Zwei, die sich selbst bleiben

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Zwei, die sich selbst bleiben
SHOWTIME
www.espace.ch
Zeitung im Espace Mittelland
Mittwoch, 14. November 2007
29
Folter-Marathon
«4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage»,
der Siegerfilm von Cannes, ist
ein erschütterndes Drama aus
Rumäniens dunklen Jahren.
Seite 30
HI P- HO P
Zwei, die
sie selbst
bleiben
Baze in Aktion mit dem Track «Ender weniger»:
Urs Baumann
Und Sie, Baze? Sie haben eben
eine Live-CD veröffentlicht, treten auch mit Band auf und haben ein Crossover-Publikum.
Wann fangen Sie an, zu singen?
Baze: Ich hab ja schon zusammen mit Francine Jordi den
Song «Träne» eingesungen, wurde dann aber aus optischen sowie verkaufstechnischen Gründen durch Florian Ast ersetzt.
Immerhin: Das Suisa-Geld
fliesst weiter in meine Tasche.
«Nei sorry... ender weniger...
Urs Baumann
Ihr Kollektiv Chlyklass will sich
nicht vom «Mainstream» vereinnahmen lassen. Wie passt die
Teilnahme der Chlyklässler Wurzel 5 an der hochkommerziellen
TV-Schlagersause «Die grössten
Schweizer Hits» dazu?
Greis: Wir haben uns schon immer an Schlagersausen den
Bauch vollgeschlagen. Früher haben wir uns reingeschmuggelt
und wurden wieder rausgeschmissen, heute werden wir eingeladen. Es ist ein Unterschied,
ob du dich vom «Mainstream»
vereinnahmen lässt oder ob du
ihn vereinnahmst.
Baze: Wenn gute Musik die Chance hat, ein breites Publikum zu
erreichen, umso besser. Dann
höre ich neben dem ganzen Mist
wenigstens einmal gute Musik
am Schweizer Fernsehen.
...scho nätt u so, aber... ender weniger...
Urs Baumann
Wie wichtig ist Ihnen selbst
Glaubwürdigkeit, und wie erhalten Sie sich diese?
Greis: Solange ich mir selber
glaube, erübrigt sich die Frage,
ob das andere auch tun.
Baze: Solange ich ich selbst bleibe und mir und dem Publikum
gegenüber ehrlich bin, bleibe ich
meiner Meinung nach auch
glaubwürdig. Mich selbst zu belügen ist mir schon immer ein
bisschen schwergefallen.
. . . schon intelligänt, und inneri Wärt, abr nid so mi Style!»
Urs Baumann
Stromgitarren statt Computerbeats, Käseschnitte statt Quesadilla: Die beiden Berner
Rapper Greis und Baze warten mit neuen
Alben und Erkenntnissen auf.
In der hiesigen Rockszene wendet man sich momentan wieder
mehr dem Englischen zu. Warum,
Greis, rappen Sie noch immer in
Mundart und Französisch?
Greis: Weil ich so von meinen
Berner Freunden, aber auch
von meiner Lausanner Familie
verstanden werde. Irgendwann
überkam mich im Vollsuff die
Idee, das nächste Album gleich
auf beide Sprachen aufzunehmen, statt lange zu überlegen,
ob ich jetzt zuerst wieder ein
berndeutsches oder doch lieber
ein französischsprachiges Album schreibe.
Bleibt die Aussage eines Textes
für Sie genau dieselbe, wenn Sie
von der einen in die andere Sprache wechseln?
Greis: Grundsätzlich sind
Sprachrhythmus, Inhalt und in
den Refrains sogar die Silben
deckungsgleich. Die Idee war,
dass die anderssprachige Version auch für Berner Französischmuffel beziehungsweise
für welsche Schweizerdeutschmuffel verständlich wird, sobald sie ihre Muttersprachversion oft genug gehört haben. Die
Aussage bleibt genau dieselbe,
doch in beiden Versionen gibts
Feinheiten, die
in der anderen
Sprache nicht
zum Ausdruck
kommen.
zvg
SOL O-C D V ON GREI S
Auch Sie, Baze,
rappen, wie Ihnen der Schnabel gewachsen
ist.
Weisse Weste: Grégoire Vuilleumier alias
Baze: Ich lebe
Greis, 29, ist politisch korrekt als Rapper,
in der Schweiz
Velokurier und Marroniverkäufer tätig.
und kann nur
erzählen, was
ich hier sehe und in meinem
Umfeld beobachte. Wenn ich
afrikanische, türkische oder italienische Musik höre, gefällt sie
Sad auch Züri-West-Drummer
mir auch am besten, wenn sie in
Gert Stäuble, unter den Gästen
der jeweiligen Muttersprache getummelt sich gar Jazz-Kontrasungen wird. Musik ist Identität
bassist Mich Gerber. Entstanden
und die Muttersprache ein essenist trotz üppigen Inputs ein hozieller Teil davon.
mogenes Greis-Album mit stilistischen Akzenten und sprachDie lokale Hip-Hop-Szene, Sie
bedingten Tempowechseln. Die
beide eingeschlossen, wird imbernische Version kommt dunmer «musikalischer». Ist die Zeit
kel depressiv rüber, die französides puren Hip-Hop vorbei?
sche etwas heller und runder.
Greis: Songs zu schreiben ist für
Anspieltipp: «Lärm der Welt»/
mich wie essen am Zibelemärit:
«Chienne est belle» – BollyNach vier bis fünf Käseschnitten
wood trifft Beatboxboys.
tu
versuche ich auch mal eine Merguez oder eine Quesadilla. Und
CD: Greis, «2», Muve/MV. CD-Taufe:
17. 11. Reitschule Bern, Dachstock.
wenn sie schmecken, dann
nehm ich noch eine. Doch am
Nach «Eis» kommt – «2»
Er war nicht untätig zwischen
dem Solodebüt «Eis» (2003)
und dem Zweitling: Ganze fünf
Alben hat Greis in dieser Zeit
mit anderen Leuten eingespielt.
Doch auch auf «2», ideologisch
von ihm durchgetextet («No
pasarán!»), bleibt er nicht ganz
solo. Die Multikulti-Featurings
reichen vom deutschen Curse
über den spanischstämmigen
Gran Purismo und den Afrofranzosen Shurik’n (I AM) bis
hin zu PVP, den Kumpels aus
Kindertagen in Bern Ost; produziert hat neben Szenegrösse
Schluss werde ich der Käseschnitte immer treu bleiben.
Dafür spielen Sie oft mit doppeldeutigem Humor. Stört es Sie,
wenn Ihre Botschaften falsch ankommen?
Baze: Überhaupt nicht. Ich sehe
genau darin den Zweck des doppeldeutigen Humors.
Sie, Greis, äussern sich lieber ernsthaft zur Politik – nicht nur als Rapper, auch als Aktivist und Journalist. In welcher Funktion können
Sie am meisten bewirken?
Greis: Keine Ahnung. Auf jeden
Fall hab ich sehr viel Spass dabei.
Fragen: Tina Uhlmann
LI V E- C D V ON B AZE
«Unplugged» unter Strom
Ruft der Rapper: «Raffi, wo sy di
Striicher?» Da kommen sie
schon, aus dem Keyboard, glatt
poliert wie die Karosserie eines
Ami-Schlittens: «Guet so, wies
isch» heisst das Stück. Ansonsten liegt nichts auf dem unlängst erschienenen Livealbum
des Chlyklass-Rappers Baze so
stromlinienförmig im Wind. Die
Musik seiner Band – bekannt
unter eigenem Namen: Secondo
–, diese Musik hat Ecken, Kanten und so manchen Blechschaden. Sie stolpert über ungerade
Reggae-Rhythmen, lässt den
Rock-’n’-Roll-Motor aufheulen,
reduziert das Tempo immer
wieder auf Schritt – und Baze,
der traumwandlerisch sichere
Wortakrobat, fällt nie aus dem
Tritt. Umso ungehobelter kommen seine Ansagen daher,
spröd, trocken, von subversivem Humor. Auf «Unplugged»,
aufgenommen am 12. und
13. Januar im Berner Mikroclub
Sous-Soul, ist der gut gebaute
Alltagspoet zum Greifen nah.
«Aus klar?»
tu
CD: Baze, «Unplugged», Chlyklass/Nation Music.

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