Kolumbien-aktuell No. 391 / 2. September 2004

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Kolumbien-aktuell No. 391 / 2. September 2004
Regelmässige Informationen zu Kolumbien der
Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien
Kolumbien-aktuell No. 391
2. September 2004
Inhaltsverzeichnis:
1.Menschenrechte: Wir unterstützen den Entscheid des Verfassungsgerichtes in Bezug auf
das Antiterror-Statut! Ein Volk verlangt sein Existenzrecht
2.Frieden und bewaffneter Konflikt: Das menschliche Drama im Dep. Arauca
3.Politik: Die Lehren aus dem Referendum ziehen
1.Menschenrechte: Wir unterstützen den Entscheid des Verfassungsgerichtes in Bezug auf
das Antiterror-Statut!
Soziale- und Menschenrechtsorganisationen unterstützen den Entscheid des
Verfassungsgerichtes, durch welchen das Antiterror-Statut als verfassungswidrig erklärt
wurde.
Wir, die Organisationen, welche diese Erklärung unterzeichnen, Mitglieder des
Demokratischen Zusammenschlusses gegen den Krieg, die Koordination
Kolumbien-Europa-USA und die Allianz der sozialen Organisationen für eine
Entwicklungszusammenarbeit für den Frieden und die Demokratie, drücken unsere
öffentliche Unterstützung des Entscheids aus, welcher am 30. August 04 vom
Verfassungsgericht gefällt wurde und durch den der Legislativakt 02, bekannt als
Antiterror-Statut, als verfassungswidrig erklärt wurde.
Tiefgreifende Irregularitäten bei der Diskussion und Annahme dieser Verfassungsänderung
waren genügend Grund, um diese für verfassungswidrig zu erklären. Mit Genugtuung haben
wir den Aufruf des Verfassungsgerichtes an die Legislative aufgenommen, worin diese zur
Respektierung der Garantien der politischen Opposition und der sozialen Dissidenzen
ermahnt wird, wie auch zur Befolgung der festgelegten Vorgehensweisen für
Verfassungsänderungen, denn dies sind grundlegende Bedingungen eines sozialen
Rechtsstaates und der Demokratie.
Obwohl sich das Urteil nicht auf den Inhalt des Statuts bezog, sondern nur auf das Verfahren,
ist es für die KolumbianerInnen befriedigend, dass mit diesem Entscheid die Abschaffung
von Grundrechten eines sozialen Rechtsstaates, wie er in der Verfassung von 1991 verankert
wurde, abgewendet wurde. So u.a. die Gewaltentrennung und das Verbot, dass Militärs
Untersuchungen gegen Zivile leiten. Dank dem Urteil des Verfassungsgerichtes hat jetzt die
Armee keine richterlichen Kompetenzen. Mit der Ungültigkeitserklärung dieser
Verfassungsänderung entsteht ein sichereres Klima für die BürgerInnen, denn dadurch wird
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verhindert, dass es durch die Anwendung dieser Sonderrechte zu Übergriffen und Willkür
kommen kann, wie oft gewarnt worden war. Die Regierung kann den Kampf gegen die
Kriminalität und gegen die terroristischen Aktionen mit den ausreichenden Instrumenten der
Gesetze führen und dabei die Demokratie, den sozialen Rechtsstaat und die Menschenrechte
respektieren.
Die Unabhängigkeit und die Unparteilichkeit, welche das Verfassungsgericht mit diesem auf
dem Recht basierenden Urteil und trotz der unzulässigen Druckausübung durch politische
Gruppen und regierungsnahe Kreise gezeigt hat, ist bemerkenswert. Kürzlich wurde das
Verfassungsgericht auch von der UN-Menschenrechtshochkommissarin, Louise Arbour,
wegen seiner Unabhängigkeit und bedeutsamen Arbeit bei der Überwachung der
Rechtmässigkeit von Anti-Terrormassnahmen anerkannt. In diesem Sinne laden die
unterzeichnenden Organisationen zur Respektierung der Autonomie des Verfassungsgerichtes
ein, welche nicht von der Zustimmung oder Ablehnung dieses oder zukünftiger Entscheide
abhängen darf und rufen die Behörden auf, von Massnahmen abzusehen, welche darauf
ausgerichtet sind, die Kompetenzen des Verfassungsgerichtes zu beschneiden.
Die unterzeichnenden Organisationen unterstreichen zudem die Wichtigkeit der Einhaltung
von internationalen Standarts, der UNO-Empfehlungen und allgemein der im internationalen
Recht festgelegten Normen. Obwohl sich die Regierung gegenüber der UNO in Genf im
vergangenen Jahr und vor der Gruppe der 24 Länder G-24 im Juli 2003 verpflichtet hatte, der
Armee keine richterlichen Funktionen zu übertragen, trieb sie diese Verfassungsänderung bis
zum Schluss weiter. Die Regierung blieb auch bei ihrer Haltung, trotz dauernder Aufrufe der
internationalen Gemeinschaft, miteingeschlossen einem kürzlichen Brief von mehreren
US-Senatoren, darunter dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten John Kerry.
Wir fordern von der Regierung, nicht auf einer Verfassungs- oder Gesetzesänderung zu
beharren, wie sie jetzt als ungültig erklärt worden ist. Mit dieser Zurückhaltung würde sie die
internationalen Verpflichtungen gegenüber der UNO und der G-24 erfüllen und gleichzeitig
die in der Verfassung verankerten demokratischen Grundrechte aufrecht erhalten. Auf jeden
Fall fordern wir die Regierung auf, dass sie vorgängig den Rat des Interamerikanischen
Menschenrechtshofes über die Verträglichkeit einer möglichen Reform mit der
Amerikanischen Menschenrechtskonvention einholt.
Bogotá, 1. September 2004
Unterzeichnende Organisationen: Frauenhaus, Ruta Pacifica de la Mujeres, Stiftung Manuel
Cepeda Vargas, Kolumbianische Juristenkommission, Korporation Viva la Ciudadanía,
Benposta Colombia, Stiftung Hemera, Cinep, Stiftung Neue Republik, Stiftung Mencoldes,
Korporation Compromiso, Penca de Sabila, Volksbildungsinstitut IPC, Indepaz, Funsarep,
Koordination Colombia-Europa-USA und Intereclesiale Kommission Justicia y Paz.
Ein Volk verlangt sein Existenzrecht
Das Auftauchen der AUC in der Sierra von Santa Marta hat verheerende Folgen gehabt.
Drohungen, selektive Morde und Massaker, massive Vertreibungen, Missbrauch jeglicher Art
der Bevölkerung, Beschränkung der Nahrungsmittel und der medizinischen Versorgung und
Aneignung von Land haben erreicht, dass die Angst und der Terror sich der Zone
bemächtigten.
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Von Rosa Emilia Salamanca G.; Asociación de Trabajo Interdisciplinario
Das Volk der Kankuamo lebt in der Sierra Nevada von Santa Marta im Norden Kolumbiens.
Es hat drei Geschwistervölker, mit denen es dieses wunderschöne Territorium teilt: Das Volk
Ika oder Arhuaco; das Volk der Kogi und das Volk der Wiwa. Diese vier Völker bewohnen
die Sierra seit undenklichen Zeiten. Es ist ihr Haus und ihre Aufgabe in dieser Welt ist es,
zum Gleichgewicht der Welt beizutragen. Es ist nicht ihr Ziel, Güter anzuhäufen noch andere
Völker zu beherrschen. Ihr Daseinsgrund ist die Pflege.
Doch dieses Volk und seine Kultur sind im Laufe der Geschichte der Kolonisierung brutal
angegriffen worden von jenen, welche von einer Zivilisation träumen, in der nicht das
Gleichgewicht herrscht und in der keine Sorge zur Mitwelt getragen wird. Durch das
Aufzwingen der Religion der sogenannten Zivilisation verschwanden langsam die Sprache,
die Kleidungsweise, die Religion und die Sitten der Kankuamos. Eine tiefgreifende
Verwirrung zwischen der Wahrheit, sich als Indigena zu identifizieren und dem Wunsch, ein
Weisser zu sein, machte sich inmitten der Kankuamos breit. Es gab viele Ereignisse und
Akteure, die in verschiedenen historischen Momenten zu dieser Situation beitrugen.
Die katholische Kirche haben wir bereits erwähnt, welche ihr Missionierungsprojekt der
Bekehrung zum christlichen Gott aufzwang. Dann folgten der Handel und die Auswirkungen
von ökonomischen Entwicklungsmodellen, welche auf dem Kaffeeanbau und anderen
Produkten basierten, die nicht in Übereinstimmung mit der Kultur der Kankuamos waren. Es
folgte die Kolonisierung als Folge der Violencia der 50er Jahre, die Ausübung der
traditionellen Politik und ihrer klientelistischen Netzwerke und die Aufständischen mit ihren
verschiedenen Projekten des bewaffneten Kampfes und ihrer strategischen Vision der Sierra.
Alle diese Faktoren kombinierten sich in einer Dynamik der Verkennung, der Aufzwingung
und der Respektlosigkeit gegenüber dem Volk der Kankuamo, was zu einer atemberaubenden
Akulturalisierung führte, welche wiederum zu internen Diskussionen und Spannungen - wie
auch mit den Nachbarvölkern - führte.
Aus diesem Prozess entstand im Innern des Volkes der Kankuamo eine Strömung zur
Rückgewinnung der eigenen Identität, der Wiederbegegnung mit dem schlafenden, aber nicht
verschwundenen Indigenasein. So lernten sie von ihren Geschwistern neu ihre Sitten und
stärkten auf diese Weise dieses vierte Bein der Bank, welche das Gleichgewicht des
Universum erlaubt. Zu diesem Gleichgewicht beizutragen, verpflichteten sich Frauen und
Männer des Volkes der Kankuamo. Es wurden Räte (Cabildos) gebildet und Jaime Arias, ein
charismatischer, pflichtbewusster Führer als indigener Gouverneur eingesetzt. Langsam
weitete sich der Wunsch nach Rückgewinnung der eigenen Identität aus und die
Wiederbegegnung mit den traditionellen Wurzeln wurde immer tiefer. Die Tributentrichtung
als grundlegendes Ritual wurde für viele Kankuamos wieder zu einer ihrer Aktivitäten und
sie begannen den Kampf um die Anerkennung ihres Territoriums. Viele Jahre dauerte der
Prozess zur Legalisierung ihres Schutzgebietes. Der kolumbianische Staat zögerte diese
Anerkennung immer wieder hinaus, bis schlussendlich internationaler Druck die
Anerkennung des Schutzgebietes im Jahr 2003 ermöglichte. Doch dieser Prozess der
Wiedergewinnung der Identität wurde nicht von allen mit Wohlwollen gesehen.
In dieser Zeit tauchte im Territorium ein neuer Akteur auf. Die Selbstverteidigungsgruppen
des Cesar mit ihren vielen Ausdrucksformen. Diese paramilitärischen Verbände und ihre
Kommandanten erklärten der Bevölkerung der Sierra Nevada den Krieg und bezeichneten
dieses Territorium öffentlich als ein Nest der Guerilla-Banditen, ein Hort, wo Entführte
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versteckt würden und die indigenen Völker als die Komplizen der Guerilla. Die AUC
begannen die tieferliegenden Gebiete der Sierra völlig zu beherrschen. Heute bewegt sich
nichts und niemand im Tal Upar, ohne dass die AUC dies nicht wissen, nicht kontrollieren,
nicht bewilligen - und die lokalen Behörden, die Händler, Politiker und die Armee schweigen
dazu. Einige der Kommandanten der AUC, so Jorge 40, gehören zu den angesehensten
Familien der Region, wie dies auch die Zeitschrift Semana und andere Medien berichtet
haben.
Dieser Einmarsch und die Festsetzung der AUC in verschiedenen Lagern hat verheerende
Auswirkungen auf das Gebiet. Drohungen, selektive Morde und Massaker, massive
Vertreibungen und Missbräuche jeglicher Art gegenüber der Bevölkerung, Einschränkung der
Versorgung mit Nahrungsmittel und der medizinischen Versorgung und Aneignung von Land
haben erreicht, dass die Angst und der Terror sich der Zone bemächtigten. In diesem Kontext
sind alle Völker der Sierra, insbesondere das Volk der Kankuamo, zu einem der wichtigsten
Ziele der Paramilitärs geworden. Eine neue Ära der Drohung und des Terrors überzog das
Gebiet. Von 1986 bis heute sind rund 221 Mitglieder des Volkes der Kankuamo ermordet
worden. Das jüngste Opfer war Freddy Arias, Verantwortlicher für den
Menschenrechtsbereich der Kankuamos und Bruder des Gouverneurs der Kankuamos. Dieser
Mord geschah inmitten der Verhandlungen der Regierung mit den AUC. Die Widersprüche
und die Verwirrungen der Situation zeigen sich in diesem Fall mit aller Klarheit.
In der Folge führen wir einige Hypothesen über das Interesse der AUC an dieser Zone auf.
Die Sierra Nevada von Santa Marta ist eine zerklüftete Region, perfekt zur Führung eines
Guerillakrieges. Der Zugang zum Meer von Urabá bis zur Guajira für die Ein- und Ausfuhr
von Waffen, Chemikalien zur Drogenherstellung und von Drogen selber, machen dies zu
einem strategischen Gebiet.
Die wirtschaftliche Nutzung der tieferliegenden Gebiete und Täler wird im Rahmen eines
neoliberalen Systems sehr wichtig. Die Kontrolle über die Süsswasserquellen ist von vitaler
Bedeutung, denn die Sierra ist ein wichtiges Wasserschloss, das sämtliche umliegenden Täler
mit Wasser versorgt. Dort wurden einst enorme Mengen von Reis, Sorghum und Baumwolle
produziert. Diese Produktion befindet sich heute aber in Schwierigkeiten. Zudem wird die
Präsenz der Indigenas in diesem Gebiet für die Umsetzung von Wirtschaftsprojekten zu
einem Störfaktor. Der Streben der indigenen Völker nach Bewahrung der Umwelt und nach
Widerstand sind nicht sehr günstige Eigenschaften für einen konkurrenzierenden Markt. Und
sie werden zu einem noch grösseren Hindernis, da sie auf ihrem Recht auf Autonomie und
freier Entwicklung als Völker beharren.
Wir haben gesagt, dass durch diesen Mord mit aller Klarheit die Widersprüche und
Verwirrungen zu Tage treten, denn die Verfassung Kolumbiens, die Annahme internationaler
Konventionen, die dauernd durchgeführten humanitären Kommissionen reichen nicht aus, um
der Legitimität und dem Recht eines Volkes, das unmissverständlich sein Existenzrecht
einfordert, die Respektierung zu sichern. Es zeigt klar die Unmöglichkeit für ein Volk, seine
Stärke als politisches Subjekt und Gestalter seiner eigenen Zukunft einzufordern. Die
bewaffneten Akteure und die traditionellen Politiker der Region halten sich für die einzigen
politischen Subjekte und dulden neben sich keine anderen.
Das Volk der Kankuamo verfolgt sein Projekt des Widerstandes und der Rückgewinnung
seiner Identität weiter. Es ist die Pflicht aller, die an das Recht auf Freiheit, Autonomie und
Diversität glauben, diese Prozesse zu unterstützen, die aus dem Empfinden und der
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Wiederentdeckung der eigenen Identität eines Volkes entstehen. Aus diesen Erfahrungen
müsste das kolumbianische Volk lernen und sich diese zu eigen machen - in einem derart
zersplitterten Land ohne kulturelle Identifikation - und vom Staat verlangen, dass er seiner
Verantwortung in Bezug auf die Garantierung des Existenzrechtes dieser Völker nachkommt.
Zudem müsste verlangt werden, dass die Morde an den Kankuamos aufgeklärt und die
Verantwortlichen bestraft werden. Der Staat soll die Schutzmassnahmen erfüllen oder
definitiv seine Unfähigkeit oder Toleranz gegenüber diesen Übergriffen eingestehen.
2.Frieden und bewaffneter Konflikt: Das menschliche Drama im Dep. Arauca
In diesem Jahr sind nach Berichten der Ombudsstelle, Menschenrechtsorganisationen und
anderen Quellen, im Departement Arauca gegen 700 selektive Morde und neun Fälle von
Verschwindenlassen registriert worden. Über das Schicksal der neun Verschwundenen ist
nichts bekannt.
Von Luis Jairo Ramírez; Permanentes Menschenrechtskomitee
Bei seinem Amtsantritt bezeichnete Präsident Uribe das Departement Arauca im Rahmen
seiner Politik der demokratischen Sicherheit als ein Kriegslaboratorium. Dies wurde konkret
durch die Schaffung einer Sonderzone für Rehabilitation und Konsolidation, welche die
Gemeinden Arauca, Arauquita und Saravena umfasste.
Rasch verwandelte sich das Dep. Arauca in das am meisten militarisierte Departement des
Landes. Im Departement waren die 18. Brigade, die Mobilen Brigaden, die Sondertruppen,
die Polizeisondertruppen und US-Militärs präsent, dies unter dem Vorwand des Schutzes der
Erdölinfrastruktur und um der Bevölkerung Ruhe zu bringen.
Nach der Schaffung dieser Sonderzone verschärfte sich der Konflikt und degradierte immer
mehr: mehr Gewalt, Missachtung der verfassungsmässigen Normen, politische Verfolgung
gegen anders denkende Führungsleute und deren soziale Basis, welche pauschal als subversiv
bezeichnet wurden, aussergerichtliche Hinrichtungen, schmutziger Krieg mit der Einsetzung
des Paramilitarismus, Repression und Missbrauch der Autorität, Verlust der zivilen
Autoritäten. Die Bevölkerung blieb der Tyrannei von Militär und Polizei ausgeliefert. Die
Anklagen fanden bei den Justiz- und Kontrollbehörden kein Gehör und diese wahrten eine
völlige Zustimmung zu dieser Situation und machten - wie die Generalstaatsanwaltschaft bei allen möglichen Arten von Inszenierungen mit.
Der Einsatz von Informanten, die Zahlung von Belohnungen, die öffentliche Beschuldigung
der Zivilbevölkerung und die Verfolgung der sozialen Organisationen hat alle sozialen
Organisationen durchdrungen. Zudem hat die Logik der Regierung von Uribe - wer nicht mit
der Regierung ist, ist gegen sie - ein Klima des Misstrauens geschaffen, welches die normale
Entwicklung der sozialen Bewegungen und eines friedlichen Lebens der Gemeinschaften
verhindert.
Durch die Umsetzung der Politik der demokratischen Sicherheit verlor die Justiz ihre
Unabhängigkeit gegenüber der Regierung. Die Staatsanwaltschaft und das Ministerium für
Öffentliches beschränkten sich darauf, von den Militärbasen aus zu handeln und zudem die
verschiedenen Vorgehensweisen, welche Menschenrechte verletzen, zu begleiten und
rechtlich abzusegnen.
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In diesem Jahr sind nach Berichten der Ombudsstelle, Menschenrechtsorganisationen und
anderen Quellen im Departement Arauca gegen 700 selektive Morde und neun Fälle von
Verschwindenlassen registriert worden. Über das Schicksal der neun Verschwundenen ist
nichts bekannt.
Im Laufe des Jahres 2002 konsolidierten die paramilitärischen Verbände ihre Präsenz in
Tame, Cravo Norte und Puerto Rondón. Durch diese Gemeinden soll die Strasse führen,
welche einmal Venezuela mit dem Pazifik verbinden wird. Diese Gemeinden wurden jedoch
nicht Teil der Sonderzone. Die Erstarkung des Paramilitarismus erfolgt teils aus dem
Verlangen, die notwendigen Bedingungen zur Umsetzung des Gesamtamerikanischen
Freihandelsabkommens ALCA zu schaffen.
Am 26. November 2002 erklärte das Verfassungsgericht die richterlichen Kompetenzen,
welche der Armee erteilt wurden, für verfassungswidrig, ebenso die Erhebung von
Bevölkerungsregistern und die Einschränkung der Information. Doch dieser Entscheid des
Verfassungsgerichtes wurde nicht befolgt. Noch bis vor kurzem wurden die Ankommenden
auf dem Flughafen von Arauca registriert und gefilmt. Die Register und die Erhebungen über
die Bevölkerung werden an Strassensperren weitergeführt, so z.B. auf den Strassen nach
Arauca, Arauquita und Saravena, wo alle Personen registriert und ihre Daten festgehalten
werden. So werden auch die Familien und die Freunde von Inhaftierten im Gefängnis von
Arauca bevormundet, registriert, fotografiert. Es werden ihre Namen, die Zahl der
Familienangehörigen, die Telefonnummern und Adressen verlangt. Wenn sie diese Angaben
nicht geben, wird ihnen der Zugang zum Gefängnis verweigert.
Doch die kritische Menschenrechtssituation war schon früher da. Am 13. Dezember 1998
bombardierte die Luftwaffe, unter Führung der 18. Brigade, den Weiler Santo Domingo. Wie
es in den Berichten des FBI und der Staatsanwaltschaft festgehalten ist, wurden dabei 19
Personen getötet, darunter sechs Kinder. Weitere 25 Personen wurden verletzt. Der Beschuss
erfolgte aus einem Helikopter, welcher dem Ölmulti Occidental de Colombia OXY gehörte.
Am 12. November 2002 wurden mitten in den Festlichkeiten in Saravena mehr als 2000
Personen festgenommen, eingesperrt und mit wasserfester Tinte auf der Haut markiert. 47
Personen wurden schliesslich inhaftiert, darunter GewerkschaftlerInnen, LehrerInnen,
MenschenrechtsverteidigerInnen und Angestellte. Die Inhaftierten wurden von Vermummten
bezeichnet.
Am 20. Mai 2004 wurde inmitten der Operation Borrasca I, welche von der 18. Brigade
zusammen mit der 5. Mobilen Brigade durchgeführt wurde, und inmitten eines grossen
Sicherheitsgürtels der Armee, da gleichzeitig der Kommandant General Martin Orlando
Carreño Martín die nur 30 Minuten entfernte Militärbasis in Pueblo Nuevo besuchte, 13
ZivilistInnen massakriert, mehreren davon wurden die Kehlen durchgeschnitten. Es scheint,
dass es noch mehr Opfer gibt, doch deren Identitäten sind nicht bekannt.
Nach Aussagen von Überlebenden und Familienangehörigen der Opfer, welchen die Flucht
gelang, wurde dieses Massaker von Einheiten verübt, welche Teil der Armeepatrouillen
waren, die an der Operation Borrasca I teilnahmen und mit Armbinden mit der Aufschrift von
paramilitärischen Einheiten Strassensperren in Flor Amarillo und Piñalito errichteten, dort die
Leute verschleppten und eine nach der anderen ermordeten.
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Das letzte Ereignis, welches auf allgemeine Ablehnung und Besorgnis bei den
Gewerkschafts- und Menschenrechtsorganisationen stiess, war die Ermordung von drei
Gewerkschaftern. Am 5. August 04 wurden in den frühen Morgenstunden von der
kolumbianischen Armee Héctor Alirio Martínez (Präsident der Bauernvereinigung ANUC),
Leonel Goyeneche (Mitglied der CUT-Führung in Dep. Arauca) und Jorge Prieto (Mitglied
der Führung von Anthoc und der CUT) aussergerichtlich hingerichtet. Die drei waren
legendäre Führungspersonen des Arauca.
Alle drei hatten besondere Schutzmassnahmen der Interamerikanischen
Menschenrechtskommission und wurden im Rahmen einer Operation des Bataillon Revéiz
Pizarro im Weiler Caño Seco in der Gemeinde Saravena ermordet.
Bei der gleichen Militäroperation wurden auch die Führungsleute Samuel Morales, Präsident
der CUT von Arauca, und Raquel Castro, Mitglied der LehrerInnengewerkschaft von Arauca
festgenommen.
Das beschriebene Panorama zeigt den schweren Rückschritt in Bezug auf die
Menschenrechte im Dep. Arauca. Aus diesem Grund fand am 24. August 04 in Arauca ein
Treffen mit den drei Gewerkschaftsdachverbänden, den nationalen
Menschenrechtsorganisationen, der Friedensbewegung, dem Gemeindeverband und den
regionalen Organisationen des Arauca mit dem Vizepräsidenten Francisco Santos und den
Departementsbehörden statt. Das Treffen hatte zum Ziel, die regionale
Menschenrechtssituation, wie auch den Ausrottungsprozess der sozialen Bewegungen zu
untersuchen und Massnahmen zu überlegen, welche dieses menschliche Drama des
Departements überwinden helfen.
Doch das Dispositiv von Militär und Polizei rund um das Treffen verhinderte die Teilnahme
der Organisationen aus dem Arauca, welche dem Vizepräsidenten die heikle humanitäre
Situation des Departements schildern wollten. Armee und Polizei verwehrten ihnen den
Zutritt und nahmen selber die Hälfte des Raumes in Beschlag. Zudem filmten die Behörden
das Treffen und machten Fotos, wodurch ein Klima der Feindseligkeit und der
Einschüchterung geschaffen wurde.
Das Gespräch mit der Regierung ist schwierig geworden und die Möglichkeit, einen Prozess
einzuleiten, der zur Respektierung der Menschenrechte und der Zivilbevölkerung führen und
erlauben würde, die Faktoren des Konfliktes zu überwinden, ist sehr komplex geworden. Die
regionalen und nationalen Menschenrechtsorganisationen haben einen Aufruf erlassen, worin
sie zur weiteren Beobachtung der Situation aufrufen.
3.Politik: Die Lehren aus dem Referendum ziehen
Nach Meinung der Teilnehmenden hat der grosse Erfolg der Kampagne für die aktive
Stimmenthaltung seinen Grund in der richtigen Kombination der Einheitsbewegung rund um
ein gemeinsames Ziel und der Dezentralisierung und Autonomie der Aktionen.
Im ersten Semester 2003 entschied sich Präsident Uribe zur Lancierung des Referendums, um
damit eine Reihe von Verfassungsänderungen durchzuführen und gleichzeitig eine
Rückenstärkung für seine Politik durch die Zustimmung des Volkes zu bekommen. Die
politische Reform und der Kampf gegen die Korruption und den Klientelismus waren die
vermeintlichen Hauptziele des Referendums. Doch im Laufe des Prozesses kamen noch
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andere Anhängsel dazu. Aufgrund der Mehrheit im Parlament hätte Uribe die Annahme der
Reformen durch den Kongress bewerkstelligen können, doch er wollte der politischen Klasse
zeigen, dass er mit der Unterstützung der KolumbianerInnen rechnen konnte.
In wenigen Monaten wurde eine Kampagne organisiert und durchgeführt, welcher der
gesamte institutionelle Apparat des Staates und des Establishments zur Verfügung stand. Die
Zeitungen setzten ihre Werbung für das Referendum ein, die Unternehmer öffneten ihre
Kassen und die öffentlichen Gelder wurden für die Kampagne zweckentfremdet.
Mit seinem eigenen Stil deckte der Präsident sämtlich möglichen Bereiche ab - physische,
politische und virtuelle - und übte auf die politische Klasse Druck aus, seine Popularität in
einer nie dagewesenen Dreistigkeit zu propagieren. Einige Kreise der Rechten, einige mehr
des politischen Zentrums und ein grosser Teil der politischen und sozialen Linken verstanden
in diesem Moment das Risiko, welche eine solche Unterstützung das Präsidenten für die
prekäre Demokratie Kolumbiens bedeuten würde. Es war vorhersehbar, dass bei einer
Annahme des Referendums sein autoritärer Geist überborden und das Land in
schwindelerregendem Tempo zu einer Art verfassungsmässiger Diktatur machen würde. Dies
war die Grundlage, um den breitesten und spontansten Zusammenschluss zu bilden, dessen
entschiedenster Faktor darin bestand, nichts anderes als die Ablehnung des Referendums
anzustreben.
Aber was geschah wirklich mit dem Referendum? Einige Analytiker meinen, dass das
Referendum wegen technischer Fehler bei seiner Entwicklung zu Fall kam. Sie begründen
ihre Analyse mit der Vielzahl und der Heterogenität der Referendumspunkte und die
antitechnische Art, wie diese präsentiert wurden. Es gibt andere, die die Ablehnung teilweise
auf die parlamentarische Opposition zurückführen. Andere wiederum meinen, dass die
Ablehnung des Referendums ein Sieg der demokratischen und progressiven Kräfte war,
dessen Schlüssel in der aktiven Stimmenthaltung lag. Wieder andere meinen, dass die
Regierung bei der Kampagne übertrieb und einen Überdruss bei den Leuten hervorrief. Dazu
hätten auch die Beiträge des damaligen Innenministers beigetragen.
Wenn wir der These Glauben schenken wollen, dass die Ablehnung des Referendums ein
Sieg der demokratischen und progressiven Kräfte war, dann müssten wir uns fragen: Was
ermöglichte den Zusammenschluss all der verschiedenen Kräfte? Wer waren diese Kräfte?
Was repräsentieren sie in der nationalen politischen Szene? Welche Charakteristiken hatte die
Kampagne gegen das Referendum?
Vielleicht kann uns die Antwort auf diese Fragen Hinweise auf die Beantwortung der
zentralen Punkte geben: Was erklärt, dass die soziale und politische demokratische
Bewegung ihren Sieg nicht weiter umsetzen konnte? Welches waren die Grenzen und die
reellen Chancen dieser Bewegung?
Um diese Fragen zu klären, trafen sich am 27. und 28. August 04 rund 50 Personen aus den
verschiedenen Regionen und Mitglieder der sozialen und politischen Organisationen, welche
Teil der Grossen Demokratischen Koalition waren, um ihre Erfahrungen rund um die
Kampagne zu systematisieren und für neue politische Szenarien fruchtbar zu machen und
Perspektiven und Lösungen für die wirtschaftliche und soziale Krise des Landes zu
entwickeln.
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Es ging darum, neue Formen, Methoden und Stile politischen Handelns zu identifizieren und
zu beschreiben; die Prozesse des Zusammengehens von sozialen und politischen
Bewegungen zu reflektieren und ihren weiteren Verlauf nach dem Referendum, insbesondere
die Entwicklung der Grossen Demokratischen Koalition und das jüngste Treffen der sozialen
Organisationen. Zudem sollten die neuen Führungsleute, welche sich in diesen politischen
und sozialen Szenarien entwickelten, sichtbar gemacht und ihre kommunikative, didaktische
und rethorische Erfahrung, die sie durch diese Kampagne machten, zusammen gefasst
werden.
Beim Arbeitstreffen wurde eine Methodik gewählt, die dazu beitragen sollte, dass die
ProtagonistInnen aus ihren Erfahrungen eine Quelle des Wissens machen können. So war es
mehr ein Arbeitstreffen als ein Seminar von Intellektuellen oder ein Spektakel für die
Medien. Es war ein Treffen von sozialen und politischen AktivistInnen, AkademikerInnen
und ForscherInnen, um gemeinsam eine Analyse zu machen, Debatten zu führen und
Vorschläge zu erarbeiten, welche um die folgenden Schwerpunkte kreisen sollten:
1.Organisationsformen; Führungsmethoden; entwickelte Führungsstile;
Finanzierungspraktiken.
2.Artikulationsprozesse des Sozialen und Politischen .
3.Kommunikative, pädagogische und rethorische Prozesse.
4.Programme und Projekte für die wirtschaftliche und soziale Führung des Landes, welche
explizit oder implizit in der Kampagne da waren.
Nach Meinung der Teilnehmenden hat der grosse Erfolg der Kampagne für die aktive
Stimmenthaltung seinen Grund in der richtigen Kombination der Einheitsbewegung rund um
ein gemeinsames Ziel und der Dezentralisierung und Autonomie der Aktionen. Diese
Charakteristik erlaubte eine rasche Entwicklung der Vorstellungskraft und der Kreativität,
denn auf lokaler und regionaler Ebene benutzten die Engagierten der Kampagne die Mittel,
die ihnen zur Verfügung standen und setzten diese nach den Charakteristiken und Interessen
der Leute ein, an die sie sich richteten.
Dies führte von Beginn weg dazu, dass der Diskurs zur Stimmenthaltung die Zielgruppen bei
ihrer Alltäglichkeit abholte und nicht mit abstrakten und blutleeren Argumenten
überschüttete. Es war eine reiche Erfahrung eines pädagogischen Dialogs, bei dem eine
personalisierte Politik, von Angesicht zu Angesicht gemacht wurde und das Hauptaugenmerk
auf das Überzeugen und Debattieren gelegt wurde. Vielleicht führte dies dazu, dass die
Stimmenden eine reife Haltung einnahmen und ihr Verhalten nicht den verführerischen
klientelistischen Netzen noch den gezielten Angeboten der Unternehmer auf den Leim ging.
Das nationale Treffen erlaubte die Meinungen und Analysen über die Kampagne gegen das
Referendum zu sammeln und eine Zusammenstellung der didaktischen und kommunikativen
Materialien zu machen. Aus der Distanz gesehen überrascht die Verschiedenheit und der
Reichtum der ausgestellten Beispiele. Bücher, Broschüren und Flugblätter illustrierten die
Stossrichtung bei der Kampagne zur Stimmenthaltung.
Das Treffen diente auch dazu, um eine Reflexion rund um den Vorschlag einer kurz- oder
mittelfristigen politischen Aktion in Bezug auf folgende Punkte zu machen: Verteidigung des
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sozialen Rechtsstaates; soziale Sicherheit; öffentliche Dienstleistungen; Menschenrechte;
öffentliche Bildung; Finanzwesen und Ernährungssicherheit.
Kurzfristig soll eine Zeitschrift erarbeitet werden, welche die gelernten Lektionen aus der
Kampagne zusammen fassen soll und welche Ende Oktober 04 zum ersten Jahrestag dieser
Niederlage des Autoritarismus zirkulieren soll. Diese Zeitschrift soll zur Förderung der
Diskussion in anderen Bereichen dienen, insbesondere in den Regionen. Es soll eine Form
sein, um mit den besten Praktiken dieser siegreichen Kampagne fortzufahren.
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