peter opsvik
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peter opsvik
peter opsvik Norwegischer Industriedesigner, geboren 1939, ausgebildet an der Kunsthandwerkschule in Bergen und der staatlichen Handwerk- und Kunsthandwerkschule in Oslo. Seit 1970 arbeitet er als selbstständiger Industriedesigner und hat heute ein eigenes Designbüro mit sieben Mitarbeitern in Oslo. Peter Opsvik versucht, unsere stereotypen Sitzgewohnheiten mit seinen unkonventionellen Sitzlösungen zu überwinden. Seine Arbeiten haben mit den Normen des ordentlichen Sitzens und des Stillsitzens gebrochen. Bei der Entwicklung von Sitzlösungen sah er keinen Sinn darin, weitere Varianten des Skandinavischen Designs zu entwerfen. Es gab bereits genügend Produkte, die dessen Qualitäten genügten. Stattdessen hat er Möbel geschaffen, die sich an beiden Enden einer Skala befinden. Einmal liegt der Schwerpunkt auf rationalen und ergonomischen Aspekten, wobei die Bedürfnisse des menschlichen Körpers berücksichtigt werden, für die andere Gruppe seiner Objekte ist vor allem der Ausdruck ein wichtiges Kriterium. Mit den rationalen, ergonomischen Produkten möchte er den menschlichen Körper zu Bewegung anregen. Mit den Produkten oder Objekten der anderen Gruppe möchte er emotionell etwas bewegen. Er hat jahrzehntelang eng mit bekannten Herstellern wie HÅG, Stokke und Cylindra zusammengearbeitet, die alle zahlreiche norwegische und internationale Preise und Auszeichnungen erhalten haben. 2000 wurde von Peter Opsvik und seiner Familie die Stiftung „The Minor Foundation for Major Challenges“ gegründet. Diese Stiftung unterstützt Informationsprojekte, deren Ziel es ist, von Menschen geschaffene Klimaveränderungen zu begrenzen. Der Designpreis Torsten und Wanja Söderberg für das Jahr 2000 geht an den norwegischen Designer Peter Opsvik. Er erhält ihn für seine innovativen beweglichen Möbel und weil es ihm mit spielerischem, mutigem und tief menschlichem Ausgangspunkt gelungen ist, die Ergonomie und Ästhetik für Langzeitsitzende zu erneuern. Lasse Brunnström, Direktor, Röhsska Museum Als Formgeber benutzt er ein breites Spektrum: Neben dem Kinderstuhl Tripp Trapp ist Peter Opsvik vor allem bekannt als der wichtigste Designer für das Balans-Konzept. Er ist weltweit einer der führenden Köpfe bei der Gestaltung von Arbeitsstühlen; als innovativer Praktiker versucht er dynamische Lösungen für Arbeitssituationen zu finden, die langes Stillsitzen erfordern. Hier ist er unschlagbar. Zudem ist er ein aktiver Umweltschützer, was sich nicht nur in Worten äußert. Seine Produktion ästhetischer Möbelobjekte schlägt poetische und musikalische Töne an. Außerdem ist er ein aktiver Jazzmusiker, wodurch der Eindruck eines Menschen entsteht, der Leben und Schaffen spielerisch bewältigt. Lars Elton, norwegischer Journalist und Kritiker Opsvik ist deshalb außergewöhnlich, weil er sich als Designer nach der funktionalistischen Devise verhält: Form folgt Funktion. Unter all denen, die das norwegische Design vertreten, gibt es niemanden, der ihm an Erfolg und Originalität das Wasser reichen kann. Dagens Næringsliv, Erling Dokk Holm, Kritiker 2001 gab Peter Opsvik zusammen mit Norsk Form den Anstoß für „Design ohne Grenzen“, ein NonProfit-Programm, das Design mit den Bemühungen für Entwicklung und humanitäre Hilfe verbindet. peter opsvik sitzen anders betrachtet Gaidaros Forlag AS © Gaidaros Forlag AS, Oslo 2008 ISBN: 978-82-8077-127-8 Kein Teil dieses Buches darf im Widerspruch zum norwegischen Gesetz zum Schutz des geistigen Eigentums oder im Widerspruch zu den von der norwegischen Verwertungsgesellschaft KOPINOR geschlossenen Copyright-Abkommen vervielfältigt werden. Das Verbot umfasst auch die elektronische Speicherung, die Wiedergabe auf Bildschirmen und die elektronische Aufzeichnung. Herausgeber: Gaidaros Forlag AS, P.O.BOX 5178, N-0302 Oslo, Norwegen Telefon: +47 23 27 59 00 Telefax: +47 22 43 02 39 E-Mail: [email protected] www.gaidaros.no Übertragung ins Deutsche: Marlis Ehl Umschlagentwurf, Grafische Gestaltung, Satz und Layout: Peter Knudsen Gesetzt in FF DIN 9/11 Punkt Druck: Interface Media as KAPITEL 1 WARUM – HINTERGRUND Unsere aktive Vergangenheit 12 Unsere passive Gegenwart 13 Postindustrielle Gesellschaften 14 Werkzeuge und Hilfsgeräte 15 Sitzhaltungen18 »Homo sapiens« wurde zum »Homo sedens« 20 Auf einem Sitz sitzen – die Botschaft hinter dem Wort 21 Der Stuhl und Autorität 22 Die industrielle Revolution und soziale Mobilität 24 Wie funktionell war der Funktionalismus? 25 Von den ersten »Langstrecken-Sitzenden« lernen 26 Rituale – die Lösung eines ergonomischen Problems? 28 Verändert unser Lebensstil auch unseren Körper? 29 KAPITEL 2 WIE – THEORIE Bewegung33 Warum Bewegung? 35 Schwingungen und Rhythmus 36 Variation37 Warum Variation? 37 Körpersignale und psychologische Hindernisse 38 Körpersignale und physische Hindernisse 39 Die Stühle, die wir »tragen« 40 Kontrolle 41 Gleichgewicht 42 Fußkontrolle 43 KAPITEL 3 BEVORZUGTE POSITIONEN Die Füße 47 Die Körpermitte 49 Der Oberkörper 52 Arme und Hände 53 Der Kopf 54 Stuhlformen55 KAPITEL 4 BEWEGUNG AUF DEM STUHL – VIER KONZEPTE 59 Das Rad 60 Ein umgekehrtes Pendel 61 Sitzen im Wohnbereich 62 Sitz + Schienbeinstütze 64 Sitz + Schienbeinstütze + Rückenlehne 66 Sitz + Schienbeinstütze + Rückenlehne + Armlehne + Kopfstütze 68 Wie viele Körperhaltungen auf nur einem Stuhl? 70 Aktivitäten und Entspannung 76 »Balancierte Wippbewegung« 77 »Ein Stuhl für jede Position« 79 Balance und Ausgleich leicht gemacht 80 Universalstühle 85 Eine einfache Lösung 86 Torsion im Holz 88 Sperrholz-Spielereien 92 Stühle mit Flügeln 93 Spiralfedern95 Vom Boden befreit 96 Der Hängesitz 101 Nahezu unmöglich, unbewegt zu bleiben 102 Factor 10 104 Natürlicher Rhythmus 106 KAPITEL 5 SUPPORT Studentenarbeit113 »Lay out« 114 Befreiung115 Balans®116 Unkonventionell auf konventionellen Stühlen sitzen 118 Schienbeinstütze statt Rückenlehne 119 »Ich bringe meinen eigenen Stuhl mit« 120 Stütze, wo sie erfoderlich ist 121 In der Grauzone zwischen Sitzen und Stehen 122 Im Stehen entspannen 124 Braucht nur die »Rückseite« des Körpers Entlastung? 126 Kann Freiheit so wichtig sein wie Stütze? 128 Die Bedürfnisse der Füße ernst nehmen 132 Füße »auf« dem Tisch 134 »Böden« in unterschiedlichen Höhen 136 Unsere Vorfahren lebten auf den Bäumen 138 Wildnis142 Eignet sich ein Sofa nur zum Ausruhen? 144 Das etwas andere Sofa 146 Belastende Arbeitshaltungen 147 Sitzen während des Transports 150 Dynamisches Sitzen in Fahrzeugen 152 KAPITEL 6 GRÖSSE Mini Max Der Stuhl der mitwächst Einfach zu besteigen, einfach zu justieren Innerhalb von 10 Sekunden an eigene Maße angepasst 157 158 164 166 KAPITEL 7 ANDERE EIGENSCHAFTEN ALS REIN ERGONOMISCHE Kubistische Formen Skulptur oder Möbel? Wandlungsfähige Objekte Vier Kilo Bequemlichkeit Ein Symbol der Bewegung 171 172 176 182 183 KAPITEL 8 BEOBACHTUNGEN UND INSPIRATIONEN Anwendungsbereiche für Sitzmöbel 187 Der Wohnraum 188 Das Büro zu Hause 191 Das Büro im Mittelpunkt 193 Was ist Arbeit? 194 Das Arbeitsumfeld 195 Arbeitsweisen197 Wie entstehen Ideen? 197 Die Gabe der Beobachtung 198 Sitzen im Geiste 199 Traum-Design 199 Umweltwerte200 Ein globales Thema – unsere Verantwortung 201 Anti-Einrichtung201 Mode und Verbrauchsspirale 202 Erbstücke203 Oberflächenbehandlung für dauerhafte Schönheit 203 Auswechseln oder behalten? 204 Paradox205 5 Fast alle europäischen Städte haben Fußgängerzonen, in denen diverse Unterhaltungskünstler ihr Künste vorführen, um die Aufmerksamkeit der Passanten zu erregen. Es ist mir schon oft aufgefallen, dass sich die größten Menschentrauben um die Künstler versammeln, die unbeweglich wie Statuen stehen. Die Tatsache, dass sie nichts tun, nur still verharren, erweckt demnach mehr Interesse als Vorführungen von Akrobaten und Jongleuren. Dies zeigt uns, dass Bewegung weiterhin als natürlichen Teil des menschlichen Daseins eingestuft wird, während das Ausharren in einer statischen Pose uns fremd vorkommt – so fremd, dass wir bereit sind, für die Darstellung zu zahlen. 6 Sitzen anders betrachtet Über Millionen von Jahren haben die Menschen auf der Erde ein ausgesprochen aktives Leben geführt. Erst im Laufe der letzten Jahrhunderte verurteilte die Industrialisierung mehr und mehr Menschen zu körperlicher Untätigkeit. Sie gingen dazu über, einen Großteil ihrer Zeit im Sitzen zuzubringen. Folglich wurden Stühle und andere Sitzmöbel in immer mehr Gesellschaften zu festen Bestandteilen der Einrichtung an Arbeitsplätzen, in Institutionen und Privatwohnungen. Abgesehen von wenigen Ausnahmen folgten die Entwürfe für diese Sitzvorrichtungen den geltenden Standards für Stühle, wobei die konventionelle »westliche« Sitzweise den Ausgangspunkt bildete. In diesem Buch werfe ich die Frage auf, ob dieser Sitzstandard wirklich das einzig funktionell auf den menschlichen Körper zugeschnittene Design ist. Die Lösungen, die hier präsentiert werden, sind hauptsächlich für solche Nutzer gedacht, die über längere Zeiträume im Sitzen verharren – und die in jenen Teilen der Welt zu Hause sind, wo ihre Lebensbedingungen und Arbeitsaufgaben sie von solchen Hilfsmitteln abhängig gemacht haben. Ich betone das ausdrücklich, denn ich bin der Auffassung, dass nicht jedermann Sitzvorrichtungen benötigt beziehungsweise dass diese Hilfsgeräte nicht alle eine derartige Funktionalität erfüllen müssen. Industrielles Design beruht natürlich auf einer Reihe von Qualitätskriterien, wie visuelles Erscheinungsbild, einfache Herstellung, einfacher Transport, technische Qualität, Strapazierfähigkeit, Ökologie, Auswahl von Materialien, Einsatz von Ressourcen, Recycling usw. Auch wenn die funktionale Komponente, vor allem in Bezug auf Ergonomie, Hauptthema dieses Buches ist, heißt das nicht, dass andere Kriterien weniger wichtig sind. Sie stehen jedoch nicht im Mittelpunkt dieses Buches. Ich werde allerdings auch Fragen der Umwelt, der Flexibilität usw. ansprechen. Kapitel 1 Warum – Hintergrund Der Hintergrund bildet die theoretische Grundlage und enthält Informationen, die sowohl die physischen Daseinsbedingungen der Menschen im Laufe der Geschichte allgemein als auch in Beziehung zur Sitzhaltung im Besonderen beleuchten. Kapitel 2 Wie – Theorie Die Theorie präsentiert grundlegende Prinzipien für verschiedene Lösungskonzepte. Kapitel 3 Bevorzugte Positionen Hier werden die Haltungen betrachtet, die verschiedene Körperteile beim Sitzen bevorzugt einnehmen, und welche Hilfsvorrichtungen sie dabei am besten unterstützen. Kapitel 4 Bewegung – 5 Support – 6 Größe Die Theorie der vorhergehenden Kapitel wird in Lösungen umgesetzt, denen allen eines gemeinsam ist: Sie berücksichtigen die Bedürfnisse des menschlichen Körpers beim Sitzen. Kapitel 7 Andere Eigenschaften als rein ergonomische Während die Beispiele in den Kapiteln 4, 5 und 6 als »Entwürfe für Bewegung« bezeichnet werden können, sind die Beispiele in Kapitel 7 eher »Entwürfe für Gemütsbewegung« – Erfindungen also, die Gefühle fördern sollen. Konkret werden hier Produktbeispiele präsentiert, bei denen andere Eigenschaften als die rein ergonomischen Vorrang haben. Kapitel 8 Beobachtungen und Inspirationen Die Ergonomie ist Hauptthema und Leitgedanke der vorausgegangenen Kapitel. Hier möchte ich darüber hinaus einige andere Aspekte meines Arbeitsfeldes aufgreifen. 7 Dieses Buch braucht nicht von vorne bis hinten gelesen zu werden, es ist eher als ein Nachschlagewerk gedacht. Damit es diese Funktion erfüllen kann, werden einige Punkte wiederholt. Beispielsweise kann es vorkommen, dass ich bei der Produktbeschreibung Themen anspreche, die bereits im theoretischen Teil behandelt wurden. Ich bitte den Leser um Verständnis dafür. Um diese Wiederholungen auf ein Minimum zu begrenzen, verweise ich auf andere Artikel, die ein vollständiges Bild des Produkts vermitteln. Ich hoffe, dieses Buch wird nützliche Informationen für alle enthalten, die sich entweder aus beruflichen, erzieherischen oder privaten Gründen für Sitzlösungen interessieren. Es sollte eigentlich jeden, der in einer Gesellschaft lebt, in der das Sitzen überwiegt, ansprechen. 8 Abgesehen von wenigen Ausnahmen können meine Möbelprodukte in zwei Hauptkategorien eingeteilt werden – die sich am jeweils anderen Ende einer Skala befinden: < Sie sind zweckmäßig und ergonomisch auf der einen Seite oder emotionell und expressionistisch auf der anderen Seite > 9 Unsere Füße und Beine sind unsere Fortbewegungsmittel und tragen die Hauptverantwortung für die Bewegung unseres Körpers 32 Be wegung Welche Lösungen gibt es in Bezug auf die in Kapitel 1 beschriebenen Herausforderungen für diejenigen von uns, die sich zu einem Homo sedens entwickelt haben? • eine wäre, weniger Zeit im Sitzen zu verbringen • eine andere wäre, mehr Bewegung und Abwechslung bei den Körperhaltungen während des Sitzens zu initiieren. Obwohl die erste Lösung absolut vorzuziehen ist, kann ich als Designer von Stühlen und Sitzgeräten nur auf die zweite einen gewissen Einfluss ausüben. 33 34 Warum Bewegung? Warum sind wir nicht am glücklichsten, wenn wir Bewegung vermeiden und im Ruhezustand bleiben können? Wäre das Stillstehen die bequemste Position, würden Musiker und Sänger still stehen wie Statuen, wenn sie Lieder vortragen. Leute, die auf den Zug warten, würden wie Pantomimen verharren. Aber sie tun es nicht, sie bewegen sich. Auf dem Bahnsteig beschränken sich die Bewegungen auf eine leichte Gewichtsverlagerung von einem Fuß auf den anderen, während der Künstler auf der Bühne einen Bedarf für mehr Bewegung verspürt. Wir können stundenlang spazieren gehen, aber wir ermüden bereits nach wenigen Minuten, wenn wir ganz still stehen müssen. Es ist anstrengender, einen Umzug als Zuschauer zu beobachten als selbst daran teilzunehmen. Unsere Muskeln sind für den dynamischen Gebrauch bestimmt und nicht für eine statische Belastung ausgelegt. Wir empfinden es oft als beschwerlich, den ganzen Körper oder Teile davon über einen längeren Zeitraum nicht zu bewegen. Es ist weniger ermüdend für uns, unsere Muskeln zu benutzen. Wenn unseren Muskeln nicht eine gewisse Aktivität erlaubt wird, senden sie Signale an unser Nervensystem, das uns wiederum mitteilt, dass etwas unbequem ist. Dies sagt uns etwas über Grundbedürfnisse, die nicht erfüllt werden. Möglicherweise ist unzulängliche Blutzirkulation ein Grund für diese Signale. Warum Bewegung? Die Antwort ist einfach. Wir haben sehr häufig die Möglichkeit, bewegungslos zu verharren, aber wir tun es nie. Versuchen Sie Ihren einen Arm rechtwinklig auszustrecken und nicht zu bewegen, während sie gleichzeitig den anderen Arm beugen und strecken. Welcher Arm ermüdet zuerst? Bewegung ist ein wunderschönes Wort Wenn wir unsere Gefühle zum Ausdruck bringen möchten, bewegen wir uns. Wenn wir in der Gesellschaft etwas verändern wollen, bilden wir eine Bewegung. Wir bewegen uns, um Kraft zu zeigen, Sympathie auszudrücken, um zu protestieren oder um etwas zu feiern. Wir bewegen uns körperlich, wir reagieren auf Bewegungsimpulse mit Bewegungen, wir können emotionell bewegt sein und wir gehen zusammen und organisieren Massenbewegungen – für Umweltschutz, Menschenrechte usw. 35 Va r i at i o n Warum Variation? Ist es etwa kein Luxus, ein oder zwei Stunden in unserer Lieblingsposition verharren zu können? Wenn wir unsere Lieblingsposition einnehmen, zudem auf unserer Lieblingsmatratze – sollte man da nicht erwarten, dass wir am nächsten Morgen in der gleichen Position wie beim Einschlafen erwachen? Zumal wenn das Stillliegen in einer einzigen Position das Bequemste für unseren Körper wäre. Aber das ist nicht so. Wir ziehen es vor, selbst die bequemste Position bereits nach kurzer Zeit aufzugeben, und wir drehen uns überraschend oft im Laufe der Nacht. Versuchen Sie sich einmal vorzustellen, Sie wären von einer Lawine verschüttet und im Schnee begraben worden. Vielleicht ist Ihre Lage bequem – Ihr gesamter Körper wird überall perfekt abgestützt, aber wie lange würde das so bleiben? Allein die Vorstellung, dass Arme und Beine in einer Position gefangen sind, ist unerträglich. Dies zeigt uns, dass die perfekte Abstützung unseres Körpers in ein und derselben Position nicht der Schlüssel zum Erfolg ist. Wir sind glücklich, wenn wir Wird der Mensch gezwungen, in ein und derselben Position zu verharren, ist das eine Form von Tortur. Nach nur wenigen Minuten im Sitz eines Flugzeugs oder Zuges oder im Kino versuchen wir uns Abwechslung zu verschaffen und eine neue Haltung einzunehmen. zwischen verschiedenen Haltungen wechseln können, und es ist unnatürlich für uns, über längere Zeit in einer Position auszuharren. Entsprechend sind unterschiedliche Aufgabestellungen für uns besser als die Wiederholung der gleichen Tätigkeit immer und immer wieder, und das über einen längeren Zeitraum. Dieses allgemeine menschliche Bedürfnis nach Abwechslung meldet sich auch, wenn wir sitzen. Manche Körperhaltungen sind zweifellos natürlicher für uns als andere, dennoch wäre es sinnlos zu fragen, welche Körperhaltung oder welche Sitzweise die beste für uns ist. Wenn man eine Position über längere Zeit eingenommen hat, ist eine andere Haltung unweigerlich die beste. Selbst die »beste« und korrekteste Sitzposition, die von den bekanntesten Experten empfohlen wird, erweist sich nach einer Weile als unbequem. Das Gegenteil von Variation ist Monotonie. In jeglichem Zusammenhang, körperlich und geistig, buchstäblich und übertragen, ist Variation positiv und Monotonie negativ. Selbst die bequemste Position in einem superbequemen Bett wird nach einer Weile unbequem. Sind Sie jemals aufgewacht und hielten Ihren Partner noch immer umschlungen? 37 Körpersignale und physische Hindernisse Nach einer knappen halben Stunde im Kinosaal machen unsere Körper uns darauf aufmerksam, dass es an der Zeit ist, die Haltung zu ändern. Sollte die Ausformung der Kinosessel dieses körperliche Bedürfnis nicht berücksichtigen? Der Stuhlrücken kann von einer Person, die dahinter sitzt, als physisches Hindernis betrachtet werden. Die Zeichnungen zeigen, wie die Person dennoch versucht, auf positive Weise mit dem Stuhlrücken klar zu kommen, um sich Abwechslung zu verschaffen. Schon ein paar Klötze auf der Rückseite des Stuhls, die als Fußstütze dienen, können den Aufenthalt angenehmer gestalten. Obwohl Umgangsformen und Gewohnheiten es erschweren, die Signale unseres Körpers zu beherzigen, stellen konkrete Hindernisse einen noch größeren Hemmschuh dar. In vielen Berufen ist es für die Menschen unmöglich, auf die Signale ihrer Körper zu hören, weil die Maschinen oder Werkzeuge, die sie benutzen, den Bewegungsspielraum der Körper festlegen oder einschränken. Kranführer und Kassierer im Einzelhandel können beispielsweise nicht einfach auf alle Signale ihrer Körper reagieren. Bei anderen Berufsgruppen wie Bergleuten oder Automechanikern sind es die äußeren Bedingungen, unter denen sie arbeiten müssen, die eine natürliche Körperhaltung erschweren. Ein weiteres Hindernis für unser Verhalten im Einklang mit den Wünschen unseres Körpers ist die Forderung nach Effektivität – oder der Arbeitsdruck. Wenn viele Leuten darauf warten, von Ihnen etwas zu bekommen, fällt es Ihnen schwer, sich auf den Boden zu legen und ein paar Dehnübungen zu machen – ungeachtet der Signale, die der Körper sendet. Was die Herausforderungen für das Design betrifft, das den Komfort für den menschlichen Körper sicherstellen soll, scheint eine wichtige Faustregel zu sein: Erlauben Sie dem Körper in so großem Maße wie möglich, sich selbst für Änderungen der Haltung zu entscheiden. Statt den Körper einer harten Prüfung auszusetzen und ihn dazu zu zwingen, sich der Laune eines Designers anzupassen, sollte es doch der Job des Designers sein, es den Menschen so einfach wie möglich zu machen, auf ihre Körpersignale einzugehen – sie vielleicht sogar dazu inspirieren, auf ihre Körpersignale zu hören und sie zu befolgen. In einem Flugzeugtyp entdeckten Mechaniker, dass der Lack an bestimmten Stellen der Schalttafel ständig beschädigt war, obwohl sich dort keine Schalter befanden. Das galt für alle Flugzeuge dieses Typs. Eine genauere Untersuchung brachte zu Tage, dass dies die einzige Stelle war, an der die Piloten ihre Füße abstützen konnten. In Flugzeugen, in denen es diesen Freiraum auf der Schalttafel nicht gab, hatten die Piloten keine Möglichkeit, diese Position einzunehmen. Nebenbei bemerkt: Der Arbeitsplatz eines Piloten ist wohl der meist kontrollierte und am gewissenhaftesten konstruierte. 39 Fußkontrolle Die Füße – von der Ergonomie ignorierte Gliedmaßen Welche Körperteile kontrollieren die meisten Bewegungen? Die Antwort lautet: unsere Beine und Füße. Unsere Beine und Füße tragen – in beinahe jeder Lebenslage – die Hauptverantwortung für unsere Bewegungen. Als unsere Vorfahren von den Bäumen herabstiegen und auf dem Erdboden zu leben begannen, war es natürlich, dass sich ihre Beine und Füße zum wichtigsten Transportmittel entwickelten. Wenn wir gehen, laufen und hüpfen, sind es unsere Beine und Füße, die die Bewegungen kontrollieren und ausführen. Versuchen Sie doch mal, sich im Bett umzudrehen, ohne die Beine zu benutzen. Mir erscheint es daher vollkommen natürlich, dass wir uns bemühen sicherzustellen, dass die Beine in der Lage sind, diese Aufgabe auch wahrzunehmen, während wir in einem Stuhl sitzen. Wenn man auf einem Stuhl sitzend über dem Drehpunkt balanciert, wird jede Bewegung der Füße und jede Gewichtsverlagerung dazu führen, dass man eine neue Sitzposition einnimmt. Ergonomen tendieren dazu, sich vor allem um die oberen Teile des Körpers zu kümmern: den Rücken, den Nacken, die Schultern und die Arme. Für die Bedeutung der Beine und Füße für das Wohlbefinden des Menschen und für die Aufgaben und Bedürfnisse der Beine beim Sitzen, hat sich diese Berufsgruppe bisher nicht so sehr interessiert. Warum spielen die Füße eine solche Schlüsselrolle in der dynamischen Ergonomie? Weil die meisten großen Bewegungen, die wir machen, von unseren Füßen ausgehen. Füße und Blutzirkulation Nach einem langen Flug, während dessen unsere Füße kaum Gelegenheit hatten sich zu bewegen, können unsere Schuhe plötzlich drücken, weil sich zu viel Blut in unseren Füßen angesammelt hat. Weshalb bewegen wir unsere Füße im Takt mit der Musik? Ist es nur um den Takt zu halten – eine eher kinästhetische Empfindung – oder ist es vielleicht, weil aktive Fußarbeit dazu beiträgt, die Blutzirkulation zu verbessern? Das Herz saugt kein Blut aus dem Körper in sich hinein, es pumpt es aus sich hinaus. Bewegung und der Gebrauch der Muskeln, vor allem in den Beinen und Füßen, befördert das Blut zum Herzen zurück. Wenn wir beispielsweise unsere Fußknöchel oder Fußgelenke bewegen, fungieren die benutzten Muskeln beinahe als ein zweites Herz. In meinen dynamischen Stühlen kontrollieren die Füße den Neigungswinkel, wodurch sie ständig ihre Position wechseln. Diese häufige und dynamische Beanspruchung der Beinmuskulatur erleichtert sowohl den Blutfluss zum Gehirn als auch die Produktion von Gelenkflüssigkeit, was die Gehirn- wie auch die Körperfunktionen verbessert. Dies steht im Gegensatz zum Bewegungskonzept der meisten Arbeitsstühle, bei denen die Füße wenig oder gar keine Kontrolle haben und zur Passivität verurteilt sind. In der Studie von Stranden, die Sie auf unserer Website finden, können Sie mehr dazu lesen. www.opsvik.no/ /media/Stranden_ Ergonomics_2000.pdf 43 Diese Beispiele illustrieren die Extreme, aber wenn Sie Zeit darauf verwenden, sie zu testen, werden Sie wahrscheinlich feststellen, dass Ihre Füße einige ziemlich unkonventionelle Wünsche hegen. Es ist wichtig, die natürlichen Bedürfnisse der Füße zu bedenken, wenn Möbel entworfen oder gekauft und Arbeitsplätze eingerichtet werden. Fußstützen in unterschiedlicher Höhe, können von Vorteil sein, so lange sie nicht die Bewegungsfreiheit der Füße behindern. Um einen Tisch mit Standardhöhe verwenden und dennoch den Füßen ihre Lieblingspositionen gönnen zu können, müsste der Fußboden abgestuft sein. Siehe Seite 136. Siehe Seite 132-141 Um in der Lage zu sein, die Füße in allen Lieblingspositionen auf Fußbodenniveau belassen zu können, muss die Sitzfläche des Stuhles höhenverstellbar sein. Die für die Füße angenehmste Haltung ist also nicht kompatibel mit der gängigen Vorstellung, dass es eine optimale Höhe für Stühle gibt und dass wir unsere Füße fest auf den Boden gepflanzt haben sollten. 48 Sitz + Schienbeinstütze + Rückenlehne Die gekrümmte Kufe ist ein einfaches Mittel, um Bewegung und Abwechslung zu erreichen, sogar am Arbeitsplatz. Der Stuhl kann für Leute ab einer Körpergröße von 155 cm aufwärts angepasst werden. Die Schienbeinstützen lassen sich nach oben und nach hinten justieren, und die Rückenlehne ist nach vorn oder hinten verstellbar. Wichtigstes Ziel der Anpassungen ist es, den richtigen Balancepunkt zu finden, sodass die Bewegung auf dem Stuhl die Nutzer dazu anregt, ihren Sitzwinkel und ihre Sitzhaltung zu verändern. Welche Funktion hat eine Rückenlehne bei einem derartigen Stuhl? Je mehr unterschiedliche Sitzhaltungen auf einem Stuhl eingenommen werden können, desto besser. Der Thatsit balans® bietet mit einer Rückenlehne mehr Variationsreichtum als ohne Rückenlehne. Der Duo balans®, der zusätzlich noch Armlehnen und eine Kopfstütze hat, erlaubt eine noch größere Anzahl von Variationen. Siehe nächste Seite. Natürlich können diese Stühle auch dazu genutzt werden, einen ungestützten Oberkörper im Gleichgewicht zu halten. Aber die Möglichkeit, sich gegen die Rückenlehne zu stützen, kann eine willkommene Alternative sein. Oposit balans®, STOKKE, 1988–1999 66 Thatsit balans®, STOKKE, 1991–2006 und VARIÉR, 2006– 67 Wie viele Körperhaltungen auf nur einem Stuhl? Nach einer Zeit der Ruhe möchten wir wieder aktiv sein, und nachdem wir eine Weile aktiv waren, möchten wir uns wieder ausruhen. Warum können wir nicht auf dem gleichen Stuhl zwischen diesen aktiven und entspannten Körperhaltungen wechseln? Traditionell statten die Leute ihre Wohnungen mit einer Art von Möbeln für das Entspannen und mit einer anderen Art für Aktivitäten aus. Der Gravity balans® hat vier Sitz- und Liegepositionen. In allen befindet sich der Nutzer so nahe am Balancepunkt, dass die geringste Körperbewegung ausreicht, um von einem zum anderen Sitzwinkel zu gelangen. 70 »Wenn Sie kreativ sein möchten, sollten Ihre Füße höher gelagert sein als Ihr Kopf.« (Tage Foss) Gravity balans®, STOKKE, 1983–2006 und VARIÉR, 2006– 71 Schlafzimmer 72 Bibliothek Büro zu Hause Esszimmer 73 Faktor 10 Bei diesem Konzept habe ich mich bemüht, mit geringen Ressourcen möglichst viel Bewegung zu erzeugen. Im Vergleich zu traditionellen Bürostühlen fehlen die sternförmige Fußform, die Hebevorrichtung und komplizierte Neigungsvorrichtungen. Das Seil übernimmt alle diese Funktionen, und noch weitere. Darüber hinaus besteht der Stuhl aus erneuerbarem Holz. Frühe Studien zeigen, dass die Umweltbelastung der Version von Swing, die von der Decke herabhängt, ohne Kissen nur ein Zehntel der Umweltbelastung eines herkömmlichen Bürostuhls beträgt. Diese Reduzierung des Verbrauchs von Ressourcen ist in Industrieländern unerlässlich, um in den nächsten 30 bis 50 Jahren weltweite Nachhaltigkeit zu gewährleisten. 104 Natürlicher Rhythmus Dieses Konzept sollte eigentlich nicht unter der Kategorie »wippen, kippen, schwingen« behandelt werden. Das Bewegungsmuster dieses Konzepts funktioniert anders als das, was wir im Allgemeinen mit wippenden Bewegungen assoziieren. Aber nachdem die Stühle gut in die Kategorie »Hängesitz« passen, werden sie hier präsentiert. Ich glaube, dass wir alle einen inneren Rhythmus haben, der konstant in uns pulsiert, und dass dieser Rhythmus sogar während des Sitzens in der Lage sein sollte, zum Ausdruck zu kommen. Wenn wir in einer Hängevorrichtung sitzen, genügt das leichteste Zucken der Muskeln, um den Körper mit einem natürlichen Rhythmus in Bewegung zu setzen, was den Bedürfnissen und Anforderungen des Körpers entspricht, sowohl physisch als auch geistig. Wenn man in einer Hänge vorrichtung sitzt, entsprechen Rhythmus und Frequenz den Bedürfnissen des menschlichen Körpers, sowohl physisch als auch mental. Reflex1, NATURELLEMENT, 2002– Reflex2, NATURELLEMENT, 2004– 106 Der Sitz, die Rückenlehne und die Nackenstütze sind so aufgehängt, dass sie unmittelbar auf die Wünsche des Körpers bezüglich Sitzwinkel und Bewegung reagieren und gleichzeitig den erforderlichen Widerstand und Stütze bieten. Dicke Polsterung ist nicht erforderlich, wenn das Design selbst einen guten Kontakt zwischen dem Körper und den Stützflächen des Stuhles gewährt. Wir können so mit einem bescheidenen Materialaufwand einen hohen Grad an Bequemlichkeit erreichen. Kann Freiheit so wichtig sein wie Stütze? Bei diesem Konzept haben Sitz und Rückenlehne Aussparungen für Arme und Beine, was es dem Benutzer freistellt, seine Haltung zu variieren. Um viele Sitzpositionen zu ermöglichen, ist es ein Vorteil, dass der Stuhl für praktisch alle Tischhöhen, die bei modernen, verstellbaren Schreibtischen möglich sind, benutzt werden kann. Der Wechsel zwischen einer höheren und einer niedrigen Sitzposition bei der Arbeit ermöglicht eine willkommene Variation. Lehnt man sich nach vorne, ist es am bequemsten, ziemlich hoch zu sitzen, lehnt man sich aber zurück, ist es angenehmer, in einer niedrigen Position zu sitzen und die Füße hochzulegen. Wenn man sich nach vorne lehnt, gewährt die Rückenlehne keine Unterstützung, deshalb kann man sich verkehrt herum auf den Stuhl setzen und die Rückenlehne als Stütze für die Brust verwenden. Die gleiche Variationsmöglichkeit kann auch bei einer konstanten Tisch- und Sitzhöhe erreicht werden, wenn »HÅG StepUp« zu Hilfe genommen wird. Vergleiche Seite 133. Die Inspiration für den HÅG Capisco, den »Sattelstuhl«, lieferte die dynamische Haltung eines Reiters. Das Ziel war, ein Sitzgerät oder einen Arbeitsstuhl zu entwickeln, der den Benutzer dazu einladen würde, möglichst viele Sitzpositionen einzunehmen. Beim HÅG Capisco kann der Benutzer seine Oberschenkel in jeden Winkel bringen, von vertikal bis horizontal. Probesitzen des ersten und zweiten Prototypen. 128 Die Körperhaltung des Reiters ist eine viel natürlichere verglichen mit der, die ein traditioneller Stuhl ermöglicht. Dies führte zum »Sattelstuhl«. HÅG Capisco, HÅG, 1984– 129 Während die verschiedenen Experten für Ergonomie ihre eigene und somit einzig »korrekte« Sitzhaltung empfahlen, lautete mein Kommentar, dass alle richtig sind. 130 Alle empfohlenen Sitzhaltungen waren gut, und ich sah es als meine Aufgabe, Stühle zu entwerfen, die so viele Sitzhaltungen wie mög lich erlaubten. Außerdem sollte es einfacher sein, sich zu bewegen und häufig zwischen den verschiedenen Haltungen zu wechseln. 131 Der Stuhl der mitwächst Der klassische Hochstuhl kann von Kleinkindern verwendet werden, bis sie etwa zwei Jahre alt sind. 1972 waren die einzigen Sitzgeräte für Kinder über zwei Jahre Stühle, die so niedrig waren, dass das Kind mit den Füßen den Boden berührte. Wenn die Kinder am Tisch der Erwachsenen saßen, verwendeten sie normale Stühle, die für Erwachsene entworfen und bestimmt waren. Mein Ziel war es, für alle Kinder ab einem Alter von etwa acht Monaten einen Stuhl zu entwickeln, der ihnen erlaubte, auf natürliche Weise am Tisch zu sitzen. Das Konzept sollte normale, funktionelle Abmessungen für Kinder unterschiedlicher Größe und für Erwachsene bereitstellen. Meine Hoffnung war, dass dadurch das Sitzen bei Tisch attraktiver würde und es leichter werden würde, Beschäftigungen am Tisch auszuführen. Kleine Kinder sollten auf höheren Sitzen als Erwachsene sitzen, diese Reduktion des Höhenunterschieds sollte die Interaktion zwischen Kindern und Erwachsenen verbessern. Mahlzeiten würden entspannter verlaufen und die Kinder könnten sich besser auf die Aktivitäten um den Tisch herum konzentrieren, wenn die Umstände an ihre Größe und Bedürfnisse angepasst wären. Ich fing damit an, Leute in allen Größen mit den Ellbogen auf einer Tischplatte zu zeichnen. Da sich die Ellbogen und der Lendenbereich in gleicher Höhe befinden, konnte die Rückenlehne des Stuhles permanent 158 Ich war auf der Suche nach einem Stuhl, der meinem zweijährigen Sohn erlaubte, in natürlicher Weise am Tisch der Erwachsenen zu sitzen, und stellte fest: Ich musste selbst eine Lösung finden. Hier ist er, vier Jahre später und noch immer zufrieden. Tripp Trapp, STOKKE, 1972– 159 Skulptur oder Möbel? Funktionalität? Ich habe den Stuhl Embracement (Umarmung) im Eingangsbereich meiner Wohnung aufgestellt. Die Funktionalität des Stuhles ist in diesem Bereich der Wohnung unwichtig, aber es ist angenehm, dass der Stuhl mich »umarmt«, wenn ich mich für einige Momente hinsetze, um meine Schuhe auszuziehen. Entsprechend angenehm ist es, wenn der Stuhl Hands (Hände), der ebenfalls in diesem Wohnbereich steht, mit seinem Haar spielt und die Arme ausstreckt, aus Freude mich zu sehen und mir anbietet, meine Jacke an einen seiner Finger zu hängen. Umwelt Wir tendieren dazu, Sachen, die ungewöhnlich, untraditionell und einzigartig sind, nicht so schnell wegzuwerfen, wie Massenwaren. Die Gegenstände in der Cylindra-Serie sind ungewöhnlich, stilvoll und aus Naturmaterialien gefertigt. Ich hoffe, dass diese Möbel künftig zu den begehrten Antiquitäten aus unserer Zeit gehören werden. Embracement, CYLINDRA, 1986– 172 Hands, CYLINDRA, 1986– 173 Wandlungsfähige Objekte Hier präsentiere ich Beispiele für Möbel, bei denen Flexibilität, Erscheinungsbild und Umweltaspekte wichtiger sind als die Frage der Funktionalität. Flexibilität Heutzutage ist ein Wohnungswechsel weitaus gängiger als früher, vor allem in Großstädten. Zusätzlich machen Alleinstehende über die Hälfte der Haushalte in den größten Städten aus. Viele dieser Menschen wohnen auf engem Raum. Die Objekte können an die Wand gehängt werden oder – auf ihren eigenen Beinen stehend – an die Wand gelehnt werden. Wenn Sie Gäste erwarten und mehr Sitzplatz und Tische benötigen, können diese Möbel einfach aufgebaut werden. Sie brauchen lediglich die Arme und Beine anders anzuordnen und aus diesen Skulpturen werden Möbel. Der Großteil der Möbel in den meisten Möbelgeschäften sieht weiterhin so aus, als ob sie für die Kernfamilie mit eigenem Zuhause und vielen Zimmern entworfen wurden. Der Mangel an geeigneten Möbeln für die wachsende Anzahl städtischer Nomaden ist die Ursache dafür, dass ich diese Möbelserie entworfen habe. Ausdruck In vielen Haushalten fehlt es an Stauraum, vor allem für große Gegenstände wie Möbel. Wenn Nomadi nicht gebraucht wird, kann der Besitzer dieses Objekt voller Stolz sichtbar im Zimmer lagern. Möbel, die nicht in Benutzung sind, lassen sich in Skulpturen umwandeln, indem die Standbeine an der Seite angeordnet werden und somit ein ganz neuer Ausdruck entsteht. Umwelt Zehn Gründe warum Nomadi der Natur weniger schadet als andere Möbel: 1. Raum. Die Möbel nehmen beim Transport oder wenn sie gelagert werden nicht viel Platz ein. Das macht es unwahrscheinlicher, dass der Besitzer sie loswerden will. 2. Zeitlosigkeit. Die Möbel sind nicht »hip«, also werden sie auch nicht so schnell unmodern. 3. Lebensdauer. Die Liebe, die in die Schaffung der Möbel geflossen ist, gewährleistet ein langes Leben. 4. Funktionalität. Wir werfen schneller Dinge weg, die uns wenig sinnvoll erscheinen als solche, die uns wirklich helfen. 5. Eigenart. Wir werfen schneller Dinge weg, die gewöhnlich sind, als Dinge die besonders und speziell sind. 6. Flexibilität. Gegenstände, die viele unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten bieten, werden eher aufbewahrt. 7. Erneuerbare Materialien. Holz ist eine erneuerbare Ressource. 8. Materialaufwand. Die Furnierplatte ist aus dem Stamm geschnitten, was die Nutzbarkeit erhöht und wenig Abfall verursacht. 9. Gewicht. Nomadi ist ein Leichtgewicht. 10.Keine Schrauben. Nomadi enthält keine Metallteile. »Familie an der Wand«, Teil der Nomadi-Serie, gezeigt im Röhss Museum für angewandte Kunst und Design in Göteborg, 2000 176 177 Nomadi, 2001 Links Skulpturen, rechts Möbel Wenn Nomadi nicht in Benutzung ist, kann der Besitzer stolz sein, die Möbel sichtbar im Zimmer zu lagern. Sie können entweder an der Wand hängen oder dagegen gelehnt werden. 178 Wenn Sie Gäste erwarten und mehr Sitzmöglichkeiten und Tische benötigen, können Sie die Möbel in kürzester Zeit aufbauen. Sie müssen lediglich die Arme und Beine anders anordnen und schon werden aus diesen Skulpturen Möbel. 179 Ein globales Thema – unsere Verantwortung Als Schöpfer von Gütern für die moderne Gesellschaft, ganz gleich ob wir Designer, Hersteller oder Lieferant sind, können wir uns nicht unserer Verantwortung entziehen, wenn wir Umweltaspekte betrachten, die die Zukunft auf unserer Erde bedrohen. Wir sollten zumindest Richtlinien und Kontrolllisten als Basisinstrumente für ökologisches Design anlegen. Ein sinnvoller Ansatz ist, den Einsatz von Materialien und den Umwelteinfluss in den verschiedenen Phasen des Produkts zu analysieren. Dabei sollten auch der Kontext des Produktes und das Potential für die Entwicklung neuer Konzepte berücksichtigt werden. Diese Kontrollliste wird im Ökö-Design-Handbuch von UNEP (Umweltprogramm der Vereinten Nationen) verwendet. Anti-Einrichtung Was wir heute Möbel nennen, war in unserer fernen Vergangenheit als Nomaden ein unbekanntes Phänomen. Wir begannen erst im letzten Abschnitt der Menschheitsgeschichte, Werkzeuge und Hilfsmittel zu unserem Schutz und zu unserer Entlastung zu verwenden – und selbst das galt zunächst nur für eine kleine begrenzte Bevölkerungsgruppe in den reichsten Teilen der Welt. Ein Beispiel für eine ökologische Einrichtungsweise, ist die traditionelle japanische Art, bei der Räume mit nichts anderem als einer Tatami-Matte ausgestattet werden. Man könnte das beinahe Anti-Einrichtung nennen. Wenn die Tatami-Matte ein Ideal der ökologischen Einrichtung (oder des Fehlens von Einrichtung) ist, sollte unsere westliche Kultur von diesem Prinzip lernen und anfangen, die Einrichtung auf ein Minimum zu begrenzen. Wir sind aufgewachsen in einer Umgebung, in der wir uns mit einer Fülle von Dingen umgeben, die wir kaum brauchen. Wenn wir uns darauf konzentrieren, weniger dafür aber hochwertigere Sachen zu besitzen, die für mehrere Zwecke verwendbar sind, wären wir vermutlich zufriedener und würden gleichzeitig die Umwelt vor unnötiger Belastung bewahren. 201 Wie kann ein minimal möblierter Büroarbeitsplatz in Zukunft aussehen? Wenn ich auf dem Saxophon übe, wandere ich im Allgemeinen durch das Zimmer statt stillzusitzen. Dabei habe ich festgestellt, dass ich zwei bis drei Stunden an einem spielen kann, ohne müde zu werden. Aufgrund dieser Erfahrung kann ich mir ein Büro praktisch ohne Möbel vorstellen, nur mit einer Tragevorrichtung für den Laptop und eventuell einige einfache Sitzvorrichtungen mitten im Raum. Man kann frei umhergehen, dynamisch stehen oder sitzen. Beim Herumwandern kann man Kontakt mit Mitarbeitern knüpfen oder sich von den anderen absondern. Eine Besprechung zwischen zwei Personen kann ein Spaziergang sein, auf dem beide ihr Archiv und ihr Kommunikationssystem in Form eines Laptops oder Computers mit sich herumtragen. Dieser hängt in einer guten Arbeitsposition vor dem Körper und ist mit Ohrhörer und Mikrofon ausgestattet. Möchte man ein größeres Bild als auf dem Bildschirm des Laptops verwenden, wirft man das Bild einfach an eine Wand. Wenn man seine Arbeit sitzend verrichten möchte, befinden sich Schirm und Tastatur immer in einem natürlichen Abstand und Winkel, ganz gleich ob man sich zurücklehnt oder aufrecht sitzt. Tische können vollkommen überflüssig werden. Mode und Verbrauchsspirale In der Möbelindustrie werden dauerhafte Linien als Stilrichtungen bezeichnet, während man bei sich schnell ändernden Formen von Moden oder Trends spricht. Weshalb wechselt die Mode so schnell? Für den Endverbraucher ist eine gute Sache an der Mode im Allgemeinen und der Möbelmode im Besonderen vielleicht ganz einfach die, dass es Spaß macht, hin und wieder etwas auszuwechseln. Aber ist das ein haltbares Argument für die ständigen Kehrtwendungen in der Mode? Nein, es gibt heutzutage eine so breite Palette verschiedener Produkte auf dem Möbelmarkt, dass Sie ziemlich sicher sein können, nie gezwungenermaßen genau das gleiche Stück kaufen zu müssen, wenn sie ein Möbel austauschen möchten. Dies gilt auch, wenn es keinerlei Änderungen der Mode gegeben hat, seit Sie das letzte Mal Möbel kaufen gingen. Es ist beklagenswert, dass das Tempo, in dem Dinge ersetzt werden sich dermaßen beschleunigt, nur weil Leute sich elend fühlen, wenn sie ein Vorjahresmodell besitzen – ein Modell, mit dem sie im letzten Jahr noch hoch zufrieden waren, da es zu diesem Zeitpunkt als supermodern angesehen wurde. komplizierte Aufgabe sein. Orientiert sich die Form nur an den kurzfristigen Modetrends, riskiert er, dass das Produkt bald unmodern ist und daher nur eine unnötig kurze Lebensdauer hat. Wenn das Produkt eine Ausdrucksform hat, die stark von der gängigen Mode abweicht, besteht die Gefahr, dass das Produkt keine Verbreitung findet. Meine Lösung sieht folgendermaßen aus: Produkte mit einer ausgefallenen funktionellen Lösung erhalten auch eine unverwechselbare visuelle Form. Solche Produkte leben lange, ohne als unmodern bezeichnet zu werden, weil sie bewusst von den Vorgaben der kurzlebigen Trends und Moderichtungen abweichen. Ich erlaube mir, meine eigenen Stühle Tripp Trapp, den HÅG Capisco und den Håg Balans ® Vital als Beispiele dafür zu nennen, dass hohes Alter durchaus nicht gleichbedeutend mit altmodischem Aussehen ist. Diese drei Stühle sind mit dem norwegischen Klassiker-Preis ausgezeichnet worden. Für Hersteller mag die Mode nützlich sein, da sie ihnen erlaubt, hohe Preise für etwas zu berechnen, das als der letzte Schrei gilt. Kaum erscheinen aber viele Nachahmungen auf den Markt, wird der Preiskrieg so intensiv, dass der Pionier sich gezwungen sieht, sein Produkt zu verändern, um den Profit zu wahren – und gleichzeitig hofft er, mit der nächsten Kollektion den Nagel auf den Kopf zu treffen. Dies dürfte der Basismechanismus hinter dem schnellen Wechsel der Mode sein. Neue Produkte kommen auf den Markt, ohne eine Verbesserung anzubieten. Ihr einziger Vorteil ist, dass sie neu sind. Diese Art von Produktmanagement führt zu höherem Verbrauch und ist für Käufer und Gesellschaft nicht vorteilhaft. Wenn ein Designer eine visuelle Form für sein Produkt vorschlägt oder auswählt, dann – so legen die oben genannten Faktoren nahe – kann das eine 203 Erbstücke Oberflächenbehandlung für dauerhafte Schönheit Ich frage mich oft, welche Produkte aus unserer Zeit als Familienerbstücke an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden. Ein wichtiges Kriterium für die Langlebigkeit eines Möbelstücks ist, dass sich seine Schönheit mit dem Gebrauch und den Jahren erhöht. Vom Standpunkt einer konventionellen Vorstellung von Unverwüstlichkeit und Lebenserwartung bei Gebrauchsgegenständen mag es zunächst unmöglich erscheinen, dass Abnutzung die Qualität des Objektes erhöhen kann. Dies ist jedoch durchaus möglich für Möbel aus Holz. Es ist ein Paradox, dass wir alte rustikale Möbel, die durch Alter und Abnutzung verschönert sind, so mögen, dass wir bereit sind, hohe Summen für solche Antiquitäten auszugeben, während gleichzeitig die meisten sich für Kunststoff beschichtetes Holz entscheiden, wenn sie neue Möbel kaufen. Lackiertes Holz ist nämlich einfach Holz mit einer Kunststoffschicht. Es mag in der »synthetischen« Bedeutung des Wortes als schön bezeichnet werden, das heißt als makellos und mit brandneuem Erscheinungsbild. Das Problem ist jedoch, dass das Aussehen beileibe nicht mehr schön genannt werden kann, sobald der Lack beschädigt oder abgenutzt ist. Eine lackierte Tischplatte hat schmutzige Ecken und Kanten, wenn der Lack abgesplittert ist, und Kratzer und Macken sind auf einer glänzend lackierten Oberfläche besonders sichtbar. In ländlichen Gegenden werden noch immer Gebäude, Möbel und Werkzeuge der nächsten Generation überlassen, wenn diese den Hof übernimmt. Auch Häuser pflegen der nächsten Generation vererbt zu werden, aber die extreme Mobilität der zeitgenössischen Gesellschaft führt dazu, dass es heute immer weniger üblich ist, dass Kinder in das leere Haus ihrer Eltern oder Großeltern ziehen. Auch Werkzeuge, Hilfsmittel und Geräte sind möglicherweise Bestandteil einer Erbschaft, aber es ist kaum wahrscheinlich, dass die Handys, Radios, Mixer, Fernseher, Elektrobohrer und PCs von heute bei unseren Nachkommen besonders gefragt sein werden. Falls sie überhaupt aufbewahrt werden, so wahrscheinlich nur als Kuriosität oder Antiquität. Werden Autos heute noch vererbt? Vielleicht in einem gewissen Umfang, aber auch sie nur als Kuriosität. Welche Art von Objekten sind nicht zu groß, kommen nicht aus der Mode, verlieren nicht an Wert, werden nicht überflüssig, usw. Zumindest eine Antwort lautet: kunstgewerbliche Gegenstände aus Glas, Porzellan, Besteck (Silber und Stahl) – und Möbel. Da diese Gruppe mit Produkten sich besonders für die Wiederverwendung eignet, sollten wir diese Produkte mit solchen Qualitäten ausstatten, dass sie möglicherweise auch von kommenden Generationen geschätzt werden. Dadurch wird eine lange Lebensdauer selbst für nachfolgende Generationen gewährleistet. Deshalb sollte man sich folgende Fragen stellen, bevor man eine Entscheidung trifft. Werden unsere Nachkommen sich darüber streiten, wer diesen Artikel erhält oder wer ihn entsorgen muss? Wird die Heilsarmee erfreut sein, diesen Gegenstand zu bekommen? 204 Im Gegensatz dazu wird unbehandeltes Holz oder mit Seife, Lauge, Öl oder Wachs behandeltes Holz, wenn es richtig gepflegt wird, mit dem Alter mehr und mehr Charakter zeigen und schöner und schöner werden.