Selbsthilfe – für mich und für andere
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Selbsthilfe – für mich und für andere
D 20493 E 01 | 2010 „Selbsthilfe – für mich und für andere“ Der Paritätische – starker Partner für eine starke Bewegung Nachrichten | Berichte | Reportagen 012976_Bundesteil_01_2010.indd 1 16.12.2009 16:13:43 Inhalt Editorial 3 Thema Selbsthilfe – für mich und für andere 6 Das Internet öffnet der Selbsthilfe Türen „In-Gang-Setzer“ auf Erfolgskurs „Manchmal geht es um Fragen von Leben und Tod“ Kendine Yardım Grubu – Eine Gruppe, die mir hilft Informationen zum Thema Selbsthilfe im Internet Selbsthilfe-Kontaktstellen in Sachsen-Anhalt stehen vor dem Aus Mehr Patientenorientierung ist angesagt „Wir bewegen – was uns verbindet“ Selbsthilfe auf Nachwuchssuche Geballte Kompetenz unter einem Dach 4 6 8 10 11 12 13 15 17 18 Sozialpolitik Massive Kritik an Plänen für Gesundheitspauschale Bleiberechtsregelung verlängert Fünf Jahre Hartz IV ... Wirtschaftsförderung muss mit Armutsbekämpfung verknüpft werden Gutscheine statt Betreuungsgeld? Grundgesetzänderung gefordert „Kürzerer Zivildienst bringt Probleme“ 19 19 19 20 21 21 21 Verbandsrundschau 25 Mehr Bildungsgerechtigkeit durch Bürgerschulen Dufte Briefmarken für einen guten Zweck Wechsel an der Verbandsspitze Genauer hinsehen, genauer hinhören Komfortabel und kostenfrei: der Datenschutzassistent „Armut muss berühren“ 22 23 23 23 24 25 Forum 29 2 www.der-paritaetische.de 012976_Bundesteil_01_2010.indd 2 Eine Fundgrube für Beratungsstellen „Wohnen am richtigen Platz“ Forschung: Leben mit seltenen Erkrankungen Leitfaden des VAMV: Das neue FamFG Sexuelle Gewalt. Beiträge aus Theorie und Praxis. Kinderrechte ins Grundgesetz Deutsches Kinderhilfswerk beklagt Verstoß gegen UN-Kinderrechtskonvention Neues Zentrum für eine bessere Zukunft DGSP-Memorandum zur medikamentösen Behandlung psychischer Erkrankungen 28 29 30 30 30 31 hören & sehen Rezension | Impressum was · wann · wo 34 35 36 31 32 33 1 | 2010 16.12.2009 16:13:45 Editorial Dr. Eberhard Jüttner, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes Liebe Leserinnen und Leser, übersetzt man das Wort Selbsthilfegruppe wörtlich ins Türkische, wird daraus eine „Hilf-Dir-Selbst-Gruppe“. Die Leiterin des in diesem Heft vorgestellten Projektes zur Selbsthilfeunterstützung für Migranten in Hamburg hat eine bessere Übersetzung gefunden: „Eine Gruppe, die mir hilft“. Selbsthilfegruppen sind kein Zusammenschluss von Einzelkämpfern. Sie sind das genaue Gegenteil. „Der Mensch ist die beste Medizin des Menschen“, sagt ein afrikanisches Sprichwort. Die gegenseitige Unterstützung, die sich Menschen in Selbsthilfegruppen aus eigener Betroffenheit heraus geben können, ist unverzichtbar und nichts, das von professionell tätigen Ärzten ersetzt werden kann. Das macht die Stärke der Selbsthilfearbeit aus. Doch auch die Selbsthilfe braucht einen starken Partner. Unter dem Dach des Paritätischen engagieren sich 110 bundesweit tätige Selbsthilfeorganisationen und mehr als 30.000 Selbsthilfegruppen für chronisch kranke und behinderte Menschen. Bei der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe reicht das Spektrum von A wie AIDS bis Z wie Zöliakie, von Aphasie bis Zwangserkrankung. Um die gemeinsamen Interessen gegenüber der Politik effektiv vertreten zu können, gibt es das „Forum chronisch kranker und behinderter Menschen im Paritätischen“. Die soziale Selbsthilfe ist ein weiterer Schwerpunkt: Von Arbeitslosen- und Beschäftigungsinitiativen über Migrantenselbstorganisationen bis zu den aus der Frauenbewegung entstandenen rund 200 Frauenhäusern. Insgesamt sind in diesen Selbsthilfegruppen rund 800.000 Menschen aktiv. Unterstützt wird ihre Arbeit durch mehr als 170 Selbsthilfekontaktstellen. Dieses breite Spektrum und die große Zahl der Mitglieder machen den Paritätischen zur ersten Adresse für die Selbsthilfe. Die Selbsthilfe ist eine wichtige Säule des deutschen Gesundheitswesens. Aus der Hilfe für chronisch kranke und behinderte Menschen ist eine aktive Selbsthilfebewegung entstanden, die sich der Selbstbestimmung und Selbstvertretung verschreibt und die eigenen Potenziale in den Vordergrund stellt. Doch es ist noch viel zu tun. So ist die Beteiligung an der Gestaltung des Gesundheitswesens mittlerweile zwar gesetzlich verankert. Doch die Paragrafen müssen mit Leben gefüllt, entsprechende Beteiligungsmöglichkeiten müssen geschaffen und ausgebaut werden. Und: Noch immer ist es nicht selbstverständlich, dass behandelnde Ärzte von sich aus Patienten Hinweise und Kontakte zu Selbsthilfegruppen vermitteln. Das zu ändern, hat sich das neue „Netzwerk selbsthilfefreundliches Gesundheitswesen“ zum Ziel gesetzt. Schließlich: Während die finanzielle Förderung der Selbsthilfe auf der einen Seite verbessert wurde und die Kassen jährlich rund 39 Millionen Euro zur Verfügung stellen, wird an anderer Stelle schon wieder mit massiven Kürzungen gedroht. Wenn der Arbeit der Selbsthilfe-Kontaktstellen in SachsenAnhalt tatsächlich, wie angekündigt, der finanzielle Boden unter den Füßen weggezogen werden sollte, wäre das ein herber Rückschlag für die Selbsthilfebewegung. Das muss verhindert werden. Die in dieser Ausgabe unseres Verbandsmagazins vorgestellten Projekte zeigen, wie aktive „Hilfe zur Selbsthilfe“ aussehen und unterstützt werden kann, wie Menschen anderen Menschen helfen, um gemeinsam mehr zu bewegen. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre! Herzliche Grüße, Ihr 1 | 2010 012976_Bundesteil_01_2010.indd 3 www.der-paritaetische.de 3 16.12.2009 16:13:47 Thema Das Internet öffnet der Selbsthilfe Türen Die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen untersucht Rolle der neuen Medien Rund 40.000 Mal im Monat wird www.nakos.de angeklickt. Tendenz: steigend. Die Betreiberin der Website, die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS), ist eine wichtige Adresse für viele Menschen, die Informationen rund ums Thema Selbsthilfe suchen. L insenschlottern ist ein Symptom einer seltenen Bindegewebserkrankung: Bestimmte Fasern am Auge fehlen oder sind zu schwach, um die Augenlinse am rechten Fleck zu halten. Barbara Krügers* zehnjähriges Kind hat dieses Linsenschlottern. Gerne möchte die Mutter sich mit anderen Eltern austauschen, die ebenso betroffene Kinder haben. Sie will mehr wissen über Krankheitsursachen und -verlauf, Therapien, eventuell notwendige Operationen und Forschungsergebnisse. Um Kontakte zu knüpfen und Informationen zu erhalten, hat sie sich in die „Blauen Adressen“ der NAKOS aufnehmen lassen. In dieser Datenbank sind Kontaktpersonen aufgeführt, die bundesweit Gleichbetroffene zu einer bestimmten Erkrankung oder einem spezifischen gesundheitlichen oder psychoso- zialen Problem suchen. Registriert sind dort auch einzelne Kontaktadressen bereits bestehender Selbsthilfegruppen zu seltenen Erkrankungen oder besonderen Problemen, die weitere Betroffene suchen. Wie etwa eine Selbsthilfegruppe zum Thema „Cyberstalking“. Dort treffen sich Menschen, die unter Nachstellungen, Belästigungen und Psychoterror von Tätern leiden, die unter anderem im Internet auf ihren Namen Waren bestellen oder intime Details und Lügen über sie im Netz verbreiten. Mehr als 400 Adressen bundesweit tätiger Selbsthilfeorganisationen und -vereinigungen im Sozial- und Gesundheitsbereich finden Interessierte in den „Grünen Adressen“ auf der NAKOS-Homepage – vom Arbeitskreis Down-Syndrom bis zum „Bundesverband Menschen in Insolvenz und neue Chancen e. V.“ Loka- Die NAKOS erleichtert vielen Menschen den Zugang zur Selbsthilfe. Das riesige Informationsangebot auf der Homepage leistet dazu einen wichtigen Beitrag. Foto: Deutsche Vereinigung Morbus Bechterew | www.bechterew.de 4 www.der-paritaetische.de 012976_Bundesteil_01_2010.indd 4 le Selbsthilfekontaktstellen und Selbsthilfe-Unterstützungseinrichtungen sind in den „Roten Adressen“ zu entdecken, europaweite Selbsthilfevereinigungen in der Datenbank „Orange Adressen“ und internationale Adressen im Feld der Selbsthilfegruppen-Unterstützung in den „Gelben Adressen“. Neben diesen Kontaktdaten gibt es auf der Homepage eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten, sich über das Thema Selbsthilfe zu informieren – über Wege zur besseren Einbindung von Migranten beispielsweise. Oder über Fakten zur finanziellen Förderung der Selbsthilfe, zu deren Verbesserung die NAKOS durch ihr Engagement maßgeblich beigetragen hat. Aber auch über Forschungsergebnisse und neue Entwicklungen in der Gesundheitspolitik ist einiges zu erfahren. Telefonische Beratung Wer im Internet nicht das Gesuchte findet, hat selbstverständlich auch die Möglichkeit, per E-Mail oder Telefon direkt Kontakt mit dem NAKOS-Team in Berlin aufzunehmen. Telefonische Aufklärung und Information zu Fragen der Selbsthilfe und Selbsthilfeunterstützung gehören ebenso zum Angebot der zentralen Service- und Informationsstelle. Wobei Dr. Jutta HundertmarkMayser, stellvertretende Geschäftsführerin der NAKOS, zwei Dinge ausdrücklich betont: „Wir verteilen kein Geld an Selbsthilfegruppen und -organisationen und vermitteln in der Regel nicht direkt an örtliche Selbsthilfegruppen, es sei denn für den Bereich Blaue Adressen: * Name geändert 1 | 2010 16.12.2009 16:13:48 Thema Seltene Probleme und Erkrankungen. Wir eröffnen Kontaktmöglichkeiten zu bundesweit tätigen Selbsthilfeorganisationen und zu den örtlichen Selbsthilfekontaktstellen, die Verzeichnisse der Gruppen in der Region führen.“ Bis zu 4.000 Anfragen erreichen die sieben fest angestellten NAKOS-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter sowie die zwei Projektkräfte pro Jahr. Zum Teil sind das sehr spezielle Anfragen von Leuten, die sich zuvor schon auf der Homepage kundig gemacht haben und nun noch Details wissen möchten. Oder aber es sind ältere Menschen, die das Internet nicht nutzen. Selbsthilfe und neue Medien Für immer mehr Menschen, die eine körperliche oder psychische Erkrankung haben oder behindert sind, ist es mittlerweile aber selbstverständlich, sich im Internet zu informieren und auch auszutauschen: in Blogs, Chats und Foren. Eine Entwicklung, die nun näher im Rahmen des zweijährigen (2009 – 2010) NAKOS-Projekts „Selbsthilfe und neue Medien“ untersucht wird. „Wir gehen der Frage nach, welche Rolle das Internet für die organisierte Selbsthilfe und Selbsthilfeorganisationen spielt und welche Bedeutung der Online-Austausch für Betroffene hat“, berichtet Projektleiterin Hundertmark-Mayser. Etwa ein Drittel der 360 in der NAKOS-Datenbank erfassten bundesweiten Selbsthilfeorganisationen und -verbände betreiben selbst Foren, Chats oder Blogs, um den Aus- Die 1984 gegründete NAKOS ist eine Einrichtung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e. V. (DAG SHG), die Mitglied im Paritätischen ist. Die DAG SHG ist der Fachverband der Selbsthilfeunterstützung und -förderung in Deutschland. Schwerpunkte ihrer Aktivitäten sind die fachliche Unterstützung der Selbsthilfe und das Bemühen um förderliche Rahmenbedingungen für die Arbeit von Selbsthilfegruppen (www.dag-shg.de). Mit der NAKOS hat die DAG SHG einen zentralen Ansprechpartner für die Belange von Selbsthilfegruppen, der Selbsthilfeunterstützung und der Selbsthilfeförderung in Deutschland geschaffen. Als bundeszentrale NetzwerkEinrichtung bringt sie Akteure der tausch im Internet zu ermöglichen. Darüber hinaus gibt es aber auch eine Vielzahl von Internet-Angeboten, die nicht an einen Verband oder eine Gruppe angedockt sind, viele beispielsweise zu Angststörungen, Essstörungen oder gesellschaftlich tabuisierten Themen wie etwa Mobbing, Mißbrauch oder Kaufsucht. „Wir haben uns selbst im Rahmen des Projekts in Foren eingeloggt und die Teilnehmenden nach ihren Motiven und Erfahrungen befragt“, sagt Diplom-Psychologin Hundertmark-Mayser. Dabei war immer wieder zu lesen, dass Anonymität, zeitliche Flexibilität und örtliche Unabhängigkeit wichtige Gründe für den Junge Menschen in der Selbsthilfe „Junge Menschen in der Selbsthilfe – Junge Menschen in die Selbsthilfe: Selbstsorge, Sorge und bürgerschaftliches Engagement stützen und erschließen“ – das war der Titel eines NAKOS-Projekts mit dem Ziel, junge Menschen im Alter zwischen 18 und Ende 20 stärker auf Selbsthilfegruppen aufmerksam zu machen. Dabei ging es einerseits darum, gelungene Beispiele der Selbsthilfegruppenarbeit junger Menschen sichtbar zu machen, andererseits aber auch herauszuarbeiten, welche Form der Unter- stützung Selbsthilfegruppen junger Menschen benötigen und Vorschläge für eine zielgruppen- und situationsgerechte mediale Ansprache zu entwickeln. So entstand aus dem Projekt die Internetseite www.schon-mal-anselbsthilfegruppen-gedacht.de, wurden Werbepostkarten und Flyer entworfen, um junge Menschen gezielter anzusprechen. Die Projektergebnisse sind zu finden auf der Website www.nakos.de. (Siehe auch Beitrag auf Seite 17 „Selbsthilfe auf Nachwuchssuche“) Selbsthilfeunterstützung und Selbsthilfeförderung zusammen und vertritt grundsätzliche Belange der Selbsthilfe in Öffentlichkeit und Politik. Als Service-Einrichtung bietet sie Bürgerinnen und Bürgern, Selbsthilfegruppen, Fachleuten und Medien vielfältige Informationen und Unterstützungsleistungen. Dies alles ist für Interessierte kostenlos. Die Arbeit der NAKOS wird vom Bundesgesundheitsministerium, dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und den gesetzlichen Krankenkassen finanziert. Kontakt: NAKOS, Wilmersdorfer Straße 39, 10627 Berlin, Tel.: 030/31 01 89 60 E-Mail: [email protected]. Internet: www.nakos.de Online-Austausch sind. Hinzu kommt die große Reichweite des Internets, die beispielsweise gerade bei seltenen Erkrankungen und Problemen einen bundesweiten oder grenzüberschreitenden Austausch erleichtert. Außerdem ermöglicht es der schriftliche Kontakt, „Gesagtes“ nachzulesen und sich über manches im Nachhinein klarer zu werden. Online und Face-to-Face Im Projekt wurde aber auch schon deutlich: Viele bleiben nicht beim OnlineAustausch, sondern wagen aufgrund der guten Erfahrungen dort auch den Schritt in eine „Face-to-Face-Selbsthilfegruppe“ oder gründen mit anderen „Chattern“ und „Foris“ eigene Gruppen. Jutta Hundertmark-Mayser ist überzeugt: Die neuen Medien sind für die Selbsthilfe keine Bedrohung, sondern eine Chance. Das Internet kann auf mehreren Ebenen Türöffner für die Selbsthilfe sein und sie ergänzen. Es geht nicht um ein Entweder-oder, sondern darum, die Möglichkeiten des Internets klug zu nutzen. Wahrscheinlich werde es künftig viel häufiger Menschen geben, die in eine „echte“ Selbsthilfegruppe gehen, wo sie den direkten persönlichen Kontakt schätzen, zwischen den Treffen aber auch per Mail Kontakt halten und davon profitieren, sich darüber hinaus online in Foren und Chats UB mit anderen austauschen. 1 | 2010 012976_Bundesteil_01_2010.indd 5 www.der-paritaetische.de 5 16.12.2009 16:13:48 Thema In-Gang-Setzer begleiten eine Selbsthilfegruppe in ihrer Startphase. Sie helfen, die organisatorischen und kommunikativen Voraussetzungen für deren künftige Arbeit zu schaffen. Aus dem eigentlichen Anliegen der Gruppe halten sie sich heraus – so lautet das Konzept. Foto: Andreas Greiwe Der Paritätische Nordrhein-Westfalen „In-Gang-Setzer“ auf Erfolgskurs Bundesweites Projekt gibt der Selbsthilfe neuen Schub Erfolg macht überflüssig. Für die Frauen und Männer, die als In-Gang-Setzer arbeiten, ist dieser Widerspruch Programm. Die ehrenamtlichen Kräfte helfen neuen Selbsthilfegruppen auf die Beine und ziehen sich zurück, sobald das erste „Stolpern“ überwunden ist. Das aus Dänemark stammende Konzept bereichert seit drei Jahren die Selbsthilfe-Arbeit in Deutschland: Der Paritätische Landesverband Nordrhein-Westfalen hat mit Unterstützung der Betriebskrankenkassen ein bundesweites Modellprojekt entwickelt. Daran sind mittlerweile 22 Selbsthilfe-Kontaktstellen in sechs Bundesländern beteiligt. Bis Ende 2010, hofft Projektleiter Andreas Greiwe, werden so rund 200 neue Selbsthilfegruppen entstanden sein. R osemarie Strauß aus Stralsund leidet unter Borreliose. Vor zwei Jahren, in einer schlechten Phase und noch allein mit ihrer Krankheit, keimte in ihr der Wunsch nach „Hilfe durch Austausch“. Gemeinsam mit der örtlichen Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen (KISS) veröffentlichte Frau Strauß einen entsprechenden Aufruf. Gleich 15 Personen folgten der Einladung. Rosemarie Strauß war überwältigt. „Ohne Beistand“, erinnert sie sich an das erste Treffen, „hätte ich gar nicht gewusst, was ich hätte tun müssen.“ Doch die KISS hatte ihr zur Vorbereitung eine In-Gang-Setzerin vermittelt. Die gelernte Krankenschwester führte die Gruppe freundlich, aber straff durch die Gespräche. Sie trug dazu bei, 6 www.der-paritaetische.de 012976_Bundesteil_01_2010.indd 6 dass die Schüchternen besser zu Wort kamen und jeder Teilnehmer in Ruhe ausreden durfte. Nach wenigen Treffen hatte die Gruppe ein tragfähiges Miteinander entwickelt, sodass Frau Strauß sich in der Lage sah, sie eigenständig zu leiten. Gefragt ist Einfühlungsvermögen Im Durchschnitt bleiben In-Gang-Setzer für vier bis sechs Treffen in den Gruppen. Gerade im Bereich psychischer Erkrankungen verläuft die Startphase oft zögerlich, weil viele Betroffene erst lernen müssen, Kontakt zu anderen aufzunehmen, sich zu öffnen und zu vertrauen. Das verlangt Einfühlungsvermögen und ein behutsames An-die-Hand-nehmen. Welches Vorgehen die Helferinnen und Helfer auch wählen, eines ist ihnen un- tersagt: „Die In-Gang-Setzer mischen sich nicht in die eigentlichen Anliegen der Gruppen ein“, erläutert Andreas Greiwe das wichtigste Prinzip des Konzepts. Die Unterstützer treten nicht als Experten, zum Beispiel für Borreliose oder Depression, auf. „Dann hätten die Leute automatisch jemanden, an den sie sich anlehnen könnten“, so der Projektleiter. Dies aber gelte es zu vermeiden, um keine Abhängigkeiten von einer bestimmten Person zu schaffen. In-Gang-Setzer seien keine „Gurus“, so Greiwe, sondern Moderatoren, die wissen, wie man eine Gruppe organisiert, und die Voraussetzungen für eine fruchtbare Kommunikation schaffen. „Sie achten zum Beispiel darauf, dass Verantwortungen verteilt werden“, sagt der 1 | 2010 16.12.2009 16:13:48 Thema Projektleiter. „Es sind schon Gruppen gescheitert, weil vergessen wurde, zu einem Folgetreffen einzuladen.“ Patentrezepte für eine „In-Gang-Setzung“ gibt es nicht. Damit die Betroffenen die Erfahrung machen: „Selbsthilfe tut gut“, „muss jede Gruppe ihren eigenen Weg finden“, betont Greiwe. Und die In-Gang-Setzer wiederum müssen dafür offen sein und akzeptieren, dass ihre Gruppe sie irgendwann nicht mehr braucht. Das fällt dem Projektleiter zufolge nicht immer leicht, obwohl es ja „ein Zeichen guter Arbeit ist“. Die an dem Projekt beteiligten Kontaktstellen haben dennoch keine Schwierigkeiten, neue Helferinnen und Helfer zu finden. Die meisten haben einen sozialberuflichen Hintergrund. Ideal seien Leute, die eigene Erfahrung in der Selbsthilfe mitbringen, so Andreas Greiwe. „Das erhöht die Glaubwürdigkeit bei den an Selbsthilfe Interessierten.“ Für ihre Aufgabe werden die In-GangSetzer – der Begriff ist markenrechtlich geschützt – von der Projektleitung geschult. Die Kontaktstellen begleiten sie kontinuierlich und bringen sie mit Un- terstützungssuchenden zusammen. Die Nachfrage ist groß, ebenso die Vielfalt der Selbsthilfe-Anliegen. Im Zuge des Projekts wurden etwa in Bielefeld neue Selbsthilfegruppen zu den Bereichen „Esoterik-Sucht“, „Nierenkrank“, „Angst und Panik“, „Depression“ und „Migräne“ gegründet. Geradezu einen „Boom“ verzeichnen die Projektverantwortlichen bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen. Die Angehörigen-Selbsthilfe wächst ebenfalls stark. Erfolgsquote: 62 Prozent In-Gang-Setzer werden aber nicht nur für „Neustarts“ hinzugezogen. Sie können ebenso für eine bestehende Gruppe hilfreich sein. „Manche Gruppen ermüden, es kriselt“, erklärt Andreas Greiwe. Außenstehende könnten in dem Fall neue Impulse geben, zum Beispiel das Miteinanderreden auffrischen oder Möglichkeiten zur Integration neuer Personen aufzeigen. Aus dem Projekt hat sich ein drittes Aufgabenfeld herausgeschält: In-Gang-Setzer als Initiatoren. Andreas Greiwe zufolge ist ein solches Vorgehen angebracht, „wenn eine Kontaktstelle zum Beispiel 20 Interessenten zu dem gleichen Thema registriert, aber niemand den ersten Schritt zur Gründung einer eigenen Selbsthilfegruppe wagt“. Nach der ersten Projektphase in den Jahren 2007 und 2008 haben die Verantwortlichen eine Zwischenbilanz gezogen. Demnach waren 62 Prozent aller In-Gang-Setzungen erfolgreich, das heißt: Die Gruppen wie die von Rosemarie Strauß arbeiten weiterhin. „Ein sehr gutes Ergebnis“, findet Andreas Greiwe, vor allem angesichts des hohen Anteils von Betroffenen im psychosozialen Bereich „denen es besonders schwer fällt, konstruktiv in Gruppen zu agieren.“ Bernd Kleiner Kontakt Der Paritätische Nordrhein-Westfalen Andreas Greiwe Projektleitung In-Gang-Setzer Friedrichstr. 1-2 48282 Emsdetten Tel.: 02572/953566 E-Mail: [email protected] – Anzeige – Beschaffungskrise? Entspannen Sie sich und nutzen Sie die neue Brother Rahmenvereinbarung. 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Er ist das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland und bestimmt letztlich, wie der Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für mehr als 70 Millionen Versicherte aussieht. Wie können Sie als einer von neun Patientenvertretern im G-BA Einfluss darauf nehmen, welche Leistungen der medizinischen Versorgung von der GKV erstattet werden? vertreter kein Stimmrecht. Wir oder sachkundige Vertreter, die wir vorab benennen können, dürfen in den Unter-Ausschüssen, deren Arbeitsgruppen und im Gremium selbst zwar mitdiskutieren und Anträge stellen – aber nicht darüber abstimmen. Und wir haben auch kein Mitbestimmungsrecht, was überhaupt auf die Tagesordnung kommt. Aber ich will unseren Einfluss nicht kleinreden. Wir Patientenvertreter haben der Übermacht der Leistungserbringer und Kostenträger schon so manches abtrotzen können. Wir stellen die spezifischen Sichtweisen und Bedürfnisse der Patienten und Versicherten dar. Unsere Argumente werden gehört und fallen häufig auch auf fruchtbaren Boden. Fällt Ihnen da ein konkretes Beispiel ein? Werner Kubitza: Ja, beispielsweise der Streit um die Übernahme von Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung. Nachdem die Übernahme von Fahrtkosten fast völlig gestrichen werden sollte, konnten wir erreichen, dass für stark in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen sowie Patientinnen und Patienten, die wegen einer Grunderkran- Werner Kubitza: Der Gemeinsame Bun- desausschuss ist ein sehr mächtiges Gremium mit einem nichtssagenden Namen, der meiner Meinung nach dringend geändert werden müsste. Vor lauter Neutralität erkennt man nämlich an dieser Bezeichnung überhaupt nicht, was der G-BA macht. Dabei trifft er Beschlüsse, die für kranke und behinderte Menschen von enormer Bedeutung sind – mitunter sogar über Leben und Tod entscheiden können. Leider sind unsere Mitgestaltungsmöglichkeiten im G-BA immer noch begrenzt. Anders als die Vertreter der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung haben wir Patienten- 8 www.der-paritaetische.de 012976_Bundesteil_01_2010.indd 8 Werner Kubitza (62) fordert mehr Mitbestimmungsrechte für die Vertreter chronisch kranker und behinderter Menschen im Gemeinsamen Bundesausschuss. Kubitza ist seit vier Jahren Präsident des Bundesverbandes der Kehlkopfoperierten. Seit zwei Jahren ist der ehemalige IG-MetallGeschäftsführer aus Salzgitter Sprecher des Forums chronisch kranker und behinderter Menschen im Paritätischen. Foto: Bauer 1 | 2010 16.12.2009 16:13:49 Thema kung häufiger zur ambulanten Behandlung müssen, eine Kostenübernahme für Fahrten sichergestellt ist. Aber natürlich gibt es auch andere Beispiele wie etwa die Einschränkung der Kostenerstattung für Insulin-Analoga zur Behandlung von Diabetes Typ 2, die vom Deutschen Diabetiker Bund als klarer Fall von Rationierung im Gesundheitswesen empfunden wird. In etwa 90 Prozent der Fälle finden im G-BA die Patienteninteressen aber Gehör. In zehn Prozent der Fälle jedoch auch nicht. Und da muss man schon fragen: Wie gewichtig sind diese zehn Prozent? Dahinter stehen ja ganz konkrete Schicksale. Und wenn man dann sieht, wie Patienten kämpfen müssen, dass ein Medikament zugelassen wird, das sie benötigen, kann man manchmal schon wütend werden. Ich bin überzeugt, wenn wir Patientenvertreter im G-BA mehr Mitbestimmungsrechte hätten, wäre die Ablehnungsquote niedriger als zehn Prozent. Wobei wir schon auch immer aufpassen müssen, dass Patienteninteressen und Interessen der Pharmaindustrie nicht miteinander vermischt werden. Ein anderes, aber ebenso wichtiges Thema: die finanzielle Förderung der Selbsthilfe durch die gesetzlichen Krankenkassen. Auch hier wünschen Sie sich Verbesserungen ... Werner Kubitza: Die Selbsthilfeförderung durch die gesetzlichen Krankenkassen findet seit 2008 auf zwei Wegen statt. Doch nur einer wird bislang im Großen und Ganzen dem Anspruch gerecht, zu einer verlässlicheren Förderung der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe zu führen, auch wenn bei weitem noch nicht alles optimal ist: Das ist die kassenübergreifende Gemeinschaftsförderung. Die krankenkassenindividuelle Förderung ist aber völlig unbefriedigend. Es ist ja im Sozialgesetzbuch gesetzlich geregelt, dass die Krankenkassen pro Versichertem jährlich einen bestimmten Betrag – das sind aktuell 57 Cent – zur Förderung der Selbsthilfe zur Verfügung stellen müssen. 2010 beläuft sich die Summe auf rund 40 Millionen Euro. Davon entfallen mindestens 50 Prozent auf die kassenübergreifende Gemeinschaftsförderung, die Das Forum chronisch kranker und behinderter Menschen im Paritätischen wurde 1986 von überregionalen Mitgliedsverbänden des Paritätischen gegründet. Inzwischen gehören ihm 38 bundesweite Mitgliedsorganisationen an. Wichtige Aufgabe des Forums ist es, politische Positionen zur Stärkung der Selbsthilfe und zur Unterstützung der Betroffenen zu erarbeiten. Im Gemeinsamen Bundesausschuss, dem Vertreter von Ärzten, Krankenkassen, Krankenhäusern und Patientenverbänden angehören, setzt das Forum sich für die Interessen von Patientinnen und Patienten bei der medizinischen Diagnose und Therapie sowie der Versorgung mit Medikamenten, Heil- und Hilfsmitteln ein. Es engagiert sich zudem im Patien- der Basisförderung der Selbsthilfe dient. Während die maßgeblichen Spitzenverbände der Selbsthilfe hier bei der Mittelvergabe aus dem Gemeinschaftsfonds eingebunden sind, mangelt es bei der kassenindividuellen Förderung jedoch sehr an Transparenz. Viele Kassen geben noch nicht einmal bekannt, nach welchen Grundsätzen gesundheitsbezogene Projekte der Selbsthilfe gefördert werden. Das hat zu Folge, dass Selbsthilfeorganisationen grundlegende Informationen fehlen, wie sie beispielsweise an Mittel kommen und wer ihre Ansprechpartner sind. Außerdem ist die Förderpraxis uneinheitlich und unübersichtlich. Der Paritätische fordert daher, dass die Krankenkassen verpflichtet werden müssen, ihre Grundsätze für die kassenindividuelle Förderung bekannt zu geben, und dass die Spitzenorganisationen der Selbsthilfe an der Vergabe der Mittel beteiligt werden. Und die Kassen müssen transparent machen, wieviel Geld sie für die „indirekte Selbsthilfeförderung“ behalten, etwa für Personal- und Sachkosten im Zusammenhang mit der Selbsthilfeförderung. Da gibt es mit einer Spannbreite, die zwischen zwei und neun Cent pro Versichertem pro Jahr liegt, enorme Unterschiede zwischen den Kassen. Die Förderkriterien und -transparenz gehören tenforum, einem Zusammenschluss aus Vertretern von Patienten- und Behindertenorganisationen, der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Vereinigung, der sich für Qualitätsverbesserungen im Gesundheitswesen einsetzt. Wichtige Voraussetzungen, um das alles leisten zu können, sind eine enge Vernetzung der Mitgliedsorganisationen und eine gute Kooperation mit der Abteilung für Rehabilitation und Gesundheit beim Paritätischen Gesamtverband und den Fachabteilungen der Landesverbände sowie die Einbindung der Akteure in Verbandsgremien wie dem Verbandsrat. Weitere Informationen gibt es im Internet auf der Seite www.selbsthilfe. paritaet.org. dringend auf die Agenda. Unseres Erachtens müsste darüber hinaus generell das Verhältnis zwischen kassenübergreifender und kassenindividueller Förderung von „halbe halbe“ verschoben werden zu einem Verhältnis von 70:30. Sie können sich auch noch andere Wege zur Unterstützung der Selbsthilfe durch die Kassen vorstellen. Werner Kubitza: Es wäre sinnvoll, wenn alle Krankenkassen, also auch die Privaten, die Mitgliedschaft ihrer Versicherten in einer Selbsthilfeorganisation ebenso wie die Teilnahme an Präventionsprogrammen beispielsweise über Bonussysteme honorieren. Und außerdem könnten die Mitgliedsbeiträge bei der jährlichen Belastungsgrenze angerechnet werden, über die hinaus Versicherte keine Zuzahlungen mehr zu Arztkosten, Medikamenten und ähnlichem zahlen müssen. Es gibt noch viele Möglichkeiten, die Selbsthilfe besser zu unterstützen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch eine Anregung in den Verband hinein geben: Viele Selbsthilfegruppen müssen für ihre Treffen Räume anmieten. Wenn sie verstärkt die Möglichkeit haben, Räume des Paritätischen zu nutzen, wäre das für viele ein Gewinn. UB 1 | 2010 012976_Bundesteil_01_2010.indd 9 www.der-paritaetische.de 9 16.12.2009 16:13:50 Thema Kendine Yardım Grubu – Eine Gruppe, die mir hilft KISS Hamburg erleichtert Migranten den Zugang zur Selbsthilfe Gut ein Viertel der Hamburger Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund. In den 1.500 Selbsthilfegruppen der Hansestadt suchen Migranten eher selten Unterstützung. Der Paritätische Hamburg, Träger der Kontakt- und Informationsstellen für Selbsthilfegruppen (KISS), will wissen, warum das so ist. Seit einem Jahr lotet eine KISS-Mitarbeiterin aus, wie sie Migranten die Tür zur Selbsthilfe öffnen kann. S chon das Wort ist ein Problem: Selbsthilfegruppe. Wörtlich ins Türkische übersetzt würde daraus eine „Hilf-Dir-Selbst-Gruppe“. Klingt eher nach Einzelkämpfern. Serpil Klukon hat deshalb mit einem Psychologen aus Istanbul eine Weile gegrübelt, bis ihr eine gute Übersetzung einfiel: „Eine Gruppe, die mir hilft“. Das war die erste Hürde, sagt die Leiterin des Projektes „Weiterentwicklung der Selbsthilfeunterstützung für Migranten in Hamburg“. Seit Oktober 2008 hat sie bereits etliche Hürden überwunden. Mit leichten Themen beginnen Serpil Klukon, die sowohl in der deutschen als auch der türkischen Kultur zuhause ist, schwebt ein Ziel vor Augen: allen Migrantinnen und Migranten den Zugang zur Selbsthilfe zu ermöglichen. Damit meint sie auch und gerade die, die wenig deutsch sprechen und in Deutschland alt werden, obwohl sie ihr Leben lang von der Heimat träumen. Viele Frauen leiden unter psychischen Erkrankungen, beobachtet Klukon. Viele rufen an, weinen und klagen über Depressionen. Es wundert sie nicht: „Frauen tragen die Last der Migration mehr.“ Die Männer arbeiten, die Frauen haben fast keine Kontakte zur Außenwelt. Wenn die Kinder dann das Haus verlassen, kommt die Leere. Hamburg ist fremd geblieben, die Heimat fremd geworden. Bis die ersten Anrufe kamen, hat Serpil Klukon unermüdlich Kontakte geknüpft. Zur Auftaktveranstaltung des Projekts 10 www.der-paritaetische.de 012976_Bundesteil_01_2010.indd 10 hat sie Vertreter der Moscheevereinigungen, der Migrantenorganisationen, der Beratungsstellen und der Verwaltung eingeladen. Einig waren sich alle Gäste, dass Selbsthilfe für Menschen anderer Kulturen mit leichten Themen beginnen, Tabuthemen beachten und genügend Zeit geben sollte. Sie dürfe sich nicht von bisher bewährten Selbsthilfekonzepten einengen lassen. Seither pflegt Klukon die Kontakte zu Schlüsselpersonen sorgsam. „Einmal hingehen reicht nicht“, sagt sie. Wichtig sei, dass sie immer wieder gesehen werde. Erst dann reichen ihre Ansprechpartner die türkischsprachigen Infokarten der KISS Hamburg an Ratsuchende weiter. Selbsthilfe ist so ähnlich wie Goldtage Serpil Klukon war schnell mit Tabuthemen konfrontiert: psychische Probleme und Alkohol. Beide Tabus sind eng mit Religion und Volksglauben verbunden. „Viele meinen, wer seelisch krank ist, ist vom Glauben abgekommen“, sagt Serpil Klukon. Manche machten auch böse Geister oder böse Blicke dafür verantwortlich. Alkohol sei in muslimischen Ländern verboten. Es werde aber viel getrunken – heimlich. Trotzdem hat es die türkisch sprechende Beraterin geschafft, zu beiden Themen Selbsthilfegruppen zu initiieren. Sie hat engagierte Gründerinnen und Gründer gefunden, denen sie klar machen konnte, dass sie nicht alleine mit ihren Problemen sind. Gründer zu motivieren gelingt ihr nur, wenn sie den Selbsthilfegedanken in die türkische Kultur übersetzt. Frauen er- Selbsthilfeberaterin Serpil Klukon Foto: Gerlinde Geffers klärt sie die Selbsthilfe etwa analog zu den vertrauten Goldtagen in der Türkei: Zwölf Frauen treffen sich zwölf Monate lang. Einmal im Monat lädt eine Frau zu Tee und Köstlichkeiten ein. Jede gibt ihr dafür einen Goldtaler. So tauschen sich die Frauen aus, geben Neuigkeiten weiter und spinnen ein Kommunikationsnetz, denn manche sind in mehreren Gruppen aktiv. „Die Frauen tun an den Goldtagen etwas für sich selbst“, so Serpil Klukon. „Wenn ich ihnen erkläre, Selbsthilfe ist so ähnlich wie die Goldtage, dann denken sie darüber nach.“ „Gib’ die Hoffnung nicht auf“ Einige Frauen, die unter Selbstwertproblemen und Depressionen leiden, haben eine Gruppe gegründet. Sie werben mit 1 | 2010 16.12.2009 16:13:50 Thema den Worten: „Gib die Hoffnung nicht auf, warte nicht ab, komm zu uns.“ Während der Treffen reden sie sich ihre Sorgen von der Seele und tanken neue Kraft. KISS-Kolleginnen lernen vom Projekt Serpil Klukon ist in die Arbeit der KISS Hamburg vollständig integriert. Wie ihre Kolleginnen berät sie alle Anrufer am Selbsthilfetelefon. Je mehr sie über die unterschiedlichen Gruppen und die Unterstützung durch die Selbsthilfe-Kontaktstelle lernt, desto deutlicher sieht sie die Unterschiede zwischen den Kulturen. Die Kolleginnen lernen mit. Petra Diekneite, die Leiterin der KISS-Wandsbek, findet das nicht nur spannend, sondern auch notwendig: „Wir brauchen eine gemeinsame Basis, damit die Verzahnung und die Analyse gelingen.“ Schritt für Schritt So erleben alle, dass KISS Hamburg Migranten nicht einfach auf eine Sammelliste für ein Anliegen setzen kann, um dann mit Öffentlichkeitsarbeit nach weiteren Interessenten für eine Gruppengründung zu suchen. Serpil Klukon muss Gründer und Gründerinnen stärker motivieren und Schritt für Schritt begleiten – vom ersten Handzettel bis zur Gestaltung der Gruppensitzungen. Auch nach der Gründung ist sie immer für sie da. Auf diese Weise hat sie auch einer Gruppe trockener Alkoholiker den Weg in die Selbsthilfe geebnet. Die türkischen Männer hatten sich gemeinsam in einer Suchtberatungsstelle auf den medizinisch-psychologischen Führerscheintest vorbereitet. Anfangs waren sie misstrauisch, wohl auch aus Scham. Es war nicht leicht, die Bedenken der Männer zu zerstreuen, sie könnten vielleicht auf dem Weg zur KISS gesehen werden. Inzwischen helfen sie sich gegenseitig, auch dann nicht zur Flasche zu greifen, wenn sie unter Druck stehen. Ohne Übersetzer geht es nicht Drei Jahre hat Serpil Klukon Zeit, die Wege zu erkunden, die Migranten in die Selbsthilfe führen können. Solange finanziert die AOK Rheinland/Hamburg das Projekt. Klukon probiert derzeit viele Zugangswege aus: Im November hat sie zum ersten Mal gemeinsam mit der Deutschen Parkinson Vereinigung e. V. türkischsprachige Ärzte und Apotheker eingeladen, um sie als Multiplikatoren zu gewinnen. Sie hat mit Hilfe einer russisch-deutschen Kollegin eine russischsprachige Alkoholikergruppe ins Leben gerufen. Sie hat eine junge Türkin beraten, die neu in Hamburg ist und für ihre Selbsthilfegruppe kulturell interessierte Frauen sucht, und einen Mann mit libanesischem Hintergrund, der sich ausgegrenzt fühlt und sich mit anderen Männern austauschen möchte. Bislang ist jedes Selbsthilfethema neu, für jedes Thema müssen die Kontaktwege erst gefunden werden. Daran, dass das Projekt in zwei Jahren beendet sein will, mag Serpil Klukon im Moment nicht denken. Eins aber weiß sie schon jetzt: Ohne Menschen, die zwischen den Kulturen übersetzen, ist die Selbsthilfe für Migranten viel schwerer zu erschließen. Gerlinde Geffers Kontakt Serpil Klukon KISS Hamburg Kontaktstelle KISS-Wandsbek Brauhausstieg 15-17 22041 Hamburg Tel.: 040/399 263 53 Mi. 14.00 -18.00 Uhr Fax: 040/399 263 52 E-Mail: Serpil.Klukon@ paritaet-hamburg.de Oder Der Paritätische Hamburg e. V. Dr. Wolfgang Busse Leiter KISS Hamburg Wandsbeker Chaussee 8 22089 Hamburg Tel.: 040/41 52 01 80 E-Mail: [email protected] Informationen zum Thema Selbsthilfe im Internet Der Umfang eines Verbandsmagazins ist leider begrenzt, das world wide web jedoch grenzenlos. Darum hier ein paar Hinweise auf Internetangebote rund ums Thema Selbsthilfe: www.selbsthilfe.paritaet.org Diese Internetseite präsentiert künftig die Arbeit des Paritätischen im Bereich der Selbsthilfe auf Bundes- und Landesebene sowie das Engagement des Forums chronisch kranker und behinderter Menschen im Paritätischen. www.selfhelp-emr.eu Hierbei handelt es sich um eine dreisprachige Website, die als interaktives Netz die grenzüberschreitende Selbsthilfekommunikation in Deutschland, Belgien und den Niederlanden fördert. Dahinter steht das Netzwerk self-help emr, in dem seit 1988 die professionellen Selbsthilfe-Kontaktstellen und Patientenberatungsstellen in der Euregio Maas-Rhein zusammenarbeiten. www.sinn-x.de Sinn steht für Soziales InterNet Netz und ist ein Werkzeug für im Sozialbereich Tätige, das die Paritätische Akademie kostenfrei zur Verfügung stellt, um die Kommunkation im sozialen Bereich zu verbessern. Unter anderem stellen sich dort auch Selbsthilfegruppen mit kurzen Videos vor. www.patientennetz.net/patientennetz_0509/wordpress/ Im PatientInnen-Netzwerk NordrheinWestfalen arbeiten zahlreiche bürgerschaftlich organisierte und von Kostenträgern sowie Leistungserbringern unabhängige Gruppen und Initiativen zusammen, die Patientinnen und Patienten beraten und unterstützen. www.selbsthilfenetz.de Internetportal des Paritätischen Landesverbands Nordrhein-Westfalen zum Thema Selbsthilfe in NRW 1 | 2010 012976_Bundesteil_01_2010.indd 11 www.der-paritaetische.de 11 16.12.2009 16:13:51 Thema Selbsthilfe-Kontaktstellen in Sachsen-Anhalt stehen vor dem Aus Ein System droht zusammenzubrechen – kurz nach seinem Aufbau Die Zukunft von mindestens acht der 14 Selbsthilfe-Kontaktstellen in Sachsen-Anhalt steht infrage, nachdem die Landesregierung dieses Jahr keine Personalkostenzuschüsse für die Kontaktstellen gewähren will. Bislang wird deren Arbeit im Haushaltsentwurf 2010 nicht einmal mehr erwähnt. D abei hat das Land selbst den Ausbau der Selbsthilfeunterstützung vor drei Jahren forciert“, erinnert Oliver Zobel, Grundsatzreferent des Paritätischen für die Selbsthilfe in Sachsen-Anhalt. 2007 hatte die Landesregierung 250.000 Euro investiert, um die SelbsthilfeKontaktstellen landesweit auf- und auszubauen. Das Unternehmen gelang, inzwischen gibt es in jeder kreisfreien Stadt und jedem Landkreis SachsenAnhalts hauptamtlich besetzte Kontaktstellen. Sie betreuen rund 900 Selbsthilfegruppen zu gesundheitlichen und etwa 300 zu sozialen Themen mit insgesamt mehr als 19.000 Mitgliedern. Vermittlung vor Ort nötig Viele dieser Gruppen wären ohne die Arbeit der Kontaktstellen erst gar nicht entstanden. „Gerade wenn es um Krankheit, Sucht, Drogen oder andere Belastungen geht, braucht es Unterstützung, Begleitung und vielfach auch Anonymität“, sagt Oliver Zobel, „Menschen mit derselben speziellen Krankheit in einer Region finden sich nicht im Internet – da braucht es Vermittlung vor Ort.“ Diese Vermittlung, aber auch die Zusammenarbeit mit Krankenhäusern, Ärzten, Behörden, Krankenkassen sowie Öffentlichkeitsarbeit leisten die Kontaktstellen. Sie stellen den Selbsthilfegruppen Räume zur Verfügung und vermitteln Fachreferenten. Bei einem runden Tisch des Paritätischen im Oktober vergangenen Jahres berichteten viele, wie Selbsthilfe dem Gesundheitssystem Geld spart. 12 www.der-paritaetische.de 012976_Bundesteil_01_2010.indd 12 Ob es die Tabletten sind, auf die eine Frau verzichten kann, seit sie in einer Selbsthilfegruppe ist, oder die Arztbesuche, die sich an einer Tagesklinik seit Einrichtung einer Selbsthilfegruppe im Haus verringert haben. „Solche Praxiserfahrungen haben die Kontaktstellen gesammelt und wollten sie für eine wissenschaftliche Evaluierung aufbereiten“, berichtet Oliver Zobel. Doch bereits 2009 kürzte das Land seine Personalkostenzuschüsse auf 110.000 Euro. Die Kontaktstellen konn- ten nur noch halbtags arbeiten. Den Wert der eigenen Arbeit, zum Beispiel in Zahlen zu ermitteln und zu dokumentieren, ist so nicht mehr möglich. Ministerium: Nur Anschubfinanzierung Das Sozialministerium rechtfertigt die Streichung: Die Mittel seien von Anfang an als „Anschubfinanzierung“ gedacht gewesen. „So wurde das nie kommuniziert“, widerspricht der Grundsatzreferent des Paritätischen. Es mache vor allem auch keinen Sinn. Bisherige Standorte der 14 SelbsthilfeKontaktstellen in Sachsen-Anhalt 1 | 2010 16.12.2009 16:13:51 Thema Denn es gibt keine Alternative. Landkreise und Kommunen sind nur in Einzelfällen finanziell stark genug, um ihre Kontaktstelle im Rahmen der Daseinsvorsorge ausreichend zu fördern. Für sechs der 14 Einrichtungen besteht Hoffnung, auf diesem Weg zu überleben. Andere Finanzierungswege wie Bußgelder, Stiftungen, Spenden und Sponsoren sind in Sachsen-Anhalt nicht etabliert, steuern aber auch bei Kontaktstellen in anderen Bundesländern weniger als zwei Prozent der Kosten bei. Die Förderung der Krankenkassen funktioniert zwar gut, aber sie steht nur für Sachkosten zur Verfügung, nicht für das dringend benötigte Personal. „Gerade die Umsetzung dieser Förderung nach Paragraf 20c des Sozialgesetzbuchs V ist auch ein Erfolg der engen Zusammenarbeit zwischen Selbsthilfegruppen und ihrer Kontaktstelle“, betont Oliver Zobel, denn viele Gruppen wären ohne Unterstützung der Kontaktstellen gar nicht in der Lage, eine Förderung zu beantragen.“ Peter Piechotta von der Paritätischen Regionalstelle Süd stellt klar: „Das Land hat viel Geld investiert, um etwas aufzubauen – was jetzt wieder zerstört wird.“ Dabei könnte Sachsen-Anhalt aus seinen eigenen Erfahrungen lernen. Das Land hatte bereits in den 90er Jahren in einem Modellversuch Selbsthilfe-Kontaktstellen aufgebaut. Nach dessen Auslaufen schloss eine Kontaktstelle nach der anderen mangels Personalförderung, mancherorts wurde die Arbeit von anderen Kräften „nebenher“ erledigt. Damit gibt es aber keine Kontinuität der Ansprechpartner – die oft entscheidend ist. Gesellschaftliche Aufgabe „Jetzt stehen wir wieder am selben Punkt“, meint Oliver Zobel, resigniert aber nicht, sondern mahnt weiter: „Selbsthilfeunterstützung zu finanzieren ist eine klare gesamtgesellschaftli- che Aufgabe, die eben auch in Verantwortung des Landes liegen muss.“ Nach monatelangen Protesten des Paritätischen hat der Sozialausschuss des Landtages Ende November zwar empfohlen, doch einzulenken und wieder für die nächsten beiden Jahre jeweils 50.000 Euro für die Kontaktstellen zu bewilligen. Diese Empfehlung muss aber erst noch den Finanzausschuss, das Kabinett und schließlich den Landtag passieren. Werden die Gelder zugesagt, würde dies für Oliver Zobel zwar eine symbolische Anerkennung und Ansporn für die weitere notwendige gemeinsame Überzeugungsarbeit der Selbsthilfe in Sachsen-Anhalt darstellen, doch die Arbeit selbst sichern sie nicht. 50.000 Euro sind ein Fünftel der Ausgangssumme von 2007. Doch wie soll die jeweils umfangreiche Arbeit in einer „Fünftel-Stelle“ gelingen? Gisela Haberer Mehr Patientenorientierung ist angesagt Netzwerk will Kliniken und Arztpraxen für Kooperation mit der Selbsthilfe gewinnen Endlich hat Nina M. Klarheit. Jetzt weiß sie, was für die Schmerzen und Beschwerden verantwortlich ist, die sie seit Monaten quälen: Endometriose, eine chronische Erkrankung, bei der Gebärmutterschleimhaut auch an anderen Stellen im Körper wächst. Zum Glück ist die Ärztin nicht so hektisch und nimmt sich Zeit für ihre Fragen. Von ihr hat sie auch den Flyer einer Selbsthilfegruppe bekommen, die sich sogar im Krankenhaus trifft. Da erfährt Nina bestimmt, wie es anderen mit der Krankheit geht. Dass Ärzte und Pflegepersonal nicht nur sporadisch, wenn es gerade mal passt, über Aktivitäten von Selbsthilfegruppen informieren, sondern die Kooperation zwischen Gesundheitswesen und Selbsthilfe zur Regel wird, ist Ziel des Projekts „Selbsthilfefreundlichkeit im Gesundheitswesen.“ H orst Jacob ist froh, wie gut sich am Klinikum Bielefeld die Kooperation mit der Selbsthilfe entwickelt hat. Der ehemalige Diakon, Krankenpfleger und Operationssaal-Leiter kennt beide Seiten – die des Krankenhauses und die der Patienten. Der 66-Jährige ist selbst herzkrank und engagiert sich in der Selbsthilfegruppe „Herzpatienten im Gespräch“. Einmal monatlich trifft sich die Gruppe im Bielefelder Kli- nikum zum Erfahrungsaustausch, hört Vorträge zu gesundheitlichen, aber auch zu sozialen Themen. Im Rahmen des 2008 gestarteten Projekts „Selbsthilfefreundliches Krankenhaus NRW“ hat sich das Klinikum Bielefeld für eine intensivere Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen entschlossen. Und das, so Horst Jacob, macht sich sehr positiv bemerkbar. „Früher konnten wir zwar auch einen Raum im Krankenhaus für unsere Treffen nutzen, waren aber nicht weiter in die Klinik integriert. Viele Ärzte wussten gar nicht, dass es uns gibt. Und wenn ich mal versucht habe, einen Arzt für einen Vortrag zu gewinnen, hieß es meistens: Keine Zeit.“ Wenn Horst Jacob jetzt denkt, dass es zu einem bestimmten Thema sinnvoll wäre, einen Arzt einzuladen, wendet er sich an Sandra Knicker, die als Leiterin des Patienteninformationszentrums (PIZ) am Bielefelder 1 | 2010 012976_Bundesteil_01_2010.indd 13 www.der-paritaetische.de 13 16.12.2009 16:13:54 Thema Klinikum schon Erfahrung in der Kooperation mit Selbsthilfegruppen hat. Sie ist jetzt auch „Selbsthilfebeauftragte“ der Klinik und hält nicht nur den Kontakt zu den kooperierenden Selbsthilfegruppen, sondern verbreitet den Gedanken des selbsthilfefreundlichen Krankenhauses auch innerhalb der Klinik in allen möglichen Abteilungen. Außerdem koordiniert sie die unterschiedlichsten Aktivitäten rund ums Thema Selbsthilfe. Die Zusammenarbeit systematisch verbessern Unterstützt wird Sandra Knicker dabei von Christa Steinhoff-Kemper von der Selbsthilfe-Kontaktstelle Bielefeld (BIKIS), die das Projekt „Selbsthilfefreundliches Krankenhaus NRW“ leitet. Die Selbsthilfe-Kontaktstelle Bielefeld, gleichzeitig Standort der Unterstützungsagentur NRW, war es auch, die das Konzept „Selbsthilfefreundlichkeit als Qualitätsmerkmal“ weiterentwickelt hat. Das Konzept beruht auf den positiven Erfahrungen des Hamburger Modellprojektes „Qualitätssiegel Selbsthilfefreundliches Krankenhaus“, das unter der Federführung von Monika Bobzien und Professor Alf Trojan (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) durchgeführt wurde. Dabei wurden gemeinsam mit Selbsthilfegruppen und Krankenhäusern die Qualitätskriterien (Siehe Kasten unten) entwickelt. Projektziel ist es, häufig zufällige, von Einzelpersonen abhängige Kooperationen systematisch zu erfassen, sie damit zu stärken und nachhaltig zu unterstützen. Christa Steinhoff-Kemper hilft dem Klinikum Bielefeld, systematisch die Zusammenarbeit mit der Selbsthilfe zu verbessern und zu intensivieren. Die Umsetzung der Qualitätskriterien erfolgt in Qualitätszirkeln, in denen Selbsthilfegruppen und der/die Selbsthilfebeauftragte des Krankenhauses unter Moderation der Selbsthilfe-Kontaktstelle konkrete Maßnahmen erarbeiten. Beispielsweise sieht eine Maßnahme zur Erfüllung des 2. Qualitätskriteriums vor, dass gemeinsam verbindliche Absprachen für die Zusammenarbeit getroffen werden. Horst Jacob konnte daraufhin bei einem Treffen seiner Gruppe mit dem Personal der Kardiologischen Station darüber beraten, wann und wie Patienten am besten auf die Möglichkeit angesprochen werden, sich an eine Selbsthilfegruppe zu wenden. „Ich hatte den Eindruck, die finden das richtig gut, dass es jetzt eine intensivere Kooperation mit Selbsthilfegruppen gibt. Von den Schwestern kamen tolle Vorschläge, was man noch verbessern kann. Da war schon klar: Es geht ja nicht nur darum, einen Flyer zum Mitnehmen in einen Kasten zu stecken. Es kommt auch auf das persönliche Gespräch an“, betont Jacob. Und schließlich haben engagierte Pflegekräfte auch ein besseres Gefühl, wenn sie wissen, dass ihre Patienten nach der Entlassung aus der Klinik nicht in einen luftleeren Raum fallen, sondern sich Unterstützung bei Selbsthilfegruppen holen können. „Die Orientierung an den Bedürfnissen und Interessen der Patientinnen und Patienten ist ein wichtiges Qualitäts- Acht Qualitätskriterien für selbsthilfefreundliche Krankenhäuser • Bereitstellung von Räumen, Infrastruktur, Präsentationsmöglichkeiten für die Selbsthilfe • Regelhafte Information der Patienten und Patientinnen über Selbsthilfe • Unterstützung der Öffentlichkeitsarbeit von Selbsthilfe-Zusammenschlüssen • Benennung eines/r Selbsthilfebeauftragten • Regelmäßiger Erfahrungs- und Informationsaustausch • Einbeziehung der Selbsthilfe in die Fort- und Weiterbildung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen im Krankenhaus • Mitwirkung der Selbsthilfe an Qualitätszirkeln, Ethikkommissionen • Formaler Beschluss und Dokumentation der Kooperation 14 www.der-paritaetische.de 012976_Bundesteil_01_2010.indd 14 Patientenorientierung ist keine Goodwill-Aktion: Im Sozialgesetzbuch V ist die Einbindung der Selbsthilfe in die professionelle gesundheitliche Versorgung gesetzlich festgeschrieben. Zudem ist Patientenorientierung ein wichtiges Kriterium bei der Bewertung des Qualitätsmanagements von Krankenhäusern. Immer mehr Institutionen des Gesundheitswesens erkennen, dass sie selbst davon profitieren, wenn sie das Erfahrungswissen der Patientinnen und Patienten mit ihrem ärztlichen und pflegerischen Knowhow verknüpfen. kriterium für unsere Kliniken“, sagt Arno Schäfer, Referent für Medizin und Qualitätsmanagement beim evangelischen Krankenhausverbund Valeo, der im Mai 2009 ebenfalls einen Kooperationsvertrag mit dem Projekt „Selbsthilfefreundliches Krankenhaus NRW“ unterschrieben hat. Inzwischen beteiligen sich alle neun Akutkliniken des Verbundes in Westfalen am Projekt. Arno Schäfer ist von den ersten Erfahrungen begeistert. Der Internist und Gesundheitsökonom ist überzeugt. „So ein Projekt muss eine Winwin-Situation sein, sonst wird es keine Nachhaltigkeit geben.“ Die Kooperation mit der Selbsthilfe sei schon mit beachtlichem personellem und zeitlichem Aufwand verbunden, aber der lohne sich nicht nur für die Patientinnen und Patienten, sondern auch für die Kliniken. Die Projektarbeit fördere auch in der Institution Krankenhaus die Transparenz, den Wissenstransfer, die Vernetzung und den Aufbau neuer Strukturen, die sich positiv auf die Qualität auswirkten, so Schäfer. „Netzwerk Selbsthilfefreundlichkeit im Gesundheitswesen“ „Wir stoßen in den meisten Krankenhäusern in Nordrhein-Westfalen auf offene Ohren“, freut sich Projektleiterin Christa Steinhoff-Kemper. Diese gute Resonanz hat schließlich auch die Pläne befördert, das Projekt auf andere Bundesländer auszuweiten. Einbezogen werden sollen neben Kliniken auch Arzt- 1 | 2010 16.12.2009 16:13:54 Thema praxen, für die das Krankenhauskonzept aktuell modifiziert wird. Um das Projekt bundesweit voranzubringen, entstand 2009 das „Netzwerk Selbsthilfefreundlichkeit im Gesundheitswesen – gemeinsam für Selbsthilfe- und Patientenorientierung“, dessen Koordinierungsstelle beim Paritätischen Gesamtverband in Berlin angesiedelt ist, aber verbandsübergreifend arbeitet. Träger des Netzwerks ist die „GSP – Gemeinnützige Gesellschaft für soziale Projekte mbH“, die Projektgesellschaft des Paritätischen in Nordrhein-Westfalen. Dem Netzwerk gehören bislang als weitere Partner an: die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) und das Institut für Medizin-Soziologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) „Der Bundesverband der Betriebskrankenkassen (BKK) hat das Netzwerkprojekt initiiert und fördert es finanziell. Er hat zuvor bereits das Projekt in NRW sowie das Pilot-Modellprojekt „Qualitätssiegel Selbsthilfefreundliches Krankenhaus“ in Hamburg und das Projekt „Selbsthilfefreundliche Arztpraxis“ in Bayern inhaltlich und finanziell unterstützt.“. „Selbsthilfeorganisationen und -gruppen haben häufig die Erfahrung gemacht, als Bittsteller bei Krankenhäu- Dagmar Siewerts ist verantwortlich für das Netzwerkmanagement sern oder Arztpraxen aufzutreten“, sagt Dagmar Siewerts, Verantwortliche für das Netzwerkmanagement. Nur wenige Gruppen, wie beispielsweise die der Frauenselbsthilfe nach Krebs oder der ILCO, hätten schon seit längerem verbindliche Kooperationen. Die gesetzlichen Regelungen des Sozialgesetzbuches V und das neue Konzept „Selbsthilfefreundlichkeit im Gesundheitswesen“ bringen nun für das breite Spektrum der gesundheitlichen Selbsthilfe sicherlich Rückenwind, ist Siewerts überzeugt. Doch guter Wille allein reicht nicht aus, um das Kooperationsdreieck Selbsthilfegruppe, Selbsthilfe-Kontaktstelle und Gesundheitsreinrichtung zu einer stabilen Konstruktion zu machen. „Die Erfahrung der Agentur Selbsthilfefreundlichkeit NRW zeigt, das konkrete Impulse und gezielte Unterstützung durch solch speziell geschulte Selbsthilfe-Kontaktstellen beim Aufbau dieser Kooperationsbeziehung zur Umsetzung der Qualitätskriterien nötig sind“, betont die Gesundheitswissenschaftlerin. Das Netzwerk unterstützt daher den Aufbau weiterer Agenturen im Bundesgebiet. Außerdem bemüht es sich, weitere Partner für das Projekt „Selbsthilfefreundlichkeit im Gesundheitswesen“ zu gewinnen, steht Interessierten für Auskünfte zur Verfügung, sorgt für den fachlichen Austausch zwischen den Akteuren und für die nötige ÖffentlichkeitsUB arbeit. Kontakt Projekt Selbsthilfefreundlichkeit Netzwerkmanagement Der Paritätische Gesamtverband e. V. Dagmar Siewerts, Tel.: 030/32661233 E-Mail: [email protected] „Wir bewegen – was uns verbindet“ Die Kontakt-, Informations- und Beratungsstelle im Selbsthilfebereich in Göttingen Sie heißen meist KISS, KIBIS oder SEKIS – ihre Aufgabe ist es, Selbsthilfegruppen zu unterstützen und zu fördern. Bundesweit gibt es rund 270 Selbsthilfekontaktstellen, von denen mehr als 170 Mitglied im Paritätischen sind oder in dessen direkter Trägerschaft. Eine von ihnen ist die Kontakt-, Informations- und Beratungsstelle im Selbsthilfebereich – kurz: KIBIS – in Göttingen. D ie 1991 gegründete KIBIS Göttingen ist eine Einrichtung des Gesundheitszentrums Göttingen e. V., in dessen Domizil sie auch ihre Kontakt-, Informations- und Beratungsstelle hat. Ein zweiköpfiges Team berät dort Menschen mit einer Erkrankung, sozialen Problemen oder einer Behinderung über das breite Selbsthilfeangebot in Göttingen und Umgebung, unterstützt Selbsthilfegruppen auf vielfältige Weise und ist auch für professionell Tätige da, die sich über die Selbsthilfe informieren wollen. Der Service der Selbst- hilfe-Kontaktstelle ist ebenso wie die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe kostenlos. Finanziert wird die KIBISArbeit vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit sowie den Landesverbänden der gesetzlichen Krankenkassen. 1 | 2010 012976_Bundesteil_01_2010.indd 15 www.der-paritaetische.de 15 16.12.2009 16:13:54 Thema Vom Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom bis zu Zwillings- und Drillingseltern reicht das alphabetische Spektrum der rund 250 Selbsthilfegruppen, die in der KIBIS-Datenbank registriert sind. Zu finden ist die Datenbank selbstverständlich auch auf der Homepage der Kontakt-, Informations- und Beratungsstelle unter www.selbsthilfe-goettingen.de. Dort gibt es auch jede Menge Informationen rund um die Gründung von Selbsthilfegruppen, einen Leitfaden zur Selbsthilfeförderung und Antragsformulare, Veranstaltungstipps, Berichte über KIBIS-Veranstaltungen und vieles mehr. Eine wahre Fundgrube. „Der Wunsch, etwas für sich selbst zu tun“ Viele, die sich dafür interessieren, in einer Selbsthilfegruppe mitzuwirken, bevorzugen jedoch das persönliche Gespräch in der realen Anlaufstelle, einem schmucken weiß-grauen Fachwerkhaus in der Lange-Geismar-Straße 82. „Manchmal kommen Menschen zu uns, die noch Bedenken haben, ob eine Selbsthilfegruppe überhaupt das Richtige für sie ist“, sagt KIBIS-Leiterin Barbara Meskemper. „Manche glauben, sie müssten besondere Fähigkeiten für die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe mitbringen. Aber das Einzige, was betroffene Menschen mitbringen müssen, ist der Wunsch oder das Bedürfnis, etwas für sich selbst zu tun“, betont die Sozialpädagogin und Körperpsychotherapeutin. „Im Beratungsgespräch klären wir dann mit den Ratsuchenden, welche Vorstellungen und Bedürfnisse sie hinsichtlich des Austauschs mit anderen haben und helfen ihnen, die richtige Selbsthilfegruppe zu finden oder andere Möglichkeiten, die für sie hilfreich sein können.“ Wenn es zu einem Thema keine Selbsthilfegruppe gibt, berät und unterstützt KIBIS Interessierte auch bei der Gründung einer neuen Gruppe. Für die bereits bestehenden Selbsthilfegruppen hat das Team ebenfalls einiges zu bieten. „Wir beraten Interessierte beispielsweise bezüglich der Gruppenarbeit und helfen auch, wenn in Problem- oder Konfliktsituationen unsere Unterstützung gewünscht ist“, sagt Barbara Meskemper. Außerdem 16 www.der-paritaetische.de 012976_Bundesteil_01_2010.indd 16 Beratungsgespräch in der Göttinger Kontakt-, Informations- und Beratungsstelle im Selbsthilfebereich. Foto: KIBIS Göttingen gibt es auch ganz praktische Unterstützung: Materialien und Geräte können für die Gruppenarbeit ausgeliehen werden – vom Projektor über den Beamer und die Leinwand bis hin zu Literatur, Videos und DVD‘s. Zwei Räume in der Kontaktund Informationsstelle können außerdem für Treffen genutzt werden. Fortbildungen und Vernetzung Darüber hinaus bietet die KIBIS Fortbildungsseminare an, bei denen die Selbsthilfeakteure konkretes Handwerkszeug für die Arbeit in der Selbsthilfegruppen erhalten – beispielsweise zum Umgang mit Gruppenritualen, zu finanziellen Fördermöglichkeiten oder zur Öffentlichkeitsarbeit. Auch Vernetzungstreffen, bei denen die Aktiven sich über Erfahrungen in der Selbsthilfearbeit austauschen können, organisiert die Kontakt- und Informationsstelle. Gemeinsam mit interessierten Selbsthilfegruppen geht die KIBIS auch in die Öffentlichkeit, um auf die Möglichkeiten und Bedeutung der Selbsthilfe aufmerksam zu machen, wie beispielsweise bei den Göttinger Gesundheitstagen. Außerdem gibt KIBIS die sehr informative Selbsthilfezeitung „WECHSEL+SEITIG“ heraus, die ein- bis zweimal jährlich erscheint und gratis zu haben ist. „Selbsthilfegruppen wirken zunächst auf den einzelnen Menschen, langfristig wirken sie aber auch an gesellschaftlichen Entwicklungen mit“, betont Barbara Meskemper. Etwa durch ihr Engagement für Verbesserungen im Gesundheitswesen, aber auch beim Abbau von Vorurteilen gegenüber Menschen, die an einer Erkrankung leiden oder behindert sind. Mehr über die Arbeit der KIBIS Göttingen und die Selbsthilfe in Niedersachsen allgemein erfahren Interessierte in einem Film mit dem Titel „Wir bewegen – was uns verbindet“. Die Videoproduktion des Selbsthilfe-Büros Niedersachsen kann als DVD bestellt werden beim Selbsthilfe-Büro Niedersachsen, Gartenstraße 18, 30161 Hannover, Tel.: 0511/391928, E-Mail: [email protected] oder bei der KIBIS in Göttingen. Kontakt Kontakt-, Informations- und Beratungsstelle im Selbsthilfebereich – KIBIS Lange-Geismar-Straße 82 37073 Göttingen Tel.: 0551/486766 E-Mail: gesundheitszentrum-goe @t-online.de www.selbsthilfe-goettingen.de 1 | 2010 16.12.2009 16:13:55 Thema Selbsthilfe auf Nachwuchssuche Andreas Greiwe über das (vermeintliche) Problem Generationenwechsel Vielen Selbsthilfegruppen drückt der Schuh an derselben Stelle: „Unsere Gruppe ist überaltert“, klagen die einen. „Wir haben so gut wie keine jüngeren Mitglieder, die bereit sind, Verantwortung für die Gruppenarbeit zu übernehmen“, stellen die anderen fest. Viele Gruppen sehen ihre Existenz bedroht. Doch so sehr sich die Symptomatik ähnelt – wer sich mit der Pauschal-Diagnose „Generationenwechsel“ zufrieden gibt, verkennt nicht selten, dass hinter dem Mitgliedermangel ganz andere Ursachen stecken können als der demografische Wandel, betont Andreas Greiwe. Der Fachberater für Selbsthilfe und Selbsthilfe-Kontaktstellen beim Paritätischen in Nordrhein-Westfalen gibt in diesem Beitrag Impulse, wie Selbsthilfegruppen das Thema Nachwuchsmangel angehen können. D en Generationenwechsel als Problem per se gibt es gar nicht. Schwierigkeiten beim Generationswechsel sind vielmehr Ausdruck vielfältiger Probleme und bringen oft bislang verdeckte Konflikte an den Tag. Um einen Generationenwechsel bewerkstelligen zu können, ist oftmals eine Rückbesinnung auf die gemeinsame Betroffenheit und die gegenseitige Unterstützung als zentrale Quelle der Kraft notwendig. Die Integration jüngerer Mitglieder und ein Wechsel in der Gruppenleitung können am ehesten gelingen, wenn die Gruppe bereit ist, Selbstverständnis und Zielsetzungen zu reflektieren sowie ihre eigenen Strukturen kritisch zu hinterfragen und – wo erforderlich – zu verändern. Häufig ist es sinnvoll, dass die Gruppe analysiert, wie sie neue Mitglieder anwirbt, begrüßt, begleitet und unterstützt. Ob sie attraktive Angebote macht, die Neue ansprechen, und ob sie bereit ist, die Ideen und Anregungen der Neuen auch zu schätzen und gegebenenfalls sogar Gruppenstrukturen zu verändern. Denn leicht kann es passieren, dass mit dem Hinweis auf jahrelange Gewohnheiten frische Impulse abgeblockt und neue Interessenten vergrault werden. Starre Leitungs- und Beteiligungsstrukturen in Selbsthilfegruppen schrecken nicht nur jüngere Menschen ab. Die Strukturen im Miteinander, die Legitimation der Leitung und die Beteiligungsmöglichkeiten der Mitglieder haben entscheidende Auswirkungen auf die Attraktivität der Gruppe und auf die Be- lastung, die mit der Übernahme der Gruppenleitung verbunden ist. Nur wenn Gruppenmitglieder sich in einer für sie befriedigenden Weise einbringen können, kann die Bereitschaft wachsen, Mitverantwortung zu übernehmen. Das Projekt „Brücken bauen“ der großen Sucht-Selbsthilfeverbände hat sich eingehend mit der Integration von „Jungen“ in die Selbsthilfe befasst und festgestellt: „Die Verbände und Selbsthilfegruppen müssen umdenken, um attraktiver für junge Menschen zu sein.“ Kritisiert wurden unter anderem: hierarchische Gruppenstrukturen, zu große Bedeutung der Leitungsperson, starres Miteinander in den Gruppen und die „Komm-Struktur.“ Wen meinen wir mit den „Jungen“? Oft wird vernachlässigt, dass gerade jüngere Menschen zur Beginn ihres Selbsthilfe-Engagements mehr Begleitung benötigen und wünschen. Hier kann es hilfreich sein, ihnen Mentoren an die Seite zu stellen. Auch der Wunsch junger Menschen, sich zeitlich begrenzt einzubringen, muss stärker berücksichtigt werden. Ebenso wie ihr Interesse an gemeinsamen Freizeitaktivitäten und Gesprächen über Themen, die nichts mit Krankheit und Problemen zu tun haben. Zugleich gilt es auch, sich einige wichtige Aspekte in Erinnerung zu rufen: Unsere Gesellschaft wird insgesamt immer älter. Viele Probleme – insbesondere chronische Erkrankungen – treten gehäuft erst mit zunehmendem Alter auf. Und wir müssen uns fragen: Wen meinen wir, Andreas Greiwe wenn wir von „Jungen“ reden. Nicht nur die 20-Jährigen fehlen in der Selbsthilfe, auch die 30- bis 40-Jährigen sind unterrepräsentiert. Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund ist gerade in der Altersstufe der „jungen Erwachsenen“ besonders hoch. Wie können sie besser eingebunden werden? Selbsthilfegruppen, die den Wandel aktiv gestalten möchten, sollten sich nicht scheuen, die Unterstützung von Selbsthilfe-Kontaktstellen in Anspruch zu nehmen. Diese können nicht nur für das Thema Generationenwechsel sensibilisieren, sie können Selbsthilfegruppen als Impulsgeber und Moderatoren auch dabei unterstützen, Selbstverständnis und Zielsetzungen zu reflektieren und Handlungsmöglichkeiten beim Prozess des Generationenwechsels zu erkennen und auszubauen. 1 | 2010 012976_Bundesteil_01_2010.indd 17 www.der-paritaetische.de 17 16.12.2009 16:13:56 Thema Geballte Kompetenz unter einem Dach Das Haus der Krebsselbsthilfe in Bonn und seine Berliner Außenstelle Acht bundesweit tätige Organisationen der Krebsselbsthilfe haben sich in Bonn unter einem Dach zusammengetan – dem Haus der Krebsselbsthilfe. Seit 2006 bündeln sie im ehemaligen Domizil der Deutschen Krebshilfe ihre Kräfte, um mit mehr politischem Durchsetzungsvermögen die Interessen von Krebspatientinnen und -patienten besser vertreten zu können. D ie Zusammenarbeit im Haus der Krebsselbsthilfe bringt uns alle voran“, betont Professor Dr. Gerhard Englert, Vorsitzender der Deutschen ILCO, einer der acht kooperierenden Organisationen. „Unter einem Dach zu agieren, ermöglicht es uns nicht nur, schneller und besser Informationen auszutauschen, wir können auch gemeinsam deutlicher die Interessen der Krebspatientinnen und -patienten vertreten und so effektiver zur Gestaltung eines patientenorientierten Versorgungssystems beitragen.“ So plant der Verbund jetzt beispielsweise auch, einen Sozialrechtler oder eine Sozialrechtlerin einzustellen, der oder die für alle acht Organisationen tätig wird. Gemeinsam organisieren die Kooperationspartner auch Veranstaltungen wie die viermal jährlich stattfindenden Patientenkongresse, erarbeiten gesundheitspolitische Stellungnahmen wie etwa zur Verordnung besonderer Arzneimittel oder verfassen Resolutionen – beispielsweise im September 2009 zur psychosozialen Versorgung für Menschen mit Krebs. Die Zusammenarbeit in einem Haus ermöglicht den ansonsten unabhängig bleibenden Organisationen auf unkomplizierte Weise einen ständigen Erfahrungsaustausch und Kontakt Haus der Krebsselbsthilfe Thomas-Mann-Str. 40 53111 Bonn Tel.: 0228/338890 E-Mail: [email protected] Internet: www.hksh-bonn.de 18 www.der-paritaetische.de 012976_Bundesteil_01_2010.indd 18 Das Haus der Krebsselbsthilfe in Bonn Foto: Deutsche ILCO e. V. erleichtert die bessere Abstimmung. Und zusätzlich ist es natürlich auch noch kostengünstiger, wenn sich mehrere Verbände ein Haus teilen und gemeinsam bestimmte Einrichtungen und Geräte nutzen. Die acht Organisationen im Haus der Krebsselbsthilfe sind: • Arbeitskreis der Pankreatektomierten e. V. (Dort engagieren sich Menschen, die an der Bauchspeicheldrüse operiert wurden) • Bundesverband der Kehlkopfoperierten e. V. • Bundesverband Prostatakrebs Selbsthilfe e. V. • Deutsche Hirntumorhilfe e. V. • Deutsche ILCO e. V. – die bundesweite Selbsthilfevereinigung von Stomaträgern (Menschen mit künstlichem Darmausgang oder künstlicher Harnableitung) und von Menschen mit Darmkrebs sowie deren Angehörige. • Deutsche Leukämie- und LymphomHilfe e. V. (DLH) • Frauenselbsthilfe nach Krebs, Bundesverband e. V. • Selbsthilfe-Bund Blasenkrebs e. V. Mit dem Ziel, die Arbeit der KrebsSelbsthilfe in Berlin zu fördern, hat das Bonner Haus der Krebsselbsthilfe in der Bundeshauptstadt 2008 eine Außenstelle eröffnet. Die Koordinierungsstelle ist zentrale Informationsstelle für an Krebs erkrankte Menschen in Berlin und dem Umland. Sie informiert über Angebote von Krebs-Selbsthilfegruppen, unterstützt diese bei der Suche nach Räumlichkeiten und Referenten sowie bei der Beantragung von Fördermitteln. Zudem fördert sie die Zusammenarbeit der Selbsthilfegruppen mit Fachgruppen und Kliniken im Krebsbereich und unterstützt die im Großraum Berlin tätigen Gliederungen der Bundesverbände, die im Haus der Krebsselbsthilfe in Bonn zusammenarbeiten. Ziel ist es unter anderem, die Selbsthilfe-Strukturen zu verbessern, Synergie-Effekte zu nutzen und die Akzeptanz der Selbsthilfe insbesondere bei Ärzten, aber auch bei Betroffenen zu verbessern. Finanziert wird die Koordinierungsstelle von der Deutschen Krebshilfe. Bis Ende Februar ist sie angesiedelt am Charité Campus-Mitte (CCM). Danach ist sie in der Hauptgeschäftsstelle des Paritätischen zu finden (Oranienburger Straße 13-14, 10178 Berlin, Tel. 030/24636-337) Kontakt bis Februar: Haus der Krebsselbsthilfe, Koordinierungsstelle Berlin, Angela Bleckmann, Charitéplatz 1, 10117 Berlin, Tel. 030/547330-60, E-Mail: [email protected], Internet: www.hksh-berlin.de. 1 | 2010 16.12.2009 16:13:56 Sozialpolitik Massive Kritik an Plänen für Gesundheitspauschale Nach jüngsten Schätzungen zum Milliardendefizit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) müssen sich die Versicherten im nächsten Jahr auf höhere Zusatzbeiträge einstellen. Der Sozialverband VdK rechnet mit durchschnittlich sechs Euro, die dann einkommensunabhängig von jedem Versicherten gezahlt werden müssten – was besonders hart Bezieher niedriger Einkommen und Rentner treffe, wie VdK-Präsidentin Ulrike Mascher kritisierte. Realisiert die Regierung ihre im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Vorstellungen zur künftigen Finanzierung der Krankenversicherung, kommen auf die Versicherten aber wohl noch weitere Mehrkosten zu. B undesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) will die Finanzierung der Krankenversicherung radikal umbauen. Der Arbeitgeberanteil am Krankenkassenbeitrag soll bei heute sieben Prozent des Bruttolohns eingefroren werden. Steigende Gesundheitskosten müssten damit die Arbeitnehmer alleine schultern. Den bislang einkommensabhängigen Arbeitnehmeranteil will Rösler in eine Pauschale umwandeln. Nach den schwarz-gelben Reformplänen soll es für Geringverdiener einen sozialen Ausgleich aus Steuermitteln geben. Details soll eine Regierungskommission in den kommenden Monaten ausarbeiten. VdK und Volkssolidarität sehen in der Pauschale eine Zumutung für Niedrigverdiener und Rentner, die überproportional belastet würden. Volkssolidarität: „Systembruch“ Die für 2011 geplante Einführung sei ein „Systembruch mit dem Solidarsystem der gesetzlichen Krankenversicherung“, kritisierte der Präsident der Volkssolidarität, Professor Dr. Gunnar Winkler. Die Pläne seien zudem unausgegoren. Es bleibe ein Rätsel, wie bei der geplanten sozialen Abfederung über Steuerausgleiche Versicherte, die keine oder nur wenig Steuern zahlen, ihre höheren Gesundheitskosten finanzieren sollten. Bleiberechtsregelung verlängert D ie Innenministerkonferenz hat Anfang Dezember das Bleiberecht für geduldete Ausländer um zwei Jahre bis Ende 2011 verlängert. Ohne die Verlängerung der seit 2007 geltenden „Altfallregelung“ hätte rund 30.000 Ausländern mit einer bis Ende 2009 befristeten Aufenthaltserlaubnis der Rückfall in die Duldung und damit möglicherweise die Abschiebung gedroht, wenn sie keinen Job gefunden haben, mit dem sie ihren Lebensunterhalt im Wesentlichen bestreiten können. Der Paritätische hatte sich vor der Konferenz für eine Verlängerung der Bleiberechtsregelung ausgesprochen. In einem Brief an Bundesinnenminister Thomas de Maizière betonte Hauptgeschäftsführer Dr. Ulrich Schneider, perspektivisch sei zudem eine Reform des Aufenthaltsrechts zwingend erforderlich, um dauerhaft Kettenduldungen zu vermeiden. „Die Aufenthaltserlaubnis muss erteilt werden können, sobald die Ausreise unzumutbar ist. Es wäre einfach kaltherzig und inhuman, wenn Kinder, die hier aufgewachsen sind, ständig Angst vor Abschiebung haben müssen, nur weil ihre Eltern keine Arbeit finden“, so Schneider. Es sei nicht akzeptabel, hunderttausende Menschen jahrelang als Mitmenschen „auf Abruf“ zu behandeln. Fünf Jahre Hartz IV... Der Paritätische stellt der Politik fünf Jahre nach der Einführung von Hartz IV ein vernichtendes Zeugnis aus. Diese Jahre stünden für fünf Jahre Verfassungsbruch und eine tragisch verfehlte Arbeitsmarkt- und Armutspolitik, betont Hauptgeschäftsführer Dr. Ulrich Schneider. „Hartz IV ist in der Sache gescheitert und hat zu einer massenhaften Verarmung geführt. Gerichte haben die Regelsätze, die Bescheide von hunderttausenden Betroffenen und die Verwaltungsstrukturen für nicht vereinbar mit Recht und Verfassung erklärt. Im Ergebnis steht unser Land vor einem arbeitsmarkt- und armutspolitischen Scherbenhaufen“, so Ulrich Schneider. Keines der ursprünglichen Reformziele sei erreicht worden, bilanziert der Verband. „Statt der schnellen Vermittlung in Arbeit gibt es eine Million Langzeitarbeitslose, die ohne Perspektive politisch im Stich gelassen wurden. Statt einer effizienten bürgerfreundlichen Verwaltung gibt es massenweise falsche Bescheide und häufig ungerechtfertigte Sanktionen. Statt einer Grundsicherung, die vor Armut schützt, werden sieben Millionen Menschen mit pauschalierten Armutssätzen abgespeist“, kritisiert Schneider. Als Sofortmaßnahmen im Rahmen einer Anti-Armuts-Agenda fordert der Verband die Anhebung der Hartz-IVRegelsätze auf 440 Euro und die Einführung eines eigenen bedarfsgerechten Kinderregelsatzes sowie den Ausbau der erzieherischen Infrastruktur. Ferner müsse durch eine Grundgesetzänderung das Prinzip der „Hilfen aus einer Hand“ für Langzeitarbeitslose garantiert werden. Zudem fordert der Verband den Ausbau öffentlich geförderter, dauerhafter und sozialversicherungspflichtigerBeschäftigung. Weitere Informationen gibt es im Internet auf der Paritätischen Website www.5jahre-hartz4.de. 1 | 2010 012976_Bundesteil_01_2010.indd 19 www.der-paritaetische.de 19 16.12.2009 16:13:57 Sozialpolitik Wirtschaftsförderung muss mit Armutsbekämpfung verknüpft werden Kritik des Paritätischen am Wachstumsbeschleunigungsgesetz Der Paritätische Gesamtverband hat das auch auf Ebene der Bundesländer heftig umstrittene Wachstumsbeschleunigungsgesetz als sozial ungerecht bezeichnet. Es verschärfe die Kluft zwischen Arm und Reich und verenge die Spielräume von Ländern und Kommunen zur Finanzierung der sozialen Infrastruktur, kritisierte Hauptgeschäftsführer Dr. Ulrich Schneider. D er Paritätische warnte vor der Abstimmung im Bundesrat vor tiefen sozialen Verwerfungen infolge des geplanten Wachstumsbeschleunigungsgesetzes. Korrekturen zugunsten von bedürftigen Familien und Alleinerziehenden sowie ein Finanzausgleich zur Entlastung der Länder seien zwingend erforderlich. Der vorgelegte Entwurf sei armutspolitisch ignorant und stehe für eine ZweiKlassen-Familienpolitik. „Wenn Gutverdiener ein Steuergeschenk von rund 430 Euro pro Jahr bekommen, während Millionen Familien 20 www.der-paritaetische.de 012976_Bundesteil_01_2010.indd 20 leer ausgehen, deren Regelsatz vorne und hinten nicht reicht, dann hat das mit sozialer Gerechtigkeit nichts mehr zu tun“, sagte Hauptgeschäftsführer Dr. Ulrich Schneider. „Die Bundesregierung hat es bereits mit dem letzten Konjunkturpaket versäumt, Wirtschaftsförderung und Armutsbekämpfung sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Es ist höchste Zeit, diesen Fehler zu korrigieren“, so Ulrich Schneider. „Das Geld muss dahin gehen, wo es auch wirklich in den Konsum fließt.“ Ein Konjunkturpaket, das zu Lasten der kommunalen Infrastruktur gehe, sei inakzeptabel. „Wer nachhaltiges Wachstum will, darf Erziehungsberatungsstellen, Schulen und Altenclubs nicht kaputt sparen“, warnte der Hauptgeschäftsführer. Gegebenenfalls müssten die Länder eine Kompensation für ihre Steuermindereinnahmen erhalten. Der Verband fordert die Einführung eines einheitlichen Kindergeldes. Darüber hinaus müssten die bestehenden Regelsätze für Kinder nach seinen Berechnungen um rund 30 Prozent angehoben werden, um wirklich bedarfsgerecht zu sein. 1 | 2010 16.12.2009 16:13:57 Sozialpolitik Gutscheine statt Betreuungsgeld? Paritätischer: Beispiellose Diskriminierung einkommensschwacher Eltern Ein Betreuungsgeld in Höhe von 150 Euro pro Monat sollen nach Plänen der Koalition Eltern von 2013 an bekommen, wenn sie ihre Kinder bis zu einem Alter von drei Jahren zu Hause betreuen und nicht in eine Kita schicken. Pläne, die er Paritätische für absolut falsch hält. Völlig inakzeptabel findet der Verband es aber erst recht, das Betreuungsgeld Beziehern von Hartz IV lediglich als Gutschein zukommen zu lassen. D as Betreuungsgeld geht familien- und bildungspolitisch in die völlig falsche Richtung“, betont Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. „Einkommenssschwache Familien werden dazu verleitet, ihre Kinder nicht in eine Einrichtung gehen zu lassen, um das geringe Familienbudget aufzubessern.“ Besonders betroffen dürften Bezieher von Hartz IV sein, da die Kinderregelsätze eklatant zu niedrig bemessen sind, und diese Familien jeden Cent brauchen, um tatsächlich über den Mo- nat zu kommen. „In diesem Zusammenhang Familien im Hartz-IV-Bezug im Unterschied zu allen anderen Familien kein Bargeld, sondern lediglich einen Gutschein zukommen zu lassen, stellt jedoch eine in der Familienpolitik bisher beispiellose Diskriminierung einkommensschwacher Eltern, darunter vor allem alleinerziehende Mütter, dar“, kritisiert Ulrich Schneider entsprechende Äußerungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die gesagt hatte, die Bundesregierung überlege, für die Kinder von Hartz-IV-Beziehern Bildungsgutscheine anzubieten, um zu verhindern, Grundgesetzänderung gefordert Als „faulen Kompromiss“ hat der Paritätische die Pläne der Regierung zur Neuorganisation der Betreuung und Vermittlung von Langzeitarbeitslosen bezeichnet. Danach sollen Kommunen und Arbeitsagenturen diese Aufgaben künftig getrennt wahrnehmen, können aber auf freiwilliger Basis kooperieren. Da die in den rund 350 ARGEN praktizierte Mischverwaltung von Agenturen für Arbeit und Kommunen nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichs gegen das Grundgesetz verstößt, muss bis Ende 2010 eine andere Lösung gefunden werden. Der Paritätische sieht diese Lösung jedoch nicht in einer Zerschlagung des bisherigen Modells, das mit der Hartz-Reform ja gerade geschaffen worden sei, um für langzeitarbeitslose Menschen „Leistungen aus einer Hand“ zu ermöglichen. Der Verband forderte in einem Brief an die neue Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen, durch eine Änderung des Grundgesetzes den Weg für eine verwaltungstechnisch sachgerechte Umsetzung des SGB II zu sorgen. Der Paritätische appellierte an die Bundesregierung, gemeinsam mit den Bundesländern den Weg für eine Grundgesetzänderung frei zu machen, die eine Nachfolgestruktur für die Arbeitsgemeinschaften wie auch eine Ausweitung der Zahl der Optionskommunen ermögliche. Für die Leistungsempfänger wäre der Zugang zu existenzsichernden und arbeitsmarktintegrativen Leistungen deutlich erschwert, wenn sie ihre Leistungen nicht mehr bei einer, sondern bei zwei Behörden beantragen müssten. dass das Betreuungsgeld zweckentfremdet werde. „Die neue Bundesregierung muss endlich die Kinderregelsätze bei Hartz IV bedarfsgerecht erhöhen und dafür sorgen, dass die betroffenen Kinder kostenlosen Zugang zu allen Bildungs- und Betreuungsangeboten erhalten“, so Hauptgeschäftsführer Schneider. „Sie sollte es dringend unterlassen, arme Kinder und ihre Eltern mit zweifelhaften Gutscheinsystemen zu stigmatisieren, während an wohlhabende Familien familienpolitisch völlig sinnlose Geldgeschenke verteilt werden.“ „Kürzerer Zivildienst bringt Probleme“ Die für 2011 geplante Verkürzung des Wehr- und damit auch des Zivildienstes von neun auf sechs Monate stellt soziale Organisationen, die Zivildienstleistende beschäftigen, vor große Probleme. Viele Mitgliedsorganisationen haben bereits erklärt, künftig Zivildienstleistende nicht mehr einsetzen zu können. Bei gut zwei Monaten für Einweisung, Lehrgänge und Urlaub blieben nur noch knapp vier Monate für die aktive Arbeit übrig, betont Werner Hesse, Geschäftsführer des Paritätischen, unter dessen Dach rund 12.000 Zivildienstleistende tätig sind. Insbesondere Menschen mit geistigen Behinderungen und demenziellen Erkrankungen könne man nicht ständig mit wechselnden Bezugspersonen konfrontieren. Der Verband plädiert dafür, die Möglichkeit zu schaffen, den Zivildienst freiwillig zu verlängern sowie das Freiwillige Soziale Jahr stärker zu fördern. 1 | 2010 012976_Bundesteil_01_2010.indd 21 www.der-paritaetische.de 21 16.12.2009 16:13:58 Verbandsrundschau „Mehr Bildungsgerechtigkeit durch Bürgerschulen“ Paritätischer fordert bessere Förderung freier Schulen Bei seiner Fachtagung „Mehr Bürgerschulen – gesellschaftliche Teilhabe durch Bildung“ hat der Paritätische im November in Heidelberg eine grundlegende Reform des deutschen Schulsystems gefordert. Denn in kaum einem anderen Land sind die Bildungschancen von Kindern so stark von der sozialen Herkunft abhängig wie in Deutschland. Mehr Bildungsgerechtigkeit erhofft sich der Verband vom Modell der Bürgerschule. W ir benötigen dringend ein Bildungssystem, das es gerade für Kinder aus bildungsfernen Schichten vermag, Chancengleichheit herzustellen“, betonte die scheidende Verbandsvorsitzende Heidi Merk zum Auftakt der gemeinsamen Fachtagung des Paritätische Gesamtverbandes und des Landesverbandes BadenWürttemberg. Schule müsse zu dem Ort werden, an dem Kinder unabhängig von ihrer sozialen Herkunft alle erdenklichen Entwicklungsmöglichkeiten und Förderungen erhalten, statt der Ort zu sein, der ihre Ausgrenzung und Benachteiligung manifestiert, so Merk. Da das deutsche Bildungssystem offensichtlich nicht in der Lage sei, Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit zu garantieren, sehe sich der Paritätische gefordert, sich verstärkt in die Bildungsdebatte einzumi- Bob van de Ven, Vorsitzender des Niederländischen Forums für Bildungsmanagement 22 www.der-paritaetische.de 012976_Bundesteil_01_2010.indd 22 schen und für das Recht eines jeden Kindes auf gute Bildung einzutreten. Denn, so die Devise des Verbandes: Bildung ist die beste Armutsprävention. Der Paritätische will Bildung als Aufgabe des Verbandes daher nicht nur in seiner Satzung verankern, sondern sich auch als wichtiger Akteur in der Bildungslandschaft etablieren und für eine zukunftsfähige Gestaltung des Deutschen Bildungssystems engagieren. Dazu setzt er auf das Modell der Bürgerschule. Neben den staatlichen Schulen soll es gleichberechtigt eine Vielzahl freier Schulen geben, die ebenso wie diese finanziell gefördert werden. Mehr Wettbewerb soll mehr Qualität ins Bildungssystem bringen. Mehr Autonomie für Schulen „Im Kindergartenbereich haben wir schon den Grundsatz: Das Geld folgt dem Kind“, sagte Gerd Weimer, Vorstandsvorsitzender des Paritätischen Landesverbandes Baden-Württemberg. Dieses Modell müsse auf die Schulen übertragen werden. Derzeit könnten viele Eltern aus finanziellen Gründen ihren Kindern den Besuch einer freien Schule nicht ermöglichen, weil diese wegen mangelnder staatlicher Förderung gezwungen seien, Schulgeld zu erheben, betonte Christian Schad von der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Waldorfschulen. Neben der finanziellen Absicherung ist dem Paritätischen aber auch wichtig, dass die Schulen mehr Autonomie erhalten, um den individuellen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler gerecht werden zu können. Der Staat solle zwar für die Festlegung der Bildungsziele verantwortlich sein, wie diese erreicht werden, müssten jedoch die Schulen mit individuellen Schulprofilen und pädagogischen Konzepten sowie dafür von ihnen selbst ausgewähltem Personal entscheiden können, sagte Barbara John, Vorsitzende des Paritätischen Landesverbandes Berlin. Blick in die Niederlande Vieles, was der Paritätische sich für das deutsche Schulsystem wünscht, ist in den Niederlanden schon Realität. Dort besuchen mehr als 70 Prozent der Kinder und Jugendlichen Ganztagsschulen freier Träger, die staatlichen Schulen gleichgestellt sind. Pro Schüler gibt es eine Pauschale („Lump sum“) von 7.000 Euro in der Grundschule (ab dem vierten Lebensjahr) und von 8.000 Euro in der Sekundarschule, berichtete Bob van de Ven, Vorsitzender des Niederländischen Forums für Bildungsmanagement. In Deutschland erhalten freie Träger in den ersten drei Jahren keine staatlichen Mittel und danach nur rund 80 Prozent dessen, was es für staatliche Schulen gibt. Hierzulande besuchen acht Prozent aller Schüler nichtstaatliche Schulen – Tendenz steigend. Die Zahl der Privatschulen liegt inzwischen bei mehr als 3.000, darunter rund 200 freigemeinnützige Schulen Paritätischer Träger. Die Vorträge der Tagung stehen auf www. paritaet-bw.de in der Rubrik Fachberatung. Dort sind auch erste Ergebnisse einer Schulträgerbefragung von frei-gemeinnützigen Schulen unter dem Dach des Paritätischen zu finden. 1 | 2010 16.12.2009 16:13:58 Verbandsrundschau Dufte Briefmarken für einen guten Zweck Der Briefträger kommt neuerdings später, weil er sich so schwer von der Post trennen kann. Und unsereins nimmt plötzlich sogar Rechnungen freudig in Empfang. Nie zuvor war Post zu bekommen so ein Ereignis, so ein Dufterlebnis. Einfach an der Marke reiben und schon entfaltet sich das verlockende Aroma. Was mag’s wohl heute sein? Erdbeere, Apfel, Blaubeere oder Zitrone? Das duftende Obst ziert die neue Wohlfahrtsmarkenserie für 2010, herausgegeben vom Sozialwerk Wohlfahrtsmarken. Der Erlös aus dem Zuschlag, der auf diese Postwertzeichen erhoben wird, kommt der sozialen Arbeit freier Träger zugute. Der aufwendigen Produktion dieser neuen Serie gingen umfangreiche Tests mit Duftproben der Obstsorten voraus. Aufbringungsverfahren wurden ebenso getestet wie einwandfreie postalische Verwendung und gesundheitliche Unbedenklichkeit. Auch musste im Produktionsprozess eine Wechsel an der Verbandsspitze Jüttner übernimmt Vorsitz An der Verbandsspitze des Paritätischen hat es einen Wechsel gegeben. Verbandsvorsitzende Heidi Merk legte Ende November aus zeitlichen Gründen ihr Amt nieder. Satzungsgemäß betraute der Verbandsrat Anfang Dezember Dr. Eberhard Jüttner mit der Aufgabe, den Vorsitz bis zum Ende der Wahlperiode im Frühjahr 2012 wahrzunehmen. Neuer stellvertretender Vorsitzender ist neben Cord Wellhausen (Vorsitzender des Paritätischen Nordrhein-Westfalen) Josef Schädle (Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie), der bereits dem Vorstand angehörte. In den Vorstand nachgewählt wurde der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerkes, Achim Meyer auf der Heyde. Höchstzahl an Duftstoffen auf die Marken aufgebracht werden, damit der Duft nicht nach einmaligem Rubbeln verbraucht ist. Das Ergebnis können Sie auch gleich hier nachvollziehen: Einfach an der Erdbeere oben reiben und den Duft genießen! Die einzelnen Motive haben folgende Wertstufen: Apfel 45 plus 20 Cent, Zitrone 55 plus 25 Cent, Heidelbeere 1,45 Euro plus 55 Cent. Erdbeeren (55 Cent plus 25 Cent Zuschlag) gibt es auch als selbstklebende Marken in einem attraktiven Zehner-Set und in einer MarkenBox mit 100 Stück von der Rolle. Erhältlich sind die neuen Wohlfahrtsmarken im Vertriebszentrum des Paritätischen Gesamtverbandes, Oranienburger Str. 13-14, 10178 Berlin, kostenfreies Servicetelefon: 0800/9645324, Fax 030/24636-460, E-Mail: [email protected]. „Genauer hinsehen, genauer hinhören“ Preis für engagierten Journalismus verliehen D rei Beiträge, die das Leben von Kindern und Jugendlichen in Deutschland aus ganz unterschiedlichen Perspektiven in den Mittelpunkt stellen, sind mit dem Deutschen Sozialpreis 2009 ausgezeichnet worden, der Ende November im Rahmen eines FestaktesderBundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege im ARDHauptstadtstudio verliehen wurde. In der Sparte Print wurden Anita und Marian Blasberg für ihren herausragenden Beitrag „Die verhinderten Retter vom Jugendamt“ in der Wochenzeitung „Die ZEIT“ ausgezeichnet. Die Reportage beschäftigt sich mit der Situation in deutschen Jugendämtern. Drastische Unterfinanzierung und Überlas- tung werden als Ursachen für das Versagen der Behörden beim Schützen von Kindern benannt. In der Sparte Hörfunk ging der von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) verliehene Preis an Tom Schimmeck für „Koma-Kicks. Erkundungen unter jungen Kampftrinkern“. Das Feature, das bei NDR Info lief, schildert Gefahren und Auswirkungen des Alkoholmissbrauchs bei Jugendlichen. Diese erzählen von ihren Trinkgewohnheiten und Abhängigkeiten und von ihren Träumen. Den Preis in der Sparte Film gewann Simone Grabs mit einem Beitrag aus der Reihe „Stark! Kinder erzählen ihre Geschichte“ im ZDF-Kinderkanal Ki.KA. Grabs schildert in der Do1 | 2010 012976_Bundesteil_01_2010.indd 23 www.der-paritaetische.de 23 16.12.2009 16:13:59 Verbandsrundschau kumentation „Moritz: Wäre cool, wenn sie ein Engel wird …“ den Alltag des 14-jährigen Moritz und seine enge Beziehung zur todkranken Schwester Luca. „Die diesjährigen Preisträger sind Menschen, die in ihrem Beruf, aber auch mit ihrem persönlichen Engagement, sozialen Themen den notwendigen Raum geben und damit kompetent in die Debatte um das gesellschaftliche Miteinander eingreifen und uns wichtige Impulse liefern“, würdigte die BAGFW-Präsidentin Donata Freifrau Schenck zu Schweinsberg die ausgezeichneten Journalisten. Dagmar Reim, Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg, hob in ihrer Festrede das besondere Engagement der Preisträger hervor, die genauer hinsähen und hinhörten und den Blick auf Menschen außerhalb des hektischen Informationskosmos lenkten. Verleihung des Sozialpreises – v.l.n.r.: Ulrich Deppendorf (ARD), Dagmar Reim (RBB), Marian und Anita Blasberg, Simone Grabs, Freifrau Schenck zu Schweinsberg, Tom Schimmek Foto: Sattler Komfortabel und kostenfrei: der Datenschutzassistent E rstmals fanden im Oktober 2009 in Nürnberg der Fürsorgetag des Deutschen Vereins und die Fachmesse Consozial als gemeinsame Veranstaltung statt. Der Paritätische nutzte diese Gelegenheit, dort einem größeren Publikum den neuen Datenschutzassistenten vorzustellen. Der Umgang mit sensiblen Daten wird vom Gesetzgeber streng geregelt. So sind staatliche und private Stellen dazu verpflichtet, den Umgang mit personenbezogenen Daten offenzulegen. Das gilt auch für die Betreiber einer Website oder eine Online-Beratungsstelle. Dabei muss Auskunft über sämtliche erhobenen personenbezogenen Daten, den Zweck der Datenerhebung, den Zugriff auf die Daten und die Löschfristen der Daten gegeben werden. Diese Auskunft, die jeder Person zugänglich sein muss, von der personenbezogene Daten erhoben, gespeichert und verarbeitet werden, nennt man „öffentliches Verfahrensverzeichnis“. Das kann nun kostenlos und unkompliziert binnen etwa 15 Minuten online erstellt werden. Möglich macht dies Susanne Senge von „zone35“ erläutert den neuen Datenschutzassistenten Dr. Eberhard Jüttner, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes (Mitte), und Hauptgeschäftsführer Dr. Ulrich Schneider 24 www.der-paritaetische.de 012976_Bundesteil_01_2010.indd 24 der Datenschutzassistent, ein Gemeinschaftsprojekt des Paritätischen und der Firma „zone35“. Der interaktive Assistent auf der Website www.mein-datenschutzassistent.de führt Schritt für Schritt zu einem individuell auf die Einrichtung oder Firma zugeschnittenen öffentlichen Verfahrensverzeichnis, das als PDF-Dokument gleich auf der Webseite hinterlegt werden kann – beispielsweise angebunden ans Impressum. So ist es jederzeit möglich, Auskunft darüber zu erteilen, welche Daten zu welchem Zweck erfasst werden, was mit den Daten geschieht und wann sie gelöscht werden. Maßgeblich mitgewirkt an der Entwicklung des Datenschutzassistenten hat für den Verband Markus Pleyer, Datenschutzbeauftragter des Paritätischen Berlin. Neben dem Assistenten finden Interessierte auf www.mein-datenschutzassistent.de auch viele nützliche Infos rund um das Thema Datenschutz. Nähere Informationen gibt es bei: zone35 Sascha Dinse Tel.: 030/440136-16 E-Mail: [email protected]. www.mein-datenschutzassistent.de 1 | 2010 16.12.2009 16:13:59 Verbandsrundschau Josef Schädle, stellvertretender Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes, eröffnete die Tagung zur Armutsberichterstattung (oben links). Prof. Dr. Richard Hauser (unten) zeigte Perspektiven der Armutsberichterstattung auf. Rechts: ein Mitschnitt aus der Tagesschau vom 9. November 1989. Der Paritätische stellt den ersten Armutsbericht vor. „Armut muss berühren“ Paritätischer fordert: Unabhängige Kommission soll Bericht erstellen 20 Jahre nachdem der Paritätische seinen ersten Armutsbericht für die Bundesrepublik Deutschland vorgelegt hat, zieht der Verband eine nüchterne Bilanz. Zwar werde es inzwischen seitens der Regierung nicht mehr bestritten, dass es in Deutschland Armut gebe – das Ziel, diese wirkungsvoll zu bekämpfen, sei aber immer noch nicht erreicht, betonte Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, Anfang November in Berlin bei einer Fachtagung des Gesamtverbandes zu Stand und Perspektiven der Armutsberichterstattung. A ls der Paritätische am 9. November 1989 unter dem Titel „... wessen wir uns schämen müssen in einem reichen Land ...“ seinen ersten Armutsbericht vorstellte, gelang es ihm erstmals, Begriff und Ausmaß der Armut in Deutschland in die Öffentlichkeit zu transportieren, betonte Josef Schädle, stellvertretender Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes und Mitautor des Berichts, zur Eröffnung der Jubiläumsveranstaltung. Sogar in die Tagesschau, in der die historische Pressekonferenz zum Fall der Mauer gesendet wurde, schaffte es der Verband mit seinem Bericht. „Ein Tabu war gebrochen“, so Schädle. „Armut als Massenphänomen konnte nicht länger geleugnet werden.“ Nicht nur in der Politik, auch in der Bevölkerung hatten bis dahin viele ihre Augen vor der Tatsache verschlossen, dass an- gesichts von mehr als zwei Millionen Arbeitslosen und 600.000 Langzeitarbeitslosen Armut längst keine Randerscheinung mehr war, die nur „Versager“ traf. Die Bundesregierung verweigerte sich einer nationalen Armutsberichterstattung jedoch mit dem Argument, dass Armut nicht allgemeingültig definiert werden könne, und entzog sich so der Pflicht zu politischem Handeln. „Und das fehlende Wissen um 1 | 2010 012976_Bundesteil_01_2010.indd 25 www.der-paritaetische.de 25 16.12.2009 16:14:00 Verbandsrundschau die alltäglichen Belastungen am Rande unseres Gemeinwesens machte es wiederum so leicht, Armut zu leugnen“, erinnerte Ulrich Schneider an die damalige Argumentation. Zwölf Jahre dauerte es, bis die Bundesregierung 2001 endlich einen Nationalen Armuts- und Reichtumsbericht vorlegte. Doch bei näherem Hinsehen, so Schneider, „will es scheinen, als seien uns unsere politischen Erfolge zum Teil zwischen den Fingern zerronnen ... Man kann nach 20 Jahren den Eindruck gewinnen, als stünden wir wieder am Anfang“. Zwar sei heute von Einkommensarmut, Ressourcenarmut, Teilhabearmut und Bildungsarmut die Rede, doch diese Zerfaserung des Armutsbegriffs habe ihm seine handlungsleitende Wirkung genommen. „Das Gute wird mit Verweis auf das vermeintlich Bessere unterlassen“ „Die Ausdifferenzierung des Armutsbergriffs wird nicht selten politisch als Legitimation benutzt, um das Gute mit dem Verweis auf das möglicherweise Bessere zu unterlassen“, kritisierte der Hauptgeschäftsführer und Mitautor des ersten Armutsberichts des Paritätischen. „Jüngstes Beispiel ist das unselige Ausspielen von monetären Transferleistungen für arme Familien gegenüber notwendigen Infrastrukturleistungen“, so Schneider. „Die Devisen lauten: ‚Geld allein macht nicht glücklich‘. Und: ‚Bildung tut not‘. Dass der Schulbesuch jedoch keinen Wintermantel ersetzen kann, sollte eine selbstverständliche Einsicht sein, doch es wird zum Teil hartnäckig ignoriert.“ „Armutspolitisch mehr Schaden angerichtet als Vernünftiges bewirkt“ Schneider kritisierte, dass der Armutsund Reichtumsbericht der Bundesregierung nicht von einer unabhängigen Sachverständigen-Kommission erarbeitet werde. Die Erstellung durch das Arbeitsministerium mache Rollenkonflikte unauflösbar. Der zuletzt vorgelegte 3. Armutsbericht zeige leider deutlich: „Das Bedürfnis, regierungsamtliches Handeln zu legitimieren, statt über Armut aufzuklären, hat offensichtlich obsiegt.“ Die Vorlage des 3. Armutsberichts habe armutspolitisch mehr Schaden angerichtet als Vernünftiges bewirkt, kritisierte Schneider. „Die vorgelegten Gutachten und Daten wurden mit Interpretationen versehen, die sachlich und fachlich zum Teil kaum haltbar waren, jedoch die Bundesregierung ausschließlich in ein gutes Licht stellen sollten.“ Schneider warnte: Sollte die Bundesregierung künftig nicht bereit sein, den Bericht durch eine unabhängige Kommission erstellen zu lassen, müsse ernsthaft überlegt werden, „ob sich die Zivilgesellschaft ihre Armutsberichterstattung nicht wieder zurückholt“. „Armutsberichte müssen Teil der Armtutsbekämp- Reden und Audiomitschnitte der Tagung sind zu finden auf der Internetpräsenz des Paritätischen Gesamtverbandes www.paritaet.org unter „Tagungen und Kongresse“ im Bereich Dokumentationen. Darüber hinaus gibt es ein Themenheft der Blätter der Wohlfahrtspflege, das Ende März erscheint. www.blaetter-der-wohlfahrtspflege.de fung sein“, sagte Ulrich Schneider. Zugleich müssten sie die Menschen nicht nur erreichen, sondern sensibilisieren und motivieren, um gesellschaftliches und politisches Handeln auszulösen. „Wir brauchen eine Armutsberichterstattung, die die Menschen berührt.“ Hauser: „Pioniertat des Paritätischen“ Armutsforscher Professor Dr. Richard Hauser, der bereits 1981 mit einer Arbeitsgruppe im Auftrag der Europäischen Gemeinschaft einen ersten Nationalen Armutsbericht für Deutschland erstellt hat, hält eine Weiterentwicklung der Armutsberichterstattung für erforderlich. Er bezeichnete die Veröffentlichung des ersten Regionalen Armutsatlasses, mit dem der Paritätische im Sommer 2009 die regionalen Ausmaße der Armut deutlich gemacht hat, als Pioniertat. Dagegen kritisierte auch er den 3. Armutsbericht der Bundesregierung. Im Vergleich zu den Gutachten, auf denen er basiere, sei der Be- Diskutierten über die Folgen der Armut und Herausforderungen für Politik und Gesellschaft – von Links: Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, Frauke Hunfeld, Journalistin und Autorin des Buches „Und plötzlich bist du arm“, Moderatorin Gwendolyn Stilling vom Paritätischen Gesamtverband, Dr. Armin Kuphal, Soziologe an der Uni des Saarlandes und ebenso wie Schneider Mitautor des 1. Armutsberichts des Paritätischen, Jens Schröter von der Aktionsgemeinschaft arbeitsloser Bürgerinnen und Bürger, Bremen. 26 www.der-paritaetische.de 012976_Bundesteil_01_2010.indd 26 1 | 2010 16.12.2009 16:14:03 Verbandsrundschau Auto BAYER Gruppe Fotos: Reiner Zensen | Gerhard Pfannendörfer WIR MITTEN IN RHEIN | MAIN Dr. Rudolf Martens, Leiter der Paritätischen Forschungsstelle (rechts), im Gespräch mit Armutsforscher Professor Hauser richt verniedlichend. Hauser sagte, zu den künftigen Aufgaben einer fundierten Armutsberichterstattung müsse es gehören, die Ursachen materieller Armut tiefer zu analysieren und die Situation von Menschen in besonderen Lebenslagen wie etwa Menschen mit Behinderung oder chronischen Erkrankungen oder Personen, die in Alten- und Pflegeheimen leben, stärker zu berücksichtigen. Darüber hinaus sei eine präzisere Erfolgskontrolle der steuer-, arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Maßnahmen der Armutsbekämpfung erforderlich. Zur Festlegung der Armutsgrenze schlug er vor, auf den Lebensstandardansatz zurückzugreifen. Dabei werden in einer breit angelegten Umfrage zufällig ausgewählte Bürger befragt, welche Güter und Leistungen sie für ein annehmbares Leben für erforderlich halten und ob sie diese Güter und Leistungen selbst besitzen beziehungsweise sich leisten könnten. Güter, die mehr als 80 oder 90 Prozent der Befragten für unbedingt erforderlich halten, sollten dann als Mindeststandards erklärt und zur Errechnung des erforderlichen Mindesteinkommens herangezogen werden. „Demokratischer Ansatz“ Hauser: „Dieser Ansatz kann am ehesten als unmittelbar demokratisch bezeichnet werden, weil hierbei alle Bürger als Experten gefragt sind.“ Dies wäre auch ein neuer Ansatzpunkt für die Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung vieler Armer durch die übrige Bevölkerung. „Denn hierfür“, so Hauser, ist die Sichtweise der nicht armen Bevölkerungsmehrheit im täglichen Umgang maßgeblich.“ Auch die von Armut betroffenen Menschen müssten beim Zustandekommen von nationalen Armutsberichten beteiligt werden, forderte Jens Schröter, der 1989 als einziger Betroffener am Armutsbericht des Paritätischen mitgewirkt hat. Er war auch als Betroffenenvertreter in die Diskussionsrunde zum Abschluss der Tagung geladen. Dabei ging es unter anderem um die weitreichenden Folgen von Armut, Ausgrenzung und Benachteiligung, insbesondere aber die Folgen der Kinderarmut und die dringend notwendige bessere Unterstützung von Familien. UB 7O? 5O!*!F Sonderkonditionen ^R? $!F 93)^ (DF <D?$ X!)^3Z?_!)\!F ^R? Organisationen und Einrichtungen der Parität )F$ $!?!F YO*3?5!O*!?C Nachlass Mitarbeiter/ Menschen mit Behinderung Nachlass Einrichtung Transportkosten 19 – 24% 21 – 25 % 480,- € Fiesta 22 % 25 % 480,- € Fusion 24 % 27 % 480,- € Focus 24 % 26 % 540,- € Focus CC Cabrio C-Max 21 % 21 % 540,- € 24 % 26 % 540,- € Mondeo 23 % 23 % 590,- € S-Max 24 % 26 % 590,- € Ford Modell Ka* Galaxy 24 % 26 % 590,- € Kuga 20 % 20 % 590,- € Connectkurz Connectlang Transit Front Transit Heck Ranger 25 % 26 % 660,- € 29 % 30 % 660,- € 32 % 36 % 830,- € 32 % 36 % 830,- € 32 % 32 % 660,- € Q*3F$C WL*D5!? 1IIK # X3&ZJ3++ M! F3&Z YD*D?O+O!?)F\ )F$ ])++*3**)F\ ]F^?3\!F ?O&Z*!F QO! 5O**! 3F T3HDF3 YRJJ!? )F*!? 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P!J!^DF UI,N/2S K, 12>I P!J!^3% UI,N/2S K, 12>N- www.ford-bayer.de 1 | 2010 012976_Bundesteil_01_2010.indd 27 Geschützter Online Zugang ‚Wohlfahrt’ [!3F*?3\!F QO! :Z?!F persönlichen Zugang@ =3HO* !?Z3J*!F QO! ?!\!JH`AO\ :F^D?H3*ODF!F _) QDF$!?HD$!JJ!F )F$ 3L*)!JJ!F 9DF$O*ODF!FG www.der-paritaetische.de 27 16.12.2009 16:14:04 Forum Eine Fundgrube für Beratungsstellen Unverzichtbar: Der Service des Informationsverbundes Asyl und Migration Wer in der Beratung von Flüchtlingen und Migranten tätig ist, weiß seine Arbeit zu schätzen: Der „Informationsverbund Asyl“ hat sich in den zehn Jahren seines Bestehens mit seiner professionellen fachlichen Arbeit ein hohes Ansehen erworben. Nicht nur für Beraterinnen und Berater, auch für Rechtsanwältinnen und -anwälte sowie Richterinnen und Richter ist der Informationsverbund eine wichtige Anlaufstelle in Fragen rund ums Asylrecht, zunehmend aber auch in Sachen Migration. Daher hat er seinen Namen erweitert und heißt jetzt „Informationsverbund Asyl und Migration“. D er Informationsverbund versteht sich als Servicestelle für alle, die in der Flüchtlings- und Migrationsarbeit aktiv sind“, sagt Harald Löhlein, Referent des Paritätischen für Flüchtlingshilfe und seit sieben Jahren Vorsitzender des Informationsverbunds. „Die Schnittmenge zwischen den Bereichen Asyl und Migration und das Spektrum der relevanten Themen sind in den vergangenen Jahren immer größer geworden, darum haben wir beschlossen, dies nun auch im Namen deutlich herauszustellen.“ Informationen sammeln, bündeln, für die fachliche Arbeit aufbereiten und publizieren – das ist die Aufgabe von Juristin Klaudia Dolk und Geschäftsführer Der „Informationsverbund Asyl und Migration“ ist Nachfolgeorganisation der Zentralen Dokumentationsstelle der Freien Wohlfahrtspflege für Flüchtlinge und ein positives Beispiel für verbandsübergreifende Kooperation, die hilft, Know-how zu bündeln und Ressourcen effizient einzusetzen. Träger sind neben dem Paritätischen und den anderen Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege (Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Diakonie, Deutsches Rotes Kreuz und Zentralwohlfahrtsstelle der Juden) Amnesty International und Pro Asyl. Wichtiger Kooperationspartner ist das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR), das den Kooperationsverbund auch finanziell unterstützt. Auf europäischer Ebene 28 www.der-paritaetische.de 012976_Bundesteil_01_2010.indd 28 Michael Kalkmann, die zusammen mit Sachbearbeiterin Judith Hoffmann das dreiköpfige festangestellte Team des „Informationsverbundes Asyl und Migration“ bilden. Rund 1.000 Gerichtsurteile stellen sie jährlich in die Rechtsprechungsdatenbank. Entstanden ist so ein riesiger Fundus, der es unter anderem arbeitet der Informationsverbund u. a. mit dem Österreichischen Roten Kreuz als Partner des „European country of origin information network“ (www. ecoi.net) zusammen. ecoi.net sammelt und publiziert aktuelle und öffentlich zugängliche Herkunftsländerinformationen unter dem spezifischen Gesichtspunkt der Bedürfnisse von Asylanwälten, Flüchtlingsberatern und Behörden, die unter anderem über Asylanträge entscheiden. Kontakt: Informationsverbund Asyl und Migration e. V. Greifswalder Straße 4 10405 Berlin Tel.: 030/46703010 Fax: 030/46 79 33 29 E-mail: [email protected] ermöglicht, Argumentationen in ähnlichen Fällen zu vergleichen und wichtige Fakten für die Beratungsarbeit herauszufiltern. Ob Asylverfahrens- und -prozessrecht, allgemeines Aufenthalts- oder Staatsangehörigkeitsrecht – alles wird registriert und ist dank einer nutzerfreundlichen Online-Datenbank auf der Internetseite www.asyl.net leicht zu finden. Ebenso wie Erlasse und Verwaltungsvorschriften des Bundesinnenministeriums und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Arbeitshilfen und Gesetzestexte, Links zu Rechtsberatern und Nichtregierungsorganisationen sowie Beiträge aus dem Asylmagazin. Diese Publikation des Informationsverbundes enthält eine Vielzahl praxisorienterter Informationen und erscheint zehnmal jährlich. „Ein Informationsnetzwerk kann nur so gut sein, wie die Informationen, die ihm zur Verfügung stehen“, betont Michael Kalkmann. „Wir freuen uns daher, wenn uns weitere wichtige Dokumente zugeschickt werden, die für die Unterstützung der Belange von Flüchtlingen und Migranten hilfreich sind.“ www.asyl.net UB 1 | 2010 16.12.2009 16:14:04 Forum „Wohnen am richtigen Platz“ Hessisches Projekt will jüngere behinderte Menschen aus Altenheimen holen Erich Wieber hat große Fortschritte gemacht. Als der heute 52-Jährige im Oktober 2008 im AWO-Seniorenheim in Stadtallendorf aufgenommen wurde, war er auf den Rollstuhl angewiesen und konnte sich ohne fremde Hilfe nicht fortbewegen. Heute ist er mit dem Rollator unterwegs, läuft in die Stadt oder fährt mit dem Bus zu seinem früheren Elternhaus, wo er zuletzt mit seinem mittlerweile verstorbenen Vater über viele Jahre gewohnt hat. Dorthin will er „so schnell wie möglich wieder zurück“. Dabei hilft ihm die hessische Landesarbeitsgemeinschaft freie Ambulante Dienste im Rahmen des Projekts „Wohnen am richtigen Platz“. A uch wenn Erich Wieber mittlerweile nur noch eine Gehhilfe benötigt, sich waschen und anziehen kann, selbst versorgen kann der einstige Baufacharbeiter sich nicht. „Das Essen hier ist gut und das Pflegepersonal ist sehr nett, aber mir ist nur langweilig. Von den alten Menschen hier hört der eine nicht gut, der andere sieht fast nichts mehr, jeder hat hier was anderes.“ Erich Wieber, der auf dem schütteren Haar eine fesche Baseballkappe trägt, an seine Zimmertür Autoposter gepinnt hat und aus Zeitungen Gebrauchtwagen-Anzeigen ausschneidet – „Ich hatte drei GTI“ – fühlt sich im Seniorenheim fehl am Platz. Er will ins Dorf zurück, wo er viele kennt und viele ihn. Zum Neustart braucht es einen festen Willen Seit 1. Januar 2009 erhalten erwachsene Menschen mit Behinderung im Alter unter 60 Jahren hessenweit Unterstützung bei ihrem Bestreben, wieder in ein möglichst selbst bestimmtes Leben zu- Die ersten Schritte waren für Erich Wieber (links) nicht einfach. Unterstützung dabei erhielt er von seinen FIB-Betreuern Willibald Fischer (im Rollstuhl) und Cafer Ungan. Foto: Willführ rückzukehren. „Wohnen am richtigen Platz“ heißt das Projekt der Landesarbeitsgemeinschaft freie Ambulante Dienste (LAGfAD). Sitz der Koordinierungsstelle ist Marburg. Verantwortlicher Projektleiter ist der Sozialwissenschaftler Markus Drolshagen. „Selbstbestimmung ist das höchste Gut“, sagt der 38-jährige promovierte Pädagoge. Es wieder zu erlangen setze allerdings, unabhängig von allen bürokratischen Verhältnissen und Verhinderungen, eines voraus: „den festen Willen des Betroffenen“. Nach jüngsten Schätzungen des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen sind mehr als 800 behinderte Menschen von einer Fehlplatzierung in einem Seniorenheim betroffen: vom Motorradfahrer Mitte Zwanzig, der nach einem schweren Unfall noch unter epileptischen Anfällen leidet und zuhause nicht mehr von seinen Angehörigen versorgt werden kann, bis zur Mittvierzigerin mit Multiple Sklerose, die mit dem Fortschreiten der Krankheit eine barrierefreie Wohnung benötigt und deshalb nicht mehr in ihr Haus zurückkehren kann. Häufig sind es Angehörige, manchmal Freunde, mitunter auch Heimleitungen, die bei Markus Drolshagen nach Alternativen zum Heimaufenthalt fragen. Nach der ersten Kontaktaufnahme sucht der ebenfalls behinderte Projektleiter die Umzugswilligen auf. „Ich versuche in langen Gesprächen und entspannter Atmosphäre den Hilfebedarf zu ermitteln, der für ein Leben außerhalb der Institu1 | 2010 012976_Bundesteil_01_2010.indd 29 www.der-paritaetische.de 29 16.12.2009 16:14:04 Forum Gefahr der Resignation Seit mehr als einem halben Jahr unternimmt Cafer Ungan, Mitarbeiter des FIB, regelmäßig Ausflüge mit Erich Wieber. Sein Kollege Willibald Fischer, selbst im Rollstuhl, kümmert sich um seine „pädagogische Betreuung“. Die Kunden des FIB müssen ihre neue Lebenssituation mit Behinderung häufig erst einmal annehmen lernen. Willibald Fischer erinnert sich: „Als ich Herrn Wieber an Pfingsten vorschlug, ein Fest in seinem Heimatort zu besuchen, hat er sich geweigert.“ Erich Wieber hatte Angst, verspottet, gehänselt, ausgegrenzt zu werden. Er, der Schaffer, ein Macher, ein Autofreak, nun im Rollstuhl. Mit Hilfe von Willibald Fischer hat Erich Wieber diese Barriere überwunden, trifft sich wieder mit seinen Freunden. Er ist nicht mehr der Alte, aber er hat es geschafft, sich einer neuen Situation zu stellen. „Je länger jüngere Behinderte in einer Alteneinrichtung untergebracht sind, um so mehr resignieren sie, noch etwas an ihrer Situation ändern zu können“, hat Markus Drolshagen beobachtet – in der Praxis und auch in einer qualitativen Studie der Philipps-Universität Marburg mit 36 Probanden. Denn zumeist war es ein traumatisches Ereignis, das sie in die stationäre Einrichtung brachte. Der Tod von Menschen, die sie bislang versorgten, ein Unfall mit schwerwiegenden körperlichen Einschränkungen als Folge, eine Erkrankung, die dauerhafte Pflege nötig machte, die nicht von Angehörigen geleistet werden konnte. Schnell musste entschieden werden, wo die Menschen mit Behinderungen nach immer kürzer finanzierten Aufenthalten in Krankenhäusern und Rehakliniken untergebracht werden konnten. Meist blieb – gerade im ländlichen Raum – mangels ambulanter Hilfen nur die Unterbringung in einem Altenheim. Markus Drolshagen sieht ein Problem darin, „dass die Leistungssätze für eine ambulante Behandlung denen für eine stationäre nicht gleich gesetzt sind“. Und dass es Defizite in einer möglichen Kooperation gibt, „weil stationär und ambulant oft noch rigide getrennt sind.“ Das Projekt „Wohnen am richtigen Platz“, das für eine adäquate und qualifizierte Betreuung jüngerer Behinderter außerhalb von Senioren-Institutionen kämpft, hat mit seiner Förderung durch die Aktion Mensch und die finanzielle Unterstützung durch den Hessischen Sparkassen- und Giroverband schon einen großen Erfolg verbuchen können. Es kann über drei Jahre laufen – zunächst. Rund 90 jüngere Behinderte könnten in Hessen in dieser Zeit aus einem Altenheim wieder in ein selbst bestimmteres Leben zurückkehren, wird geschätzt. Erich Wieber könnte einer davon sein – wenn die Kostenfrage geklärt ist für die Arbeit des dreiköpfigen Teams aus zwei Männern und einer Frau, die sicherstellen, dass er regelmäßig Mahlzeiten bekommt, dass der Ofen in dem Fachwerk- haus ausreichend mit Holzscheiten versorgt wird und keine Krankheit oder eine Verschlimmerung seiner Behinderung unbemerkt bleibt. „Erstmal werde ich den Kühlschrank putzen“, stellt Erich Wieber sich seine Rückkehr nach Hause vor. „Dann werde ich für hundert Euro im Laden vom Nachbarn einkaufen gehen. Es muss ja auch noch was in die Speisekammer.“ Wann dies Realität wird, ist nicht in Tagen oder Wochen absehbar. Noch gibt es zuviele Unwägbarkeiten. Nicht nur die Übernahme der Kosten für eine ambulante Versorgung muss geklärt werden. In seiner Wohnung gilt es, „klar Schiff“ zu machen. Und das Team des FIB muss einen Betreuungsplan erstellen. Ob es noch im Januar klappt oder Frühjahr wird, bis der 52-Jährige vielleicht wieder in sein altes Zuhause umziehen kann: Das Projekt „Wohnen am richtigen Platz“ wird ihn weiterhin unterstützen, wie viele andere jüngere Menschen mit Behinderungen auch, die die Kraft finden, nach einem traumatischen Erlebnis wieder einen Schritt in mehr persönliche Unabhängigkeit zu wagen. Corinna Willführ Forschung: Leben mit seltenen Erkrankungen Leitfaden des VAMV: Das neue FamFG Sexuelle Gewalt. Beiträge aus Theorie und Praxis. Das Bundesgesundheitsministerium hat den Forschungsbericht „Maßnahmen zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation von Menschen mit seltenen Erkrankungen in Deutschland“ veröffentlicht. Die Ergebnisse der Studie gelten als grundlegend für den Aufbau eines Nationalen Aktionsforums sowie eines Nationalen Aktionsplans für seltene Erkrankungen in Deutschland. Der Forschungsbericht ist auf der Homepage des Ministeriums für Gesundheit www.bmg.bund. de im Bereich Publikationen zu finden. Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter hat einen Leitfaden zur Umsetzung des neuen Familienrechtlichen Verfahrens (FamFG) in der Beratungspraxis herausgebracht. Er kann kostenlos heruntergeladen werden von der Internetseite www.vamv.de. Der Leitfaden informiert über die wichtigsten Neuerungen des FamFG. Der Schwerpunkt liegt auf der Regelung des Umgangs und auf den unterschiedlichen Situationen getrennter Eltern und Einelternfamilien. Basierend auf Beiträgen auf dem Kongress zum 20-Jährigen Bestehen von Wildwasser Berlin behandelt das Buch „Sexuelle Gewalt. Beiträge aus Theorie und Praxis“ den Umgang mit sexueller Gewalt in Öffentlichtkeit, Medien und Fachöffentlichkeit. Es kann für 20 Euro zuzüglich Versandkosten bezogen werden bei Wildwasser Berlin, Wriezener Str. 10/11, 13359 Berlin, Tel.: 030/48628232, www.wildwasser-berlin.de. tion nötig ist.“ Unterstützung dabei erhält Drolshagen von den Mitgliedern der LAGfAD und dem Verein zur Förderung der Integration Behinderter (FIB). 30 www.der-paritaetische.de 012976_Bundesteil_01_2010.indd 30 Kontakt LAGfAD e. V. Am Erlengraben 12 a 35037 Marburg Projekt Wohnen am richtigen Platz Tel.: 06421/16967-58 Fax: 064 21/16967–29 E-Mail: [email protected] www.lagfad-hessen.de 1 | 2010 16.12.2009 16:14:05 Forum „Kinderrechte ins Grundgesetz“ Zum Jahrestag der Verabschiedung der UN-Konvention über die Rechte des Kindes am 20. November 2009 hat der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz gefordert. Dabei handele es sich keineswegs um „Symbolpolitik“, betont DKSB-Präsident Heinz Hilgers. Nach einer Aufnahme ins Grundgesetz erwarte der DKSB weitere Gesetze zur Stärkung der Kinderrechte. D ie 1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete Kinderrechtskonvention formuliert weltweit gültige Grundwerte im Umgang mit Kindern über alle sozialen, kulturellen, ethnischen oder religiösen Unterschiede hinweg. Sie fordert eine neue Sicht auf Kinder als eigenständige Persönlichkeiten. Alle Staaten mit Ausnahme der USA und Somalias haben die Konvention ratifiziert, aber Realität sind die Kinderrechte immer noch nicht. „Die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz wäre zunächst ein wichtiges Signal“, so Hilgers. „Aber es wäre auch der Auftrag, alle Gesetze darauf zu überprüfen, ob sie dem Recht des Kindes auf soziale Sicherheit, auf Bildung und auf Partizipation gerecht Kinder brauchen besonderen Schutz und Förderung, betont der Deutsche Kinderschutzbund. Archiv-Foto: Reiner Strack werden.“ Mit sofortiger Wirkung hätten Rechtsprechung und Verwaltung die entsprechenden Gesetze verfassungskonform auszulegen. Das bedeute zum Beispiel, dass Kindertagesstätten und Spielplätze nicht mehr aus Wohngebieten verbannt werden könnten. Richter hätten anders abzuwägen, wenn die Kinderrechte im Grundgesetz stünden – nämlich im Zweifel zugunsten unserer Kinder. „Viele berufen sich darauf, Kinder seien ja durch die allgemeinen Menschenrechte geschützt. Das reicht aber nicht aus. Kinder brauchen zusätzliche Förder- und Schutzrechte – weil sie mehr sind als kleine Erwachsene“, so Heinz Hilgers. Deutsches Kinderhilfswerk beklagt Verstoß gegen UN-Kinderrechtskonvention Eine vom Deutschen Kinderhilfswerk in Berlin vorgelegte Analyse kommt zu dem Ergebnis, dass die Beteiligungsrechte für Kinder und Jugendliche in Deutschland dringend ausgebaut werden müssen. „Es liegt ein eklatanter Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention vor, die die Vorrangstellung des Kindeswohls, die Verwirklichung der Kinderrechte und die Berücksichtigung des Kindeswillens anerkennt“, betonte Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes. Bund und Länder seien aufgefordert, unter Beteiligung der Kommunen die notwendigen Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Verwirklichung der Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen zu treffen. Zu den Beteiligungsrechten gehören etwa die Wahl von Klassensprecherinnen und Klas- sensprechern, die in einigen Bundesländern ab Klassenstufe 1 Pflicht sind (Bremen, Hamburg, MecklenburgVorpommern, Schleswig-Holstein), während in den anderen Bundesländern dies erst ab Klassenstufe 3, 4 oder 5 verbindlich festgeschrieben ist. Die Partizipationsrechte der Schülerinnen und Schüler müssten gestärkt werden, fordert das Deutsche Kinderhilfswerk. In fast allen Bundesländern würden den Eltern weitergehende Beteiligungsrechte als den Schülerinnen und Schülern zugestanden. Auf der kommunalen Ebene wurden bei der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen mittels Wahlrecht in den letzten Jahren einige Fortschritte erzielt, betont das Deutsche Kinderhilfswerk. In sieben Bundesländern sind Jugendliche ab 16 Jahren bei Kommunalwahlen wahlberechtigt. Als erstes Bundesland hat Bremen 2009 auch die Altersgrenze für die Teilnahme an Landtagswahlen auf 16 Jahre gesenkt, um Jugendliche frühzeitiger an die Politik heranzuführen. Die Analyse kann als pdf heruntergeladen werden von der Internetseite www.kinderpolitik.de 1 | 2010 012976_Bundesteil_01_2010.indd 31 www.der-paritaetische.de 31 16.12.2009 16:14:05 Forum Neues Zentrum für eine bessere Zukunft Deutsch-bosnisches Kooperationsprojekt zur Förderung behinderter Kinder Ins bunte Bällebad eintauchen, schaukeln, klettern, auf weich gepolsterten Matten Purzelbäume schlagen. So schön kann Kindheit sein. Doch für die meisten der Jungen und Mädchen, die seit vorigem Sommer das Frühförder- und Behandlungszentrum im bosnischen Zenica-Doboj besuchen, sind das völlig neue Erfahrungen. Viele von ihnen wurden von den Eltern aus Scham, ein behindertes Kind zu haben, mehr oder minder versteckt und konnten zuhause kaum gefördert werden. Das neue Zentrum, ein Kooperationsprojekt des bosnischen Vereins Humanost, der Marburger Hilfsorganisation Terra Tech und der Lebenshilfe Plauen eröffnet den Kindern völlig neue Lebensperspektiven. M ehr als ein Jahrzehnt ist seit dem Ende des schrecklichen Bürgerkriegs in Bosnien-Herzegowina vergangen. Die Auswirkungen für das gemeinschaftliche Zusammenleben und die wirtschaftliche Situation sind bis heute spürbar. Von einem niedrigen Lohnniveau und einer überdurchschnittlich hohen Arbeitslosigkeit ist besonders der zentralbosnische Kanton Zenica-Doboj geprägt. Die ohnehin schwere Lebenssituation stellt sich hier gerade für Menschen mit Behinderung extrem hart dar. Ihre Chancen auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sind sehr gering – nicht nur wegen der prekären wirtschaftlichen Situation, sondern auch wegen sozialer Vorbehalte. Im ganzen Land werden Menschen mit Behinderung enorm stigmatisiert, teilweise sogar von ihren Familien vor der Öffentlichkeit verborgen. Hinzu kommen fehlende therapeutische Möglichkeiten bezie- Das neue Frühförderzentrum für Kinder in Zenica-Doboj 32 www.der-paritaetische.de 012976_Bundesteil_01_2010.indd 32 hungsweise fehlende finanzielle Voraussetzungen, um die spärlich vorhandenen therapeutischen Angebote in den Städten wahrnehmen zu können. Humanost schafft neue Perspektiven Dieses Defizit in der sozialen Versorgung hat zu einer zivilgesellschaftlichen Initiative geführt, aus welcher der bosnische Verein Humanost hervorgegangen ist. Der Verein und seine Erfolge wären ohne den persönlichen Einsatz des Erfurters Georg Schiel undenkbar. Als Flüchtlingshelfer ist er Ende der 90er-Jahre nach Bosnien gegangen und setzt sich seitdem für die Belange sozial benachteiligter Menschen ein. 2007 hat der von ihm ins Leben gerufene Verein Humanost mit einem Förderzentrum für behinderte Kinder und Jugendliche in der Stadt Maglaj einen Anfang gemacht, die unzureichenden Strukturen zur Förderung behinderter Menschen zu verbessern. 2008 begann der Bau eines Frühförderzentrums für Kleinkinder in Zenica, das am 24. September 2009 feierlich eingeweiht wurde. Mit Gedichten und Tänzen wurde die Zeremonie von Kindern des städtischen Kindergartens eröffnet. Neben dem Bürgermeister von Zenica und dem Sozialminister des Kantons nahm an der Feier auch der deutsche Botschafter Joachim Schmidt teil, der die Einrichtung „als sehr wichtigen Beitrag für die bosnische Gesellschaft und die Integration junger Menschen 1 | 2010 16.12.2009 16:14:08 Forum TERRA TECH e. V. engagiert sich seit 1986 in der Entwicklungs- und Katastrophenhilfe. Im Fokus der Vereinsarbeit stehen notleidende und bedürftige Menschen in Afrika, Asien, Südamerika, im Nahen Osten und Osteuropa. (www.terratech-ngo.de) * Humanost – societas humanitatis ist ein gemeinnütziger Verein im bonischen Zenica, der sich seit 2006 mit Projekten für die Weiterentwicklung des Sozialsektors engagiert. Im Zentrum der Vereinsarbeit stehen Flüchtlinge sowie Bevölkerungsgruppen, die an den Rändern der Gesellschaft Bosniens leben, wie Menschen mit Behinderung. Der regionale Schwerpunkt liegt im zentralbosnischen Kanton Zenica-Doboj. (www.societas.ba) * Die Lebenshilfe Plauen ist eine gemeinnützige GmbH im sächsischen Plauen, die sich der Förderung von Menschen mit Behinderung in verschiedenen Bereichen zuwendet, wie etwa der Frühförderung und Frühbehandlung von behinderten Kleinkindern, unter anderem aber auch ein integratives Bildungswerk betreibt.(www.lebenshilfe-plauen.de) mit Behinderung“ würdigte. Sein Dank dafür galt nicht nur dem bosnischen Verein Humanost, der Träger der Einrichtung ist, sondern auch der Marburger Hilfsorganisation Terra Tech, die als technische Partnerin mit finanzieller Unterstützung des deutschen Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) das Bauprojekt umgesetzt hat. Die Kosten betrugen zirka 400.000 Euro. In Fragen der Ausstattung und des Therapieangebotes war die Lebenshilfe Plauen gGmbH eine äußerst hilfreiche Projektpartnerin. Zwölf Gemeinden sind verantwortlich Für den laufenden Betrieb des Zentrums sind die zwölf Gemeinden des Kantons verantwortlich. Aus diesen Gemeinden kommen die Kinder, die nun die Einrichtung zur Therapie nutzen. Gefördert werden Kinder im Alter von wenigen Wochen bis zu sechs Jahren mit dem Ziel, körperliche, geistige, sprachliche, emotionale und soziale Entwicklungsrückstände aufzuholen. Drohende Behinderungen sollen so vermieden oder die Folgen bereits bestehender Behinderungen weitestmöglich aufgefangen werden. „Aus Scham wurden die Kinder von ihren Eltern oder Angehörigen versteckt und vom gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt. Sie haben den ganzen Tag zu Hause verbracht, ohne dass sich jemand mit ihnen beschäftigt hat. In ganz Bosnien gibt so gut wie keine Therapiemöglichkeit“, beklagte die Geschäftsführerin von Humanost, Dze- Alles so schön bunt hier nana Ceremic, die Situation noch vor einigen Monaten. Mit Heil- und Hilfsmitteln, die zum Teil aus Deutschland kommen, sowie einem umfassendem Therapieangebot (Physiotherapie, Logopädie, Psychologie etc.) wird der Mangel an Möglichkeiten langsam, aber effektiv angegangen. Es gilt als erwiesen, dass sich die Erfolgschancen therapeutischer Maßnahmen für Kleinkinder in dem Maße erhöhen, je früher mit etwaigen Behandlungen begonnen werden kann. Die Frühförderstelle ist zunächst auf einen Bedarf von 160 Kindern ausgelegt, wobei geschätzte 280 von Behinderung betroffene oder bedrohte Kinder in der Region leben. Langfristiges Ziel ist es, die Kinder umfassend in die Gesellschaft zu integrieren. Im nächsten Schritt ist daher eine Erweiterung der bestehenden Einrichtungen und später der Bau einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen denkbar – so die Zukunftsvision von Humanost. AK © bilderbox - Fotolia.com DGSP-Memorandum zur medikamentösen Behandlung psychischer Erkrankungen Die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) hat eine Memorandum zur Anwendung von Antipsychotika in der Behandlung psychisch erkrankter Menschen veröffentlicht. Darin fordert sie unter anderem eine veränderte Praxis beim Einsatz dieser Medikamente. Veröffentlicht wurde das Memorandum anlässlich der DGSP-Tagung zum Thema „Richtig eingestellt? Gratwanderung Neuroleptika!“ Ende September 2009 in Berlin. Diskutiert wurden dabei unter anderem neue Forschungsergeb- nisse, die zeigten, dass das Verhältnis von Nutzen und Risiken der medikamentösen Antipsychotikabehandlung ungünstiger ist, als bisher angenommen wurde, so die DGSP. Die gegenwärtige Anwendungspraxis müsse dringend hinterfragt werden. Gleichzeitig müsse der Zugang zu psycho- und sozialtherapeutischen Maßnahmen verbessert werden. Das Memorandum steht im Internet unter www.psychiatrie.de/dgsp/article/ Memorandum_der_DGSP.html. Kontakt: [email protected]. 1 | 2010 012976_Bundesteil_01_2010.indd 33 www.der-paritaetische.de 33 16.12.2009 16:14:10 hören & sehen Mit Maßnahmen-Mix gegen die Arbeitslosigkeit Was haben die Hartz-Reformen bewirkt? lautet der Titel einer Analyse des Sozialwissenschaftlers Tobias Müller, der sich ausführlich mit Ursachen, Ausmaß und Folgen des Problems der Massenarbeitslosigkeit in Deutschland beschäftigt, sich den unterschiedlichen Arbeitsmarkttheorien widmet und der Frage nachgeht, ob die Hartz-Reformen taugliche Rezepte gegen die hohe Arbeitslosigkeit bieten. Sein Resümee: Die wohl umfassendste Reform der deutschen Arbeitsmarktpolitik – auch als „Modernisierung“ bezeichnet – hat zwar den Druck auf Arbeitslose erhöht und zum massiven Ausbau des Niedriglohnsektors geführt, aber nicht nennenswert zur Schaffung neuer Arbeitsplätze beigetragen. Der vorübergehende Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt sei eher einer ungewöhnlich guten Weltkonjunktur geschuldet gewesen. Nicht nur die ökonomischen, auch die psychosozialen Folgen der Arbeitslosigkeit erfordern laut Müller einen innovativen Maßnahmen-Mix. Dazu gehörten eine bessere Bildungspolitik, stärkere Investitionen in (ökologische) Forschung und Entwicklung sowie die Stärkung des privaten Konsums (etwa durch Einführung des Mindestlohns, steuerliche Entlastung niedriger Einkommen und die Anhebung des Regelsatzes von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe). Essenziell sei eine gerechtere Verteilung von Erwerbsarbeit durch Verkürzung der individuellen Arbeitszeit in Kombination mit einem Grundeinkommen. Das lasse Erwerbstätigen auch mehr Möglichkeiten für familiäres und soziales Engagement. Tobias Müller: Was haben die HartzReformen bewirkt? Zu Ausmaß, Ursachen und Folgen der Arbeitslosigkeit in Deutschland. Weißensee Verlag, 284 Seiten, 38 Euro. ! „Das andere Leben“ Der Selbsthilfeverband – Forum Gehirn e. V. hat einen Ratgeber für Menschen mit einer Hirnschädigung und deren Angehörige herausgegeben, der eine gelungene Mischung zwischen wichtigen Sachinformationen und persönlichen Schilderungen enthält. Das Buch sollte überall dort greifbar sein, wo Menschen nach einer Schädelhirnverletzung versorgt werden und sowohl sie als auch ihre Angehörigen mit einer Vielzahl von Fragen und Problemen konfrontiert sind. Die beiden Autorinnen Sylvia Pommert und Daniela Büscher sowie Autor Lothar Ludwig (Bundesvorsitzender des Selbsthilfeverbandes – Forum Gehirn) schildern ihre persönlichen Erfahrungen als Angehörige und zeigen deutlich, wie wichtig Eltern, Partner, Kinder und Freunde für den Betroffenen als Bindeglied zwischen seinem alten und neuen Leben sind. Zudem geben sie wichtige Informationen zu Themen wie Therapie, Kommunikation, Hilfsmittel, Wahl der Reha-Einrichtung, Verhandlungen mit Kostenträgern und Persönliches Budget. Bestellung unter www.shv-forum-gehirn. de (7,50 Euro plus Versandkosten). Ausstellung: Wohnungslose im Nationalsozialismus Mit einer Wanderaustellung erinnert die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V. an die wohnungslosen Männer und Frauen, die in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur als sogenannte „Asoziale“ verfolgt wurden. Die Ausstellung umfasst 13 bedruckte Textil-Banner (105 x 215 cm) zu The34 www.der-paritaetische.de 012976_Bundesteil_01_2010.indd 34 men wie Weltwirtschaftskrise, Bettlerrazzia 1933, Arbeitshäuser, Rassenhygiene, Zwangssterilisation, „Asoziale Großfamilien“, als „Asozial“ ins Konzentrationslager. Nähere Informationen über die Ausstellung und Ausleih-Konditionen finden Interessierte im Internet auf der Seite www.bagw.de. ILCO-Broschüren im neuen Gewand Die Stoma-Broschürenreihe der Deutschen ILCO hat ein neues Layout erhalten. Die Standardwerke „ColostomieIleostomie – ein Leitfaden“ sowie „Irrigation – Darmspülung bei Colostomie“ wurden zudem auch inhaltlich überarbeitet. Mit großer Sachkenntnis sowie produkt- und herstellerneutral werden aus der Perspektive einer erfahrenen Selbsthilfeorganisation wesentliche Informationen und Tipps zu Dickdarmund Dünndarmausgang, Irrigation, Ernährung und dem Alltagsleben gegeben. Schilderungen von Betroffenen über ihre Erfahrungen runden die gleichermaßen für Stomaträger und ihre Angehörigen als auch für Fachkräfte im Gesundheitswesen interessanten Informationen ab. Erhältlich sind auch wieder die Broschüren „Stomaträger und Ernährung“ sowie „Lust zum Leben – Erfahrungen von Stomaträgern“. Die Broschüren sind kostenlos, ein Beitrag zu den Versandkosten in Form von Briefmarken wird erbeten. Bestellung bei: Deutsche ILCO e. V., Thomas-Mann-Str. 40, 53111 Bonn, Tel.: 0228/338894-50, E-Mail: [email protected]. Neu erschienen Wolfgang Gern/Franz Segbers (Hrsg.) Als Kunde bezeichnet, als Bettler behandelt – Erfahrungen aus der Hartz-IV-Welt VS Verlag, 128 Seiten, 10,80 Euro, ISBN 978-3-89965-386-1, www.vsa-verlag.de * Irene Becker, Richard Hauser Soziale Gerechtigkeit – ein magisches Viereck/Zieldimensionen, Politikanalysen und empirische Befunde Forschung aus der Hans-Böckler-Stiftung, Band 104, edition sigma, 308 S., ISBN 978-3-8360-8704-9, 19,90 Euro. 1 | 2010 16.12.2009 16:14:10 Rezension „Das Sterben der anderen“ Asmus Finzens Beitrag zur Diskussion um die Sterbehilfe M ehr als 800.000 Menschen sterben pro Jahr in Deutschland. Manche ereilt ein plötzlicher Tod, andere sterben nach langer Krankheit – liebevoll umsorgt von nahestehenden Menschen und Pflegekräften. Oder altersschwach, einsam und verlassen. Der Gedanke ans Sterben weckt bei vielen die Angst vor einem qualvollen Ende ohne Würde, die Furcht vor Hilflosigkeit, Siechtum, Fremdbestimmung und Schmerzen. Schätzungen zufolge haben mittlerweile zwischen acht und zwölf Millionen Menschen eine Patientenverfügung verfasst – in der Hoffnung, auf die Behandlung und Betreuung am Ende ihres Lebens auch dann Einfluss nehmen zu können, wenn sie nicht mehr in der Lage sein sollten, ihren Willen zu äußern. Die Patientenverfügung und die im September 2009 beschlossene gesetzliche Regelung zu deren Wirksamkeit nehmen in Asmus Finzens Buch „Das Sterben der anderen“ einen wichtigen Platz ein. Was geht und was geht nicht? In welchem Umfang ist Selbstbestimmung am Ende des Lebens überhaupt möglich? Und auf welche Hilfen haben die Menschen ein Recht? Was konkret versteht man unter aktiver, passiver und indirekt aktiver Sterbehilfe? Asmus Finzen hält diese Bezeichnungen für falsch, weil sie aus seiner Sicht verwirren und Realitäten verschleiern. Mit seinem Buch will er Klarheit in die Begrifflichkeit der Sterbehilfe bringen und Dimensionen dessen, was wirklich geschieht, zurechtzurücken. Hilfe zum Sterben, Hilfe beim Sterben Finzen fordert: Wir müssen rigoros unterscheiden zwischen Hilfe beim Sterben, also der Erleichterung des Sterbens durch Linderung von Beschwerden, sowie der Hilfe zum Sterben, also der Tötung eines Kranken auf dessen Verlangen oder Hilfe zur Selbsttötung, bevor der eigentliche Sterbeprozess eingesetzt hat. Der Autor plädiert dafür, die menschlich gebotenen Möglichkeiten auszuschöpfen, Todkranken das Sterben zu erleichtern, ihnen beim Sterben zu helfen und kritisch zu hinterfragen, wann es sich bei der Behandlung sterbenskranker Menschen um Lebensverlängerung oder Sterbeverzögerung handelt. Zugleich fragt er auch nach Gründen, warum Schwerkranke verlangen, ihr Leben vor dem Einsetzen des Sterbeprozesses zu beenden. Dabei lenkt er auch den Blick in die Niederlande und die Schweiz. Der 1940 geborene Psychiater warnt vor der Gefahr einer neuen Euthanasie“. Die Suizidhilfe des ehemaligen Hamburger Justizsenators Roger Kusch für eine 79-jährige, keinesfalls sterbenskranke Frau habe möglicherweise auch in Deutschland einen Dammbruch bewirkt, schreibt er. Mit seinem Buch leistet Finzen einen wichtigen Beitrag zur Diskussion um ein humanes Sterben. Es ermutigt, Unsicherheiten, Zweifel und Ängste nicht zu verdrängen. Denn das Sterben der anderen ist irgendwann auch das eigene. Asmus Finzen, Das Sterben der Anderen, Balance-Verlag, 15,95 Euro, UB ISBN 978-3-86739-047-7. impressum Magazin des PARITÄTISCHEN ISSN-1866-1718 Telefon: 0 30/2 46 36-0 · Fax: -110 http://www.der-paritaetische.de E-Mail: [email protected] Verantwortlich: Dr. Ulrich Schneider Redaktion: Ulrike Bauer (UB), Tel.: 06126/7003030 und 0172/6585424 Martin Wißkirchen, Tel.: 0 30/24636-311 Titelbilder: Andreas Greiwe|Der Paritätische NordrheinWestfalen, Deutsche Vereinigung Morbus Bechterew (www.bechterew.de), SelbsthilfeKontaktstelle Bielefeld Verantwortlich für die Landsseiten: Berlin: Rita Schmid, Tel.: 030/86 00 1-0. Brandenburg: Irene Dause, Tel.: 0331/28497-0. Bremen: Anke Teebken, Tel.: 0421/79199-0. Hessen: Annette Wippermann, Tel.: 069/955262-0. Mecklenburg-Vorpommern: Christina Hömke, Tel.: 0385/59221-0. Sachsen: Beate Hennig, Tel.: 0351/4916612 Thüringen: Doreen Handke, Tel.: 036202/26-231. Für Aufsätze und Berichte, die mit dem Namen des Verfassers gekennzeichnet sind, trägt dieser die Verantwortung. Die Redaktion behält sich Kürzungen von Leserbriefen vor. Nachdruck nur mit Genehmigung der Schriftleitung. Redaktionsschluss: 6 Wochen vor Erscheinen. Erscheinungsweise: 6 x pro Jahr Anschrift von Herausgeber, Verlag, Redaktion und Vertrieb: Der Paritätische – Gesamtverband, Oranienburger Straße 13-14, 10178 Berlin Bankverbindung: Bank für Sozialwirtschaft, Mainz, Kto-Nr. 70 39 500 (BLZ 550 205 00) Druck: Henrich Druck + Medien GmbH, Schwanheimer Straße 110, 60528 Frankfurt am Main. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier Anzeigenverwaltung: PARITÄTISCHE Verlags GmbH, Oranienburger Straße 13-14, 10178 Berlin, Tel.: 0 30/2 46 36-311, Fax: 0 30/2 46 36-110, E-Mail: [email protected]. 1 | 2010 012976_Bundesteil_01_2010.indd 35 www.der-paritaetische.de 35 16.12.2009 16:14:10 was · wann · wo Präventionstag 2010 im Mai in Berlin Großer Spielmarkt „Bildung – Prävention – Zukunft“ heißt das Schwerpunktthema des 15. Deutschen Präventionstages am 10. und 11. Mai 2010 in Berlin. Mehr als 300 Referentinnen und Referenten beschäftigen sich mit einem breiten Themenspektrum aus dem gesamten Arbeitsfeld der (Kriminal-)Prävention. Nähere Informationen – auch zu Beteiligungsmöglichkeiten von Gruppen, Verbänden und Institutionen gibt es auf der Internetseite www.praeventionstag.de. Markt, Fachforum und Bildungsfest – das alles ist der Spielmarkt der Akademie Remscheid vom 18. bis 20. Februar 2010. Rund 70 spielund kulturpädagogische Institutionen, Gruppen, Initiativen und Fachleute aus Deutschland, Österreich und der Schweiz präsentieren ihre Arbeit an Ausstellungsständen, Büchertischen und in Themenräumen, bei kurzen Workshops und Fachvorträgen. Schwerpunkt ist das Thema Interkultur. Das detaillierte Programm finden Interessierte im Internet unter www.spielmarkt.de. Sprachförderung bei Kindern mit Down-Syndrom Am 12. Februar 2010 veranstaltet der Martinsclub Bremen e. V. in Kooperation mit der Universität Bremen einen Fachtag zur Sprach(früh)förderung von Kindern mit Down-Syndrom. Expertinnen und Experten wie Dr. Christel Manske, Prof. Dr. Andre Zimpel und Prof. Dr. Ursula Pixa-Kettner stellen neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Wahrnehmung und Sprachentwicklung von Kindern mit Trisomie 21 und Erfolg versprechende Methoden der Sprachförderung vor. Weitere Informationen gibt es unter www.martinsclub.de/unsere-inhalte/bildung/tagungen. Symposion Frühförderung Sprachförderung und Sprachtherapie in der beziehungsorientierten Entwicklungsförderung stehen im Mittelpunkt des Münchner Symposion Frühförderung am 19. und 20. März 2010 an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Veranstaltungsorganisation und Sekretariat: Arbeitsstelle Frühförderung Bayern Pädagogische Abteilung Seidlstraße 18a 80335 München Tel.: 089 545898-20 www.fruehfoerderung-bayern.de 36 www.der-paritaetische.de 012976_Bundesteil_01_2010.indd 36 Qualitätsstandards in der Wundheilung Vom 17. bis 19. Juni 2010 findet in Freiburg der 13. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e. V. statt. Die DGfW e. V. hat sich als interdisziplinäre wissenschaftliche Fachgesellschaft das Ziel gesetzt, den Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis zur verbesserten Behandlung akuter und chronischer Wunden zu unterstützen. Zentrales Thema der Jahrestagung sind Leitlinien und Qualitätsstandards in der Wundheilung und -behandlung, Nähere Infos: www.wunde-wissen.de. HanseMerkur Preis für Kinderschutz Karl Kübel Preis 2010: „Macht uns stark!“ Sorge für Kinder ist Vorsorge für die Zukunft. Unter diesem Motto vergibt die HanseMerkur Versicherungsgruppe seit 1981 jährlich den mit 50.000 Euro dotierten HanseMerkur Preis für Kinderschutz. Bewerben können sich Projekte, die sich beispielhaft für erkrankte, sozial- beziehungsweise psychosozial belastete Kinder und Jugendliche engagieren oder die helfen, sozialen Gefährdungen vorzubeugen. Bewerbungen sind bis 31. März 2010 möglich. Nähere Informationen finden Interessierte auf www.hansemerkur.de (Unternehmen – Über uns – Engagement). Kontakt: E-Mail: [email protected], Tel.: 040/41191277. Der mit 50.000 Euro dotierte Preis der Karl Kübel Stiftung für Kind und Familie trägt 2010 den Titel „Macht uns stark! Bildungs- und Präventionsnetzwerke für Eltern mit jungen Kindern“. Ausgezeichnet werden Organisationen und Einrichtungen, welche die Entwicklung von Kindern in den ersten Lebensjahren wirksam fördern. Wichtig ist dabei der Modellcharakter der Aktivitäten. Bewerbungsschluss ist am 31. Januar 2010. Weitere Informationen finden Interessierte im Internet unter www.karlkuebelpreis.de. Sie erhalten diese auch bei der Karl Kübel Stiftung, E-Mail: [email protected], www.kkstiftung.de, Tel.: 06251/7005-0. Weltkongress: „Rechte werden Wirklichkeit“ Erstmals findet in Deutschland ein internationaler Kongress statt, der Menschen mit geistiger Behinderung, ihre Familien, Dienstleistungsanbieter und Fachleute der Behindertenarbeit zusammenführt. Die Bundesvereinigung Lebenshilfe und ihr europäischer Dachverband Inclusion Europe sind die Ausrichter des 15. Weltkongresses von Inclusion International vom 16. bis 19. Juni 2010 in Berlin. Schwerpunkt des Weltkongresses ist die Konvention der Vereinten Nationen für die Rechte behinderter Menschen. Der Kongress soll dazu beitragen, die Bedeutung der UN-Konvention zu verstehen und die Umsetzung dieser globalen Rechte voranzutreiben. Folgerichtig trägt der Kongress auch das Motto: „Rechte werden Wirklichkeit!“ Weitere Informationen gibt es unter: www.inclusion2010.de oder Tel.: 030/ 206411-141, Fax: -241, E-Mail: kerstin. [email protected]. 1 | 2010 16.12.2009 16:14:11