden, „ob sich die Zivilgesellschaft ihre Armutsberichterstattung
nicht wieder zurückholt“. „Armutsberichte müssen Teil der Armtutsbekämp-
Reden und Audiomitschnitte der
Tagung sind zu finden auf der
Internetpräsenz des Paritätischen
Gesamtverbandes www.paritaet.org
unter „Tagungen und Kongresse“
im Bereich Dokumentationen. Darüber hinaus gibt es ein Themenheft
der Blätter der Wohlfahrtspflege,
das Ende März erscheint.
www.blaetter-der-wohlfahrtspflege.de
fung sein“, sagte Ulrich Schneider. Zugleich müssten sie die Menschen nicht
nur erreichen, sondern sensibilisieren
und motivieren, um gesellschaftliches
und politisches Handeln auszulösen.
„Wir brauchen eine Armutsberichterstattung, die die Menschen berührt.“
Hauser: „Pioniertat des Paritätischen“
Armutsforscher Professor Dr. Richard
Hauser, der bereits 1981 mit einer Arbeitsgruppe im Auftrag der Europäischen Gemeinschaft einen ersten Nationalen Armutsbericht für Deutschland
erstellt hat, hält eine Weiterentwicklung der Armutsberichterstattung für
erforderlich. Er bezeichnete die Veröffentlichung des ersten Regionalen Armutsatlasses, mit dem der Paritätische
im Sommer 2009 die regionalen Ausmaße der Armut deutlich gemacht hat,
als Pioniertat. Dagegen kritisierte auch
er den 3. Armutsbericht der Bundesregierung. Im Vergleich zu den Gutachten, auf denen er basiere, sei der Be-
Diskutierten über die Folgen
der Armut und Herausforderungen für Politik und Gesellschaft – von Links:
Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen,
Frauke Hunfeld, Journalistin
und Autorin des Buches „Und
plötzlich bist du arm“, Moderatorin Gwendolyn Stilling vom
Paritätischen Gesamtverband,
Dr. Armin Kuphal, Soziologe
an der Uni des Saarlandes und
ebenso wie Schneider Mitautor des 1. Armutsberichts des
Paritätischen, Jens Schröter
von der Aktionsgemeinschaft
arbeitsloser Bürgerinnen und
Bürger, Bremen.
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1 | 2010
16.12.2009 16:14:03
Verbandsrundschau
Auto BAYER Gruppe
Fotos: Reiner Zensen | Gerhard Pfannendörfer
WIR MITTEN IN RHEIN | MAIN
Dr. Rudolf Martens, Leiter der Paritätischen Forschungsstelle (rechts),
im Gespräch mit Armutsforscher Professor Hauser
richt verniedlichend. Hauser sagte, zu den künftigen Aufgaben
einer fundierten Armutsberichterstattung müsse es gehören,
die Ursachen materieller Armut tiefer zu analysieren und die
Situation von Menschen in besonderen Lebenslagen wie etwa
Menschen mit Behinderung oder chronischen Erkrankungen
oder Personen, die in Alten- und Pflegeheimen leben, stärker
zu berücksichtigen. Darüber hinaus sei eine präzisere Erfolgskontrolle der steuer-, arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Maßnahmen der Armutsbekämpfung erforderlich. Zur Festlegung
der Armutsgrenze schlug er vor, auf den Lebensstandardansatz
zurückzugreifen. Dabei werden in einer breit angelegten Umfrage zufällig ausgewählte Bürger befragt, welche Güter und
Leistungen sie für ein annehmbares Leben für erforderlich halten und ob sie diese Güter und Leistungen selbst besitzen beziehungsweise sich leisten könnten. Güter, die mehr als 80 oder
90 Prozent der Befragten für unbedingt erforderlich halten, sollten dann als Mindeststandards erklärt und zur Errechnung des
erforderlichen Mindesteinkommens herangezogen werden.
„Demokratischer Ansatz“
Hauser: „Dieser Ansatz kann am ehesten als unmittelbar demokratisch bezeichnet werden, weil hierbei alle Bürger als Experten gefragt sind.“ Dies wäre auch ein neuer Ansatzpunkt für
die Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung vieler Armer durch
die übrige Bevölkerung. „Denn hierfür“, so Hauser, ist die
Sichtweise der nicht armen Bevölkerungsmehrheit im täglichen Umgang maßgeblich.“ Auch die von Armut betroffenen
Menschen müssten beim Zustandekommen von nationalen
Armutsberichten beteiligt werden, forderte Jens Schröter, der
1989 als einziger Betroffener am Armutsbericht des Paritätischen mitgewirkt hat. Er war auch als Betroffenenvertreter in
die Diskussionsrunde zum Abschluss der Tagung geladen. Dabei ging es unter anderem um die weitreichenden Folgen von
Armut, Ausgrenzung und Benachteiligung, insbesondere aber
die Folgen der Kinderarmut und die dringend notwendige bessere Unterstützung von Familien.
UB
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27
16.12.2009 16:14:04
Forum
Eine Fundgrube für Beratungsstellen
Unverzichtbar: Der Service des Informationsverbundes Asyl und Migration
Wer in der Beratung von Flüchtlingen und Migranten tätig ist, weiß seine Arbeit zu
schätzen: Der „Informationsverbund Asyl“ hat sich in den zehn Jahren seines Bestehens
mit seiner professionellen fachlichen Arbeit ein hohes Ansehen erworben. Nicht nur für
Beraterinnen und Berater, auch für Rechtsanwältinnen und -anwälte sowie Richterinnen
und Richter ist der Informationsverbund eine wichtige Anlaufstelle in Fragen rund ums
Asylrecht, zunehmend aber auch in Sachen Migration. Daher hat er seinen Namen
erweitert und heißt jetzt „Informationsverbund Asyl und Migration“.
D
er Informationsverbund versteht
sich als Servicestelle für alle, die
in der Flüchtlings- und Migrationsarbeit aktiv sind“, sagt Harald Löhlein, Referent des Paritätischen für
Flüchtlingshilfe und seit sieben Jahren
Vorsitzender des Informationsverbunds.
„Die Schnittmenge zwischen den Bereichen Asyl und Migration und das Spektrum der relevanten Themen sind in
den vergangenen Jahren immer größer
geworden, darum haben wir beschlossen, dies nun auch im Namen deutlich
herauszustellen.“
Informationen sammeln, bündeln, für
die fachliche Arbeit aufbereiten und publizieren – das ist die Aufgabe von Juristin Klaudia Dolk und Geschäftsführer
Der „Informationsverbund Asyl und
Migration“ ist Nachfolgeorganisation
der Zentralen Dokumentationsstelle
der Freien Wohlfahrtspflege für Flüchtlinge und ein positives Beispiel für
verbandsübergreifende Kooperation,
die hilft, Know-how zu bündeln und
Ressourcen effizient einzusetzen.
Träger sind neben dem Paritätischen
und den anderen Spitzenverbänden
der Freien Wohlfahrtspflege (Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Diakonie, Deutsches Rotes Kreuz und Zentralwohlfahrtsstelle der Juden) Amnesty International und Pro Asyl.
Wichtiger Kooperationspartner ist das
Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR), das den
Kooperationsverbund auch finanziell
unterstützt. Auf europäischer Ebene
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Michael Kalkmann, die zusammen mit
Sachbearbeiterin Judith Hoffmann das
dreiköpfige festangestellte Team des
„Informationsverbundes Asyl und Migration“ bilden. Rund 1.000 Gerichtsurteile stellen sie jährlich in die Rechtsprechungsdatenbank. Entstanden ist so ein
riesiger Fundus, der es unter anderem
arbeitet der Informationsverbund u. a.
mit dem Österreichischen Roten Kreuz
als Partner des „European country of
origin information network“ (www.
ecoi.net) zusammen. ecoi.net sammelt
und publiziert aktuelle und öffentlich
zugängliche Herkunftsländerinformationen unter dem spezifischen Gesichtspunkt der Bedürfnisse von Asylanwälten, Flüchtlingsberatern und
Behörden, die unter anderem über
Asylanträge entscheiden.
Kontakt:
Informationsverbund Asyl
und Migration e. V.
Greifswalder Straße 4
10405 Berlin
Tel.: 030/46703010
Fax: 030/46 79 33 29
E-mail: [email protected]
ermöglicht, Argumentationen in ähnlichen Fällen zu vergleichen und wichtige
Fakten für die Beratungsarbeit herauszufiltern. Ob Asylverfahrens- und -prozessrecht, allgemeines Aufenthalts- oder
Staatsangehörigkeitsrecht – alles wird
registriert und ist dank einer nutzerfreundlichen Online-Datenbank auf der
Internetseite www.asyl.net leicht zu finden. Ebenso wie Erlasse und Verwaltungsvorschriften des Bundesinnenministeriums und des Bundesamtes für
Migration und Flüchtlinge, Arbeitshilfen und Gesetzestexte, Links zu Rechtsberatern und Nichtregierungsorganisationen sowie Beiträge aus dem Asylmagazin. Diese Publikation des Informationsverbundes enthält eine Vielzahl
praxisorienterter Informationen und erscheint zehnmal jährlich.
„Ein Informationsnetzwerk kann nur
so gut sein, wie die Informationen, die
ihm zur Verfügung stehen“, betont Michael Kalkmann. „Wir freuen uns daher, wenn uns weitere wichtige Dokumente zugeschickt werden, die für die
Unterstützung der Belange von Flüchtlingen und Migranten hilfreich sind.“
www.asyl.net
UB
1 | 2010
16.12.2009 16:14:04
Forum
„Wohnen am richtigen Platz“
Hessisches Projekt will jüngere behinderte Menschen aus Altenheimen holen
Erich Wieber hat große Fortschritte gemacht. Als der heute 52-Jährige im Oktober
2008 im AWO-Seniorenheim in Stadtallendorf aufgenommen wurde, war er auf den
Rollstuhl angewiesen und konnte sich ohne fremde Hilfe nicht fortbewegen. Heute ist
er mit dem Rollator unterwegs, läuft in die Stadt oder fährt mit dem Bus zu seinem
früheren Elternhaus, wo er zuletzt mit seinem mittlerweile verstorbenen Vater über
viele Jahre gewohnt hat. Dorthin will er „so schnell wie möglich wieder zurück“. Dabei
hilft ihm die hessische Landesarbeitsgemeinschaft freie Ambulante Dienste im Rahmen
des Projekts „Wohnen am richtigen Platz“.
A
uch wenn Erich Wieber mittlerweile nur noch eine Gehhilfe benötigt, sich waschen und anziehen kann, selbst versorgen kann der
einstige Baufacharbeiter sich nicht. „Das
Essen hier ist gut und das Pflegepersonal
ist sehr nett, aber mir ist nur langweilig.
Von den alten Menschen hier hört der
eine nicht gut, der andere sieht fast nichts
mehr, jeder hat hier was anderes.“ Erich
Wieber, der auf dem schütteren Haar
eine fesche Baseballkappe trägt, an seine
Zimmertür Autoposter gepinnt hat und
aus Zeitungen Gebrauchtwagen-Anzeigen ausschneidet – „Ich hatte drei GTI“
– fühlt sich im Seniorenheim fehl am
Platz. Er will ins Dorf zurück, wo er
viele kennt und viele ihn.
Zum Neustart braucht es
einen festen Willen
Seit 1. Januar 2009 erhalten erwachsene
Menschen mit Behinderung im Alter
unter 60 Jahren hessenweit Unterstützung bei ihrem Bestreben, wieder in ein
möglichst selbst bestimmtes Leben zu-
Die ersten Schritte
waren für Erich Wieber
(links) nicht einfach.
Unterstützung dabei
erhielt er von seinen
FIB-Betreuern Willibald
Fischer (im Rollstuhl)
und Cafer Ungan.
Foto: Willführ
rückzukehren. „Wohnen am richtigen
Platz“ heißt das Projekt der Landesarbeitsgemeinschaft freie Ambulante
Dienste (LAGfAD). Sitz der Koordinierungsstelle ist Marburg. Verantwortlicher Projektleiter ist der Sozialwissenschaftler Markus Drolshagen. „Selbstbestimmung ist das höchste Gut“, sagt der
38-jährige promovierte Pädagoge. Es
wieder zu erlangen setze allerdings, unabhängig von allen bürokratischen Verhältnissen und Verhinderungen, eines
voraus: „den festen Willen des Betroffenen“.
Nach jüngsten Schätzungen des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen sind mehr
als 800 behinderte Menschen von einer
Fehlplatzierung in einem Seniorenheim
betroffen: vom Motorradfahrer Mitte
Zwanzig, der nach einem schweren Unfall noch unter epileptischen Anfällen
leidet und zuhause nicht mehr von seinen Angehörigen versorgt werden kann,
bis zur Mittvierzigerin mit Multiple
Sklerose, die mit dem Fortschreiten der
Krankheit eine barrierefreie Wohnung
benötigt und deshalb nicht mehr in ihr
Haus zurückkehren kann.
Häufig sind es Angehörige, manchmal
Freunde, mitunter auch Heimleitungen,
die bei Markus Drolshagen nach Alternativen zum Heimaufenthalt fragen.
Nach der ersten Kontaktaufnahme sucht
der ebenfalls behinderte Projektleiter die
Umzugswilligen auf. „Ich versuche in
langen Gesprächen und entspannter Atmosphäre den Hilfebedarf zu ermitteln,
der für ein Leben außerhalb der Institu1 | 2010
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29
16.12.2009 16:14:04
Forum
Gefahr der Resignation
Seit mehr als einem halben Jahr unternimmt Cafer Ungan, Mitarbeiter des
FIB, regelmäßig Ausflüge mit Erich Wieber. Sein Kollege Willibald Fischer, selbst
im Rollstuhl, kümmert sich um seine
„pädagogische Betreuung“. Die Kunden
des FIB müssen ihre neue Lebenssituation mit Behinderung häufig erst einmal
annehmen lernen. Willibald Fischer erinnert sich: „Als ich Herrn Wieber an
Pfingsten vorschlug, ein Fest in seinem
Heimatort zu besuchen, hat er sich geweigert.“ Erich Wieber hatte Angst, verspottet, gehänselt, ausgegrenzt zu werden. Er, der Schaffer, ein Macher, ein
Autofreak, nun im Rollstuhl. Mit Hilfe
von Willibald Fischer hat Erich Wieber
diese Barriere überwunden, trifft sich
wieder mit seinen Freunden. Er ist nicht
mehr der Alte, aber er hat es geschafft,
sich einer neuen Situation zu stellen.
„Je länger jüngere Behinderte in einer
Alteneinrichtung untergebracht sind,
um so mehr resignieren sie, noch etwas
an ihrer Situation ändern zu können“,
hat Markus Drolshagen beobachtet – in
der Praxis und auch in einer qualitativen
Studie der Philipps-Universität Marburg
mit 36 Probanden. Denn zumeist war es
ein traumatisches Ereignis, das sie in die
stationäre Einrichtung brachte. Der Tod
von Menschen, die sie bislang versorgten, ein Unfall mit schwerwiegenden
körperlichen Einschränkungen als Folge, eine Erkrankung, die dauerhafte
Pflege nötig machte, die nicht von
Angehörigen geleistet werden konnte.
Schnell musste entschieden werden, wo
die Menschen mit Behinderungen nach
immer kürzer finanzierten Aufenthalten in Krankenhäusern und Rehakliniken untergebracht werden konnten.
Meist blieb – gerade im ländlichen
Raum – mangels ambulanter Hilfen nur
die Unterbringung in einem Altenheim.
Markus Drolshagen sieht ein Problem
darin, „dass die Leistungssätze für eine
ambulante Behandlung denen für eine
stationäre nicht gleich gesetzt sind“.
Und dass es Defizite in einer möglichen
Kooperation gibt, „weil stationär und
ambulant oft noch rigide getrennt sind.“
Das Projekt „Wohnen am richtigen
Platz“, das für eine adäquate und qualifizierte Betreuung jüngerer Behinderter
außerhalb von Senioren-Institutionen
kämpft, hat mit seiner Förderung durch
die Aktion Mensch und die finanzielle
Unterstützung durch den Hessischen
Sparkassen- und Giroverband schon einen großen Erfolg verbuchen können. Es
kann über drei Jahre laufen – zunächst.
Rund 90 jüngere Behinderte könnten in
Hessen in dieser Zeit aus einem Altenheim wieder in ein selbst bestimmteres
Leben zurückkehren, wird geschätzt.
Erich Wieber könnte einer davon sein –
wenn die Kostenfrage geklärt ist für die
Arbeit des dreiköpfigen Teams aus zwei
Männern und einer Frau, die sicherstellen, dass er regelmäßig Mahlzeiten bekommt, dass der Ofen in dem Fachwerk-
haus ausreichend mit Holzscheiten versorgt wird und keine Krankheit oder eine
Verschlimmerung seiner Behinderung
unbemerkt bleibt. „Erstmal werde ich
den Kühlschrank putzen“, stellt Erich
Wieber sich seine Rückkehr nach Hause
vor. „Dann werde ich für hundert Euro
im Laden vom Nachbarn einkaufen gehen. Es muss ja auch noch was in die
Speisekammer.“ Wann dies Realität wird,
ist nicht in Tagen oder Wochen absehbar.
Noch gibt es zuviele Unwägbarkeiten.
Nicht nur die Übernahme der Kosten für
eine ambulante Versorgung muss geklärt
werden. In seiner Wohnung gilt es, „klar
Schiff“ zu machen. Und das Team des
FIB muss einen Betreuungsplan erstellen. Ob es noch im Januar klappt oder
Frühjahr wird, bis der 52-Jährige vielleicht wieder in sein altes Zuhause umziehen kann: Das Projekt „Wohnen am
richtigen Platz“ wird ihn weiterhin
unterstützen, wie viele andere jüngere
Menschen mit Behinderungen auch, die
die Kraft finden, nach einem traumatischen Erlebnis wieder einen Schritt in
mehr persönliche Unabhängigkeit zu
wagen.
Corinna Willführ
Forschung: Leben mit
seltenen Erkrankungen
Leitfaden des VAMV:
Das neue FamFG
Sexuelle Gewalt. Beiträge
aus Theorie und Praxis.
Das Bundesgesundheitsministerium hat
den Forschungsbericht „Maßnahmen
zur Verbesserung der gesundheitlichen
Situation von Menschen mit seltenen Erkrankungen in Deutschland“ veröffentlicht. Die Ergebnisse der Studie gelten als
grundlegend für den Aufbau eines Nationalen Aktionsforums sowie eines Nationalen Aktionsplans für seltene Erkrankungen in Deutschland. Der Forschungsbericht ist auf der Homepage des Ministeriums für Gesundheit www.bmg.bund.
de im Bereich Publikationen zu finden.
Der Verband alleinerziehender Mütter
und Väter hat einen Leitfaden zur Umsetzung des neuen Familienrechtlichen Verfahrens (FamFG) in der Beratungspraxis herausgebracht. Er kann
kostenlos heruntergeladen werden von
der Internetseite www.vamv.de.
Der Leitfaden informiert über die
wichtigsten Neuerungen des FamFG.
Der Schwerpunkt liegt auf der Regelung des Umgangs und auf den unterschiedlichen Situationen getrennter
Eltern und Einelternfamilien.
Basierend auf Beiträgen auf dem Kongress zum 20-Jährigen Bestehen von
Wildwasser Berlin behandelt das Buch
„Sexuelle Gewalt. Beiträge aus Theorie
und Praxis“ den Umgang mit sexueller
Gewalt in Öffentlichtkeit, Medien und
Fachöffentlichkeit. Es kann für 20 Euro
zuzüglich Versandkosten bezogen werden bei Wildwasser Berlin,
Wriezener Str. 10/11,
13359 Berlin,
Tel.: 030/48628232,
www.wildwasser-berlin.de.
tion nötig ist.“ Unterstützung dabei erhält Drolshagen von den Mitgliedern der
LAGfAD und dem Verein zur Förderung
der Integration Behinderter (FIB).
30
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Kontakt
LAGfAD e. V.
Am Erlengraben 12 a
35037 Marburg
Projekt Wohnen am richtigen Platz
Tel.: 06421/16967-58
Fax: 064 21/16967–29
E-Mail: [email protected]
www.lagfad-hessen.de
1 | 2010
16.12.2009 16:14:05
Forum
„Kinderrechte ins Grundgesetz“
Zum Jahrestag der Verabschiedung der UN-Konvention über die Rechte des Kindes am
20. November 2009 hat der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) die Aufnahme der
Kinderrechte ins Grundgesetz gefordert. Dabei handele es sich keineswegs um „Symbolpolitik“, betont DKSB-Präsident Heinz Hilgers. Nach einer Aufnahme ins Grundgesetz erwarte der DKSB weitere Gesetze zur Stärkung der Kinderrechte.
D
ie 1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete Kinderrechtskonvention formuliert weltweit
gültige Grundwerte im Umgang mit
Kindern über alle sozialen, kulturellen, ethnischen oder religiösen Unterschiede hinweg. Sie fordert eine neue
Sicht auf Kinder als eigenständige Persönlichkeiten. Alle Staaten mit Ausnahme der USA und Somalias haben
die Konvention ratifiziert, aber Realität
sind die Kinderrechte immer noch
nicht. „Die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz wäre zunächst ein
wichtiges Signal“, so Hilgers. „Aber es
wäre auch der Auftrag, alle Gesetze darauf zu überprüfen, ob sie dem Recht
des Kindes auf soziale Sicherheit, auf
Bildung und auf Partizipation gerecht
Kinder brauchen besonderen Schutz und
Förderung, betont der Deutsche Kinderschutzbund.
Archiv-Foto: Reiner Strack
werden.“ Mit sofortiger Wirkung hätten Rechtsprechung und Verwaltung
die entsprechenden Gesetze verfassungskonform auszulegen. Das bedeute zum Beispiel, dass Kindertagesstätten und Spielplätze nicht mehr aus
Wohngebieten verbannt werden könnten.
Richter hätten anders abzuwägen,
wenn die Kinderrechte im Grundgesetz stünden – nämlich im Zweifel zugunsten unserer Kinder. „Viele berufen sich darauf, Kinder seien ja durch
die allgemeinen Menschenrechte geschützt. Das reicht aber nicht aus. Kinder brauchen zusätzliche Förder- und
Schutzrechte – weil sie mehr sind als
kleine Erwachsene“, so Heinz Hilgers.
Deutsches Kinderhilfswerk beklagt Verstoß gegen UN-Kinderrechtskonvention
Eine vom Deutschen Kinderhilfswerk
in Berlin vorgelegte Analyse kommt
zu dem Ergebnis, dass die Beteiligungsrechte für Kinder und Jugendliche in Deutschland dringend ausgebaut werden müssen. „Es liegt ein
eklatanter Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention vor, die die Vorrangstellung des Kindeswohls, die
Verwirklichung der Kinderrechte und
die Berücksichtigung des Kindeswillens anerkennt“, betonte Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes. Bund und Länder seien
aufgefordert, unter Beteiligung der
Kommunen die notwendigen Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen
Maßnahmen zur Verwirklichung der
Beteiligungsrechte von Kindern und
Jugendlichen zu treffen. Zu den Beteiligungsrechten gehören etwa die Wahl
von Klassensprecherinnen und Klas-
sensprechern, die in einigen Bundesländern ab Klassenstufe 1 Pflicht sind
(Bremen, Hamburg, MecklenburgVorpommern, Schleswig-Holstein),
während in den anderen Bundesländern dies erst ab Klassenstufe 3, 4 oder
5 verbindlich festgeschrieben ist. Die
Partizipationsrechte der Schülerinnen
und Schüler müssten gestärkt werden,
fordert das Deutsche Kinderhilfswerk.
In fast allen Bundesländern würden
den Eltern weitergehende Beteiligungsrechte als den Schülerinnen
und Schülern zugestanden.
Auf der kommunalen Ebene wurden
bei der Beteiligung von Kindern und
Jugendlichen mittels Wahlrecht in
den letzten Jahren einige Fortschritte
erzielt, betont das Deutsche Kinderhilfswerk. In sieben Bundesländern
sind Jugendliche ab 16 Jahren bei
Kommunalwahlen
wahlberechtigt.
Als erstes Bundesland hat Bremen
2009 auch die Altersgrenze für die
Teilnahme an Landtagswahlen auf 16
Jahre gesenkt, um Jugendliche frühzeitiger an die Politik heranzuführen.
Die Analyse kann als pdf heruntergeladen werden von der Internetseite
www.kinderpolitik.de
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Forum
Neues Zentrum für eine bessere Zukunft
Deutsch-bosnisches Kooperationsprojekt zur Förderung behinderter Kinder
Ins bunte Bällebad eintauchen, schaukeln, klettern, auf weich gepolsterten Matten Purzelbäume schlagen. So schön kann Kindheit sein. Doch für die meisten der Jungen und Mädchen, die seit vorigem Sommer das Frühförder- und Behandlungszentrum im bosnischen
Zenica-Doboj besuchen, sind das völlig neue Erfahrungen. Viele von ihnen wurden von den
Eltern aus Scham, ein behindertes Kind zu haben, mehr oder minder versteckt und konnten
zuhause kaum gefördert werden. Das neue Zentrum, ein Kooperationsprojekt des bosnischen Vereins Humanost, der Marburger Hilfsorganisation Terra Tech und der Lebenshilfe
Plauen eröffnet den Kindern völlig neue Lebensperspektiven.
M
ehr als ein Jahrzehnt ist seit
dem Ende des schrecklichen
Bürgerkriegs in Bosnien-Herzegowina vergangen. Die Auswirkungen für das gemeinschaftliche Zusammenleben und die wirtschaftliche Situation sind bis heute spürbar. Von einem niedrigen Lohnniveau und einer
überdurchschnittlich hohen Arbeitslosigkeit ist besonders der zentralbosnische Kanton Zenica-Doboj geprägt.
Die ohnehin schwere Lebenssituation
stellt sich hier gerade für Menschen
mit Behinderung extrem hart dar. Ihre
Chancen auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sind sehr gering – nicht
nur wegen der prekären wirtschaftlichen Situation, sondern auch wegen
sozialer Vorbehalte. Im ganzen Land
werden Menschen mit Behinderung
enorm stigmatisiert, teilweise sogar
von ihren Familien vor der Öffentlichkeit verborgen. Hinzu kommen fehlende
therapeutische Möglichkeiten bezie-
Das neue Frühförderzentrum für Kinder in Zenica-Doboj
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hungsweise fehlende finanzielle Voraussetzungen, um die spärlich vorhandenen therapeutischen Angebote in den
Städten wahrnehmen zu können.
Humanost schafft neue Perspektiven
Dieses Defizit in der sozialen Versorgung hat zu einer zivilgesellschaftlichen Initiative geführt, aus welcher der
bosnische Verein Humanost hervorgegangen ist. Der Verein und seine Erfolge wären ohne den persönlichen Einsatz des Erfurters Georg Schiel undenkbar. Als Flüchtlingshelfer ist er
Ende der 90er-Jahre nach Bosnien gegangen und setzt sich seitdem für die
Belange sozial benachteiligter Menschen ein. 2007 hat der von ihm ins
Leben gerufene Verein Humanost mit
einem Förderzentrum für behinderte
Kinder und Jugendliche in der Stadt
Maglaj einen Anfang gemacht, die unzureichenden Strukturen zur Förderung behinderter Menschen zu verbessern. 2008 begann der Bau eines Frühförderzentrums für Kleinkinder in
Zenica, das am 24. September 2009
feierlich eingeweiht wurde.
Mit Gedichten und Tänzen wurde die
Zeremonie von Kindern des städtischen Kindergartens eröffnet. Neben
dem Bürgermeister von Zenica und
dem Sozialminister des Kantons nahm
an der Feier auch der deutsche Botschafter Joachim Schmidt teil, der die
Einrichtung „als sehr wichtigen Beitrag für die bosnische Gesellschaft
und die Integration junger Menschen
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Forum
TERRA TECH e. V. engagiert sich
seit 1986 in der Entwicklungs- und
Katastrophenhilfe. Im Fokus der Vereinsarbeit stehen notleidende und bedürftige Menschen in Afrika, Asien,
Südamerika, im Nahen Osten und
Osteuropa. (www.terratech-ngo.de)
*
Humanost – societas humanitatis ist
ein gemeinnütziger Verein im bonischen Zenica, der sich seit 2006 mit
Projekten für die Weiterentwicklung
des Sozialsektors engagiert. Im Zentrum der Vereinsarbeit stehen Flüchtlinge sowie Bevölkerungsgruppen, die
an den Rändern der Gesellschaft Bosniens leben, wie Menschen mit Behinderung. Der regionale Schwerpunkt
liegt im zentralbosnischen Kanton
Zenica-Doboj. (www.societas.ba)
*
Die Lebenshilfe Plauen ist eine gemeinnützige GmbH im sächsischen
Plauen, die sich der Förderung von
Menschen mit Behinderung in verschiedenen Bereichen zuwendet,
wie etwa der Frühförderung und
Frühbehandlung von behinderten
Kleinkindern, unter anderem aber
auch ein integratives Bildungswerk
betreibt.(www.lebenshilfe-plauen.de)
mit Behinderung“ würdigte. Sein
Dank dafür galt nicht nur dem bosnischen Verein Humanost, der Träger
der Einrichtung ist, sondern auch der
Marburger Hilfsorganisation Terra
Tech, die als technische Partnerin mit
finanzieller Unterstützung des deutschen Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(BMZ) das Bauprojekt umgesetzt hat.
Die Kosten betrugen zirka 400.000
Euro. In Fragen der Ausstattung und
des Therapieangebotes war die Lebenshilfe Plauen gGmbH eine äußerst hilfreiche Projektpartnerin.
Zwölf Gemeinden sind verantwortlich
Für den laufenden Betrieb des Zentrums sind die zwölf Gemeinden des
Kantons verantwortlich. Aus diesen
Gemeinden kommen die Kinder, die
nun die Einrichtung zur Therapie nutzen. Gefördert werden Kinder im Alter
von wenigen Wochen bis zu sechs Jahren mit dem Ziel, körperliche, geistige,
sprachliche, emotionale und soziale
Entwicklungsrückstände aufzuholen.
Drohende Behinderungen sollen so
vermieden oder die Folgen bereits bestehender Behinderungen weitestmöglich aufgefangen werden.
„Aus Scham wurden die Kinder von
ihren Eltern oder Angehörigen versteckt und vom gesellschaftlichen
Leben ausgegrenzt. Sie haben den ganzen Tag zu Hause verbracht, ohne dass
sich jemand mit ihnen beschäftigt hat.
In ganz Bosnien gibt so gut wie keine
Therapiemöglichkeit“, beklagte die Geschäftsführerin von Humanost, Dze-
Alles so schön bunt hier
nana Ceremic, die Situation noch vor
einigen Monaten. Mit Heil- und Hilfsmitteln, die zum Teil aus Deutschland
kommen, sowie einem umfassendem
Therapieangebot (Physiotherapie, Logopädie, Psychologie etc.) wird der
Mangel an Möglichkeiten langsam,
aber effektiv angegangen. Es gilt als
erwiesen, dass sich die Erfolgschancen
therapeutischer Maßnahmen für
Kleinkinder in dem Maße erhöhen, je
früher mit etwaigen Behandlungen begonnen werden kann. Die Frühförderstelle ist zunächst auf einen Bedarf von
160 Kindern ausgelegt, wobei geschätzte 280 von Behinderung betroffene
oder bedrohte Kinder in der Region leben. Langfristiges Ziel ist es, die Kinder umfassend in die Gesellschaft zu
integrieren. Im nächsten Schritt ist daher eine Erweiterung der bestehenden
Einrichtungen und später der Bau einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen denkbar – so die Zukunftsvision von Humanost.
AK
© bilderbox - Fotolia.com
DGSP-Memorandum zur medikamentösen Behandlung psychischer Erkrankungen
Die Deutsche Gesellschaft für Soziale
Psychiatrie (DGSP) hat eine Memorandum zur Anwendung von Antipsychotika in der Behandlung psychisch erkrankter Menschen veröffentlicht. Darin fordert sie unter anderem eine veränderte
Praxis beim Einsatz dieser Medikamente. Veröffentlicht wurde das Memorandum anlässlich der DGSP-Tagung zum
Thema „Richtig eingestellt? Gratwanderung Neuroleptika!“ Ende September
2009 in Berlin. Diskutiert wurden dabei
unter anderem neue Forschungsergeb-
nisse, die zeigten, dass das Verhältnis von
Nutzen und Risiken der medikamentösen Antipsychotikabehandlung ungünstiger ist, als bisher angenommen wurde,
so die DGSP. Die gegenwärtige Anwendungspraxis müsse dringend hinterfragt
werden. Gleichzeitig müsse der Zugang
zu psycho- und sozialtherapeutischen
Maßnahmen verbessert werden.
Das Memorandum steht im Internet
unter www.psychiatrie.de/dgsp/article/
Memorandum_der_DGSP.html.
Kontakt: [email protected].
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hören & sehen
Mit Maßnahmen-Mix gegen die Arbeitslosigkeit
Was haben die Hartz-Reformen bewirkt? lautet der Titel einer Analyse des
Sozialwissenschaftlers Tobias Müller,
der sich ausführlich mit Ursachen, Ausmaß und Folgen des Problems der Massenarbeitslosigkeit in Deutschland beschäftigt, sich den unterschiedlichen
Arbeitsmarkttheorien widmet und der
Frage nachgeht, ob die Hartz-Reformen
taugliche Rezepte gegen die hohe Arbeitslosigkeit bieten.
Sein Resümee: Die wohl umfassendste
Reform der deutschen Arbeitsmarktpolitik – auch als „Modernisierung“ bezeichnet – hat zwar den Druck auf Arbeitslose erhöht und zum massiven
Ausbau des Niedriglohnsektors geführt,
aber nicht nennenswert zur Schaffung
neuer Arbeitsplätze beigetragen. Der
vorübergehende Aufschwung auf dem
Arbeitsmarkt sei eher einer ungewöhnlich guten Weltkonjunktur geschuldet
gewesen. Nicht nur die ökonomischen,
auch die psychosozialen Folgen der
Arbeitslosigkeit erfordern laut Müller
einen innovativen Maßnahmen-Mix.
Dazu gehörten eine bessere Bildungspolitik, stärkere Investitionen in (ökologische) Forschung und Entwicklung
sowie die Stärkung des privaten Konsums (etwa durch Einführung des Mindestlohns, steuerliche Entlastung niedriger Einkommen und die Anhebung
des Regelsatzes von Arbeitslosengeld II
und Sozialhilfe). Essenziell sei eine gerechtere Verteilung von Erwerbsarbeit
durch Verkürzung der individuellen Arbeitszeit in Kombination mit einem
Grundeinkommen. Das lasse Erwerbstätigen auch mehr Möglichkeiten für
familiäres und soziales Engagement.
Tobias Müller: Was haben die HartzReformen bewirkt? Zu Ausmaß, Ursachen und Folgen der Arbeitslosigkeit
in Deutschland. Weißensee Verlag,
284 Seiten, 38 Euro.
! „Das andere Leben“
Der Selbsthilfeverband – Forum Gehirn
e. V. hat einen Ratgeber für Menschen
mit einer Hirnschädigung und deren
Angehörige herausgegeben, der eine gelungene Mischung zwischen wichtigen
Sachinformationen und persönlichen
Schilderungen enthält. Das Buch sollte
überall dort greifbar sein, wo Menschen
nach einer Schädelhirnverletzung versorgt werden und sowohl sie als auch ihre
Angehörigen mit einer Vielzahl von Fragen und Problemen konfrontiert sind.
Die beiden Autorinnen Sylvia Pommert
und Daniela Büscher sowie Autor Lothar
Ludwig (Bundesvorsitzender des Selbsthilfeverbandes – Forum Gehirn) schildern ihre persönlichen Erfahrungen als
Angehörige und zeigen deutlich, wie
wichtig Eltern, Partner, Kinder und
Freunde für den Betroffenen als Bindeglied zwischen seinem alten und neuen
Leben sind. Zudem geben sie wichtige
Informationen zu Themen wie Therapie,
Kommunikation, Hilfsmittel, Wahl der
Reha-Einrichtung, Verhandlungen mit
Kostenträgern und Persönliches Budget.
Bestellung unter www.shv-forum-gehirn.
de (7,50 Euro plus Versandkosten).
Ausstellung: Wohnungslose im Nationalsozialismus
Mit einer Wanderaustellung erinnert
die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V. an die wohnungslosen Männer und Frauen, die in der
Zeit der nationalsozialistischen Diktatur als sogenannte „Asoziale“ verfolgt
wurden.
Die Ausstellung umfasst 13 bedruckte
Textil-Banner (105 x 215 cm) zu The34
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men wie Weltwirtschaftskrise, Bettlerrazzia 1933, Arbeitshäuser, Rassenhygiene, Zwangssterilisation, „Asoziale
Großfamilien“, als „Asozial“ ins Konzentrationslager.
Nähere Informationen über die Ausstellung und Ausleih-Konditionen finden Interessierte im Internet auf der
Seite www.bagw.de.
ILCO-Broschüren
im neuen Gewand
Die Stoma-Broschürenreihe der Deutschen ILCO hat ein neues Layout erhalten. Die Standardwerke „ColostomieIleostomie – ein Leitfaden“ sowie „Irrigation – Darmspülung bei Colostomie“
wurden zudem auch inhaltlich überarbeitet.
Mit großer Sachkenntnis sowie produkt- und herstellerneutral werden aus
der Perspektive einer erfahrenen
Selbsthilfeorganisation wesentliche Informationen und Tipps zu Dickdarmund Dünndarmausgang, Irrigation,
Ernährung und dem Alltagsleben gegeben. Schilderungen von Betroffenen
über ihre Erfahrungen runden die gleichermaßen für Stomaträger und ihre
Angehörigen als auch für Fachkräfte im
Gesundheitswesen interessanten Informationen ab.
Erhältlich sind auch wieder die Broschüren „Stomaträger und Ernährung“
sowie „Lust zum Leben – Erfahrungen
von Stomaträgern“.
Die Broschüren sind kostenlos, ein Beitrag zu den Versandkosten in Form
von Briefmarken wird erbeten. Bestellung bei: Deutsche ILCO e. V.,
Thomas-Mann-Str. 40, 53111 Bonn,
Tel.: 0228/338894-50,
E-Mail: [email protected].
Neu erschienen
Wolfgang Gern/Franz Segbers
(Hrsg.)
Als Kunde bezeichnet, als Bettler
behandelt – Erfahrungen aus der
Hartz-IV-Welt
VS Verlag, 128 Seiten, 10,80 Euro,
ISBN 978-3-89965-386-1,
www.vsa-verlag.de
*
Irene Becker, Richard Hauser
Soziale Gerechtigkeit – ein magisches
Viereck/Zieldimensionen, Politikanalysen und empirische Befunde
Forschung aus der Hans-Böckler-Stiftung, Band 104, edition sigma, 308 S.,
ISBN 978-3-8360-8704-9, 19,90 Euro.
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Rezension
„Das Sterben der anderen“
Asmus Finzens Beitrag zur Diskussion um die Sterbehilfe
M
ehr als 800.000 Menschen sterben pro Jahr in Deutschland.
Manche ereilt ein plötzlicher
Tod, andere sterben nach langer Krankheit – liebevoll umsorgt von nahestehenden Menschen und Pflegekräften. Oder
altersschwach, einsam und verlassen.
Der Gedanke ans Sterben weckt bei vielen die Angst vor einem qualvollen Ende
ohne Würde, die Furcht vor Hilflosigkeit,
Siechtum, Fremdbestimmung und
Schmerzen.
Schätzungen zufolge haben mittlerweile
zwischen acht und zwölf Millionen Menschen eine Patientenverfügung verfasst
– in der Hoffnung, auf die Behandlung
und Betreuung am Ende ihres Lebens
auch dann Einfluss nehmen zu können,
wenn sie nicht mehr in der Lage sein sollten, ihren Willen zu äußern. Die Patientenverfügung und die im September
2009 beschlossene gesetzliche Regelung
zu deren Wirksamkeit nehmen in
Asmus Finzens Buch „Das Sterben der
anderen“ einen wichtigen Platz ein. Was
geht und was geht nicht? In welchem
Umfang ist Selbstbestimmung am Ende
des Lebens überhaupt möglich? Und auf
welche Hilfen haben die Menschen ein
Recht? Was konkret versteht man unter
aktiver, passiver und indirekt aktiver Sterbehilfe?
Asmus Finzen hält diese Bezeichnungen für falsch, weil sie aus seiner Sicht
verwirren und Realitäten verschleiern.
Mit seinem Buch will er Klarheit in die
Begrifflichkeit der Sterbehilfe bringen
und Dimensionen dessen, was wirklich geschieht, zurechtzurücken.
Hilfe zum Sterben, Hilfe beim Sterben
Finzen fordert: Wir müssen rigoros
unterscheiden zwischen Hilfe beim
Sterben, also der Erleichterung des
Sterbens durch Linderung von Beschwerden, sowie der Hilfe zum Sterben, also der Tötung eines Kranken
auf dessen Verlangen oder Hilfe zur
Selbsttötung, bevor der eigentliche
Sterbeprozess eingesetzt hat. Der Autor plädiert dafür, die menschlich gebotenen Möglichkeiten auszuschöpfen,
Todkranken das Sterben zu erleichtern, ihnen beim Sterben zu helfen
und kritisch zu hinterfragen, wann es
sich bei der Behandlung sterbenskranker Menschen um Lebensverlängerung
oder Sterbeverzögerung handelt. Zugleich fragt er auch nach Gründen,
warum Schwerkranke verlangen, ihr
Leben vor dem Einsetzen des Sterbeprozesses zu beenden. Dabei lenkt er
auch den Blick in die Niederlande und
die Schweiz.
Der 1940 geborene Psychiater warnt vor
der Gefahr einer neuen Euthanasie“. Die
Suizidhilfe des ehemaligen Hamburger
Justizsenators Roger Kusch für eine
79-jährige, keinesfalls sterbenskranke
Frau habe möglicherweise auch in
Deutschland einen Dammbruch bewirkt,
schreibt er.
Mit seinem Buch leistet Finzen einen
wichtigen Beitrag zur Diskussion um ein
humanes Sterben. Es ermutigt, Unsicherheiten, Zweifel und Ängste nicht zu
verdrängen. Denn das Sterben der anderen ist irgendwann auch das eigene.
Asmus Finzen, Das Sterben der Anderen,
Balance-Verlag, 15,95 Euro,
UB
ISBN 978-3-86739-047-7.
impressum
Magazin des PARITÄTISCHEN
ISSN-1866-1718
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Verantwortlich: Dr. Ulrich Schneider
Redaktion:
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Titelbilder:
Andreas Greiwe|Der Paritätische NordrheinWestfalen, Deutsche Vereinigung Morbus
Bechterew (www.bechterew.de), SelbsthilfeKontaktstelle Bielefeld
Verantwortlich für die Landsseiten:
Berlin: Rita Schmid, Tel.: 030/86 00 1-0.
Brandenburg: Irene Dause,
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Bremen: Anke Teebken, Tel.: 0421/79199-0.
Hessen: Annette Wippermann,
Tel.: 069/955262-0.
Mecklenburg-Vorpommern:
Christina Hömke, Tel.: 0385/59221-0.
Sachsen: Beate Hennig, Tel.: 0351/4916612
Thüringen: Doreen Handke,
Tel.: 036202/26-231.
Für Aufsätze und Berichte, die mit dem
Namen des Verfassers gekennzeichnet sind,
trägt dieser die Verantwortung.
Die Redaktion behält sich Kürzungen von
Leserbriefen vor. Nachdruck nur mit
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was · wann · wo
Präventionstag 2010
im Mai in Berlin
Großer Spielmarkt
„Bildung – Prävention – Zukunft“
heißt das Schwerpunktthema des 15.
Deutschen Präventionstages am 10.
und 11. Mai 2010 in Berlin. Mehr als
300 Referentinnen und Referenten beschäftigen sich mit einem breiten Themenspektrum aus dem gesamten Arbeitsfeld der (Kriminal-)Prävention.
Nähere Informationen – auch zu Beteiligungsmöglichkeiten von Gruppen,
Verbänden und Institutionen gibt es
auf der Internetseite www.praeventionstag.de.
Markt, Fachforum und Bildungsfest
– das alles ist der Spielmarkt der
Akademie Remscheid vom 18. bis
20. Februar 2010. Rund 70 spielund kulturpädagogische Institutionen, Gruppen, Initiativen und Fachleute aus Deutschland, Österreich
und der Schweiz präsentieren ihre
Arbeit an Ausstellungsständen, Büchertischen und in Themenräumen,
bei kurzen Workshops und Fachvorträgen. Schwerpunkt ist das Thema
Interkultur. Das detaillierte Programm finden Interessierte im Internet unter www.spielmarkt.de.
Sprachförderung bei
Kindern mit Down-Syndrom
Am 12. Februar 2010 veranstaltet der
Martinsclub Bremen e. V. in Kooperation
mit der Universität Bremen einen Fachtag zur Sprach(früh)förderung von Kindern mit Down-Syndrom. Expertinnen
und Experten wie Dr. Christel Manske,
Prof. Dr. Andre Zimpel und Prof. Dr.
Ursula Pixa-Kettner stellen neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Wahrnehmung und Sprachentwicklung von Kindern mit Trisomie 21 und Erfolg versprechende Methoden der Sprachförderung
vor. Weitere Informationen gibt es unter
www.martinsclub.de/unsere-inhalte/bildung/tagungen.
Symposion Frühförderung
Sprachförderung und Sprachtherapie
in der beziehungsorientierten Entwicklungsförderung stehen im Mittelpunkt des Münchner Symposion
Frühförderung am 19. und 20. März
2010 an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Veranstaltungsorganisation und
Sekretariat:
Arbeitsstelle Frühförderung Bayern
Pädagogische Abteilung
Seidlstraße 18a
80335 München
Tel.: 089 545898-20
www.fruehfoerderung-bayern.de
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Qualitätsstandards in
der Wundheilung
Vom 17. bis 19. Juni 2010 findet in Freiburg der 13. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Wundheilung
und Wundbehandlung e. V. statt. Die
DGfW e. V. hat sich als interdisziplinäre wissenschaftliche Fachgesellschaft
das Ziel gesetzt, den Wissenstransfer
zwischen Forschung und Praxis zur
verbesserten Behandlung akuter und
chronischer Wunden zu unterstützen.
Zentrales Thema der Jahrestagung
sind Leitlinien und Qualitätsstandards
in der Wundheilung und -behandlung,
Nähere Infos: www.wunde-wissen.de.
HanseMerkur Preis
für Kinderschutz
Karl Kübel Preis 2010:
„Macht uns stark!“
Sorge für Kinder ist Vorsorge für die
Zukunft. Unter diesem Motto vergibt
die HanseMerkur Versicherungsgruppe seit 1981 jährlich den mit 50.000
Euro dotierten HanseMerkur Preis für
Kinderschutz. Bewerben können sich
Projekte, die sich beispielhaft für erkrankte, sozial- beziehungsweise psychosozial belastete Kinder und Jugendliche engagieren oder die helfen, sozialen Gefährdungen vorzubeugen. Bewerbungen sind bis 31. März 2010
möglich. Nähere Informationen finden
Interessierte auf www.hansemerkur.de
(Unternehmen – Über uns – Engagement). Kontakt: E-Mail: [email protected], Tel.: 040/41191277.
Der mit 50.000 Euro dotierte Preis der
Karl Kübel Stiftung für Kind und Familie trägt 2010 den Titel „Macht uns
stark! Bildungs- und Präventionsnetzwerke für Eltern mit jungen Kindern“.
Ausgezeichnet werden Organisationen
und Einrichtungen, welche die Entwicklung von Kindern in den ersten
Lebensjahren wirksam fördern. Wichtig ist dabei der Modellcharakter der
Aktivitäten. Bewerbungsschluss ist
am 31. Januar 2010. Weitere Informationen finden Interessierte im Internet
unter www.karlkuebelpreis.de. Sie erhalten diese auch bei der Karl Kübel
Stiftung, E-Mail: [email protected],
www.kkstiftung.de, Tel.: 06251/7005-0.
Weltkongress: „Rechte werden Wirklichkeit“
Erstmals findet in Deutschland ein internationaler Kongress statt, der Menschen mit geistiger Behinderung, ihre
Familien, Dienstleistungsanbieter und
Fachleute der Behindertenarbeit zusammenführt. Die Bundesvereinigung
Lebenshilfe und ihr europäischer Dachverband Inclusion Europe sind die Ausrichter des 15. Weltkongresses von Inclusion International vom 16. bis 19.
Juni 2010 in Berlin. Schwerpunkt des
Weltkongresses ist die Konvention der
Vereinten Nationen für die Rechte behinderter Menschen.
Der Kongress soll dazu beitragen, die
Bedeutung der UN-Konvention zu verstehen und die Umsetzung dieser globalen Rechte voranzutreiben. Folgerichtig trägt der Kongress auch das Motto:
„Rechte werden Wirklichkeit!“
Weitere Informationen gibt es unter:
www.inclusion2010.de oder Tel.: 030/
206411-141, Fax: -241, E-Mail: kerstin.
[email protected].
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