Einfach über den Gürtel gehen Handout

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Einfach über den Gürtel gehen Handout
Wien, September 2010
Einfach über den Gürtel gehen
Handout
Recherche und Konzept
Petra Unger im Auftrag der MA 21A - Zielgebiet Westgürtel-Gründerzeit
Magistratsabteilung 21 A
Stadtteilplanung und Flächennutzung
Innen-West, Bezirke 1-9 und 14-20
Geschäftsstelle „Zielgebiet Westgürtel“
1, Rathausstraße 14-16
Tel.: (+43 1) 40 00-88012
E-Mail: [email protected]
Routenverlauf
15., Hackengasse 11
Ort des ehemaligen Toni Platzer Heimes
Antonia (Toni) Platzer, Franziska Danneberg-Löw
15., Pelzgasse 7
Sitz des Vereins AFRA, International Center for Black Women´s Perspectives
Beatrice Achaleke
15., Pelzgasse 9
Sitz der Union islamischer Kulturzentren
Hacer Demirel
15., Pelzgasse 17
Tschechische und slowakische Minderheit im 15. Bezirk
15., Gürtel
Sexarbeiterinnen am Gürtel
7., Urban-Loritz-Platz
Platzgestaltung Silja Tillner
7., Urban-Loritz-Platz 1
Athenäum
Eugenie Schwarzwald, Olly Schwarz, Olga Steiner
7., Kaiserstraße 46
Ehemaliges Uhu bzw. Erika Kino, heute: Theater Spielraum
Irma Kohn
7., Westbahnstraße 21
Gebäude des ehemaligen Firmensitzes der Seidenmanufaktur Gebrüder Steiner
Jenny Steiner
7., Dorothea-Neff-Park
Dorothea Neff
Magistratsabteilung 21 A
Stadtteilplanung und Flächennutzung
Innen-West, Bezirke 1-9 und 14-20
Geschäftsstelle „Zielgebiet Westgürtel“
1, Rathausstraße 14-16
Tel.: (+43 1) 40 00-88012
E-Mail: [email protected]
Handout zum Rundgang „Einfach über den Gürtel gehen“, September 2010
Routenverlauf
15., Hackengasse 11
Ort des ehemaligen Toni Platzer Heimes
Antonia (Toni) Platzer (1890 - 1981)
Antonia Platzer wird als jüngstes von vier Kindern einer Wäscherin und eines
Steinbrucharbeiters in Kärnten geboren. Ihre Schulbildung endet mit der Volksschule. Ab
ihrem 14.Lebensjahr arbeitet sie in einer Leinenweberei und als Hausgehilfin in Klagenfurt
und Wien. Angesichts ihrer bedrückenden Arbeitssituation ist ihr Weg zur
Arbeiter_innenbewegung, wie sie später sagt, „ein ganz natürlicher“. 1909 ist sie eine der
Gründerinnen des Vereins „Einigkeit“ - ein Zusammenschluss von Hausgehilfinnen,
Hausarbeiterinnen und Erzieherinnen“ und setzt sich Zeit ihres Lebens für verbesserte
Arbeitsbedingungen ein. 1918 übernimmt Antonia Platzer die Position der Sekretärin in
der Gewerkschaftsorganisation der Heimarbeiterinnen und wird Obfrau der Sektion
Hausgehilfen und Stellvertreterin des Vorsitzenden der Gewerkschaft Persönlicher Dienst.
Eines ihrer wichtigsten Anliegen ist es, Heime für arbeitslose Hausgehilfinnen zu schaffen.
Ab 1932 bis 1934 setzt sie sich als Gemeinderätin dafür mit Erfolg ein. In den Jahren
zwischen 1934 und 1945 ist Antonia Platzer Bezirksleiterin der Sozialistischen Arbeiterhilfe
in Wien – Penzing und aus politischen Gründen mehrmals in Haft. Von 1945 bis 1957
gehört sie erneut dem Gemeinderat an. 1957 wird ihr das Goldene Ehrenzeichen für
Verdienste um die Republik Österreich verliehen. Anfang der 1960er Jahre wird ein
ehemaliges Schulgebäude in Wien 15., Hackengasse 11, in ein Bildungszentrum der
Gewerkschaft für Hotel, Gastgewerbe und Persönlicher Dienst umgewandelt und nach ihr
benannt. Am 7.Dezember 1962 übergibt Sozialminister Anton Proksch das „Toni Platzer
Heim“ seiner neuen Bestimmung.
Antonia Platzer stirbt am 24. 10. 1981 im Alter von 92 Jahren und wird unter großer
Anteilnahme vieler Mitstreiterinnen und Parteigenossinnen am Baumgartner Friedhof
bestattet.
Literatur
Die Zweite Österreichische Republik und ihre Repräsentanten, ÖGB Dokumentation, Wien,
1960, S. 688
15., Hackengasse 11
Ehemaliger Ort der Gedenktafel für ungarische Jüdinnen und Juden, die u.a. von Franziska
Danneberg-Löw versorgt und unterstützt wurden.
Franziska Danneberg-Löw (* 02.01.1916,† 1997)
Geboren wird Franziska Danneberg-Löw als Franziska Sara Löw, Tochter eines Juristen und
Direktor der Nordbahn. Nach dem Gymnasium beginnt sie ihre Ausbildung an der
Fürsorgerinnen-Schule von Ilse Arlt. Ab 1937 arbeitet sie als Fürsorgerin der Israelitischen
Kultusgemeinde und später des Ältestenrates der Juden in Wien. Zunächst in der
Kindertagesheimstätte in der Aspernbrückengasse beschäftigt, arbeitet sie ab 1938 in der
Fürsorgezentrale der Israelitischen Kulturgemeinde in der Seitenstettengasse. Zwischen
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1938 und 1945 betreut sie jüdische Jugendliche und Kinder, Gefangene und ungarische
Jüdinnen und Juden im Lager der Hackengasse 11, 1150 Wien. Eine ihrer größten
Bemühungen ist es, möglichst viele Kinder mit Kindertransporten in die verschiedenen
Länder zu retten. Sie kooperiert intensiv auch mit anderen Glaubensgemeinschaften, u.a.
mit der "Hilfsstelle für nichtarische Katholiken", einer evangelischen Hilfsorganisation.
Nicht alle Kinder und Jugendlichen in ihrer Fürsorge kann sie retten. Viele werden nach
Steinhof transportiert oder in Hartheim in Oberösterreich vergast. 1945 tritt sie in den
Dienst der Stadt Wien und bleibt Fürsorgerin. 1966 erhält sie das Goldene
Verdienstzeichen der Republik Österreich. Bis zu ihrer Pension 1979 ist sie
Hauptfürsorgerin im Referat Körperbehindertenfürsorge des Gesundheitsamtes, MA 15.
Sie stirbt 1997.
Literatur
Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) 23.347, Ausführliche
Biographische Erzählung:
http://www.doew.at/frames.php?/service/archiv/eg/dannebergloew3.html
15., Pelzgasse 9
Sitz der Union islamischer Kulturzentren
Die Union islamischer Kulturzentren wird 1980 von Arbeitsmigranten, die in den 1970er
Jahren nach Österreich gekommen waren, gegründet und setzt sich mittlerweile
österreichweit aus 19 Gemeinden zusammen. In Wien befinden sich außer im 15.Bezirk
weitere Gemeinden im 2., 5., 10., 14., 17. und 18.Bezirk. Die 250 Mitglieder des Vereins in
der Pelzgasse sind Sunniten und stammen aus den verschiedensten Ländern: mehrheitlich
aus der Türkei, gefolgt von Mitgliedern aus Makedonien, den Ländern Ex-Jugoslawiens,
Arabien und Tunesien. Der Hauptsitz der Union islamischer Kulturzentren verfügt nach
einem langjährigen Umbau (1996-2005) über eine der schönsten Moscheen in Wien und
Österreich. Das islamische Zentrum dient nicht nur der religiösen Praxis, sondern bietet
auch Nachmittagsbetreuung für Kinder im Alter von 6 bis 16 Jahren, Religionsunterricht
(Koranschule) an Wochenenden, Deutschkurse für Frauen und Nachhilfe für Kinder. Für
Gäste stehen 4 bis 5 Betten, ein Eß- und Waschraum zur Verfügung. Auch ein Freizeitraum
ist für die Mitglieder des Vereins vorhanden. Im ersten Stock befinden sich Vereinsbüro,
Seminarräume und die Bibliothek.
Der Verein beteiligt sich an Veranstaltungen zu interreligiösem Dialog und fühlt sich als
Mitglied der Islamischen Glaubensgemeinschaft gut vertreten. Wenn bei Gebeten
deutschsprachige Gäste anwesend sind, wird in der Moschee der Pelzgasse auch in der
deutschen Übersetzung gepredigt. An Freitagen ist es auch für Nicht-Gläubige möglich, an
den Gebeten teilzunehmen. An Tagen der offenen Tür und zu großen Jubiläumsfeiern, wie
zuletzt das 30jährige Gründungsjubiläum im März 2010, werden Gläubige, Anders- und
Nicht-Gläubige aus der Nachbarschaft zum Mitfeiern eingeladen.
15., Pelzgasse 7/1-2
Sitz des Vereins AFRA, International Center for Black Women’s Perspectives
Petra Unger im Auftrag der MA21A – Zielgebiet Westgürtel Gründerzeit
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Afra wird 2007 von Beatrice Achaleke gemeinsam mit anderen Frauen mit dem Ziel einer
selbstbewussten Selbstorganisation von schwarzen Frauen mit ihren Kindern, um der
alltäglichen, mehrfachen Betroffenheit von Rassismus und Diskriminierung entgegen zu
wirken, gegründet. Gleich nach der Gründung gelingt es dem Verein eine erfolgreiche
Kommunikationskampagne gemeinsam mit M-Media und einigen Kreativen in Wien und
Umgebung mit dem Titel „Black Austria“ zu initiieren. Ziel der Initiative ist es gegen
Diskriminierung und Vorurteilen zu wirken und „…die in Österreich lebenden schwarzen
Menschen (zu) unterstützen, sich aus der Opfer- und Täterrolle heraus zu bewegen.“ Die
Kampagne ist sehr erfolgreich und wird mit dem 2.Preis der Sozialmarie der Unruhe
Stiftung ausgezeichnet. 2008 wird eine 2. Kampagne realisiert und um einem TV- und
Kinospot erweitert. Prominente aus der österreichischen Mehrheitsbevölkerung wirken
hier mit: Roland Düringer, Willi Resetarits, Dodo Roscic, Herbert Prohaska und Kristina
Sprenger. Im Jänner 2009 beendet die Initiative Black Austria aus Mangel an
Unterstützung ihre Aktivitäten wieder. Eine weitere erfolgreiche Aktivität von Afra ist im
September 2007 der erste österreichweite Kongress schwarzer Frauen in Wien sowie 2008
ein sehr erfolgreicher europaweiter Kongress.
www.blackwomencenter.org
http://www.unruhestiftung.org
http://www.sozialmarie.org
15., Pelzgasse 17
Ehemaliger Sitz der Gewerkschaftliche Vereinigung der christlichen, der
tschechoslowakischen Arbeiterschaft in Österreich, des Tschechoslowakischen
Volkskonsumverein, und wahrscheinlich ehemaliger Sitz der Tschechoslowakischen
Volkspartei in Österreich und ehem. Vereinssitz Verein Orel Wien XV (Jednota Orel Víde
XV), Katholischer Turnverein
Tschechoslowakische Minderheit in Wien
Zahlreiche weitere Adresse stehen für das vielfältige Leben der tschechoslowakische
Minderheit im 15.Bezirk - ein Blick in die tschechische Geschichte des Bezirks lohnt sich.
Die Geschichte der tschechischen und slowakischen Minderheit ist eine wechselvolle
Geschichte von Emigration und Remigration. Die gemeinsame österreichische und
tschechoslowakische Geschichte beginnt mit der Regierung Ottokar P emysl II. im
13.Jahrhundert. Danach findet sich erst im 16. Jahrhundert wieder ein Hinweis in der
ältesten Stadtgeschichte, verfasst von dem Humanisten, Historiograph, Karthograph und
Arzt Wolfgang Lazius1auf tschechische Bürger und Händler. Ab dem 17.Jahrhundert sind
Gottesdienste in tschechischer Sprache z.B. Feiern für den Hl. Wenzel in der
Augustinerkirche dokumentiert. Ab 1820 finden sie regelmäßig in der Kirche Maria am
Gestade statt.
Mit beginnender Industrialisierung setzt die erste große Einwanderung nach Wien und
Österreich ein, die schließlich ab der Mitte des 19.Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreicht.
Die Zahlen sprechen von ungefähr 200.000 Zuwanderern. Um 1900 gilt Wien schließlich
1
Vienna Austriae, 4 Bücher, herausgegeben von H. Arbemann, 1619
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als zweitgrößte tschechische Stadt. Mit der Gründung der Tschechoslowakischen Republik
am 28.10.1918 setzt eine starke Remigration von über 100.000 Menschen ein. Obwohl die
Siegermächte Österreich durch den Artikel 67 und 68 im Vertrag von St. Germain zum
Schutz der Minderheiten verpflichten, re-emigrieren dennoch viele. Die nächste Zäsur
folgt 1938 mit dem Anschluss durch Hitlerdeutschland. Bis 1942 werden fast alle Vereine
aufgelöst. Viele Tschechen und Tschechinnen antworten auf die Repression mit
Widerstand. Vor allem kommunistische Widerstandskämpfer_innen riskieren ihr Leben.
Insgesamt werden 69 Widerstandskämpfer_innen vor allem in Mauthausen und
Ravensbrück ermordet. Auch Frauen beteiligen sich am Widerstand. So sind hier u.a.
Marie Houdek und Irma Trksak zu nennen. Nach 1945 kommt es zu einer weiteren Reemigration: Bis 1947 übersiedeln ca. 11.000 Menschen in die Tschechoslowakei. Die
Ereignisse des Jahres 1948 (Machtergreifung der Kommunisten in der Tschechoslowakei
spalten schließlich die tschechischen Vereine in Wien. Es kommt zum „Kampf um die
Vereine“ zwischen der regimefreundlichen Vereinigung Tschechen und Slowaken und dem
regimekritischen Minderheitsrat. Erst mit den Ereignissen des Jahres 1989 und der
sogenannten „Samtenen Revolution“ gelingt der zaghafte Versuch eines Dialogs 1968
sehen sich die Wiener Vereine mit dem Einmarsch der Warschauer Pakt Truppen in Prag
vor einer neuen Herausforderung. Tausende fliehen und die Asylsuchenden finden
Aufnahme und Unterstützung in den Wiener Vereinen. Zwischen 1968 und 1970
beantragen nahezu 12.000 Personen politisches Asyl in Österreich. Am 07.Juli 1976 wird
das Volksgruppengesetz beschlossen, das Wiener Tschech_innen als autochtone
Volksgruppe anerkennt und 1994 wird der tschechische Beirat beim Bundeskanzleramt
gegründet. Als beratendes Gremium (nach einem bestimmten Schlüssel beschickt) kann
der Beirat Vorschläge in Volksgruppenangelegenheiten unterbreiten und ein Budget für
die Volksgruppe erstellen. Heute besitzt ein Großteil der tschechischen Minderheit die
österreichische Staatsbürgerschaft, ist gut integriert bzw. in vielen Fällen v.a. in der 2.
und 3.Generation oft schon assimiliert. Nach wie vor existiert in Wien ein reges
tschechisches Vereins-, Kultur- und Sportleben.
Literatur
Vlasta Valeš, Die Wiener Tschechen einst und jetzt, Scriptorium Verlag, Prag, 2004
Karl M. Brousek, Wien und seine Tschechen, Verlag für Ges. und Politik, 1980
7., Urban Loritz Platz
Wiener Gürtel
Mit einer Verkehrsfrequenz von über 85.000 Kraftfahrzeugen pro Tag und Spitzen bis zu
100.000 Autos ist der Gürtel eine der meist frequentiertesten Straßen Europas. Der
Autoverkehr ist nach wie vor das dominierende Element im gesamten Verlauf. Die
Geschichte der Bebauung und Verwendung des nach Abriss des Linienwalls frei
gewordenen Gebietes beginnt mit Otto Wagner. Er erhält im 19.Jahrhundert den Auftrag
zum Bau der Stadtbahn, der zwischen 1893 und 1898 umgesetzt wird. Zwischen 1898–
1906 errichtet die Stadtverwaltung zahlreiche Grünanlagen im Mittelstreifen und das rote
Wien der Zwischenkriegszeit denkt an eine Bebauung des Gürtels in Form einer
„Ringstraße des Proletariats“. Große Gemeindebauten werden schließlich in der
Zwischenkriegszeit realisiert: der Metzleinstaler Hof (1919/20 als erste Wohnhausanlage
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des "Roten Wien"), Reumannhof (1924–1926); Julius-Ofner-Hof (1926/27); Julius-Popp-Hof
(1925/26); Herweghhof (1926/27);Franz-Domes-Hof (1928–1930) und der Matteottihof
(1926/27).
In der Nachkriegszeit und mit der Begeisterung der 1950er Jahre für den Autoverkehr
setzt sich der Plan einer mehrspurigen quasi „Stadtautobahn“ in jeweils einer Richtung
durch. Sehr bald zeigen sich jedoch die negativen Auswirkungen derartiger
Verkehrskonzepte. Der Gürtel wird zur „Verkehrshölle“ mit sinkender Lebensqualität durch
Lärm- und Umweltverschmutzung. Hinzu kommen Probleme im Mietrecht und der
Wohnungsspekulation, die zur Verslumung der Wohngebiete vor allem am äußeren Gürtel
führen. In dieser Zeit entwickelt sich der Gürtel auch zu einer Straße der Sexarbeit und
„Bordellmeile“. Zahlreiche „Etablissements“ entstehen und Sexarbeiterinnen werben auf
der vielbefahrenen Straße um ihre Kunden. In der Herbststraße findet sich lange Zeit der
Arbeitsstrich für Schwarzarbeiter, auf die vor allem die Bauindustrie gerne zurückgreift,
um die durch Illegalisierung ausbeutbar gemachten Zuwanderer ohne soziale Absicherung
im Baugewerbe zu beschäftigen und damit hohe Personalkosten einzusparen.
Ab den 1990er Jahren wird schließlich ein weiterer der vielen Versuche der Stadtplanung
gestartet, um den Gürtel aufzuwerten. Die junge Architektin Silja Tillner begleitete das EUProjekt „Wien Urbion – Urban Intervention Gürtel West“ planerisch, und setzte durch die
gezielte Öffnung der Stadtbahnbögen, Ansiedelung neuer Lokale und mit einer
Neugestaltung des Urban-Loritz-Platzes klare neue Akzente.
Literatur
Wien Urbion, Urban Intervention Gürtel West, Der Stand der Dinge, Stadtplannung Wien,
MA 18, 2000
Zielgebiet Gürtel 2002 bis 2006, Team Gürtel, MA21A, 2007
Madeleine Petrovic: Der Wiener Gürtel. Wiederentdeckung einer Prachtstraße. 2., neu
gestaltete, überarbeitete und ergänzte Auflage. Verlag Christian Brandstätter, Wien 2009
Sexarbeiterinnen am Wiener Gürtel
Sexarbeit ist ein umstrittenes, vieldiskutiertes Thema. In den regelmäßig
wiederkehrenden Diskussionen wird meist undifferenziert, mit vielen Vorurteilen und der
Vermischung verschiedener Begriffe argumentiert. Eines der wesentlichsten Merkmale der
zumeist hitzig geführten Debatten ist die Vermischung der Begriffe Sexarbeit, Frauen- und
Mädchenhandel (Sklaverei), Missbrauch von Minderjährigen und Ausbeutung von
Drogenabhängigen. Selten kommen in der Auseinandersetzung, die Sexarbeiterinnen bzw.
die Betroffenen selbst zu Wort. Mindestens ebenso selten wird über die (meist
männlichen) Konsumenten und deren Verhalten diskutiert. Die gesetzlichen, politischen
und gesellschaftlichen Maßnahmen im Umgang mit diesem Thema und den handelnden
Personen sind international sehr verschieden und gehen von Anerkennung der Sexarbeit
als Arbeit mit Sozialversicherungsschutz und Steuerpflicht bis zu Stigmatisierung und
Verfolgung der Sexarbeiterinnen. Manche Länder stellen die Inanspruchnahme sexueller
Dienste (also die männlichen Kunden) unter Strafe.
Links zum Thema:
Petra Unger im Auftrag der MA21A – Zielgebiet Westgürtel Gründerzeit
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Handout zum Rundgang „Einfach über den Gürtel gehen“, September 2010
Österreichische Selbstorganisation der Sexarbeiter_innen
http://www.sexworker.at/SWdeclaration.pdf
International Committee on the Rights of Sex Workers in Europe (ICRSE)
http://www.sexworkeurope.org
European Network for HIV/STI Prevention and Health Promotion among Migrant Sex
Workers
http://tampep.eu/index.asp
Lefö - Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen
http://www.lefoe.at/
Bildungsraum für Prostituierte
http://de.sophie.or.at/
Plattform zur Sensibilisierung von Kunden (Freier) der Sexarbeit
http://www.freiersein.de
7., Urban Loritz Platz 1
Athenäum, Adresse des Volksheimes, Veranstaltungsort von Kursen für Frauen und Mädchen
Am 21.Mai 1900 findet im Großen Hörsaal des Anatomischen Instituts der Universität Wien die
konstituierende Generalversammlung des „Vereins für Abhaltung von wissenschaftlichen
Lehrkursen für Frauen und Mädchen“ statt und wird unter dem Namen „Athenäum“ bzw. als
Frauenhochschule bekannt. Ungefähr hundert Frauen und Mädchen, Vertreterinnen der
Frauenbewegung, u.a. Marianne Hainisch und Rosa Mayreder, sind anwesend als Ludo Hartmann,
Initiator des Vereins über die Inhalte der zukünftigen Bildungsinstitution referiert. Ziel des
Athenäums ist es: „Bildung zu verbreiten, die Frauen aus der geistigen Enge führen.“ Die
wissenschaftlichen Lehrkurse – hauptsächlich in den mathematischen und naturwissenschaftlichen
Fächern – finden im Volksheim am Urban Loritz Platz 1, zum Großteil aber im Hörsaal des
Anatomischen Instituts in der Währinger Straße statt. Auch wenn viele der Vorlesungen in
traditioneller Weise gehalten werden, ist das Bemühen groß mit modernen Methoden des
Anschauungsunterrichts, mit Experimenten, praktischen Übungen, seminaristischen
Unterrichtsformen und Exkursionen zu arbeiten. Unter den Vortragenden, die zwar mehrheitlich
männliche Wissenschaftler waren, befinden sich auch prominente Frauen wie die Pädagogin Eugenie
Schwarzwald und die Physikerin Olga Steindler. Mit allen erlebten Höhen und Tiefen kann das
Athenäum als außergewöhnliche Bildungseinrichtung betrachtet werden: im Jahr 1918 werden
insgesamt 443 Kurse mit 14.463 Besucherinnen veranstaltet. Das Angebot ermöglicht Frauen und
Mädchen Zugang zu allen Wissenschaften. Nach zwanzig jährigem Bestehen wird der Verein 1921
schließlich aufgelöst.
Literatur
Günter Fellner, Athenäum. Die Geschichte einer Frauenhochschule in Wien. In: Zeitgeschichte
14/1986, S. 99-115.
Waltraud Heindl, Marina Tichy (Hg.innen), Durch Erkenntnis zu Freiheit und Glück, Frauen an der
Universität Wien ab 1897, Universitätsverlag Wien, 1990
Petra Unger im Auftrag der MA21A – Zielgebiet Westgürtel Gründerzeit
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7., Urban Loritz Platz 1
Adresse des Volksheimes, Veranstaltungsort von Kursen des Athenäums, Vortragsort von Eugenie
Schwarzwald
Eugenie Schwarzwald (* 04.Juli 1872, † 07.August 1940)
Die korpulente „Frau Doktor“ ist eine der bedeutendsten Schulgründerinnen Österreichs, deren
reformpädagogische Ansätze in die berühmte Schulreform Otto Glöckels eingegangen sind. Mit ihrer
Mädchenschule in der Wallnerstrasse 9, später Herrengasse 10 ermöglicht sie erstmals in Österreich
Mädchen die Möglichkeit zu maturieren. Es gelingt ihr namhafte Lehrer an ihrer Schule zu
beschäftigen: Hans Kelsen unterrichtet Soziologie, Arnold Schönberg und Egon Wellesz vermitteln
Musik und der junge Adolf Loos richtet nicht nur die Schulräumlichkeiten ein, sondern lehrt
Architektur. Während des ersten Weltkrieges initiiert Eugenie Schwarzwald die Aktion „Wiener
Kinder aufs Land“ und errichtet die erste Gemeinschaftsküche „Akazienhof“ in Wien. Ab 1918
beginnt sie mit der Gründung einer Reihe von Erholungsheimen. Eugenie Schwarzwald hält am
Athenäum selbst Vorträge und unterstützt sämtliche Initiativen es Vereins. 1938 befindet sie sich
auf einer Vortragsreise in Dänemark, von der sie aufgrund des Anschlusses Österreichs an
Hitlerdeutschland nicht mehr zurückkehrt. Sie stirbt ein Jahr nach ihrem Mann Hermann
Schwarzwald, der ihr ins Schweizer Exil gefolgt ist, 1940 in Zürich. Ihre Schulen werden von den
Nationalsozialisten geschlossen, ihr Vermögen liquidiert und viele ihrer Schülerinnen verfolgt und
vertrieben.
Literatur
Göllner, Renate: Kein Puppenheim. Genia Schwarzwald und die Emanzipation, Peter Lang Verlag Europäischer Verlag der Wissenschaften, Wien, 1999
Streibel, Robert (Hg.): Eugenie Schwarzwald und ihr Kreis, Wien, Picus Verlag, 1996
7., Urban Loritz Platz 1
Adresse des Volksheimes, Veranstaltungsort von Kursen des Athenäums
Olly Schwarz (* 10. März 1877, † 1960 Chicago)
Olly Schwarz wird als Olly Frankl 1877 in Prag in eine assimilierte jüdische Familie geboren. 1898
übersiedelt die Familie nach Wien und Olly Schwarz heiratet den Arzt Prof. Dr. Emil Schwarz. In Wien
findet sie Anschluss an den Kreis um den Volksbildner Prof. Ludo Hartmann, dem Gründer des
"Universitäts-Dozenten-Vereins", der die Bestrebungen um höhere Frauenbildung unterstützt und
das "Athenäum - Abhaltung von Hochschulkursen für Frauen und Mädchen" gründet; Olly Schwarz
wird in den Arbeitsausschuss gewählt. Da ihre "Interessen jedoch mehr auf dem Gebiet der
Frauenbildung und Frauenberufe lagen und über den Rahmen des Klubs weit hinaus gingen"
entwickelt sie die Idee, eine Handelsakademie für Mädchen zu gründen und gewinnt dafür auch die
Physikerin Olga Steindler. Olga Steindler wird Direktorin, Olly Schwarz Kuratorin der Schule. Sie
absolviert einen vierwöchigen Kurs für Berufsberaterinnen in Berlin, der sie darin bestärkt, "die
Beratungsstelle auf eine höhere Stufe zu heben". Um das Unternehmen auf eine breitere Basis zu
heben, gewinnt sie den "Bund Österreichischer Frauenvereine" für ihren Plan, eine "Zentralstelle für
weibliche Berufsberatung" zu errichten. Im Mai 1914 nimmt sie am Internationalen Kongress des
Petra Unger im Auftrag der MA21A – Zielgebiet Westgürtel Gründerzeit
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Frauenweltbundes in Rom teil und wird vom BÖF mit einem Referat über weibliche Berufstätigkeit in
Österreich betraut. Der Kriegsausbruch macht weitere Initiativen zunichte. Olly Schwarz meldet sich
zum Dienst im Kriegsspital in der Wiener Stiftskaserne. Im Herbst 1917 wird ein neues "Ministerium
für soziale Verwaltung" eingerichtet, wodurch die Berufsberatung einen mächtigen Antrieb erhält
und Olly Schwarz in enge Kontakte zum Ministerium gerät. Mit wechselndem Erfolg gelingt es ihr
Berufsberatung zu institutionalisieren. Ab 1933 arbeitet Olly Schwarz in der Flüchtlingsfürsorge für
die "Liga für Menschenrechte". Nach dem Anschluss durch Hitlerdeutschland ist auch sie
gezwungen, gemeinsam mit ihrem Mann († 1955) zu fliehen. Es gelingt die Emigration in die
Vereinigten Staaten. Auch hier ist sie gesellschaftlich und politisch aktiv. 1945 erhält sie die
amerikanische Staatsbürgerschaft. 1954 besuchte sie im Rahmen eines internationalen Kongresses
Wien. 1960 stirbt sie in Chicago.
Link
Österreichische Nationalbibliothek Ariadne
http://www.onb.ac.at/ariadne/vfb/bio_schwarzolly.htm
Biografia – Biografische Datenbank und Lexikon österreichischer Frauen
http://www.biografia.at/
7., Urban Loritz Platz 1
Adresse des Volksheimes, Veranstaltungsort von Kursen des Athenäums
Olga Steindler (* 1879, † 1933)
Olga Steindler wird als Tochter des Rechtsanwaltes Dr. Leopold Steindler (Angaben zu ihrer Mutter
fehlen, Anm. pu) geboren. Nach dem Besuch eines Mädchengymnasiums studiert sie als eine der
ersten Frauen Österreichs Mathematik und Physik und promoviert in diesem Fach. Nachdem sie
mehrere Jahre als Lehrerin arbeitet, gründet sie 1907 ein Wiener Realgymnasium für Mädchen und
die Wiener Handelsakademie für Mädchen. Eröffnet als „Verein zur Förderung der höheren
kommerziellen Frauenbildung“ führt sie die Schule zunächst privat, wird jedoch später eine der
ersten weiblichen Schuldirektorinnen, die in den Staatsdienst übernommen werden. Nach ihrem
frühen Tod im Alter von 54 Jahren werden würdigende Nachrufe von Seiten der Frauenbewegung
veröffentlicht.
Literatur
Angetter, Daniela Claudia: Biografien österreichischer (Physiker)innen : eine Auswahl ; Biografisches
Handbuch österreichischer Physiker und Physikerinnen anlässlich einer Ausstellung des
Österreichischen Staatsarchivs / Daniela Angetter ; Michael Martischnig . - Wien : Österr.
Staatsarchiv , 2005.
7., Kaiserstr. 46
Ehemaliges Uhu Kino bzw. Erika Kino, heute Theater Spielraum
Irma Kohn (*1884 † ?)
Petra Unger im Auftrag der MA21A – Zielgebiet Westgürtel Gründerzeit
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Handout zum Rundgang „Einfach über den Gürtel gehen“, September 2010
1926 erwirbt Irma Kohn von dem Vorbesitzer Ulrich Kalb das Uhu-Kino. Ulrich Kalb gibt auch seine
Konzession an Irma Kohn ab, sie beschäftigt ihn weiter als Geschäftsführer des Kinos. Irma Kohn
sitzt nicht nur jeden Abend an der Kasse, sie erwirbt sich auch die Genehmigung zur Selbstführung
des Kinobuffets. 1929 werden die ersten großen Wiener Kinos auf Tonfilm umgestellt. Die kleineren,
die diese Entwicklung schon aus finanziellen Gründen nicht so rasch mitmachen können - die neuen
Apparate kosten etwa die Hälfte eines Jahresumsatzes -, leiden unter erheblichem
Besucherschwund. Irma Kohn investiert 1931 in die neue Technologie und verbindet damit eine
Generalrenovierung des Kinos. Nach dem Anschluss durch Hitlerdeutschland gelten Irma Kohn und
Ulrich Kalb in der Diktion der Nationalsozialisten als „Volljuden“ und werden sofort aus ihren
Positionen entfernt. „Verdiente“ Parteigenossen bewerben sich um die freiwerdenden“ Kinos,
teilweise auch ohne entsprechende Qualifikation. Allein im siebenten Bezirk sind von diesem
Raubrittertum nicht nur das Uhu-Kino, sondern auch das Admiral-, das Bellaria-, das Rex-, das Maria
Theresien-, das Phönix- und das Schottenfelder Kino betroffen. Irma Kohn hingegen wurde
gezwungen, am 15.7.1938 ein „Ansuchen um Genehmigung der Veräußerung“ ihres Kinos an die
Vermögensverkehrsstelle zu stellen. Sie gibt als „Schätzung nach dem Sachwert“ RM 15.000,- und
als „Begehrten Preis“ RM 50.000,- an. Zur Bekräftigung, daß dieser Preis unter normalen Umständen
wohl realistisch gewesen wäre, fügt sie hinzu „wurde nachweislich mehrfach geboten“. Doch die
neuen Machthaber schätzen das Uhu-Kino trotz der oben angeführten erhobenen Daten lediglich auf
einen Sachwert von RM 3000,- und einen Verkehrswert von RM 24.000,- RM.4. Zu diesem Zeitpunkt
ist es Irma Kohn bereits gelungen, Europa zu verlassen; am 29. November 1938 meldet sie sich aus
ihrer Wohnung in der Löwengasse 39/I/5 ab und emigriert nach Chicago, USA. Der greise Ulrich Kalb
bleibt in Wien, seine letzte Wohnadresse ist die Alxingergasse 97 im 10. Bezirk. Er wird am 27.
August 1942, 78jährig, mit Transport 9-607 nach Theresienstadt und am 29.9.1942 mit Transport
Bs-732 nach Treblinka deportiert. Ein Todesdatum ist nicht bekannt. Irma Kohn kehrt als Irma GraceKent zurück, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Popper, und setzt die bisherige provisorische
Leiterin Margarethe Kompers, die die Witwe eines Widerstandskämpfers war, als Geschäftsführerin
ein. Der Ariseur Franz Röhrich war seiner Stellung sofort nach Kriegsende enthoben worden. Am 25.
Juli 1955 wurde er in Untersuchungshaft genommen, wegen Hochverrats angeklagt und am 13. Mai
1946 zu fünf Jahren Kerker bei Verfall des gesamten Vermögens verurteilt. Irma Grace-Kent bleibt
Konzessionärin mit wechselnden Geschäftsführerinnen bis 1950. Den neuen Namen „ErikaLichtspiele“ behält sie bei und tätigt wiederum Investitionen. 1950 verkauft Irma Grace-Kent ihr Kino
an Adolf Schwager, den Besitzer des Kino Bauma im schweizerischen Winterthur. Über ihren
weiteren Lebenslauf ist vorerst nichts bekannt.
Link
http://www.theaterspielraum.at/kinobroschuere.pdf
7., Westbahnstrasse 21
Gebäude des ehemaligen Firmensitzes der Seidenmanufaktur Gebrüder Steiner
Jenny Steiner (*1863, † 1958)
Jenny Steiner entstammt der in Amerika berühmt gewordenen ungarisch-jüdischen Familie Pulitzer
und wird 1863 in Budapest als Eugenie Pulitzer, Tochter von Simon Siegmund Pulitzer und dessen
Frau Charlotte geboren. Sie heiratet Wilhelm Steiner, Besitzer einer Seidenmanufaktur im siebenten
Bezirk, mit dem sie fünf Kinder bekommt. Nach dem frühen Tod ihres Mannes nimmt Jenny Steiner
die Stelle ihres Mannes ein und erweist sich als geschickte Unternehmerin mit scharfem
Geschäftssinn. Sie führt das Unternehmen gemeinsam mit ihrem Neffen Albert Steiner. Jenny
Petra Unger im Auftrag der MA21A – Zielgebiet Westgürtel Gründerzeit
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Handout zum Rundgang „Einfach über den Gürtel gehen“, September 2010
Steiner ist zusammen mit ihrer Schwester Serena Lederer und deren ebenso kunstsinnigem Mann
August eine bedeutende Förderin der Wiener Secession. Sie kauft insbesondere Werke von Gustav
Klimt, der in unmittelbarer Nähe ihres Firmensitzes in der Westbahnstrasse 21 mit seiner Mutter
lebt. Jenny Steiners Familie gibt mehrere Portraits bei Klimt in Auftrag. Das gewaltige Vermögen, mit
dem Jenny Steiner ihre Kunstkäufe finanziert, wird 1938 beim Einzug per Exekution von den
Nationalsozialisten auf sechs Millionen Reichsmark geschätzt. Ein Steuersteckbrief wegen angeblich
geschuldeter 1, 5 Millionen Reichsmark „Reichsfluchtsteuer“ wird verfasst. Gemeinsam mit ihrer
ältesten Tochter Daisy und deren Mann Wilhelm Hellmann, ihrer Tochter Anna Weinberg und ihrer
Enkelin gelingt Jenny Steiner die Flucht nach Paris. Nach ihrer Odyssee über Portugal und Brasilien
kann sie schließlich dank ihres Verwandten Joseph Pulitzer in die USA einreisen. Jenny Steiner stirbt
1958 im Alter von 95 Jahren in New York. Von ihrer umfangreichen Kunstsammlung wird kaum etwas
restituiert. Die Rekonstruktion des Verbleibes ihrer Kunstschätze gestaltet sich außerordentlich
schwierig und ist noch lange nicht abgeschlossen.
Literatur
Sophie Lillie, „Was einmal war“, Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens, Sophie Lillie,
Czernin Verlag, Wien, 2003
7., Dorothea Neff Park
Verkehrsflächenbenennung 2007 nach der Schauspielerin Dorothea Neff
Dorothea Neff wird als zweites Kind von Hedwig Neff, einer schwäbischen Gräfin und Karl Neff,
Lehrer und Landarzt, geboren. Schon während ihrer Schulzeit verfasst Dorothea Neff im Alter von 16
Jahren ein Referat mit dem Titel „Der Bildungswert des Theaters“ und beginnt schließlich ihre
Schauspielausbildung in München. Erste Engagements führen sie an verschiedene deutsche
Bühnen. Über Köln und Königsberg kommt sie 1939 an das Volkstheater nach Wien. 1941 kommt
ihre jüdische Freundin Lilli Wolff, eine Kölner Kostümbildnerin nach Wien und Dorothea Neff nimmt
sie bei sich in ihrer Wohnung Annagasse 8 auf. Als Lilli Wolf ihren Deportationsbescheid erhält,
beschließt Dorothea Neff spontan, sie zu verstecken. Von 1941 bis 1945 gelingt es ihr unter größter
Lebensgefahr und Hunger ihre Freundin zu retten. Lilli Wolf übersiedelt nach dem Krieg 1947 mit
einem Visum als „Displaced Person“ in die USA. Dorothea Neff kann an ihre Erfolge vor dem Krieg
im Volkstheater, Burgtheater und Akademietheater anknüpfen und wird gefeiert in ihrer Rolle als
Großmutter in Horvaths "Geschichten aus dem Wienerwald" sowie der Titelrolle in Dürrenmatts
"Besuch der alten Dame" und 1963 in Brechts "Mutter Courage". Für diese Rolle wird sie mit der
Josef Kainz-Medaille ausgezeichnet. Für die Rettung ihrer Freundin Lilli Wolf erhält sie 1979 die
Ehrenmedaille des Yad Vashem und ein Baum in der "Allee der Gerechten unter den Völkern" in
Jerusalem wird nach ihr benannt. Dorothea Neff spielt und unterrichtet trotzdem sie erblindet
nahezu bis an ihr Lebensende.
Literatur
Peter Kunze, Dorothea Neff, Mut zum Leben, Verlag Orac Pietsch, Wien 1983
Mosche Meisels, Die Gerechten Österreichs, Eine Dokumentation der Menschlichkeit,
Österreichischen Botschaft in Tel Aviv (Hg.), 1996, S. 64-65.
Petra Unger im Auftrag der MA21A – Zielgebiet Westgürtel Gründerzeit
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