Werner Tübke - Panorama Museum

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Werner Tübke - Panorama Museum
Werner Tübke
Werner Tübke war fraglos einer der wohl bedeutendsten, aber auch umstrittensten Maler dieses
künstlerisch so schnelllebigen Jahrhunderts, in dem die verbreitete Aufgabe tradierter Werte der Kunst
längst zur Implosion der leeren Formen geführt hat. Einsam beharrte er auf dem für ihn allein Maßstab
setzenden Vorbild der Großen der Vergangenheit. Dabei erschien sein immenses bildkünstlerisches
Werkverwirrend vielschichtig und komplex als Ergebnis polarer Spannungen zwischen
Idealvorstellungen und einer als problematisch empfundenen Wirklichkeit, zwischen Realitätsbefund und
irrationalem Impuls, zwischen dem eigenen, letztlich unergründlichen Innenleben und Reflexionen der
Außenwelt. In ihm manifestierte sich ein höchst prekäres, in seiner artifiziellen Strategie konsequent
historisiertes, doch um so kunstvoller arrangiertes Universum, das in seinem Zentrum großes Welttheater
mit ganz privaten, intimen Phantasien bruchlos verbindet.
Werner Tübke wurde am 30. Juli 1929 in Schönebeck an der Elbe geboren. Schon während der Schulzeit
wird seine ungewöhnliche künstlerische Begabung erkannt. Mit 10 Jahren nimmt er in Magdeburg bereits
privat Zeichenunterricht bei Karl Friedrich. Nach einer zehnmonatigen schuldlosen Inhaftierung durch
sowjetische Sicherheitsorgane 1945/46, einer anschließenden Malerlehre in Schönebeck und dem Besuch
der Meisterklasse für das Deutsche Handwerk (Fachrichtung Malerei) in Magdeburg beendet er 1948
seine Schulausbildung mit dem Abitur. Noch im gleichen Jahr beginnt er ein Studium an der Hochschule
für Graphik und Buchkunst in Leipzig (u.a. bei Elisabeth Voigt und Ernst Hassebrauck), wechselt noch
vor Ende des dritten Semesters Anfang 1950 jedoch zum Studium der Kunsterziehung und Psychologie
an die Universität Greifswald, wo inzwischen der ehemalige Bauhausschüler Herbert Wegehaupt als
Leiter einer akademischen Mal- und Zeichenklasse in der künstlerischen Praxis unterrichtet.
Nach dem Staatsexamen 1952 in Greifswald kehrt Werner Tübke wieder nach Leipzig zurück, wo er
zunächst für zwei Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Bildende Kunst am soeben
eröffneten Zentralhaus für Laienkunst tätig ist, ehe er nach einer etwa einjährigen Phase als
freiberuflicher Maler, Zeichner und Buchillustrator ab September 1955 nun selbst im akademischen
Lehrbetrieb als Assistent, dann Oberassistent im Grundlagenstudium an der Leipziger Hochschule für
Graphik und Buchkunst (HGB) zu wirken beginnt. Schon 1957 als unbequemer Querdenker politisch
bedingt wieder entlassen, arbeitet er bis zu seiner Wiedereinstellung als Oberassistent im
Grundlagenstudium an der HGB im Dezember 1962 erneut annähernd fünf Jahre freischaffend in Leipzig.
Bereits im September 1964 erfolgt jedoch seine Berufung zum Dozenten und 1972 die Ernennung zum
Ordentlichen Professor mit Übernahme des unter dem Rektorat von Bernhard Heisig inzwischen neu
eingerichteten Lehrstuhls für Malerei. 1973 wird er schließlich zum Rektor der HGB gewählt. 1976, im
Jahr der Auftragsübernahme zu seinem Frankenhäuser Monumentalwerk, lässt er sich jedoch wieder von
diesem Amt entbinden, um mit ganzer Kraft an seinem größten und im Ganzen auch wichtigsten
Auftragsprojekt, dem Panorama-Gemälde »Frühbürgerliche Revolution in Deutschland« in Bad
Frankenhausen, arbeiten zu können.
Nach Vollendung des Bildes im Herbst 1987 übernimmt der inzwischen (1985) für seine Arbeit mit der
Ehrendoktorwürde der Universität Leipzig ausgezeichnete Künstler 1990 den Auftrag zur
Bühnenausstattung von Carl Maria von Webers »Der Freischütz« in der Inszenierung von Gian-Carlo del
Monaco an der Bonner Oper (Premiere 28. Februar 1993). Als letztes großes Auftragswerk entsteht
schließlich von 1993-96 ein großer, achtteiliger Flügelaltar für die St. Salvatoriskirche zu Zellerfeld
(Altarweihe 13. April 1997). Im Dezember 2003 übergibt er sein gesamtes persönliches Schriftgut an das
Archiv für Bildende Kunst des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg. Werner Tübke verstirbt am
27. Mai 2004 in Leipzig.
Das Œuvre Werner Tübkes umfasst ca. 6000 Zeichnungen, etwa 500 Aquarelle, 350 Gemälde (Öl,
Tempera, Mischtechnik) und mehr als 200 Druckgraphiken (zumeist Lithographien, aber auch
Radierungen und Holzschnitte, letztere aus der Frühzeit). Im Werk dominiert das Menschenbild
(Historien- und Zeitdarstellungen, Porträts, Akte, Sinnbilder, Harlekinaden, christliche Motive,
Mythologisches); Landschaften sind vorrangig im Aquarell ausgeführt.
Werner Tübke wurde eine Vielzahl von Preisen und Auszeichnungen zuerkannt, darunter: 1971
Kunstpreis der Stadt Leipzig; 1972 Goldmedaille der Grafikbiennale in Florenz; 1977 Hauptpreis Malerei
der 2. Triennale der Kunst sozialistischer Länder in Sofia; 1980 Käthe-Kollwitz-Preis der Akademie der
Künste der DDR; 1982 Mitglied der Königlichen Akademie der Künste Schwedens in Stockholm; 1983
Mitglied der Akademie der Künste der DDR/zu Berlin (1992 Austritt); 1988 Ehrenmitglied der Akademie
der Künste der UdSSR; 1989 Ehrenmitglied der Serbischen Akademie für Kunst und Wissenschaft
Belgrad (1992 Austritt). Bislang sind bereits mehr als 100 Einzelausstellungen des Künstlers in
Deutschland, Österreich, Schweden, Italien und Frankreich, in den Niederlanden, Russland und den USA
gezeigt worden. Darüber hinaus gab es unzählige weitere Ausstellungsbeteiligungen in ganz Europa,
Australien und den USA. Werke von Werner Tübke befinden sich in vielen wichtigen Museen und
Sammlungen in Europa und in Übersee.
Seit Mai 2006 existiert eine Tübke-Stiftung, die im ehemaligen Atelier Werner Tübkes in der zweiten
Etage der Springerstraße 5 in Leipzig einen umfassenden und einmaligen Einblick in das Leben und
Werk des Leipziger Malers bietet. www.tuebke-stiftung-leipzig.de
Welthaltigkeit, geschöpft aus einem weiträumigen Denken in Jahrhunderten und immer wieder befestigt
an
den ganz wenigen wirklich existentiellen Archethemen, die es in der Welt- und Kunstgeschichte gibt, ist
bei aller Rätselhaftigkeit und bizarren Hieroglyphik der Erfindung ein wesentliches Charakteristikum
seiner Kunst, die geistvolle, sensible Spielerei mit Formen und Gedanken keineswegs ausschließt. Abseits
der endlosen Verlängerung der Moderne, aber auch unbeeindruckt vom kunstpolitischen
Erwartungsgefüge staatlicher Auftraggeber hat er einen genuin eigenständigen,
ambivalent-metaphorischen Manierismus begründet, der bewusst in der ganzen Wandlungsfülle der
christlich-abendländischen Bildtradition wurzelt, ja inzwischen selbst schon als kunstgeschichtliches
Phänomen zu werten ist. Eine Leistung, die Anfang der siebziger Jahre zuerst in Italien erkannt wurde,
jedoch hierzulande teilweise noch immer gravierend unterschätzt wird.
Im Rückblick erscheint die Genesis dieses einzigartigen, opulenten Lebenswerkes gleichsam wie
naturgesetzlich vorgegeben und von einer geheimen inneren Logik erfüllt. Ihn interessierende Bildstoffe
fand Werner Tübke in weltumspannenden Gesellschaftskonflikten (»Fünf Kontinente«, 1958), in der
»Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung« (1961), in Themen wie Neofaschismus
(»Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze«, 1965-67) und »Nationalkommitee Freies Deutschland«
(1969/70), aber auch in dramatisierten Strandszenen (1967-71) und ltalienmotiven (1971-75). Zu
Hauptwerken seines Schaffens wurden großformatige Mehrtafelbilder und Panoramen, so die große
Gesellschaftsutopie des Ausgleichs der Gegensätze (»Arbeiterklasse und Intelligenz«, 1970-73), die
Vision vom letztendlichen Triumph des Humanismus in »Der Mensch - Maß aller Dinge« (1975),
natürlich das universale Geschichtspanorama zum Umbruch vom Spätmittelalter zur Neuzeit (1976-87),
das zugleich ein Pandämonium menschlicher Leidenschaften in einem aufbrechenden Jahrhundert und
komplexer Spiegel eigener Befindlichkeiten geworden ist, dann die Bonner Bühnenentwürfe zu Webers
»Freischütz« (1990-93) als schon sehr intime Seelenlandschaften zwischen lyrischer Naturversenkung
und dämonischer Phantasmagorie und schließlich als krönende Vollendung seines Werkes der große
Flügelaltar für St. Salvatoris zu Clausthal-Zellerfeld (1993-96), ein Opus der Versöhnung und des inneren
Friedens, das in höchsten Grade vergeistigt und distanziert erscheint. Dazu kamen immer wieder sehr
private Sujets, Harlekinaden etwa, Einzelfiguren oder Porträts.
Bei aller Kontinuität gibt es in dieser Abfolge unübersehbar eine Tendenz, einen Wandel von stärker
zeitpolitisch intendierten Ansätzen hin zu prinzipiell zeitlos verallgemeinerter Sinnbildhaftigkeit, ein
Changieren von a priori gesellschaftlich-historischen Realitätsbezügen über visionäre Utopien bis zu
extrem subjektivistischer Innerlichkeit, die gerade die letzten Bilder so nachhaltig bestimmt. Ja, Tübkes
Bildwelten sind, ausgehend von der ganz privaten »Nebenproduktion« zu seinem epochalen
Frankenhäuser Geschichtspanorama der ewigen Wiederkehr von Aufstieg und Niedergang, längst in ein
entlegenes Arkadien entrückt, das ein verlorenes Paradies von schicksalhafter Verstrickungen, nervöser
Spannungen und Tragik, das voller Ironie und ohne Unschuld ist. Auf dieser Bühne zelebrierte der Maler
in absurden Ritualen und seltsamen, traum-, ja tranceartigen, halluzinativen Zeremonien sein Welttheater,
ein alchimistisches Spiel existentieller Befindlichkeiten von geheimnisvollem morbidem Reiz, dessen
Protagonisten vorzugsweise gebrochene Existenzen, problematische Gestalten mit schwerem Schicksal,
kostümierte Erscheinungen, Obdachlose, Bettler und andere, im Leben zu kurz Gekommene, aber auch
Harlekine, Gaukler, comrnedia-dellyx´arte-Figuren und Narrensind. Ja, der Künstler selbst offenbart sich
uns in seinem Werk letztlich vielfach als ein gratwandernder Seiltänzer, Epuilibrist und Harlekin.
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