Tourismuspolitik in Transformation am Beispiel der Tschechischen
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Tourismuspolitik in Transformation am Beispiel der Tschechischen
Tourismuspolitik in Transformation am Beispiel der Tschechischen Republik DISSERTATION der Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG) zur Erlangung der Würde einer Doktorin der Wirtschaftswissenschaften vorgelegt von Eva Nováková aus der Tschechischen Republik Genehmigt auf Antrag der Herren Prof. Dr. Dres. h. c. Claude Kaspar und Prof. Dr. Thomas Bieger Dissertation Nr. 2824 Difo-Druck GmbH, Bamberg 2003 Die Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG) gestattet hiermit die Drucklegung der vorliegenden Dissertation, ohne damit zu den darin ausgesprochenen Anschauungen Stellung zu nehmen. St. Gallen, den 26. Juni 2003 Der Rektor: Prof. Dr. Peter Gomez für Bobi Vorwort „Am Beginn jeder Dissertation steht Faszination. Begeisterung für eine bestimmte Problemstellung ist die wichtigste Voraussetzung dafür, dass man die Kraft entwickelt, sich über Jahre mit einem Thema auseinanderzusetzen.“ Sonja Ullmann Den Anstoss zu dieser Dissertation bildete mein Interesse an den tief greifenden Veränderungen in Osteuropa, die durch den Zusammenbruch des sozialistischen Systems ausgelöst worden waren. Mit diesen Ereignissen ging Anfang der 90er Jahre eine vierzigjährige Epoche zu Ende, eine Epoche, die von der Herrschaft des sowjetischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems gekennzeichnet war. Die angestrebte Rückkehr zu einer marktorientierten Wirtschaft erweist sich als ein langwieriger Weg, der erhebliche Belastungen für die Gesellschaft mit sich bringt und die Wirtschaftspolitik einer schwierigen Probe unterzieht. Entgegen den anfänglich zu optimistischen Erwartungen befinden sich die Transformationsländer nach zwölf Jahren immer noch in einer Phase des Umbruchs. Vielfältige politische Umschichtungen, gesellschaftlicher Wandel, wirtschaftliche Höhen und Tiefen kennzeichnen die Reformjahre. Der erhebliche Strukturwandel, der durch die Einführung der Marktwirtschaft erfolgte, machte auch vor der Tourismusbranche nicht Halt. Die Bedeutung des tertiären Sektors, zu dem auch der Tourismus gezählt wird, nahm stark zu. Im Fremdenverkehr wurde ein grosses Entwicklungspotential gesehen, das viele Hoffnungen weckte. Nach dem anfänglich kontinuierlichen Wachstum sind aber die extensiven Wachstumsfaktoren erschöpft, und eine neue Ausrichtung der Tourismuspolitik scheint unabdingbar zu sein. Die schwerwiegenden Veränderungen in der Tourismusbranche und die Notwendigkeit einer Neuausrichtung der Tourismuspolitik in einem sich transformierenden Land sollen am Beispiel der Tschechischen Republik aufgezeigt werden. Die Wahl ist nicht zufällig. Die ehemalige Tschechoslowakei gehörte zu den Ländern, deren Tourismusentwicklung sich nach der zentralen Planung richtete. Nach der Ablösung dieses Systems entstand ein gewisses Vakuum, begleitet durch die Unsicherheit, wie sich der Fremdenverkehr unter den neuen Bedingungen weiterhin entwickeln soll. Im Vergleich zu den meisten Ländern des ehemaligen sozialistischen Blocks konnte Tschechien auf seine erfolgreiche Wirtschaftsgeschichte vor dem zweiten Weltkrieg zurückblicken – die Einführung der Marktwirtschaft war nicht so eine grosse Unbekannte wie beispielsweise in Russland. Die Tschechische Republik war im Hinblick auf diese Tatsachen den anderen Ländern überlegen und erfüllte die Voraussetzungen für die Rolle eines Vorreiters. Ausser diesen objektiven Fakten spielte bei der Wahl des Landes meine Abstammung und damit ein verstärktes Interesse an der Entwicklung Tschechiens ebenfalls eine grosse Rolle. Ohne die Unterstützung von Herrn Prof. Kaspar und besonders ohne sein Interesse am touristischen Geschehen in Osteuropa wäre das Entstehen der vorliegenden Dissertation nicht möglich gewesen. Ihm gilt mein besonderer Dank. Für die Übernahme des Korreferates sowie für jegliche Hilfe möchte ich mich bei Herrn Prof. Bieger bedanken. Ein herzlicher Dank geht an meine Mutter sowie an meine Freunde Martin und Marcel, die meine Arbeit immer unterstützt und viel Verständnis und Geduld aufgebracht haben. Juni 2003 Eva Nováková I INHALTSVERZEICHNIS INHALTSVERZEICHNIS.......................................................................................................I ABBILDUNGSVERZEICHNIS ......................................................................................... VII TABELLENVERZEICHNIS .............................................................................................VIII ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS..........................................................................................IX TEIL I: THEORETISCHE GRUNDLAGEN DER TOURISMUSPOLITIK................... 1 1 EINLEITUNG ........................................................................................................... 3 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 ÜBERBLICK ................................................................................................................. 3 AUSGANGSLAGE .......................................................................................................... 3 ZIELSETZUNG.............................................................................................................. 4 AUFBAU DER ARBEIT .................................................................................................. 6 WISSENSCHAFTLICHE POSITIONIERUNG UND METHODISCHE VORGEHENSWEISE...................................................................................................... 8 1.5.1 1.5.2 1.5.3 TOURISMUS ALS WISSENSCHAFT ............................................................................................ 8 STAND DER TOURISMUSFORSCHUNG .................................................................................... 10 FORSCHUNGSKONZEPT DER ARBEIT ..................................................................................... 12 1.6 FAZIT ......................................................................................................................... 15 2 BEGRIFFSDEFINITIONEN ................................................................................. 17 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 ÜBERBLICK ............................................................................................................... 17 TOURISMUS ............................................................................................................... 18 TOURIST .................................................................................................................... 23 TOURISMUSPOLITIK.................................................................................................. 24 TRANSFORMATION ................................................................................................... 26 FAZIT ......................................................................................................................... 28 3 WIRTSCHAFTLICHE BEDEUTUNG DES TOURISMUS .............................. 31 3.1 3.2 3.3 3.4 ÜBERBLICK ............................................................................................................... 31 TOURISMUS ALS WIRTSCHAFTSZWEIG .................................................................... 31 TOURISMUS ALS TEIL DES DIENSTLEISTUNGSSEKTORS .......................................... 34 WIRTSCHAFTLICHE AUSWIRKUNGEN DES TOURISMUS .......................................... 34 3.4.1 3.4.2 3.4.3 POSITIVE WIRTSCHAFTLICHE EFFEKTE ................................................................................. 35 BEITRAG DES TOURISMUS ZUR ENTWICKLUNG EINES STANDORTES .................................... 38 NEGATIVE WIRTSCHAFTLICHE EFFEKTE ............................................................................... 40 3.5 3.6 TOURISMUSPOLITIK ALS TEIL DER WIRTSCHAFTSPOLITIK.................................... 41 FAZIT ......................................................................................................................... 43 4 KONZEPTIONEN EINER TOURISMUSPOLITIK .......................................... 45 4.1 4.2 4.3 ÜBERBLICK ............................................................................................................... 45 ALLGEMEINE TOURISMUSPOLITIK .......................................................................... 45 DIE ROLLE DES STAATES ......................................................................................... 49 II 4.3.1 MARKTUNZULÄNGLICHKEITEN ALS GRUNDLAGE FÜR DIE TOURISMUSPOLITIK .................. 52 4.4 ZIELE DER TOURISMUSPOLITIK ............................................................................... 54 4.4.1 4.4.1.1 4.4.1.2 4.4.1.3 KONKRETISIERUNG DER ZIELSETZUNG ................................................................................. 55 Ökonomische Ziele ............................................................................................................... 56 Ökologische Ziele ................................................................................................................. 57 Soziale Ziele.......................................................................................................................... 57 4.5 DIE AUSGESTALTUNG DER TOURISMUSPOLITIK ..................................................... 58 4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.5.4 4.5.5 4.5.6 TOURISMUSPOLITIK ALS ORDNUNGSPOLITIK ........................................................................ 58 TOURISMUSPOLITIK ALS STRUKTURPOLITIK ......................................................................... 59 PRAGMATISCHE TOURISMUSPOLITIK .................................................................................... 61 KONZEPTIONELLE TOURISMUSPOLITIK ................................................................................. 62 TOURISMUSPOLITIK ALS NORMATIVER TEIL DES DESTINATIONSMANAGEMENTS ................ 63 TOURISMUSPOLITIK ALS UNIVERSELLE PLANUNGSAUFGABE ............................................... 64 4.6 4.7 4.8 TRÄGER DER TOURISMUSPOLITIK ........................................................................... 65 INSTRUMENTE DER TOURISMUSPOLITIK ................................................................. 67 GRENZEN DER TOURISMUSPOLITIK ......................................................................... 69 4.8.1 4.8.2 WIRTSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG ...................................................................................... 69 MENSCHLICHER FAKTOR....................................................................................................... 71 4.9 4.10 FÖRDERUNG DER NACHHALTIGEN TOURISMUSPOLITIK ......................................... 74 FAZIT ......................................................................................................................... 77 TEIL II: TSCHECHISCHE TOURISMUSBRANCHE IN TRANSFORMATION ....... 79 5 GRUNDWISSEN ÜBER DIE TSCHECHISCHE REPUBLIK ......................... 81 5.1 5.2 5.3 ÜBERBLICK ............................................................................................................... 81 GEOGRAPHISCHE VERHÄLTNISSE UND VERKEHRSINFRASTRUKTUR ..................... 81 REGIONALE AUFTEILUNG ........................................................................................ 84 5.3.1 5.3.2 5.3.3 BEZIRKE................................................................................................................................. 85 NUTS II................................................................................................................................. 86 TOURISMUSREGIONEN ........................................................................................................... 86 5.4 5.5 5.6 BEVÖLKERUNG ......................................................................................................... 87 ENTSTEHUNGSGESCHICHTE ..................................................................................... 88 POLITISCHES SYSTEM............................................................................................... 91 5.6.1 5.6.2 5.6.3 PARLAMENT .......................................................................................................................... 92 REGIERUNG UND MINISTERIEN ............................................................................................. 92 POLITISCHE PARTEIEN ........................................................................................................... 93 5.7 WIRTSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG ........................................................................ 95 5.7.1 5.7.2 5.7.3 5.7.4 5.7.4.1 5.7.4.2 5.7.4.3 5.7.4.4 5.7.4.5 EINFÜHRUNG DER PLANWIRTSCHAFT UND INDUSTRIALISIERUNG........................................ 95 REFORMVERSUCHE (1968) .................................................................................................... 97 RÜCKKEHR ZUR PLANWIRTSCHAFT (1969-1989).................................................................. 98 WIRTSCHAFTLICHE TRANSFORMATION ................................................................................ 99 Rezession (1990-1992).......................................................................................................... 99 Reformprogramm ................................................................................................................ 100 Konjunktur (1993-1995) ..................................................................................................... 102 Krise (1996-2001) ............................................................................................................... 103 Konjunktur (2002)............................................................................................................... 105 5.8 5.9 TSCHECHIEN UND DIE EU....................................................................................... 106 FAZIT ....................................................................................................................... 109 6 TOURISMUSMARKT – ANGEBOT UND NACHFRAGE............................. 111 6.1 6.2 ÜBERBLICK ............................................................................................................. 111 TOURISTISCHES ANGEBOT ..................................................................................... 111 III 6.2.1 6.2.1.1 6.2.2 6.2.2.1 6.2.3 URSPRÜNGLICHES ANGEBOT............................................................................................... 112 Kurorte und Heilbäder......................................................................................................... 115 ABGELEITETES ANGEBOT.................................................................................................... 117 Unterkunfts- und Verpflegungseinrichtungen..................................................................... 117 GEWERBLICHE STRUKTUR DES ANGEBOTES ....................................................................... 119 6.3 6.4 6.5 ANALYSE DES VORHANDENEN TOURISMUSPOTENTIALS ....................................... 122 REISEBÜROS ALS VERMITTLER ZWISCHEN ANGEBOT UND NACHFRAGE ............. 125 TOURISTISCHE NACHFRAGE .................................................................................. 127 6.5.1 6.5.2 6.5.2.1 6.5.2.2 6.5.3 STRUKTUR DER NACHFRAGE VOR DER WENDE .................................................................. 128 STRUKTUR DER NACHFRAGE NACH DER WENDE ................................................................ 128 Nationaler Tourismus .......................................................................................................... 129 Incoming-Tourismus ........................................................................................................... 130 ANALYSE DER NACHFRAGETRENDS .................................................................................... 130 6.6 FAZIT ....................................................................................................................... 132 7 ENTWICKLUNG DER TOURISMUSBRANCHE........................................... 135 7.1 7.2 ÜBERBLICK ............................................................................................................. 135 TOURISMUSENTWICKLUNG VOR DER WENDE ....................................................... 136 7.2.1 GRENZÜBERSCHREITENDER TOURISMUS ............................................................................ 138 7.3 TOURISMUSENTWICKLUNG NACH DER WENDE ..................................................... 140 7.3.1 7.3.2 TOURISMUSBOOM BIS 1996 ................................................................................................. 140 STAGNATION SEIT 1997....................................................................................................... 142 7.4 7.5 7.6 DER TSCHECHISCHE TOURISMUS IM INTERNATIONALEN VERGLEICH ................. 144 TOURISMUS ALS STRATEGISCHER WIRTSCHAFTSZWEIG ...................................... 147 FAZIT ....................................................................................................................... 152 8 TOURISMUSPOLITIK VOR DER WENDE .................................................... 155 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 ÜBERBLICK ............................................................................................................. 155 TOURISMUSPOLITIK ALS UNIVERSELLE PLANUNGSAUFGABE ............................... 155 TRÄGER DER TOURISMUSPOLITIK ......................................................................... 158 ZIELE DER TOURISMUSPOLITIK ............................................................................. 160 INSTRUMENTE DER TOURISMUSPOLITIK ............................................................... 161 FAZIT ....................................................................................................................... 163 9 TOURISMUSPOLITIK NACH DER WENDE ................................................. 165 9.1 9.2 ÜBERBLICK ............................................................................................................. 165 AUSGESTALTUNG DER TOURISMUSPOLITIK .......................................................... 165 9.2.1 9.2.2 TOURISMUSPOLITIK IN DER ZENTRALPLAN- UND MARKTWIRTSCHAFT ............................. 166 TOURISMUSPOLITIK IN DER ÜBERGANGSPHASE.................................................................. 166 9.3 TRÄGER DER TOURISMUSPOLITIK ......................................................................... 168 9.3.1 9.3.2 9.3.3 ÖFFENTLICH-RECHTLICHE TRÄGER .................................................................................... 169 PRIVATRECHTLICHE TRÄGER .............................................................................................. 173 GEMISCHTE TRÄGER ........................................................................................................... 176 9.4 ZIELE DER TOURISMUSPOLITIK ............................................................................. 176 9.4.1 9.4.2 9.4.2.1 9.4.2.2 9.4.2.3 9.4.2.4 ALLGEMEINE ZIELSETZUNG ................................................................................................ 177 KONKRETISIERUNG DER ZIELSETZUNG ............................................................................... 177 Konzept der staatlichen Tourismuspolitik........................................................................... 178 Operatives Sektorprogramm für den Tourismus ................................................................. 178 Strategie der Regionalentwicklung ..................................................................................... 179 Bewertung der konzeptionellen Zielsetzung ....................................................................... 179 IV 9.5 STRATEGIEN DER TOURISMUSPOLITIK .................................................................. 180 9.5.1 9.5.2 9.5.3 9.5.4 9.5.5 9.5.5.1 9.5.5.2 9.5.5.3 9.5.6 FÖRDERUNG DER TOURISTISCHEN NACHFRAGE IM AUSLAND ............................................ 181 AUFBAU EINES INTEGRIERTEN TOURISTISCHEN INFORMATIONSSYSTEMS .......................... 184 VERBESSERUNG DER TOURISMUSSTATISTIK ....................................................................... 185 OPTIMIERUNG DER AUS- UND WEITERBILDUNG ................................................................. 186 VERBESSERUNG DER DIENSTLEISTUNGSQUALITÄT ............................................................ 188 Bekämpfung der illegalen Unternehmenstätigkeit .............................................................. 189 Einführung von Standards für die Unterkunftseinrichtungen ............................................. 189 Verschärfung der Zulassungsvoraussetzungen für die Reisebüros ..................................... 190 FÖRDERUNG DER REGIONALEN TOURISMUSENTWICKLUNG ............................................... 191 9.6 INSTRUMENTE DER TOURISMUSPOLITIK ............................................................... 193 9.6.1 9.6.1.1 9.6.1.2 9.6.1.3 9.6.1.4 9.6.1.5 9.6.2 9.6.3 9.6.4 ORDNUNGSRECHTLICHE INSTRUMENTE .............................................................................. 193 Tourismusgesetz.................................................................................................................. 194 Gewerbegesetz .................................................................................................................... 194 Gesetz über den Aufenthalt von Ausländern....................................................................... 195 Vorentwurf des Gesetzes über die Unterstützung des Tourismus....................................... 196 Entwurf des Gesetzes über die Unterstützung der nachhaltigen Tourismusentwicklung.... 197 FISKALISCHE INSTRUMENTE ............................................................................................... 197 FINANZIELLE FÖRDERUNGSINSTRUMENTE ......................................................................... 199 ÜBRIGE INSTRUMENTE ........................................................................................................ 202 9.7 TSCHECHIEN UND DIE EU-TOURISMUSPOLITIK .................................................... 204 9.7.1 9.7.2 9.7.3 PRINZIPIEN UND AKTIVITÄTEN DER EU-TOURISMUSPOLITIK ............................................. 204 AUSWIRKUNGEN DES EU-BEITRITTES AUF DIE TSCHECHISCHE TOURISMUSBRANCHE ...... 208 FINANZIELLE UNTERSTÜTZUNG DER TOURISMUSVORHABEN DURCH DIE EU.................... 211 9.8 FAZIT ....................................................................................................................... 213 10 ZUKÜNFTIGE ENTWICKLUNG DER TOURISMUSBRANCHE............... 217 10.1 10.2 ÜBERBLICK ............................................................................................................. 217 LEBENSZYKLUS DER TOURISMUSBRANCHE ........................................................... 217 10.2.1 URSACHEN DER ANDAUERNDEN STAGNATION ................................................................... 218 10.3 STÄRKUNG DER WETTBEWERBSFÄHIGKEIT (DIAMANT-MODELL) ...................... 220 10.3.1 10.3.2 10.3.3 10.3.4 FAKTORBEDINGUNGEN ........................................................................................................ 221 PRÄSENZ VON ANDEREN BRANCHEN .................................................................................. 223 FIRMENSTRATEGIEN, STRUKTUR UND WETTBEWERB ........................................................ 225 NACHFRAGEBEDINGUNGEN ................................................................................................. 226 10.4 WETTBEWERBSSTRATEGIEN .................................................................................. 228 10.4.1 KONZEPT DES DESTINATIONSMANAGEMENTS .................................................................... 229 10.5 FAZIT ....................................................................................................................... 230 TEIL III: TOURISMUSWIRTSCHAFT IN TRANSFORMATION ............................. 233 11 EMPFEHLUNGEN FÜR EINE TOURISMUSPOLITIK IN TRANSFORMATION.......................................................................................... 235 11.1 11.2 11.3 ÜBERBLICK ............................................................................................................. 235 TRANSFORMATION DER TOURISMUSBRANCHE ...................................................... 236 EMPFEHLUNGEN FÜR DIE TOURISMUSPOLITIK ..................................................... 237 11.3.1 11.3.1.1 11.3.1.2 11.3.1.3 11.3.2 11.3.3 AUSGESTALTUNG DER TOURISMUSPOLITIK ........................................................................ 237 Ordnungspolitik................................................................................................................... 237 Strukturpolitik ..................................................................................................................... 238 Pragmatische und konzeptionelle Tourismuspolitik ........................................................... 239 TRÄGER DER TOURISMUSPOLITIK ....................................................................................... 240 ZIELE DER TOURISMUSPOLITIK ........................................................................................... 241 V 11.3.4 11.3.5 11.3.6 11.3.7 11.3.8 11.3.8.1 11.3.8.2 STRATEGIEN DER TOURISMUSPOLITIK ................................................................................ 242 INSTRUMENTE DER TOURISMUSPOLITIK ............................................................................. 244 ROLLE DES STAATES ........................................................................................................... 245 NUTZUNG DER AUSLÄNDISCHEN ERFAHRUNGEN UND UNTERSTÜTZUNG .......................... 246 GRENZEN DER TOURISMUSPOLITIK ..................................................................................... 248 Wirtschaftliche Entwicklung............................................................................................... 248 Menschlicher Faktor............................................................................................................ 249 11.4 11.5 ALLGEMEINGÜLTIGKEIT UND ÜBERTRAGBARKEIT DER EMPFEHLUNGEN .......... 250 FAZIT ....................................................................................................................... 252 12 AUSBLICK............................................................................................................ 255 LITERATURVERZEICHNIS .................................................................................................I RECHTSQUELLENVERZEICHNIS..............................................................................XLV INTERNETQUELLENVERZEICHNIS ......................................................................XLVII GESPRÄCHSPARTNERVERZEICHNIS .................................................................... XLIX VII ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1: Aufbau der Arbeit.............................................................................................................. 8 Abbildung 2: Tourismuswissenschaften als Teil verschiedener Mutterwissenschaften.......................... 9 Abbildung 3: Struktur des Systems Tourismus ..................................................................................... 19 Abbildung 4: Nationaler und internationaler Tourismus ....................................................................... 20 Abbildung 5: Differenzierung des Begriffs „Tourismus“...................................................................... 21 Abbildung 6: Hierarchie der Begriffe „Besucher, Tourist und Tagesbesucher“ ................................... 23 Abbildung 7: Tourismus im Schnittpunkt verschiedener Wirtschaftsbereiche ..................................... 32 Abbildung 8: Wettbewerbsfähigkeit eines Standortes........................................................................... 39 Abbildung 9: Rolle des Staates im Tourismus....................................................................................... 50 Abbildung 10: Magisches Dreieck und ideale Zielhierarchie der Tourismuspolitik ............................. 56 Abbildung 11: Aufteilung der Tschechischen Republik in Landesbezirke ........................................... 85 Abbildung 12: NUTS II ......................................................................................................................... 86 Abbildung 13: Tourismusregionen ........................................................................................................ 87 Abbildung 14: Kurortdreieck............................................................................................................... 115 Abbildung 15: Veränderungen in der touristischen Nachfrage ........................................................... 131 Abbildung 16: Typische Merkmale des Tourismus............................................................................. 137 Abbildung 17: Tourismuspolitik als universelle Planungsaufgabe ..................................................... 156 Abbildung 18: Träger der Tourismuspolitik........................................................................................ 159 Abbildung 19: Ziele der zentralplanwirtschaftlich orientierten Tourismuspolitik .............................. 160 Abbildung 20: Ausgestaltung der Tourismuspolitik in der Transformationsphase ............................. 168 Abbildung 21: Organisatorische Struktur des Ministeriums für Regionalentwicklung....................... 171 Abbildung 22: Ziele der Tourismuspolitik in Abhängigkeit vom Gesellschafts- und Wirtschaftssystem ........................................................................................................ 177 Abbildung 23: Tourismuspolitische Strategien auf einen Blick .......................................................... 181 Abbildung 24: Tourismuslogo ............................................................................................................. 184 Abbildung 25: Werbematerial des Kurorts Bochoř ............................................................................. 188 Abbildung 26: Lebenszyklus der tschechischen Tourismusbranche ................................................... 218 Abbildung 27: Stagnation der Tourismusbranche ............................................................................... 220 VIII TABELLENVERZEICHNIS Tabelle 1: Weltweite wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus (1995-2005)...................................... 37 Tabelle 2: Einfluss gesellschaftspolitischer Veränderungen auf die Tourismuspolitik......................... 48 Tabelle 3: Ankünfte der ausländischen Besucher nach Transportart (1993-2001)................................ 83 Tabelle 4: Ausländische Touristen nach Monaten (2001) ..................................................................... 84 Tabelle 5: Übersicht der Geschichte...................................................................................................... 91 Tabelle 6: Wahlergebnisse (1996-2002)................................................................................................ 94 Tabelle 7: Ordnungspolitische Elemente des Reformprogramms ....................................................... 100 Tabelle 8: Wirtschaft in Zahlen (1996-1999) ...................................................................................... 104 Tabelle 9: Ausländische Gäste nach Bezirken (1998-1999)................................................................ 114 Tabelle 10: Gäste in Kurorteinrichtungen (1985-1999)....................................................................... 116 Tabelle 11: Unterkunftseinrichtungen und Betten (1989-1999) .......................................................... 118 Tabelle 12: Unterkunftseinrichtungen in verschiedenen Kategorien und Preis/Nacht (1999) ............ 118 Tabelle 13: Unternehmensgrösse nach Angestellten (1999) ............................................................... 120 Tabelle 14: Profil des touristischen Angebotes ................................................................................... 124 Tabelle 15: Reisebüros nach Tätigkeiten (1995-1999)........................................................................ 127 Tabelle 16: Incoming- und Outgoing-Tourismus (1965-1985) ........................................................... 139 Tabelle 17: Nationaler Tourismus (1948-1989) .................................................................................. 140 Tabelle 18: Outgoing-Tourismus (1989-1996).................................................................................... 141 Tabelle 19: Incoming-Tourismus (1989-1996).................................................................................... 141 Tabelle 20: Outgoing-Tourismus (1997-2001).................................................................................... 143 Tabelle 21: Incoming-Tourismus (1997-2001).................................................................................... 143 Tabelle 22: Tschechien auf dem internationalen Tourismusmarkt (1990-1999) ................................. 145 Tabelle 23: Touristische Einnahmen pro Einwohner (1999)............................................................... 145 Tabelle 24: Durchschnittliche Ausgaben der ausländischen Besucher (1992-2000)........................... 146 Tabelle 25: Prognose der internationalen Ankünfte und Weltmarktanteile (2020) ............................. 146 Tabelle 26: Anteil der Wirtschaftssektoren am BIP und an der Beschäftigung (1990-1999) ............. 148 Tabelle 27: Anteil der Tourismusbranche an BIP, Export und Beschäftigung (1996-2000)............... 149 Tabelle 28: Deviseneinnahmen und -ausgaben (1989-2001)............................................................... 150 Tabelle 29: Anteil der Deviseneinnahmen vom Tourismus am BIP (1993-2001) .............................. 151 Tabelle 30: Beiträge für die Tourismuszentralen und ihr Personalbestand (1998).............................. 182 Tabelle 31: Staatliche Beiträge für die Tschechische Tourismuszentrale (1993-2001) ...................... 183 Tabelle 32: Mehrwertsteuer auf Unterkunfts- und Verpflegungsdienstleistungen (1998) .................. 198 Tabelle 33: Finanzmittel für das Unterstützungsprogramm für den Tourismus (2001) ...................... 201 Tabelle 34: Förderung der regionalen Tourismusentwicklung (1995-1999) ....................................... 202 Tabelle 35: Finanzielle Hilfe von der EU (2004-2006) ....................................................................... 212 IX ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS Abb. AČCKA ACK AIEST ALP Art. a.s. ATIC ATS Bc. BIGA Bio. BIP bzw. °C ca. ČCCR CEBRE CECTA CEN CKM C.O.T. ČOI ČR ČSFR ČSL ČSR ČSSD ČSSR ČSÚ DDR DEU d.h. DM Doc. DPH DRS EFRE EG et al. etc. ETC ev. Abbildung Asociace českých cestovních kanceláří a agentur (Assoziation von tschechischen Reiseveranstaltern und Reisebüros) Asociace cestovních kanceláří (Assoziation von Reisebüros) Association Internationale d’Experts Scientifique du Tourisme Asociace leteckých provozovatelů (Assoziation von Flugbetreibern) Artikel Akciová společnost (Aktiengesellschaft) Asociace turistických informačních center (Assoziation von touristischen Informationszentren) Österreichischer Schilling Bachelor Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit Billion Bruttoinlandprodukt beziehungsweise Grad Celsius circa Česká centrála cestovního ruchu (Tschechische Tourismuszentrale) Czech Business Representation Central European Countries Travel Association Comité européen de Normalisation Cestovní kancelář mládeže (Reisebüro für Jugendliche) Communication Online Travel Česká obchodní inspekce (Tschechische Handelsinspektion) Česká republika (Tschechische Republik) Česká a Slovenská federativní republika (Tschechische und Slowakische Föderative Republik) Česká strana lidová (Tschechische Volkspartei) Česká socialistická republika (Tschechische Sozialistische Republik) Česká strana sociálně demokratická (Tschechische sozialdemokratische Partei) Československá socialistická republika (Tschechoslowakische Sozialistische Republik) Český statistický úřad (Tschechisches Statistisches Amt) Deutsche Demokratische Republik Demokratická unie (Demokratische Union) das heisst Deutsche Mark Dozent Daň z přidané hodnoty (Mehrwertsteuer) Deutscher Reisepreissicherungsverein Europäischer Fonds für regionale Entwicklung Europäische Gemeinschaft et alii (und andere) et cetera (und so weiter) European Travel Commission eventuell X EU EUR EWG f. ff. GUS ha HOTREC Hrsg. i.d.R. IATA IH&RA IMF Ing. ISO Ispa IT ITM Jg. Kap. Kč KDU km km/h KMU KSČM lit. m max. min. Mio. MMR Mrd. MWSt NATO NFHR NIRES NITS NFP Nr. NZZ ODA ODS OECD Europäische Union Euro Europäische Wirtschaftsgemeinschaft folgende fortfolgende Gemeinschaft Unabhängiger Staaten Hektar The Confederation of National Associations of Hotels, Restaurants, Cafés and Similar Establishments in the European Union and European Economic Area Herausgeber in der Regel International Air Transport Association International Hotel & Restaurant Association International Monetary Fund Ingenieur International Organization for Standardization Instrument for Structural Policies for Pre-Accession Informationstechnologie Institut for Tourism and Management Jahrgang Kapitel Koruna česká (Tschechische Krone) Křesťanská a demokratická unie (Christdemokratische Union) Kilometer Kilometer pro Stunde Klein- und Mittelunternehmen Komunistická strana Čech a Moravy (Kommunistische Partei von Böhmen und Mähren) litera (Buchstabe) Meter maximal minimal Million Ministerstvo pro místní rozvoj (Ministerium für Regionalentwicklung) Milliarde Mehrwertsteuer North Atlantic Treaty Organisation Národní federace hotelů a restaurací (Nationale Föderation von Hotels und Restaurants) Národní informační rezervační systém (Nationales Informations- und Reservationssystem) Národní informační turistický systém (Nationales Touristisches Informationssystem) Nationales Forschungsprogramm Nummer Neue Zürcher Zeitung Občanská demokratická aliance (Demokratische Bürgerallianz) Občanská demokratická strana (Demokratische Bürgerpartei) Organization for Economic Cooperation und Development XI OKEČ o.O. o.S. o.V. Phare PhareCBC Phare Credo PhDr. RaJ RDP RIS RNDr. ROP RGW ROH S. Sapard Sb. SED SFr. SICTA SME SMS sog. SOP-CRL SPPCR SPR-RSČ SR SSR SWOT Tsd. u.a. UFTAA UNESCO UNO US USA USD usw. ü.M. vgl. VHJ VŠE VÚSC WS WISt Odvětvová klasifikace ekonomických činností (Branchenklassifikation der ökonomischen Tätigkeiten) ohne Ortsangabe ohne Seitenangabe ohne Verfasserangabe Poland Hungary Action for the Reconstruction of Economies Phare Cross Border Cooperation Phare Cross Border Cooperation between Central European Countries Philosophia Doctor Restaurace a jídelny (Restaurants und Kantinen) Regional Development Plan Rezervační a informační systém (Reservations- und Informationssystem) Res Naturalis Doctor Regionální operační program (Operatives Regionalprogramm) Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe Revoluční odborové hnutí (Revolutionäre Gewerkschaftsbewegung) Seite(n) Special Accession Programme for Agriculture and Rural Development Sbírka zákonů (Systematische Gesetzessammlung) Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Schweizer Franken Standard International Classification of Tourism Activities Small and Medium Enterprises Short Message System sogenannt Sektorový operační program – Cestovní ruch a lázeňství (Sektorielles Operatives Programm – Tourismus und Kurortwesen) Sdružení podnikatelů v pohostinství a cestovním ruchu (Vereinigung von Unternehmern im Gastgewerbe und Tourismus) Sdružení pro republiku – Republikánská strana Československa (Vereinigung für die Republik – Tschechoslowakische Republikanische Partei) Slovenská Republika (Slowakische Republik) Slovenská socialistická republika (Slowakische Sozialistische Republik) Strengths – Weaknesses – Opportunities – Threats Tausend und andere, unter anderem Universal Federation of Travel Agents Association United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization United Nations Organization Unie svobody (Freiheitsunion) United States of America Amerikanischer Dollar und so weiter über Meer vergleiche Výrobní hospodářská jednotka (Wirtschaftliche Produktionseinheit) Vysoká škola ekonomická (Hochschule für Ökonomie) Vyšší územní samosprávný celek (Höheres Selbstverwaltungsgebiet) Wintersemester Wirtschaftswissenschaftliches Studium XII WTO WTTC z.B. zugl. Word Tourism Organization, World Trade Organization World Travel and Tourism Council zum Beispiel zugleich XIII In der vorliegenden Dissertation werden der leichteren Lesbarkeit wegen im Zweifelsfall die männlichen Sprachformen verwendet. Sie stehen selbstverständlich im Sinne des „pars pro toto“ auch für die nicht verwendeten weiblichen Bezeichnungen. Es werden verschiedentlich Beträge in ausländischen Währungen (Kč, EUR, USD) aufgeführt, da die zitierten Quellen diese verwenden. Um dem Leser die Umrechnung in die anderen Währungen zu erleichtern, wird an dieser Stelle eine Übersicht über die Jahresmittelkurse der letzten Jahre gegeben. Devisenkurs der tschechischen Krone (Jahresdurchschnitt) Jahr/Währung ATS DM EUR SFR USD 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2.53 2.58 2.51 2.52 2.63 2.57 2.60 2.61 2.68 2.59 2.48 -- 17.79 18.14 17.64 17.75 18.52 18.06 18.28 18.33 18.86 18.21 17.43 -- --------36.88 35.61 34.08 30.81 20.60 20.17 19.74 21.06 22.45 22.02 21.85 22.26 23.05 22.85 22.56 21.00 29.49 28.25 29.16 28.78 26.55 27.14 31.71 32.27 34.60 38.59 38.04 32.74 Quelle: Tschechische Nationalbank (http://www.cnb.cz/, Stand am 6.1.2003). „Solange es Menschen gibt, solange gibt es auch das Phänomen des Reisens.“ Susanne Iwersen-Sioltsidis/Albrecht Iwersen TEIL I: THEORETISCHE GRUNDLAGEN DER TOURISMUSPOLITIK 3 1 Einleitung 1.1 Überblick „The rise and fall of centrally planned economies probably constitute not only one of the greatest events of the twentieth century but also one of the most important failed economic experiments in human history.“ Gérard Roland Den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Dissertation bildet die Tourismuspolitik in der Übergangsphase von der zentralen Planung zur Marktwirtschaft. Die schwerwiegenden Veränderungen in der Fremdenverkehrsbranche in einem sich transformierenden Land werden im Rahmen einer Fallstudie am Beispiel der Tschechischen Republik aufgezeigt. Der Versuch, politische und wirtschaftliche Problemfelder des Systemwandels zu untersuchen, ist nicht neu und steht im Mittelpunkt einer Vielzahl von Partialanalysen und Fallstudien. Eine wissenschaftliche Studie, welche sich aber ausdrücklich mit der Tourismuspolitik während der Transformation beschäftigt, besteht bis jetzt noch nicht. Wissenschaftlich wird die Arbeit dem Bereich der angewandten interdisziplinären Sozialwissenschaften zugeordnet. Es wird angestrebt, dass die gewonnenen Kenntnisse nicht nur von einer theoretischen, sondern auch von einer praktischen Relevanz sind und ihren Eingang in die praktizierte Tourismuspolitik der sich transformierenden Länder finden. Die Arbeit besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil wird die theoretische Ausgangslage für die im zweiten Teil folgende Fallstudie geschaffen und schlussendlich werden im dritten Teil aus einer Gegenüberstellung der theoretischen Überlegungen und der Erkenntnisse aus der Fallstudie Empfehlungen für eine Tourismuspolitik in Transformation abgeleitet. In den unmittelbar folgenden Abschnitten wird die Ausgangslage der in Transformation stehenden Länder beschrieben und es wird detaillierter auf die Zielsetzung sowie auf den Aufbau der Arbeit eingegangen. Anschliessend werden die Stellung des Fremdenverkehrs in den Wissenschaften und der Stand der Forschung auf dem Gebiet der Tourismuspolitik diskutiert. Zuletzt wird die methodische Vorgehensweise für die vorliegende Dissertation festgelegt. 1.2 Ausgangslage Mit dem politischen Umbruch im Jahre 1989 begann für die osteuropäischen Länder eine neue Geschichte. Der angestrebte Übergang zur Demokratie und der radikale Umbau der Wirtschaft stellen für die ehemaligen sozialistischen Länder eine völlig neue Herausforderung dar. Mit den Transformationsbemühungen eröffnete sich zum ersten Mal die Chance, die Spaltung Europas in einen politisch und wirtschaftlich fortgeschrittenen Westen und einen von Diktaturen regierten und ökonomisch zurückgebliebenen Osten zu überwinden. Damit tauchten grundsätzliche Fragestellungen auf: Wird diese Chance genutzt? Ist sie überhaupt realisierbar? Die Antworten auf diese und andere Fragen scheint bis heute niemand zu kennen, da die Transformationsprozesse noch nicht abgeschlossen sind und auch in den Wissenschaften findet man aufgrund der Inexistenz einer allgemeinen Transformationstheorie keine Lösung. Nach Habuda/Jennenwein/Oppenländer kann die Umwandlung der Planwirtschaften in marktwirtschaftliche Strukturen mit einem präzedenzlosen, gesellschaftlich angelegten Experiment verglichen werden, das vielfältige Fragestellungen aufwirft, deren kohärente, theoreti- 4 sche Antwort zunächst unmöglich erscheint.1 Ähnliches kann auch über die Entwicklung der Tourismusbranche gesagt werden, welche ebenfalls mit Unsicherheit und Unvorhergesehenheit verbunden ist und für die bis jetzt auch die Tourismuswissenschaft keine konkreten Handlungsempfehlungen und Lösungswege aufzeigen konnte. In der Tschechischen Republik, welche als Beispielland für die Zwecke der Fallstudie dient, wurden die Ausgangsbedingungen für die Transformation im Vergleich zu anderen osteuropäischen Staaten als überdurchschnittlich günstig eingeschätzt. Die Inflation, der Geldüberhang als auch die Auslandsverschuldung waren vernachlässigbar klein und das Staatsbudget war ausgeglichen. Ende 1995 wurde Tschechien als erster osteuropäischer Staat in die OECD aufgenommen und als Kandidat für einen möglichen EU-Beitritt am besten bewertet. In den Medien wurde über ein „Wirtschaftswunder“ berichtet. Nach den Jahren der konjunkturellen Belebung erhielt aber das strahlende Bild einer raschen Wirtschaftsreform grosse Risse – Ende der 90er Jahre wurden die wirtschaftspolitischen Schlagzeilen dominiert von Meldungen über Rezession und steigende Arbeitslosigkeit und zu einer Wirtschaftskrise kam noch eine politische hinzu. Erst gegen Ende 2000 begann sich allmählich eine gewisse Verbesserung abzuzeichnen. Der sozialdemokratischen Regierung gelang es, das Wachstum wieder zu beschleunigen und das Land in konjunktureller Verfassung an die Wahlen vom Juni 2002 zu führen. Im Oktober 2002 empfahl die EU-Kommission ihren Mitgliedstaaten, die Tschechische Republik im Jahr 2004 in die EU aufzunehmen. In einer ähnlichen Situation befindet sich auch die tschechische Tourismusbranche. Nach den ersten Jahren des postrevolutionären Booms hatten die Reiseaktivitäten der einheimischen Bevölkerung Einbussen in Kauf nehmen müssen und auch das anfängliche Interesse der ausländischen Besucher an einem postkommunistischen Land ging zurück – Tschechien ist nunmehr eine unter vielen Destinationen. Ausser den auswärtigen Einflüssen sind für diese Entwicklung vor allem die hausgemachten Probleme verantwortlich. Auf der makroökonomischen Ebene handelt es sich besonders um den unsystematischen Zugang zur Branche, die allzu lang andauernde unklare Kompetenzaufteilung und fehlende Rechtssicherheit. Auf der mikroökonomischen Ebene stehen die fehlende Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit sowie die kurzfristige Gewinnoptik von KMU im Vordergrund. Die Tourismusbranche, die von den gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Landes stark abhängig ist, leidet unter der heutigen Situation. Ohne Veränderungen ist eine Fortsetzung des anfänglichen Erfolgskurses nicht möglich. 1.3 Zielsetzung In der vorliegenden Dissertation wird die Tourismuspolitik in Transformation untersucht. Es handelt sich um ein sehr komplexes Thema, zu dem – obwohl von beachtlicher Praxisrelevanz – bisher nur wenige Publikationen erschienen sind. In der deutschen und englischen Literatur wird die Ausgestaltung der Tourismuspolitik von Transformationsländern nur ausnahmsweise erwähnt. Die vereinzelten Beiträge befassen sich vor allem mit der Problematik der Hotellerie und der Schaffung neuer touristischer Institutionen.2 Eine integrierte Sicht der Transformation unter besonderer Berücksichtigung der Tourismuspolitik besteht aber noch nicht. In den ost1 2 Vgl. Habuda/Jennenwein/Oppenländer (1996), S. 2 ff. Vgl. z.B. Henschel (1992), Mihalic (1992), Kaspar/Würzel (1994), Fischer (1994). 5 europäischen Literaturquellen sieht die Lage nicht viel besser aus, denn in den Ländern, die stetigen Veränderungen unterworfen sind, wird dem Verfassen von wissenschaftlichen Publikationen im Bereich des Tourismus keine Priorität eingeräumt. In der Tschechischen Republik befassen sich die meisten Publikationen nicht mit der Tourismusbranche während der Transformation, sondern mit den terminologischen und systematischen Abgrenzungen sowie mit wirtschaftlichen Aspekten des Fremdenverkehrs. Die aktuellen Probleme werden nur vereinzelt in Fachzeitschriften und auf Webseiten von verschiedenen Institutionen erwähnt und geben somit kein einheitliches Bild über die Entwicklung der Tourismusbranche. Zu den Kenntnissen über den zentral geplanten Fremdenverkehr gelangt man am besten mit Hilfe von universitären Lehrbüchern aus der sozialistischen Ära. Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht im Versuch, die existierenden Forschungsdefizite auf dem Gebiet des Tourismus der sich transformierenden Länder durch die Ausarbeitung eines anwendungsorientierten Ansatzes abzubauen. Es soll ein Beitrag zur Analyse der Fremdenverkehrspolitik in der Übergangsphase von der Plan- zur Marktwirtschaft geliefert werden. Zu diesem Zweck wird im Rahmen einer Fallstudie die tschechische Tourismusbranche untersucht. Die Tschechische Republik verfügte am Anfang der Transformation im Vergleich zu anderen Ländern über eine günstigere Ausgangslage – dies bewirkte, dass ihr die Rolle eines Vorreiters nicht nur bei der Transformation der Wirtschaft, sondern auch im Tourismus zugeschrieben wurde und in der Fallstudie die Wahl auf sie gefallen ist.3 Daraus resultiert folgendes Forschungsziel: Das Ziel der vorliegenden Dissertation ist es, eine Analyse der Tourismuspolitik in der Übergangsphase von der Plan- zur Marktwirtschaft unter besonderer Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Aspekte zu liefern und dadurch die Forschungsdefizite auf diesem Gebiet abzubauen. Dazu soll die Ausarbeitung einer Fallstudie über die systemwechselbedingten Veränderungen in der tschechischen Tourismusbranche dienen. Die aus einer Gegenüberstellung der theoretischen Überlegungen zur Tourismuspolitik und der Erkenntnisse aus der Fallstudie abgeleiteten Empfehlungen sollen ausserdem den sich transformierenden Ländern neue Impulse verleihen und ihnen helfen, möglichst viele Fehlentscheidungen in der Tourismuspolitik zu vermeiden. Das Ziel ergibt sich aus dem bisherigen ungenügenden Interesse der Forschung an besonderen Aspekten der im Systemwandel stehenden Tourismuswirtschaft. Die vorliegende Dissertation bezweckt, die bestehenden Lücken auf dem genannten Gebiet bestmöglich zu schliessen und damit eine Basis für zukünftige Untersuchungen zu schaffen. Der Ansatz soll das Interesse an diesen einmaligen Veränderungen wecken und somit die Ausarbeitung von weiteren Forschungsarbeiten mit verwandter Thematik unterstützen. Die Arbeit kann aber nur dann als erfolgreich bewertet werden, wenn die darin vorgestellten Ausführungen und aufgedeckten Missstände nicht nur in der Wissenschaft, sondern zugleich auch in der Praxis akzeptiert und berücksichtigt werden. Es ist erstrebenswert, dass die gewonnenen Kenntnisse in der Tourismuspolitik der sich transformierenden Länder eine praktische Relevanz erlangen und dass sie auch für die noch als zentrale Planwirtschaften organisierten Entwicklungsländer von Nutzen werden. 3 Vgl. Kap. 1.2 und 5.7.1. 6 1.4 Aufbau der Arbeit Im ersten Teil der vorliegenden Dissertation werden die theoretischen Grundlagen der Tourismuspolitik erklärt. • Im ersten Kapitel werden die Problemstellung und die Zielsetzung der Arbeit konkretisiert, der Tourismus als eine wissenschaftliche Disziplin positioniert und zu der benutzten Forschungsmethodik Stellung genommen. • Im zweiten Kapitel werden terminologische und systematische Abgrenzungen vorgenommen. • Das dritte Kapitel ist der wirtschaftlichen Bedeutung der Tourismusbranche gewidmet. Es befasst sich mit der Stellung des Tourismus im Rahmen der Wirtschaft sowie mit Effekten, die von ihm ausgehen. Detaillierter wird der Beitrag der Tourismusbranche zur Entwicklung eines Standortes diskutiert. Zuletzt wird auf das Verhältnis der Tourismuspolitik zur Wirtschaftspolitik eingegangen. • Im vierten Kapitel werden die Rolle des Staates im Tourismus und die mögliche Ausgestaltung der Tourismuspolitik, insbesondere in Bezug auf die herrschenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in einem Land, diskutiert. Es werden Ziele, Träger und Instrumente der Fremdenverkehrspolitik dargestellt. Erörtert werden die Grenzen, an welche die Machbarkeit der Tourismuspolitik stösst und die Forderung nach einer nachhaltigen Tourismuspolitik. Der zweite Teil der Arbeit umfasst eine Fallstudie, in deren Rahmen eine Analyse der tschechischen Tourismusbranche vorgenommen wird. • Für ein besseres Verständnis des touristischen Geschehens vermittelt das fünfte Kapitel einiges Grundwissen über die Tschechische Republik. Es werden die geographischen und demographischen Verhältnisse, die regionale Aufteilung, die Entstehungsgeschichte und das herrschende politische System skizziert und in Zusammenhang mit dem Fremdenverkehr gebracht. Besondere Aufmerksamkeit wird der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes und dem Stand der Verhandlungen über den Beitritt zur EU gewidmet, da diese für die weitere Entwicklung der Tourismusbranche von massgebender Bedeutung sind. • Im sechsten Kapitel wird die vor- und nachrevolutionäre Entwicklung auf dem tschechischen Tourismusmarkt analysiert. Beim ursprünglichen Angebot wird auf die natürlichen Gegebenheiten und die soziokulturellen Verhältnisse eingegangen; beim abgeleiteten Angebot wird die touristische Suprastruktur näher betrachtet. Darauf folgend werden die Veränderungen des Dienstleistungssektors mit dem Schwerpunkt auf die Herausbildung von touristischen KMU skizziert. Es wird eine Analyse des vorhandenen Tourismuspotentials vorgenommen und in einem Stärken/Schwächen- und Chancen-/Gefahrenprofil zusammengefasst. Zuletzt werden die Veränderungen in der Reisebürobranche diskutiert und eine Analyse der Trends in der touristischen Nachfrage durchgeführt. 7 • Das siebte Kapitel ist der Entwicklung der Tourismusbranche vor und nach dem Systemwechsel gewidmet. Es wird auf die speziellen Merkmale des zentral geplanten Tourismus eingegangen und um den Einfluss der kommunistischen Ideologie zu demonstrieren, wird der grenzüberschreitende Fremdenverkehr unter die Lupe genommen. Anschliessend wird die postrevolutionäre Entwicklung analysiert und die Tschechische Republik auf dem internationalen Tourismusmarkt positioniert. Zuletzt wird die Aufmerksamkeit auf die ökonomische Bedeutung der Tourismusbranche für die tschechische Volkswirtschaft gerichtet. Es wird vor allem auf die Entwicklung des Dienstleistungssektors, auf den Anteil der Tourismusbranche am BIP, am Export und an der Beschäftigung sowie auf den Beitrag des grenzüberschreitenden Tourismus zum Ausgleich der Zahlungsbilanz eingegangen. • Das achte Kapitel befasst sich mit der Tourismuspolitik, die in der Tschechoslowakei bis zur Wende praktiziert wurde. Zuerst wird auf ihre Zielsetzung und Ausgestaltung als eine universelle Planungsaufgabe eingegangen. Anschliessend werden die Rolle und der Einfluss des Staates auf das touristische Geschehen analysiert, die Träger der Tourismuspolitik aufgezählt und ihr Aufgabenfeld beschrieben. Zuletzt wird der Einsatz von verschiedenen direkten und indirekten tourismuspolitischen Instrumenten diskutiert. • Im neunten Kapitel wird die Tourismuspolitik während der Transformation analysiert. Es wird auf die Veränderungen in ihrer Ausgestaltung eingegangen, die wichtigsten Träger aufgezählt und ihr Aufgabenfeld skizziert. Darauf folgend wird der Wandel in der touristischen Zielsetzung während der Transformation diskutiert und die gegenwärtigen Ziele der Tourismuspolitik konkretisiert. Detailliert geschildert werden die Strategien, die der Erreichung der festgelegten Ziele dienen sollen. Zuletzt wird auf Tschechiens Vorbereitungen auf den EU-Beitritt im Tourismusbereich und dessen möglichen Auswirkungen auf die Branche eingegangen. • Das zehnte Kapitel befasst sich mit der Zukunft der tschechischen Tourismusbranche. Es werden die Ursachen der seit 1997 andauernden Stagnation im Zusammenhang mit dem Lebenszyklus einer touristischen Destination näher betrachtet. Darauf folgend werden aufgrund des Diamanten-Modells von Porter die Faktoren, welche für die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit massgebend sind, identifiziert. Es wird ihre Ausprägung in der tschechischen Tourismusbranche skizziert und denkbare staatliche Massnahmen zu ihrer Beeinflussung vorgeschlagen. Zuletzt wird auf die möglichen Wettbewerbsstrategien und auf das in den Industrieländern zunehmend eingesetzte Konzept des Destinationsmanagements eingegangen. Der dritte Teil der Dissertation ist den Empfehlungen für eine Tourismuspolitik in Transformation gewidmet. Diese werden aus einer Gegenüberstellung von den theoretischen Überlegungen des ersten Teiles und den Erkenntnissen aus der Fallstudie abgeleitet. Der kurze Ausblick fasst die wichtigsten Gedanken der vorliegenden Arbeit zusammen. 8 TEIL I TEIL II Theoretische Grundlagen der Tourismuspolitik 1. 2. 3. 4. Tschechische Tourismusbranche in Transformation 5. 6. 7. 8. 9. 10. Einleitung Begriffsdefinitionen Wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus Konzeptionen einer Tourismuspolitik Grundwissen über die Tschechische Republik Tourismusmarkt – Angebot und Nachfrage Entwicklung der Tourismusbranche Tourismuspolitik vor der Wende Tourismuspolitik nach der Wende Zukünftige Entwicklung der Tourismusbranche TEIL III Tourismuswirtschaft in Transformation 11. Empfehlungen für eine Tourismuspolitik in Transformation 12. Ausblick Abbildung 1: Aufbau der Arbeit 1.5 Wissenschaftliche Positionierung und methodische Vorgehensweise Am Anfang jeder wissenschaftlichen Tätigkeit steht die „ ... Verwunderung über etwas, das an sich etwas Alltägliches sein kann, aber für den wissenschaftlichen Denker ... zum Anlass für einen tiefen Denkprozess wird.“4 Jede Wissenschaft bemüht sich darum, die vielfältigen Ereignisse in einem gewissen Bereich zu sammeln, zu ordnen und Aussagen über ihre innere Verbundenheit zu machen.5 Die Aussagen müssen den hohen Anforderungen der Validität, Reliabilität und Objektivität genügen. Die Validität ist gewährleistet, wenn die Erhebung das erfasst, was sie gemäss dem vorliegenden Forschungsproblem erfassen soll. Als reliabel gilt die Messung dann, wenn sie auch bei wiederholten Messvorgängen die gleichen Ergebnisse hervorbringt. Die Objektivität ist gegeben, wenn die Ergebnisse frei von subjektiven Einflüssen des Messenden oder anderer externer Faktoren zustande gekommen sind.6 1.5.1 Tourismus als Wissenschaft Die Tourismuswissenschaft bezeichnet das systematisch geordnete, über Forschung gewonnene, durch Begriffe und Theorien aufbereitete Gesamtwissen über Tourismus.7 Sie zählt zu den jungen Wissenschaftsdisziplinen und bedient sich hauptsächlich bestehender Theorien und Modelle aus verschiedenen Wissensgebieten. Der Entwicklung einer einheitlichen Tourismuswissenschaft steht die isolierte Auseinandersetzung der einzelnen Disziplinen mit Tou4 5 6 7 Popper in Ullmann (2000), S. 17. Vgl. Schnell/Hill/Esser (1993), S. 37. Vgl. Stenger (1998), S. 63 ff.; Van den Brincken (1998), S. 174. Nach Mayring ist das Zulassen eigener subjektiver Erfahrungen mit dem Forschungsgegenstand (Introspektion) aber möglich und stellt sogar ein legitimes Erkenntnismittel dar. (Vgl. Mayring [1996], S. 13). Vgl. Nahrstedt (1995), S. 33. 9 rismus gegenüber. Verschiedene Wissenschaften, die sich aus ihrer Sicht mit dem Fremdenverkehr beschäftigen, bestehen nebeneinander. Ein allgemein akzeptiertes touristisches Modell, in dem das durch Einzelforschung bereitgestellte Wissen in einen theoretischen Zusammenhang gebracht werden würde, gibt es noch nicht und die bestehenden Modelle sind vor allem additiv. Die Beschäftigung mit dem Fremdenverkehr ist aus diesem Grund immer eine Perspektivenwissenschaft – beispielsweise gibt die Politologie die Erklärungen über die politischen Aktivitäten im Tourismus und mit den wirtschaftlichen Aspekten des Fremdenverkehrs befassen sich die Wirtschaftswissenschaften (vgl. Abbildung 2).8 Wirtschaftswissenschaften Soziologie Ökologie Sonstige Wissenschaften Psychologie Tourismuswirtschaft Tourismussoziologie Tourismuspsychologie Geographie Politologie Tourismusökologie Sonstige Tourismuswissenschaften Tourismusgeographie Tourismuspolitologie Tourismus mit all seinen Erscheinungen Abbildung 2: Tourismuswissenschaften als Teil verschiedener Mutterwissenschaften9 Die Tourismuswissenschaft befasst sich im Sinne einer angewandten interdisziplinären Sozialwissenschaft sehr stark mit praxisbezogenen Themen – nicht der Aufstellung von Theorien und Hypothesen wird die höchste Priorität zugemessen, sondern der Untersuchung von Anwendungszusammenhängen. Da die Probleme der angewandten Wissenschaften im Unterschied zu den Grundlagenwissenschaften in der Praxis entstehen, sich auf diese beziehen und die Problemlösungen in der Praxis verwirklicht werden sollen, ist der Praxiszusammenhang für die Tourismuswissenschaft konstitutiv.10 Buckley sagt dazu: „A key feature of tourism research is its close relation to practice. This is both a strength and a weakness.“11 Der Fremdenverkehrspolitik dient die Tourismuswissenschaft als Orientierungshilfe für ihre Entscheidungen. Diese braucht Grundlagen, welche möglichst wertneutral, unverfälscht und gleichzeitig aussagekräftig sind.12 Die vorliegende Arbeit ist im Rahmen der Tourismuswissenschaft dem Bereich der angewandten interdisziplinären Sozialwissenschaften zuzuordnen. Sie befasst sich mit der Analyse der Tourismuspolitik in Transformation und mündet in die Aufarbeitung des Falles Tsche8 9 10 11 12 Vgl. Freyer (1996a), S. 53 f.; (1995), S. 106 ff. und (1998a), S. 31. In Anlehnung an Freyer (1997), S. 223. Vgl. Ulrich (1999), S. 6. Buckley (1994), S. 131 f. Vgl. Nahrstedt (1995), S. 48. 10 chien. Aufgrund der Gegenüberstellung von theoretischen Grundlagen der Tourismuspolitik und den gewonnen Kenntnissen aus der Fallstudie werden Empfehlungen für die Tourismuspolitik in einem sich transformierenden Land abgeleitet. Dadurch ist der Praxiszusammenhang, der für die angewandten Wissenschaften von grundlegender Bedeutung ist, gewährleistet. Die Interdisziplinarität ergibt sich aus der hohen Komplexität und Vernetzung des Tourismus mit anderen Bereichen.13 Sie erhöht sich noch zusätzlich durch die Eingliederung und Berücksichtigung des Verlaufes der Transformation. Da eine vollständige Beschreibung und Beherrschbarkeit von solch einem System nicht möglich ist und auch nicht angestrebt wird – entscheidend ist nicht eine Wissenskumulation, sondern die Relevanz und Qualität der gewonnenen Erkenntnisse – ist eine saubere und sinnvolle Systemabgrenzung umso wichtiger. In der vorliegenden Dissertation ist die Untersuchung des Forschungsobjektes aus der wirtschaftlichen Perspektive massgebend. Die Erkenntnisse der anderen Bereiche werden, wenn sinnvoll und notwendig, ebenfalls berücksichtigt, sie sind aber für die Zwecke der Arbeit nicht von erstrangiger Bedeutung. 1.5.2 Stand der Tourismusforschung Von Forschung wird dann gesprochen, wenn die Erkenntnistätigkeit den Kriterien und Normen des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses (Validität, Reliabilität und Objektivität) genügt, eine empirische Analyse einschliesst und auf die Gewinnung neuer Erkenntnisse gerichtet ist.14 Ziel der Forschung muss es sein, zur Lösung von wichtigen und vorrangigen Problemstellungen der ökonomischen, sozialen und ökologischen Praxis beizutragen. Bei der Forschung in angewandten Wissenschaften, zu denen auch der Fremdenverkehr gehört, spielen die Praxis- und Zukunftsbezogenheit eine besondere Rolle.15 Die Tourismusforschung steht heutzutage häufig vor dem Problem, dass die untersuchten Inhalte zu wenig konkret sind. Als Ergebnis erhält der Forscher nicht selten Willensäusserungen, die lediglich ein Stimmungsbild liefern und für unterschiedliche Interpretationen offen bleiben.16 Die Untersuchungen werden zusätzlich durch die grosse Komplexität und Vernetztheit der Tourismusbranche erschwert. Allzu oft werden einzelne Elemente im vernetzten System isoliert betrachtet und ihre Wechselwirkungen vernachlässigt. Dies ist, wie bereits im letzten Kapitel festgehalten, darauf zurückzuführen, dass der Fremdenverkehr zwar als Forschungsobjekt dient, aber keine eigene Wissenschaft darstellt und die einzelnen Disziplinen nur bestimmte Teilaspekte beleuchten. Obwohl in der Literatur den qualitativen Faktoren zunehmend Bedeutung beigemessen wird, bleiben auch diese häufig unberücksichtigt.17 Ausserdem weisen die Marktforschungsdaten den Charakter eines öffentlichen Gutes auf, was dazu führt, dass Investitionen in die Tourismusforschung oft unterbleiben.18 Die wirtschaftswissenschaftliche Beschäftigung mit dem Fremdenverkehr verzeichnete bis heute mehrere Phasen. In der ersten Etappe ging es vor allem um die Definitionen und Abgrenzung von Phänomenen. In einer zweiten Phase lag der Schwerpunkt auf der Betrachtung 13 14 15 16 17 18 Vgl. Kap. 2.2. Vgl. Kromrey (1986), S. 27. Vgl. Tomczak (1992), S. 77; Kap. 1.5.1. Vgl. Nahrstedt (1995), S. 48; Asper (1997), S. 191. Vgl. Belz (1999), S. 1; Mayring (1996), S. 1 ff.; Vester (1999), S. 20 f. Vgl. Bieger/Weibel (1998), S. 180. 11 des Tourismus als System; man versuchte ebenfalls Wachstumskonzepte zu entwickeln und umzusetzen. Heutzutage wird grosse Aufmerksamkeit der Erforschung von Dienstleistungsprozessen, der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Destinationen sowie den Netzwerkeffekten und Kooperationsstrategien beigemessen.19 Die politische Dimension des Tourismus wurde bis jetzt in der Forschung nur wenig berücksichtigt, obwohl viele Gründe für ihre Untersuchung sprechen würden. Hall ist der Auffassung, dass „the mainstream of tourism research has either ignored or neglected the political dimension of the allocation of tourism resources, the generation of tourism policy, and the politics of tourism development“.20 Als Stolpersteine erweisen sich vor allem die stark mit Werturteilen verbundene Analyse der Politik, der Mangel an einer geeigneten Forschungsmethodik sowie die ungenügende Qualität der vorhandenen Ausgangsdaten. Probleme beginnen schon bei der Abgrenzung der Grundbegriffe, die durch grosse Interdisziplinarität gekennzeichnet sind. Dazu Hall/Jenkins: „ ... analysis of tourism policies is often constrained by the lack of consensus concerning definitions of such fundamental concepts as ‘tourism’, ‘tourist’, and the ‘tourist industry’ …”.21 Die Forschung kann für die Tourismuspolitik ein wichtiger Frühindikator sein, indem sie auf Trendverschiebungen und Wertewandel aufmerksam macht. Die Tourismuspolitik ist auf die Ergebnisse der Forschung angewiesen und erwartet von ihr umfassende Informationen, die ihr als Entscheidungsgrundlage dienen. Ohne fundierte Grundlagen ist eine wirksame Fremdenverkehrspolitik heutzutage nicht mehr möglich.22 Damit das oberste Ziel jeglicher Forschung – ein Beitrag zur Lösung von wichtigen Problemstellungen der Praxis – erfüllt wird, muss die vorliegende Dissertation den Ländern in Transformation einen anwendungsorientierten und praxisbezogenen Ansatz für ihre Tourismuspolitik liefern. Diesem Erfordernis wird durch die Ausarbeitung des Falles Tschechien und durch die darauf folgende Ableitung von Empfehlungen für die Tourismuspolitik in Transformation Rechnung getragen. Der Beitrag für die Wissenschaft besteht in der bestmöglichen Schliessung von Forschungslücken und der Verbesserung des Wissensstandes über die Tourismuswirtschaft während der Transformation. Ausserdem wird mit der vorliegenden Dissertation versucht, eine Basis für zukünftige Untersuchungen auf diesem Gebiet zu schaffen. Um die oben erwähnten Unzulänglichkeiten der Tourismusforschung zu umgehen, werden am Anfang der Arbeit systemische und terminologische Abgrenzungen vorgenommen, um einerseits eine isolierte Betrachtung der einzelnen Elemente zu vermeiden und andererseits die Untersuchungsperspektive zu offenbaren und zu konkretisieren. Um den Erfordernissen an die wissenschaftliche Forschung zu genügen, stützt sich die Arbeit im Sinne der Triangulation auf mehrere Datenquellen, Theorien sowie Forschungsmethoden.23 Sie bedient sich einer Fallstudie, welche eine empirische Analyse des Forschungsobjektes einschliesst und auf die Gewinnung neuer Erkenntnisse gerichtet ist. Damit wird die Dissertation den Anforderungen an die Forschung gerecht. 19 20 21 22 23 Vgl. Bieger (1998b), S. 29. Hall (1994), S. 2. Hall/Jenkins (1995), S. 5. Vgl. Nahrstedt (1995), S. 48. Vgl. Kap. 1.5.3. 12 1.5.3 Forschungskonzept der Arbeit Das Forschungskonzept besagt ganz allgemein, welche Forschungsrichtung und -strategien zur Klärung einer bestimmten Problemstellung verwendet und welche Ziele dabei erreicht werden sollen. Bei der Wahl der Strategie stellt sich die Frage, welche Methodik der Sozialwissenschaften zur Erreichung des postulierten Ziels am besten geeignet ist. Grundsätzlich gibt es zwei Wege wie man zu wissenschaftlichen Erkenntnissen kommt: Induktion (schliesst vom Einzelfall auf die Allgemeinheit) und Deduktion (schliesst vom Allgemeinen auf Einzelphänomene).24 Die klassischen deduktiven Methoden des kritischen Rationalismus scheinen aufgrund ihres mangelnden Praxisbezuges für die angewandten Wissenschaften nicht zweckmässig zu sein.25 Die Überbetonung der empirischen Hypothesenprüfung führt zu einer emsigen, aber teilweise konzeptionslosen Datensammlung und zieht in vielen Bereichen keinen eigentlichen Erkenntnisfortschritt nach sich. Die meisten Wissenschaftler gehen deshalb den induktiven Weg der Verallgemeinerung singulärer empirischer Beobachtungen. Die induktive Vorgehensweise ist eher qualitativ orientiert und ermöglicht ein genaueres Verständnis der Zusammenhänge als die rein quantitative Forschung. Sie zeichnet sich durch eine stärkere Orientierung am Subjekt, die Betonung der sorgfältigen Deskription sowie Interpretation und schrittweise Verallgemeinerung der Ergebnisse aus.26 Die vorliegende Dissertation ist bezüglich des grundlegenden Vorgehens wissenschaftstheoretisch dem Induktivismus, der durch Fallbeispiele, Expertengespräche, Analogien und Kombinationen von Quellen geprägt ist, zuzuordnen. Das Ziel der Arbeit ist es, eine Analyse der Tourismuspolitik in der Übergangsphase von der Plan- zur Marktwirtschaft zu liefern und Empfehlungen für eine Tourismuspolitik in Transformation auszuarbeiten. Im Sinne des Positivismus richtet sich die Untersuchung auf das Tatsächliche in der Realität aus und der Massstab für die Beurteilung der dabei gewonnenen Erkenntnisse ist die Praxisrelevanz. Im Rahmen der Fallstudie werden die Veränderungen in der tschechischen Tourismusbranche während Transformation untersucht (Einzelfall), um auf mögliche Gesetzmässigkeiten bei der Entwicklung des Fremdenverkehrs in der Übergangsphase und auf geeignete tourismuspolitische Massnahmen schliessen zu können (teilweise Verallgemeinerung). Die Untersuchung geht von der praktizierten Tourismuspolitik aus (Realität) und die Gewinnung der Erkenntnisse, die den Ländern in Transformation nützlich sein können, ist von Wichtigkeit (Praxisrelevanz). Um einen relevanten und praxistauglichen Erkenntnisfortschritt zu erzielen, ist angesichts der hohen Komplexität und Vernetztheit des Fremdenverkehrs mit anderen Bereichen ein Pluralismus von Untersuchungsstrategien notwendig. Ihr Mix, resp. die Triangulation der Forschungsstrategien (methodological Triangulation),27 trägt zur Erhöhung der Validität, Reliabilität und Objektivität der Untersuchung bei. Bei der Ausarbeitung der vorliegenden Arbeit kamen folgende Strategien zum Zug: 24 25 26 27 Vgl. Dörig (1987), S. 12; Mayring (1996), S. 23 f.; Müller-Böling/Klandt (1996), S. 6; Seiffert (1991), S. 133. Nach der Vorstellung des kritischen Rationalismus vollzieht sich der Forschungsprozess in ständiger Wechselbeziehung zwischen Theorie/Hypothese und Empirie: Eine Hypothese über die Realität wird formuliert, in der Realität überprüft, aufgrund der gewonnenen Kenntnisse modifiziert, dann wieder überprüft usw. (Vgl. Kromrey [1986], S. 27). Vgl. Mayring (1993), S. 13 f. Nach Popper existiert jedoch keine entsprechende allgemeine Induktionsregel und die Angemessenheit eines Induktionsschlusses kann nicht begründet werden. (Vgl. Popper [1994], S. 14). Zum Begriff „Triangulation“ vgl. Yin (1994), S. 91 f. 13 Im ersten Teil wurde eine explorative Strategie gewählt. Bei der Exploration werden relevante Theorien und Methoden ausgewählt, adaptiert und interpretiert. Dieses theoriegeleitete Vorgehen bedeutet aber nicht die Formulierung von präzisen Hypothesen zu Beginn des Forschungsprozesses und darf mit einem deduktiven Ansatz nicht gleichgesetzt werden. Es geht darum, ein besseres Verständnis für die beobachtbaren Phänomene zu entwickeln. Die Aufmerksamkeit des Forschers konzentriert sich auf das Erkennen, Verstehen und Beschreiben des untersuchten Problems. Von Wichtigkeit ist eine Operationalisierung und Systematisierung der Begriffe, da die benützte Terminologie oft nicht einheitlich ist. Der Einsatz dieser Strategie ist besonders empfehlenswert, wenn der untersuchte Bereich relativ unbekannt ist oder wenn es sich um ein Phänomen handelt, das nicht genügend verstanden oder beherrscht wird.28 Dies trifft beim Forschungsobjekt der vorliegenden Dissertation, der Tourismuspolitik in Transformation, zu, da es sich um einen bis jetzt noch nicht genügend erforschten Bereich handelt. Die Untersuchung stützt sich auf eine Interpretation des vorhandenen theoretischen und breit akzeptierten Wissens über die Funktionsweise der Tourismusbranche unter marktwirtschaftlichen Bedingungen sowie des Wissens über den Verlauf der Transformation der Tourismuswirtschaft in der Tschechischen Republik. Es wurde eine grosse Anzahl deutschund englischsprachiger wissenschaftlicher Publikationen über die Phänomene Tourismus und Tourismuspolitik einbezogen. Zudem wurden die wenigen verfügbaren Quellen mitberücksichtigt, die sich speziell mit der Tourismusbranche in der Übergangsphase befassen. Bezüglich der Transformation der Wirtschaft wurde auf die vorhandene Literatur in englischer, deutscher und tschechischer Sprache zurückgegriffen. Diese Vorgehensweise trägt unvermeidlich subjektive Züge und ist vom Vorverständnis des Forschers geprägt. Zusätzlich gehört die Tourismuspolitik zu den Gebieten, die durch Werte und Ideologien stark geprägt sind und in denen auf Werturteile nicht verzichtet werden kann. Eine vorurteilsfreie Forschung ist aber nie ganz möglich und nach einigen Wissenschaftlern ist das Zulassen eigener subjektiver Erfahrungen mit dem Forschungsgegenstand (Introspektion) sogar ein legitimes Erkenntnismittel.29 Wichtig ist, dass das Vorverständnis sowie die angewendeten Werturteile expliziert und transparent gemacht werden,30 wie dies auch in der vorliegenden Arbeit angestrebt wird. An die Exploration schliesst sich im zweiten Teil der Arbeit die Deskription an. Zu dieser Methode der qualitativen Sozialforschung gehören die Klassifikation und Erhebung von Daten, Fallstudien sowie Beschreibungen des Wirtschaftsgeschehens. Sie eignet sich besonders dann, wenn neuartige Probleme auftreten. Zur Untersuchung der tschechischen Tourismuspolitik in ihrer Übergangsphase (neuartiges Problem) ist diese Methode durchaus geeignet und es wird bei ihrem Einsatz auf das Konzept der Fallstudie zurückgegriffen. Unter einer Fallstudie wird eine empirische Untersuchung verstanden, die ein zeitgemässes Phänomen in seinem normalen Umfeld untersucht und eine relativ detaillierte Beschäftigung mit ihm ermöglicht. Sie bietet sich insbesondere dann an, wenn die Grenze zwischen dem interessierenden Phänomen und seinem Umfeld nicht klar ist und wenn die Situation zu komplex ist für die Verwendung anderer forschungsmethodischer Ansätze, wie dies Stake treffend ausdrückt: „Case study ist the study of the particularity and complexity of a single case … (it) 28 29 30 Vgl. Greuter (2000), S. 21 f; Scholz/Tietje (2002), S. 11. Vgl. Mayring (1993), S. 13. Vgl. Kelle/Kluge (1999), S. 28 f. 14 is expected to catch the complexity of a single case.”31 Die Fallstudie eignet sich zur Untersuchung politischer Phänomene, da es die politischen Abläufe realitätsnah und umfassend erfasst und ausserdem auch die Motive der verschiedenen Akteure einbeziehen kann.32 Aus diesen Gründen ist das Konzept der Fallstudie für die Zwecke der vorliegenden Dissertation besonders gut geeignet. Es ist eine instrumentelle Fallstudie, da der Fall Tschechien als Instrument für die Ableitung von Empfehlungen für eine Tourismuspolitik in Transformation dient.33 Die Tourismuswirtschaft in der Übergangsphase stellt ein aktuelles Phänomen dar, welches in seinem realen Kontext, in einem sich transformierenden Land, untersucht wird. Da der Fremdenverkehr einen hohen Grad an Komplexität und Vernetzung mit anderen Bereichen ausweist, sind die Grenzen zwischen ihm und seinem Umfeld nicht eindeutig und deshalb schwierig zu fassen. Dies wird noch zusätzlich durch die Eingliederung der Aspekte der Transformation erschwert. Das Vorgehen bei der Erforschung von Zusammenhängen mittels Fallstudie zeichnet sich dadurch aus, dass im Rahmen einer Triangulation unterschiedliche Datenquellen herangezogen und mehrere Erhebungsmethoden angewendet werden. Dies trägt zur Erhöhung des wissenschaftlichen Wertes der Erkenntnisse und Resultate der Fallstudie bei. Zur Gewinnung der Daten stehen unter anderem die folgenden Methoden zur Verfügung: Dokumentenanalyse, Interviews, direkte oder teilnehmende Beobachtungen sowie Auswertung von physischen Produkten, Artefakten oder der räumlichen Umgebung.34 Für die vorliegende Fallstudie erfolgte eine umfassende und detaillierte Analyse von verschiedenen Dokumenten wie Hand- und Lehrbüchern, Dissertationen, Diplomarbeiten, Fachzeitschriften, Presseberichten, Marktforschungsstudien, Jahresberichten, Statistiken, Präsentationsunterlagen, internen Publikationen und Webseiten. Daneben kamen Expertengespräche in Form von teilstrukturierten Einzelinterviews mit einem Leitfaden zum Einsatz. Zusätzlich wurde noch die Methode der direkten Beobachtung, die aber eher eine untergeordnete Rolle spielte, eingesetzt. Durch die Verwendung von mehreren Erhebungsmethoden wurde die Betrachtung der Problematik aus verschiedenen Perspektiven gewährleistet und somit den Anforderungen an eine wissenschaftliche Forschung gerecht. Die Auswertung der gesammelten Unterlagen fand unstrukturiert statt, weil einheitliche Untersuchungs- und Bewertungskriterien angesichts der unterschiedlichen Qualität, Vielfältigkeit und Ausgiebigkeit des vorhandenen Materials als wenig praktikabel und zweckmässig erschienen. Ziel jeglicher Forschung ist die Erweiterung und Verallgemeinerung von Erkenntnissen. Am Ende des induktiven Forschungsprozesses werden deshalb aus einzelnen Beobachtungen die Zusammenhangsvermutungen gebildet, welche man durch weitere Untersuchungen zu erhärten versucht. Dies ist bei den Fallstudien jedoch nicht unproblematisch. Trotz ihres hohen Informationsgehalts ist die Allgemeingültigkeit zumindest zweifelhaft, da sich die Aussagen nur auf einen Fall beziehen und unklar ist, ob sie auch für andere Fälle gelten. Auch kollektive Fallstudien mit einem grossen Untersuchungsumfang können keinen Anspruch auf statistische Repräsentativität erheben. Stake schlägt deshalb den Einsatz von „naturalistic generalization“ 31 32 33 34 Stake (1995), S. XI. Vgl. Yin (1994), S. 1 ff.; Scholz/Tietje (2002), S. 9; Greuter (2000), S. 22. Die intristischen Fallstudien beruhen dagegen auf einem besonderen Interesse an einem spezifischen Fall, der vorgegeben ist. Zum Begriff „instrumentelle“ und „intristische“ Fallstudie vgl. Stake (1995), S. 3; Scholz/Tietje (2002), S. 11. Vgl. Yin (1994), S. 78 ff. 15 vor, der auf „taking the findings from one study and apply them to understanding another similar situation”35 beruht. Yin/Heald befürworten „Case Survey Method“, dank welcher die Informationen der einzelnen Fallstudien zusammengefasst und aggregiert werden können.36 Viele Forscher verzichten aber auf die Verallgemeinerung der Ergebnisse ihrer Fallstudien, da sie in ihr ein ungeeignetes Ziel erblicken.37 In der vorliegenden Arbeit wird aus den oben angeführten Gründen keine statistische Generalisierung angestrebt. Dies steht auch im Einklang mit der Feststellung, dass es keine universelle Tourismuspolitik geben kann.38 Stattdessen wird im letzten Teil der Dissertation im Rahmen der Explikation eine argumentative Verallgemeinerung angestrebt. Aufgrund der Gegenüberstellung der gewonnenen Kenntnisse aus dem Fall Tschechien und dem Wissen über die Funktionsweise der Tourismusbranche in einer Marktwirtschaft, werden Empfehlungen für eine Tourismuspolitik in Transformation abgeleitet und den Transformationsländern somit ein anwendungsorientierter Ansatz für die Ausgestaltung ihrer Tourismuspolitik vermittelt (naturalistic generalization). Zur Sicherung der Reliabilität der Ergebnisse beruhen diese empirisch-normativ abgestützten Empfehlungen auf einer nachvollziehbaren, vergleichenden, chronologischen und analytischen Auseinandersetzung. Die Zuverlässigkeit der Untersuchung wird noch zusätzlich durch eine umfassende Dokumentation der Vorgehensweise erhöht. Sollten in Zukunft Fallstudien über die Tourismuspolitik von anderen sich transformierenden Ländern ausgearbeitet werden, könnte der Wert der vorliegenden Untersuchungsergebnisse durch ihre Agreggation mit den neuen Kenntnissen noch zusätzlich erhöht werden (Case Survey Method). 1.6 Fazit Die vorliegende Dissertation, welche dem Bereich der angewandten interdisziplinären Sozialwissenschaften zuzuordnen ist, setzt sich zum Ziel, die Erkenntnisgewinnung im Bereich der Tourismuspolitik in Transformation mit qualitativer induktiver Forschung voranzutreiben. Zu diesem Zweck werden im Rahmen einer Fallstudie die Veränderungen in der tschechischen Tourismusbranche während des Systemwandels untersucht. Das Ziel ergibt sich aus der bisherigen Inexistenz einer integrierten wissenschaftlichen Studie über diese Problematik. Zur Erfüllung der Anforderungen an eine wissenschaftliche Forschung und zur Erzielung eines praxistauglichen Erkenntnisforschrittes werden angesichts der Komplexität und Vernetztheit des Fremdenverkehrs mehrere Untersuchungsstrategien eingesetzt. Im ersten Teil der Arbeit kommt die explorative Strategie zum Zug, mittels welcher ein besseres Verständnis für die gewählte Problematik entwickelt werden soll. An die Exploration schliesst sich im zweiten Teil die Deskription an, in deren Rahmen auf das Konzept der Fallstudie zur Untersuchung der tschechischen Tourismusbranche in der Übergangsphase zurückgegriffen wird. Im letzten Teil, in der Phase der Explikation, werden aufgrund der Gegenüberstellung von den theoretischen Überlegungen des ersten Teiles und den Erkenntnissen aus der Fallstudie Empfehlungen für eine Tourismuspolitik in Transformation ausgearbeitet. Statt der statistischen 35 36 37 38 Stake (1978) o.S., zitiert nach Schofield (2000), S. 75. Vgl. Yin/Heald (1975), S. 371. Vgl. Gomm/Hammersley/Foster (2000), S. 103. Vgl. Kap. 4.2. 16 Verallgemeinerung, die bei den Fallstudien problematisch erscheint, wird eine argumentative, empirisch-normativ abgestützte Verallgemeinerung angestrebt. Die Ergebnisse der vorliegenden Publikation sollen nicht nur der Schliessung der Lücken in der wissenschaftlichen Forschung dienen, sondern auch in der Praxis berücksichtigt werden. Die abgeleiteten Empfehlungen sollen der Tourismuswirtschaft in sich transformierenden Ländern neue Impulse verleihen und helfen, möglichst viele Fehlentscheidungen in der Tourismuspolitik zu vermeiden. Erst unter diesen Voraussetzungen kann die Arbeit als erfolgreich bewertet werden und der Praxiszusammenhang, der für die angewandten Wissenschaften von grundlegender Bedeutung ist, gewährleistet werden. 17 2 Begriffsdefinitionen 2.1 Überblick Es ist unumgänglich, dass „der ‚gemeinte Sinn’ der verwendeten Begriffe von allen erfasst und geteilt werden kann: Man muss wissen, worüber geredet wird. Die am Kommunikationsprozess Beteiligten sollen den verwendeten Begriffen weitestgehend die gleichen Bedeutungen, die gleichen Vorstellungsinhalte zuschreiben.“ Rainer Schnell/Paul B. Hill/Elke Esser Obwohl die Definitionen „nur Denkwerkzeuge und Hilfsmittel einer klaren, unmissverständlichen Sprache sind“,39 bildet eine genaue und umfassende Beschreibung des untersuchten Gegendstandes einen der ersten Schritte bei der Verfassung von wissenschaftlichen Arbeiten, da die Wissenschaften nie mit konkreten Ereignissen an sich arbeiten, sondern immer mit der in Sprache gefassten Realität. Schon in dieser Phase stossen die Forscher aber an Schwierigkeiten, weil die Diskussionen über die Fassung von touristischen Begriffen keineswegs durch eine einheitliche definitorische Abgrenzung gekennzeichnet sind. Die Definitionsversuche stehen oft im Spannungsfeld zwischen dem Anspruch auf Operationalisierbarkeit der Begriffe, d.h. ihrer konkreten Anwendungsmöglichkeit und dem Anspruch, die historischgesellschaftlichen Tendenzen einzufangen, die im Untersuchungsgegenstand enthalten sind. Je nach Interessenlage der Autoren und je nach Stellung des Tourismus in den Wissenschaften zum Zeitpunkt der Untersuchung sind die benützten Definitionen sehr unterschiedlich. Schon 1955 stellte Bernecker fest: „Man kann tatsächlich sagen, dass es fast ebenso viele Fremdenverkehrsdefinitionen gibt als [!] Autoren.“40 In den nächsten Kapiteln wird auf die in der deutsch- und englischsprachigen Literatur meist benützten Definitionen von „Tourismus, Tourist und Tourismuspolitik“ eingegangen. Es wird versucht, eine Systematik in ihre Vielfalt zu bringen und einige Vergleiche unter ihnen zu erarbeiten. Um eine richtige Interpretation von statistischen und anderen Publikationen aus der sozialistischen Ära der Tschechoslowakei zu gewährleisten, wird auch die Terminologie erklärt, welche dort benützt wurde. Da sich die Dissertation mit der Tourismuspolitik in der Transformation befasst, wird eine Erörterung des in den Tourismuswissenschaften noch nicht genügend etablierten Begriffes „Transformation“ vorgenommen. Anschliessend wird auf den Gebrauch der Ausdrücke für die Zwecke der vorliegenden Arbeit eingegangen und wenn nötig und sinnvoll, werden die ursprünglichen Begriffe angepasst oder eigene Begriffe abgeleitet. Die Begriffe „Tourismus“ und „Fremdenverkehr“ werden synonym verwendet. In der Praxis wird „Fremdenverkehr“ jedoch weitgehend durch „Tourismus“ ersetzt, da mit „fremd“ eine negative Assoziation verbunden ist. Die Verwendung des Ausdruckes „Tourismus“ hat gleichzeitig den Vorteil, dass er in den meisten Sprachen ebenfalls benützt wird und ins Englische ohnedies beide Ausdrücke als „Tourism“ übersetzt werden.41 Für die westlichen Länder werden die Ausdrücke „Industrieländer, entwickelte Länder, Marktwirtschaften und marktwirtschaftlich orientierte Länder“ synonym verwendet, da es bei der Untersuchung der Tou39 40 41 Greuter (2000), S. 127. Bernecker (1955), S. 105, zitiert nach Eisenstein (1995), S. 13. Zur Problematik der Gleichsetzung von beiden Begriffen vgl. auch Freyer (1998), S. 399 ff. und Mundt (1998), S. 1 ff. 18 rismuswirtschaft nicht nötig und zweckmässig erscheint, eine strikte Unterscheidung zwischen dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen System vorzunehmen. Die gleiche Überlegung gilt für die osteuropäischen Länder, für welche die Begriffe „sozialistische Länder, Zentralplanwirtschaften und zentralplanwirtschaftlich orientierte Länder“ für die vorrevolutionäre Zeit und die Ausdrücke „Transformationsländer, sich transformierende Länder und die Länder in Transformation/Systemwandel“ synonym benützt werden. 2.2 Tourismus Das Wort „Tourismus“ stammt aus dem griechischen „τoρυoζ“ (zirkelähnliches Werkzeug) und gelangte über das lateinische „tornare“ (runden) und das französische „tour“ (Rundreise) ins Deutsche. Eine Tour ist demnach ein „Hin-und-Zurück“, eine Reise weg vom normalen Wohnort.42 Seit Jahrzehnten wird versucht, für den „Tourismus“ eine bindende Definition zu finden. Der Durchbruch zu seiner gesonderten wissenschaftlichen Erfassung erfolgte 1905. Damals erkannte Stradner die ökonomische Bedeutung des Fremdenverkehrs als Absatzmarkt. Der Tourismus im engeren Sinne beinhaltete das private Reisen (welches damals zu den Luxusgütern gehörte) und zum Tourismus im weiteren Sinne wurden noch die Geschäftsreisen gezählt. Trotz der Annerkennung der ökonomischen Auswirkungen stand in seiner Begriffsabgrenzung aber die Motivation des Reisens im Vordergrund: „Während der Geschäftsreisende Antrieben des Erwerbes folgt, entspringt der Verkehr der Luxusreisenden ... Antrieben, die mit den Bedürfnissen der Kultur, des geistigen Lebens, des Gemütes, der Gesundheit, des Wohllebens, kurz mit subjektiven Neigungen idealer Natur im Zusammenhang stehen.“43 Bei späteren Definitionen sind die wirtschaftlichen Auswirkungen mehr in den Mittelpunkt gerückt. So umschrieb 1911 von Schullern zu Schrattenhofen den Fremdenverkehr als „Inbegriff aller jener und in erster Reihe aller wirtschaftlicher Vorgänge, die sich im Zuströmen, Verweilen und Abströmen Fremder nach, in und aus einer bestimmten Gemeinde, einem Lande, einem Staate betätigen und damit unmittelbar verbunden sind.“44 Mitte des letzten Jahrhunderts fand im deutschsprachigen Raum die aus dem Jahre 1942 stammende Begriffsdefinition von Hunziker/Krapf starke Verbreitung. Sie erlaubt aufgrund ihrer Universalität, dass sich jeder nicht beruflich bedingte Reiseanlass unter „Tourismus“ fassen lässt: „Fremdenverkehr ist der Inbegriff der Beziehungen und Erscheinungen, die sich aus dem Aufenthalt Ortsfremder ergeben, sofern durch den Aufenthalt keine Niederlassung zur Ausübung einer dauernden oder zeitweilig hauptsächlichen Erwerbstätigkeit begründet wird.“ 45 Die Definition streicht durch das Fehlen jeglicher Erwerbsabsicht die reine Konsumorientierung als Charakteristikum des Tourismus heraus und unterscheidet sich somit deutlich von den vorherigen Definitionsversuchen. Mit der Ausklammerung des Geschäftsreise- und Kongresstourimus war sie aber nur bis zu den 70er Jahren haltbar, da sie dann der Komplexität des Tourismus sowie seinen Strukturwandlungen nicht mehr entsprach. 42 43 44 45 Vgl. Mundt (1998), S. 1. Stradner (1905), S. 25, zitiert nach Meyer-Schwickerath (1990), S. 19. Von Schullern zu Schrattenhofen (1911), S. 437. Hunziker/Krapf (1942), S. 21. 19 Der steigenden Multidisziplinarität und Vielfältigkeit des Fremdenverkehrs wurde erst die Universaldefinition von Kaspar gerecht, wo der Tourismus als „die Gesamtheit der Beziehungen und Erscheinungen, die sich aus der Reise und dem Aufenthalt von Personen ergeben, für die der Aufenthaltsort weder hauptsächlicher und dauernder Wohn- noch Arbeitsort ist,“46 verstanden wird. Der Ortwechsel ist zur Erscheinung Tourismus konstitutiv, was bedeutet, dass neben dem eigentlichen Aufenthalt am anderen Ort die Reise als raumüberwindendes Element in den touristischen Prozess zu treten hat. Die Aufenthaltsdauer ist vorerst von untergeordneter Bedeutung, entscheidend ist, dass die Destination weder dem hauptsächlichen und dauernden Wohn- noch Arbeitsort des Reisenden entspricht. Berufspendler scheiden aus, während Geschäftsreisende und Aufenthalter in ihren Zweitwohnungen eingeschlossen sind.47 Zur Verdeutlichung der Komplexität des Tourismus strukturierte Kaspar den Fremdenverkehr zusätzlich noch mit Hilfe der Systemtheorie:48 Der Tourismus besteht aus den Teilnehmern (Tourismussubjekte), die ihre Bedürfnisse durch den Konsum von Leistungen befriedigen, welche von den Tourismusorten, -unternehmungen und -organisationen (Tourismusobjekte) angeboten werden. Als offenes, komplexes und dynamisches System ist er von der umgebenden ökonomischen, sozialen, technologischen, ökologischen, rechtlichen und politischen Umwelt nicht nur beeinflusst, sondern prägt diese ebenfalls mit (vgl. Abbildung 3).49 Ökonomische Umwelt Soziale Umwelt Tourismusorte Tourismussubjekt Ökologische Umwelt Tourismusorganisationen Tourismusbetriebe Technologische Umwelt Politische Umwelt Rechtliche Umwelt Abbildung 3: Struktur des Systems Tourismus50 46 47 48 49 50 Kaspar (1996), S. 16. Vgl. Kaspar (1996), S. 15. Ulrich bezeichnet die allgemeine Systemtheorie als „die formale Wissenschaft von der Struktur, den Verknüpfungen und dem Verhalten irgendwelcher Systeme”, wobei er unter einem System „eine geordnete Gesamtheit von Elementen, zwischen denen irgendwelche Beziehungen bestehen oder hergestellt werden können“, versteht. (Vgl. Ulrich [1970], S. 105). Vgl. Kaspar (1996), S. 11 ff. und (1995), S. 14 ff. Dieser Auffassung entspricht auch die modulare Abgrenzung von Freyer. Er versuchte ein ganzheitliches Tourismusmodell zu entwickeln, in dem sich das Umfeld vom Tourismus aus mehreren Modulen zusammensetzt und diese mit ihm ein komplexes Gesamtsystem bilden. (Vgl. Freyer [1998], S. 31 f.). In Anlehnung an Kaspar (1996), S. 12. 20 All diesen Begriffsabgrenzungen von Kaspar ist gemeinsam, dass sie versuchen den Tourismus so allgemein zu beschreiben und zu strukturieren, dass alle seine Arten, Erscheinungsformen und Merkmale vollständig und widerspruchsfrei erfasst werden und der Fremdenverkehr somit als ein komplexes Gebilde erscheint. Mit dem Tourismusbegriff beschäftigte sich mehrmals auch die WTO. Das Ziel ihrer Bemühungen war es, die Statistiken der verschiedenen Länder zu vereinheitlichen. Gemäss der WTO-Definition vom Jahr 1993 umfasst der Tourismus „die Aktivitäten von Personen, die an Orte ausserhalb ihrer gewohnten Umgebung reisen und sich dort zu Freizeit-, Geschäfts- oder bestimmten anderen Zwecken nicht länger als ein Jahr ohne Unterbrechung aufhalten“.51 Die Definition unterscheidet sich ausser der Erfassung der zeitlichen Dimension nicht wesentlich von derjenigen von Kaspar, da sie die Komplexität vom Fremdenverkehr ebenfalls zum Ausdruck bringt und somit seinem Querschnittscharakter gerecht wird. Im Weiteren wurde von der WTO eine Abgrenzung des nationalen und internationalen Tourismus sowie der Begriffe Inlands-, Auslands- und Ausländertourismus vorgenommen (Abbildung 4). Inlandstourismus (Domestic Tourism) Nationaler Tourismus In andere Länder Auslandstourismus (Outgoing Tourism) Internationaler Tourimus Aus anderen Ländern Ausländertourismus (Incoming Tourism) Abbildung 4: Nationaler und internationaler Tourismus52 In der ehemaligen Tschechoslowakei erfüllte der Tourismus andere Aufgaben und besass andere Merkmale als der Fremdenverkehr in westlichen Ländern. Die Hauptaufgabe des Tourismus wurde in der Reproduktion der Arbeitskraft gesehen und so hiess es in einer Definition: „Tourismus im gesellschaftlichen Gesamtsystem unseres sozialistischen Staates ist die Summe aller ... Ortsveränderungen der Menschen und deren Aufenthalte ausserhalb des Wohn- und Arbeitsortes ... die der erweiterten sozialistischen Reproduktion der gesellschaftlichen und individuellen Arbeitskraft dienen.“53 Die Differenzierung des Begriffes erfolgte nach der finanziellen Beteiligung des Einzelnen, nach dem geographischen Standort und nach der Form der Teilnahme (vgl. Abbildung 5).54 51 52 53 54 United Nations/World Tourism Organization (1994), S. 5, zitiert nach Hostettler-Annen (1998), S. 9. Mundt (1998), S. 5. Scheumann (1970), S. 829, zitiert nach Ropers (1986), S. 70. Vgl. Poláček/Gúčik/Bušniaková (1990), S. 14 ff. 21 Finanzielle Beteiligung Tourismus Freier Tourismus Gebundener Tourismus Tourismus ausserhalb der kommerziellen Einrichtungen Geographischer Standort Inlandstourismus Auslandstourismus Aktiver Tourismus Passiver Tourismus Mit sozialistischen Staaten Mit anderen Staaten Teilnahmeart Organisierter Tourismus Nicht organisierter (individueller) Tourismus Abbildung 5: Differenzierung des Begriffs „Tourismus“55 • 55 Je nach Art der finanziellen Beteiligung unterschied man den freien Tourismus, den gebundenen Tourismus und den Tourismus ausserhalb von kommerziellen Einrichtungen. Der freie Tourismus zeichnete sich einerseits dadurch aus, dass Reisende in kommerziellen Einrichtungen übernachteten; andererseits mussten sie für die in Anspruch genommenen Dienstleistungen gänzlich mit eigenen Mitteln aufkommen. Der gebundene Tourismus hingegen kam in erster Linie dem gesetzlichen Anspruch der Bevölkerung auf Erholung nach. Zahlreiche Unternehmen, gesellschaftspolitische Organisationen und staatliche Institutionen hatten ihre eigenen touristischen Einrichtungen, die für ihre Mitglieder oder Mitarbeiter bestimmt waren. Diese hatten nur einen kleinen oder gar keinen Teil der Kosten zu tragen; das meiste wurde durch verschiedene Fonds und sonstige staatliche Mittel finanziert. Für den Tourismus ausserhalb von kommerziellen Einrichtungen stand der Bevölkerung ein dichtes Netz eigener Ferienhäuser zur Verfügung. Zu dieser Art von Tourismus zählten auch die Besuche bei Verwandten und Bekannten, das Reisen mit dem eigenen Wohnmobil und das Zelten in der freien Natur. Eigene Darstellung. 22 • Unter der Differenzierung nach dem geographischen Standort verstand man die Aufteilung in Inlands- und Auslandstourismus. Der Inlandstourismus umfasste Reisen der einheimischen Bevölkerung im eigenen Land. Beim grenzüberschreitenden Tourismus unterschied man zum einen zwischen aktivem und passivem Tourismus, zum anderen zwischen Reisen in sozialistische und in nicht sozialistische Staaten. Der aktive Tourismus umfasste zeitlich begrenzte Besuche von Ausländern; die grenzüberschreitenden Aktivitäten eigener Bürger zählten zum passiven Tourismus. • Bei der Teilnahmeart wurde zwischen organisiertem und nicht organisiertem Tourismus unterschieden. Beim organisierten Tourismus war die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen eingeschränkt, da das Reiseprogramm für die ganze Gruppe schon im Voraus festgelegt war. Der nicht organisierte Tourismus zeichnete sich hingegen durch die individuelle Gestaltung der Reise aus. Der grösste terminologische Unterschied im Vergleich zu den aus den englisch- und deutschsprachigen Räumen stammenden Begriffsabgrenzungen bestand vor allem in der Differenzierung des Fremdenverkehrs nach der finanziellen Beteiligung der Teilnehmer. Der gebundene Tourismus mit einer starken finanziellen Beteiligung des Staates wurde in den westlichen Ländern in dieser Form nicht praktiziert und deshalb bestand auch kein Bedürfnis an seiner genauen definitorischen Abgrenzung. Ähnliches galt für den Tourismus ausserhalb von den kommerziellen Einrichtungen, der kein besonders grosses Ausmass annahm. Am ehesten entsprach dem westlichen Verständnis von Tourismus der freie Fremdenverkehr, welcher auf kommerzieller Basis ablief. In der Differenzierung nach dem geographischen Standort stimmten die Begriffe „aktiver Tourismus“ mit dem in der WTO-Terminologie benützten „Incoming-Tourismus“ und „passiver Tourismus“ mit dem „Outgoing-Tourismus“ überein. Die Differenzierung nach der Teilnahmeart ähnelte jener der westlichen Länder, wo zwischen dem Gruppen- und dem Individualtourismus unterschieden wird. Die Grundlage für die vorliegende Arbeit bildet die oben angeführte Begriffsabgrenzung von Kaspar. Dies aus folgenden Gründen: Es ist eine Universaldefinition, die der Multidisziplinarität des Tourismus gerecht wird und gleichzeitig von langfristiger Gültigkeit ist, da sie die Strukturwandlungen des Fremdenverkehrs in sich einschliesst. Die Orientierung an der systemorientierten Denkweise bietet Gewähr dafür, dass das Forschungsthema der Dissertation ganzheitlich, zukunftsgerichtet und trägerbezogen dargestellt werden kann. Die Begriffsabgrenzung der WTO, die der Komplexität des Tourismus auch Rechnung trägt, kommt ebenfalls zum Zug, da sie eine Unterscheidung zwischen dem nationalen und internationalen Tourismus (Domestic, Outgoing und Incoming Tourism) vornimmt. Dies ist bei der Interpretation der statistischen Angaben von Bedeutung, da dadurch ermöglich wird, sich über den Verlauf von touristischen Strömen ein konkretes Bild zu machen. Die anderen aufgeführten Definitionen sind heutzutage als überwunden zu betrachten, da sie nicht mehr der Realität entsprechen und somit auch ihr weiterer Gebrauch in dieser Dissertation ausscheidet. Die sozialistische Terminologie (vor allem die Begriffe, welche die finanzielle Beteiligung betreffen) wird bei der Analyse der vorrevolutionären Tourismusentwicklung verwendet, da sich für sie in der westlichen Terminologie keine passenden Äquivalente finden lassen. 23 2.3 Tourist Das Wort „Tourist“ wurde erstmals Ende des 18. Jahrhunderts in der englischen Sprache belegt, 1816 tauchte es im Französischen auf und in der deutschen Sprache wurde es nach 1830 unmittelbar aus dem Englischen übernommen. Im Deutschen Wörterbuch von Grimm wurde unter „Tourist“ ein Reisender verstanden, „der zu seinem Vergnügen, ohne festes Ziel, zu längerem Aufenthalt sich in fremde Länder begibt, meist mit dem Nebensinn des reichen, vornehmen, unabhängigen Mannes“.56 Die erste internationale Konferenz, die sich mit der Definition von „Tourist“ auseinandersetzte, fand im Jahr 1937 statt. Die heute verwendeten Begriffe „Besucher, Tourist und Ausflügler“ wurden nach der Konferenz in Ottawa im Jahr 1991 von der Statistischen Kommission der Vereinten Nationen und der WTO unter dem Titel „Recommendations on Tourism Statistics“ 1994 veröffentlicht. Die Hierarchie der oben genannten Begriffe verdeutlicht die Abbildung 6. Reisende Besucher national Tagesbesucher Ausflügler Übrige Reisende international Tourist Tagesbesucher Ausflügler Tourist Abbildung 6: Hierarchie der Begriffe „Besucher, Tourist und Tagesbesucher“57 „Besucher“ sind danach übergreifend alle Reisenden, die sich zeitweilig an einem anderen Ort als dem ihres ständigen Wohnsitzes aufhalten. Für die Abgrenzung der Besucher von den übrigen Reisenden sind drei Kriterien massgebend: Die entsprechende Aktivität muss ausserhalb der gewohnten Umgebung stattfinden. Somit sind Personen, die täglich zu Arbeits- oder Ausbildungszwecken pendeln, nicht dem Tourismus zuzuordnen. Ebenfalls nicht unter den Begriff Besucher fällt z.B. ein Theaterbesuch in der Nähe des Wohnortes. Im Weiteren muss der hauptsächliche Reisezweck ein anderer sein, als die Ausübung einer Tätigkeit, die vom besuchten Ort aus entgolten wird. Die Reisen müssen entweder geschäftlichen Zwecken, dem Besuch von Tagungen und Kongressen, der Freizeitgestaltung oder dem Besuch von Freunden und Verwandten dienen. Zuletzt darf der Aufenthalt im besuchten Gebiet höchstens zwölf aufeinander folgende Monate dauern.58 56 57 58 Vgl. Prahl/Steinecke (1995), S. 12. In Anlehnung an Mundt (1998), S. 4. Vgl. United Nations/World Tourism Organization (1994), o.S., zitiert nach Hostettler-Annen (1998), S. 9 f.; Mundt (1998), S. 4 f. 24 Unter dem Begriff „Tourist“ werden dagegen nur jene zeitweiligen Besucher zusammengefasst, die sich für mindestens 24 Stunden an einem anderen als ihrem Wohnort aufhalten. Dementsprechend handelt es sich in der Regel um Besucher, die mindestens eine Nacht an einem anderen Ort verbringen. „Ausflügler“ sind jene Besucher, die sich an einem anderen Ort nur kurzfristig aufhalten, ohne dort zu übernachten.59 Trotz aller Bestrebungen ist man aber von einer einheitlichen Verwendung der Terminologie noch weit entfernt, da in verschiedenen Ländern nach wie vor unterschiedliche Definitionen benützt werden. Noch unübersichtlicher wird das Bild, wenn man die offiziellen Definitionen mit dem Alltagsbegriff von „Tourist“ vergleicht. In der Regel bezieht sich dieser nur auf den privaten Reiseverkehr und erweist sich somit als eine nicht taugliche Verengung des Begriffes. Für die vorliegende Dissertation scheint es zweckmässig zu sein, sich an die empfohlene internationale Terminologie der WTO zu halten, dies jedoch mit folgenden Anpassungen: Es wird der Begriff „Gast“ eingeführt, da dieser in den tschechischen Unterkunftsstatistiken laufend für die Bezeichnung der sich in den Beherbergungseinrichtungen temporär aufhaltenden Personen benützt wird. Die Begriffe „Besucher“ und „Reisender“ werden synonym verwendet; die übrigen Reisenden werden abweichend von der WTO-Definition ausgeklammert, da diese Personen für die Untersuchungszwecke der Arbeit von keinerlei Bedeutung sind. Die Vornahme von weiteren Anpassungen ist nicht sinnvoll, da damit die Vergleichbarkeit der Ergebnisse der Dissertation mit anderen Studien erschwert wäre und ausserdem würde so ein Vorgehen den Bestrebungen um die Vereinheitlichung der touristischen Terminologie zuwiderlaufen. 2.4 Tourismuspolitik Der Ausdruck „Tourismuspolitik“ setzt sich aus „Tourismus“ und „Politik“ zusammen. Der Begriff „Politik“ hat seine Wurzeln in der griechischen Sprache (Polis) und bezieht sich dort auf den Stadtstaat und dessen bürgerliche Angelegenheiten. Ähnlich wie beim „Tourismus“ besteht für die „Politik“ keine allgemein anerkannte Definition. Welchen Begriff und welches Verständnis Menschen von Politik haben, hängt von ihren Erfahrungen, Erwartungen, Interessen und Bedürfnissen ab. Es bestehen jedoch keine Zweifel, dass im Mittelpunkt der Politik das menschliche Zusammenleben und die Gestaltung des gesamten öffentlichen Lebens stehen. Die Aufgabe der allgemeinen Politik ist es, die unterschiedlichen Interessen auszugleichen und die dafür erforderlichen Rahmenbedingungen und Institutionen zu schaffen.60 Die Analyse von Tourismuspolitik muss sich dementsprechend nicht nur mit allen Aspekten und Facetten des touristischen Geschehens, sondern auch mit denjenigen der Politik auseinandersetzen. Die hohe Komplexität beider Systeme und die Uneinigkeit bei ihrer begrifflichen Abgrenzung führen dazu, dass es heutzutage für die Tourismuspolitik eine Vielzahl unterschiedlicher Definitionen gibt und kein Konsens über eine verbindliche Festlegung des Begriffes besteht. 59 60 Vgl. United Nations/World Tourism Organization (1994), o.S., zitiert nach Hostettler-Annen (1998), S. 9 f.; Mundt (1998), S. 4 f. Vgl. Koch/Czogalla (1999), S. 20 f.; Graute (1996), S. 288; Pöschl (1962), S. 227. 25 So wird mit Kaspar die Tourismuspolitik als „bewusste Förderung und Gestaltung des Tourismus durch Einflussnahme auf die touristisch relevanten Gegebenheiten seitens von Gemeinschaften“61 verstanden, wobei als Gemeinschaften öffentlich-rechtliche Körperschaften, privatrechtliche Institutionen und nur lose verbundene Interessengruppen gemeint sind. Diese Definition ist, wie auch die kasparsche Definition vom Tourismus, relativ weit zu fassen, da sie viele Formen der Einflussnahme, seien sie fördernd, lenkend, ordnend oder hemmend, enthält und sich nicht nur auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise des Tourismus beschränkt. Die Tourismuspolitik wird in diesem Sinne nicht nur als Teil der Wirtschaftspolitik, sondern ebenso als Bestandteil von anderen Politikbereichen verstanden. Eine an die allgemeine Führungslehre, besonders an die Unternehmenspolitik angelehnte Definition verwendet Freyer. Dies mit der Begründung, dass die tourismuspolitischen Überlegungen für Regionen und Staaten zumeist nach allgemeinen Grundsätzen, die gewisse Parallelitäten zur betrieblichen Marketingpolitik aufweisen, erfolgen. Er bezeichnet die Tourismuspolitik als „zielgerichtete Planung und Beeinflussung/Gestaltung der touristischen Realität und Zukunft durch verschiedene Träger“.62 Die Träger sind vor allem staatliche, überstaatliche und halbstaatliche Institutionen, die als Ziele zumeist nicht die Gewinnerwirtschaftung, sondern die Kosten- und Bedarfsdeckung verfolgen. Damit man der Komplexität der Tourismuspolitik gerecht wird, schlägt Freyer im Weiteren vor, sich bei ihrer Untersuchung an die Unterscheidung der drei Politikebenen nach Böhret/Kronenwett/Werner zu halten. Geht man davon aus und bringt man diese in einen Zusammenhang mit dem Fremdenverkehr, so ergeben sich folgende drei Ebenen der Tourismuspolitik: Tourism Polity (Rahmenbedingungen wie Rechtsnormen, Verfassung und Institutionen, in denen Tourismuspolitik gemacht wird), Tourism Policy (Inhalt, der durch Aufgaben, Ziele, Problemlösungen und Massnahmen gekennzeichnet ist) und Tourism Politics (Prozess der tourismuspolitischen Gestaltung, der zur Durchsetzung, Ablehnung oder zu Kompromissen bei den inhaltlichen Konzepten führt).63 Diese Teile sind eng miteinander verknüpft und nur wenn alle drei angesprochen werden, wird man der Komplexität der Tourismuspolitik gerecht. Mit diesen definitorischen Abgrenzungen liefert Freyer, ähnlich wie Kaspar, eine relativ umfassende Definition der Tourismuspolitik. Nach Auffassung von Hall/Jenkins beinhaltet die Tourismuspolitik aber nicht nur die bewusste Beeinflussung des Fremdenverkehrs, sondern ist „whatever governments choose to do or not do“.64 Diese Definition knüpft an die Tatsache an, dass so wenig wie es NichtEntscheidungen gibt, es auch keine Nicht-Politik geben kann. Das Verharren im Stillstand wird somit als eine Variante der Politik betrachtet. Dies gilt natürlich auch dann, wenn der jeweilige Entscheidungsträger die Probleme noch nicht einmal erkannte, da er damit auch eine Entscheidung trifft.65 Keller stellt sich die Frage, ob ein so komplexes gesellschaftliches und wirtschaftliches Phänomen wie der Fremdenverkehr überhaupt Gegenstand der Politik sein kann. Er kommt, ähnlich wie Hall/Jenkins, zum Schluss, dass es im Bereich des Tourismus keinen staatsfreien Raum gibt, da nur schon seine grundsätzlichen Rahmenbedingungen von staatlichen Institutionen geschaffen worden sind. Somit beeinflusst der Staat die touristische 61 62 63 64 65 Kaspar (1996), S. 145. Freyer (1998), S. 269. Vgl. Böhret/Werner/Kronenwett (1988), S. 7. Hall/Jenkins (1995), S. 7. Vgl. Mundt (1998), S. 424; Greuter (2000), S. 131. 26 Entwicklung auch ohne Vorhandensein einer expliziten Tourismuspolitik.66 Dadurch unterscheiden sich diese zwei Begriffsabgrenzungen von den Definitionen von Kaspar und Freyer, da sie zusätzlich die unbewusste Gestaltung des touristischen Geschehens beibehalten und somit noch nach einer breiteren Analyseperspektive der Tourismuspolitik verlangen. All den oben angeführten Definitionen ist gemeinsam, dass sie die Fremdenverkehrspolitik weit fassen und damit ihrer Komplexität und Vernetztheit mit anderen Bereichen der Politik sowie der Verknüpfung des Tourismus mit anderen Branchen Rechnung tragen. Die Tourismuspolitik ist in diesem Sinne als eine Querschnittsdisziplin zu verstehen, die praktisch alle Ressorts betrifft und zu ihnen in einem wechselseitigen Verhältnis steht. Aufgrund dieser Vielfalt unterscheidet Krippendorf zusätzlich zwischen direkter und indirekter Tourismuspolitik. Direkte Tourismuspolitik (im engeren Sinne) umfasst alle Massnahmen, die „hauptsächlich oder ausschliesslich aus dem Tourismus heraus begründet werden“. Indirekte Tourismuspolitik (im weiteren Sinne) bezieht sich auf diejenigen Massnahmen, die „nicht in der ersten Linie den Tourismus zum Gegenstand haben, diesen aber ... als Wirtschaftszweig massgeblich tangieren“.67 Demnach können beispielsweise Teilbereiche von Konjunktur-, Geld-, Steuer-, Struktur-, Verkehrs-, Umwelt-, Raumordnungs- oder Kulturpolitik zur indirekten Tourismuspolitik gerechnet werden. Die Grundlage für die vorliegende Dissertation bilden die Definitionen von Kaspar und Freyer, mit welchen der Bezugsrahmen für eine Tourismuspolitik festgelegt wird, die neben den wirtschaftlichen auch die sozialen und ökologischen Interessen vertreten soll. Gleichzeitig rücken diese Begriffsabgrenzungen die direkte Tourismuspolitik in den Vordergrund. Dies bedeutet aber keinesfalls, dass die Massnahmen und Entscheidungen, welche den Fremdenverkehr nur indirekt betreffen, unberücksichtigt bleiben. Sie spielen für die weitere Entwicklung des Tourismus (und insbesondere während der Transformation) eine wichtige Rolle und dürfen nicht ganz ausser Acht gelassen werden. Als zweckmässig für die Untersuchung erscheint im Weiteren die Berücksichtigung der drei politischen Ebenen nach Böhret/Kronenwett/Werner, da somit der Komplexität der Tourismuspolitik und ihrem Querschnittscharakter besser Rechnung getragen wird. Eine Anlehnung an die Begriffsabgrenzungen von Hall/Jenkins und Keller würde zu einer grenzenlosen Ausweitung der Arbeit führen, da alle bewussten sowie unbewussten politischen Handlungen und jede Untätigkeit der Politikträger auf ihre möglichen Auswirkungen auf den Fremdenverkehr überprüft werden müssten. Deshalb wird auf sie verzichtet und auf die Auswirkungen der Nicht-Tätigkeit von staatlichen Organen auf die Tourismusbranche nur dann eingegangen, wenn dies für die Zwecke der Arbeit sinnvoll erscheint. 2.5 Transformation Der Fall der zentral geplanten Wirtschaftsordnung hat zur Entstehung eines neuen, interdisziplinären wissenschaftlichen Zweiges – der Transformationsforschung – und somit notwendigerweise zur definitorischen Abgrenzung des Ausdruckes „Transformation“ geführt. Das Wort „Transformation“ wird in diesem Zusammenhang für die Beschreibung komplexer Umbruch- und Wandlungsprozesse in den mittel- und osteuropäischen Staaten verwendet. Eine verbindliche Abgrenzung des Begriffes gibt es jedoch nicht, diese variiert je nach der benütz66 67 Vgl. Keller (1999), S. 39 ff. Krippendorf (1976), S. 443. 27 ten Methode und den zu analysierenden Problemdimensionen. Eine geschlossene Theorie der Transformationsproblematik existiert bisher ebenfalls nicht – nicht zuletzt deshalb, weil die Transformationsprozesse noch in keinem Land abgeschlossen sind und somit ihr Ausgang unsicher erscheint. Dazu kommt die Tatsache, dass die Wandelprozesse aufgrund von ihrer Komplexität, Dynamik und ihrem simultanen Verlauf nur begrenzt theoriefähig und methodologisch bearbeitbar sind. Die meisten Definitionen zeichnen sich durch einen universellen Charakter aus, da sie versuchen, die Transformation vollständig und lückenlos mit allen Facetten zu erfassen. Kloten sieht in ihr einen Übergangsprozess, „der durch eine Substitution gegebener ordnungskonstituierender Merkmale durch andere einen qualitativen Sprung derart bewirkt, dass es zu einer Ablösung des alten Systems durch ein neues kommt“.68 Während dieses Prozesses bestehen für eine gewisse Zeit Elemente der alten wie auch der neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nebeneinander. Es handelt sich somit um eine nur kurzfristig überlebende Mischform, die eigenen Regeln folgt und welche gelegentlich mit einem präzedenzlosen, gesellschaftlich angelegten Experiment verglichen wird. Ähnlich beschreiben die Transformation Biermann/Einig/Hesse. Sie verstehen unter ihr eine „Umgestaltung von Gesellschaften in politischer, kulturell-mentaler, sozialer und ökonomischer Hinsicht“.69 Es handelt sich um einen dynamischen Prozess, während dessen die bestehende Ordnung sukzessiv in eine neue überführt wird. Die Richtung, das Tempo, die Folge und die Reichweite der Reformaktivitäten werden in den einzelnen Ländern je nach den Ausgangsvoraussetzungen, verfolgten Zielen und sozialer Akzeptanz nach individuellen Mustern gestaltet. In der englischsprachigen Literatur hat sich neben dem Begriff „Transformation“ der Ausdruck „Transition“ eingelebt. Die meisten Definitionen haben ebenfalls einen universellen Charakter und unterscheiden sich nicht stark von denjenigen in der deutschen Sprache. So wird die Transformation zum Beispiel als „a process of structural changes ... in each of the(se) subsystems and also concerning the interrelationships between them”70 verstanden oder als “changes (which) need to take place without creating too many economic disturbances, as the economy must continue to function and the various needs of the population must continue to be fulfilled”,71 definiert. Der Ausgang dieser Prozesse wird ähnlich wie in der deutschsprachigen Literatur als ungewiss bezeichnet: “Nobody can tell for sure how transitional the transition is or whether the countries engaged in this process will end up transformed into successful capitalist economies.”72 Allen diesen Definitionsversuchen ist gemeinsam, dass sie die Transformation in ihrer Komplexität erfassen, sie als einen dynamischen Prozess anschauen und sich nicht nur auf die Umgestaltung der Wirtschaft beschränken. Es handelt sich um Universaldefinitionen, welche dem Anspruch der vollständigen Erfassung aller Veränderungen gerecht werden. Es existiert aber auch eine Reihe von Definitionen, die sich überwiegend auf die Umwandlung des Wirtschaftssystems von plan- in marktwirtschaftliche Strukturen konzentrieren. So werden unter der Transformation die „eigendynamisch im Wirtschaftsgeschehen ablaufende Veränderungen, die ab einer transformationskritischen Masse ein neues Wirtschaftssystem entstehen las68 69 70 71 72 Kloten (1991), S. 8 f. Biermann/Einig/Hesse (1996), S. 74. Fleissner (1994), S. 4. Roland (2000), S. 2. Roland (2000), S. XIX. 28 sen“,73 verstanden. Zu den ordnungspolitischen Aufgaben, die eine Transformationspolitik in diesem Zusammenhang zu lösen hat, gehören vor allem die Privatisierung der Produktionsmittel, die Schaffung einer funktionsfähigen Währung, die Stabilisierung des Geldwertes, die Freigabe der Preise, die Schaffung offener Märkte und das Aufstellen einer Wettbewerbsordnung.74 Für die Zwecke der vorliegenden Dissertation scheint es sinnvoll zu sein, von der engeren Begriffsabgrenzung auszugehen und die Transformation als einen Übergang von einer Zentralplan- zu einer Marktwirtschaft zu betrachten. Dies insbesondere wegen der Komplexität der laufenden Umwandlungsprozesse, die in ihrer ganzen Vielfalt im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht vollständig erfasst werden können. Trotz dieser Einschränkung stellt die Transformation in Verbindung mit der Tourismuspolitik, welche ebenfalls durch eine Komplexität und Vernetztheit mit anderen Bereichen gekennzeichnet ist,75 immer noch eine hoch komplexe Materie dar; dies nicht zuletzt auch wegen der gegenseitigen Rückkoppelung zwischen der Tourismusentwicklung und dem Verlauf der wirtschaftlichen Transformation. 2.6 Fazit Obwohl der Ausdruck „Tourismus“ allgemein bekannt ist, bereitet seine exakte Definition immer noch Schwierigkeiten. Seit dem Anfang des letzten Jahrhunderts wird versucht, für den Tourismus und die ihm verwandten Begriffe eine bindende Definition zu finden. Die raschen Strukturwandlungen in der Tourismusbranche, die Verfolgung von verschiedenen politischen Zielen, die unklare Einordnung des Fremdenverkehrs in die Wissenschaften und das Fehlen einer geeigneten Forschungsmethodik führten zu einer Fülle von Begriffsfestlegungen. Probleme ergaben sich ebenfalls aufgrund der Unterschiede bei der theoretischen Umschreibung und der praktischen Verwendung des Begriffes. So entzündeten sich Diskussionen vor allem daran, dass in der Praxis jene Tourismusarten (wie Geschäfts- oder Kongresstourismus) wachsende Bedeutung erlangten, die gemäss der im deutschen Sprachraum verbreiteten Definition von Hunziker/Krapf gar nicht dem Fremdenverkehr zuzurechnen waren. Dazu waren die Definitionsversuche oft eindimensional ausgerichtet, sodass viele Aspekte vernachlässigt wurden. In den letzten Jahrzehnten setzte sich deshalb die Erkenntnis durch, dass der Begriff möglichst weit zu fassen sei. Diesem Erfordernis wird die wohl gegenwärtig am meisten anerkannte und in der vorliegenden Arbeit benützte Begriffsabgrenzung von Kaspar gerecht, welche den Fremdenverkehr vollständig erfasst und seine Komplexität berücksichtigt. Ähnliches gilt für den Ausdruck „Tourismuspolitik“, wo eine Abgrenzung von den anderen Politikbereichen wegen ihrer Vielfalt noch schwieriger erscheint. Auch hier wird häufig auf die definitorische Festlegung von Kaspar zurückgegriffen und die Tourismuspolitik als eine Querschnittsdisziplin verstanden. Für die Zwecke der vorliegenden Dissertation rückt ihr engeres Verständnis als eine direkte Tourismuspolitik in den Vordergrund, da eine andere Abgrenzung zu einer grenzenlosen Ausweitung der Arbeit führen würde. Da sich die Dissertation mit der Tourismuspolitik in der Transformation befasst, wurde auch der in der Tourismuswissenschaft noch nicht genügend etablierte Ausdruck „Transformation“ erörtert. Obwohl der Beg73 74 75 Peters (1993), S. 45. Vgl. Němcová/Žák (1997), S. 220 ff.; Peters (1993), S. 47; Kap. 5.7.4. Vgl. Kap. 2.4. 29 riff in den meisten Definitionen breit gefasst wird, scheint es für die Zwecke der vorliegenden Arbeit sinnvoll zu sein, von einer engeren Begriffsabgrenzung auszugehen und die Umwandlungsprozesse vor allem aus der wirtschaftlichen Perspektive zu betrachten. Aus den vorherigen Ausführungen wird ersichtlich, dass der Tourismus ein sehr komplexer Bereich ist, was seine definitorische Abgrenzung schwierig macht. Die Eingliederung der politischen Belange und der Aspekte von Transformation erhöhen seine Komplexität und die Schwierigkeiten bei der Begriffsfestlegung noch zusätzlich. Es ist aber trotzdem nötig zu versuchen, am Anfang jeder Forschung die sprachlichen Abgrenzungen des untersuchten Gegenstandes zu treffen, da sonst eine angemessene Validität, Reliabilität sowie Objektivität nicht gewährleistet wäre und die Untersuchung nicht den wissenschaftlichen Erfordernissen genügen würde. 31 3 Wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus 3.1 Überblick „Wirtschaftlich ist der Tourismus ein Riese, wissenschaftlich ein Liliputaner und politisch ein Zwerg.“ Walter Freyer Schon seit Jahrzehnten wird eine Diskussion darüber geführt, ob die Tourismuspolitik ausschliesslich als ein Teil der Wirtschaftspolitik zu verstehen sei und ob es einen Wirtschaftszweig Tourismus gebe. Da die Eingliederung und Abgrenzung eines so komplexen Phänomens nicht einfach ist, existieren dazu in der Lehre und in der Praxis viele verschiedene Meinungen. Die eine Strömung betrachtet den Tourismus als einen Wirtschaftssektor und die Tourismuspolitik als einen Teil der Wirtschaftspolitik; die andere bestreitet dagegen die Existenz des Tourismus als Wirtschaftszweig und kritisiert das Verständnis der Fremdenverkehrspolitik ausschliesslich als Wirtschaftspolitik. Daran, dass der Fremdenverkehr viele positive sowie negative wirtschaftliche Auswirkungen hat und dass auch umgekehrt die wirtschaftspolitischen Entscheidungen die Tourismusbranche massgeblich beeinflussen, wird aber nicht gezweifelt. Die Zuordnung des Fremdenverkehrs zum Dienstleistungssektor aufgrund der eindeutigen Dominanz seiner Dienstleistungskomponente wird ebenfalls nicht in Frage gestellt. Um in die oben erwähnte Problematik Licht zu bringen, wird in den folgenden Kapiteln zuerst auf die Stellung der Tourismusbranche in der Wirtschaft eingegangen. Danach wird die Zuteilung des Fremdenverkehrs zum Dienstleistungssektor vorgenommen und es werden die ökonomischen Auswirkungen der Erbringung von touristischen Dienstleistungen erläutert. Näher eingegangen wird auf den Beitrag des Fremdenverkehrs zur strategischen Weiterentwicklung eines Standortes, da es sich um einen Ansatz handelt, der für die praktizierte Tourismuspolitik der Industrieländer von grosser Relevanz ist, und in der gegenwärtigen Forschung eine wichtige Stellung einnimmt. Darauf folgt eine Aufzeigung des Standes der Diskussion um die Eingliederung der Tourismuspolitik in die Wirtschaftspolitik. Die Klärung der Stellung des Fremdenverkehrs in der Wirtschaft sowie das Eingehen auf seine wirtschaftlichen Auswirkungen ist für die Zwecke der vorliegenden Dissertation, in der die Tourismusbranche aus einer ökonomischen Perspektive untersucht wird, von grundlegender Bedeutung. 3.2 Tourismus als Wirtschaftszweig Eine verbindliche volkswirtschaftliche Abgrenzung des Tourismussektors fehlt bis heute. Die Frage, welche Branchen in welchem Umfang überhaupt dem Tourismus zuzuordnen sind, wird in der Literatur unterschiedlich beantwortet. Nach Zegg und Keller/Koch gibt es den Wirtschaftszweig Tourismus im eigentlichen Sinne nicht. Sie betrachten es als äusserst schwierig, eine Liste von tourismusabhängigen Zweigen zu erstellen und diese als Tourismusindustrie zu bezeichnen. Fremdenverkehr wird deshalb als eine spezifische Form des Konsums angesehen, bei dem die Ausgaben der Touristen verschiedenen Branchen zugute kom- 32 men. Es handelt sich um „ein Konglomerat von Branchen, welche ein breites Spektrum touristischer Leistungen anbieten“76 (vgl. Abbildung 7). Andere Wirtschaftsbereiche Beherbergung und Gastronomie TOURISMUS Verkehrswirtschaft Andere Wirtschaftsbereiche Touristik (Reiseveranstalter, Reisebüros etc.) Abbildung 7: Tourismus im Schnittpunkt verschiedener Wirtschaftsbereiche77 Im Gegensatz dazu hält Freyer die Ausgliederung von tourismusabhängigen Betrieben für möglich und nimmt eine Abgrenzung aufgrund der Kriterien der Leistungserstellung, der Art der Nachfrage und der Intensität des Absatzes vor. Die grundsätzliche Abgrenzung erfolgt nach dem Kriterium der Leistungserstellung – demnach zählen zum Tourismussektor alle Betriebe, die Leistungen erbringen, die mit dem Reiseverkehr zusammenhängen. Aufgrund der Abgrenzung nach der Art der Nachfrage zählen alle Bereiche, in denen Tourismusteilnehmer etwas nachfragen, zum Tourismussektor. Grenzt man die Tourismuswirtschaft nach der Intensität des Absatzes ab, so gehören zu ihr jene Betriebe, in denen der Absatz an ortsfremde Personen deutliche betriebsstrukturelle Wirkungen zeigt. Als Ergebnis Freyers Versuche gehen drei grosse Bereiche der Tourismuswirtschaft hervor:78 76 77 78 • Typische Tourismuswirtschaft: Die Leistung dieser Betriebe wird fast ausschliesslich für den Fremdenverkehr erbracht, nur in Ausnahmefällen profitieren auch NichtReisende davon. Es handelt sich vor allem um Reiseveranstalter, Reisevermittler, Tourismusämter, Tourismusverbände und Tourismusorganisationen sowie um Aktivitäten in Bezug auf Beherbergung, Bäder-, Kongress-, Messen- und Tagungswesen. • Ergänzende Tourismuswirtschaft: Es sind Unternehmen, die nicht dem Tourismusbereich, sondern verschiedenen anderen Wirtschaftsbereichen zugerechnet werden. Einige deutlich abgrenzbare Bereiche dieser Betriebe haben sich jedoch auf Tourismusleistungen spezialisiert. Dazu gehören vor allem die Souvenirindustrie, Reiseausrüster, Buch- und Zeitschriftenverlage, Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen, Verleihfirmen, Automobilclubs, Ausbildungsstätten für Tourismus und Marktforschungsinstitute. • Touristische Randindustrie: Diese Unternehmen stellen keine typischen Tourismusprodukte her, ihr Absatz ist an alle Nachfrager gerichtet. Da aber der Konsum dieser Produkte in hohem Ausmass durch die Touristen erfolgt, sind sie vom Fremdenverkehr abhängig. Es handelt sich beispielsweise um Sportartikel, Bekleidung, Lebens- Zegg (1996), S. 123. In Anlehnung an Mundt (1998), S. 358. Vgl. Freyer (1998), S. 106 ff. 33 mittel, Fotoartikel, Gastronomie, Tankstellen, Bergbahnen, Spielbanken und Tätigkeiten von Kulturanbietern, Masseuren und Ärzten. Den Feststellungen von Zegg, Keller/Koch und Freyer ist die Ansicht gemeinsam, dass es sich beim Fremdenverkehr um ein Konglomerat von Branchen handelt, die Leistungen anbieten, von denen die Tourismusteilnehmer Gebrauch machen. Die Bezeichnung als Tourismuswirtschaft kommt aber nur bei Freyer vor, der mit Hilfe von den oben angeführten Kriterien die Fremdenverkehrsbetriebe von anderen Unternehmen abgrenzt. Eine volkswirtschaftlich verbindliche und scharfe Abgrenzung des Wirtschaftssektors Tourismus hält er aber ebenfalls für problematisch.79 Eine ähnliche Meinung vertritt der schweizerische Bundesrat, der in seinem Bericht über die Tourismuspolitik erklärt: „Der Tourismus ist in der Praxis weder eine Branche noch eine Industrie noch ein zusammenhängender Wirtschaftszweig.“80 Zum gleichen Schluss kommt auch Mundt und fügt bei, dass der Tourismus kein Wirtschaftszweig ist, sondern „ein Verhalten, das zu einer Nachfrage von Dienstleistungen und Gütern in verschiedenen Wirtschaftszweigen führt“.81 Alle diese Aussagen weisen auf methodische Probleme bei der volkswirtschaftlichen Abgrenzung des Tourismus hin und die daraus resultierende Zurückhaltung bei der Anerkennung der selbständigen Stellung der Tourismusbranche in der Wirtschaft. Eine Reihe von Fachleuten und Gruppierungen der Tourismusbranche vertritt eine gegenteilige Meinung und zweifelt nicht an der Existenz des Wirtschaftssektors Tourismus. Bütow sieht im Fremdenverkehr einen „echten Wirtschaftszweig“82 und als „den weltweit grössten Wirtschaftszweig“83 bezeichnet ihn Kirstges. Ebenfalls wird der Tourismus in den Prognosen der WTO als „die vermutlich weltweit grösste Wirtschaftsbranche“84 betrachtet. Ausserdem haben die Welttourismusorganisation und das Tourismuskomitee der OECD 1991 das erste Mal den Versuch unternommen, den Tourismussektor zu definieren. In der provisorischen Klassifikation (SICTA) fassten sie alle Wirtschaftsbereiche zusammen, die ganz oder teilweise zum Tourismus gehören. In den letzten Jahren begannen sie, den Fremdenverkehr als Nachfrage dieser Wirtschaftszweige statistisch erfassbar zu machen und durch die Einführung von nationalen Satellitenkonten seinen volkswirtschaftlichen Beitrag zu belegen.85 In der vorliegenden Dissertation wird die Tourismuspolitik während der Transformation untersucht. Aus den definitorischen Festlegungen im Kapitel 2 geht hervor, dass die Untersuchung vorwiegend aus einer wirtschaftlichen Perspektive erfolgt. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, den Tourismus als einen Wirtschaftszweig, der zwar mit anderen Bereichen stark vernetzt aber doch einigermassen abgrenzbar ist, anzusehen. In den Vordergrund dieser Betrachtung tritt die Tourismuswirtschaft im engeren Sinne. Die ergänzende Tourismuswirtschaft und die touristische Randindustrie werden, mit der Ausnahme vom Gastronomiebereich, der im Tourismusangebot eine wichtige Rolle spielt,86 in der Untersuchung eher am Rande berücksichtigt. Der Anteil dieser zwei Bereiche an der Wertschöpfung der Tourismus79 80 81 82 83 84 85 86 Vgl. Freyer (1998), S. 106. Schweizerischer Bundesrat (1996), S. 7. Vgl. Mundt (1998), S. 355. Bütow (1995), S. 12. Kirstges (1995), S. 4. Schimany (1999), S. 9. Vgl. Kap. 3.4.1. Vgl. Kap. 6.2. 34 branche ist zwar nicht unbedeutend, ist aber statistisch kaum belegt und eine Eingliederung von all den aufgeführten Unternehmungen zur Tourismusbranche würde die Komplexität des Forschungsobjektes stark erhöhen und folglich zur grenzenlosen Ausweitung der Arbeit führen. Bei der vorgenommenen Abgrenzung muss somit in Kauf genommen werden, dass es sich zu einem guten Stück um „ein künstliches Gebilde mit unscharfen Grenzen“ handelt und dass bei so einem vernetzten Bereich, den der Fremdenverkehr darstellt, beim heutigen Stand der Wissenschaft eine scharfe Abgrenzung gar nicht möglich ist. 3.3 Tourismus als Teil des Dienstleistungssektors Bei der Zuteilung des Tourismus zu einem übergeordneten Wirtschaftssektor stellen sich keine grossen Schwierigkeiten. In der Volkswirtschaftslehre sowie in amtlichen Statistiken gilt er als klassischer Dienstleistungssektor, denn die Dienstleistungskomponente dominiert im Fremdenverkehr eindeutig.87 Für die Zwecke der vorliegenden Dissertation wird die Tourismusbranche deshalb auch dem tertiären Sektor zugeordnet. Der Dienstleistungscharakter manifestiert sich durch einige typische Eigenschaften: Das Tourismusprodukt ist nicht lagerbar – wenn eine Leistung (z.B. eine Übernachtung) nicht verkauft werden kann, ist sie verfallen. Es ist leicht imitierbar und deshalb spielen die fortlaufenden Innovationen des Angebotes eine wichtige Rolle. Die touristischen Dienstleistungen können nur durch einen direkten Kontakt von Mensch zu Mensch erbracht werden und ihr Konsum, der mit vielen emotionalen Erwartungen verbunden ist, fällt zeitlich sowie räumlich zusammen. Der Kunde differenziert oft nicht nach den verschiedenen Erbringern, sondern nimmt das Leistungsbündel als eine Einheit wahr und misst die Stärke der ganzen Dienstleistungskette nach ihrem schwächsten Glied.88 Schwieriger als die Zuteilung des Tourismus zum Dienstleistungssektor ist jedoch die Abgrenzung des Dienstleistungssektors selbst – es existiert weder eine allgemein anerkannte Definition des Begriffes „Dienstleistung“, noch scheint Konsens darüber zu herrschen, welche wirtschaftlichen Bereiche darunter subsumiert werden sollen. In der Forschung wurden Dienstleistungen zunächst als Residualgrösse definiert, was auch der gängigen Praxis entspricht. Der Dienstleistungssektor beinhaltet somit alles, „was weder zum primären noch zum sekundären Sektor gehört“.89 In diesem Sinne werden Dienstleistungen vor allem dadurch charakterisiert, dass sie immateriell, nicht lager- und nur eingeschränkt transportfähig sind und ihre Produktion mit ihrer Verwendung räumlich und zeitlich zusammenfällt.90 3.4 Wirtschaftliche Auswirkungen des Tourismus Der Tourismus erzeugt positive sowie negative wirtschaftliche Effekte. Seine positive ökonomische Bedeutung ergibt sich in erster Linie daraus, dass in einem bestimmten Gebiet durch den vorübergehenden Aufenthalt ortsfremder Personen eine zusätzliche Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen entsteht. Diese Nachfrage bringt vermehrte Beschäftigung und Einkommen mit sich und bewirkt schliesslich eine entsprechende Mehrproduktion an Gütern. 87 88 89 90 Vgl. Thomas (1995), S. 75; Dettmer (1999), S. 3; Leber (1990), S. 5. Vgl. Bieger (2002), S. 58; Foret/Foretová (2001), S. 21. Eick (1964), S. 551, zitiert nach Kiel (1996), S. 32. Vgl. Stille (1988), S. 16; Eick (1964), S. 550, zitiert nach Kiel (1996), S. 31. Zu anderen Definitionen von Dienstleistung vgl. z.B. Klodt/Maurer/Schimmelpfennig (1996), S. 5; Hipp (2000), S. 11 ff. 35 Werden diese von Ausländern in Anspruch genommen, so ergeben sich darüber hinaus noch positive Effekte auf die Zahlungsbilanz. Der Fremdenverkehr trägt mit all diesen Wirkungen zur Weiterentwicklung eines Standortes bei und unter gewissen Voraussetzungen kann er sogar zu seinem strategischen Entwicklungsfaktor werden. Den positiven wirtschaftlichen Effekten stehen negative Effekte gegenüber, welche bei der Beurteilung der Beiträge der Tourismusbranche zur wirtschaftlichen Entwicklung eines Ortes auch ins Auge gefasst werden müssen. Sie bestehen z.B. in der Gefahr der finanziellen Fremdbestimmung, des Preisanstieges oder in der Entstehung der touristischen Monostruktur. Neben den ökonomischen Auswirkungen, auf welche in den folgenden Kapiteln näher eingegangen wird, besteht eine Reihe von ökologischen und sozialen Effekten, die dem Tourismus zuzuschreiben sind und sich positiv oder beeinträchtigend auf seine Umwelt auswirken.91 3.4.1 Positive wirtschaftliche Effekte Im Einzelnen zeitigt der Tourismus positive wirtschaftliche Auswirkungen vor allem auf folgende Phänomene: 91 92 93 94 95 • Zahlungsbilanz: Die Verbesserung der Zahlungsbilanz ist ein wichtiges wirtschaftspolitisches Anliegen vieler Länder. Zu den Instrumenten, die zwecks Zahlungsbilanzausgleichs eingesetzt werden können, gehört die Beeinflussung der ausländischen Tourismusnachfrage. Die Einnahmen aus dem grenzüberschreitenden Tourismus werden mit den Exporten, die Ausgaben mit den Importen der Handelsbilanz gleichgesetzt. Der Fremdenverkehr wird in diesem Zusammenhang als unsichtbarer, stiller Export bezeichnet. Seine wirtschaftlichen Auswirkungen sind aber sehr unterschiedlich, je nachdem, ob ein Land überwiegend ein Empfangs- oder Abgabe-Land ist. In den Empfangsländern erfüllt der Tourismus die Funktion des Devisenbringers.92 • Regionaler Ausgleich: Der Tourismus findet nicht überall und nicht in gleichem Ausmass statt. Oft besteht ein Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Unterentwicklung und touristischer Attraktivität eines bestimmten Ortes. Touristische Einrichtungen treffen genau dort häufig günstige Bedingungen an, wo eine andere Produktion keine nutzbaren Ressourcen vorfindet. Der Fremdenverkehr rückt damit als potentiell wirtschaftsbelebender Faktor von Problemgebieten und als Instrument zum Abbau regionaler Disparitäten ins Interesse der Regionalpolitik. Die Randgebiete können damit besser integriert und die Abwanderung kann gebremst oder gar gestoppt werden.93 Nach Schawinski soll der Tourismus „trotz und wegen dem Fehlen des sekundären Sektors zu einer regionalen Nivellierung führen“.94 Gleichzeitig ist aber davon abzuraten, den Tourismus als Allheilmittel zu betrachten. Dort, wo es keine Chancen mehr für Landwirtschaft, Industrie oder Bergbau gibt, muss nicht automatisch eine Chance für ihn bestehen. Gewarnt wird auch vor der Entstehung einer touristischen Monostruktur, mit der lange nicht alle Entwicklungsrückstände aufgeholt werden können und die negative Effekte mit sich bringen kann.95 Ausführlich dazu vgl. Becker/Job/Witzel (1996), S. 20 ff. Vgl. Kaspar (1996), S. 126 ff. Vgl. Eisenstein (1995), S. 97 ff.; Krippendorf/Zimmer/Glauber (1988), S. 19. Schawinski (1973), S. 166. Vgl. Kap. 3.4.3. 36 96 97 98 99 100 • Beschäftigung: Das WTTC bezeichnet den Tourismus als Wirtschaftszweig mit der weltweit grössten Beschäftigungswirkung und fügt bei, dass alle 2.5 Sekunden ein tourismusabhängiger Arbeitsplatz geschaffen wird.96 Nach Wirth wirkt sich die touristische Nachfrage auf dreifache Weise positiv auf die Beschäftigungssituation aus: „Erstens finden im touristischen Sektor relativ viele Personen eine Beschäftigung, resultierend aus der hohen Arbeitsintensität. Zweitens entstehen durch verstärkte Zulieferungen von anderen Sektoren Rückkopplungseffekte. Drittens erhöht sich die effektive Nachfrage, verstärkt durch den Multiplikatoreffekt, wodurch die Investitionsbereitschaft der Unternehmer gefördert und somit zusätzlich Arbeitsplätze in anderen Wirtschaftssektoren bereitgestellt werden.“97 Durch die Situation auf dem Arbeitsmarkt wird die regionale Entwicklung stark beeinflusst; ein Mangel an Arbeitsplätzen kann zu Abwanderungen führen und umgekehrt kann sich ein gutes Angebot an Arbeitsmöglichkeiten anziehend auswirken.98 • Einkommen: Der Beitrag des Tourismus zur Steigerung des volkswirtschaftlichen Einkommens wird als Einkommenseffekt bezeichnet. Zu den direkten, in der ersten Stufe gebildeten Einkommenseffekten gehören die Arbeitslöhne in den touristischen Betrieben, die Einnahmen vom Verkauf von touristischen Produkten und die Steuereinnahmen von Fremdenverkehrsleistungen. Die Einkommenseffekte bilden sich aber auch auf den weiteren Umsatzstufen, denn die anfänglichen Einnahmen werden von den Empfängern wieder ausgegeben, was erneut zu einer Einkommensbildung führt. Damit wird in Betracht gezogen, wie viele Stadien eine für den Tourismus ausgegebene Geldeinheit durchläuft, ehe sie den lokalen Wirtschaftskreislauf verlässt, indem sie gespart wird oder nach aussen abfliesst. Der ganze Prozess der Einkommensvermehrung wird in der Literatur als Multiplikatoreffekt bezeichnet. Die Höhe des Multiplikators ist von der wirtschaftlichen Unabhängigkeit der touristischen Region und von der Konsumneigung abhängig. Je kleiner die Importquote und je grösser die Konsumneigung sind, desto höher wird der Multiplikator.99 • Wertschöpfung: Unter Wertschöpfung einer Volkswirtschaft wird der durch die Produktionstätigkeit aller Wirtschaftssubjekte geschaffene Mehrwert verstanden. Die touristische Wertschöpfung entspricht der Bedeutung des Fremdenverkehrs als Erzeugungsfaktor. Sie ergibt sich daraus, dass der Tourismus als Arbeitgeber auftritt, Kapitaleinkommen bildet und eine Bodenrente ermöglicht. Dies zeigt sich kurzfristig gesehen in seinem Beitrag an die Bildung des Volkseinkommens, langfristig in seinem Beitrag an die Vermehrung des Volksvermögens.100 Die Bestimmung der touristischen Wertschöpfung, welche für die Messung der wirtschaftlichen Bedeutung des Fremdenverkehrs wichtig ist, ist aber mit methodischen Abgrenzungs-, Definitions- und Datenproblemen behaftet. Während die Anteile und Beiträge der verschiedenen Wirtschaftszweige normalerweise detailliert vorliegen, existieren nur wenige Zahlen über den Beitrag des Fremdenverkehrs zur nationalen Leistungserstellung. Dies sollte sich aber mit der Einführung des Satellitenkontos ändern. Vgl. Keller (1996), S. 63. Wirth (1976), S. 107, zitiert nach Eisenstein (1995), S. 42 f. Zur Problematik der direkten, indirekten und induzierten Beschäftigungseffekte vgl. Eisenstein (1995), S. 43; Iwersen-Sioltsidis/Iwersen (1997), S. 175. Vgl. Kaspar (1996), S. 133; Velissariou (1991), S. 20; Mundt (1998), S. 372 ff. Vgl. Kaspar (1996), S. 133 f.; Rütter-Fischbacher (1991), S. 39. 37 Auf internationaler Ebene kam der Anstoss zu den Arbeiten am Satellitenkonto schon in den 80er Jahren. Nach einem langen Entstehungsprozess wurden im März 2000 die internationalen Standards zur Messung des ökonomischen Beitrages der Tourismusbranche, die in diesem Konto enthalten sind, von der Statistischen Kommission der UNO angenommen. Das Satellitenkonto ermöglicht eine Gesamtübersicht über den Beitrag der Branche für die Volkswirtschaft, da es ihren Anteil am Bruttoinlandprodukt, an der Schaffung von neuen Arbeitsplätzen, den Steuereinnahmen, den Investitionen und der Zahlungsbilanz zeigt. Es gestattet einen Vergleich des Beitrages vom Tourismus mit anderen Branchen. Die Tourismusnachfrage wird mit der Produktion von Gütern in anderen Sektoren in Zusammenhang gebracht und daraus wird die tourismusbedingte Wertschöpfung in anderen Bereichen der Volkswirtschaft abgeleitet.101 Ausserdem setzte sich das WTTC im Jahr 1995 zum Ziel, die weltweiten wirtschaftlichen Auswirkungen des Tourismus in einer Studie herauszuarbeiten, um dessen Bedeutung zu betonen. Die Ergebnisse der Studie sowie die Prognose für das Jahr 2005 sind in der Tabelle 1 dokumentiert. Bei der Interpretation der Werte ergibt sich, dass die Tourismusbranche in der Weltwirtschaft eine wichtige Stellung einnimmt und auch in den nächsten Jahren mit beachtlichem Wachstum rechnen kann. Wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus Jahr Zahl der Beschäftigten (in % aller Beschäftigten) Wirtschaftsleistung (in % des BIP) Konsum (in % des Gesamtkonsums) Investitionen (in % aller Investitionen) Steuern (in % des globalen Steueraufkommens) Exporte (in % aller Exporte) 1995 2005 212 Mio. 11.1 3.4 Bio. USD 10.9 1.9 Bio. USD 11.4 701 Mrd. USD 11.4 655 Mrd. USD 11.1 646 Mrd. USD 12.6 338 Mio. 12.5 7.2 Bio. USD 11.4 3.9 Bio. USD 11.7 1.6 Bio. USD 11.8 1.4 Bio. USD 11.6 1.4 Bio. USD 11.9 Tabelle 1: Weltweite wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus (1995-2005)102 Nicht alle Länder können jedoch am Fremdenverkehr im gleichen Masse teilnehmen und von ihm wirtschaftlich profitieren. Die touristischen Destinationen stehen in der heutigen Zeit der Globalisierung in einem weltweiten Konkurrenzkampf und die neuen Forschungsergebnisse zeigen, dass nur diejenigen eine Chance haben, die einen möglichst hohen Integrationsgrad erreichen und wie ein Unternehmen funktionieren.103 Der Staat ist gefordert, eine Politik zu formulieren, welche die wichtigsten Wirtschaftsbereiche des Landes wettbewerbsfähig er- 101 102 103 Vgl. Beránek (2000), S. 10 f. In Anlehnung an World Travel and Tourism Council (1995), S. 3, dargestellt bei Mundt (1998), S. 412. Vgl. Keller (1996a), S. 39. 38 hält.104 Da ein Standort nicht für alle Tätigkeiten attraktiv sein kann, stellt sich die Frage, welche Wirtschaftszweige die besten Entwicklungsvoraussetzungen haben und ob der Tourismus zu ihnen zu zählen ist. In welchem Mass der Tourismus zur Entwicklung eines Standortes beitragen kann und ob er als ein strategischer Sektor einer Volkswirtschaft betrachtet werden soll, wird im folgenden Kapitel untersucht. 3.4.2 Beitrag des Tourismus zur Entwicklung eines Standortes Will sich heutzutage ein Standort in der internationalen Konkurrenz behaupten, muss sein Ziel in der Erhöhung seiner Wettbewerbsfähigkeit bestehen, wobei unter dieser die Fähigkeit „längerfristig ausreichend Wertschöpfung erzielen zu können, um ausreichend attraktive mobile Faktoren wie Kapital und gut ausgebildete Arbeitskraft an sich binden zu können“105 verstanden wird. Der Beitrag des Tourismus zur Entwicklung eines Standortes muss deshalb auch auf der Steigerung seiner Wettbewerbsfähigkeit beruhen. Bei der touristischen Gesamtnachfrage ist davon auszugehen, dass sie einer Vielzahl von Unternehmungen und Branchen zu Gute kommt. Aus diesem Grund ist die Ausschöpfung vom touristischen Wachstumspotential in jeder Volkswirtschaft von strategischer Bedeutung.106 Trotz den zahlreichen Vernetzungseffekten ist aber zu beachten, dass der Tourismus nicht als Entwicklungsfaktor für jeden Standort geeignet ist.107 In den letzten Jahren spielte sich der touristische Markt mehr und mehr in den Städten und den touristischen Zentren ab. Als Entwicklungsfaktor für ein naturnahes, peripheres oder zu revitalisierendes Gebiet eignet sich der Tourismus nur, wenn diese Standorte attraktive Nischen anzubieten haben. Ausserdem spielen klassische Standortvorteile wie eine schöne Landschaft oder die kulturelle Vielfalt eine immer geringere Rolle. Die Bestrebungen, in den Standorten optimale Voraussetzungen bezüglich statischer Produktionsfaktoren zu schaffen, resp. die Standortnachteile mit dem Zufluss von Investitionskapital in die touristische Infrastruktur auszugleichen, sollten der Vergangenheit angehören. Heutzutage müssen immer mehr Faktoren in den Vordergrund rücken, welche die dynamische Entwicklung der Unternehmen begünstigen. Danach ist eine Branche, abgesehen von Zufällen, wettbewerbsfähig, wenn die Unternehmen durch Innovationen und Kooperationen ihre Produktivität steigern oder wenn allenfalls subsidiär staatliche Massnahmen für günstige wirtschaftliche, gesellschaftliche oder politische Rahmenbedingungen sorgen.108 Gemäss Porter lässt sich die dynamische Wettbewerbsfähigkeit eines Standortes als sog. Diamant darstellen (vgl. Abbildung 8). Das Modell geht davon aus, dass für die Wettbewerbsfähigkeit vier Faktoren verantwortlich sind: die Ausstattung mit Produktionsfaktoren, die Nachfragebedingungen, die Präsenz und der Entwicklungsstand von anderen Branchen sowie die Firmenstrategien, -strukturen und der Wettbewerb.109 Der Staat kann mit seiner Politik jeden der aufgeführten Faktoren positiv oder negativ beeinflussen und somit die Chancen eines Standortes, einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen, beschleunigen oder vermindern. Die staatli104 105 106 107 108 109 Unter einem Standort wird “eine räumliche Einheit” verstanden, die “von einer verantwortlichen Institution … im Wettbewerb zu alternativen räumlichen Einheiten gesteuert wird”. (Vgl. AIEST [1999], S. 322). Bieger (1999), S. 5. Vgl. Keller (1999), S. 49. Vgl. Kap. 3.4.1. Vgl. Bieger (1999), S. 2 ff.; Greuter (2000), S. 101; Keller (1999), S. 49 f. Vgl. Porter (1993), S. 151. 39 chen Organe können beispielsweise die Produktionsbedingungen durch direkte Subventionen, Interventionen in die Faktormärkte oder Investitionen in die Infrastruktur verändern und die Nachfragebedingungen über das öffentliche Beschaffungswesen oder staatliche Produktstandards regulieren. Mit der praktizierten Steuer-, Wettbewerbs-, Regional-, Umwelt-, Sozial-, Ausbildungs-, Aussenwirtschaftspolitik etc. kann der Staat auf die vier Faktoren ebenfalls einen beachtlichen Einfluss ausüben. Zusätzlich werden die Diamant-Determinanten in der Form von Zufällen durch exogene Veränderungen wie unerwartete Erfindungen, Kriege und terroristische Anschläge geprägt.110 Übertragen auf den Fremdenverkehr wird das DiamantModell noch durch die Besonderheiten der Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit einer touristischen Destination im Lebenszyklus sowie durch die ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Kreisläufe erweitert. Zufall Staat Unternehmen Strategie, Struktur und Wettbewerb Faktorbedingungen Nachfragebedingungen Verwandte und zuliefernde Branchen Wirtschaft Gesellschaft Umwelt Abbildung 8: Wettbewerbsfähigkeit eines Standortes111 Weil der Diamant ein vernetztes System darstellt, werden Standorte in jenen Branchen die grössten Erfolgschancen aufweisen, in denen der Diamant einerseits möglichst vollständig ist und die einzelnen Faktoren zugleich viel versprechend ausgeprägt sind. Die Voranstellung in allen Determinanten ist aber nicht notwendig, da die wechselseitigen Verstärkungen einzelne Schwachstellen relativieren können.112 Um im Standortwettbewerb bestehen zu können, müssen folglich Strategien entwickelt werden, die idealerweise von Unternehmensclustern ausgehen und auch integriert, d.h. unter Nutzung der Synergien und Kooperationspotenziale, erfolgen.113 Die Zusammenarbeit auf Destinationsebene entscheidet auch immer mehr über die Wettbewerbschancen der einzelnen touristischen KMU.114 110 111 112 113 114 Vgl. Greuter (2000), S. 105 f.; Smeral (1996a), S. 406. In Anlehnung an Greuter (2000), S. 102. Vgl. Greuter (2000), S. 102. Vgl. Bieger (1999), S. 1; Fischer (1996), S. 37. Vgl. Keller (1997), S. 126. 40 Nach Bieger ist der Tourismus für die gesamte Standortpolitik „aufgrund von seiner imagemässigen Bedeutung, seines Beitrages zur Positionierung eines Standortes in Verkehrs- und Kommunikationsnetzwerken sowie seinem Potential für die Schaffung von Lebensqualität für die einheimische Bevölkerung“115 ein entscheidender Faktor. Die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit eines Standortes gehört deshalb nicht nur zu den Zielen der Standortpolitik, sondern ebenfalls zu den zentralen langfristigen Aufgaben der zukunftsorientierten Tourismuspolitik. Diese hat sich langfristig am Aufbau strategischer Potentiale für Standorte zu orientieren, in der mittelfristigen Perspektive für die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Netzwerke zu sorgen und aus der kurzfristigen Sicht operative Voraussetzungen für Kooperationen zu schaffen.116 Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass der Beitrag des Fremdenverkehrs für die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit eines Standortes beachtlich sein kann. Die touristische Nachfrage wirkt sich nicht nur auf die eigene Branche belebend aus, sondern beeinflusst die Entwicklung in den verclusterten Unternehmen und vernetzten Branchen, und ist somit für die gesamthafte wirtschaftliche Weiterentwicklung eines Standortes von strategischer Bedeutung. Ob das vorhandene touristische Potential effektiv ausgeschöpft wird, hängt vor allem von der Ausgestaltung der standortlichen Strategien und von der Nutzung der möglichen Synergien und Kooperationen ab. 3.4.3 Negative wirtschaftliche Effekte Den positiven wirtschaftlichen Auswirkungen des Tourismus stehen negative ökonomische Folgen gegenüber: 115 116 117 118 119 • Opportunitätskosten: Bei den Entscheidungen, ob am Fremdenverkehr partizipiert werden soll, bleiben häufig die Opportunitätskosten unberücksichtigt. Der Verzicht auf andere Investitionen kann sehr aber bedeutend sein.117 • Finanzielle Fremdbestimmung: Die Saisonalität des Tourismus führt dazu, dass die touristischen Anlagen im Vergleich zu anderen Industrien zu wenig attraktiven Investitionen werden. Es besteht die Gefahr einer finanziellen Fremdbestimmung, die mit dem Abfluss der erwirtschafteten Mittel verbunden ist. Fehl- und Überdimensionierung der Einrichtungen kann ebenfalls zu ernsthaften Problemen führen.118 • Touristische Monostruktur: Eine einseitige Ausrichtung auf den Fremdenverkehr bringt viele Risiken mit sich, da die Abhängigkeit von der Konjunktur und den Trends in den Herkunftsländern besonders ausgeprägt ist. Die politischen Instabilitäten im Zielland können ebenfalls schnell zum Rückgang der touristischen Nachfrage führen. Es sollte deshalb nur eine begrenzte touristische Intensität angestrebt werden und der Tourismus sollte sich zu einem integrierten Teil der Wirtschaft entwickeln.119 Bieger (2001), S. 17. Vgl. Laesser (2002), S. 95 f. Vgl. Becker/Job/Witzel (1996), S. 37. Vgl. Becker/Job/Witzel (1996), S. 37 f. Vgl. Krippendorf (1996), S. 160; Scharpf (1998), S. 98. 41 • Geringe Entlöhnung: In den entwickelten Ländern leiden viele Beschäftigte im Tourismus unter geringer Entlöhnung.120 Die durch den Fremdenverkehr geschaffenen saisonalen Arbeitsplätze verfügen über ein sehr niedriges Sozialprestige und die Angelernten haben oft nur geringe Chancen, später in anderen Wirtschaftsbereichen eine Beschäftigung zu finden.121 • Preisanstieg: Steigende Preise für Boden, Liegenschaften und alltägliche Güter gehören zu weiteren negativen ökonomischen Effekten der Tourismusentwicklung. Die Bodenspekulationen können in Extremfällen dazu führen, dass die Einheimischen ohne Grundeigentum nicht mehr die Möglichkeit haben, eine Wohnung in der eigenen Gemeinde zu besitzen. Produkte, die sowohl von Touristen als auch von den Einwohnern nachgefragt werden, unterliegen einer höheren Preissteigerung und verschlechtern infolgedessen die Kaufkraft der Ortsansässigen.122 Im Unterschied zu den zahlreichen Publikationen über die weltweiten positiven wirtschaftlichen Effekte existiert keine umfassende Studie, welche die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der Tourismusbranche in Zahlen belegen würde. Die Erfassung von negativen Folgen ist mit vielen untersuchungstechnischen Problemen behaftet und wird deshalb in der Forschung oft übersehen, obwohl sie für die weitere touristische Entwicklung von beachtlicher Relevanz sein kann. 3.5 Tourismuspolitik als Teil der Wirtschaftspolitik Bei der Tourismuspolitik stellt sich im Zusammenhang mit wirtschaftspolitischen Überlegungen die Frage, ob sie in die Wirtschaftspolitik einzugliedern und ausschliesslich als Teil von ihr zu verstehen ist. Diese Fragestellung knüpft an die im Kapitel 3.2 diskutierte Stellung des Tourismus im Rahmen der Wirtschaft und seine Betrachtung als ein Wirtschaftszweig an – durch die Berücksichtigung der politischen Dimension wird die Diskussion aber viel komplexer. Da sich die Wertvorstellungen über eine politisch erwünschte Lage im Laufe der Zeit und vor allem in Abhängigkeit von herrschenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen verändern, gibt es keine allgemeine Zielsetzung der Wirtschaftspolitik. In den meisten Industrieländern wird heutzutage die Steigerung der gesellschaftlichen Wohlfahrt als Oberziel bezeichnet und die Maximierung des ökonomischen Wohlstandes durch die Sicherung der konjunkturellen Stabilität, allokativen Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit wird als Konkretisierung dieses Zieles im Wirtschaftsbereich aufgefasst.123 Ob die Tourismuspolitik ausschliesslich als ein Teil der Wirtschaftspolitik im oben beschriebenen Sinne zu verstehen ist, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. In der Praxis scheint die wirtschaftliche Schwerpunktsetzung von grundlegender Bedeutung zu sein; in der Lehre wird aber das Verständnis der Tourismuspolitik nur als Wirtschaftspolitik zunehmend abgelehnt. 120 121 122 123 In den Entwicklungsländern ist die Situation umgekehrt. (Vgl. Eisenstein [1995], S. 67). Vgl. Eisenstein (1995), S. 66 f.; Buchwald (1998), S. 4. Vgl. Freyer (1998), S. 346; Becker/Job/Witzel (1996), S. 38 f. Vgl. Klump (1992), S. 147 ff. 42 Den Standpunkt der Praxis vertritt und für eine eindeutige Eingliederung der Tourismuspolitik in die Wirtschaftspolitik plädiert beispielsweise Schulgen: „Seit es die Tourismuspolitik gibt, ist sie ein Teil der allgemeinen Wirtschaftspolitik. Die Träger der Wirtschaftspolitik versuchen den Tourismus so zu beeinflussen, dass er einen möglichst grossen Beitrag zu den übergeordneten Zielen der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik einbringt.“124 Im Gegensatz dazu Linde/Roth: „Fremdenverkehrspolitik darf nicht ausschliesslich als Wirtschaftspolitik verstanden werden. Sie steht in einem Zusammenhang humaner, sozialer, gesellschaftlicher und letztlich auch wirtschaftlicher Zielsetzungen.“125 Auch Tobler und Morgenroth betonen, dass es verfehlt wäre, die Tourismuspolitik lediglich als Teil der Wirtschaftspolitik zu begreifen oder gar eine massgebliche Stellung des Fremdenverkehrs innerhalb der Volkswirtschaft zu ihrer Voraussetzung zu machen. Tourismuspolitik ist ihrer Meinung nach ebenso als Bestandteil der Gesellschafts- oder der Umweltpolitik aufzufassen.126 Laesser stellt in seiner neuen Untersuchung fest, dass in einigen Ländern dem Tourismus die Legitimation für eine sektorale Wirtschaftspolitik abgesprochen wird und eine Abkehr von solch einer Ausgestaltung der Fremdenverkehrspolitik hin zu einer integrierten Standortförderungspolitik begrüsst wird.127 Keller behauptet einerseits: „Le tourisme est donc une branche économique d’un genre particulier. C’est pourquoi la politique du tourisme n’est pas simplement une politique économique.“128 Andererseits betrachtet er aber die Ausgestaltung einer aktiven Tourismuspolitik als eigenständige sektorale Wirtschaftspolitik für notwendig, wenn die touristische Entwicklung zur Erreichung wichtiger wirtschaftspolitischer Ziele beitragen soll. Nicht zuletzt deshalb, weil der Umfang und die Intensität der staatlichen Förderungsmassnahmen oft davon abhängig sind, ob der Fremdenverkehr von der Wirtschaftspolitik als strategischer Zweig betrachtet wird oder nicht.129 Ähnlicher Meinung ist auch Freyer. Er betrachtet die Tourismuspolitik in weitestem Sinne als eine Querschnittsdisziplin, die sich aus verschiedenen Teilbereichen zusammensetzt. Trotz ihrer Universalität ist jedoch bei den konkreten Tourismusplänen das Primat Ökonomie festzustellen. Die ökonomischen Überlegungen stehen stets im Vordergrund, egal, in welchem Bereich die Tourismusprobleme diskutiert werden. In diesem engeren Verständnis hält es Freyer für sinnvoll, die Tourismuspolitik als einen Teil der Wirtschaftspolitik zu verstehen und in diese einzubetten.130 In der vorliegenden Dissertation wird die Ansicht von Freyer vertreten und die Tourismuspolitik in einem engen Verständnis als sektoraler Teil der Wirtschaftspolitik betrachtet. Diese Sicht scheint besonders aus folgenden Gründen sinnvoll zu sein: Erstens wird die Tourismusbranche während der Transformation aus der wirtschaftlichen Perspektive untersucht und die Einbettung der Tourismuspolitik in die Wirtschaftspolitik trägt diesem Fakt am besten Rechnung. Zweitens entspricht diese Eingliederung der gängigen Praxis in vielen Ländern, wo der Fremdenverkehr unter der Obhut des Wirtschaftsministeriums steht und die Tourismuspolitik als Teil der Wirtschaftspolitik betrachtet wird. Drittens würde das weite Verständnis der Tou124 125 126 127 128 129 130 Schulgen (1988), S. 256. Linde/Roth (1983), S. 60. Vgl. Tobler (1981), S. 12; Morgenroth (1965), S. 25. Vgl. Laesser (2002), S. 94 ff.; Kap. 3.4.1. Keller (1994), S. 146. Vgl. Keller (1999), S. 44 ff. und (2002), S. 23; Kap. 4.5.2. Vgl. Freyer (1998), S. 273 ff. und (1996), S. 259. 43 rismuspolitik die Komplexität der Untersuchung so stark erhöhen, dass sie im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht realisierbar wäre. Diese Einschränkung heisst aber nicht, dass die Geschehnisse in den anderen Politikbereichen für die Tourismusbranche keine Bedeutung hätten. Sie gilt mit dem Vorbehalt, dass der Tourismus auf längere Sicht nur dann gedeihen kann, wenn bei seiner Entwicklung neben ökonomischen auch ökologische, soziale und andere Aspekte mitbedacht und berücksichtigt werden. 3.6 Fazit Die Frage, ob es einen Wirtschaftszweig Tourismus gebe und ob die Tourismuspolitik ausschliesslich als ein Teil der Wirtschaftspolitik auszugestalten sei, beschäftigt die Wissenschaftler schon seit Jahrzehnten. Eine allgemein anerkannte volkswirtschaftliche Abgrenzung des Tourismussektors existiert trotz vielen Versuchen aber bis heute noch nicht. Es besteht besonders Uneinigkeit darüber, welche Branchen in welchem Umfang dem Fremdenverkehr zuzuordnen sind und ob man diese als Tourismuswirtschaft bezeichnen kann. Die Bemühungen der Welttourismusorganisation und des Tourismuskomitees der OECD sowie die schrittweise Einführung von nationalen Satellitenkonten sollten in Zukunft zur Anerkennung der Tourismusbranche als einer der weltweit grössten Wirtschaftsbranchen beitragen. Die Zuteilung des Tourismus zum Dienstleistungssektor bereitet keine grossen Schwierigkeiten, denn die Dominanz seiner Dienstleistungskomponente ist unbestritten. In der vorliegenden Dissertation, welche die Tourismuspolitik während der Transformation aus einer wirtschaftlichen Perspektive untersucht, ist es sinnvoll, den Fremdenverkehr als einen mit anderen Bereichen stark vernetzten Wirtschaftszweig des Tertiärssektors zu betrachten. An die Diskussion über die Stellung des Fremdenverkehrs in der Wirtschaft knüpft sich die Frage an, wie die Tourismuspolitik im Rahmen der Volkswirtschaft einzuordnen sei. Obwohl die ökonomischen Zielsetzungen in der praktizierten Tourismuspolitik stets im Vordergrund stehen, wird das Verständnis der Fremdenverkehrspolitik ausschliesslich als Wirtschaftspolitik von der Lehre zunehmend kritisiert und auf ihr Charakter einer Querschnittdisziplin verwiesen. In den neuen Forschungsansätzen macht sich ausserdem eine Abkehr von ihrer Ausgestaltung als sektorale Wirtschaftspolitik hin zu einer integrierten Standortförderungspolitik bemerkbar. Für die Zwecke der vorliegenden Dissertation ist es aber trotzdem zweckmässig, die Tourismuspolitik vor allem als einen Teil der Wirtschaftspolitik zu betrachten, da sich sonst die Komplexität der untersuchten Materie stark erhöhen und den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Im Gegensatz zu den unterschiedlichen Ansichten betreffend die Stellung des Fremdenverkehrs in der Wirtschaft, besteht Einigkeit darüber, dass vom Tourismus viele wirtschaftliche Effekte ausgehen. Die positiven Effekte zeitigen ihre Auswirkungen besonders auf die Zahlungsbilanz, die Beschäftigung, das Einkommen, die Wertschöpfung und den regionalen Ausgleich. Diesen stehen die negativen ökonomischen Folgen wie Opportunitätskosten, finanzielle Fremdbestimmung, geringe Entlöhnung, steigende Preise und touristische Monostruktur gegenüber. Die negativen Aspekte werden oft übersehen; dies obwohl sie für die Bestimmung des Beitrages der Tourismusbranche zur Entwicklung eines Ortes eine wichtige Rolle spielen können. 44 Die wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus für eine Volkswirtschaft sollte in Zukunft durch die Einführung von Satellitenkonten noch transparenter und zahlenmässig erfassbar gemacht werden. Eine wichtige Stellung in der gegenwärtigen Forschung nimmt der Ansatz über den Beitrag des Tourismus zur strategischen Weiterentwicklung eines Standortes ein, wo der Tourismus als ein möglicher strategischer Faktor der standortlichen Entwicklung betrachtet wird. Die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit eines Standortes gehört deshalb nicht nur zu den Zielen der Standortpolitik, sondern ebenfalls zu den zentralen Aufgaben einer zukunftsorientierten Tourismuspolitik. 45 4 Konzeptionen einer Tourismuspolitik 4.1 Überblick „Wir müssen keine neuen Massnahmen erfinden, sondern die bestehenden Instrumente verwenden und sie phantasievoll kombinieren. Theoretische Erkenntnisse sind genügend vorhanden, Steuerinstrumente auch – das Problem ist wirklich die politische Umsetzung.“ Jost Krippendorf Wird die Wissenschaft so verstanden, dass sie zuerst ein System von Begriffen und Problemen zum eigentlichen Untersuchungsobjekt darstellt und zunächst einen logischen Überbau gedanklicher Zusammenhänge vornimmt, aus dem schliesslich neue Gesichtspunkte und Erkenntnisse resultieren,131 dann wird mit den folgenden Kapiteln das Tor zur Analyse der Tourismuspolitik während der Transformation aufgestossen. Die in den nächsten Kapiteln folgenden theoretischen Überlegungen zur Tourismuspolitik basieren überwiegend auf den wissenschaftlichen Publikationen im deutsch- und englischsprachigen Raum. In den Industrieländern besteht ein breites Wissen über die Funktionsweise der Tourismuswirtschaft unter marktwirtschaftlichen Bedingungen, welches während der Transformation nutzbringend eingesetzt werden könnte. Um einen fliessenden Übergang zur Untersuchung der tschechischen Tourismusbranche während der Transformation, die im zweiten Teil der vorliegenden Dissertation vorgenommen wird, zu gewährleisten, wird in den folgenden Ausführungen wo möglich auf die Besonderheiten der Tourismuspolitik in den zentralplanorientierten Ländern verwiesen. Im ersten Kapitel werden die Grundlagen der Tourismuspolitik skizziert. Es wird gezeigt, dass es keine allgemeine Tourismuspolitik geben kann, wie auch keine universellen Zielsetzungen, da diese stark von herrschenden politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen in einem bestimmten Landes abhängig sind. Trotz dieser Feststellung wird aber auf eine kurze Darstellung der üblichen Ziele der Tourismuspolitik in den Industrieländern nicht verzichtet. Darauf folgend wird die Rolle des Staates in der Tourismuspolitik diskutiert. Speziell wird auf seine Legitimation zur Beseitigung von Marktversagen und -ablehnung eingegangen. Es werden die verschiedenen Formen der Ausgestaltung der Tourismuspolitik erläutert, wobei nach der Ordnungspolitik, Strukturpolitik, pragmatischen, konzeptionellen und universellen planmässigen Tourismuspolitik differenziert wird. Ausserdem wird der Ansatz über die Gestaltung der Tourismuspolitik als ein normativer Teil des Destinationsmanagements diskutiert. Im Weiteren werden die Träger und Instrumente der Tourismuspolitik skizziert und die Grenzen der Fremdenverkehrspolitik im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung und mit dem zunehmend widersprüchlichen menschlichen Verhalten untersucht. Das letzte Kapitel ist der Forderung einer nachhaltigen Tourismuspolitik gewidmet. 4.2 Allgemeine Tourismuspolitik Die Tourismuspolitik unterscheidet sich von Staat zu Staat. Eine universelle Tourismuspolitik, die man in jedem Land betreiben könnte, gibt es nicht. Dazu Keller/Smeral: „ ... there is no point in looking for miraculous tourism policy solutions. It is in the interest of individual tourism countries to find solutions tailor-made to their own needs.”132 Nach Keller hängt die 131 132 Vgl. Greuter (2000), S. 127. Keller/Smeral (1997), S. 3. 46 Fremdenverkehrspolitik grundsätzlich in erster Linie vom Entwicklungsstand eines Landes ab. In den Ländern der gleichen Entwicklungsstufe ist sie jeweils relativ ähnlich:133 • Die Entwicklungsländer kämpfen noch immer mit dem Markteintritt. Sie haben Mühe, Einrichtungen und Dienstleistungen von internationalem Standard aus eigener Kraft anzubieten. Der Multiplikatoreffekt der touristischen Einnahmen und die Deviseneffekte sind wegen der hohen Abflüsse ins Ausland gering. Probleme wie Reisehindernisse an der Grenze, staatswirtschaftliche Planungs- und Entwicklungsfehler stehen im Vordergrund. Problematisch ist auch die Marktmacht von internationalen Luftverkehrsgesellschaften, Reiseveranstaltern und Hotelketten. Die Rolle der staatlichen Planung ist viel höher als in entwickelten Gebieten und ohne beachtliche staatliche Unterstützung wäre es kaum möglich, touristische Leistungen in Gang zu bringen. • Die Schwellenländer weisen die höchsten touristischen Wachstumsraten auf. Sie werden oft mit negativen Externalitäten wie Verknappung der Produktionsfaktoren und Preissteigerungen sowie mit Marktproblemen konfrontiert, da das Wachstum oft zu schnell und in einem grossen Ausmass verläuft. Im Vordergrund der Tourismuspolitik steht die Verkleinerung der infrastrukturellen Engpässe. Gleichzeitig wird viel Wert auf ein qualitatives Wachstum und die Nachhaltigkeit der Tourismusentwicklung gelegt. • In den Industrieländern hat die Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit oberste Priorität. Diese Zielsetzung, die durch eine Abkehr von der sektoral orientierten hin zur standortorientierten Tourismuspolitik begleitet ist, wird in den wissenschaftlichen Ansätzen als „neues Paradigma der Tourismuspolitik“134 bezeichnet. Der Staat hat tourismuspolitische Aufgaben im Zusammenhang mit der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit von Standorten zu erfüllen, wobei der Unterstützung von überbetrieblichen Kooperationen und der Bildung von Unternehmensclustern eine entscheidende Bedeutung zukommt.135 Die Transformationsländer werden in der obigen Aufteilung nicht separat berücksichtigt. Hall bezeichnet die osteuropäischen Staaten als „developing“,136 woraus ihre Zuteilung zur Kategorie der Entwicklungsländer resultieren würde. Dem muss jedoch teilweise widersprochen und nach ihrem Entwicklungsstand vor und nach dem Systemwechsel differenziert werden. Für die kommunistische Ära ist die Zuordnung zu den Entwicklungsländern aufgrund des erreichten Entwicklungsstands zutreffend. Der BIP der zentralplanwirtschaftlich orientierten Länder, die dauerhaft mit einem negativen Wirtschaftswachstum und fundamentalen Wirtschaftsproblemen konfrontiert waren, lag deutlich unter dem Bruttoinlandprodukt von Industrieländern und näherte sich eher demjenigen von Entwicklungsländern. Trotz diesem Fakt besass aber ihre Tourismuspolitik, bis auf ihre Ausgestaltung als universelle Planungsaufgabe, nur wenig Ähnlichkeit mit den tourismuspolitischen Zielsetzungen von Entwicklungsländern. Aufgrund der engen Zusammenarbeit unter sich im Rahmen des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und der Abschottung von der restlichen Welt hatten die osteuropäischen 133 134 135 136 Vgl. Keller (1999a), S. 67 ff. Vgl. Greuter (2000), S. 150. Vgl. Kap. 3.4.1. Hall (1994), S. 120. 47 Länder mit dem Abfluss von Einnahmen ins Ausland oder mit der Macht von internationalen Gesellschaften nicht zu kämpfen. In den ersten Jahren nach der Wende müssten die Transformationsländer aufgrund der hohen Wachstumsraten im Tourismus am ehesten zu den Schwellenländern gezählt werden. Seit dem Ende der 90er Jahre können einige Transformationsländer bei den entwickelten Ländern positioniert werden. Nach vielen wirtschaftlichen Höhen und Tiefen in den Reformjahren nähert sich ihr Entwicklungsstand demjenigen von Industrieländern. Die Jahre des grossen Tourismuswachstums sind vorbei, und die Länder müssen sich auf dem internationalen Markt neu behaupten. Die Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit gewinnt, wie in den entwickelten Ländern, deshalb immer mehr an Bedeutung. Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass die Tourismuspolitik der Transformationsländer Parallelen zur Tourismuspolitik aller drei oben aufgeführten Landeskategorien besitzt. Die Zuteilung zu einer Gruppe ändert sich im zeitlichen Ablauf und macht deshalb eine feste Positionierung der ehemaligen Zentralplanwirtschaften während des Systemwechsels nicht möglich. Obwohl die Tourismuspolitik der Länder mit der gleichen Entwicklungsstufe viele Ähnlichkeiten aufweist, gibt es eine Reihe von Faktoren, welche sich innerhalb von ihr differenzierend auswirken. Es handelt sich vor allem um folgende:137 137 138 139 140 141 • Territoriale Grösse: Bei den kleinen Ländern ist die touristische Koordination viel einfacher als bei den Grossen: „A small nation, such as an island nation for example, can be managed almost like a corporation.“138 Für die grossen Länder scheint sich eine gewisse Dezentralisation bewährt zu haben, da auf diese Weise Konkurrenz zwischen den einzelnen Regionen gefördert werden kann: „Tourism promotion organized on a regional basis seems to be a better way to exploit value-added potential, than through centralized solutions.“139 • Politische Organisation: Im Hinblick auf die politische Organisation des Landes ist das generelle Verhältnis von Plan und Markt von grosser Wichtigkeit. In zentralistischen Planwirtschaften war die staatliche Funktion für den Tourismus viel stärker ausgeprägt als in markwirtschaftlichen Systemen. Aufgrund der Innexistenz von marktwirtschaftlichen Strukturen wurde der Verlauf der Tourismusentwicklung von den zentralen Stellen vollständig geplant. In der Marktwirtschaft hat die traditionell ausgestaltete Tourismuspolitik prinzipiell nur dort einzugreifen, wo Marktkräfte aus sozialen, politischen, ökonomischen oder ökologischen Gründen zu unerwünschten Ergebnissen führen.140 Neulich wird ihr Einsatz bei der Unterstützung der Wettbewerbsfähigkeit von Standorten verlangt.141 Aufzählung nach Keller (1999a), S. 67. Keller/Smeral (1997), S. 3. Keller/Smeral (1997), S. 3. Vgl. Kap. 4.3.1. Vgl. Kap. 3.4.1. 48 • Touristischer Entwicklungsstand: Je nach dem touristischen Entwicklungstand und der Lebenszyklusphase der Tourismusbranche kommen dem Staat verschiedene Aufgaben zu. Beim touristischen Aufbau wird von ihm mehr Aktivität verlangt als in späteren Wachstumsphasen des bereits institutionalisierten Fremdenverkehrs. Bei allfälliger Stagnation oder Krise der Tourismuswirtschaft ist ein verstärkter staatlicher Einsatz gefragt. Dementsprechend ändert sich im Zeitablauf auch die Rolle, die Zielsetzung und Ausformulierung der Tourismuspolitik.142 Obwohl die aufgeführten Faktoren nach einer Differenzierung in der Ausgestaltung der Tourismuspolitik verlangen, wurde beispielsweise in den zentralplanwirtschaftlich orientierten Ländern ungeachtet ihrer territorialen Grösse eine Zentralisation bevorzugt, da diese die staatliche Planung massgeblich vereinfachte und eine einheitliche Steuerung der Tourismusentwicklung vom Zentrum aus ermöglichte. Auch die Frage nach der richtigen Dosis der staatlichen Interventionen stellte sich in diesen Ländern nicht, da der Staat als Eigentümer der touristischen Infra- und Suprastruktur zu jedem Zeitpunkt für die Tourismusentwicklung allein verantwortlich war. Im Weiteren ist die nationale Tourismuspolitik der einzelnen Länder durch zahlreiche internationale Geschehnisse, welche die Entwicklung des Fremdenverkehrs mitprägen, beeinflusst. So verursachten z.B. die Terroranschläge in den USA am 11. September 2001 eine weltweite Verlangsamung des touristischen Wachstums. Den Einfluss von ausgewählten Ereignissen des letzten Jahrhunderts auf die Fremdenverkehrspolitik der entwickelten Länder zeigt die folgende Tabelle. Einfluss gesellschaftspolitischer Veränderungen auf die Tourismuspolitik Zeitraum Ereignis Perspektive 1945 Wiederaufbau Unterentwickelte Strukturen in Wirtschaft und Tourismus Hochkonjunktur Massentourismus und seine Selbstzerstörungskraft Landschafts- und Umweltschutz Streben der Entwicklungsländer nach Eingliederung Abhängigkeit der Gläubigerstaaten Migrationsbewegung Beherrschung der sozioökonomischen Effekte Kulturrevolution Kritik am Verhalten der Touristen Verantwortungsethik im Tourismus 1960 1973 Energiekrise 1992 Treibhauseffekt Heute Globalisierung Politische Schwerpunkte Öffnung der Grenzen für Handel und Reisen Förderung und Strukturierung des Tourismuswachstums Verschwendung der natürlichen Ressourcen Nachhaltige Entwicklung Verschmutzung und überbordende Mobilität Zunehmender KonkurrenzStärkung der Wettbewerbsfähigkeit druck auf die touristischen von Destinationen Anbieter Tabelle 2: Einfluss gesellschaftspolitischer Veränderungen auf die Tourismuspolitik143 142 143 Vgl. Freyer (1998), S. 272; Weiermair (2002), S. 67 ff. In Anlehnung an Keller (1994), S. 160; Greuter (2000), S. 144. 49 Aus den obigen Ausführungen ergibt sich zusammenfassend folgendes: Die Ausgestaltung der Tourismuspolitik ist davon abhängig, wie gross das Land ist, welcher Abschnitt des ökonomischen Entwicklungspfades soeben durchschritten wird, wie der gegenwärtige touristische Entwicklungspfad verläuft, wie gross das Vertrauen in private und staatliche Organe ist und wie die weltweite Entwicklung der Wirtschaft und vor allem der Tourismusbranche vorangeht.144 Dem Staat kommt in der Fremdenverkehrspolitik vor allem in Bezug auf die herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftsverhältnisse in einem bestimmten Land eine eher passive Rolle als Schiedsrichter, eine eher aktive Rolle als Mitspieler oder eine äusserst aktive Rolle als Hauptdarsteller zu, wie im nächsten Kapitel gezeigt wird. 4.3 Die Rolle des Staates „Soviel Markt wie möglich, soviel Plan wie nötig.“ Karl Schiller Ähnlich wie in den anderen Bereichen der Wirtschaft übernimmt auch im Tourismus der Staat gewisse Aufgaben. Diese werden von den staatlichen Stellen in unterschiedlichem Umfang, vor allem in Abhängigkeit von dem bestehenden Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, wahrgenommen. In den Zentralplanwirtschaften werden fast alle tourismuspolitischen Aufgaben vom Staat übernommen und für die privatwirtschaftlichen Aktivitäten kein Freiraum gelassen. In den Industrieländern werden als ein Extrem zahlreiche Aufgaben durch ein eigenes Tourismusministerium mit weit reichenden Kompetenzen erledigt. Als anderes Extrem werden die Aufgaben überwiegend bei den Privaten belassen und die staatlichen Organe kümmern sich lediglich um die entsprechenden Rahmenbedingungen. Auch in liberalsten Ländern gewinnt der Staat jedoch durch die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die touristische Entwicklung. Aus der wirtschaftlichen Perspektive, aufgrund dessen gestaltenden, produzierenden, ordnenden, initiierenden und ausgleichenden Funktionen, beschreibt Keller die Rolle des Staates im Fremdenverkehr. Mit fördernden und gestaltenden Eingriffen in Infrastruktur, Verkehr, Ausbildung, Arbeitsmarkt etc. beeinflusst der Staat die grundlegenden touristischen Rahmenbedingungen. Als Koproduzent stellt er die tourismusrelevanten Güter und Dienstleistungen wie Verkehrssystem und Gewährleistung von Sicherheit zur Verfügung. Mit der Raumordnung trägt er zur Sicherung des touristischen Entwicklungsoptimums und der langfristigen Ertragskraft des Fremdenverkehrs bei. Schliesslich hat der Staat auch initiierende und ausgleichende Funktionen, wenn er zur Ausschöpfung touristischer Wachstums- und Wettbewerbspotentiale beiträgt (vgl. Abbildung 9).145 144 145 Vgl. dazu auch Greuter (2000), S. 145; Freyer (1998), S. 272. Vgl. Keller (1999), S. 42 f. 50 itik Po l W Infrastruktur Ausbildung irts ch a ft Verkehr Arbeitsmarkt Koordinator Wettbewerb Verkehrssystem Katalysator Staat Produzent Wachstum Sicherheit Planer Ge sel lsc h aft Raumordnung lt we m U Abbildung 9: Rolle des Staates im Tourismus146 Freyer betrachtet die Rolle des Staates im Tourismus nicht nur aus der wirtschaftlichen Perspektive und begründet die Notwendigkeit der staatlichen Eingriffe folgendermassen:147 • Tourismus ist eine politische Aufgabe, weil nur wenn der Staat den Bürgern die Möglichkeit des Reisens, der Mobilität und der Freizügigkeit gibt, ist eine volle Entfaltung des Tourismus möglich. Zu Beschränkungen führen oft Sicherheitsprobleme, Terrorismus, ideologische Wertvorstellungen und Befürchtungen um die Gesundheit. • Reisen ist ein wirtschaftliches Phänomen, da der Tourismus bedeutende wirtschaftliche Auswirkungen zeitigt, wobei zu den positiven vor allem Einkommens-, Beschäftigungs-, Wertschöpfungs-, Zahlungsbilanz- und regionale Ausgleichseffekte zu zählen sind.148 • Tourismus ist ein Umweltproblem, da durch die Ausweitung des touristischen Marktes Umweltprobleme aufgetreten sind, die einer staatlichen Lenkung bedürfen. Der Staat muss zunehmend der Umweltzerstörung entgegenwirken, um die Grundlagen des Fremdenverkehrs aufrechtzuerhalten.149 • Tourismus ist ein soziales Problem, da ohne staatliche Hilfe zahlreiche Bevölkerungsgruppen vom Tourismus ausgeschlossen würden. Zudem sollte auch eine Unterstützung jener Kreise erfolgen, die von den negativen Folgen des Fremdenverkehrs betroffen sind.150 Es wird deutlich, wie breit das Spektrum der tourismuspolitischen Aufgaben des Staates sein kann, wenn der Querschnittscharakter des Fremdenverkehrs berücksichtigt wird. Wie im Ka146 147 148 149 150 Eigene Darstellung in Anlehnung an Keller (1999), S. 43. Vgl. Freyer (1998), S. 271. Vgl. Kap. 3.4.1 und 4.4.1.1. Vgl. Kap. 4.9 und 4.4.1.2. Vgl. Kap. 4.4.1.3. 51 pitel 4.4 gezeigt wird, können die Schwerpunkte der staatlichen Eingriffe je nach den verfolgten Zielen der Tourismuspolitik im wirtschaftlichen, ökologischen, ideologischen oder sozialen Bereich liegen. In der Tourismuspolitik der marktwirtschaftlich orientierten Länder dominieren, trotz der steigenden Popularität der ökologischen Zielsetzungen, immer noch die wirtschaftlichen Ziele. In den Zentralplanwirtschaften spielten die ideologischen Werte eine entscheidende Rolle; erst während der Transformation wurde der ökonomischen Zielsetzung Priorität zugemessen. Als ein weiterer Grund für staatliche Eingriffe wird in der Lehre die Orientierung der Privatwirtschaft auf kurzfristige statt langfristige Ziele gesehen. Die Tourismuspolitik muss deshalb versuchen, für die Unternehmen Rahmenbedingungen zu schaffen, die ihnen bei der Planung eine Orientierung ermöglichen und das Verfolgen einer langfristigen Strategie unterstützen.151 Damit hängt die häufig diskutierte Problematik der KMU und die Fokussierung der staatlichen Tourismuspolitik auf den Strukturwandel eng zusammen. Der Staat soll für die Förderung von Innovationen und überbetrieblichen Kooperationen sorgen und dies soll helfen, die Schwächen der kleingewerblichen Unternehmensstruktur im Tourismus zu beseitigen. In den neuen Forschungsansätzen wird aber diese Einsicht durch das Argument einer Strukturverzerrung in Frage gestellt. So ist offen, ob zum Beispiel nicht durch eine Förderungspolitik zugunsten der KMU eine überholte Struktur künstlich am Leben gehalten wird und ob die Schwerpunkte der staatlichen Tourismuspolitik nicht anderswo liegen sollten.152 Je stärker ein Land auf den Fremdenverkehr angewiesen ist, desto mehr spielt die Gestaltung möglichst tourismusfreundlicher Rahmenbedingungen für alle Beteiligten eine wichtige Rolle. In den marktorientierten Systemen muss der Staat vor allem die entsprechenden Rahmenbedingungen für die räumliche Freizügigkeit und für die Unternehmenstätigkeit schaffen. Er wird zur Beseitigung von Marktunzulänglichkeiten gerufen und in neueren Ansätzen wird seine Aufgabe bei der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der Standorte hervorgehoben.153 In den Zentralplanwirtschaften wurden die tourismuspolitischen Aufgaben aufgrund der fehlenden Privatwirtschaft dem Staat übertragen und dieser betrieb im Rahmen der Strukturpolitik eine äusserst aktive Tourismuspolitik. In den ersten Jahren nach der Wende neigten die Transformationsländer unter anderem deshalb zu einer gewissen Abneigung gegenüber einem zu starken Engagement des Staates und nahmen viele Deregulierungsmassnahmen vor. Bei der gegenwärtigen Stagnation der Tourismuswirtschaft werden aber, wie in den Industrieländern, wieder vermehrte staatliche Interventionen und Unterstützung von touristischen Vorhaben verlangt. Zusammenfassend ergibt sich, dass unabhängig von den herrschenden politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen heutzutage das Vorhandensein von staatlichen Aktivitäten im Tourismus kaum mehr kritisch hinterfragt wird. Es wird sogar häufig implizit angenommen, dass der Staat als conditio sine qua non für einen funktionierenden Tourismus gilt: „Soll die touristische Entwicklung wirklich zur Erreichung wichtiger wirtschaftspolitischer Zielsetzungen wie Wachstum und Vollbeschäftigung beitragen, ist eine aktive Tourismuspolitik ... notwendig.“154 151 152 153 154 Vgl. Seiler (1989), S. 47; Haimayer (1993), S. 71. Vgl. Bieger (2001), S. 14. Vgl. Kap. 4.3.1 und 3.4.1. Keller (1999), S. 45. 52 4.3.1 Marktunzulänglichkeiten als Grundlage für die Tourismuspolitik „Dass die Märkte nicht ideal funktionieren, bedeutet noch nicht, dass staatliche Interventionen die Situation verbessern können.“ Michael C. Burda/Charles Wyplosz Das Marktversagen und die Marktablehnung werden in den meisten Ländern heutzutage als eine legitime Grundlage für eine Tourismuspolitik betrachtet.155 Die staatliche Tourismuspolitik hat in den Wirtschaftsablauf nur dann einzugreifen, wenn der Markt zu ineffizienten Ergebnissen gelangt. In den anderen Fällen sollte die Verantwortung den Privaten überlassen werden. Marktunzulänglichkeiten treten vor allem bei der Produktion von öffentlichen Gütern, der Existenz von externen Effekten, Beschränkungen durch Marktmacht und bei unvollkommener Information auf. Bei den Interventionen muss beachtet werden, dass sie nicht bloss in ein Staatsversagen umgewandelt werden – ein Zyklus mit den Phasen „Feststellung unerwünschter Ergebnisse wegen Marktversagens, Regulierung, Feststellung unerwünschter Ergebnisse aufgrund der Regulierung, Deregulierung“ macht nicht viel Sinn.156 Das Argument natürlicher Monopole und der unvollkommenen Information für die Kunden findet seine Anwendung beispielsweise in der Legitimation von Konzessionen für touristische Transportanlagen, Gastronomiebetriebe oder Taxiunternehmen, bei Hygienevorschriften im Gastgewerbe und bei der Bewilligungspraxis für die Zulassung als Reiseführer. Es gibt wohl kaum eine touristische Teilbranche, die nicht von Regulierungen betroffen wäre. Der Grund dafür dürfte in der Intransparenz der Dienstleistungskette und in der besonderen Abhängigkeit des Reisenden vom Anbieter begründet liegen.157 Bei den öffentlichen Gütern, wie z.B. der Sicherheit, der Verkehrsinfrastruktur und der Ausbildung, handelt es sich um Güter und Dienstleistungen, die von privater Seite her entweder gar nicht oder nur in ungenügendem Umfang hergestellt werden. Die Ursache dafür liegt in ihrer geringen einzelwirtschaftlichen Rentabilität. Da die öffentlichen Güter aber gesellschafts- und wirtschaftspolitisch wichtig sind, muss sie der Staat zur Verfügung stellen. Im Tourismus weisen viele notwendige Investitionen in den Ausbau der touristischen Infrastruktur, in die Markenpflege, in das Image des Landes und in die Marktforschung den Charakter von öffentlichen Gütern auf. Viele profitieren von den Effekten und können von der Nutzung nicht ausgeschlossen werden. Sie haben deshalb kein Interesse, sich an solchen Projekten finanziell zu beteiligen und es ergibt sich das Problem des Trittbrettfahrers. Ohne staatliche Unterstützung gäbe es beispielsweise kein gemeinsames touristisches Destinationsmarketing. Seine Förderung gehört deshalb zu den wichtigsten Aufgaben der gegenwärtigen Tourismuspolitik der Industrieländer.158 Mit der Theorie der öffentlichen Güter wird auch die mangelnde Kooperation in der Tourismusbranche erklärt. Eine Zusammenarbeit kommt nur zustande, wenn jeder weiss, dass das Gesamte ohne sein Mittun gefährdet ist und für jeden, der sich engagiert, ein individualisierter Nebennutzen erzielt werden kann. In anderen Fällen lohnt sich die Kooperation für den Einzelnen nicht und das erreichte Resultat ist suboptimal.159 155 156 157 158 159 Vgl. Meyer-Schwickerath (1990), S. 63; Smeral (1998), S. 22; Greuter (2000), S. 132. Vgl. Koch/Czogalla (1999), S. 77; Vallender (1995), S. 184. Vgl. Bieger (2001), S. 13. Vgl. Keller (1998), S. 50 f. Vgl. Bieger/Weibel (1998), S. 194 f. 53 Zu den weiteren Marktunzulänglichkeiten zählt die Existenz von externen Effekten, die von der Tourismusbranche ausgehen. Zu den positiven Effekten gehören z.B. die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Erhöhung der Umsätze und die Sicherstellung der Flächenbewirtschaftung; zu den negativen Auswirkungen zählen der Ressourcenverbrauch, die vermehrte Abfallproduktion sowie die Luft- und Lärmbelastungen. Bei den negativen Effekten werden die Verursacher selbst kaum entsprechend finanziell belastet und die Kosten werden von der Gesellschaft getragen. Dies ergibt sich, weil der Umweltkonsum in vielen Fällen zum Nulltarif möglich ist und der Preis als regulierender Knappheitsindikator nicht mehr seine Funktion erfüllt. Oft ist es auch gesellschaftspolitisch unerwünscht, für das Gut „Natur“ einen Preis zu erheben und es somit zu vermarkten.160 Die Internalisierung von diesen Kosten, durch welche die Übernutzung der Umwelt verhindert werden sollte, gehört zu den Aufgaben der nachhaltigen Tourismuspolitik, wie im Kapitel 4.9 gezeigt wird. Für eine optimale Nutzung der positiven Effekte ist der Einsatz des Staates ebenfalls gefragt. Der Staat kann beispielsweise die Kooperation unter den Unternehmen an einem Standort fördern und somit sicherstellen, dass die Marketingmassnahmen einzelner Unternehmungen auch anderen Unternehmen verschiedener Branchen zugute kommen. Nach Greuter ist die Legitimation der Tourismuspolitik jedoch weniger abhängig von den Bedingungen des Marktversagens als von der Einstellung zur Marktablehnung. Das Problem der Marktablehnung entsteht aufgrund der Verteilungssituation, die sich aus dem Wirken der Marktkräfte ergibt. Was nicht gut vermarktet werden kann, wird von der privaten Seite her nicht angeboten und der Einsatz des Staates ist gefragt. Die Notwendigkeit der staatlichen Tourismuspolitik wird vor allem dadurch begründet, dass die Teilnahme am Fremdenverkehr auch den sozial schwachen Gruppen zu ermöglichen ist, da niemand vom Tourismus-Konsum ausgeschlossen werden sollte. Aus Gründen der gesundheitlichen Vorsorge können Freizeitaktivitäten wie Sport und vorbeugende Kuren unterstützt werden und zur Förderung der Persönlichkeitsentfaltung kann der Staat seinen Bürgern über die Tourismuspolitik Zugang zu kulturellen Leistungen verschaffen. Ausserdem werden durch den Tourismus auch die soziale Integration und die Völkerverständigung gefördert.161 Die oben geschilderten Marktunzulänglichkeiten bilden die Grundlage für die traditionelle Legitimation der Tourismuspolitik der marktwirtschaftlich orientierten Länder. Mit der Dynamisierung und Globalisierung der Märkte stellt sich aber die Frage nach der Rechtfertigung der staatlichen Eingriffe neu. In Bezug auf die Existenz von externen Effekten geht man beispielsweise davon aus, dass die unter sich kooperierenden Betriebe an einem Standort mehr Imageeffekte erzeugen können als das staatliche Tourismusmarketing.162 Damit fragt man sich, ob und in welchem Umfang der Staat überhaupt aktiv werden soll, damit als Ergebnis der regulierenden Massnahmen nicht ein Staatsversagen zustande kommt. Aufgrund dieser Gefahr müssen die tourismuspolitischen Eingriffe immer kritisch beurteilt werden. In der letzten Zeit machte sich in den Industrieländern ein gewisser Rückzug des Staates von der Kompensation der Marktunzulänglichkeiten auf dem Tourismusmarkt hin zur Entwicklung und 160 161 162 Vgl. Tschurtschenthaler (1986), S. 165 f. Die Realität sieht aber trotzdem oft anders aus. Menzel und Müller gehen sogar so weit und behaupten, dass das eigentliche Geschäft des Tourismus zu einem grossen Teil in der Kommerzialisierung an und für sich freier Güter liegt: „Verkauft wird, zu oft happigen Preisen, was der Verkäufer gratis bekommt, weil er es fertig an Ort und Stelle vorgefunden hat.“ (Vgl. Menzel [1975], S. 18 f., zitiert nach Müller [1994], S. 165). Vgl. Greuter (2000), S. 132 f. Vgl. Bieger (2001), S. 14. 54 Durchsetzung von einer differenzierten und kombinierten Standort- und Branchenpolitik bemerkbar.163 Somit besteht nach wie vor keine Einigkeit darüber, wie stark das Engagement des Staates im Fremdenverkehr und besonders bei der Beseitigung von Marktversagen und -ablehnung sein sollte. Unbestritten bleibt aber, dass heutzutage ohne staatliche Massnahmen eine Destination kaum noch ein stabiles Entwicklungsgleichgewicht erreichen würde. In den zentralplanwirtschaftlich orientierten Ländern stellte sich aufgrund der fehlenden marktwirtschaftlichen Strukturen das Problem der Marktunzulänglichkeiten im oben beschriebenen Sinne nicht. Die ineffizienten Ergebnisse der Tourismusbranche waren nicht der Funktionsweise des Marktes zuzuschreiben, sondern der fehlerhaften staatlichen Planung. Die Beschränkungen im Angebot an touristischen Dienstleistungen, die fixen Preise und die vertuschen Informationen über die Tourismusprodukte wurden als Teil des Systems betrachtet und gaben keinen Anlass zu Verbesserungen. Nach der Einführung der Marktwirtschaft haben die Transformationsländer dagegen mit unzähligen Marktunzulänglichkeiten zu kämpfen. Die meisten Schwierigkeiten wurden durch den Systemwechsel selber verursacht, da in kürzester Zeit die nötigsten Voraussetzungen für das Funktionieren der marktwirtschaftlichen Strukturen, wie z.B. Preisliberalisierung und Privatisierung, geschaffen und in der Praxis eingeführt werden mussten. Dass dies keine einfache Aufgabe ist, beweist der Fakt, dass die Transformationsvorhaben nach zwölf Jahren noch in keinem Land abgeschlossen sind. 4.4 Ziele der Tourismuspolitik Der Zielfestlegung kommt in der Tourismuspolitik eine bedeutende Rolle zu. Nur wenn Klarheit darüber besteht, was erreicht werden soll, können die richtigen Massnahmen gewählt und der Erfolg oder Misserfolg der Tourismuspolitik beurteilt werden. Es besteht kein allgemein akzeptierter Zielkatalog. Die Ziele der Tourismuspolitik sind politische Entscheide, die sich an den Wertvorstellungen der jeweiligen Gesellschaft orientieren und einem ständigen Wandel unterworfen sind. In den planwirtschaftlich orientierten Ländern nahmen die ideologischen Zielsetzungen, welche von den übergeordneten politischen Gremien vorgegeben wurden, eine wichtige Stellung ein. In den marktwirtschaftlich orientierten Ländern stehen meistens die wirtschaftlichen Ziele, die durch Rechtserlasse und privatrechtliche Vereinbarungen zustande kommen, im Vordergrund. Von grosser Bedeutung sind auch tourismuspolitische Konzepte, welche die Zielrichtung der Einflussnahme auf die touristisch relevanten Gegebenheiten umschreiben.164 Trotz der Inexistenz von allgemein akzeptierten Zielsetzungen ist die Festlegung des Oberzieles ähnlich. Der Tourismus sollte innerhalb des durch die bestehende Wirtschafts-, Gesellschafts- und Staatsordnung gesetzten Rahmens so gestaltet werden, dass er einen möglichst optimalen Beitrag zur Wohlfahrt und zur Lebensqualität zu leisten vermag.165 Nach Kaspar soll der Mensch mit seinen körperlich-seelischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnissen im Zentrum der tourismuspolitischen Überlegungen stehen (menschliche Tourismuspolitik). Ausserdem soll die Tourismuspolitik auf die Verwirklichung übergeordneter Werte und Ziele ausgerichtet werden (ganzheitliche Tourismuspolitik).166 Eine ähnliche Zielsetzung findet 163 164 165 166 Vgl. Kap. 3.4.1. Vgl. Kaspar (1996), S. 145; Tobler (1981), S. 13; Freyer (1998), S. 287. Vgl. Tobler (1981), S. 13 f. Vgl. Kaspar (1983), S. 395. 55 man auch in der englischsprachigen Literatur bei Edgell: „The highest purpose of tourism policy is to integrate the economic, political, cultural, intellectual and economic benefits of tourism cohesively with people, destinations, and countries in order to improve the global quality of life and provide a foundation for peace and prosperity.“167 4.4.1 Konkretisierung der Zielsetzung Nach der Festlegung des Oberzieles ist es in der Tourismuspolitik üblich, dieses entweder nach den Planungsebenen (national, regional und lokal) oder gemäss der beteiligten Politikbereiche in Teilziele (ökonomisch, sozial, ökologisch etc.) aufzuteilen. Konkrete Formulierungen sind aber erst dann möglich, wenn es darum geht, das Ziel für ein bestimmtes Gebiet festzulegen. In den marktwirtschaftlich orientierten Ländern bewegten sich zu Beginn der 90er Jahre die meisten Zielvorstellungen innerhalb des Spannungsfeldes ökonomischer, ökologischer und sozialer Ziele, wobei die wirtschaftlichen Überlegungen oft eine dominante Rolle spielten. In der Fachliteratur wurde dieses Spannungsverhältnis als „magisches Dreieck“168 bezeichnet (vgl. Abbildung 10). Nach den heutigen Wertvorstellungen sollte dem Teilziel Umwelt eine höhere Priorität zukommen. Thierstein/Walser stellten deshalb die drei Zielsetzungen nicht als die Eckpunkte von einem Dreieck dar, sondern als zwiebelförmige Ringe, damit die Wichtigkeit der ökologischen Ziele besser zur Geltung kommt (vgl. Abbildung 10).169 In der Realität bleiben diese Idealvorstellungen aber noch oft unberücksichtigt, da man auf die wirtschaftlichen Beiträge nicht verzichten mag. Ausserdem ist eine Aufstellung einer eigentlichen Hierarchie für die drei Teilziele nur bedingt möglich, da diese untereinander in Konflikt stehen. Aus diesem Grund ist die Tourismuspolitik immer auch eine Kompromisspolitik, die zwischen den verschiedenen Teilzielen abwägen muss.170 In den zentralplanwirtschaftlich orientierten Ländern wurden bei der Zielsetzung die Prioritäten anders gesetzt als in den Industrieländern. Im englischsprachigen Raum befasste sich mit ihnen Hall und sah die Aufgabe der Tourismuspolitik unter anderem in der Unterstützung des Inlandstourismus, der Förderung der Regionalentwicklung, der Abschirmung der einheimischen Bevölkerung vom westlichen Einfluss, der Stärkung des internationalen Friedens und in der Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes.171 In den meisten osteuropäischen Ländern standen die ideologischen Ziele im Vordergrund, die vor allem der Abschirmung vom Westen dienten. Die sozialen Zielsetzungen mit dem Zweck, allen Sozialschichten die Teilnahme am Tourismus zu ermöglichen, waren häufig sogar in der Verfassung verankert. Die Verfolgung von ökonomischen Zielen spielte nur im Tourismusverkehr mit den westlichen Ländern eine Rolle und den ökologischen Anliegen wurde nur sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Zu massgebenden Veränderungen kam es erst nach der Wende, als vor allem die Weiterverfolgung der ideologischen Ziele, die sich nach den Beschlüssen der 167 168 169 170 171 Edgell (1990), S. 1. Krippendorf/Zimmer/Glauber (1998), S. 26. Es handelt sich ursprünglich um eine Hierarchie von Zielsetzungen im Rahmen einer nachhaltigen regionalen Entwicklungsstrategie, deren Übertragbarkeit auf die Tourismuspolitik jedoch grundsätzlich nichts im Wege steht. Vgl. Freyer (1996), S. 270; Kaspar (1991), S. 136 f. Vgl. Hall (1994), S. 36 und S. 79. 56 Kommunistischen Partei richteten, unhaltbar wurde. Die gegenwärtige Tourismusentwicklung in den Transformationsländern ist, ähnlich wie in den Industrieländern, durch die Dominanz von ökonomischen Zielsetzungen geprägt. Allmählich finden aber auch die ökologischen und sozialen Anliegen ihren Eingang in die Tourismuspolitik. Soziale Ziele Tourismuspolitik Ökonomische Ziele Ökonomische Ziele Ökologische Ziele Soziale Ziele Ökologische Ziele Abbildung 10: Magisches Dreieck und ideale Zielhierarchie der Tourismuspolitik172 Unabhängig von der Zielhierarchie müssen die festgelegten Zielsetzungen realisierbar, konsistent und kompatibel sein – d.h. sie dürfen nicht allzu idealistisch sein, die Ziele und die Mittel sollten keine Widersprüche aufweisen und zwischen den verschiedenen Zielen sollten keine Konflikte entstehen. Besonders die Kompatibilität ist aber problematisch, da die verschiedenen Zielsetzungen oft nicht nur unter sich in Konflikt geraten, sondern auch mit den Zielen der Wirtschaftspolitik (beschränkte Förderung der anderen Wirtschaftsbereiche), der Gesellschaftspolitik (Entgegenlaufen der kulturellen und sozialen Entwicklung, Beeinträchtigung der Einheimischen) und der Umweltpolitik (Landschaftsveränderung und -zerstörung). Die Zielsetzung der Tourismuspolitik kann sich aber in diesen Bereichen auch als konform erweisen. Tourismus kann wirtschaftspolitisch zur Senkung der Arbeitslosigkeit beitragen, gesellschaftspolitisch erwünschte Veränderungen begünstigen (Freizügigkeit, touristische Teilnahme von sozialschwachen Gruppen), zur Umwelterhaltung führen (Bau von Kläranlagen) und die individuelle Entfaltung fördern (Kontakt zu neuen Kulturkreisen).173 Die Abstimmung der touristischen Ziele mit den genannten Bereichen sowie mit den allgemeinen politischen Zielsetzungen ist für eine erfolgreiche Tourismuspolitik notwendig. Wenn dies nicht geschieht und die bestehenden Synergien unberücksichtigt bleiben oder sich die gesetzten Ziele entgegenlaufen, wird ihre Wirksamkeit in Frage gestellt. 4.4.1.1 Ökonomische Ziele Im Wirtschaftsbereich soll die Tourismuspolitik dazu beitragen, dass der Tourismus einen optimalen Beitrag zum gesamtwirtschaftlichen Wohlstand liefert und dass die Ziele der Wirtschaftspolitik erfüllt werden. Der Fremdenverkehr sollte zudem für die Bewohner der Tourismusorte ökonomisch erträglich sein. Aus dem Kapitel 3.4 geht hervor, dass zu den positiven wirtschaftlichen Effekten, die von ihm ausgehen, hohe Wertschöpfung, Steigerung des 172 173 Magisches Dreieck in Anlehnung an Krippendorf/Zimmer/Glauber (1988), S. 26. Ideale Zielhierarchie in Anlehnung an Thierstein/Walser (2000), S. 31. Vgl. Freyer (1998), S. 293 f. 57 Pro-Kopf-Einkommens, höhere Deviseneinnahmen, regionaler Ausgleich, Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit eines Standortes und Schaffung von Arbeitsplätzen gehören. Ausserdem sind bei der Ausformulierung der Ziele vor allem die Förderung von KMU, qualitatives Wachstum, ganzjährige Auslastung der Einrichtungen und Ausweitung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen zu beachten. Nicht auf Tourismus speziell zugeschnitten, jedoch auch für ihn geltend, sind die allgemeinen Ziele der Wirtschaftspolitik wie angemessenes Wirtschaftswachstum, hoher Beschäftigungsstand, stabiles Preisniveau, aussenwirtschaftliches Gleichgewicht und gerechte Verteilung.174 Obwohl die Diskussion im Sinne der nachhaltigen touristischen Entwicklung immer lauter wird und die ökologischen und sozialen Zielsetzungen immer mehr in den Vordergrund rutschen, spielen die wirtschaftspolitischen Überlegungen in der Ausformulierung der Ziele oft eine dominante Rolle. Nach Kramer beginnt die wirkliche Tourismuspolitik aber erst dort, „wo andere Faktoren nicht nur zwecks des ökonomischen Zieles berücksichtigt werden“.175 4.4.1.2 Ökologische Ziele Das höchste Gut im Tourismus stellt zweifellos eine intakte und attraktive Umwelt dar. Die ungesteuerte Tourismusentwicklung gefährdet aber die Landschaft und somit sich selbst. Das Ziel der Tourismuspolitik muss es deshalb sein, den Fremdenverkehr dort zu fördern, wo er die Umwelt nicht beeinträchtigt – die langfristige Stabilität des ökologischen Gleichgewichtes muss im Vordergrund stehen. Zur ökologischen Zielsetzung gehören besonders Umweltverträglichkeit, Schonung der vorhandenen Ressourcen und Infrastruktur, Gestaltungsverträglichkeit und Abfallvermeidung.176 Die Verfolgung dieser Ziele wird heutzutage oft in einen Zusammenhang mit der nachhaltigen Tourismuspolitik gebracht, die sich um eine stärkere Integration der Umweltverträglichkeit in die tourismuspolitischen Vorhaben bemüht, wie im Kapitel 4.9 gezeigt wird. Die Tourismuspolitik darf aber nicht als Umweltschutzpolitik missverstanden oder dazu umfunktioniert werden. Sie unterstützt zwar deren Anliegen, muss jedoch auch einen Spielraum für eine massvolle weitere Entwicklung des Fremdenverkehrs schaffen, der nicht zu stark durch staatliche Eingriffe und bürokratische Hürden behindert wird.177 4.4.1.3 Soziale Ziele Im Sozialbereich sollten die tourismuspolitischen Massnahmen die Lebensqualität sowie den Freizeitnutzen der involvierten Menschen erhöhen. Die sozialen Ziele werden in der heutigen Tourismuspolitik aber nur unzureichend berücksichtigt, da die Politiker oft dazu neigen, die Tourismuspolitik mit Tourismusmarketing zu verwechseln, in dem die Einheimischen keinen Platz haben.178 Der Fremdenverkehr kann für die einheimische Bevölkerung Einschränkungen in ihrer Selbstbestimmung bedeuten, Störungen des familiären und gesellschaftlichen Zusammenlebens bewirken sowie kulturelle Verflechtung und Verlust von ihrer Identität hervorrufen. Um dies zu verhindern, müssen die geplanten Massnahmen auf ihre Verträglichkeit mit Moral, Tradition und Sozialkultur geprüft werden. Im Weiteren sollte bei der Festlegung der 174 175 176 177 178 Vgl. Freyer (1996), S. 270 f. Kramer (1990), S. 12. Vgl. Freyer (1996), S. 271. Vgl. Metzler (1990), S. 35. Vgl. Kramer (1997), S. 23; Smeral (1999), S. 139. 58 sozialen Ziele auf eine gerechte Verteilung innerhalb der Gesellschaft geachtet werden, damit auch den einkommensschwachen Schichten die Teilnahme am Fremdenverkehr ermöglicht wird. Denkbare Massnahmen wären beispielsweise der Bau von Erholungseinrichtungen für Familien oder eine Förderung des Jugendaustausches.179 Neben den oben erwähnten Zielen verfolgt die Tourismuspolitik auch andere Zielsetzungen. Diese treten aber entweder in den Hintergrund oder werden als Unterkategorien der drei genannten Zielbereiche behandelt. Als solche sind z.B. medizinische, raumplanerische, juristische und pädagogische Vorhaben zu nennen. Die Tourismuspolitik muss ebenfalls dort aktiv werden, wo ideelle Strategien nötig sind und dadurch das Tourismusbewusstsein der Bevölkerung gefördert wird – eine positive mentale Einstellung zum Tourismus übt auf ihren Erfolg einen grossen Einfluss aus.180 Daraus ergibt sich, dass die Zielsetzungen der Tourismuspolitik aufgrund ihres Querschnittscharakters viele andere Bereiche tangieren. Soll die Wirksamkeit der Fremdenverkehrspolitik nicht in Frage gestellt werden, muss mindestens ein gewisser Grad an Kompatibilität unter den verfolgten Zielen gewährleistet werden. Im Optimalfall sind die Zielsetzungen so zu gestalten, dass dabei Synergien entstehen und genutzt werden. Von dieser idealen Vorstellung ist man in der Praxis aber noch entfernt – vor allem die Dominanz von wirtschaftlichen Zielen und die Durchsetzung von eigennützigen politischen Interessen machen ein koordiniertes Vorgehen nicht möglich.181 4.5 Die Ausgestaltung der Tourismuspolitik Die Aufgaben der Tourismuspolitik können unterschiedlich ausgestaltet werden. Ihre Ausgestaltung ist, ähnlich wie ihre Zielsetzung, in erster Linie von der herrschenden Gesellschaftsund Wirtschaftsordnung jedes einzelnen Landes abhängig. In der Marktwirtschaft werden beispielsweise rein strukturpolitische Eingriffe zunehmend abgelehnt, da man davon ausgeht, dass die Tourismuspolitik eher einen ordnungspolitischen Charakter haben soll und sich an der Schaffung von gut funktionierenden Rahmenbedingungen für die Privatwirtschaft zu orientieren hat. In den Planwirtschaften wurde im Unterschied dazu eine äusserst aktive Strukturpolitik betrieben und den Privaten für ihre Aktivitäten fast kein Freiraum belassen. In der deutschsprachigen Literatur bürgte sich folgende Differenzierung der Fremdenverkehrspolitik nach ihrer Ausgestaltung ein: Ordnungspolitik, Strukturpolitik, universelle Planungsaufgabe, pragmatische Tourismuspolitik und konzeptionelle Tourismuspolitik. In den neuen Ansätzen kommt noch ihre Ausgestaltung als ein normativer Teil des Destinationsmanagements dazu. 4.5.1 Tourismuspolitik als Ordnungspolitik Im Rahmen der Ordnungspolitik erlässt der Staat die rechtlichen, ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für eine privatwirtschaftliche Ausgestaltung des Tourismus. Diese Art Politik ist stark durch den Liberalismus geprägt. Der Staat sollte dem Einzelnen möglichst grosse Freiheit gewährleisten, um die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern; wo179 180 181 Vgl. Freyer (1996), S. 271. Vgl. Asper (1997), S. 166 f. Vgl. Kap. 4.4.1.1 und 4.8.2. 59 bei heutzutage die Politik eines vollständigen „Laisser-faire“ aber gesellschaftlich sowie ökologisch nicht vertretbar ist. Die Existenz von Marktversagen und Marktablehnung verlangen nach einer staatlichen Regulierung – ohne diese würden die mächtigen Unternehmen in manchen Regionen keinen Raum für weitere Aktivitäten lassen und die Umweltzerstörung sowie soziale Spannungen wären mit grosser Wahrscheinlichkeit eine weitere Folge der Lenkung allein durch Marktkräfte.182 Eine gewisse staatliche Regulierung ist somit eine conditio sine qua non zum Schutz anderer Staatsziele. Zu den ordnungsrechtlichen Massnahmen gehören vor allem:183 • Regulierung des touristischen Angebotes durch Konzessionierung, Beaufsichtigung und Kontrolle (besonders in Gastgewerbe, Reisevermittlung und Transport), • Beeinflussung der Nachfrage durch Pass- und Visumszwang, Ein- und Ausreisebeschränkungen und die Regelung der Betriebs- und Schulferien, • Konsumentenschutz durch ein besonderes Reiserecht, • Koordinierung der Preise touristischer Leistungen durch kartellrechtliche Bestimmungen, • Harmonisierung der Kosten durch die Steuer-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie durch die sozialen Einrichtungen der Berufsverbände, • Gewährleistung des freien Wettbewerbes und Schaffung von Markttransparenz durch geeignete Werbemassnahmen. In den entwickelten Ländern geht es vor allem um die Gewährleistung von Rahmenbedingungen für eine privatwirtschaftlich organisierte Tourismusbranche; in den ärmeren Ländern wird mittels der Ordnungspolitik auch der Zugang zum Markt erleichtert. In den meisten Zentralplanwirtschaften existierte die Ordnungspolitik in dem oben beschriebenen Sinne aufgrund der Absenz von privatwirtschaftlichen Aktivitäten nicht. Während der Transformation wird der Ordnungspolitik dagegen eine grosse Bedeutung zugemessen, da eine möglichst schnelle Ausgestaltung der passenden Rahmenbedingungen für die Tourismusentwicklung eine entscheidende Rolle spielt. Je mehr ein Land vom Fremdenverkehr abhängig ist, desto freundlicher sollten die Rahmbedingungen ausgestaltet werden. 4.5.2 Tourismuspolitik als Strukturpolitik Bei einer zunehmenden strukturellen Gefährdung einer Branche oder einer Region werden rasch staatliche Massnahmen gefordert. Dies gilt auch für die Tourismusbranche. Ausserdem kann kaum bestritten werden, dass man heute ohne beträchtliche Leistungen der öffentlichen Hand die touristische Entwicklung in vielen Ländern überhaupt noch in Gang bringen würde.184 Das staatliche Engagement wird durch das öffentliche Interesse am Fremdenverkehr als eine wirtschaftliche Schlüsselbranche und durch die besonderen Markt- und Produktionsbedingungen, die häufig die Merkmale eines Marktversagens oder einer Marktablehnung tragen, begründet.185 182 183 184 185 Vgl. Iwersen-Sioltsidis/Iwersen (1997), S. 155; Krippendorf (1996), S. 154. Vgl. Kaspar (1996), S. 157 ff. Vgl. Handels- und Industrieverein (1999), S. 24. Vgl. Kap. 4.3.1. 60 Wenn der Tourismus zur Erreichung wichtiger wirtschaftspolitischer Zielsetzungen beitragen soll, ist eine aktive Tourismuspolitik im Rahmen der Strukturpolitik nach Keller notwendig. Sie ist nicht mehr nur Domäne der Entwicklungs-, Schwellen- und der zentralplanwirtschaftlich orientieren Länder, sondern sollte auch von den entwickelten Ländern betrieben werden. Die staatlich geförderten Investitionen führten in vielen Ländern zur Aufwertung und zum Ausbau der touristischen Infra- und Suprastruktur sowie zum Gewinn neuer Marktanteile. Die staatliche Tourismuspolitik sollte vor allem auf den Strukturwandel fokussiert werden. Wenn die Förderungsmassnahmen auf Subventionierung ausgerichtet sind und die Tourismuspolitik somit zu einer Schutzpolitik umfunktioniert wird, wird ihre Wirksamkeit besonders aus der langfristigen Perspektive in Frage gestellt.186 Zu den strukturpolitischen Massnahmen gehören beispielsweise:187 • Finanzielle Hilfe zur Verstärkung der touristischen Infra- und Suprastruktur, • Beiträge an die Tourismuswerbung, • Unterstützung der Tourismusforschung, • Ausbildungsförderung, • Massnahmen zugunsten finanziell erleichterter Ferien, • Beiträge an Orts- und Regionalplanung, • Förderung der Betriebsberatung. Ein starker Einfluss auf die Tourismusbranche geht auch von den Massnahmen aus, die in Bereichen wie Konjunktur-, Geld-, Währungs-, Wettbewerbs-, Steuer-, Sozial- und Aussenpolitik die allgemeinen Rahmenbedingungen für das Funktionieren der Wirtschaft festlegen. Obwohl die in diesen Bereichen getroffenen Massnahmen den Fremdenverkehr lediglich beiläufig und unbeabsichtigt beeinflussen, haben sie eine nicht zu unterschätzende Auswirkung auf ihn.188 In den Industrieländern wird das Betreiben einer reinen Strukturpolitik immer mehr durch das Argument einer Strukturverzehrung durch staatliche Massnahmen in Frage gestellt. So ist nach Bieger offen, „ob beispielsweise nicht durch eine Innovationsförderungspolitik zugunsten der KMU eine überholte Struktur künstlich am Leben gehalten wird.“189 Daran, dass eine Tourismuspolitik als strategische Handelspolitik im Sinne des „managed trade“ betrieben werden muss, wenn die Tourismusbranche zu den strategischen Wirtschaftsbereichen eines Landes gehören soll, wird aber nicht gezweifelt. Somit bleibt die Frage nach der richtigen Dosis von staatlichen Eingriffen in die Tourismuswirtschaft weiterhin unbeantwortet. In den zentralplanwirtschaftlich organisierten Ländern wurde eine äusserst aktive Strukturpolitik praktiziert, da dies die staatliche Planung massgeblich vereinfachte. Ausserdem gab es neben dem Staat zumeist keine anderen Subjekte, welche die tourismuspolitischen Aktivitäten mitfinanzierten. Nach der Wende wurden viele strukturpolitische Massnahmen gestrichen und von einer reinen Strukturpolitik abgesehen. Während des anfänglichen touristischen Booms 186 187 188 189 Gelegentlich wird in diesem Zusammenhang von einer „Agrarisierung“ des Tourismus gesprochen. (Vgl. Handels- und Industrieverein [1999], S. 24; Keller [1998a], S. 97 und [1999], S. 45). Vgl. Kaspar (1996), S. 160. Vgl. Kaspar (1996), S. 160 f. Bieger (2001), S. 14. 61 zog sich der Staat aus der aktiven Tourismuspolitik stark zurück und überliess das Funktionieren der Tourismuswirtschaft zum grossen Teil den Privaten. In der heutigen Phase der Stagnation wird aber ein verstärktes staatliches Engagement wieder verlangt, da die Privatsubjekte unter den veränderten Bedingungen nicht mehr fähig sind, das Tempo der Tourismusentwicklung aus eigener Kraft beizubehalten. Der Staat wird vor allem als Verstärkung zur Unterstützung der KMU, der Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Tourismusbranche und zur vermehrten Bereitstellung öffentlicher Güter gerufen. 4.5.3 Pragmatische Tourismuspolitik Im Rahmen der pragmatischen Tourismuspolitik erfolgen die staatlichen Eingriffe vor allem fallweise, aufgrund aktueller Entwicklung und Erfordernisse. Es herrscht eine gewisse Konzeptionslosigkeit und die Anpassung an die herrschenden Verhältnisse ist sehr elastisch. Die pragmatische Fremdenverkehrspolitik hat den Vorteil hoher Flexibilität, da sie sehr schnell auf die Veränderungen reagieren kann. Dem steht aber der Nachteil der ungenügenden Koordination gegenüber, da sich die getroffenen Lösungen oft auf kurzfristige, aufeinander nicht abgestimmte Ziele beziehen. Eine pragmatisch ausgerichtete Tourismuspolitik wirkt sich folgendermassen aus:190 • Unrealistische Hoffnung auf Selbstregulierung der touristischen Entwicklung, • Ungenügende Anerkennung der volkswirtschaftlichen Bedeutung des Tourismus, • Verlust von Synergieeffekten als Folge der mangelnden Koordination, • Häufige Konfrontationen, weil gemeinsame Orientierungspunkte fehlen, • Kurzfristig orientierte Denk- und Handlungsweise vieler Entscheidungsträger. Das pragmatische Handeln basiert auf der Privatinitiative einerseits und auf der dezentralisierten Aufgabenteilung andererseits. Das doppelte Subsidiaritätsprinzip sieht staatliche Eingriffe nur dann vor, wenn die Möglichkeiten von Privaten bzw. Regionen und Gemeinden nicht ausreichen. In den Transformationsländern wurde in den ersten Jahren nach dem Systemwechsel eine pragmatische Fremdenverkehrspolitik praktiziert. In der Zeit des boomenden Tourismus legte der Staat nur die nötigsten Rahmenbedingungen fest und überliess die restlichen tourismuspolitischen Aktivitäten den Privaten. Zu staatlichen Interventionen kam es nur bei schwerwiegenden Fehlentwicklungen oder wenn sich gewisse Probleme zuspitzten. Da die Tourismusentwicklung in dieser Zeit aber „von selber“ verlief und die Besucherzahlen und Deviseneinnahmen im Steigen begriffen waren, machten sich die Tourismusverantwortlichen keine Gedanken über eine andere Ausgestaltung der Tourismuspolitik. Obwohl die pragmatische Tourismuspolitik am ehesten der Konzeption einer liberalen Marktwirtschaft entspricht, neigt die weltweite Tourismusentwicklung zu konzeptioneller Ausgestaltung, welche von einer Konzeption getragen wird. Beim Rückgang der touristischen Nachfrage wird zum Konzept des Destinationsmanagements gegriffen, dessen Einsatz die Wiedererlangung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit sichern soll.191 Eine querschnittsorientierte Tourismuspolitik, die ihrer Funktion im Rahmen der Gesamtpolitik gerecht werden soll, verlangt immer mehr nach einer umfassenden Betrachtungsweise und damit nach einem 190 191 Vgl. Fischer (1985), S. 61. Vgl. Kap. 4.5.4. 62 konzeptionellen Vorgehen. Die pragmatische Handlungsweise sollte deshalb nur ausnahmsweise oder wenn ein rasches Handeln angesagt ist, zum Zug kommen; in anderen Fällen ist dem Beschluss und der Verfolgung einer im Voraus festgelegten tourismuspolitischen Strategie der Vorzug zu geben. 4.5.4 Konzeptionelle Tourismuspolitik Die konzeptionelle Tourismuspolitik wird im Gegensatz zur pragmatischen Fremdenverkehrspolitik von einer Konzeption mit mehr oder weniger zwingendem Charakter getragen. Der Tourismuspolitik wird ein bestimmtes Konzept zugrunde gelegt, an dem sie sich zu orientieren hat. Im Konzept werden die Ziele festgelegt und die Massnahmen zu ihrer Erreichung vorgeschlagen – es ist dann als ein Führungsinstrument für eine gezielte, marktgerichtete und koordinierte Tourismuspolitik zu verstehen. Mit Recht kann die Frage gestellt werden, ob in der freien Marktwirtschaft eine überbetriebliche Planung überhaupt notwendig, zweckmässig und erlaubt ist. Nach Kaspar/Würzl scheint aufgrund der Komplexität des Tourismus auch in marktwirtschaftlich orientierten Ländern eine gewisse Koordination unabdingbar. Ein Konzept soll jedoch überwiegend nur eine Handlungsanweisung für alle Beteiligten darstellen. An die Stelle der Zwangsdurchführung treten die Überzeugung und das Wissen, dass die Verwirklichung des Konzeptes Vorteile für jeden mit sich bringt.192 In den zentralplanwirtschaftlich orientierten Ländern bildete das Konzept der Tourismusentwicklung einen Teil der staatlichen Planung, war für alle Beteiligten verbindlich und konnte mit Zwangsmassnahmen durchgesetzt werden. In der Anfangsphase der Transformation wurde eine pragmatische Tourismuspolitik betrieben. Die Vorteile einer konzeptionellen Ausgestaltung wurden erst später erkannt. In der Praxis stösst jedoch auch die konzeptionelle Tourismuspolitik an ihre Grenzen. Das Hauptproblem liegt in der Umsetzung der Ziele und im Vollzug von Massnahmen, welche oft nur einen unverbindlichen Charakter besitzen. Bekannt sind Sprüche wie „der Konzepte gab es viel, doch dann verlor sich schnell das Ziel“ oder „das Konzept war klar, nur vergass man schnell, was war“.193 Man kann viele Projekte finden, die zwar konzeptionell optimal waren, aber in dieser Form nie umgesetzt wurden. Umgekehrt findet man auch Konzepte, die aufgrund ihres politischen Charakters zu idealistisch und somit wirtschaftlich nicht durchsetzbar waren. Dies zeigt, dass die Probleme der Tourismusbranche im Wesentlichen bekannt sind und dass die Defizite eher im politischen Bereich liegen.194 Für das Scheitern von Tourismuskonzepten werden in den deutschsprachigen Publikationen vor allem folgende Gründe genannt:195 192 193 194 195 • Abhängigkeit der Ziele von den politischen Entscheiden, deren Verwirklichung auf Dauer nicht gewährleistet ist, • Unzureichende Konkretisierung der Ziele im Sinne einer eigentlichen Unternehmensstrategie, Vgl. Kaspar/Würzl (1994), S. 12 f. Iwersen-Sioltsidis/Iwersen (1997), S. 165 f. Vgl. Kap. 4.8.2. Vgl. Linde/Roth (1983), S. 58 f.; Kaspar (1993), S. 57; Bieger (1996), S. 6; Fischer (1985), S. 185 f.; Krippendorf/Krammer/Müller (1989), S. 126; Becker/Job/Witzel (1996), S. 82 f; Chatzakis (1998), S. 43 f. 63 • Ausarbeitung des Konzeptes aufgrund einer lückenhaften statistischen Grundlage, • Zu starre Formulierung ohne Anpassung an laufende Veränderungen, • Ablehnung des Konzeptes durch unzureichend berücksichtigte Gruppen, • Zersplitterung der Kompetenzen und die daraus folgenden Koordinationsprobleme, • Ungenügende Prüfung der möglichen Auswirkungen der getroffenen Massnahmen, • Voranstellung der kurzfristigen Gewinnoptik. Die Gründe lassen erkennen, dass das ganzheitliche Denken und Handeln auch bei der konzeptionellen Ausgestaltung der Tourismuspolitik immer noch zu kurz kommt. Dieses ist im Tourismus jedoch dringend geboten, da die meisten Investitionen sehr kostspielig sind und überwiegend irreversible Prozesse auslösen. Trotz der oben erwähnten Probleme bei der Ausarbeitung und Realisierung der Konzepte wird in vielen Ländern eine konzeptionelle Tourismuspolitik den anderen möglichen Formen bevorzugt. In der neuen Forschung werden die Tourismuskonzepte jedoch in Frage gestellt und die Ausgestaltung der Tourismuspolitik in den Zusammenhang mit dem Lebenszyklus der Branche gebracht. So ist nach Bieger die Zeit der klassischen Tourismuskonzepte vorbei, da deren Zweck – die Entwicklung des Tourismus in geordnete quantitative und qualitative Bahnen zu lenken – in vielen Ländern nicht mehr der Realität entspricht. Gelangt die touristische Entwicklung in ihre Reifephase, plädiert er für die marktorientierte Tourismusplattform als das richtige Planungsinstrument. Beim Rückgang der touristischen Nachfrage sollten die auf den Kernkompetenzen basierenden Destinationsstrategien zum Zug kommen.196 4.5.5 Tourismuspolitik als normativer Teil des Destinationsmanagements Die Ausgestaltung der Tourismuspolitik als ein normativer Teil des Destinationsmanagements197 geht auf die Tatsache zurück, dass viele Industrieländer heutzutage mit der Stagnation ihrer Tourismusbranche und mit dem Rückgang der touristischen Nachfrage zu kämpfen haben. Das Destinationsmanagement bietet einen konzeptionellen Ansatz, wie diese Schwächen der Tourismuswirtschaft überwunden werden können. Den Hintergrund der Ausrichtung seiner zentralen Aufgaben bildet die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit von Destinationen. Unter Destination wird ein geographischer Raum mit sämtlichen für den Aufenthalt notwendigen Einrichtungen für Beherbergung, Verpflegung und Unterhalt, den der jeweilige Gast als Reiseziel auswählt, verstanden.198 Die Abgrenzung von Destinationen ist von besonderer Wichtigkeit – solange darüber kein Verständnis existiert, fehlt der Tourismuspolitik ein festes Fundament, auf dem sie aufbauen kann. Das Destinationsmanagement geht davon aus, dass Destinationen als Unternehmen, die sich in einem Konkurrenzumfeld befinden, geführt werden müssen. Da der potentielle Kunde die für ihn geschaffenen Werte untereinander vergleicht, sind die Destinationen auch als Produkte der eigentlichen touristischen Wettbewerbseinheiten zu verstehen.199 Für die Erhöhung ihrer Wettbewerbsfähigkeit ist die Identifizierung und Entwicklung von Kernkompetenzen von vorrangiger Wichtigkeit. Die Kernkompetenzen können beispielsweise in der Art der Gestal196 197 198 199 Vgl. Bieger (1996), S. 5 ff. und (1998), S. 4 f. Vgl. Haedrich (2001), S. 8. Vgl. Bieger (1996), S. 2. Vgl. Keller (1998), S. 41; Bieger/Beritelli (1996), S. 430; Bieger (1996), S. 1. 64 tung von Tourismusprodukten, in ihrer Vermarktung, in der Kultur und Gastfreundlichkeit der Einwohner oder im Umgang mit externen Effekten bestehen. Sie ermöglichen Erschliessungen neuer Märkte oder Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit in bestehenden Märkten durch neue Leistungen sowie Produkt- und Prozessinnovationen. Für die Umsetzung solcher Destinationsstrategien sind insbesondere eine prozessorientierte ganzheitliche Sichtweise, Kundenorientierung, zielorientiertes Wissensmanagement, überbetriebliche Kooperationen und gute Koordination unabdingbar.200 Das Destinationskonzept ist in den 90er Jahren in den entwickelten Ländern zu einem Schlagwort geworden. Von seiner Realisierung erhofft man sich die Überwindung der tourismuswirtschaftlichen Stagnation und insbesondere die Wiedererlangung von internationaler Wettbewerbsfähigkeit. In einigen Transformationsländern wird sein möglicher Einsatz geprüft. Die Frage, ob das Destinationsmanagement wirklich ein taugliches Konzept für die Förderung der touristischen Nachfrage darstelle oder nur als eine Übergangsform für eigene Unternehmenslösungen zu betrachten sei, bleibt aber auch in den entwickelten Ländern noch unbeantwortet. Zweifellos ist jedoch eine Tourismuspolitik, verstanden als potentiell erfolgreiche Destinationspolitik, eine komplexe Aufgabe und stellt sowohl die staatlichen als auch die privaten Institutionen vor grosse und neue Herausforderungen. 4.5.6 Tourismuspolitik als universelle Planungsaufgabe In manchen Regionen und Staaten wird die Tourismuspolitik als allgemeine Planungsaufgabe verstanden. Die Aufgabe der öffentlichen Stellen ist es, eine universelle und ausgewogene touristische Entwicklung zu gewährleisten und damit zur Erfüllung der übergeordneten Ziele beizutragen. Der Ausbau des Tourismus mit umfassender staatlicher Planung und Finanzierung wird heutzutage vor allem in Entwicklungsländern erwartet, da die privaten Unternehmungen die Tourismusentwicklung ohne eine umfangreiche staatliche Unterstützung und Planung kaum noch in Gang bringen könnten. Die Ausgestaltung der Tourismuspolitik als staatliche Planungsaufgabe war auch für die osteuropäischen Länder typisch. Der Fremdenverkehr war in die zentralen Wirtschaftsstrukturen eingegliedert, die wichtigen Entscheidungen wurden zentral gefällt und anstelle der Koordination trat die Subordination der Organe unter einen Willen. Die Entscheidungen orientierten sich nicht an den Bedürfnissen und der Nachfrage auf dem Markt, sondern an den in der zentralen Planung für touristische Zwecke zur Verfügung stehenden materiellen, finanziellen und personellen Kapazitäten. Die für die Tourismuspolitik verantwortlichen Organe hatten sich besonders an die ideologischen Zielsetzungen der Kommunistischen Partei zu halten und die wirtschaftlichen Überlegungen spielten eine untergeordnete Rolle. Für private Aktivitäten blieb in den meisten Ländern aufgrund der fehlenden marktwirtschaftlichen Strukturen und der Verdrängung jeglicher Unternehmenstätigkeit kein Platz. Zu anderen Ausgestaltungsformen der Tourismuspolitik wurde erst während der Transformation übergegangen. 200 Vgl. Bieger (1996), S. 8 ff. 65 4.6 Träger der Tourismuspolitik Die verschiedenartigen Interessen am Tourismus führen zu einer Vielzahl von Gruppen, die auf die Fremdenverkehrspolitik Einfluss nehmen wollen. Aus diesem Grund gibt es zahlreiche Träger der Tourismuspolitik,201 die mit entsprechenden Aufgaben beschäftigt sind. Sie unterscheiden sich grundsätzlich hinsichtlich der Planungs- und Politikebene, ihrer rechtlichökonomischen Organisationsform sowie der damit zusammenhängenden Kompetenzen. Aufgrund von der Organisationsform werden sie üblicherweise in öffentliche, private und gemischte eingeteilt. In vielen Bereichen der Politik werden die Ziele und Massnahmen vor allem durch öffentliche Organe bestimmt. In den marktwirtschaftlich orientierten Ländern sind jedoch auch zahlreiche private und gemischte Akteure in einem beachtlichen Umfang an der Mitgestaltung der Tourismuspolitik beteiligt. Die Gliederung der Träger erfolgt vorwiegend nach Eigentumsformen, Zielsetzungen sowie Einnahmequellen:202 • Staatliche Träger umfassen die öffentlichen Organe auf verschiedenen Ebenen. Diese sind mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet. Es sind Ministerien, deren Referate, Ämter und Verwaltungen. Verschiedene Gebietskörperschaften wie Gemeinden, Städte und Regionen oder deren Vereinigungen, die sich tourismuspolitisch betätigen, gehören ebenfalls dazu. • Private Träger befinden sich in privatwirtschaftlichem Eigentum und erzielen ihre Erlöse über den Markt. Dabei handelt es sich um verschiedene Tourismusbetriebe, Einzelpersonen und Vereinigungen. • Zu den Mischformen gehören Organisationen, die ein gemeinwirtschaftliches Interesse verfolgen sowie jene, die teils private und teils öffentliche Mitglieder haben. Die zahlreichen Tourismusvereine handeln einerseits im Auftrag ihrer Mitglieder und vertreten damit privatwirtschaftliche Interessen, andererseits verfolgen sie aber auch gemeinwirtschaftliche Ziele. Nach den gesellschaftlichen Ebenen werden die Träger der Tourismuspolitik in internationale, nationale, regionale und lokale eingeteilt. Die Institutionen auf der nationalen, regionalen und lokalen Ebene unterscheiden sich von Land zu Land. Es gibt Länder, wie beispielsweise Spanien und Italien, die ein eigenes Ministerium für Tourismus haben, das über ein breites Spektrum von Kompetenzen verfügt. In anderen Ländern sind die touristischen Kompetenzen auf mehrere Organe auf verschiedenen Hierarchiestufen verstreut und die Koordination ihrer Aktivitäten lässt oft zu Wünschen übrig. Auf der internationalen Ebene beschäftigt sich eine Vielzahl von Organisationen mit Fragen des Tourismus. Innerhalb der Pluralität staatlicher und zwischenstaatlicher Institutionen, Verbände und einzelner wirtschaftlicher Akteure sind diverse Formen der Kooperation zwischen öffentlicher Hand und Privaten zu finden. Zu den wichtigsten überstaatlichen Trägern der Tourismuspolitik zählen folgende Gemeinschaften und Organisationen:203 201 202 203 Als Synonym werden auch die Begriffe „Akteure, Instanzen, Institutionen, Organe und Organisationen“ verwendet. (Vgl. Greuter [2000], S. 84). Vgl. Freyer (1996), S. 264 f. und (1998), S. 279 f. Eine gute Übersicht der überstaatlichen Organisationen findet man in Kaspar (1996), S. 184 und Freyer (1998a), S. 98. 66 • UNO: Im Rahmen der Vereinten Nationen sind mehrere Unterorganisationen mit touristischen Fragen beschäftigt. Durch den Rio-Gipfel im Juni 1997 ist der Tourismus zu einem Schwerpunktthema der UNO geworden. • WTO: Die wohl wichtigste übernationale Organisation ist die Weltorganisation für Tourismus. Sie proklamiert als oberste Ziele die Freizügigkeit, offene Grenzen und die Möglichkeit aller Menschen auf der Welt am Tourismus teilnehmen zu können. Fremdenverkehr wird als wichtiger Schritt zum internationalen Frieden angesehen. Die UNO hat die WTO als zentrale fachliche Koordinationsinstanz im Bereich des Tourismus bestätigt. Zurzeit sind 138 Staaten Mitglieder, daneben gibt es mehr als 350 nicht-ordentliche Mitglieder, darunter zahlreiche Firmen. • OECD: Die Aufgabe der OECD ist es, die 29 Mitgliedstaaten bei der Entwicklung von Regierungsprogrammen zu beraten und für die notwendige Abstimmung zwischen den nationalen Politiken zu sorgen. Mit den tourismuspolitischen Fragestellungen beschäftigt sich das Tourismuskomitee. Im Vordergrund der heutigen Tätigkeit stehen die Analyse der wirtschaftlichen Bedeutung des Fremdenverkehrs und der Einsatz für eine nachhaltige Tourismusentwicklung. • EU: Die EU verfügt über keine vertraglich festgelegten tourismuspolitischen Kompetenzen. Sie soll aufgrund des Subsidiaritätsprinzips nur dann aktiv werden, wenn die Mitgliedstaaten selbst nicht in der Lage sind, Lösungen in einem bestimmten Bereich zu finden. Gestützt auf die Generalermächtigung in Art. 308 des EG-Vertrages übt die EU dennoch zunehmend Einfluss auf den Tourismus aus – der Streit über ihre Kompetenzen auf diesem Gebiet ist deshalb voll im Gange.204 Nicht-staatliche Organisationen, die sich mit Tourismus befassen, gibt es viele. Sie versuchen, die Interessen ihrer Mitglieder auf übernationaler Ebene zu verwirklichen. Zu den Bekanntesten gehören:205 204 205 • AIEST: Die internationale Vereinigung wissenschaftlicher Tourismusexperten vereinigt Personen, die wissenschaftlich im Bereich Tourismus tätig sind oder die wissenschaftliche Tätigkeit besonders fördern. • IATA: Der wohl bekannteste Zusammenschluss in der Flugbranche ist die International Air Traffic Association, in der über 100 Fluggesellschaften versuchen, den internationalen Flugverkehr nach ihren Interessen zu regeln. • WTTC: World Travel and Tourism Council ist eine 1990 gegründete Organisation mit internationaler Mitgliedschaft von meist Vorstandsvorsitzenden grosser Tourismusunternehmen. Ihr Ziel ist die Förderung des Fremdenverkehrs auf der höchsten Ebene der Politik – die Regierungen sollen von der strategischen und wirtschaftlichen Bedeutung des Tourismus überzeugt werden. • CECTA: Die 1999 gegründete Central European Countries Travel Association verband ursprünglich die nationalen Tourismuszentralen von Tschechien, Ungarn, Deutschland, Polen und Österreich. Heutzutage gehören zu ihren Mitgliedern aber Vgl. Kap. 9.7.1. Eine gute Übersicht der privaten Organisationen findet man in Petermann/Wennrich (1999), S. 176 ff. 67 auch viele private Organisationen. Das Ziel der Assoziation ist es vor allem, eine gemeinsame Tourismuswerbung zu betreiben. Die Aufteilung der tourismuspolitischen Kompetenzen und Aufgaben auf verschiedene Träger ist vor allem von den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen in einem bestimmten Land abhängig. In den marktwirtschaftlich orientierten Ländern sind die privaten und gemischten Träger an der Mitgestaltung der Tourismuspolitik in einem beachtlichen Umfang beteiligt. In den Zentralplanwirtschaften war dagegen die Einflussnahme anderer als staatlicher Organe unerwünscht und deshalb häufig nicht zugelassen. Die Tourismusentwicklung wurde vom Staat mittels der staatlichen Planung in die gewünschte Richtung gesteuert. Typisch war eine Konzentration der tourismuspolitischen Kompetenzen auf nationaler Ebene, was die Planung massgeblich vereinfachte. In den Industrieländern besteht dagegen eher eine Tendenz zur Dezentralisierung und Verteilung der Kompetenzen an verschiedene Träger auf mehreren Ebenen. Davon erhofft man sich das Entstehen einer Konkurrenz unter touristischen Regionen und darauf folgend eine Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf dem Markt. 4.7 Instrumente der Tourismuspolitik Zur Steuerung der touristischen Entwicklung stehen den Trägern der Tourismuspolitik verschiedene Instrumente zur Verfügung.206 Diese stammen aus der Vielzahl der staatlichen und privaten Massnahmen der verschiedenen Politikbereiche eines Landes. Ihr Bestand ist nicht unveränderlich, je nach der aktuellen Situation sowie herrschenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen kann der Gebrauch von bestimmten Mitteln ausgeschlossen, beschränkt oder gefördert werden. Aus volkswirtschaftlicher Sicht können die einzelnen Instrumente auf die Beeinflussung sowohl des Angebots als auch der Nachfrage ausgerichtet sein. Sie können jedoch auch auf den touristischen Markt als Ganzes einwirken, wobei ihre Einflussnahme auf direkte oder indirekte Weise erfolgen kann. Die direkten Instrumente lassen sich gewöhnlich unterscheiden in:207 206 207 • Konstitutive Instrumente: Es handelt sich dabei um Massnahmen, die auf die institutionelle Umorganisation in einem politischen Umfeld gerichtet sind. Neue Organisationsformen bieten die Möglichkeit, alte Strukturen abzulösen und, was besonders im Tourismus notwendig erscheint, Koordination und Kooperation innerhalb der Branche sowie mit anderen Bereichen zu gewährleisten. • Ordnungsrechtliche Instrumente: Mit ordnungsrechtlichen Regelungen schaffen öffentliche Träger den gesetzlichen Rahmen, der für die touristische Entwicklung massgebend ist. Mit Hilfe von Geboten, Verboten oder anderen Massnahmen wird in die Handlungsfreiheit der Betroffenen eingegriffen. Je nach dem herrschenden Gesellschafts- und Wirtschaftssystem wird für die Aktivitäten der Privaten ein Freiraum unterschiedlichen Umfanges geschaffen. Der Gefahr der möglichen Überregulierung steht der Vorteil der konsequenten Umsetzung gegenüber. Die Begriffe „Instrument, Instrumentvariable, Aktionsparameter, Mittel, Massnahme, Werkzeug, Eingriff und Intervention“ werden in der Literatur meist gleichbedeutend verwendet. (Vgl. Tuchtfeldt [1993], S. 14; Koch/Czogalla [1999], S. 48). Zur Aufzählung der direkten Instrumente vgl. Kahlenborn/Kraack/Carius (1999), S. 82 ff.; Petermann/Hutter/Wennrich (1998), S. 161 ff. 68 • Fiskalische Instrumente: Über die Erhebung oder Entlastung von Steuern und Abgaben kann der Staat in tourismuspolitische Bereiche eingreifen und dabei Einfluss auf Angebot und Nachfrage nehmen. Er kann z.B. durch einen ermässigten Satz für die Mehrwertsteuer die nachhaltigen Tourismusprodukte vergünstigen und die Nachfrage nach ihnen stimulieren. • Förderungsmittel: Mit der Hilfe von Förderungsmitteln kann der Staat beispielsweise steuernd auf die Entwicklung der touristischen Infra- und Suprastruktur eines Standortes einwirken oder die Tourismus-Teilnahme von sozial schwachen Gruppen unterstützen. Wichtig ist, dass der Einsatz gezielt und koordiniert erfolgt und die Tourismuspolitik nicht zu einer Politik mit Subventionscharakter umfunktioniert wird. • Gütesiegel und Umweltwettbewerbe: Es handelt sich um Massnahmen, welche die umweltfreundliche und nachhaltige Gestaltung von touristischen Dienstleistungen unterstützen sollen. Sie sind marktwirtschaftlich orientiert und werden ebenfalls als weiche Steuerungsinstrumente bezeichnet. • Informatorische und partizipatorische Instrumente: Aufklärungskampagnen oder Beratungsmöglichkeiten zielen auf einen Verhaltenswandel bei Kunden sowie bei Anbietern in die gewünschte Richtung. Partizipatorische Instrumente werden zumeist auf der lokalen Ebene eingesetzt mit dem Ziel, alle Betroffenen an den touristischen Projekten zu beteiligen und sie für die touristischen Angelegenheiten zu sensibilisieren. • Bildungspolitische Instrumente: Die Integration von bestimmten Themen in touristische Aus- und Weiterbildung soll zu einer zukünftig langfristig orientierten Verhaltensänderung auf der Nachfrage- sowie Angebotsseite beitragen. • Forschungsförderung: Mit der Unterstützung der Forschung wird ein Beitrag zur Überwindung bestehender Probleme im Tourismus geleistet. Durch die entsprechende Themenstellung können ebenfalls die bisher noch nicht erkannten Probleme publik gemacht werden und nach entsprechenden Lösungen gesucht werden. Ausser den oben erwähnten direkten Instrumenten, die hauptsächlich oder ausschliesslich aus dem Fremdenverkehr heraus begründet werden, gibt es eine ganze Reihe von indirekten Massnahmen. Diese haben in erster Linie nicht den Tourismus zum Gegenstand, tangieren ihn aber massgeblich, da er mit vielen anderen Bereichen eng vernetzt ist. Indirekte tourismuspolitische Massnahmen findet man zum Beispiel in der Umwelt-, Verkehrs-, Raumplanungsund Ausländerpolitik. Einen starken Einfluss auf den Fremdenverkehr üben auch diejenigen Massnahmen aus, welche die allgemeinen Rahmenbedingungen für alle Wirtschaftssubjekte festlegen, wie die Konjunktur-, Arbeits-, Geld-, Währungs-, Wettbewerbs-, Sozial-, Aussenund Steuerpolitik.208 Die dargestellten Instrumente kommen oft in sehr unterschiedlicher Weise zum Einsatz – vor allem in Abhängigkeit von den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen eines bestimmten Landes. In den Zentralplanwirtschaften war der Einsatz von marktwirtschaftlich orientierten Mitteln aufgrund der Inexistenz eines Tourismusmarktes von vorn herein ausgeschlossen. Viel wurde mit den administrativ-rechtlichen Instrumenten gearbeitet, vor allem 208 Vgl. Tobler (1981), S. 33. 69 mit dem Ziel, den grenzüberschreitenden Tourismus in die gewünschte Richtung zu steuern. Mit der Mitfinanzierung von betrieblichen Ferienaufenthalten und ihrer zeitlichen Festlegung nahmen die staatlichen Organe einen beachtlichen Einfluss auf die Freizeitgestaltung. Mit der Zuteilung von Förderungsmitteln beeinflusste der Staat den Ausbau der Infra- und Suprastruktur. In den Marktwirtschaften werden üblicherweise empfehlende Massnahmen denjenigen mit Zwangscharakter vorgezogen und den Privaten damit eine relativ grosse Entscheidungsfreiheit überlassen. Eine wichtige Rolle spielen deshalb die ordnungsrechtlichen Instrumente, mit deren Hilfe die notwendigen Rahmenbedingungen für das Funktionieren der Tourismuswirtschaft geschaffen werden und damit auch der Einsatz von anderen Instrumenten ermöglicht wird. Bei allen Instrumenten ist wichtig, dass sie aufeinander abgestimmt sind, sich nicht gegenseitig ausschliessen oder in ihrer Wirkung überschneiden und ihr Einsatz vor allem aus der langfristigen Perspektive zweckmässig und sinnvoll erscheint. 4.8 Grenzen der Tourismuspolitik Der Machbarkeit der Tourismuspolitik sind Grenzen gesetzt. Wie kaum ein anderer Bereich ist der Fremdenverkehr vielen nur bedingt beeinflussbaren exogenen Einflüssen wie konjunkturellen Schwankungen, Wechselkursveränderungen, neuen Kommunikationstechnologien, Friedens- und Kriegserklärungen, Terroranschlägen, Naturereignissen und Wetterveränderungen ausgesetzt. Eine starke Einschränkung bei der Ausgestaltung der Fremdenverkehrspolitik erfahren die entsprechenden Institutionen durch das herrschende politische und wirtschaftliche System. Stark wirken sich auch die gesellschaftlichen Trends, die Modewellen im Reiseverhalten und das widersprüchliche Verhalten von Menschen aus. Die eigennützigen Interessen der Politiker spielen bei der Festlegung und Durchsetzung der tourismuspolitischen Ziele ebenfalls eine derart grosse Rolle, dass sie berücksichtig werden müssen. Mit ihrer Analyse befasst sich die Neue Politische Ökonomie. Im nächsten Kapitel wird die Abhängigkeit der Tourismusbranche von der wirtschaftlichen Entwicklung näher untersucht, da dies für die Zwecke der vorliegenden Dissertation, welche die Tourismuspolitik während der Transformation aus einer wirtschaftlichen Perspektive erforscht, von besonderem Interesse ist. Darauf folgend wird auf den Einfluss des menschlichen Faktors eingegangen. Auf die Einschränkungen der Tourismuspolitik im Zusammenhang mit dem herrschenden politischen System wird in der Arbeit ständig verwiesen und deshalb wird an dieser Stelle auf ihre separate Untersuchung verzichtet. Eine Analyse der Auswirkungen von einmaligen Geschehnissen wie Naturereignisse und Terroranschläge steht nicht im Mittelpunkt des Interesses und wird deshalb nicht durchgeführt. 4.8.1 Wirtschaftliche Entwicklung Die Entwicklung der touristischen Nachfrage und des Angebotes ist aus der ökonomischen Perspektive vor allem von der wirtschaftlichen Lage im eigenen Land, in den Nachbarländern und in den Quellenländern des Incoming-Tourismus abhängig. Trotz einer Fülle von Reaktionsmöglichkeiten der Tourismusverantwortlichen setzt die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung der Machbarkeit und Wirksamkeit der Tourismuspolitik gewisse Grenzen. 70 Auf der Nachfrageseite widerspiegelt sich der Einfluss der wirtschaftlichen Entwicklung vor allem in der persönlichen Einkommenssituation der Haushalte. Bei wachsendem Einkommen geben die Haushalte überproportional viel für den tertiären Bereich, zu welchem die Tourismusbranche gehört, aus. Im Vergleich zum Einkommenswachstum wird die touristische Nachfrage überdurchschnittlich stimuliert und zusätzlich findet im Zuge der Wohlstandsvermehrung auch ein Strukturwandel zugunsten qualitativ hochwertiger Reiseformen statt. Droht dagegen bei der Entwicklung des Volkseinkommens ein Rückgang, wird darauf nach einer kurzen Verzögerung mit einer geringeren Reisenachfrage oder einem Ausweichen auf kostengünstigere Alternativen reagiert. Wird eine Zunahme der Arbeitslosigkeit mit entsprechenden Einkommenseinbussen wahrscheinlicher, so nimmt die Reiseaktivität ebenfalls ab. Die im Zusammenhang mit dem Wirtschaftswachstum stehende steigende oder fallende Bedeutung der Dienst- und Geschäftsreisen wirkt sich ebenfalls auf die Tourismusentwicklung aus. Im Weiteren spielt das Niveau der relativen Preise zwischen den touristischen Dienstleistungen und den sonstigen Konsumgütern eine Rolle. Werden beispielsweise die Bus- und Flugpauschalreisen verbilligt, ist mit ihrem Anstieg zu rechnen. Ebenso wird die Nachfrage von der Entwicklung der relativen Preise zwischen Herkunfts- und Zielländern beeinflusst – bei der Aufwertung der eigenen Währung ist mit dem Ansteigen der Nachfrage nach Auslandsreisen zu rechnen, bei einer Abwertung ist ihr Rückgang zu erwarten.209 Auf der Angebotsseite macht sich der Einfluss der wirtschaftlichen Entwicklung auf die Tourismusbranche in mehrfacher Weise bemerkbar. In den Wachstumsphasen wird in der Privatwirtschaft aufgrund von guten Gewinnerwartungen vermehrt in die touristische Entwicklung investiert. Bei einer sich abzeichnenden Stagnation kommt es, im Unterschied zur touristischen Nachfrage, zu einem eher langsamen Rückgang des Angebots, da von den Investitionsvorhaben mit langfristigem Charakter nicht sofort abgesehen wird. Erst während einer Krise wird die Investitionstätigkeit abgeschwächt und der Einsatz von staatlichen Förderungsmitteln vermehrt verlangt. Von weiterer Bedeutung ist die Entwicklung des Wechselkurses – die Aufwertung der eigenen Währung verteuert die einheimischen Tourismusdienstleistungen und wirkt sich auch auf alle andere Exportbereiche hemmend aus. Die Abschwächung des Kurses macht dagegen das touristische Angebot auch für die ausländischen Gruppen mit niedrigerem Einkommen zugänglich.210 Aus den obigen Ausführungen wird ersichtlich, dass der Einfluss der wirtschaftlichen Entwicklung auf die Tourismusbranche von beachtlicher Bedeutung sein kann. Für eine erfolgreiche Tourismuspolitik ist die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Trends, die zur Eliminierung von Fehlentwicklungen und Zielkonflikten beiträgt, deshalb von grosser Wichtigkeit. Dies gilt trotz der Feststellung, dass der Fremdenverkehr im Vergleich zu anderen Branchen eher als konjunkturstabil bezeichnet wird.211 Seine relative Resistenz gegenüber den wirtschaftlichen Einbrüchen ergibt sich daraus, dass in den entwickelten Ländern die Befriedigung von touristischen Bedürfnissen heutzutage überwiegend als ein Gut des Existenzbedarfes angesehen wird.212 Wie bekannt, wird bei der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage zuerst der Konsum von Gütern des Luxusbedarfes und des gehobenen Bedarfes eingeschränkt 209 210 211 212 Vgl. Smeral (1994a), S. 126 ff.; Keller (1996), S. 65; Iwersen-Sioltsidis/Iwersen (1997), S. 143. Vgl. Freyer (1998), S. 103 f. Vgl. Beratende Kommission für Fremdenverkehr des Bundesrates (1979), S. 23. Anders dazu Freyer: „Fremdenverkehr ist ... kein menschliches Grundbedürfnis“. (Vgl. Freyer [1998], S. 54 ff.). 71 und erst danach werden Einschneidungen bei den Gütern des Existenzbedarfes vorgenommen und auch das Reiseverhalten angepasst.213 In den zentralplanwirtschaftlich orientierten Ländern war der Einfluss der wirtschaftlichen Entwicklung auf die Tourismusbranche nicht so gross wie in den entwickelten Ländern. Dies lässt sich mehreren Ursachen zuschreiben. Die sozialistischen Länder pflegten geschäftliche Beziehungen zum grossen Teil nur unter sich und die wirtschaftliche Entwicklung im Rest der Welt wirkte sich auf sie deshalb nur wenig aus. Die Staatspläne liessen für Anpassungen an aktuelle Verhältnisse nur wenig Raum und wurden auch bei einer Veränderung der wirtschaftlichen Lage selten abgeändert. Die fehlende Konvertibilität der eigenen Währung führte dazu, dass auch die Wechselkursveränderungen auf den internationalen Märkten oft ohne Einfluss auf die einheimische Tourismusbranche blieben. Die Veränderungen in der persönlichen Einkommenssituation manifestierten sich in einem kleineren Ausmass, als in den entwickelten Ländern – dies war vor allem der Existenz von betriebseigenen Erholungseinrichtungen und den grosszügigen staatlichen Beiträgen für die Ferienaufenthalte zu verdanken. 4.8.2 Menschlicher Faktor Das zunehmend widersprüchliche Verhalten der Reisenden macht die Ausgestaltung und Zielsetzung der heutigen Tourismuspolitik nicht einfach. Die Tourismusbranche muss sich auf einen hybriden Verbraucher einstellen, dessen Verhalten immer schwieriger kalkulierbar wird. Bescheidenheit und Üppigkeit, Sekt und Selters, Gourmetlokal und McDonald’s, ruhige Erholungsstunden und Nervenkitzel sind Mischungen, die den multioptionalen Touristen auszeichnen. Dieser reagiert situationsbezogen – einmal handelt er rational und einmal emotional und er entscheidet sich nicht immer aufgrund von ökonomischen Kriterien. Er pendelt zwischen unterschiedlichen Lebensräumen und -stilen und koppelt im Urlaub verschiedene Verhaltensweisen.214 Der heutige Besucher will auch nicht mehr nur einfache Produkte. Er sucht komplexe Dienstleistungsbündel, die ihm viele Erlebnisse versprechen: „Skifahren genügt nicht mehr. Nach dem Skifahren muss es ein Erlebnisbad sein; dann will man rechtzeitig am Kulturanlass teilnehmen, nachdem man vor dem Nachtessen noch kurz etwas Squash gespielt hat.“215 Die Ausrichtung der Tourismuspolitik auf die Förderung der Ferienlandschaften, die sich durch ein breites, komplexes Angebot an Dienstleistungen in einem relativ kleinen Raum auszeichnen, sowie das Erforschen und Verfolgen von gesellschaftlichen Trends und Reisemodewellen, stellen mögliche Massnahmen zur Befriedigung der Ansprüche des multioptionalen Touristen dar. Eine weitere Schwäche der Tourismuspolitik im Zusammenhang mit dem menschlichen Faktor liegt im Verhalten von Politikern. So wird beispielsweise das vorhandene Wissen nicht umgesetzt, da seine Anwendung auf konkrete Anliegen nicht mehr im Aufgabenbereich der Wissenschaft liegt, sondern zu den Kompetenzen der Politiker gehört, die andere Interessen verfolgen als die forschenden und beratenden Gremien. Für die beratenden Institutionen ist es 213 214 215 Die Auswirkungen der verschlechterten wirtschaftlichen Lage auf die Veränderungen im Reiseverhalten sind je nach der Zugehörigkeit zu einer gewissen Sozialschicht unterschiedlich. So reagiert die höchste soziale Schicht zuerst kaum – am stärksten und am schnellsten ändert sich das Konsumverhalten der sozial Schwachen. (Vgl. Kaspar [1996], S. 48 f.). Vgl. Klein (1998), S. 40; Hartmann (1995), S. 158; Zegg (1996a), S. 12; Petermann/Wennrich (1999), S. 57. Bernet/Bieger (1999), S. 17. 72 deshalb wichtig, die Verhaltensweise der politischen Entscheidungsträger zu kennen und diese in ihren Vorschlägen zu berücksichtigen. Eine weitere Gefahr besteht darin, dass sich die Politiker oft auf jene Ziele konzentrieren, bei denen Fehlentwicklungen am stärksten spürbar sind. Durch den zusätzlichen Einfluss von politischen Parteien und Interessenverbänden vergrössert sich das Risiko, dass politischer Opportunismus gegenüber rationaler Politik dominiert. Eine wirkungsvolle Tourismuspolitik muss aber auf sachlichen Kriterien fussen, da die Lösungen, welche durch ideologische Standpunkte beeinträchtigt werden, schnell zum Staatsversagen führen könnten.216 Das widersprüchliche Verhalten der Politiker und dessen Einfluss auf die Ausgestaltung der Politik bilden das Forschungsobjekt der Neuen Politischen Ökonomie.217 Wieweit die Tourismuspolitik konkret das Ergebnis von politischem Druck und eigennützigem Verhalten ist, untersuchten mit Ausnahme von amerikanischen Autoren aber nur wenige Wissenschaftler. Mit den Ansätzen der Neuen Politischen Ökonomie können jedoch Hinweise auf das Staatsversagen gefördert und die Grenzen der Machbarkeit der Politik gezeigt werden:218 216 217 218 • Als erster Faktor wurde das Verhalten der Wähler untersucht. Abgesehen von wenigen Ausnahmen haben die Probleme der Tourismuspolitik bei ihnen keinen grossen Stellenwert. Lediglich bei den Entscheidungen über die Festlegung von Zeitpunkt und Dauer der Ferien sind sie sowohl finanziell wie emotional betroffen. Ausserdem sind die Fragen der Tourismuspolitik von grosser Bedeutung in Orten und Regionen, deren Entwicklung in starkem Masse vom Fremdenverkehr abhängig ist. Je grösser der Anteil des Tourismus ist, desto grösser ist die Ablehnung durch jene Kreise, die nicht unmittelbar von ihm profitieren. • Bei den Politikern besteht ihre Zielsetzung darin, ihr Amt zu behalten. Sie verhalten sich deshalb im Sinne der Stimmenmaximierung und bevorzugen alles, was ihnen mehr Bekanntheit, Rückhalt bei wichtigen Gruppen oder Informationen für die Ausübung ihres Amtes verspricht. In der Tourismuspolitik findet man Politiker mit Leadership relativ selten. Abgesehen davon treten Politiker mit tourismuspolitischen Visionen nur spärlich auf, da der Aufbau einer Lobby zu aufwendig und wegen der geringen Priorität des Fremdenverkehrs auf der politischen Agenda zu wenig erfolgsversprechend ist. • Auch die Massnahmen, welche die Regierung trifft, sollen ihre Wiederwahl nicht gefährden. Aus diesem Grund bedient sie sich der Instrumente, die ebenso schnell wie erfolgreich wirken, den Nutzen möglichst eindeutig dem Kabinett zurechnen lassen und viele Wähler ansprechen. Obwohl sich die meisten Regierungen der Bedeutung des Tourismus bewusst sind, werden dessen Anliegen meistens nur am Rande berücksichtigt. Zum einen lassen sich die tourismuspolitischen Kompetenzen häufig nicht genau zuordnen, da sie in verschiedenen Bereichen liegen und damit nur indirekt beeinflussbar sind. Zum anderen muss die Regierung bei der Förderung eines Wirtschaftszweiges mit gleichen Ansprüchen von anderen Branchen rechnen. Im Normal- Vgl. Keller (1999), S. 52; Asper (1997), S. 168; Klump (1992), S. 166 f. Als Synonym wird der Begriff „Ökonomische Theorie der Politik“ verwendet. Im angelsächsischen Raum setzte sich die Bezeichnung „Public Choice Theory“ durch. (Vgl. Greuter [2000], S. 63; Behrens [2000], S. 418 f.). Vgl. Socher (1996), S. 166 ff.; Greuter (2000), S. 135 ff.; Mundt (1998), S. 439. 73 fall kommt sie den besser organisierten Interessen leichter entgegen als den nicht so gut abgestimmten, zu denen auch der Tourismus gehört. • Was die Interessengruppen betrifft, unterscheidet man zwischen Produzenten-, Nichtproduzenten- und Einthemengruppen. Die Anliegen der Produzentengruppen wie staatliche Finanzierung von Forschungsprojekten, Beiträge für das Tourismusmarketing, steuerliche Entlastung oder Deregulierung werden im politischen Prozess meistens mit Vorrang behandelt. Je lauter und breiter abgestützt die Interessengruppen wirken, desto mehr drängt sich auf, sie als politische Kraft anzuerkennen und zur Aushandlung von Kompromissen zuzulassen. Ausserdem geben die Regierung und die Politiker oft dem Druck von mächtigen und zahlenmässig stark organisierten Verbänden nach, um die eigenen Wahlchancen zu verbessern. Da die Zahl der Gruppierungen im Tourismus häufig gross ist und ihre Interessen breit gefächert und uneinheitlich sind, verhallt ihre Stimme im politischen Kampf mit anderen, besser organisierten Branchen oft ungehört. Die Tourismusbranche sollte deshalb intensiv am Aufbau einer starken Lobby arbeiten, welche die notwendigen Forderungen an die Politik definiert und Lösungsvorschläge als Mittler zwischen der Tourismuswirtschaft und der Politik ausarbeitet.219 In den zentralplanwirtschaftlich orientierten Ländern stellte sich die Problematik im oben beschriebenen Sinne nicht. Die Regierung sowie die für den Tourismus verantwortlichen Gremien hatten sich in ihren Entscheidungen nach den Beschlüssen des Kommunistischen Kongresses zu richten – für Abweichungen vom festgelegten politischen Kurs und für die Verfolgung von eigenen Interessen bestand kein Raum. Auch auf den untergeordneten Ebenen verfügten die Politiker über wenige Entscheidungskompetenzen, da die Zielsetzungen sowie die Wege zu deren Erreichung schon im Voraus in den übergeordneten staatlichen Plänen verbindlich festgelegt waren. Erst mit der Ablösung des alten politischen Systems kam es zu einigen Veränderungen. Viele Korruptionsskandale deuten darauf hin, dass das eigennützige Verhalten von Politikern während der Transformation ein grosses Problem darstellt. In der Zeit des Überganges, in der es an den gesetzlichen und anderen Rahmenbedingungen für das Funktionieren der Marktwirtschaft fehlt und eine Unsicherheit über die Richtigkeit der verfolgten Transformationsstrategie herrscht, besteht für das Durchsetzen der eigenen Interessen ein idealer Raum. Bis jetzt ist aber dieses Forschungsfeld zu wenig untersucht worden, um an dieser Stelle Schlüsse über den Einfluss vom Verhalten der Politiker auf die Tourismuspolitik in Transformation ziehen zu können. Auch diese Feststellungen zeigen, dass die Möglichkeiten der Fremdenverkehrspolitik nicht unbegrenzt sind und dass ihre sonst richtigen und begründeten Vorhaben am politischen Opportunismus scheitern könnten. Um dies zu verhindern, muss das eigennützige Verhalten der Politiker in Betracht gezogen werden und ihm im möglichst grossen Umfang entgegen gewirkt werden. 219 Vgl. Ullmann (2000), S. 153. 74 4.9 Förderung der nachhaltigen Tourismuspolitik Seit der Veröffentlichung des Brundtland-Berichtes im Jahr 1987 hat der Begriff der Nachhaltigkeit (Sustainable Development) grosse Schlagzeilen gemacht. An der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 wurde die Strategie der nachhaltigen Entwicklung als eine wesentliche politische Leitlinie für das 21. Jahrhundert bezeichnet. Dazu wurde eine Reihe von internationalen Vereinbarungen verabschiedet – den Tourismus betreffen direkt z.B. die Charta für einen nachhaltigen Tourismus (1995), Agenda 21 (1996) und Malé-Erklärung über nachhaltige Tourismusentwicklung (1997).220 Als nachhaltig wird eine Entwicklung dann bezeichnet, wenn sie „den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.“221 Vereinfacht kann sie definiert werden als eine Entwicklung, die vom Zins und nicht von der Substanz der natürlichen, sozialen und wirtschaftlichen Umwelt lebt.222 Nachhaltiger Tourismus ist in diesem Sinne ein Tourismus, der seine Basis nicht zerstört und der keine irreversiblen Schäden anrichtet.223 Die Ressourcen werden nicht verbraucht, sondern nur genutzt und bleiben somit für künftige Generationen erhalten. Da die nachhaltige Tourismusentwicklung den Charakter eines öffentlichen Gutes hat und nicht von selbst abläuft, bedarf es zu ihrer Durchsetzung der Politik, die nicht mehr allein nach wirtschaftlichen Zweckmässigkeiten handelt, sondern auch die Forderungen nach einer intakten Umwelt, der Beachtung der Bedürfnisse der beteiligten Menschen und der nachfolgenden Generationen berücksichtigt. Darüber hinaus muss sich die Tourismuspolitik um den Ausgleich der Interessenkonflikte und um das Finden von Kompromissen bemühen. Das bedeutet insbesondere eine stärkere Integration der Umweltverträglichkeit, der Sozialverantwortlichkeit und der langfristigen Denkweise. Eine ganzheitliche und vernetzte Sichtweise ist unabdingbar, wenn Nachhaltigkeit erreicht werden soll.224 Nach Kramer beginnt die wirkliche Tourismuspolitik dort, „wo andere Faktoren nicht nur zwecks Optimierung des ökonomischen Ziels berücksichtigt werden, sondern konkurrierend selbständig und mit gleichem Gewicht neben ökonomischen Zielen Geltung beanspruchen“.225 Der Realisierung der nachhaltigen Tourismuspolitik stehen jedoch noch mehrere Hürden im Weg. Im Vordergrund steht die unzureichende Operationalisierung ihrer Ziele. Diese unterliegt Problemen, die im Spannungsfeld zwischen Zuverlässigkeit, Aussagekraft sowie Anwendbarkeit liegen. Es fehlt an einem Rezept, wie die qualitativen Zielvorhaben konkretisiert und kontrolliert werden sollen. Mit einem Indikatorsystem versuchte Seiler Licht in diese Problematik zu bringen. Durch klassische Kennzahlensysteme, die auf die absolute Reduktion der Flussgrössen und die Festlegung eines akzeptablen Niveaus der Bestandesgrössen ausgerichtet sind, vermittelte er den Grad der Nachhaltigkeit.226 220 221 222 223 224 225 226 Eine ausführliche Übersicht der Vereinbarungen befindet sich in Petermann/Wennrich (1999), S. 215 ff. Vgl. Hauff (1987), S. 9, zitiert nach Oikos-Konferenz (1995), S. 1. Vgl. Bieger (2002), S. 46. Die Begriffe „qualitativer und sanfter” Tourismus können ebenfalls als Metaphern einer nachhaltigen Ausrichtung gesehen werden. (Vgl. Greuter [2000], S. 148). Vgl. Kern (1995), S. 125 f.; Kramer (1990), S. 133; Becker/Job/Witzel (1996), S. 9. Kramer (1990), S. 12. Vgl. Seiler (1989), S. 13 ff.; Kreisel (1997), S. 15 f. 75 Die Praktikabilität dieser Indikatoren wird in der wissenschaftlichen Literatur jedoch in Frage gestellt. Kritisiert werden vor allem ihre Auswahl sowie die Feststellung ihres Grenzwertes. Ebenfalls wird betont, dass sich aufgrund des Wertewandels die Vorstellungen davon, was nachhaltig ist und was nicht, im Laufe der Zeit stark verändern.227 Das zweite ernsthafte Problem bei der Förderung der nachhaltigen Tourismuspolitik stellt die kurzfristige Perspektive bei den touristischen Zielsetzungen dar – die Ziele, die kurzfristig optimal sind, werden auf Kosten der langfristigen, zukunftsorientierten Strategien realisiert.228 Auf der politischen Ebene wird oft den wirtschaftlichen Zielen der Vorzug gegeben, da ihre Erreichung schneller sichtbar ist und als Erfolg der verantwortlichen Gremien verbucht werden kann. Auf der betrieblichen Ebene werden die anderen Unternehmen häufig nur als Konkurrenten betrachtet, was zum Verlust ihrer möglichen Kooperationen und Synergieeffekte führt. Nicht zuletzt stellt die Finanzierung der nachhaltigen Massnahmen ein Problem dar. Da es sich bei der Nachhaltigkeit um ein öffentliches Gut handelt, wird es von der Privatwirtschaft nicht im gewünschten Umfang angeboten. Vom Staat wird deshalb erwartet, dass er notwendige finanzielle Anreize zur Förderung der nachhaltigen Tourismusentwicklung schafft. Will sich die Tourismuspolitik an der Nachhaltigkeit ausrichten, so sind Änderungen in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung unausweichlich. Auf der staatlichen Ebene könnten mögliche Umgestaltungen aus der Verwirklichung von Ressourcenzielen und der Ausrichtung an der Tragekapazität (z.B. raumplanerische Vorgaben), der Verteuerung der nicht erneuerbaren Ressourcen, der fiskalischen Bevorzugung ökologisch bewusster Angebote, der Förderung einer Vernetzung des Expertenwissens oder der Festlegung von Standards für eine nachhaltige touristische Entwicklung bestehen.229 Soll die Wirksamkeit der nachhaltigen Tourismuspolitik nicht in Frage gestellt werden, ist es nötig, dass diese Massnahmen ebenfalls in anderen mit dem Fremdenverkehr vernetzten Bereichen wie Verkehr, Landwirtschaft oder Natur- und Landschaftsschutz lanciert werden. Wenn die nachhaltige Tourismuspolitik auch im kleinräumigen oder regionalen Massstab durchgesetzt werden soll, dürfen die geplanten Massnahmen nicht im Widerspruch zum globalen Konzept stehen. Heutzutage werden solche Regelungen meistens in tourismuspolitischen Konzepten mit mehr oder weniger verbindlichem Charakter festgehalten. Die einzelnen Schritte, die zu einer nachhaltigen Entwicklung führen sollen, müssen sorgfältig aufeinander abgestimmt und in ihrer zeitlichen Abfolge gegliedert sein. Es ist eine Zahl von Modellprojekten durchzuführen und zu fördern, um praktische Beispiele für die Realisierbarkeit präsentieren zu können. Und zuletzt muss bei den Tourismusteilnehmern permanent und zunehmend auf die Auswirkungen ihres Reisens hingewiesen werden.230 Zu den möglichen Massnahmen auf der regionalen Ebene gehören vor allem:231 227 228 229 230 231 Neben dem Indikatorensystem existieren aber auch andere Bewertungsmethoden, welche die Zahlungsbereitschaft für die Nachhaltigkeit direkt oder indirekt über die Opportunitätskosten ermitteln. Zu dieser Problematik vgl. Mohr/Schmidt (1997), S. 5 ff. Vgl. Becker/Job/Witzel (1996), S. 77 f. Vgl. Alpenforschungsinstitut (1995), S. 17, zitiert nach Greuter (2000), S. 149. Vgl. Becker/Job/Witzel (1996), S. 161 f. Vgl. Greuter (2000), S. 149 f.; Kaspar (1993), S. 55 ff.; Alpenforschungsinstitut (1995), S. 18. 76 • Ressourcenschonung durch die Verwendung einheimischer Materialien, rezyklierbarer Stoffe oder regenerativer Energien, • Dimensionierung touristischer Projekte gemäss der durchschnittlichen Auslastung und Durchführung vom Besuchermanagement bei deren Betrieb, • Unterstützung der Benützung von umweltfreundlichen Verkehrsmitteln und die Errichtung der Infrastruktur, die keinen Zwang zu vermehrter Mobilität schafft, • Förderung regionaler Stoffkreisläufe durch Unterstützung heimischer Unternehmen, • Restriktive Umsetzung von Projekten, die vorwiegend Unternehmen ausserhalb der Region verpflichten, • Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen, • Festlegung touristischer Endausbauziele, • Schaffung eines Raumplanungskonzepts in ökologisch sensiblen Landschaften, das touristische Nutz- und Ruhezonen ausscheidet, • Erhöhung der Partizipation der einheimischen Bevölkerung an tourismuspolitischen Entscheidungen, • Sicherung der Koordination und Kooperation mit angrenzenden Gemeinden. Bei der Verfolgung der nachhaltigen Tourismuspolitik muss auf jeder Ebene beachtet werden, dass die Durchführung aller theoretisch möglichen Massnahmen nicht auf einmal erfolgen kann. Soll der nachhaltige Tourismus zum Zukunftsfeld der touristischen Entwicklung werden, und nicht nur zu einer Art Nischenpolitik, muss seine Umsetzung kontinuierlich in kleinen Schritten erfolgen.232 Obwohl in der Forschung nicht an der nachhaltigen Tourismuspolitik gezweifelt wird, stösst die Realisierung ihrer Vorhaben in der Praxis immer noch auf Widerstand, da der Verfolgung von den besser sichtbaren wirtschaftlichen Zielen oft der Vorrang eingeräumt wird und negative Auswirkungen der touristischen Aktivitäten auf die Umgebung unberücksichtigt bleiben. In welchem Umfang die Zielsetzungen der nachhaltigen Tourismuspolitik realisiert werden, hängt nicht zuletzt auch vom Durchsetzungswillen der einzelnen Politiker und von der Tätigkeit der verschiedenen Interessengruppierungen ab. Die Industrieländer sind in der Verfolgung der nachhaltigen Tourismuspolitik ein Schritt weiter als die Transformationsländer, wo der Lösung anderer Probleme eine höhere Wichtigkeit eingeräumt wird. Im Vergleich zu der vorrevolutionären Zeit, in welcher in den meisten Ländern unter anderem das Ausmass der Umweltverschmutzung vor der Öffentlichkeit vertuscht wurde, sind aber gewisse Forschritte erkennbar. 232 Vgl. Kern (1995), S. 127. 77 4.10 Fazit Die Tourismuspolitik unterscheidet sich von Land zu Land – eine universelle Tourismuspolitik gibt es nicht. Ähnlichkeiten in ihrer Ausgestaltung und Zielsetzung sind insbesondere bei den Ländern der gleichen Entwicklungsstufe zu finden. So wird in den entwickelten Ländern gegenwärtig der Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit von Standorten die oberste Priorität zugemessen und mit dem Destinationsmanagement versucht, sich auf dem Markt wieder zu behaupten. In den Entwicklungsländern stehen Probleme, die mit dem Markteintritt verbunden sind, im Vordergrund. In den Transformationsländern war in der Anfangsphase vor allem die Einführung der funktionierenden marktwirtschaftlichen Strukturen von Wichtigkeit. Heutzutage kämpfen die meisten Transformationsländer, ähnlich wie die Industrieländer, um die Verstärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf dem internationalen Tourismusmarkt. Weiter ist die Ausgestaltung der Tourismuspolitik davon abhängig, in welcher Phase ihres Lebenszyklus sich eine bestimmte Destination befindet, wie gross sie flächenmässig ist und wie die wirtschaftliche Entwicklung vorangeht. Wie jede andere Politik, stösst auch die Tourismuspolitik bei ihrer Realisierung an Grenzen. Die Fremdenverkehrsbranche ist kaum wie eine andere Branche vielen nur bedingt beeinflussbaren exogenen Einflüssen ausgesetzt. Durch das herrschende politische und wirtschaftliche System wird die Tourismuspolitik ebenfalls massgebend eingeschränkt. In den Zentralplanwirtschaften hatten sich die eingesetzten Massnahmen ausschliesslich nach den Beschlüssen des kommunistischen Kongresses zu richten und für die Erfüllung von den in den staatlichen Plänen vorgegebenen Zielen zu sorgen. In den marktwirtschaftlich orientierten Ländern wird dagegen den Privaten relativ viel Entscheidungsspielraum überlassen. Die verschiedenartigen Interessen am Tourismus führen zu einer Vielzahl von Gruppen, die auf die Tourismuspolitik Einfluss nehmen wollen. Ausser den staatlichen Organen bestehen noch zahlreiche private und gemischte Institutionen. Der Staat nimmt die tourismuspolitischen Aufgaben vor allem in Abhängigkeit vom herrschenden Gesellschafts- und Wirtschaftssystem in verschiedenem Umfang wahr, wobei ein gewisses Mass an staatlichen Interventionen heutzutage kaum mehr kritisch hinterfragt wird. In den Industrieländern ist der Staat vor allem für die Schaffung von entsprechenden Rahmenbedingungen verantwortlich und wird zur Beseitigung von Marktunzulänglichkeiten sowie zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der touristischen Standorte verlangt. Die Fokussierung der staatlichen Tourismuspolitik auf den Strukturwandel und die privilegierte Förderung der KMU wird wegen der möglichen Strukturverzehrung in den neuen Forschungsansätzen zunehmend in Frage gestellt. In den zentralplanwirtschaftlich orientierten Ländern wurden die tourismuspolitischen Aufgaben meistens vollständig vom Staat übernommen und für die privatwirtschaftlichen Aktivitäten blieb kein Raum. Die Tourismuspolitik wurde als reine Strukturpolitik praktiziert und in die zentrale staatliche Planung eingebettet. Erst während der Transformation zog sich der Staat zurück und überliess das Funktionieren der Tourismuswirtschaft den Privaten. Das anfänglich pragmatische Vorgehen bewährte sich aber nur in der Zeit des touristischen Booms; später erkannte man die Vorteile einer konzeptionell ausgestalteten Tourismuspolitik. Bei der Zielfestlegung sollte vor allem darauf geachtet werden, dass die touristischen Vorhaben auf die Verwirklichung übergeordneter Werte ausgerichtet sind (ganzheitliche Tourismuspolitik) und dass in ihren Überlegungen immer der Mensch im Vordergrund steht 78 (menschliche Tourismuspolitik). Soll die Wirksamkeit der Tourismuspolitik nicht in Frage gestellt werden, müssen ihre Ziele gleichzeitig realisierbar, konsistent und mit den Vorhaben von anderen Politikbereichen kompatibel sein. Obwohl nach den heutigen Wertvorstellungen die ökologischen Zielsetzungen einen gewissen Vorrang geniessen sollten, wird ihnen in der Praxis selten die Priorität eingeräumt und auch die Berücksichtigung der Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung lässt noch zu wünschen übrig. In den marktwirtschaftlich orientierten und sich transformierenden Ländern dominieren die wirtschaftlichen Zielsetzungen, in den Zentralplanwirtschaften spielten die ideologischen Ziele eine wichtigere Rolle. Zur Erreichung der Ziele stehen den zuständigen Organen verschiedene direkte und indirekte Instrumente zur Verfügung. Sie kommen in unterschiedlicher Weise zum Einsatz – ihr Gebrauch kann ausgeschlossen, eingeschränkt oder gefördert werden. In den Zentralplanwirtschaften kamen beispielsweise nur planmässige und gesetzlich festgelegte Instrumente zum Zug. In den Industrieländern werden dagegen oft nur die notwendigen Rahmenbedingungen für das Funktionieren der Tourismuswirtschaft geschaffen und in die Handlungsfreiheit von Privaten nicht stark eingegriffen. Als Folge der sich fortsetzenden Stagnation der Tourismuswirtschaft in den entwickelten Ländern wird nach neuen, wirksamen tourismuspolitischen Strategien gesucht. Viel Hoffnung wird in das Destinationsmanagement gesetzt. Das prozess- und kundenorientierte Konzept basiert auf der Entwicklung von destinationseigenen Kernkompetenzen, die zur Schaffung von dauerhaften Wettbewerbsvorteilen auf dem Tourismusmarkt führen sollen. Die Frage, ob es sich wirklich um ein taugliches Konzept zur Förderung der touristischen Nachfrage handelt, ist zurzeit noch schwierig zu beantworten. Ebenfalls offen bleibt die Frage nach seiner Übertragbarkeit auf die Tourismuspolitik der Transformationsländer, die nach dem anfänglichen touristischen Boom nun auch die Verstärkung der Wettbewerbsfähigkeit ihrer Tourismusbranche fördern müssen. Die Verfolgung einer erfolgreichen Destinationspolitik ist aber zweifellos eine schwierige und komplexe Aufgabe, welche die tourismuspolitischen Träger vor neue Herausforderungen stellt. TEIL II: TSCHECHISCHE TOURISMUSBRANCHE IN TRANSFORMATION 81 5 Grundwissen über die Tschechische Republik 5.1 Überblick „I have oft promised you, a land not offered to anyone before, a land of game and fowl, overflowing with the sweetness of honey and milk, and being of a pleasant clime.” Praotec Čech Tschechien ist ein relativ kleines Land im Herzen Europas. Offizieller Name des Staates ist die Tschechische Republik. Das vor allem in Deutschland häufig gebrauchte Wort Tschechei wird nur sehr ungern gehört, da es aus der Zeit des Protektorates Böhmen und Mähren stammt. Als Alternative dazu hat sich in letzter Zeit Tschechien als zweite korrekte Bezeichnung des Staates durchgesetzt. Um einen Hintergrund für die Eingliederung der touristischen Geschehnisse in verschiedene Epochen vor und während der Transformation liefern zu können, ist ein kurzer Blick in Tschechiens Entstehungsgeschichte, die Landesaufteilung und die geographischen, demographischen, politischen sowie wirtschaftlichen Verhältnisse notwendig. Die Schilderung der grossen Ereignisse – wie Entstehung des Landes (1918), Subordination unter der kommunistischen Herrschaft (1948), Reformbemühungen während des Prager Frühlings (1968), Samtene Revolution (1989), Transformation (seit 1990), Spaltung der Tschechoslowakei (1993) und Beitrittsgesuch zur EU (1996) – schafft einen geeigneten Rahmen zum Aufzeigen der Zusammenhänge zwischen der allgemeinen und der touristischen Entwicklung. Besondere Aufmerksamkeit wird den Veränderungen in der tschechischen Wirtschaft gewidmet. Zwischen der Tourismusbranche und der allgemeinen wirtschaftlichen Lage, wie bereits in den Kapiteln 3.4 und 4.8.1 festgehalten, bestehen viele Vernetzungen und ausserdem wird die Analyse der Tourismusbranche vor allem aus der ökonomischen Perspektive durchgeführt. Die Erklärung der herrschenden politischen Verhältnisse ist für die Untersuchung der tschechischen Tourismuspolitik von grundlegender Bedeutung. Die Schilderung der geographischen Verhältnisse und der vorhandenen touristischen Infrastruktur schafft einen Hintergrund für eine Aufteilung des Staatsgebietes in verschiedene Tourismuszonen. Die neue Aufteilung des Landes in vierzehn Bezirke, acht NUTS II und vierzehn touristische Regionen beeinflusst die Tourismusentwicklung ebenfalls, da dadurch Kompetenzaufteilung und räumliche Koordination von touristischen Aktivitäten betroffen sind. Zuletzt bilden auch die demographischen Kenntnisse eine wichtige Entscheidungsgrundlage der Tourismuspolitik. 5.2 Geographische Verhältnisse und Verkehrsinfrastruktur Die Tschechische Republik liegt im Mittelpunkt Europas und erstreckt sich zwischen 48° 33’ und 51° 03’ nördlicher Breite sowie 12° 05’ und 18° 51’ östlicher Länge über eine Gesamtfläche von 78’866 km². Flächenmässig liegt sie verglichen mit den europäischen Ländern an der 21. Stelle. Die maximale Ausdehnung des Landes von Westen nach Osten beträgt 493 km, von Norden nach Süden 278 km. Gemeinsame Grenzen, deren Länge 2’290.2 km beträgt, verlaufen im Norden mit Polen, im Norden und im Westen mit der Bundesrepublik Deutschland, im Süden mit Österreich und im Osten mit der Slowakischen Republik. Die grössten Städte 82 sind die Hauptstadt Prag (Praha) mit 1.2 Mio. Einwohner, Brünn (Brno) mit 382’000 Einwohner und Ostrau (Ostrava) mit 320’000 Einwohner.233 Die geographische Positionierung eines Landes und seine Erreichbarkeit mit verschiedenen Transportmitteln spielen in den Entscheidungen der Tourismusteilnehmer, trotz erheblicher Senkung der Transportkosten und Verkürzung der Reisezeiten, eine wichtige Rolle. Die Lage der Tschechischen Republik mitten in Europa an einer der wichtigsten Verkehrsachsen nach Osten (Tor zu Osteuropa) schafft aus geographischer Sicht für den Tourismus sehr gute Voraussetzungen. Der einzige Nachteil besteht darin, dass Tschechien über keinen Meeranschluss verfügt und deshalb eher kurzfristigere Aufenthalte dominieren. Was die Verkehrsinfrastruktur anbelangt, sind zwar genügend Kapazität und Dichte vorhanden, aber es fehlt das entsprechende Qualitätsniveau. Somit genügt die bestehende Verkehrsinfrastruktur den gegenwärtigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ansprüchen nicht.234 • In Tschechien stehen derzeit 486 km Autobahnen, 353 km Schnellstrassen und 54’566 km andere Strassen zur Verfügung. Im Vergleich zu den Industrieländern ist besonders der Stand des Autobahnnetzes unbefriedigend. Die Autobahnen sind nicht zusammenhängend, was zu einer Überlastung der anderen Strassentypen führt. So ist beispielsweise die Hauptverkehrsstrecke E 50 Waidhaus/Rozvadov-Pilsen-Prag stark durch den Lastwagenverkehr belastet. Im Zeitraum von 1990 bis 1997 hat sich der Verkehr auf den Strassen verdreifacht und die Zahl der Personenwagen ist etwa um 50% angestiegen. Bis zum Jahr 2005 ist eine Erweiterung des Autobahnnetzes um 574 km geplant. Insgesamt soll in Zukunft eine Länge des Autobahn- und Schnellstrassennetzes von 2’100 km erreicht werden. • Das Eisenbahnnetz umfasst 9’430 km, wovon rund ein Drittel elektrifiziert ist. Dem Schienenverkehr kommt eine grössere Bedeutung zu als in den westlichen Ländern. Allerdings wurde das Bahnnetz in den letzten Jahrzehnten zu wenig modernisiert, weswegen vergleichsweise geringere Geschwindigkeiten erreicht werden können. Nur etwa 1% des Netzes erlaubt eine Geschwindigkeit von 160 km/h, 5% eignen sich für 120 km/h und 17% für 100 km/h. Ein weiterer Ausbau sowie der Anschluss an das Euro- und Intercitynetz sind dringend erforderlich. • Der Flugverkehr stellt zurzeit den sich am schnellsten entwickelnden Verkehrszweig dar. Die internationalen Flughäfen befinden sich in Prag, Brünn, Ostrau und Karlsbad. Eine dominante Stellung hat der Flughafen Prag-Ruzyně, wo 94% aller Leistungen im Personenverkehr erbracht werden. Nach Abschluss der ersten Ausbauphase 1997 betrug seine Jahresabfertigungskapazität 4.8 Mio. Passagiere, im Jahr 2001 waren es bereits 6.5 Mio. Personen und nach dem Ausbau des dritten Terminals sollte sich die Kapazität im Jahr 2004 um weitere 3 Mio. erhöhen. Die Bedeutung der einzelnen Transportarten für den grenzüberschreitenden Tourismus in den letzten Jahren verdeutlicht folgende Tabelle. Aus dieser wird ersichtlich, dass über 90% der ausländischen Besucher die Strasse benützten. Aus diesem Grund ist der unbefriedigende Stand des Strassennetzes besorgniserregend. Mit der Erweiterung des Prager Flughafens in 233 234 Vgl. Tschechisches Statistisches Amt (2000), S. 48 ff. Vgl. Verkehrsministerium (2000), S. 1 f. und (2000a), S. 21 ff.; Vohwinkel/Busch (1994), S. 18 ff.; Attl (2000), S. 125 ff. 83 den nächsten Jahren erhofft man sich eine Entlastung im Strassenverkehr. Soll die Tourismusbranche in Zukunft zu einem strategischen Wirtschaftszweig des Landes werden, ist die Entwicklung eines integrierten und wettbewerbsfähigen Verkehrssystems unabdingbar. Ankünfte der ausländischen Besucher nach Transportart (in Mio. Personen) Transportart/Jahr Strasse Schiene Luft Total 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 69.2 98.3 93.9 103.3 101.9 1.8 1.9 2.8 4.6 4.5 0.8 0.9 1.3 1.5 1.5 71.7 101.1 98.1 109.4 107.9 96.5 4.9 1.5 102.8 95.3 94.3 94.1 4.1 3.8 3.8 1.4 1.8 2.1 100.8 99.9 100.0 Tabelle 3: Ankünfte der ausländischen Besucher nach Transportart (1993-2001)235 Nicht nur die geographische Lage und die Erreichbarkeit, sondern und vor allem die Naturverhältnisse spielen für die Tourismusentwicklung eines Standortes eine wichtige Rolle. Die tschechische Landschaft ist reich an Kontrasten – obwohl die Fläche verhältnismässig klein ist, kommen in Tschechien fast alle Landschaftstypen vor. Wälder und Berggebiete bilden einen Drittel des Staatsgebietes, während sich im restlichen Teil über 22’000 Seen und Teiche sowie 40 Stauseen befinden. 24 Naturschutzgebiete und 4 Nationalparks erstrecken sich zusammen über ca. 10% des Gebietes. Die Flusstäler der Elbe (Labe), Moldau (Vltava) und March (Morava) gehen in hügeliges Gebiet über, das von den Gebirgsketten Böhmerwald (Šumava), Erzgebirge (Krušné hory), Riesengebirge (Krkonoše) und Adlergebirge (Orlické hory) durchzogen ist. Der Böhmerwald (Šumava) im Südwesten bezaubert mit seinen Torfmooren und den durch eiszeitliche Gletscher gebildeten Seen. Im Böhmischen Paradies (Český ráj) kann man eine grosse Anzahl interessanter Sandsteinformationen bewundern und im Mährischen Karst (Moravský kras) befinden sich Kalksteingebiete mit vielen Höhlen, die einen Blick in das unterirdische Reich bieten. 67% des Gebietes liegen bis 500 m ü.M., 32% von 500 bis 1’000 m ü.M. und nur ca. 1% liegt höher als 1’000 m ü.M. Der höchste Punkt des Landes ist die Schneekoppe (Sněžka) im Riesengebirge mit 1’602 m, der tiefste Punkt mit 115 m liegt an der tschechisch-deutschen Grenze in Hřensko.236 Die obigen Ausführungen lassen erkennen, dass die Tschechische Republik über eine grosse Vielfalt von Landschaften verfügt, deren Nutzungspotenzial für den Tourismus sehr unterschiedlich ist. Bereits 1962 wurde das Land im Rahmen der sog. Rayonisierung in die für den Tourismus geeigneten und ungeeigneten Gebiete aufgeteilt. Für die geeigneten Territorien wurde eine funktionelle Bestimmung vorgenommen und nach Gebieten, die überwiegend heilenden Zwecken (Kurorte), der Winter- und Sommererholung, der Kultur, der sportlichen Betätigung, dem Aufbau von Ferienhäusern und der Jagd oder dem Fischfang dienten, unterschieden. Da diese Gliederung aber selbst in ihrer aktualisierten Form von 1981 nicht mehr den Bedürfnissen der Tourismuswirtschaft entsprach, wird zurzeit an einer neuen Einteilung in touristische Zonen, welche auf der Bezirksstruktur basiert,237 gearbeitet. Je nach Umfang 235 236 237 Die Zahlen für die Jahre 1993-1999 in Anlehnung an Mag Consulting (2000d), S. 48. Die Zahlen für die Jahre 2000-2001 in Anlehnung an Tschechische Tourismuszentrale (2001a), S. 5. Die Angaben der Tourismuszentrale entsprechen jedoch nicht den ermittelten Zahlen der ausländischen Besucher. (Vgl. Tabelle 21). Vgl. Tschechische Tourismuszentrale (1999), S. 9; Tschechisches Statistisches Amt (2000), S. 48; Mag Consulting (2000d), S. 22. Vgl. Kap. 5.3.1. 84 der touristischen Aktivitäten wird nach Zonen ohne Tourismuspotential und nach solchen mit niedrigem, erhöhtem, hohem, sehr hohem und aussergewöhnlichem Potential differenziert. Innerhalb dieser Zonen werden je nach überwiegender Tourismusart die Kurort-, Natur-, Land-, Stadt- und Kultur-, Wintersport-, Wasser-, Religions-, Grenz- und Vergnügungszonen sowie historische Zonen ausgegrenzt.238 Die klimatischen Verhältnisse in Tschechien werden einerseits durch den ozeanischen Einfluss und andererseits durch die Einwirkung der stabilen Hochdruckgebiete Osteuropas bestimmt. Der Januar ist mit einer durchschnittlichen Temperatur von -2°C der kälteste und der Juli mit +20°C der wärmste Monat des Jahres. Die Dauer der Schneebedeckung beträgt in den Tälern ca. 30-40 Tage im Jahr, in den Hochgebirgen fast 200 Tage.239 Der Zusammenhang zwischen den klimatischen Verhältnissen und der Reiseaktivitäten ist aus der Tabelle 4 ersichtlich, welche die Zahl der ausländischen Touristen in den einzelnen Monaten zeigt – es wird deutlich, dass die Sommermonate für die Reiseaktivitäten stark bevorzugt werden. Zu gleichen Ergebnissen kommt auch eine Studie über das Reiseverhalten der einheimischen Bevölkerung.240 Zahl der ausländischen Touristen nach Monaten (2001) Monat Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Anzahl (in Tsd.) in % 239.8 275.6 367.4 487.3 525.2 508.9 633.1 641.7 509.1 428.7 277.3 309.5 4.6 5.3 7.1 9.4 10.1 9.8 12.2 12.3 9.8 8.2 5.3 5.9 Tabelle 4: Ausländische Touristen nach Monaten (2001)241 5.3 Regionale Aufteilung Das tschechische Staatsgebiet wird nach verschiedenen Kriterien in kleinere Einheiten eingeteilt. Seit 2000 bestehen vierzehn Bezirke, die über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügen. Wegen dem Beitritt zur EU wurde das Territorium in acht Regionen, die NUTS II, unterteilt. Zusätzlich wurden im Jahr 1998 noch vierzehn Tourismusregionen geschaffen. Der unterschiedlich festgelegte Verlauf der Grenzen dieser Einheiten macht die Koordination von touristischen Aktivitäten zu einer schwierigen Aufgabe. 238 239 240 241 Vgl. Pásková/Matoušková/Hájek (2001), S. I.; Mag Consulting (2000d), S. 182; Institut für Regionalentwicklung (2002), S. 19. Vgl. Střída (1996), S. 105; Sedlmeyer (1977), S. 36. Vgl. Mag Consulting (2000d), S. 59. Vgl. Tschechische Tourismuszentrale (2001a), S. 26. 85 5.3.1 Bezirke Im Rahmen der administrativen Aufteilung war die Tschechische Republik bis zur Jahrtausendwende in fünf böhmische und zwei mährische Verwaltungsbezirke unterteilt, die weiter in 65 kleinere Kreise gegliedert waren. Die achte Verwaltungseinheit bildete die Hauptstadt Prag. Die Bezirke hatten vor allem die ihnen delegierten Aufgaben zu erfüllen und verfügten nur über wenige selbständige Kompetenzen. 1997 stimmte das Parlament einer neuen Aufteilung der bestehenden Regionen zu und seit Anfang 2000 ist das Land in vierzehn Bezirke aufgeteilt (vgl. Abbildung 11).242 Die ersten Wahlen in die Bezirksbehörden fanden im November 2000 statt. Die regierenden Sozialdemokraten mussten eine Niederlage einstecken, da sie in keinem einzigen Landesbezirk die Position der stärksten Partei zu erringen vermochten. Als Gewinner gingen die Demokratische Bürgerpartei und die Viererkoalition243 hervor. Abbildung 11: Aufteilung der Tschechischen Republik in Landesbezirke244 Die neu gebildeten Bezirke verfügen aufgrund des Gesetzes über die Bezirke über ein viel umfangreicheres Spektrum an eigenen und übertragenen Kompetenzen als die ehemaligen Kreise. Da die tourismuspolitischen Anliegen zu den eigenen Kompetenzen gehören, liegt die Unterstützung und Steuerung der regionalen Tourismusentwicklung hauptsächlich in der Hand der Bezirksbehörden.245 Die verbleibenden Aufgaben der bis zum Ende 2002 parallel existierenden Kreisbehörden waren spätestens bis zu diesem Zeitpunkt an die Bezirksbehörden zu übertragen. Dass dieser Prozess nicht immer reibungslos verlief, illustriert das folgende Beispiel. Anfang 2001 wurden die Kreisbehörden in die staatliche Organisationsstruktur eingegliedert, was unter anderem den Verlust ihrer rechtlichen Befugnisse, die tourismuspolitischen Aktivitäten finanziell zu unterstützen, nach sich zog. Dies führte zu einer PattSituation, da die neu entstandenen Bezirksbehörden zu diesem Zeitpunkt noch nicht imstande waren, die Förderung des Fremdenverkehrs zu gewährleisten und die alten Kreisbehörden aufgrund der geltenden Regelung dies nicht mehr durften. Der Vorschlag des Ministeriums für Regionalentwicklung, eine Ausnahme zu bewilligen und die Kreisbehörden die Tourismusaktivitäten weiter finanzieren zu lassen, wurde von der Regierung abgelehnt. Ebenfalls 242 243 244 245 Vgl. Art. 1 des Gesetzes über die Schaffung von höheren Selbstverwaltungsgebieten. Die Mitglieder der Vierkoalition sind: Christlichdemokratische Partei, Demokratische Bürgerallianz, Freiheitsunion und Demokratische Union. Http://www.mvcr.cz/reforma/n_kraje.gif (Stand am 13.1.2001). Vgl. Art. 14 ff. des Gesetzes über die Bezirke. 86 wurde untersagt, die Beteiligung der Kreisbehörden aufgrund der extensiven Auslegung von Art. 12 des Gesetzes über die Unterstützung der Regionalentwicklung zu erlauben. Die schwierige Zeit wurde schlussendlich dank der finanziellen Hilfe des Ministeriums für Regionalentwicklung und der Tourismuszentrale überbrückt.246 Zur Stabilisierung der Lage kam es erst später, nachdem in den meisten Bezirken Tourismusabteilungen gebildet wurden und die Kompetenzen der Kreisbehörden Anfang 2003 voll auf die Bezirke übergingen. Somit wurde eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine strategisch geplante regionale Tourismusentwicklung geschaffen. 5.3.2 NUTS II Im Zusammenhang mit dem Beitritt zur EU wurde Tschechien in acht Regionen, NUTS II, eingeteilt, die für ihre Entwicklung eine finanzielle Vorbeitrittshilfe der EU beanspruchen können. Dass die Grenzen von NUTS II mit denjenigen der Landesbezirke nicht übereinstimmen, ist aus der Abbildung 12 ersichtlich. Die Vornahme dieser Gliederung war aber nötig, da nach den Vorstellungen der EU eine Region eine bis zwei Millionen Einwohner haben sollte und aus dieser Sicht waren die Bezirke zu klein.247 Für die Tourismuswirtschaft ist diese Aufteilung vor allem wegen der Mitfinanzierung der touristischen Projekte seitens der EU, die den NUTS II unter bestimmten Voraussetzungen gewährt wird, von Bedeutung.248 Abbildung 12: NUTS II249 5.3.3 Tourismusregionen Für die Bedürfnisse der Tourismusbranche wurde die Tschechoslowakei 1962 im Rahmen der Rayonisierung in die für den Tourismus ungeeigneten und geeigneten Gebiete aufgeteilt. Bewertet wurden natürliche Gegebenheiten, soziokulturelle Verhältnisse, touristische Supra- und Infrastruktur, Verkehrsverbindungen und Faktoren, welche die Tourismusentwicklung negativ beeinflussen. Aufgrund dieser Auswertung wurden die Tourismusgebiete in vier Kategorien 246 247 248 249 Vgl. Jalůvka/Křížová in Koksová (2001), S. 32 f.; Mertlík (2001), S. 30. Vgl. Neumann/Novotná (1999), S. 1. Vgl. Kap. 5.8. Tschechisches Statistisches Amt (2000), S. 726. 87 eingeteilt. In die erste Kategorie fielen Gegenden, die für den Incoming-Tourismus geeignet waren. Die zweite Kategorie umfasste Gebiete, die vor allem dem Inlandstourismus gute Voraussetzungen boten. Regionen, wo sich der Tourismus nur begrenzt entfalten konnte, wurden der dritten Kategorie zugeteilt und solche, in denen höchstens ein lokales Fremdenverkehrsaufkommen zu erwarten war, der vierten Kategorie.250 Im Jahr 1981 wurde die Rayonisierung überarbeitet und die territorialen Grenzen neu gezogen. Da aber nach der Wende auch diese aktualisierte Gliederung den Bedürfnissen der Tourismuswirtschaft nicht mehr entsprach, wurden von der Tschechischen Tourismuszentrale künstlich vierzehn neue Tourismusregionen gebildet (vgl. Abbildung 13). Das Ziel war es, homogene touristische Einheiten, die sich auf dem Markt eindeutig positionieren liessen, zu schaffen. Da sich diese Aufteilung in der Praxis jedoch bereits nach einer kurzen Zeit nicht bewährte, wird gegenwärtig an einer neuen Gliederung in touristische Zonen, die sich vor allem auf den Grenzverlauf von Bezirken stützt, gearbeitet.251 Abbildung 13: Tourismusregionen252 5.4 Bevölkerung Ende 2000 zählte die Tschechische Republik 10.27 Mio. Einwohner und lag damit verglichen mit den europäischen Staaten an der 12. Stelle. Die Bevölkerung besteht zu 94.4% aus Tschechen. Relativ starke Minderheiten bilden die Slowaken, Vietnamesen und Roma. Die Bevölkerungswachstumsrate fiel im Vergleich zu 1999 mit -0.01% leicht negativ aus. Die durchschnittliche Bevölkerungsdichte, die 131 Einwohner pro km² beträgt, ist regional sehr unterschiedlich – die höchste Dichte besteht in Prag und in Südmähren, die geringste in Südböhmen. 71% der Bevölkerung leben in den städtischen Agglomerationen und 29% auf dem Lande.253 Diese Angaben und die Kenntnis, dass die Grösse des Wohnortes die touristische Nachfrage beeinflusst und dass die Reiseintensität254 mit der Stadtgrösse normalerweise zunimmt, liefern der Tourismuspolitik wichtige Entscheidungsgrundlagen. Im Jahr 1999 erreichte die 250 251 252 253 254 Vgl. Ježek (1999), S. 130; Hesková (1999), S. 31. Vgl. Kap. 5.2. Http://www.cccr-info.cz/ (Stand am 12.10.2000). Vgl. http://www.czso.cz/cz/cisla/4/40/400901/data/anmesta.xls (Stand am 12.10.2002). Unter Reiseintensität wird der % Anteil der Personen verstanden, welche in dem untersuchten Zeitraum mindestens eine Reise mit vier oder mehr Übernachtungen unternahmen. (Vgl. Mag Consulting [2000d], S. 52). 88 Reiseintensität der städtischen Bevölkerung fast 62%, bei der ländlichen Bevölkerung lag sie dagegen nur bei 40%. In den Städten mit mehr als 100’000 Einwohner betrug sie 78% und in der Hauptstadt Prag sogar 84%. Ausserdem stammten 80% aller Tourismusteilnehmer aus den städtischen Agglomerationen.255 Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt bei den Frauen 77.88 Jahre, bei den Männern 71.01 Jahre.256 Die Altersstruktur der Bevölkerung ist folgende: 0-14 Jahre 17%, 15-24 Jahre 16%, 25-44 Jahre 28%, 45-54 Jahre 15%, 55-64 Jahre 10% und über 65 Jahre 14%.257 Bei der Teilnahme an touristischen Aktivitäten wächst mit dem Alter der Anteil derjenigen, die auf das Reisen verzichten, überproportional schnell. Besonders deutlich ist der Verzicht bei der älteren Landesbevölkerung – begründet wird dies zumeist mit dem Mangel an Finanzmitteln und gesundheitlichen Problemen. 1999 betrug der Anteil der Reisenden zwischen 15-24 Jahre 18%, 25-44 Jahre 41%, 45-54 Jahre 19%, 55-64 Jahre 11%, 65-74 Jahre 7% und über 75 Jahre nur 4%.258 Im Zusammenhang mit der Grösse der Haushalte wurde festgestellt, dass im Jahr 1999 die Ein-Personen-Haushalte mit 42% die geringste Reiseintensität, die VierPersonen-Haushalte mit 66% dagegen die grösste Reiseintensität aufwiesen.259 Ausserdem nahmen die Befragten mit höherer Ausbildung häufiger an touristischen Aktivitäten teil als diejenigen mit niedrigerer Ausbildung.260 5.5 Entstehungsgeschichte Die heutige Tschechische Republik war früher ein Teil der Tschechoslowakei, deren Entstehung auf das Auseinanderbrechen Österreich-Ungarns nach dem Ersten Weltkrieg zurückgeht. Die unabhängige Tschechoslowakische Republik wurde durch ihren ersten Präsidenten T. G. Masaryk am 28. Oktober 1918 ins Leben gerufen. In der Zwischenkriegszeit gehörte sie zu den am weitesten entwickelten kapitalistischen Ländern Europas. In den 20er Jahren erzielte sie sogar als einziges osteuropäisches Land ein im internationalen Vergleich beachtliches Wirtschaftswachstum, das von der expandierenden Industrie und dem nach Westen gerichteten Aussenhandel getragen wurde. Die industrielle Entwicklung ermöglichte Investitionen auch in andere Bereiche – in der Tourismusbranche wurde vor allem die Entwicklung des Kur- und Heilbadewesens gefördert. Das grösste Tourismusaufkommen wurde in der Zeit der Hochkonjunktur im Jahr 1937 verzeichnet.261 Der Zweite Weltkrieg brachte in der Tschechoslowakei entscheidende Veränderungen. Bereits im Münchner Abkommen vom Oktober 1938 hatte die junge Republik den Verlust von rund einem Drittel des Staatsgebietes hinzunehmen. 1939 musste die Slowakei ihre Selbständigkeit aufgeben und sich unter den Schutz des Deutschen Reiches stellen. Schliesslich proklamierte Hitler im März 1939 die Errichtung des Protektorates Böhmen und Mähren. Erst nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges und der Befreiung durch die sowjetische Armee 255 256 257 258 259 260 261 Vgl. Mag Consulting (2000d), S. 53. Vgl. http://www.odci.gov/cia/publications/factbook/ez.html (Stand am 26.7.2000). Eigene Berechnungen gestützt auf Tschechisches Statistisches Amt (2000), S. 99 ff. Eigene Berechnungen gestützt auf Mag Consulting (2000d), S. 58. Ab einem Fünf-Personen-Haushalt fängt jedoch die Reiseintensität an, überdurchschnittlich schnell zu sinken. (Vgl. Mag Consulting [2000d], S. 58). Vgl. Mag Consulting (2002), S. 84. Vgl. Kap. 7.2. 89 wurde die Tschechoslowakei 1945 wieder hergestellt.262 Dies erweckte in weiten Kreisen der Bevölkerung grosse Dankbarkeit und förderte das Vertrauen gegenüber der Sowjetunion, was sich später im Wahlsieg der Kommunisten und in der Übernahme des sowjetischen Modells der zentralen Planung zeigte.263 Die Kommunistische Partei erhielt in den ersten Nachkriegswahlen 1946 fast 40% der Stimmen und wurde zur stärksten Partei im Parlament. Während der Regierungskrise im Februar 1948 eroberten die Kommunisten durch Zwangs- und Einschüchterungsmassnahmen die ganze Macht. Nach erneuten Wahlen, bei denen nur die Kommunistische Partei kandidierte, erhielt das Land den Status einer einheitsstaatlichen volksdemokratischen Republik. 1960 wurde die führende Rolle der Kommunistischen Partei in der Verfassung verankert und die Tschechoslowakei zu einem sozialistischen Staat erklärt, der „auf dem festen Bündnis der Arbeiter, der Bauern und der Intelligenz, mit der Arbeiterklasse an der Spitze“ beruht.264 Die Lage des Landes, in dem zu diesem Zeitpunkt in Wirklichkeit die erste Wirtschaftskrise eingetreten war, wurde in der Präambel mit grosser Begeisterung geschildert: „ Der Sozialismus hat in unserem Vaterland gesiegt! ... Wir sind in eine neue Epoche unserer Geschichte eingetreten ... Unsere Volkswirtschaft entwickelt sich wie nie zuvor ... Beide Nationen, die die Tschechoslowakische Republik geschaffen haben, die Tschechen und die Slowaken, leben in brüderlicher Eintracht ... Die befreite Arbeit ist jetzt nicht nur Pflicht, sondern auch Ehrensache für jeden Bürger“265 Die geschilderten Geschehnisse blieben nicht ohne Auswirkungen auf die Tourismusentwicklung. Infolge des Sieges der Kommunisten, der Übernahme des Models der Zentralplanung und des Ausbruches des Kalten Krieges entwickelte sich der Fremdenverkehr in der Tschechoslowakei anders als in den marktwirtschaftlich orientierten Ländern. Gefördert wurde die Teilnahme am inländischen Fremdenverkehr. Der grenzüberschreitende Tourismus wurde stark eingeschränkt und die Reisen in den Westen verboten.266 Die Stalinisierung des Landes und die damit verbundene sich immer stärker abzeichnende wirtschaftliche Krise führten bald zu parteiinternen Auseinandersetzungen. 1968 wurde Alexander Dubček zum Parteichef ernannt. Er gewann das Vertrauen der Bevölkerung mit seinem ehrlichen Bemühen, den politischen Rahmen zur Schaffung besserer Lebensverhältnisse für den „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ herbeizuführen. Zu den geplanten Massnahmen gehörten die Wirtschaftsreform, die Garantie der Bürgerrechte, die Schaffung von Minderheitsrechten und die Föderalisierung der Republik. Das Volk erwartete in enthusiastischer Reformfreudigkeit einen „Prager Frühling“. Es wurden auch die Grenzen nach Westen geöffnet und nach Erfüllung der Visumpflicht eine Ausreise in die kapitalistischen Staaten ermöglicht. Die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft wurden jedoch mit dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes am 21. August 1968 zerstört. Die Sowjetunion verlangte die unverzügliche Rückgängigmachung der eingeleiteten Reformen, da sie entschlossen war, diese „Gefahr“ für die Einheit des Ostblocks auszuschalten. Dubček wurde seines Amtes enthoben, eine Parteisäuberung eingeleitet, die Pressezensur verschärft, die Grenzen nach Westen wieder ge262 263 264 265 266 Ausgenommen die Karpato-Ukraine, die im Juni 1945 an die Sowjetunion abgetreten wurde. (Vgl. Kaplan [1990], S. 40 f.; Bayer [1999], S. 108). Vgl. Teichová (1988), S. 7 und S. 71 ff.; Juchler (1994), S. 316. Art. 1 der Verfassung Nr. 100/1960 Sb., zitiert nach Vodička (1996), S. 14. Präambel der Verfassung Nr. 100/1960 Sb., zitiert nach Vodička (1996), S. 13 f. Vgl. Kap. 7.2. 90 schlossen und die Reisefreiheit der Bürger eingeengt.267 Für den Tourismus bedeutete dies vor allem die Rückkehr zu einer starken Förderung des Inlandstourismus und eine ausschliessliche Orientierung an sozialistische Länder.268 Als einzig voll erfüllte Forderung der Reform ging die Föderalisierung der Republik in die Geschichte ein. Am 1. Januar 1969 wurden in der ČSSR zwei autonome Einheiten gebildet: die Tschechische Sozialistische Republik (ČSR) und die Slowakische Sozialistische Republik (SSR). Durch die Koexistenz von drei eingeständigen Staatsgebilden sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass die beiden souveränen Nationalstaaten einen Teil ihrer Gewalt dem Bund abgetreten hätten. In der politischen Wirklichkeit wurde jedoch der Föderalismus kraft der unitären und zentralistischen Kommunistischen Partei auf eine propagandistische Leerformel reduziert und die Tschechoslowakei blieb ihrem Wesen nach ein Einheitsstaat.269 Nach diesen Erfahrungen reagierte das Land 1988 nur zögernd auf die von Gorbatschow eingeleiteten Reformen und auf die Abkehr von der Breschnew-Doktrin. Erst der Niedergang der kommunistischen Herrschaft in Polen und Ungarn sowie der Fall der Berliner Mauer liessen die ČSSR ihren Nachbarn folgen. Die politische Veränderung des Landes vollzog sich in der „Samtenen Revolution“, deren Ausgangspunkt eine Protestkundgebung der Studenten in Prag am 17. November 1989 war. Die gewalttätige Auflösung dieser Veranstaltung führte zu einer Welle von Protesten und Demonstrationen, aufgrund derer sich die kommunistische Regierung Ende November zum Rücktritt gezwungen sah. Im Dezember wurde die Regierung der nationalen Verständigung gebildet, Alexander Dubček zum Parlamentspräsidenten gewählt und Václav Havel zum Staatsoberhaupt ernannt. Der Übergang zu einer Demokratie erhielt die volle Unterstützung der Bevölkerung.270 Ende 1989 wurden die Grenzen gegenüber den westlichen Staaten geöffnet und die Reiseformalitäten deutlich vereinfacht. Während kurzer Zeit kam es zu einem regelrechten Boom von gegenseitigen Tourismusströmen, denn die Neugier nach der Besichtigung eines postkommunistischen oder eines kapitalistischen Landes war auf beiden Seiten enorm gross.271 In den zwei darauf folgenden Jahren eskalierten die tschechisch-slowakischen Beziehungen zu einer Krise, die erst mit der Teilung des Landes zum Jahreswechsel 1992/93 beendet werden konnte. Der Auflösungsprozess begann schon im Januar 1990 im Zusammenhang mit der Änderung der Staatsbezeichnung272 und beschleunigte sich mit der Verwirklichung der ersten Transformationsschritte. Als sich in Prag die Konzeption einer radikalen Reform durchgesetzt hatte,273 sah die slowakische Führung, die sich eine gradualistische Konzeption gewünscht hätte, in der Wirtschaftspolitik des Bundes tschechische Dominanz und Arroganz. Der slowakische Politiker Vladimír Mečiar setzte die Spaltung der Republik zum 1. Januar 1993 durch, obwohl dies nicht dem Willen der breiten Bevölkerung entsprach. Der Verlauf der Tourismusentwicklung wurde durch diese Ereignisse nur wenig beeinflusst. Die Träger der in dieser 267 268 269 270 271 272 273 Vgl. Teichová (1988), S. 127 f.; Hollmann (1996), S. 7 f. Vgl. Kap. 7.2. Vgl. Vodička (1996), S. 17 ff.; Teichová (1988), S. 129. Vgl. Müller-Eschenbach (1995), S. 50 f.; Juchler (1994), S. 325; Kahl (1994), S. 51 ff. Vgl. Kap. 7.3. Trennung im Landesnamen auf „Tschechische und Slowakische Föderative Republik“ (ČSFR). Vgl. Kap. 5.7.4. 91 Zeit praktizierten pragmatischen Tourismuspolitik reagierten, ausser mit den notwendigen Anpassungen der Organisationsstruktur, auf diese Veränderungen ebenfalls kaum.274 Jahr Geschichte der Tschechischen Republik Zusammenbruch der österreichischen Monarchie, Gründung der Tschechoslowakei, T. G. Masaryk wird erster Präsident des Landes. 1918 1918 bis 1938 1938 Die Tschechoslowakei ist einer der wenigen demokratisch organisierten Staaten in Mittel- und Osteuropa, hohes industrielles Niveau. Münchner Abkommen führt zur Auflösung der Tschechoslowakei. 1939 bis 1945 Im März 1939 Gründung eines von Deutschland abhängigen slowakischen Staates, Besetzung des tschechischen Territoriums durch deutsche Truppen, Reichsprotektorat Böhmen und Mähren. 1945 bis 1948 Nach der Befreiung des Landes kurze Zeit demokratische Verhältnisse, im Februar 1948 Machtübernahme durch die Kommunisten. 1948 bis 1968 Stalinisierung von Wirtschaft und Politik, Reformversuche seit 1965 führen schliesslich zum „Prager Frühling“. August 1968 1969 bis 1989 Ende 1989 1990 bis 1992 01.01.1993 „Prager Frühling“ wird gewaltsam beendet, Reformkommunisten werden entmachtet. Phase wirtschaftlicher und politischer Stagnation, vereinzelt aufkommende Reformideen werden konsequent unterdrückt. „Samtene Revolution“ beendet kommunistische Alleinherrschaft, Bildung einer Regierung der nationalen Verständigung. Nach den Wahlen im Juni 1990 Entwicklung zu einer funktionierenden, föderalen Demokratie, die Wahlen vom Juni 1992 führen zu Verhandlungen über die Teilung der ČSFR. Aus der ČSFR gehen nach der Spaltung die Tschechische Republik und die Slowakische Republik hervor. Tabelle 5: Übersicht der Geschichte275 5.6 Politisches System Wie aus dem vorherigen Kapitel hervorgeht, wurde die tschechische Politik bis Ende 1989 durch die Herrschaft der Kommunistischen Partei gekennzeichnet. Die Existenz von anderen Parteien wurde zwar zugelassen, aber durch strenge Beobachtung und Verfolgung der Mitglieder wurden ihre Tätigkeiten faktisch verunmöglicht. Alle Entscheidungen der politischen Gremien hatten sich nach den Beschlüssen des Kommunistischen Kongresses zu richten. Dies galt auch für die Tourismusbranche, die planmässig vom Zentrum geleitet wurde. Nach der Wende wurde der Demokratisierungsprozess der politischen Strukturen unverzüglich in Angriff genommen. Die führende Rolle der Kommunistischen Partei wurde in der Verfassung gestrichen und der Weg zu einer pluralistischen Demokratie eingeleitet. Heutzutage stellt die tschechische Staatsordnung ein parlamentarisches Regierungssystem mit relativ weit reichenden Befugnissen des Staatspräsidenten dar. Die Verfassung legt fest, dass alle Staatsgewalt, die durch Organe der Legislative, Exekutive und Judikative ausgeübt wird, vom Volke ausgeht.276 Eine wichtige Rolle bei der Willensbildung spielen die zahlreichen politischen Parteien. 274 275 276 Vgl. Kap. 9.3. In Anlehnung an Weber (1994), S. 160. Vgl. Art. 2 ff. der Verfassung Nr. 1/1993 Sb. 92 In den folgenden Ausführungen werden die Aufgaben und Kompetenzen des tschechischen Parlamentes, der Regierung und der politischen Parteien näher betrachtet, da diese Institutionen als öffentliche Träger der Tourismuspolitik einen beachtlichen Einfluss auf ihre Ausgestaltung haben. 5.6.1 Parlament Das tschechische Parlament besteht aus zwei Kammern – dem Abgeordnetenhaus mit 200 Mitgliedern und dem Senat mit 81 Mitgliedern. Das Abgeordnetenhaus besitzt weiter reichende Befugnisse als der Senat. Es kann den Senat im Gesetzgebungsverfahren überstimmen und die Regierung ist nur dem Abgeordnetenhaus Rechenschaft schuldig. Der Präsident kann das Abgeordnetenhaus auflösen, falls es der Regierung sein Vertrauen nicht ausspricht oder nicht mehr in der Lage ist ordnungsgemäss zu funktionieren. Kommt es zur Auflösung, so hat der Senat die Möglichkeit, in Angelegenheiten, die keinen Aufschub dulden, Gesetzesmassnahmen zu erlassen.277 Allein das Parlament verfügt über die gesetzgebende Gewalt. Die Gesetzesinitiative liegt bei den Abgeordneten, den Senatoren, der Regierung und der Repräsentanz der Bezirke. Eine Volksabstimmung kennt die tschechische Verfassung nicht. Erst im Zusammenhang mit dem Beitritt zur EU wurde 2002 ein Gesetz über eine Volksabstimmung zu diesem Thema verabschiedet. Eine zentrale Parlamentsfunktion bildet ausser der Gesetzgebung die Regierungskontrolle. Das Parlament muss der Regierung nach ihrer Ernennung das Vertrauen aussprechen. Wenn dies nicht geschieht, bildet der Präsident eine neue Regierung, die erneut um das Vertrauen zu ersuchen hat. In der laufenden Legislaturperiode kann ausserdem die Abgeordnetenkammer das Kabinett durch ein Misstrauensvotum stürzen.278 Tourismuspolitische Anliegen stehen im Vergleich zu anderen Branchen eher selten auf dem Verhandlungsprogramm des Parlaments. Mit dem Ziel, Prestige und Gewicht der Tourismusbranche zu erhöhen, wurde im September 1996 ein zehnköpfiger parlamentarischer Unterausschuss für Handel und Tourismus gegründet. Trotz diesen Bemühungen wurde aber bis jetzt nur ein einziges auf den Fremdenverkehr zugeschnittenes Gesetz (Tourismusgesetz) verabschiedet.279 Kein Verständnis für die Bedürfnisse der Tourismusbranche zeigte das Parlament 1999, als es die vorgeschlagene Reduktion des Mehrwertsteuersatzes auf Unterkunfts- und Verpflegungsdienstleistungen von 22% auf 5% verwarf.280 5.6.2 Regierung und Ministerien Die Regierung besteht aus dem Ministerpräsidenten, dessen Stellvertretern und den Ministern, welche die ihnen zugeteilten Ministerien leiten. Zu den Aufgaben des Kabinetts gehört es, die Arbeit der einzelnen Ministerien und weiterer Zentralbehörden zu koordinieren und ihr Zusammenwirken zu sichern. Die Regierung entscheidet über die Grundfragen der Innen- sowie Aussenpolitik und spielt eine wichtige Rolle im Prozess der Legislative. Die für ein bestimmtes Gebiet verantwortlichen Ministerien bereiten Gesetzesentwürfe vor und die Regierung hat das Recht, sich zu allen Entwürfen zu äussern und zur Durchführung der Gesetze Verordnun277 278 279 280 Vgl. Art. 33 ff. der Verfassung Nr. 1/1993 Sb. Vgl. Art. 54 ff. der Verfassung Nr. 1/1993 Sb. Vgl. Kap. 9.6.1. Vgl. Kap. 9.6.2. 93 gen zu erlassen. Sie entscheidet als Kollektiv, wobei zur Annahme eines Regierungsbeschlusses die Zustimmung der absoluten Mehrheit ihrer Mitglieder erforderlich ist. Das Kabinett, wie auch jeder einzelne Minister, ist dem Abgeordnetenhaus Rechenschaft schuldig.281 Die Tourismuspolitik gehört seit 1996 in den Kompetenzbereich des Ministeriums für Regionalentwicklung. Zur Verbesserung der Kooperation unter den Ministerien, deren Tätigkeit den Fremdenverkehr tangiert, wurde im Jahr 2000 eine Kommission für Zusammenarbeit gegründet. Weiter wurde der Tourismusrat gegründet, dessen Aufgabe darin besteht, die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwischen den staatlichen und den privaten Organisationen zu fördern. Zur Sicherstellung der Werbung im Ausland wurde 1993 die Tschechische Tourismuszentrale gegründet.282 Obwohl die touristischen Anliegen bei der tschechischen Regierung keine prioritäre Stellung geniessen, wurden in den letzten Jahren einige Fortschritte erzielt. Zu den wichtigsten gehören unbestritten die Ausarbeitung des Tourismusgesetzes und des Konzeptes der staatlichen Tourismuspolitik sowie die Eingliederung des Fremdenverkehrs in den Nationalen Entwicklungsplan (RDP) und in die Strategie der Regionalentwicklung.283 5.6.3 Politische Parteien Die tschechische Politik war während Jahrzehnten durch das kommunistische Einparteisystem gekennzeichnet. Erst nach 1989 stieg die Zahl der politischen Parteien und ihre Möglichkeiten, auf wichtige Entscheidungen Einfluss zu nehmen, gewaltig an. Im Jahre 1998 existierten insgesamt 53 Parteien und 28 Bewegungen. Die ersten freien Parlamentswahlen, an denen 97% der Wahlberechtigen teilnahmen, fanden 1990 statt. Das kurz nach der Wende entstandene „Bürgerforum“ gewann mit fast 50% der Stimmen.284 Im Jahre 1992 triumphierte in der ČR mit 30% der Stimmen die aus der Demokratischen Bürgerpartei und der Christlichdemokratischen Partei gebildete liberal-konservative Koalition. Die Kommunisten konnten 14% der Stimmen auf sich vereinigen und die Sozialdemokraten schnitten mit 7% schlechter ab, als erwartet.285 Die Parlamentswahlen von 1996 waren die ersten Wahlen in der Geschichte der jungen Tschechischen Republik. Die Demokratische Bürgerpartei (ODS) mit Ministerpräsident Klaus an der Spitze wurde mit 29% der Stimmen die stärkste Partei. Ihr Sieg war jedoch mit 3% Vorsprung auf die zweitklassierte Sozialdemokratische Partei (ČSSD) relativ knapp. Die Sozialdemokraten erhielten mit 26% rund dreimal so viel Stimmen wie bei den Wahlen von 1992. Die Kommunisten eroberten mit 10% der Stimmen den dritten Platz. Die vorgezogenen Wahlen von 1998 gewann die Sozialdemokratische Partei (vgl. Tabelle 6). 281 282 283 284 285 Vgl. Art. 44 ff. der Verfassung Nr. 1/1993 Sb.; Vodička (1996), S. 375 ff. Vgl. Kap. 9.3.1. Vgl. Kap. 9.4.2. Vgl. Fiala/Mareš/Pšeja (1998), S. 271 f. Vgl. Vodička (1996), S. 261 ff. 94 Wahlergebnisse Stimmen (in %) Politische Parteien Demokratische Bürgerpartei (ODS) Sozialdemokratische Partei (ČSSD) Kommunistische Partei (KSČM) Christdemokratische Union – Volkspartei (KDU-ČSL) Republikanische Partei (SPR-RSČ) Demokratische Bürgerallianz (ODA) Freiheitsunion (US) Zentrumskoalition (KDU-US) 1996 1998 2002 30 26 10 28 32 11 24 30 18 8 9 -- 8 6 --- 4 -9 -- ---14 Tabelle 6: Wahlergebnisse (1996-2002)286 Die finanziell schwächeren sozialen Gruppen wie Arbeiter, Rentner und staatliche Beamte waren nicht mehr bereit, die Politik von Klaus zu unterstützen und weitere Wohlstandseinbussen in Kauf zu nehmen. Im Sommer 1998 wurde zwischen den regierenden Sozialdemokraten und der oppositionellen Demokratischen Bürgerpartei ein Oppositionsvertrag geschlossen. Dieser besagte, dass die Sozialdemokraten als Sieger der Wahlen alleine regieren können, obwohl sie mit 74 Mandaten im Abgeordnetenhaus weit von einer Mehrheit entfernt waren. Die ODS garantierte, während der ganzen Legislaturperiode von Misstrauensvoten gegen die Regierung abzusehen; im Gegenzug erhielt sie wichtige Funktionen in den staatlichen Organen. Diese Abmachung führte somit zur faktischen Unabsetzbarkeit des Kabinetts. Zur Unterstützung von Regierungsvorlagen war die Bürgerpartei jedoch nicht verpflichtet und die Regierung von Zeman war so nur sehr beschränkt handlungsfähig.287 Im ersten Moment schien es, dass in dieser unstabilen politischen Situation das Tempo der Reformen, die Tschechien dringend weiterführen müsste, gefährlich verlangsamt werden könnte. Die Sozialdemokratische Partei verstand es aber, insbesondere im Vorfeld der Parlamentswahlen 2002, das wirtschaftliche Wachstum zu beschleunigen und ihren Wahlsieg von 1998 zu wiederholen.288 Sie erzielte mit rund 30% fast das gleiche Ergebnis wie vor vier Jahren. Auf dem zweiten Platz landete die ODS, die gegenüber 1998 ebenfalls leicht verlor und noch auf gut 24% kam. Im Lichte der Ambitionen der ODS auf einen Wahlsieg stellte das Resultat aber eine Enttäuschung dar. Noch schlechter als die Bürgerlichen schnitt die Zentrumskoalition ab. Diese Formation brandmarkte den Oppositionsvertrag als Betrug an den Wählern und versprach Transparenz in die Politik zurückzubringen. Noch im Jahre 2001 schien sie einem sicheren Wahlsieg entgegenzusteuern und nun musste sie sich mit nur 14% der Stimmen begnügen. Die Kommunisten konnten dagegen ihren Stimmenanteil gegenüber 1998 von 11% auf 18% steigern und den dritten Platz belegen (vgl. Tabelle 6). Von den anderen Parteien 286 287 288 In Anlehnung an Fiala/Mareš/Pšeja (1998), S. 285 ff.; Hermann (2002a), S. 1. Vgl. Hermann (1999a), S. 5, (1999b) S. 3; (1999c), S. 5 und (1999e), S. 1. Vgl. Kap. 5.7.4. 95 wurde dieser Erfolg auf eine geringe Wahlbeteiligung von 58% und auf eine disziplinierte Stammwählerschaft der KSČM zurückgeführt.289 Die touristischen Anliegen haben bei den Wählern in Tschechien keinen grossen Stellenwert und stehen deshalb auf der Agenda der politischen Parteien oft im Hintergrund. Die Sozialdemokraten setzten sich aber im Vergleich zu ihrem Vorgänger für die Bedürfnisse der Tourismusbranche deutlich stärker ein. Kurz nach dem Wahlsieg im Jahre 1998 sprachen sie sich für eine Abkehr von der pragmatischen hin zur konzeptionellen Tourismuspolitik aus und erklärten sich in ihrem Programm bereit, einen gesetzlichen Rahmen für die Tourismusbranche zu schaffen sowie strategische Konzepte für die Tourismusentwicklung auszuarbeiten.290 5.7 Wirtschaftliche Entwicklung Die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes ist durch das Zusammenwirken von vielen Faktoren bestimmt. Der Fremdenverkehr nimmt an der wirtschaftlichen Entwicklung ebenfalls Teil. In den Ländern und Orten mit touristischer Monostruktur ist das touristische Wachstum für das Funktionieren der restlichen Wirtschaftsbereiche sogar von entscheidender Bedeutung. Umgekehrt wird aber die Tourismusbranche auch durch die wirtschaftlichen Lebenszyklen beachtlich beeinflusst, wie bereits im Kapitel 4.8.1 aufgezeigt wurde. Wie sich die Wirtschaft in Tschechien vor und nach dem Systemwechsel entwickelte und wie sich diese Veränderungen auf die Tourismusbranche auswirkten, wird in den folgenden Kapiteln skizziert. 5.7.1 Einführung der Planwirtschaft und Industrialisierung Mit der Verabschiedung des ersten Zweijahresplanes nach den Wahlen von 1946 beschritt die Tschechoslowakei nach der Sowjetunion als zweites Land den Weg der Planwirtschaft. Sie war damit die erste hoch industrialisierte Volkswirtschaft in der Geschichte überhaupt, die eine zentrale Wirtschaftslenkung unter Berücksichtigung von Marktbedingungen in einem demokratischen politischen System einführte.291 Das Jahr 1948 bedeutete aber infolge der kommunistischen Machtübernahme einen Bruch in der bestehenden Planungskonzeption. Die kommunistische Regierung übernahm das sowjetische Wirtschaftsmodell ungeachtet der unterschiedlichen Ausgangsbedingungen vollständig und bezeichnete jedes Abweichen davon als unerwünscht. Der Marktmechanismus wurde im Laufe des ersten Fünfjahresplanes völlig ausgeschaltet und durch eine zentrale Planung ersetzt. Mit verschiedenen Gesetzen wurde der Weg zur endgültigen Verstaatlichung sämtlicher Produktionsmittel geschaffen, was dazu führte, dass der private Unternehmenssektor im Laufe der 50er Jahre fast verschwand. Da die Existenz von vielen Unternehmen die sozialistische Planung enorm überfordert hätte, wurde das Entstehen grosser wirtschaftlicher Einheiten (VHJ) so stark gefördert, dass in zahlreichen Wirtschaftszweigen eine Monostruktur der Grossbetriebe entstanden war.292 289 290 291 292 Vgl. Hermann (2002), S. 3 und (2002a), S. 1. Vgl. Kap. 9.2.2. Vgl. Tänzler (1999), S. 8. Vgl. Müller-Eschenbach (1995), S. 16; Altmann (1977), S. 155 f.; Hanke (1999), S. 110 f. 96 Die entscheidenden Kennziffern für die Wirtschaftsentwicklung wurden vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei in Fünfjahresplänen vorgegeben. Diese wurden dann vom staatlichen Planungsamt an die einzelnen Ministerien weitergegeben. Sodann kamen die Unternehmensvereinigungen, und am Schluss der Hierarchie erhielten die Betriebe für sie verbindliche Kennziffern über die Input- und Outputzahlen. Die Entscheidungsautonomie der einzelnen Betriebe wurde mit diesem System beseitigt.293 Dies galt auch für die Tourismusbranche, die vom Zentrum planmässig geleitet wurde. Das grundlegende Konzept der Tourismusentwicklung, das einen Teil des übergeordneten langfristigen Planes bildete, wurde in Fünfjahresplänen konkretisiert. Einen Tourismusmarkt im eigentlichen Sinne gab es nicht, da sich die Entscheidungen nicht an bestehenden Bedürfnissen orientierten, sondern an den übergeordneten Plänen.294 Wirtschaftspolitisch wurde die Strategie der extensiven Industrialisierung mit der einseitigen Förderung der Schwerindustrie verfolgt. Der tertiäre Sektor, zu dem auch der Tourismus gehört, blieb planmässig zurück und Dienstleistungen wurden nur dort ausgebaut, wo sie der Schwerindustrie nutzten. Mit der Verlegung der Aussenhandelsströme von Westen nach Osten wurde die Tschechoslowakei zur „Schmiede Osteuropas“ mit der Aufgabe, die sozialistischen Länder mit schweren Maschinen zu beliefern.295 Die Industrialisierung hinterliess in der Tourismusbranche ihre Spuren. Der Mangel an Arbeitskräften, die fehlende touristische Infraund Suprastruktur und die sich daraus ergebende mangelhafte Qualität von Dienstleistungen waren die Folgen davon. Die Zielsetzung, mittels Industrialisierung um jeden Preis hohe Zuwachsraten zu erwirtschaften, hatte auch sonst für das Land schwere Einbussen zur Folge. Das Grundproblem der niedrigen wirtschaftlichen Effizienz lag darin, dass es zwischen der Planungszentrale und den einzelnen Betrieben permanent Interessensgegensätze gab, die man nicht überwinden konnte. Die Planungszentrale war bei der Erstellung der Pläne auf Informationen von ihr untergeordneten Stellen angewiesen, deren Richtigkeit sie nicht überprüfen konnte. Bei der Lieferung richtiger Daten hätten die Unternehmen höhere Planaufgaben erhalten, wobei durch die Weitergabe von falschen Daten niedrigere Planauflagen und Aussicht auf Prämien bei der Erfüllung dieses Planes die Folgen waren. Der verschwenderische Umgang mit Ressourcen wurde auf diese Art eigentlich belohnt und das Innovationsstreben sowie die technologische Entwicklung wurden nicht gefördert.296 Trotz der negativen Entwicklung war Kritik an dem übernommenen Wirtschaftssystem im Grunde nicht möglich, da diese wegen der engen Verknüpfung des wirtschaftlichen mit dem politischen System einem Angriff gegen den Sozialismus gleichgesetzt wurde. Erst während der Wirtschaftskrise Anfang der 60er Jahre wurde eine Diskussion über alternative Plankonzepte ermöglicht. 293 294 295 296 Vgl. Schmucker (1995), S. 7. Vgl. Kap. 8.2. Vgl. Kosta (1988), S. 136; Teichová (1988), S. 115. Vgl. Bolz (1990), S. 13; Pesendorfer (1998), S. 46 f. 97 5.7.2 Reformversuche (1968) In den 60er Jahren erkannte man den Bedarf einer fundamentalen Veränderung der sozialistischen Wirtschaft. Die Kommunistische Partei hatte jedoch trotz Einsicht in die Notwendigkeit von Wirtschaftsreformen stets versucht, ein Reformmodell zu verwirklichen, das die gegebenen parteilichen und politischen Machtstrukturen möglichst wenig beeinträchtigte. So begrüsste der Regierungschef Novotný aufgrund der wirtschaftlichen Situation grundsätzlich eine Reform, gleichzeitig lehnte er aber sowohl eine Synthese von Plan und Markt als auch einen repräsentativ-demokratischen Pluralismus ab.297 Als im Januar 1968 Novotný durch Dubček abgelöst wurde, bekannten sich alle politischen Kräfte und Gruppierungen einschliesslich der Kommunistischen Partei zur Wirtschaftsreform, deren Ziel die Einführung der „regulierten Marktwirtschaft“ beinhaltete. Der neue Regierungschef schaffte es, dass die Veränderungen auch von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung unterstützt wurden. Das Reformprogramm ging unter der Bezeichnung „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ in die Geschichte ein.298 Die regulierte Marktwirtschaft oder der sog. „Dritte Weg“ zeichnete sich besonders durch Dezentralisierungsbestrebungen und eine Konsumorientierung der Wachstumspolitik aus. Die Staatspläne sollten nur als Informationen für die Betriebe dienen, während Arbeiterräte eine neue Form der Mitbestimmung und Kontrolle in den Unternehmen ausübten. Es war wichtig, den Betrieben zu gestatten, auf Marktsignale reagieren zu können. Unter den Unternehmen sollte ein Wettbewerb entstehen, und etwa 30% aller Einzelhandelspreise sollten in die Kategorie der freien Preise fallen.299 Obwohl die Veränderungen insbesondere die Industriebranche betrafen, waren ebenfalls in der Tourismusbranche gewisse Lockerungen geplant. Den Unternehmen sollte ermöglicht werden, auf Veränderungen der touristischen Nachfrage zu reagieren und auf die Bedürfnisse der Tourismusteilnehmer eingehen zu können. Zur Realisierung dieser Vorhaben sollte auch die Vereinfachung der Aus- und Einreiseformalitäten beitragen. Im krassen Gegensatz zu der Reformfreudigkeit und Begeisterung in der Tschechoslowakei standen jedoch die Meinungen der übrigen sozialistischen Länder und besonders die der Sowjetunion. Die Kommunisten fühlten sich durch die Entwicklung in der ČSSR bedroht und fürchteten Machteinbussen. So auch z.B. der ehemalige Erste Sekretär der Sozialistischen Einheitspartei (SED) der DDR, Ulbricht: „Geht die Entwicklung in der Tschechoslowakei so weiter, dann sind wir alle bald selbst gefährdet, wenn nicht weggefegt.“300 Der Einmarsch von 400’000 Soldaten der Truppen des Warschauer Paktes in der Nacht vom 20. zum 21. August 1968 machte die immer lauter werdenden Drohungen der anderen sozialistischen Länder wahr. Jegliche Demokratisierungsprozesse wurden gestoppt und rückgängig gemacht. Die Grenzen nach Westen wurden wieder geschlossen und die Aus- und Einreiseformalitäten stark verschärft. 297 298 299 300 Vgl. Tamm (1993), S. 18. Die Ausarbeitung des Konzeptes der Wirtschaftsreform wurde dem Direktor des ökonomischen Institutes der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften Ota Šik anvertraut. In den Jahren 1970-1989 war Šik als Professor an der Hochschule St. Gallen tätig. Vgl. Teichová (1988), S. 127 f.; Němcová/Žák (1997), S. 215; Tamm (1993), S. 18 ff.; Osers (1990), S. 110; Juchler (1994), S. 318. Ubricht in Dobias (1986), S. 190, zitiert nach Tamm (1993), S. 23. 98 5.7.3 Rückkehr zur Planwirtschaft (1969-1989) Durch die Besetzung des Landes wurden die Reformbemühungen abrupt beendet. Schon Ende März 1969 wurden Alexander Dubček und Ota Šik ihres Amtes enthoben und Gustav Husák zum ersten Parteisekretär und später zum Staatspräsidenten ernannt. Im Mai wurden die Neuwahlen von Betriebsräten verboten und kurze Zeit später die Auflösung der bereits existierenden Räte angeordnet. Es wurden wieder Preiskontrollen eingeführt und in der zweiten Hälfte 1969 mit der schrittweisen Rückkehr zum administrativ-direktiven Lenkungssystem mit imperativer Planung begonnen. Diese Veränderungen machten auch vor der Tourismusbranche nicht Halt. Die Bevölkerung war passiv und desillusioniert. Das Wort Reform wurde ersatzlos aus den Wörterbüchern gestrichen und alle Gedanken über ein radikales Reformprogramm für die nächsten achtzehn Jahre tabuisiert.301 Die Rückkehr zum alten Planungskonzept mit Bevorzugung der Schwerindustrie führte in den folgenden Jahren zu zunehmenden Schwierigkeiten in der Wirtschaft. Diese wurden durch die internationale Ölkrise 1974 und durch die Verschlechterung der Terms of Trades noch verstärkt. Im Jahre 1981 musste die Regierung zum ersten Mal seit 1963 ein negatives Wirtschaftswachstum eingestehen.302 Die ständigen Versorgungsengpässe, das Schlangestehen vor den Geschäften mit leeren Regalen, das Absinken der Qualität, das Horten von Gütern, die Korruption und die Existenz von Schwarzmärkten waren charakteristisch für all diese Jahre. Dies beeinflusste auch die Tourismusentwicklung. Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre wurden vermehrt Einkaufsreisen in die sozialistischen Nachbarländer unternommen, um sich dort die fehlenden Artikel zu besorgen. Das Missverhältnis zwischen den finanziellen Mitteln und dem Güterangebot zeigte sich zudem in der unterdrückten Inflation. Gründe für diese schwere Wirtschaftskrise waren vor allem folgende: Vergeudung knapper Ressourcen, lange Modernisierungszyklen, geringe Angebotsflexibilität, Verzicht auf marktmässig ermittelte Preise, Löhne und Zinsen, Produktion ohne Bedarfsorientierung, Vernachlässigung der Infrastruktur, Zerstörung der Umwelt, Beschränkung der Eigeninitiative, Subventionierung der hohen Produktionskosten und eingeschränkte Leistungsfähigkeit der zentralen Wirtschaftsplanung.303 Angesichts dieser fundamentalen Probleme wäre eine radikale Wirtschaftsreform notwendig gewesen. Das zentrale Planungskomitee der Kommunistischen Partei sah sich aber erst im Dezember 1987 gezwungen, ein neues Reformkonzept, das vermehrt Marktkräfte spielen lassen sollte, auszuarbeiten. Angestrebt wurde die Zerschlagung von Grossunternehmen in kleinere Einheiten, um die Autonomie der einzelnen Betriebe zu fördern. Die mittlere Planungshierarchie hätte ausgeschaltet werden sollen. Gleichzeitig wurde vermehrt eine leistungsorientierte Honorierung, die sich an der Befriedigung der Nachfrage ausrichtete, angestrebt.304 Im Rahmen der geplanten Reform wurde auch eine Verbesserung und Vertiefung der Tourismusplanung in Angriff genommen. Um die ausländischen Investoren anzulocken, wurde das Joint Venture Gesetz verabschiedet. Die ganzen Massnahmen hätten auf den 1. Januar 1990 eingeführt werden sollen; dazu kam es jedoch wegen den politischen Ereignissen von 1989 nicht mehr. 301 302 303 304 Vgl. Teichová (1988), S. 129 f.; Tamm (1993), S. 24; Bayer (1999), S. 117. Vgl. Müller-Eschenbach (1995), S. 24; Teichová (1988), S. 131. Vgl. Pesendorfer (1998), S. 46; Tamm (1993), S. 26 f. Vgl. Hollmann (1996), S. 9 f.; Frensch (1989), S. 270 ff. 99 5.7.4 Wirtschaftliche Transformation Nach dem Zusammenbruch des alten politischen Systems im Jahr 1989 trat die wirtschaftlich zurückgebliebene Tschechoslowakei, deren BIP pro Kopf im Jahr 1948 mit Österreich vergleichbar war und im Jahr 1990 nur noch etwa 1/5 von diesem betrug,305 in eine Periode politischer und wirtschaftlicher Instabilität ein. 5.7.4.1 Rezession (1990-1992) Die ersten zwei Jahre nach der Wende waren durch eine Rezession gekennzeichnet. Das Bruttoinlandprodukt sank kumulativ um 15%.306 Die Tourismuswirtschaft blieb von dieser negativen Entwicklung als eine der wenigen Branchen nicht nur verschont, sondern erlebte sogar einen grossen Aufschwung und half die rezessive Transformationsphase der tschechischen Wirtschaft zu überbrücken. Dies wird nicht nur durch eine relative Konjunkturstabilität des Fremdenverkehrs erklärt,307 sondern vor allem durch die ausserökonomischen Wachstumsimpulse, welche die neue politische Situation dem Tourismus verlieh. Nach zwanzig Jahren wurden die Grenzen zum Westen geöffnet und die neu erlangte Freiheit löste unter der Bevölkerung eine regelrechte Euphorie aus. Auch umgekehrt war das Interesse der westlichen Bürger am Besuch eines postkommunistischen Landes gross.308 Um eine tiefere und andauernde Rezession der Wirtschaft zu verhindern, wurde unmittelbar nach der Wende nach geeigneten marktwirtschaftlich orientierten Transformationstheorien gesucht, wobei zwei Fragen im Vordergrund standen: Zum einen ging es um die richtige Reihenfolge der Reformschritte und zum anderen stand ihre angemessene Geschwindigkeit zur Debatte. Die Beantwortung dieser Fragen erwies sich aber als eine schwierige Aufgabe, da die Wissenschaft aufgrund der Inexistenz einer allgemeinen Transformationstheorie der Wirtschaftspolitik keine konkreten Handlungsanweisungen geben konnte. Trotz dieser Schwierigkeiten beschloss die Regierung im August 1990 das Szenarium der Wirtschaftsreform und stellte ein geschlossenes Konzept des Übergangs zur Marktwirtschaft vor. Das Ziel war es, die Marktwirtschaft in möglichst kurzer Zeit einzuführen, um durch hohes wirtschaftliches Wachstum das Wohlstandsniveau der westlichen Länder rasch zu erreichen. Von Regierungschef Klaus wurde eine „Marktwirtschaft ohne Adjektive“ angestrebt und ein radikaler Übergang eingeleitet.309 In der Slowakei zog man das gradualistische Konzept sowie einen staatlich reglementierten Markt vor, was zur Verlangsamung der ganzen Transformation und letztendlich auch zur Spaltung der Tschechoslowakei führte. Nach der Trennung des Landes wurde das Reformprogramm in seiner Ausgestaltung als Schocktherapie nur in der ČR durchgeführt. 305 306 307 308 309 Vgl. Dyba/Švejar (1997), S. 27 f. Vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (1999a), S. 14. Vgl. Kap. 4.8.1. Vgl. Kap. 7.3.1. Das Konzept des dritten Weges von Šik aus den 60er Jahren wurde strikte abgelehnt. (Vgl. Pesendorfer [1998], S. 98). 100 5.7.4.2 Reformprogramm Den Kern des Reformprogramms, das sich am Konzept einer neoliberalen Wirtschafspolitik orientierte, bildeten drei ordnungspolitische Elemente: Liberalisierung, Privatisierung und eine restriktive Geld- und Fiskalpolitik (vgl. Tabelle 7). Tschechisches Reformprogramm Privatisierung Liberalisierung Restriktive Fiskal- und Geldpolitik Konsequente Privatisierung der grossen Staatsbetriebe Freigabe der Preise von Gütern und Dienstleistungen Umfassende Reform des Systems der Staatseinnahmen und -ausgaben Förderung privater Kleinbetriebe Liberalisierung des Aussenhandels Fester Wechselkurs gegenüber einem Währungskorb Befriedigung von Restitutionsansprüchen Interne Konvertibilität der Krone Richtlinien für Minimallöhne und Nominallohnsteigerungen Tabelle 7: Ordnungspolitische Elemente des Reformprogramms310 a) Liberalisierung Gleich zu Beginn der Reformen wurden im Januar 1991 die Preise für Güter und Dienstleistungen, die zusammen ca. 85% des Bruttoinlandproduktes ausmachten, freigegeben und viele Subventionen, welche 1989 noch 16% des BIP ausmachten, gestrichen. In der Folge stiegen die Preise um mehr als 50% an, stabilisierten sich jedoch schon nach fünf Monaten aufgrund der restriktiven Geldpolitik. Dank der konsequenten Fortsetzung der Liberalisierungspolitik standen Anfang 1992 nur noch ca. 6% des BIP unter staatlicher Preiskontrolle und die Subventionen sanken auf 4.6%.311 Die Liberalisierung der Preise als solche brachte aber keine unmittelbare Verbesserung der Wirtschaftslage mit sich. Sie bereinigte jedoch die Verzerrungen in den Preisrelationen und schuf damit eine der wichtigen Voraussetzungen für einen funktionierenden Wettbewerb sowie eine Basis für rationelle Entscheidungen der Wirtschaft. Für den Tourismus bedeutete dies, dass die Preise nach mehreren Jahrzehnten nicht durch den Staat, sondern durch die Entwicklung von Angebot und Nachfrage auf dem Tourismusmarkt bestimmt wurden. In den ersten Jahren nach der Wende herrschte in der Tourismusbranche ein Verkäufermarkt, da die Nachfrage das Angebot mehrfach überstieg und dementsprechend lagen die verlangten Preise über dem Gleichgewichtspunkt. Neben der Preisfreigabe sorgte man für eine weitgehende Liberalisierung der Aussenwirtschaft. Das nach sowjetischem Muster konzipierte Aussenwirtschaftssystem, geprägt durch eine starke Integration in den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und die Abschottung gegenüber dem Westen, war nicht mehr lebensfähig. Das Konzept der Umgestaltung der Aussenwirtschaft sah neben einer radikalen Abwertung der Krone eine möglichst rasche Einführung der inneren Konvertibilität sowie eine volle Liberalisierung des Aussenhandels vor. Die innere Konvertibilität wurde mit dem Inkrafttreten des Devisengesetzes im Januar 1991 eingeführt. Zu diesem Zeitpunkt wurden ebenfalls die bis dahin verwendeten drei Wechsel310 311 In Anlehnung an Hollmann (1996), S. 13; Weber (1994), S. 97. Vgl. Koromzay (1992), S. 35, zitiert nach Weber (1994), S. 97; Aslund (1992), S. 41; Bayer (1999), S. 199. 101 kursarten (der kommerzielle, der touristische und der Auktionskurs) vereinheitlicht und ein nomineller Wechselkurs fixiert. Dies vereinfachte auch viele Transaktionen in der Tourismusbranche. Die Unternehmenssubjekte waren nicht mehr verpflichtet Einkünfte aus dem Ausland der Bank anzubieten und es wurde ihnen ermöglicht, die Vertragsverbindlichkeiten im Ausland in fremder Währung zu begleichen. Die Abwertung der tschechischen Währung brachte für die ausländischen Besucher eine Verbilligung der touristischen Dienstleistungen, was teilweise steigende Zahlen im Incoming-Tourismus zur Folge hatte. Die Auslandsreisen, die durch die Abwertung teurer wurden, verminderten sich in der Zeit der andauernden „GoWest-Euphorie“ nicht; es wurde aber auf billigere Reiseformen ausgewichen.312 b) Privatisierung Die Privatisierung der Staatsbetriebe bildete eine unabdingbare Voraussetzung für den Übergang zur Marktwirtschaft. Die Regierung erkannte dies sehr früh und machte die Privatisierung zum eigentlichen Kern ihres Reformprogramms und ordnete ihr höchste Priorität zu. Die mit der Privatisierung gekoppelte Wiedereinführung des Privateigentums an Produktionsmitteln stellte nach Premierminister Klaus die prinzipielle Voraussetzung für die Schaffung einer rational funktionierenden Wirtschaft dar. Tausende von Unternehmen sollten in wenigen Monaten bis Jahren entstaatlicht werden. Besonderen Vorrang vor der Privatisierung hatte die Restitution. Die Regierung beschloss, dass die ehemaligen Eigentümer von Grundstücken und Immobilien, die nach dem 25. Februar 1948 enteignet worden waren, einen Anspruch auf Rückübertragung haben. Die der Restitution unterliegenden Objekte wurden somit aus der Privatisierung ausgeklammert. Im Rahmen der im Jahr 1991 durchgeführten kleinen Privatisierung wurden mittels öffentlichen Versteigerungen und im direkten Verkauf vor allem kleinere Gewerbebetriebe, Einzelhandelsgeschäfte, Dienstleistungsbetriebe und Gaststätten angeboten. Im Juni 1992 waren schon 1.5 Mio. selbständige Unternehmen registriert. Tschechien zählte im Januar 1993 ca. 0.95 Mio. Unternehmen.313 Der grossen Privatisierung unterlagen vor allem grössere staatliche Unternehmen und Organisationen ohne Erwerbscharakter. Von den verschiedenen Privatisierungsmethoden rückte die Couponprivatisierung in den Vordergrund: Jeder erwachsene Bürger erhielt die Möglichkeit, 1’000 Kronen zu investieren und dafür ein Couponbuch mit tausend Punkten zu erhalten. Diese durften in verschiedene Investitionsfonds oder einzelne Unternehmen investiert werden. In zwei Wellen der grossen Privatisierung wurden bis Ende 1994 etwa 4’000 grosse Unternehmen privatisiert und Tschechien hatte sechs Millionen Aktionäre.314 Für die Entwicklung der Tourismusbranche war vor allem die kleine Privatisierung von Bedeutung. Da man die meisten Einrichtungen bereits am Anfang der Transformation an Private verkaufte, wurde den Unternehmern ein guter Start ermöglicht. Die grossen Hoteleinrichtungen und Reisebüros wurden in der grossen Privatisierung entstaatlicht.315 312 313 314 315 Vgl. Kap. 7.3.1. Vgl. Heumann (1992), S. 27; Němec (1993), S. 4. Nicht privatisiert wurden Institutionen wie die Post, die Eisenbahn und gewisse Versorgungsunternehmen. (Vgl. Dyba/Švejnar [1997], S. 33). Vgl. Kap. 6.2.3. 102 c) Fiskal- und Geldpolitik Im Bereich der Fiskalpolitik wurden zwei Hauptziele verfolgt. Zum einen sollte der Anteil der öffentlichen Haushalte an der Wirtschaft stark reduziert werden, indem man Steuern senkte und Subventionen kürzte. Zum anderen sollte die Volkswirtschaft nachhaltig stabilisiert werden. Sie litt deutlich unter der radikalen Liberalisierungspolitik und den aussenwirtschaftlichen Turbulenzen, die durch den Zusammenbruch des RGW und der sich abzeichnenden weltweiten Rezession verursacht wurden. Durch eine disziplinierte Finanzpolitik verfolgte die Regierung das Ziel, den Nachfrageüberhang unter Kontrolle zu halten und damit eine Inflation zu verhindern. Schon 1991 senkte man daher den Anteil der Staatsausgaben am BIP um ca. 11%, strich viele Subventionen und nahm gewisse Einschnitte ins Sozialnetz vor.316 Die Massnahmen der Fiskalpolitik wurden zusätzlich durch eine restriktive Geldpolitik unterstützt. Ziel der Geldpolitik war in erster Linie, Wechselkurse und Preise möglichst stabil zu halten. Vor allem der sprunghafte Anstieg der Verbraucherpreise nach ihrer Liberalisierung und die Abwertung der Krone sollten so schnell unter Kontrolle gebracht werden. Man entschied sich für einen durch einen Währungskorb der wichtigsten Aussenhandelspartner fixierten Wechselkurs, um so das Preisniveau durch direkte Stabilisierung der Importpreise zu beeinflussen. Gleichzeitig erreichte man damit eine Verringerung der Preissetzungsspielräume für den Exportsektor. Die Tourismusbranche wurde von diesen Massnahmen nicht stark betroffen, da Anfang der 90er Jahre für den Tourismus andere Gründe als die Preise der angebotenen Dienstleistungen ausschlaggebend waren.317 Um die Kreditvergabe der Banken zu beschränken, wurden den einzelnen Institutionen Höchstgrenzen vorgegeben und eine Hochzinspolitik betrieben. Unter diesen Massnahmen litten jedoch weniger die staatlichen Grossunternehmen als vielmehr die kleinen, neu gegründeten Unternehmen. Die Entwicklung der Tourismuswirtschaft, die sich überwiegend aus KMU zusammensetzt, wurde durch die hohen Zinssätze beeinträchtigt. Dies widerspiegelte sich vor allem in den ungenügenden Investitionen in die Infra- und Suprastruktur, in mangelnden Innovationen sowie in fehlenden Verbesserungen der Tourismusprodukte.318 5.7.4.3 Konjunktur (1993-1995) Nach der anfänglichen Rezession stagnierte 1993 die tschechische Wirtschaft. Ein Jahr später kam es zu einer wirtschaftlichen Konjunktur, die sich auch 1994 fortsetzte. 1995 erreichte das Wachstum des Bruttoinlandproduktes 6.4%. Das schnelle Wachstum wurde vor allem durch den Anstieg der inländischen Nachfrage, die auf den starken Verfall der Produktion reagierte, verursacht.319 In der Tourismusbranche setzte sich der Boom weiter fort und 1996 wurden bei den Ein- und Ausreisen sowie bei den Deviseneinnahmen und -ausgaben die höchsten Zahlen in der Geschichte des Landes erzielt.320 Im Jahr 1995 wurde die Tschechische Republik unter den 25 Transformationsländern als am weitaus positivsten bezüglich wirtschaftlicher und politischer Stabilität, Wirtschaftswachstum, Infrastruktur und Produktivität bewertet. Bis zum Frühjahr 1997 war sie das einzige Land Mittelosteuropas, das von einer einschneidenden 316 317 318 319 320 Vgl. Bayer (1999), S. 151; Weber (1994), S. 99. Vgl. Kap. 6.5.2. Vgl. z.B. die Zahl der Unterkunftseinrichtungen nach verschieden Kategorien in der Tabelle 12. Vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (1999a), S. 14. Vgl. Kap. 7.3.1 und 7.5. 103 Transformationskrise verschont geblieben war. Aufgrund hoher Wachstumsraten (3.9%– 1996), niedriger Arbeitslosigkeit (3.5%–1996) und einer im Vergleich zu anderen Transformationsländern relativ niedrigen Inflationsrate (8.8%–1996) wurde von einem tschechischen Wirtschaftswunder gesprochen.321 5.7.4.4 Krise (1996-2001) Nach Jahren der konjunkturellen Belebung erhielt das strahlende Bild einer raschen, radikalen und zugleich populären Wirtschaftsreform grosse Risse. Die ersten Krisenzeichen machten sich bereits im Frühling 1996 bemerkbar. Alles begann mit einer Serie von Bankkonkursen und mehreren Börsenbetrugsfällen, was zum Rückzug vieler ausländischen Anleger führte. Die Handels- und Zahlungsbilanzen wurden geschwächt, das Zahlungsbilanzdefizit erreichte 1996 mit 5 Mrd. USD einen neuen Rekord. Nach dem vergeblichen Versuch einer Kursstützung der Krone, die unter massiven Abwertungsdruck geraten war, kam es Ende Mai 1997 zu einer Kursfreigabe. Statt des erwarteten Wachstums von 5% wurde 1997 nur 1% erreicht.322 Die bis zu diesem Zeitpunkt expandierende Tourismuswirtschaft fiel ebenfalls in eine Stagnation. 1997 kam es zu einem Rückgang des grenzüberschreitenden Tourismus, was folglich zu einer deutlichen Abnahme der Deviseneinnahmen und -ausgaben führte.323 Die allgemeinen Ursachen dieser zu spät erkannten Entwicklung lagen nach Ansicht der Experten vor allem auf der mikroökonomischen Ebene – insbesondere bei der Couponprivatisierung, die sehr problematische Eigentumsstrukturen hinterliess. Das Eigentum wurde unter eine Vielzahl von Kleinaktionären zerstreut, womit die Entwicklung der Wirtschaft stark beeinträchtigt wurde. Die meisten führenden Investitionsfonds wurden vom Staat oder von anderen Fonds kontrolliert, was einen missbrauchsanfälligen Filz schuf und zur Dominanz von Fremdkapital beitrug. Der ungenügend regulierte Kapitalmarkt, der eher als Spekulations- und nicht als Beschaffungsort für Eigenkapital diente, sowie die verzögerte Bankenprivatisierung leisteten ebenfalls ihren Beitrag zur Verschlechterung der Lage.324 Die Stagnation der Tourismusbranche wurde ausserdem noch durch die gesättigte Nachfrage im grenzüberschreitenden Tourismus verstärkt. Auch die Umstrukturierungen der Ausgaben der einheimischen Bevölkerung zuungunsten des Tourismus trugen zur Vertiefung der Stagnation der Tourismuswirtschaft bei. Nicht zuletzt waren für den Rückgang auch die Fehlentwicklungen auf der Seite des Angebotes und die nicht angemessene staatliche Tourismuspolitik verantwortlich.325 Als weitere Ursache für die wirtschaftliche Krise wurde die schlechte Ordnungspolitik genannt. Die Regierung unterordnete in ihrer Schocktherapie das Ordnungsproblem der Stabilisierungsaufgabe, was in der Folge zu einer gesamtwirtschaftlichen Verfehlung der Ziele führte. Die Kräfte des Marktes funktionierten nicht richtig, da die notwendigen ordnungspolitischen Voraussetzungen nicht gegeben waren.326 Wegen der fehlenden Rechtssicherheit wurde Tschechien in der ausländischen Presse sogar als Land „wo Schuldner über ihre Gläubiger lachen“327 bezeichnet. Die fehlenden Rahmenbedingungen und ungenügende Rechtssicherheit 321 322 323 324 325 326 327 Vgl. Höltschi (1999c), S. 23; Kreyenbühl (1999), S. 27 und (2000a), S. 21; o.V. (1997a), S. 10. Vgl. Rothacher (1999), S. 13 f.; Höltschi (1997), S. 21 und (1997a), S. 23; Hermann (1997), S. 23. Vgl. Kap. 7.3.2 und 7.5. Vgl. Höltschi (1997a), S. 23; Kreyenbühl (2000), S. 19; Keilhofer (1999), S. 198; Rothacher (1999), S. 14. Vgl. Kap. 7.3.2 und 10.2.1. Vgl. Keilhofer (1999), S. 202 f. Kreyenbühl (1999a), S. 15. 104 wirkten sich auch auf die Tourismusbranche aus. 1997 kam es zu einer Konkurswelle von Reisebüros, deren Ursache zum Teil in einer zu liberalen Tourismuspolitik lag. Die Absenz einer Regelung über die staatliche Unterstützung der Tourismusentwicklung führte dazu, dass ihre Förderung oft ausblieb oder sehr niedrig war.328 Die zu lange abwartende und tatenlos zusehende Regierung wurde im April 1997 gezwungen, ein erstes und Ende Mai 1997 ein zweites Stabilisierungsprogramm zu verabschieden. Diese Programme sahen eine Währungsabwertung, Verkürzungen der Staatsausgaben, Steuererhöhungen, Importbeschränkungen, das Einfrieren der Löhne im Staatsdienst und Verhandlungen mit den Tarifpartnern über Begrenzungen der Lohnzuwächse vor. Trotz dieser Massnahmen rutschte die Wirtschaft aber in eine Rezession, da sich die angeschlagene Regierung nicht mehr zu echten Strukturreformen aufraffen konnte.329 Das Ausmass der wirtschaftlichen Rezession, in welche das Land gefallen war, übertraf sämtliche Vorhersagen bei Weitem. Das Bruttoinlandprodukt fiel 1998 im Vergleich zum Vorjahr um 2.2%, die Inflation stieg auf 10.7% und die Arbeitslosigkeit erreichte 7.5% (vgl. Tabelle 8).330 Die wirtschaftliche Kluft zwischen Tschechien und den EU-Ländern erhöhte sich ebenfalls und beeinträchtigte den Beitritt. Die hartnäckige Rezession liess sich nach Ansicht von Experten auf die Nachwirkungen der Sparpakete von 1997, die Russlandkrise, die Wachstumsabschwächung auf dem EUMarkt und die Strukturschwächen der Wirtschaft zurückführen.331 In der Tourismusbranche setzte sich die sinkende Tendenz in den Jahren 1998-2000 fort. Dies wurde noch zusätzlich vor allem durch die weitere Abwertung der tschechischen Krone, die abnehmende Kaufkraft der einheimischen Bevölkerung und die ungenügende staatliche Förderung verstärkt. Die Wirtschaft in Zahlen (in %) Grösse/Jahr BIP Wachstum Inflationsrate Arbeitslosigkeit Leistungsbilanzdefizit (in % des BIP) 1996 1997 1998 1999 3.9 8.8 3.5 7.6 1 8.5 5.2 6.2 -2.2 10.7 7.5 2.4 -0.2 2.1 9.4 2 Tabelle 8: Wirtschaft in Zahlen (1996-1999)332 Zu der wirtschaftlichen Krise kam 1997 noch die politische hinzu, in deren Folge das Kabinett Klaus gestürzt wurde. Die Bevölkerung war aber auch sonst nicht mehr bereit, weiterhin Wohlstandseinbussen in Kauf zu nehmen. Schon 1996 ging aus Umfrageergebnissen hervor, dass zwei von drei Tschechen mit der Wirtschaftspolitik unzufrieden waren. Anfang 1998 haben nur 5% die Transformation als positiv beurteilt, 61% haben sie als eindeutig negativ bezeichnet. Der Sieg der Sozialdemokraten in den vorgezogenen Parlamentswahlen von 1998 328 329 330 331 332 Vgl. Kap. 6.4 und 7.3.2. Vgl. Rothacher (1999), S. 15; Höltschi (1997b), S. 23; o.V. (1997a), S. 10. Noch im Jahr 1996 betrug die Arbeitslosigkeit ca. 3.5% und Tschechien erhielt dafür Bewunderung und Anerkennung anderer Länder. (Vgl. Kreyenbühl [2000a], S. 21; Keilhofer [1999], S. 207). Vgl. Höltschi (1999), S. 21; (1999c), S. 23 und (1999b), S. 25. In Anlehnung an Höltschi (1999c), S. 23; Kreyenbühl (1999), S. 27 und (2000a), S. 21. 105 zeigte ebenfalls, dass sich ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung nicht zu den Gewinnern der Transformation zählte.333 5.7.4.5 Konjunktur (2002) Mitte 2002 präsentierte sich das Land in deutlich besserer Verfassung als in den letzten Jahren. Der sozialdemokratischen Regierung unter Zeman gelang es, nach langer Rezession das Wachstum zu beschleunigen (2.9%–2000, 3.6%–2001) und die Tschechische Republik in robuster konjunktureller Verfassung an die Wahlen vom Juni 2002 zu führen.334 Wie viel von dieser Trendwende auf zyklische Gesetzmässigkeiten und wie viel davon auf sozialdemokratische Wirtschaftsstrategie zurückzuführen ist, darüber streiten sich die Ökonomen. Ausser der starken Binnennachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern profitierte Tschechien von der starken Nachfrage aus dem europäischen Raum. Angesichts der EU-Beitritts-Perspektiven wurde das Land wieder vermehrt von ausländischen Investoren ausgesucht, da es nun als sicherer und aussichtsreicher Produktionsstandort gilt. Nicht zuletzt trug die Ausweitung der Nachfrage der öffentlichen Hand zur Beschleunigung des Wachstums bei. Die Sozialdemokraten verstanden es auch, relativ breite Kreise der Bevölkerung am Wachstum teilhaben zu lassen. Die Realeinkommen verbesserten sich, und gemessen am Bruttoinlandprodukt pro Kopf übertraf das Land mit 13’300 USD (2001) die anderen osteuropäischen Staaten und näherte sich den südlichen EU-Ländern.335 Auf die Tourismusentwicklung wirkte sich die Verbesserung der Einkommenssituation nicht so positiv aus wie erwartet. Dies ist mit grosser Wahrscheinlichkeit den Terroranschlägen in den USA am 11. September 2001 und den grossen Überflutungen Tschechiens im Sommer 2002 zuzuschreiben.336 Weiter gelang es der Regierung Zeman, die von Finanzskandalen aufgewühlte tschechische Gesellschaft wieder zu beruhigen. Der Bankensektor wurde mit grossem Aufwand saniert, privatisiert und von den neuen ausländischen Muttergesellschaften zu respektabler Leistungskraft zurückgeführt. Die tschechische Krone wertete sich während der letzten zwei Jahre stark auf und vorläufig führte diese Aufwertung nicht zu grossen Exporteinbussen. Im IncomingTourismus kam es zwar zu einem Rückgang, für diesen waren aber auch andere Faktoren mitverantwortlich.337 Trotz dem breiteren und stärkeren Wachstum wurde das Problem der steigenden Arbeitslosigkeit nicht entschärft. Die Arbeitslosenquote befand sich mit 8.5% Ende 2001 im zentraleuropäischen Vergleich zwar auf tiefem Niveau, was aber auch damit zu tun hatte, dass in Tschechien viele obsolete Industriearbeitsplätze auf politischen Druck hin konserviert wurden und die durchschnittliche Arbeitsproduktivität sich nur wenig verbesserte. Besonders prekär war die Lage in den nördlichen Regionen mit Spitzenwerten von mehr als 20%.338 Dies widerspiegelte sich auch in der verminderten touristischen Aktivität der ortansässigen Bevölkerung, die im Vergleich zu anderen Regionen, erwartungsgemäss kleiner war. Die grössten tourismusbedingten Ausgaben wurden 2001 im beschäftigungsstarken Prager Raum getätigt, die kleinsten in den Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit.339 333 334 335 336 337 338 339 Vgl. Pesendorfer (1999), S. 203; Kreidl (1998), S. 317; Keilhofer (1999), S. 195. Vgl. Kreyenbühl (2002), S. 29. Vgl. Mag Consulting (2000d), S. 30; Europäische Kommission (2002), S. 36. Vgl. Kap. 7.3.2. Vgl. Kap. 7.3.2. Vgl. Kreyenbühl (2001), S. 21; (2001b), S. 25 und (2002), S. 29. Vgl. Beránek (2002a), S. 94. 106 Den wohl schwersten Fehler machte die Regierung in der ungenügenden Bekämpfung von Korruption und Wirtschaftskriminalität, die sich bereits unter der Regierung Klaus ausbreiteten und nun auch für die EU-Kommission besorgniserregende Ausmasse annahmen.340 Die OECD kritisierte die Ausgabefreudigkeit der Sozialdemokraten. Im Rahmen des Programms zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums, bekannt unter dem Namen „Big Bang“, flossen insgesamt rund 165 Mrd. Kronen in die Wirtschaft. Dies stand im krassen Widerspruch zu früheren Empfehlungen der OECD, die lieber Massnahmen zur Reduktion des wachsenden Ungleichgewichts der öffentlichen Finanzen gesehen hätte.341 Die neue Regierung unter Špidla sieht in ihrem Programm trotzdem weitere, vor allem grosse soziale Ausgaben vor, die eine Defizitfinanzierung erfordern. Dies obwohl auch die EU auf einer beträchtlichen Austerität beharrt. Als Folge dieser Entscheidung wurde von der Regierung konsequenterweise die Übernahme des Euro vorläufig zurückgestellt, da das für einen Beitritt zur Währungsunion benötigte Budgetdefizit von max. 3% in den nächsten Jahren nicht erreicht werden kann.342 5.8 Tschechien und die EU Das Interesse an der Zusammenarbeit mit den EG-Ländern kündigte die Tschechoslowakei schon kurz nach der Wende an. Den Politikern wurde bald klar, dass die Kooperation mit den westeuropäischen Ländern die beste Garantie für die eigene Sicherheit, die politische Stabilität und die ökonomische Prosperität ist und dass ein kleines, zentral gelegenes, exportabhängiges Land auf die Hilfe und die Zusammenarbeit mit den Industrieländern angewiesen ist. Die ersten Schritte zu gemeinsamen Verhandlungen wurden im Jahr 1990 eingeleitet und Ende 1991 wurde das Assoziierungsabkommen (Europaabkommen) zwischen der ČSFR und der EG unterschrieben. Wegen der Trennung des gemeinsamen Staates zur Jahreswende 1992/93 wurde das Abkommen aber nicht ratifiziert. Es fanden erneute Verhandlungen statt und im Oktober 1993 wurde das neue Abkommen mit der Tschechischen Republik unterschrieben, das im Februar 1995 in Kraft trat. Es regelt die grundlegenden Beziehungen zwischen Tschechien und der Europäischen Gemeinschaft; den Anspruch auf eine zukünftige Mitgliedschaft beinhaltet es aber nicht. Ausser dem Ziel der Realisierung einer Freihandelszone umfasst das Abkommen noch andere Abmachungen über die zukünftige Zusammenarbeit. Es soll Tschechien vor allem zur gesunden makroökonomischen Entwicklung, zur Förderung von ausländischen Investitionen, zur Entwicklung des Privatsektors und zur Eingliederung in den internationalen Handel verhelfen und somit einen geeigneten Rahmen für die allmähliche Integration in die Gemeinschaft schaffen.343 Die Kriterien, welche die EU-Kandidaten bei ihrem Beitritt zu erfüllen haben, wurden an der Sitzung des Europarates in Kopenhagen in 1993 festgelegt und beinhalten folgendes:344 340 341 342 343 344 Vgl. Kap. 5.8. Vgl. Hermann (2001), S. 20. Vgl. Schmid (2002), S. 2. Vgl. Had/Jakš/Konečný (1997), S. 35; http://www.euroskop.cz/cr_evropdohoda.html (Stand am 2.5.2000). Vgl. Europäische Kommission (1997), S. 9. 107 • Institutionelle Stabilität als Garantie für eine demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten, • Eine funktionsfähige Marktwirtschaft sowie die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union standzuhalten, • Übernahme der aus der Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen und die Unterstützung der Ziele der politischen Union sowie jener der Wirtschafts- und Währungsunion. Im darauf folgenden Jahr wurde in Essen die Strategie für die Vorbereitung der assoziierten Länder auf die Mitgliedschaft vorgestellt. Die Vorbeitrittsstrategie stellt eine komplexe Politik dar, die verschiedene Formen der gegenseitigen Zusammenarbeit und der Hilfe zur Verfolgung des Zieles der regulären Mitgliedschaft umfasst. Sie basiert auf dem Europaabkommen, auf dem Programm Phare und auf dem strukturierten Dialog im Politikbereich. Phare ist auf die Unterstützung der Privatisierung, der kleinen und mittleren Unternehmenstätigkeit, des Umweltschutzes, der Verbesserung von Finanzdienstleistungen sowie auf die Förderung von weiteren Transformationsvorhaben ausgerichtet.345 Der Abschluss des Europaabkommens und die Vorbereitungen auf den EU-Beitritt brachten für Tschechien mehrere Verpflichtungen mit sich, die auch die Tourismusbranche betreffen. Da die EU aber im Fremdenverkehr über keine vertraglich festgelegten Kompetenzen verfügt, ist ihr Einfluss auf einzelne Staaten nicht so gross wie in anderen Politikbereichen. Die nötigen Anpassungen im Tourismus tangieren vor allem die Annäherung der tschechischen Rechtsordnung an jene der EU, die Förderung der gegenseitigen Zusammenarbeit, die Zertifizierung der Betriebe aufgrund der Norm ISO 9000 und die Einführung der einheitlichen Terminologie. Tschechien kann von einer Vorbeitrittshilfe profitieren, die auch für die touristischen Projekte beansprucht werden kann. Durch die Berücksichtigung der Tourismusbranche im RDP-Plan346 kann eine direkte Unterstützung beantragt werden. Indirekt kommen dem Fremdenverkehr vor allem auch noch die finanziellen Mittel des Programms Phare und den Fonds Sapard und Ispa zugute.347 Im Jahr 1995 wurde Tschechien von der EU-Kommission als Kandidat für einen möglichen EU-Beitritt von allen Ländern am besten bewertet. Für diese Bewertung gab es in den Jahren der wirtschaftlichen Belebung gute Gründe. Ein relativ hohes BIP pro Kopf und schnelles Wachstum, eine tiefe Auslandsverschuldung und eine relativ stabile politische Situation deuteten darauf hin, dass sich Tschechien langsam dem Lebensstandard der südlichen Mitgliedsländern nähert.348 Im Januar 1996 wurde das offizielle Beitrittsgesuch zur Europäischen Union gestellt – dies war eine der wichtigsten politischen Entscheidungen in der jungen Geschichte der Tschechischen Republik. Ein Jahr später wurde sie aufgrund des Gutachtens von der Europäischen Kommission in die erste Gruppe der Kandidaten eingegliedert, mit denen Verhandlungen über einen Beitritt geführt werden sollten. Nachdem aber die tschechische Wirtschaft in eine Stagnationsphase geriet, veränderte sich die Situation drastisch. Die Vorbe345 346 347 348 Ursprünglich war das Programm nur für Ungarn und Polen bestimmt, später wurde aber auch Tschechien aufgenommen. (Vgl. Keřkovský/Keřkovská [1999], S. 126). Vgl. nachfolgende Ausführungen in diesem Kapitel. Vgl. Kap. 9.7.3. Vgl. Kap. 5.7.4.3. 108 reitungen auf den Beitritt wurden von der EU zunehmend kritisiert. Einen Grund zur Unzufriedenheit gaben insbesondere die unbefriedigende Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung, Verzögerungen bei der Verwaltungsreform, die Untätigkeit der Gerichte, der Anstieg der Korruption, Unzulänglichkeiten im Finanzsektor, ein schwaches Versicherungssystem, ein ungenügender Verbraucherschutz sowie eine mangelhafte Anpassung an die Rechtsordnung der EU und die daraus resultierende fehlende Fähigkeit zur Erfüllung der Verpflichtungen aus der Mitgliedschaft.349 Obwohl die Situation auch nach der Regierungsübernahme durch die Sozialdemokraten nicht umgehend besser geworden ist, wurde im März 1998 der offizielle Beitrittsprozess eingeleitet. Für die Jahre 2000-2006 wurde der Nationale Entwicklungsplan (RDP) ausgearbeitet, dessen Vorhandensein eine Voraussetzung für die finanzielle Vorbeitrittshilfe an die neu gebildeten regionalen Einheiten NUTS II350 ist. Zu den strategischen Zielsetzungen des RDP-Planes gehören vor allem die Erhöhung des BIP pro Kopf auf das Niveau von etwa 75% des EU-Durchschnitts, die Verhinderung von grossen regionalen Disparitäten und die deutliche Verbesserung des Umweltschutzes.351 Eine der sechs Prioritäten, für welche je ein operatives Sektorprogramm ausgearbeitet werden sollte, bildet die Tourismusbranche. Damit wurde von der tschechischen Regierung ein deutliches Signal gesetzt, dass es an der Zeit ist, von einer pragmatischen zu einer konzeptionellen Tourismuspolitik überzugehen.352 Grössere Fortschritte auf dem Weg in die EU brachte die konjunkturelle Belebung der Wirtschaft nach der Jahrtausendwende. Im Oktober 2002 empfahl die EU-Kommission ihren Mitgliedstaaten, die Erweiterungsverhandlungen mit Tschechien und weiteren neun Kandidaten bis Ende Jahr abzuschliessen und diese 2004 in die EU aufzunehmen. Der Tschechischen Republik wurde im Kommissionsbericht eine funktionierende Marktwirtschaft sowie die Fähigkeit, alle Kopenhagener Beitrittskriterien bis 2004 zu erfüllen, attestiert. Kritisiert wurden dagegen vor allem die Probleme der Wirtschaftskriminalität, die Korruption und die Verwaltungs- und Rechtsstrukturen.353 Die Sicherstellung eines reibungslosen Beitrittes zur EU gehört auch zu den Zielen der neuen sozialdemokratischen Regierung. Das Gesetz über eine Volksabstimmung, das für die Durchführung eines Referendums nötig ist, wurde bereits verabschiedet. Da die EU-Mitgliedschaft einerseits viele Möglichkeiten und Vorteile eröffnet, andererseits aber grosse, nicht unproblematische Veränderungen hervorrufen wird, muss die tschechische Regierung nun die noch zum Teil skeptische Bevölkerung dazu bringen, dem geplanten Beitritt in der Volksabstimmung im Sommer 2003 zuzustimmen. Problematisch scheinen vor allem die Verschärfung der Konkurrenz für die tschechische Wirtschaft, die Beschränkung der staatlichen Souveränität und der Freiheitsverlust bei der Formulierung der Wirtschaftspolitik.354 Diesen Nachteilen stehen die Garantie der friedlichen Entwicklung und Prosperität, welche die EU jedem Mitglied gewährt, und natürlich die wirtschaftlichen Vorteile, die mit der Mitgliedschaft verbunden sind, gegenüber. 349 350 351 352 353 354 Vgl. Europäische Kommission (2000a), S. 4 ff.; Kap. 5.7.4.4. Vgl. Kap. 5.3. Vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (1999a), S. 4 ff. Vgl. Kap. 9.2.2. Vgl. Höltschi (2002), S. 5 und (2002a), S. 1; Hermann (2001b), S. 9. Vgl. Had/Jakš/Konečný (1997), S. 17 ff. 109 5.9 Fazit Die Tschechische Republik wurde im Jahr 1918 gegründet und bildete bis 1993 mit der Slowakei einen gemeinsamen Staat – die Tschechoslowakei. Bis zum zweiten Weltkrieg gehörte das Land zu den am weitest entwickelten Ländern Europas. In der Tourismusbranche florierte vor allem das Kur- und Badewesen. Nachdem die Kommunisten 1948 die Macht eroberten und das sowjetische Modell der Zentralplanung übernommen wurde, geriet das Land bald in eine wirtschaftliche und politische Krise. Die ausschliessliche Ausrichtung auf die Schwerindustrie und die Vernachlässigung des Dienstleistungssektors widerspiegelte sich auch in der Tourismusentwicklung; eine ungenügende und veraltete touristische Infra- und Suprastruktur war eine Folge davon. Aus ideologischen Gründen wurde ausserdem der grenzüberschreitende Fremdenverkehr mit den westlichen Ländern stark eingeschränkt. Erst zwanzig Jahre später bekannten sich die politischen Kräfte zu einer Reform, welche die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage aufgrund der Einführung der regulierten Marktwirtschaft beabsichtigte. Die Grenzen nach Westen wurden geöffnet und die Ein- und Ausreisebedingungen gelockert. Der „Prager Frühling“ und die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft wurden aber mit dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes im August 1968 zerstört. Im Fremdenverkehr widerspiegelte sich dies in einer ausschliesslichen Orientierung an sozialistische Länder und in einer starken Subventionierung des inländischen Tourismus. Obwohl die Rückkehr zum Planungskonzept in folgenden Jahren zu zunehmenden Schwierigkeiten führte, brachte erst die Samtene Revolution Ende 1989 entscheidende Veränderungen. Unverzüglich nach dem Fall des kommunistischen Regimes wurde der Weg zu einer pluralistischen Demokratie eingeleitet. Die ersten freien Parlamentswahlen, in denen mehrere Parteien kandidierten, fanden 1990 statt. Die tourismuspolitischen Anliegen standen auf ihrer Agenda im Hintergrund, da in einem sich transformierenden Land anderen Problemen der Vorzug zu geben war. Erst die sozialdemokratische Regierung im Jahr 1998 erklärte sich in ihrem Programm bereit, einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen und strategische Konzepte für die Tourismusentwicklung auszuarbeiten. Dies war auch ein klares Signal für die Abkehr von der bis dahin praktizierten pragmatischen Tourismuspolitik zu einer konzeptionellen Tourismuspolitik. Mit der Transformation der Wirtschaft, deren Ziel es war, in möglichst kurzer Zeit die Marktwirtschaft einzuführen und das Wohlstandsniveau der westlichen Länder zu erreichen, wurde 1990 angefangen. Den Kern des Reformprogramms von Klaus bildeten die Liberalisierung, die Privatisierung und eine restriktive Geld- und Fiskalpolitik. Die Tourismusbranche war massgeblichen Veränderungen unterworfen. Nach der West-Grenzöffnung kam es zu einem regelrechten Boom von gegenseitigen Tourismusströmen und zum Aufbau des Tourismussektors. Die Branche gehörte bald zu den sich am schnellsten entwickelnden Bereichen der tschechischen Volkswirtschaft und half, die anfänglich rezessive Phase der Transformation zu überbrücken. Während der nächsten wirtschaftlichen Krise geriet aber auch die bis dahin resistente Tourismusbranche 1997 in eine Stagnation. In besserer Lage präsentierte sich das Land erst nach der Jahrtausendwende. Anlässlich der Wahlen im Juni 2002 befand es sich sogar in robuster konjunktureller Verfassung. Diese Entwicklung brachte Tschechien seinem Ziel der EU-Mitgliedschaft einen Schritt näher – die Europäische Kommission empfahl den Mitgliedstaaten, das Land in 2004 in die EU aufzunehmen. Die Vorbereitungen auf den Beitritt wiegen in der Tourismusbranche nicht so schwer, da der Einfluss der EU auf die Touris- 110 muspolitik der einzelnen Staaten aufgrund des Fehlens von Kompetenzbefugnissen nicht so gross ist wie in anderen Bereichen. Aus geographischer Sicht ist Tschechien ein relativ kleines Land im Mittelpunkt Europas. Es befindet sich an einer der wichtigsten Verkehrsachsen nach Osten und wird deshalb oft „Tor zu Osteuropa“ genannt. Diese zentrale Lage eröffnet dem tschechischen Tourismus in Zukunft viele Möglichkeiten. Dazu ist aber der Ausbau eines integrierten und qualitativ guten Verkehrssystems notwendig. Für die Bedürfnisse der Tourismusbranche wurde das Land aufgrund der Vielfalt ihrer Landschaftstypen in verschiedene touristische Zonen aufgeteilt. Die Steuerung der regionalen Tourismusentwicklung gehört zu den gesetzlich verankerten Kompetenzen der im Jahr 2000 gebildeten Bezirke. Im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt wurde Tschechien in acht grössere Regionen, NUTS II, die eine finanzielle Unterstützung der EU für ihre Tourismusprojekte beantragen können, eingeteilt. Ausserdem bestehen noch vierzehn künstlich geschaffene Tourismusregionen, die sich jedoch in der Praxis nicht bewährten. Die Dezentralisierung der Kompetenzen macht eine Koordination der touristischen Aktivitäten zu einer wichtigen Aufgabe der Tourismuspolitik. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung leben in den städtischen Agglomerationen, wo die Reiseintensität im Schnitt viel grösser ist als bei der ländlichen Bevölkerung. Zu dieser Entwicklung tragen vor allem die besseren Arbeitsmöglichkeiten in den Grossstädten bei. Die Stadteinwohner reisen öfters und geben für das Reisen mehr Geld aus als die Bevölkerung von Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit und niedrigem Einkommen. Die Altersstruktur der tschechischen Bevölkerung ist durch Überalterung und steigende Rentnerzahl gekennzeichnet. Ein beachtlicher Teil der älteren Bevölkerung verzichtet auf das Reisen – im Jahr 1999 betrug der Anteil der 75-jährigen und älteren Reisenden nur noch 4%. 111 6 Tourismusmarkt – Angebot und Nachfrage 6.1 Überblick „Reisen braucht Freizügigkeit, die Reise lebt von der Durchlässigkeit politischer Grenzen.“ Albrecht Feibel Der Tourismusmarkt kann als Ort des Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage nach touristischen Dienstleistungen definiert werden. In kaum einer anderen Branche kommt dem Zwischenhandel eine so grosse Bedeutung zu wie im Tourismus. Dies lässt sich durch die grosse räumliche Distanz zwischen dem Anbieter und dem Kunden, die oft fehlende Transparenz auf dem Markt sowie die Notwendigkeit der Vorausbuchung bei begrenzten Kapazitäten erklären.355 Eine wichtige Vermittlerrolle spielen die Reisebüros. Zu ihren Basisdienstleistungen gehören Transport, Unterkunft und Verpflegung. Zu den zusätzlichen Diensten zählen beispielsweise Geldwechsel, Reservationen, Verkauf von Tickets, Karten und Souvenirs, Versicherungen sowie Dolmetscher- und Reiseführerdienstleistungen. Der Ausgestaltung des Angebotes sollte eine Analyse des vorhandenen Tourismuspotentials und der Nachfragetrends vorangehen. Das Erkennen der sich aus dem Stärken- und Schwächenprofil ergebenden Chancen und Gefahren ist für eine erfolgsversprechende Tourismuspolitik massgebend. Wie bereits im Kapitel 4.8.2 dargestellt wurde, gibt sich der heutige multioptionale Tourist nicht mehr mit dem traditionellen Angebot an natürlichen und kulturellen Gegebenheiten zufrieden, sondern verlangt mit dem passenden abgeleiteten Angebot auch noch mehr Abwechslung, Spass, Erlebnis und Unterhaltung. In den folgenden Kapiteln wird zuerst auf das ursprüngliche Angebot des Reiselandes Tschechien eingegangen. Detaillierter wird das traditionelle Kur- und Badewesen skizziert, das über ein grosses Potential verfügt. Beim abgeleiteten Angebot werden die Unterkunfts- und Verpflegungseinrichtungen näher betrachtet. Ihre besondere Hervorhebung geht von der Tatsache aus, dass neben dem ursprünglichen Angebot die Beherbergungs- und Verpflegungsmöglichkeiten für die Tourismusteilnehmer bei der Wahl des Reisezieles oft von ausschlaggebender Bedeutung sind. Die postrevolutionären Veränderungen des Dienstleistungssektors, zu welchem auch der Tourismus gehört, und insbesondere die Herausbildung von klein- und mittelgewerblichen Strukturen bilden den Inhalt des nächsten Kapitels. Weiter wird eine Analyse des vorhandenen Tourismuspotentials vorgenommen und in einem Stärken-/Schwächen- und Chancen-/Gefahrenprofil zusammengefasst. Zuletzt wird die Entwicklung der Reisebürobranche aufgezeigt sowie die Veränderungen und Trends in der Nachfrage analysiert. 6.2 Touristisches Angebot Das Angebot an touristischen Dienstleistungen wird üblicherweise in ursprüngliches und abgeleitetes unterteilt. Die Bestandteile des ursprünglichen Angebotes bilden die natürlichen Faktoren, die soziokulturellen Verhältnisse und die allgemeine Basisinfrastruktur. Es umfasst somit „alle jene Faktoren, die keinen direkten Bezug zum Fremdenverkehr haben, aber durch 355 Vgl. Bieger (2002), S. 23. 112 ihre Anziehungskraft dem Tourismus Richtung und Gestalt geben“.356 Das abgeleitete Angebot umfasst demgegenüber alle Objekte und Leistungen, die im Hinblick auf eine touristische Verwendung bereitgestellt werden. Dazu gehören beispielsweise Sport- und Unterhaltungseinrichtungen, Kongress- und Tagungszentren sowie Betreuungs- und Informationsdienste. Die Unterkunfts- und Verpflegungseinrichtungen werden oft unter dem Begriff der Suprastruktur zusammengefasst.357 Der Stellenwert der Faktoren des ursprünglichen und des abgeleiteten Angebotes ist nicht immer klar erkennbar. Früher ging man von einer Vorrangstellung des ursprünglichen Angebotes, insbesondere der Landschaft, aus. Heutzutage wird dies aber relativiert, da je nach Besucherstruktur und Länge des Aufenthaltes eine höhere Gewichtung des abgeleiteten Angebotes festzustellen ist.358 6.2.1 Ursprüngliches Angebot Die Tschechische Republik verfügt über einen Reichtum an kulturellen und historischen Denkmälern sowie Naturschönheiten, die ein grosses Nutzungspotential für den Fremdenverkehr darstellen. Die vorhandene Infra- und Suprastruktur wird dagegen oft bemängelt und als qualitativ ungenügend bezeichnet.359 Daraus lässt sich unter anderem ableiten, dass bei der Wahl Tschechiens als Reiseziel vor allem das ursprüngliche Angebot eine entscheidende Rolle spielt. Zu den erwähnenswertesten touristischen Attraktionen gehören die folgenden: 356 357 358 359 • Prag: Tschechiens Hauptstadt ist besonders dank der Architektur und den verschiedenen Baustilen einzigartig und wird als eine der schönsten Städte Europas bezeichnet. Zu den am meist besuchten Orten gehört die Prager Burg Hradschin mit dem St.Veits-Dom, der Prags Panorama dominiert. Unter der Burg befindet sich die Kleinseite, ein Viertel mit wundervollen barocken Palästen, Kirchen und Gärten. Einmalig sind die steinerne Karlsbrücke mit ihrer Galerie von dreissig Statuen und der Altstädter Ring mit der astronomischen Uhr am Turm des Altstädter Rathauses. Der alte jüdische Friedhof und die Altneu-Synagoge gehören zu den bemerkenswertesten jüdischen Denkmälern Europas. Im Jahr 1993 wurde das historische Zentrum von Prag in das Verzeichnis der Weltkulturdenkmäler der UNESCO aufgenommen. Ausser den historischen und architektonischen Schätzen verfügt Prag über ein grosses kulturelles Angebot sowie über eine bunte Palette an Festivals und Messen. Im Jahr 2000 erhielt die Stadt den Titel „Prag – Europäische Stadt der Kultur 2000“. • Naturschönheiten: Tschechiens Landschaft ist von Gegensätzen geprägt. Wälder und Berggebiete überziehen einen Drittel des Landes, während man im verbleibenden Teil über 22’000 Seen und Teiche sowie 40 Stauseen findet, welche sich ideal für touristische Zwecke eignen. 24 Naturschutzgebiete und 4 Nationalparks bedecken zusammen über 10% des Gebietes. Der Böhmerwald (Šumava) im Südwesten bezaubert mit seinen Torfmooren und den vor Urzeiten gebildeten Seen. Das Böhmische Paradies (Český ráj) lockt mit einer grossen Anzahl interessanter Sandsteinformationen und im Kaspar (1996), S. 66. Vgl. Kaspar (1996), S. 66 ff. Vgl. Frösch (1993), S. 22. Vgl. Kap. 6.2.2. 113 Mährischen Karst (Moravský kras) bieten atemberaubende Tropfsteinhöhlen einen Blick in das unterirdische Reich.360 360 361 362 363 364 • Kurorte und Heilbäder: Das Kur- und Badewesen bildet einen nicht wegzudenkenden Bestandteil des tschechischen Kulturgutes. Es hat eine lange Tradition – die heilenden Quellen in Marienbad (Mariánské Lázně) sind schon seit dem 13. Jahrhundert bekannt. Die grössten Kapazitäten befinden sich in Westböhmen, wo die bekanntesten Bäder Karlsbad (Karlovy Vary), Marienbad (Mariánské Lázně) und Franzensbad (Františkovy Lázně) das bekannte „Kurortdreieck“ bilden.361 • Historische Sehenswürdigkeiten: Tschechien bietet auf seiner kleinen Fläche eine grosse Anzahl kunsthistorischer Sehenswürdigkeiten. Das Land zählt ca. 2’000 Schlösser und Burgen, wovon ca. 200 für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Etwa 40’000 weitere Objekte stehen unter Denkmalschutz.362 Elf Sehenswürdigkeiten sind im Verzeichnis der Weltkulturdenkmäler der UNESCO eingetragen. Es handelt sich um die Städte Prag (Praha), Kuttenberg (Kutná Hora), Krumau (Český Krumlov) und Telč, die südböhmische Gemeinde Holašovice, die St.-Johannes-Nepomuk-Kirche auf dem Grünen Berg (Zelená Hora) bei Žďár nad Sázavou, das Schlossareal in Eisgrube (Lednice) und in Feldsberg (Valtice), die Schlösser in Kroměříž und Litoměřice und die Villa Tugendhat in Brünn (Brno).363 • Kulturveranstaltungen: Musik- und Theaterliebhaber kommen in Tschechien auf vielfältige Weise auf ihre Rechnung. In Prag werden jeden Tag Dutzende von Theatervorstellungen angeboten. Hohes Ansehen geniessen das Nationaltheater, die Staatsoper, das Schwarze Theater und die Laterna Magica. Das tschechische Musikleben besitzt ebenfalls ein hohes Niveau und widerspiegelt den Einfluss von grossen Komponisten wie Antonín Dvořák und Bedřich Smetana. Der Prager Frühling, ein Festival für klassische Musik, ist weltbekannt. Weitere wichtige Musikereignisse sind das ChopinFestival in Marienbad (Mariánské Lázně) und der Mährische Herbst in Brünn (Brno). Auf den Folklore-Festivals und Festen, die vorwiegend in Mähren und Schlesien durchgeführt werden, lernen die Besucher die alten Traditionen und Volksbräuche kennen. Neben der Volksmusik können dabei auch traditionelle Trachten und die Geschicklichkeit der einheimischen Handwerker bewundert werden. • Kunst: Kunstliebhaber finden in mehr als 500 Museen und Galerien eine reichhaltige Auswahl. Dort werden unzählige Kunstschätze gezeigt, von denen viele ein internationales Renommee geniessen. Obwohl sich der grösste Reichtum auf Prag konzentriert, finden sich auch an anderen Orten des Landes viele wertvolle Kunstsammlungen. Vom Niveau der tschechischen Museen zeugen nicht nur jährliche Besucherzahlen von über 7 Mio. Personen,364 sondern auch besondere Auszeichnungen, die der Europarat im Wettbewerb „European Museum of the Year Award“ den Ausstellungen im Náprstek Museum (1992) und im Nationalmuseum in Prag (1995) sowie im Museum der Region Prácheňsko in Písek (1996) verlieh. Vgl. Kap. 5.2. Vgl. Kap. 6.2.1.1. Vgl. Syrůček/Richterová (2000), S. 10; Ruzicka (1994), S. 50. Vgl. Tschechische Tourismuszentrale (2000d), S. 1; http://www.cccr-info.cz (Stand am 4.11.2002). Vgl. Tschechische Tourismuszentrale (1997), S. 1. 114 • Die tschechische Küche: Die typische tschechische Küche ist bei Besuchern sehr beliebt. Das traditionelle Nationalgericht ist seit jeher Schweinsbraten mit Semmelknödeln und Sauerkraut. Ess- und Trinkliebhaber besuchen immer häufiger Restaurants in historischen Gebäuden, insbesondere in Burgen, Schlössern und alten Stadthäusern. Der kulinarische Genuss wird hier noch durch die spezielle Atmosphäre unterstrichen. Den Gästen werden z.B. Speisen aus dem Mittelalter serviert, wobei das Personal in mittelalterliche Kostüme gekleidet ist. Das bekannte tschechische Bier (Pilsner Urquell und Budweiser) kann direkt in vielen Brauereien gekostet werden. Als Region des Weines wird Südmähren bezeichnet – die herbstliche Weinlese ist eine Gelegenheit zu ausgelassenen Festen und der Besuch eines Weinkellers führt zu unvergesslichen Erlebnissen. Obwohl fast 75% der Fläche von Tschechien für den Fremdenverkehr geeignet ist und sich auf dem ganzen Territorium viele kulturelle, technische und historische Sehenswürdigkeiten sowie unzählige natürliche Schönheiten befinden, konzentriert sich das Interesse von ca. 70% der ausländischen Besucher ausschliesslich auf Prag.365 Dies belegt unter anderem auch die Zahl der ausländischen Gäste in Unterkunftseinrichtungen in verschiedenen Bezirken (vgl. Tabelle 9). Ausländische Touristen nach Bezirken 1998 Bezirk Prag Mittelböhmen Südböhmen Westböhmen Nordböhmen Ostböhmen Südmähren Nordmähren Total 1999 Anzahl Anzahl in % in % (in Mio.) (in Mio.) 2.08 37.9 2.08 37.1 0.33 6.0 0.36 6.4 0.34 6.2 0.42 7.6 0.54 9.8 0.57 10.2 0.48 8.8 0.48 8.5 0.69 12.7 0.71 12.7 0.55 10.1 0.57 10.1 0.47 8.7 0.42 7.5 5.48 100.0 5.61 100.0 Tabelle 9: Ausländische Gäste nach Bezirken (1998-1999)366 Die Ursache dieses ungünstigen Verhältnisses ist insbesondere in der Absenz von regionalen Konzepten der Tourismusentwicklung und Wettbewerbsstrategien zu sehen, die wiederum auf die mehrfache Abgrenzung von tourismusrelevanten Einheiten, die bis 2002 unklare Kompetenzaufteilung sowie die fehlende Koordination unter der Trägern der Tourismuspolitik zuzuführen ist.367 365 366 367 Vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (1999), S. 12. In Anlehnung an Mag Consulting (2000d), S. 131 f. Vgl. Kap. 9.5.6. 115 6.2.1.1 Kurorte und Heilbäder Das traditionelle Kur- und Badewesen bildet einen hoffnungsvollen Zweig der tschechischen Tourismusbranche. Den grössten Aufschwung erlebte es zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als man von der goldenen Ära des Kurortwesens sprach. Während des Zweiten Weltkrieges wurden die meisten Kurorteinrichtungen für Militärzwecke verwendet; im Jahr 1948 wurden sie nationalisiert und in das staatliche Eigentum überführt. Im Laufe der Zeit erfüllten sie immer mehr die Aufgabe von Gesundheitseinrichtungen mit dem Ziel, einen möglichst grossen Beitrag an die Reproduktion der Arbeitskräfte zu liefern. Die Qualität von Unterkunfts- und Verpflegungsdienstleistungen verschlechterte sich, das Niveau der Heilprozeduren blieb aber konstant hoch. Es fehlte an nötigen Investitionen in die übernutzten Anlagen, da die zentrale Planung nicht imstande war, für eine angemessene Effizienz zu sorgen. Trotz diesen Unzulänglichkeiten übertraf in den 70-80er Jahren die Nachfrage das Angebot um 30%. Dies erklärt sich insbesondere dadurch, dass die Aufenthalte der einheimischen Bevölkerung zum grössten Teil durch öffentliche Mittel finanziert wurden. Das Reisebüro, das sich auf die Vermittlung von Aufenthalten in Kurorten spezialisierte, war Balnea.368 Nach 1989 wurden die meisten Kurortanlagen privatisiert. Die Heilquellen blieben staatliches Eigentum und wurden an die neuen Betreiber verpachtet. Die Veränderung der Eigentumsstrukturen weckte auch das Interesse der ausländischen Investoren. Im Jahr 2000 gab es in Tschechien 96 Kurorteinrichtungen mit 20’462 Betten in 10’696 Zimmern und 9’337 Mitarbeiter kümmerten sich um deren Betrieb.369 Die meisten Kurorte befinden sich in Westböhmen; wo Karlsbad (Karlovy Vary), Marienbad (Mariánské Lázně) und Franzensbad (Františkovy Lázně) das bekannte „Kurortdreieck“ bilden (vgl. Abbildung 14). Abbildung 14: Kurortdreieck370 368 369 370 Vgl. Knop (1999), S. 11 ff.; Attl (2000a), S. 187. Vgl. Beránek (2001a), S. 9 ff. Tschechische Tourismuszentrale (1999), S. 12. 116 Die Entwicklung der Gästezahlen in den Kurorteinrichtungen während der letzten 15 Jahre zeigt die Tabelle 10. Aus dieser ist ersichtlich, dass die Gesamtzahl in den ersten Jahren nach dem Systemwechsel deutlich sank. Dies war insbesondere der abnehmenden Zahl der einheimischen Gäste zuzurechnen, die sich aber seit 1994 wieder langsam erholt. Als Ursachen dieser Entwicklung werden vor allem die Preiserhöhungen und die verminderte Finanzierung des Aufenthaltes durch die tschechischen Krankenkassen bezeichnet. Die Zahl der ausländischen Gäste zeigt dagegen einen deutlich erfreulicheren Trend. Sie ist seit 1991 im Steigen begriffen und 1999 wurde der Stand vom Jahr 1985 fast 2.5-mal übertroffen.371 Nach dem EU-Beitritt dürfte sich die Zahl der ausländischen Kunden noch deutlich erhöhen, da ab dann auch die ausländischen Krankenkassen die Aufenthalte mitfinanzieren können.372 Gäste in Kurorteinrichtungen Einheimische Jahr Anzahl (in Tsd.) 1985 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 276.87 256.98 212.97 207.85 154.67 167.75 171.77 169.63 168.50 165.27 167.25 Ausländer in % Anzahl (in Tsd.) in % Total (in Tsd.) 90.6 90.5 92.9 90.4 83.8 81.6 79.9 77.7 74.9 70.7 70.1 28.77 27.01 16.36 21.95 29.93 37.79 43.29 48.61 56.58 68.59 71.27 9.4 9.5 7.1 9.6 16.2 18.4 20.1 22.3 25.1 29.3 29.9 305.64 283.99 229.33 229.80 184.60 205.54 215.06 218.23 225.08 233.86 238.52 Tabelle 10: Gäste in Kurorteinrichtungen (1985-1999)373 Die Kurorte haben an einem erhöhten Anteil der ausländischen Gäste ein beachtliches Interesse, da dieses Kundensegment für sie eine wichtige Devisenquelle darstellt. Ein Tag Aufenthalt mit Behandlung und Vollpension bringt in Karlsbad einer Kurorteinrichtung im Durchschnitt ca. 100 USD, während sie für einen einheimischen Klienten von seiner Krankenkasse nur 1217 USD erhält. In Marienbad bildet der Anteil der Tschechen an der Gesamtzahl der Gäste ca. 50%, am Gewinn der Kurhäuser aber nur 17%. Zudem sind die Aufenthalte von Ausländern mit weniger ökonomischen Risiken verbunden als diejenigen der Inländer, bei denen wegen der zahlreichen Veränderungen im tschechischen Gesundheitssystem und der daraus resultierenden unsicheren Finanzierung durch die Krankenkassen häufig Probleme bestehen.374 Ausserdem sind die Kurortbesuche von ausländischen Gästen gesamtwirtschaftlich sehr lukrativ, da die durchschnittliche Aufenthaltsdauer mit 11.7 Tagen (1999) relativ lang ist und die gesamt getätigten Ausgaben mit 122 USD pro Tag (1999) im Vergleich zu anderen Tourismusarten ebenfalls relativ hoch ausfallen.375 371 372 373 374 375 Vgl. Beránek (2001a), S. 10. Vgl. Kap. 9.7.2. In Anlehnung an Beránek (2001), S. 10. Vgl. Psyma (2000), S. 7 f.; Beránek (2001a), S. 10 f. Vgl. Mourek (2000), S. 11. 117 Auch die staatlichen Organe sind sich bewusst, dass das Kurortwesen in sich ein grosses Potential birgt – der Minister für Regionalentwicklung bezeichnete es als eine der bedeutendsten Stützen der tschechischen Tourismusbranche. Die Chancen für das regionale Aufkommen werden in vielen Regionen gerade in Entwicklung des Kurorttourismus gesehen.376 Das gegenwärtige staatliche Unterstützungsprogramm für den Fremdenverkehr ist auf die Förderung der Kurorte und Heilbäder ausgerichtet. Es soll vor allem einen Beitrag zur Modernisierung der Einrichtungen, zum Ausbau der Kurortinfrastruktur, zur Erhöhung der Qualität von Dienstleistungen sowie zur Erweiterung des Angebots an kurzfristigen Wellnessaufenthalten und an kulturellen Anlässen leisten. Ausserdem bildet das Kurortwesen einen der sechs Bereiche, welche die Tschechische Tourismuszentrale in Zukunft mit ihren Marketingaktivitäten fördern will.377 6.2.2 Abgeleitetes Angebot Wie bereits erwähnt, umfasst das abgeleitete Angebot alle Objekte und Leistungen, die im Hinblick auf eine touristische Verwendung bereitgehalten werden. Im folgenden Abschnitt wird auf die Unterkunfts- und Verpflegungseinrichtungen vor und nach der Wende näher eingegangen. Ihre Hervorhebung geht von der Tatsache aus, dass die Suprastruktur neben dem ursprünglichen Angebot für die Besucher oft von ausschlaggebender Bedeutung ist und ohne ihr Vorhandensein wäre die Teilnahme an touristischen Aktivitäten nicht möglich. 6.2.2.1 Unterkunfts- und Verpflegungseinrichtungen Vor dem Jahr 1989 wurden die Unterkunfts- und Verpflegungsdienstleistungen von den staatlichen Restaurants (RaJ) und Interhotels angeboten. Ihre private Gewährleistung war gesetzlich nicht gestattet, da dies den kommunistischen Prinzipien nicht entsprach. Die Unternehmungen hatten sich, ohne Rücksicht auf die vorhandene Nachfrage und die Bedürfnisse der Tourismusteilnehmer, an die vorgegebenen Kennzahlen des staatlichen Planes zu halten und so kam es oft zu Engpässen. Zu den bedeutsamen Anbietern gehörte noch die Revolutionäre Gewerkschaftsbewegung (ROH). Diese Organisation verfügte über mehrere Erholungsstätten, in denen ihre Mitglieder den Urlaub als Belohnung für ausserordentliche Verdienste verbringen durften oder den Aufenthalt dort zu günstigen Preisen buchen konnten. Eine wichtige Rolle spielten ebenfalls die betriebseigenen Einrichtungen, die für die Bedürfnisse der angehörigen Mitarbeiter bestimmt waren und ihnen Aufenthalte zu sehr guten Konditionen ermöglichten. Nach der Wende veränderte sich vieles. Der Tourismusboom der ersten Jahre löste eine grosse Steigerung der Nachfrage nach den Unterkunfts- und Verpflegungsdienstleistungen aus. Da schon kurz nach dem Systemwechsel private Unternehmenstätigkeit erlaubt war und mit der Privatisierung der Beherbergungseinrichtungen angefangen wurde, stieg ihre Zahl in den nächsten Jahren schnell an (vgl. Tabelle 11). Eine ähnliche Entwicklung war bei den Verpflegungseinrichtungen zu beobachten – während zehn Jahre erhöhte sich ihre Zahl von 16’368 (1989) auf 27’978 (1999).378 Die meisten Gaststätten und Unterkunftseinrichtungen wurden mittels öffentlichen Versteigerungen und im direkten Verkauf im Rahmen der kleinen Privati376 377 378 Vgl. o.V. (2001), S. 113. Vgl. Kap. 9.6.3 und 9.5.1. Vgl. Mag Consulting (2000f), S. 16. 118 sierung den neuen Eigentümern übereignet. Die grösseren Einrichtungen wurden später in der grossen Privatisierung entstaatlicht.379 Die ROH wurde in das neue Subjekt „Orea“ umgewandelt, das über eine eigene, zur Zeit Tschechiens grösste Hotelkette mit über 20 Hotels verfügt. Zahl der Unterkunftseinrichtungen und Betten (1989-1999) Jahr Einrichtungen Betten 1989 2’863 196’637 1995 3’030 237’350 1996 10’018 399’672 1997 12’723 474’373 1998 13’268 503’915 1999 13’124 509’264 Tabelle 11: Unterkunftseinrichtungen und Betten (1989-1999)380 Die Zahl der Unterkunftseinrichtungen und Betten in verschiedenen Kategorien sowie der durchschnittliche Preis pro Nacht werden aus der Tabelle 12 ersichtlich. Es wird deutlich, dass in Tschechien preisgünstige Unterkünfte mit niedrigerem Standard überwiegen. Ende 1999 befanden sich beispielsweise 42% aller Hotelbetten in Ein- und Zweisternhotels. Zahl der Unterkunftseinrichtungen in verschiedenen Kategorien und Preis/Nacht (1999) Kategorie Unterkunftseinrichtungen Betten Preis/Nacht (in Kč) Hotel/Motel/Botel ***** Hotel/Motel/Botel **** Hotel/Motel/Botel *** Hotel/Motel/Botel ** Hotel/Motel/Botel * Hotel Garni Pension Jugendherberge Ferienhauskolonie Campingplatz Privatunterkunft Andere 9 124 701 490 396 88 1’806 774 383 452 5’637 2’264 4’701 22’719 68’856 45’932 23’694 6’107 56’897 34’412 24’885 23’782 47’138 150’141 5’028 1’783 675 310 210 609 300 111 99 80 186 135 Tabelle 12: Unterkunftseinrichtungen in verschiedenen Kategorien und Preis/Nacht (1999)381 Aus den obigen Erwähnungen ergibt sich, dass in Tschechien zwar ein Netz von Verpflegungs- und Unterkunftseinrichtungen in einer genügenden Quantität, nicht aber Qualität vorhanden ist. Der mangelhafte Komfort und die unzureichende Qualität der gewährten Dienstleistungen werden zunehmend kritisiert, insbesondere seitens der ausländischen Besucher. Eine Studie ergab, dass in den ersten Jahren nach der Wende die Neugier ein postkommunistisches Land zu besuchen so gross war, dass dies nur eine untergeordnete Rolle spielte. Heutzutage sind die ausländischen Gäste aber nicht mehr bereit, gewisse Unzulänglichkeiten zu ak379 380 381 Vgl. Kap. 5.7.4. In Anlehnung an Tschechisches Statistisches Amt (2000), S. 546; Mag Consulting (2000f), S. 16. Die noch existierenden betriebseigenen Einrichtungen und jene von ROH wurden statistisch nicht erfasst. In Anlehnung an Tschechisches Statistisches Amt (2000), S. 546; Mag Consulting (2000d), S. 183. Zu den privaten Unterkünften gehören einzelne vermietete Zimmer oder ganze Privatwohnungen, Ferienhäuser, Landhäuser und Unterkünfte auf Bauernhöfen. (Vgl. Tschechisches Statistisches Amt [2000], S. 532). 119 zeptieren; vor allem wenn der verlangte Preis der Dienstleistungsqualität nicht entspricht und sich einzig auf die Ausnützung ihrer Kaufkraft richtet.382 Dazu vermerkte Burgstein: „Ausserhalb der Hotels, in denen Tschechen weniger als die Hälfte des angegebenen Preises bezahlen, richtet sich der Wert der angebotenen Güter nach der Muttersprache des Käufers, gegebenenfalls nach dessen Autokennzeichen.“383 In einer Untersuchung nach den Ursachen der mangelhaften Dienstleistungsqualität wurde festgestellt, dass diese insbesondere auf ungenügende Investitionstätigkeit, unqualifiziertes Personal sowie auf fehlende verbindliche Standards für die Unterkunftseinrichtungen zurückzuführen ist.384 6.2.3 Gewerbliche Struktur des Angebotes Wie sich aus dem Kapitel 5.7.1 ergibt, wurde in der Tschechoslowakei nach der Übernahme des sowjetischen Modells der Zentralplanwirtschaft und nach der erfolgten Verstaatlichung Anfang der 50er Jahre das Entstehen grosser wirtschaftlicher Einheiten (VHJ) gefördert, da dies die staatliche Planung massgeblich vereinfachte. Die Existenz von hunderttausenden KMU hätte den sozialistischen Planer schlichtweg überfordert. Der eingeschlagene Weg traf insbesondere den Dienstleistungssektor hart, der sich überwiegend aus privaten kleinen und mittleren Unternehmungen zusammensetzte. Der tertiäre Sektor, zu welchem auch der Tourismus gehört, 385 führte unter der kommunistischen Herrschaft nur ein Schattendasein, da das Erbringen von Dienstleistungen der marxistischen ökonomischen Lehre widersprach. Nach dieser Auffassung wurde zwischen produktiven und nicht produktiven Bereichen unterschieden,386 wobei nur die produktiven Bereiche fähig waren, den Gang und die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft zu gewährleisten. Dienstleistungen, die der nicht produktiven Sphäre zuzuordnen waren, wurden aus diesem Grund nur dort ausgebaut, wo sie der Schwerindustrie und der Landwirtschaft zugute kamen. Die einseitige Förderung der grossen industriellen Betriebe hatte zur Folge, dass die ganze Dienstleistungsbranche sowie die klein- und mittelständischen Strukturen stark vernachlässigt wurden und unterentwickelt waren. Ende der 80er Jahre fehlte dort ca. eine Million Arbeitskräfte.387 Zu entscheidenden Veränderungen kam es erst nach dem Systemwechsel. Der Dienstleistungssektor verzeichnete im Vergleich mit dem Primär- und Sekundärsektor den grössten Aufschwung, wozu vor allem die Entwicklung im Handel und Tourismus beitrug. Der frühere Rückstand des Dienstleistungssektors erwies sich in einer gewissen Hinsicht sogar als vorteilhaft, da die freigesetzten Arbeitskräfte aus anderen stagnierenden Wirtschaftsbereichen in ihm aufgenommen wurden und die Arbeitslosenzahlen auf einem niedrigen Niveau gehalten werden konnten. Vor der Wende betrug der Anteil des Dienstleistungssektors am BIP nur 31% und an der Beschäftigung 43%. Im Jahr 1999 erreichten beide Werte schon knapp 54%.388 Auch die KMU, aus denen sich der grösste Teil der dienstleistungserbringenden Unternehmen 382 383 384 385 386 387 388 Vgl. Němčanský (1999a), S. 480. Burgstein (1998), S. 164. Vgl. Mag Consulting (2001), S. 2 f. und (2000j), S. 2; Kap. 9.5.5. Vgl. Kap. 3.3. Zu den produktiven Bereichen gehören Industrie, Land- und Forstwirtschaft, Bauwesen, Gütertransport, Binnen- und Aussenhandel sowie materiell-technische Versorgung. Zu den nicht produktiven Bereichen gehören insbesondere Dienstleistungen, Wissenschaft und Forschung. (Vgl. Altmann [1987], S. 6; MüllerEschenbach [1995], S. 18; Schmucker [1995], S. 14; Würzl [1996], S. 202). Vgl. Hrala (1996), S. 157. Vgl. Tabelle 26. 120 etabliert, erlebten einen regelrechten Boom. Wegen der früheren Bevorzugung von Grossunternehmen musste dieser Zweig innert kurzer Zeit fast aus dem Nichts auf West-Niveau ausgebaut werden. Ende 1999 waren in Tschechien schon 736’034 KMU registriert, was zahlenmässig 99.8% von allen Unternehmungen entsprach.389 Sie beschäftigten 59.1% der aktiven Bevölkerung und ihr Anteil betrug 53.5% am Bruttoinlandprodukt, 51.4% am Export und 37.1% am Import.390 In der Tourismusbranche dominieren eindeutig kleine und mittlere Unternehmungen. Im Jahr 2000 betrug beispielsweise die Durchschnittszahl der Betten in einer Beherbergungseinrichtung 33, was nicht mal der Platzkapazität eines Reisecars entspricht.391 Unternehmen mit 100 und mehr Mitarbeitern, die ungefähr mit 20% zum Umsatz der Branche beitragen, bildeten im Jahr 1999 nur 0.14% der Gesamtzahl (vgl. Tabelle 13).392 Unternehmensgrösse nach Angestellten (1999) Zahl der Angestellten 100 und mehr 20-99 19 und weniger Total Unternehmen Zahl Anteil (in %) Anteil am Umsatz (in %) 56 559 40’487 41’102 0.14 1.36 98.5 100.0 20.0 17.4 62.6 100.0 Tabelle 13: Unternehmensgrösse nach Angestellten (1999)393 Die KMU tragen in Tschechien einerseits zur Schaffung eines gesunden Unternehmensklimas, zur Verbesserung der Marktdynamik, zur Belebung in ökonomisch schwachen Regionen und zur Erhöhung der Beschäftigung bei. Andererseits sind aber mit ihrer Existenz auch einige Probleme verbunden. Die KMU verfügen nur über eine beschränkte wirtschaftliche Macht, was folglich zu einem schwierigen Zugang zum Kapital und der daraus resultierenden fehlenden Innovationsfähigkeit führt. Im Jahr 1999 wurden im Beherbergungs- und Gastgewerbe Investitionen von ca. 3.5 Mrd. Kronen vorgenommen, was nur 1% der Investitionen des ganzen nicht finanziellen Dienstleistungssektors entsprach.394 Auch der Anteil dieser Gewerbe an ausländischen Investitionen bildete mit 2.8 Mrd. Kč nur 0.8% am gesamten Investitionsvolumen.395 Die fehlenden Investitionen verunmöglichten die Innovationen und führten im Endergebnis zu einem ungenügend differenzierten und qualitativ unbefriedigenden Angebot an touristischen Dienstleistungen. Aus der Untersuchung „Horeca Monitor“ geht beispielsweise hervor, dass im Gastgewerbe im Jahr 2001 nur 33% der Betriebe über ein Faxgerät verfügten, 63% über einen Computer und 22% der Unternehmungen stand ein Internet-Anschluss zur 389 390 391 392 393 394 395 Im Gesetz über die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmungen werden in Art. 1 lit. a als KMU Unternehmungen bis 500 Mitarbeiter bezeichnet. Mit der schrittweisen Anpassung der tschechischen Statistik an EU-Standards, nach welchen als KMU Unternehmen bis nur 250 Mitarbeiter zu betrachten sind, wurde bereits angefangen. (Vgl. Freitag [1997], S. 6 ff.). Vgl. Mag Consulting (2000c), S. 26. Vgl. Mag Consulting (2002a), S. 51 f. Definitionsgemäss gehören aber sogar diese Unternehmen zu KMU. (Vgl. Fussnote 389). In Anlehnung an Mag Consulting (2000f), S. 15 ff. Vgl. Mag Consulting (2001), S. 2 f. und (2000j), S. 2. Vgl. Mag Consulting (2000f), S. 21. 121 Verfügung. Die Bezahlung mit einer Kredit- oder Debitkarte war nur in 18% aller Unternehmen möglich.396 Das Fehlen an finanziellen Mitteln zeigt sich auch in der Höhe der Mitarbeiterentlöhnung und in Investitionen in ihre Weiterbildung. Im Unterkunfts- und Gastgewerbe war Ende 1999 das Lohnniveau bei Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern doppelt so hoch wie dasjenige bei Unternehmen mit 1-19 Mitarbeitern. So erreichte der Durchschnittslohn bei diesen kleineren Unternehmen im Jahr 1999 nur 5’336 Kronen, was 42.2% des gesamtstaatlichen Durchschnittes entsprach.397 Die Weiterbildungsmöglichkeiten für die Angestellten der Kleinunternehmen sind im Vergleich zu denen in Grossunternehmen auch gering. Defizite bestehen vor allem im Umgang mit den Informationstechnologien. Deshalb sind entsprechende Arbeitsplätze, die noch zusätzlich grossen Saisonschwankungen unterliegen, zu wenig attraktiv, um im Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte mithalten zu können. Eine weitere Ursache der zunehmenden Schwierigkeiten der KMU ist in ihren kurzfristigen Zielsetzungen zu sehen. Das Problem der kurzfristigen Denkweise stellt sich vor allem bei Unternehmern mit gepachteten Objekten, die oft auf Kosten der Qualität einen schnellen Gewinn anstreben. Unter solchen Umständen kommen auch keine Kooperationen und keine Clusterbildung unter den Unternehmen zustande, obwohl dies gerade in der Tourismusbranche, wie sich bereits aus dem Kapitel 3.4.2 ergibt, sehr vorteilhaft wäre.398 Viele der kleinen und mittleren Unternehmungen sind heutzutage aus den oben erwähnten Gründen nicht mehr fähig, aus eigener Kraft in harter Konkurrenz mit Grossunternehmen und internationalen Hotel- und Verpflegungsketten zu bestehen. Wie schon im Kapitel 4.5.2 festgehalten, wird ihre staatliche Unterstützung in den marktwirtschaftlich orientierten Ländern aber kontrovers diskutiert. Einerseits fragt man sich, ob durch die Förderung der KMU nicht wettbewerbsunfähige Strukturen künstlich am Leben erhalten werden und ob es damit nicht zu Strukturverzehrungen kommt. Andererseits wird aber häufig die Meinung vertreten, der Klein- und Mittelstand brauche besondere staatliche Unterstützung, um im Wettbewerb bestehen zu können.399 Auch herrscht die Ansicht, dass die KMU aufgrund ihrer Grösse nicht wettbewerbsfähig seien und damit per se staatlicher Hilfe bedürften.400 In Tschechien wird weiterhin eine privilegierende Förderung von KMU befürwortet. Zu den langfristigen Zielen der Klein- und Mittelstandespolitik gehört der Ausbau von funktions- und leistungsfähigen Strukturen. Dies soll insbesondere durch den erleichterten Zugang der KMU zu den Kapital-, Informationstechnologie- und Arbeitskraftmärkten, durch die Erweiterung der fachlichen Weiterbildung ihrer Mitarbeiter und durch die Verbesserung der Beratungsdienstleistungen für die Unternehmer ermöglicht werden.401 Die Unterstützung basiert vor allem auf dem Gesetz über die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmungen, auf dem staatlichen Konzept der Unterstützung von KMU und auf verschiedenen Förderungspro- 396 397 398 399 400 401 Vgl. http://www.vsh.cz/vsh/verejnost14.htm (Stand am 23.7.2002). Vgl. Mag Consulting (2001), S. 2 f. und (2000j), S. 2. Vgl. auch Kap. 10.3.2. Ein interessanter Ansatz über die Überlebenschancen touristischer KMU während der fortlaufenden Internationalisierung findet sich in Peters (2001), S. 164 ff. Vgl. Freitag (1997), S. 81. Ministerium für Handel und Industrie (2000), S. 3 ff. 122 grammen des Ministeriums für Handel und Industrie.402 Im Jahr 2001 wurde in die Entwicklung von KMU seitens des Staates im Rahmen von verschiedenen Programmen 400 Mio. Kč investiert.403 Ausserdem besteht noch ein branchenspezifisches Programm des Ministeriums für Regionalentwicklung zur Unterstützung des Kurortwesens.404 Im Rahmen der EU liegen auch bereits verschiedene, auf die KMU ausgerichtete Programme (z.B. Interreg, Leader I und Leader II) vor, an welchen Tschechien nach dem Beitritt teilnehmen kann. Vor dem Beitritt steht dem Land unter anderem die Teilnahme an einem Mehrjahresprogramm für KMU offen.405 6.3 Analyse des vorhandenen Tourismuspotentials Die Analyse des vorhandenen Tourismuspotentials eines Landes oder Ortes kann in einem klassischen Stärken-/Schwächen- und Chance-/Gefahrenprofil zusammengefasst werden. Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass nicht die statischen Konstellationen von verschiedenen Faktoren, sondern ihr dynamisches Zusammenspiel und ihre Kooperation die eigentlichen Vorteile einer touristischen Destination schaffen.406 Eine Charakterisierung der verschiedenen Trümpfe und Mankos der tschechischen Tourismusbranche kann der Tabelle 14 entnommen werden. Die Übersicht erfasst auch ein Profil des Landes aus der Sicht der Nachfrager, da die Feriengäste in verschiedenen Marktuntersuchungen immer wieder zu ihren Bedürfnissen und ihrer Zufriedenheit befragt werden und somit die Ausgestaltung des Angebotes auch mitbeeinflussen. Aus der Analyse ergibt sich, dass die Stärken des tschechischen Tourismus eindeutig im ursprünglichen Angebot liegen, insbesondere in der Vielfältigkeit der natürlichen und kulturellen Gegebenheiten. Eine günstige geographische Lage in der Mitte Europas an einer der wichtigsten Verkehrsachsen nach Osten gibt der Tschechischen Republik eine Chance, das vorhandene Tourismuspotential optimal zu nützen. Über gute Zukunftsaussichten verfügt das traditionelle Kur- und Badewesen, das einen wichtigen Bestandteil des tschechischen Kulturgutes bildet und in dessen Entwicklung vermehrt auch von der staatlichen Seite investiert wird.407 Die auf 40’000 Plätze geschätzte vorhandene Infrastruktur für den Kongresstourismus birgt ein weiteres viel versprechendes Potential in sich. Positiv zu beurteilen sind ebenfalls die ausreichend vorhandene Kapazität an Verpflegungs- und Unterkunftseinrichtungen, das abwechslungsreiche gastronomische Angebot und die Dichte des vorhandenen Verkehrssowie Wanderwegenetzes. Niedriges Preisniveau, Offenheit der Bevölkerung, gutes Niveau der Gesundheitspflege und eine relativ hohe internationale Landessicherheit bilden weitere Stärken, auf denen die Tourismusbranche aufbauen kann. 402 403 404 405 406 407 Es handelt sich um folgende Programme: „Garantie, Kredit, Markt, Start, Spezial, Kooperation, Marketing, Beratung, Kleine Ausleihen, Design“. Für die KMU von ausgewählten Regionen kommen zusätzlich noch „Region, Dorf, Regeneration, Präferenz, Betrieb, Grenze und Regiogarantie“ dazu. (Vgl. http://www.mpo.cz /reader [Stand am 6.11.2002]). Vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (2002c), S. 34. Vgl. Kap. 9.6.3. Vgl. Kap. 9.7. Vgl. Bieger/Beritelli (1996), S. 434; Kap. 3.4.2 und 10.3. Vgl. Kap. 6.2.1.1. 123 Profil des touristischen Angebotes Stärke/Chance Schwäche/Gefahr 1. Preiswürdigkeit • Niedriges Preisniveau (im Vergleich zum EU-Durchschnitt) • Unangemessenes Preis-/Leistungsverhältnis (Incoming-Tourismus) • Existenz der dualen Preise • Ausbeuterische Preise im Taxigewerbe x x x x 2. Marke/Imagewert/Werbung • Keine klare Positionierung des Landes auf dem Tourismusmarkt • Heterogene Auftritte der einzelnen Regionen • Fehlen einer starken touristischen Marke • Bekanntheit des Landes ausserhalb von Europa • Image eines Landes mit niedriger Dienstleistungsqualität • Ungenügendes Informations- und Reservationssystem x x x x x x 3. Tourismusprodukte/Tourismusdienstleistungen • Wenig international buchbare Produkte • Praktisch keine Innovationen • Fehlendes Investitionskapital • Fehlende Segmentierung des Marktes • Unzureichende Differenzierung des Angebotes • Konzentration des Tourismus auf Prag • Ungenügende Qualität der angebotenen Dienstleistungen • Mangelhafte Kooperation der Tourismusakteure • Konsumentenschutz und Vertrauenswürdigkeit der Reisebüros • Kleingewerbliche Struktur des Angebotes x x x x x x x x x x 4. Menschliches Faktor • Mangelhafte Gastfreundlichkeit • Fehlende Sprachkenntnisse • Unzureichende fachliche Qualifikation • Unehrlichkeit (insbesondere im Taxigewerbe) • Tiefes Lohnniveau in der Tourismusbranche • Kurzfristige Denkweise und fehlendes Qualitätsdenken • Wenig entwickeltes Tourismusbewusstsein x x x x x x x 5. Beherbergung/Gastronomie • Genügende Kapazität an Unterkunftseinrichtungen • Ausreichende Kapazität an Verpflegungseinrichtungen • Veraltete und unmoderne Infrastruktur • Ungenügende Komfortstandards und Hygiene • Übergewicht an Unterkünften in niedrigen Kategorien • Fehlende verbindliche Standards für Unterkunftseinrichtungen • Abwechslungsreiche Gastronomie • Weltbekannte tschechische Küche und Bier x x x x x x x x 124 Profil des touristischen Angebotes Stärke/Chance Schwäche/Gefahr 6. Allgemeine Infrastruktur • Unzureichende Verkehrsinfrastrukturqualität • Genügende Dichte der Verkehrsinfrastruktur • Breites öffentliches Transportnetz in Prag • Ungenügendes öffentliches Transportnetz auf dem Lande • Gut ausgebautes Wanderwegenetz • Vorhandene Infrastruktur für den Kongresstourismus • Hohes Niveau des Gesundheitswesens x x x x x x x 7. Soziale Faktoren/Gesellschaft • Sicheres Land (keine Kriegs- und Gewaltgefahr) • Relativ stabile politische Verhältnisse • Kriminalität (Bestehlen von Touristen) • Prostitution • Korruption • Offenheit der tschechischen Bevölkerung x x x x x x 8. Natürliche Gegebenheiten • Günstige geographische Lage in der Mitte Europas • Fehlen einer Meeresküste • Vielfältige Landschaft mit Bergen und Seen • Milde klimatische Verhältnisse • Eignung von 75% der Fläche für den Tourismus • Umweltbelastung (vergleichsweise mit Europa) • Attraktive Kleinstädte und Dörfer • Mehrere Naturschutzgebiete und Nationalparks x x x x x x x x 9. Erholungs- und Unterhaltungsangebote • Lange Tradition und gute Qualität des Kur- und Badewesens • Breites Unterhaltungsangebot in Prag • Beschränktes Unterhaltungsangebot ausserhalb von Prag • Wenig betreute Sport- und Erlebnisangebote x x x x 10. Kulturelles Angebot • Grosse kulturelle Vielfalt auf engem Raum • Folklore Tradition (insbesondere auf dem Lande) • Reiches Angebot an kulturellen Veranstaltungen • Attraktivität der Hauptstadt Prag • Unzählige Museen und Galerien • 11 Denkmäler im Verzeichnis der UNESCO • Ungenügende Investitionen in die Pflege des Kulturgutes x x x x x x Tabelle 14: Profil des touristischen Angebotes408 408 Eigene Darstellung. x 125 Zu den Schwachpunkten gehören vor allem ungenügende Dienstleistungsqualität, fehlendes Angebot an regionalen Tourismusprodukten, mangelnde Gastfreundlichkeit, fehlende Sprachkenntnisse und Qualifikation der Angestellten, unangemessenes Preis-/Leistungsverhältnis, duale Preise und kriminelle Gangs, die sich auf das Bestehlen von Touristen spezialisieren. Auf der betrieblichen Ebene sind insbesondere niedrige Kooperationsbereitschaft, fehlendes Innovationsverhalten, ungenügende Ausstattung mit Investitionskapital, kurzfristige Gewinnoptik und tiefes Lohnniveau in der Branche als Störfaktoren zu nennen.409 Seitens des Staates sind grosse Mankos in der Werbung für den tschechischen Tourismus im Ausland, der Imagepflege, der Positionierung des Landes auf dem Tourismusmarkt, der Förderung einer nachhaltigen Tourismusentwicklung, im Fehlen eines integrierten Informations- und Reservationssystems sowie in der ungenügenden öffentlichen Infrastruktur zu verzeichnen.410 Aus dem dargestellten Profil und aus den obigen Ausführungen geht hervor, dass im touristischen Angebot heutzutage die Schwächen mengenmässig die Stärken überwiegen. Will die Tschechische Republik die sich ihr bietenden Chancen für die Weiterentwicklung der Tourismusbranche nützen, darf sie die bestehenden Gefahren nicht übersehen, sondern muss an ihrer Beseitigung gezielt arbeiten. Vor allem ohne eine gut funktionierende touristische Infraund Suprastruktur, gute Verkehrsverbindungen und eine wirksame Marketingstrategie bleibt das reich vorhandene Tourismuspotential an Natur- und Kulturschätzen unbenützt. Die Jahre des postrevolutionären touristischen Booms sind endgültig vorbei und Tschechien ist nun eine unter vielen Destinationen, die um ihre Kunden kämpfen muss. Das Erkennen von Stärken und Schwächen und der sich daraus ergebenden Chancen und Gefahren ermöglicht den zuständigen Instanzen erfolgsversprechende Massnahmen in die Wege zu leiten. Dabei wird klar, dass die eigentlichen überbetrieblichen und überörtlichen Schlüsselbereiche auch über angebotsseitige Impulse des Staates beeinflusst und gefördert werden können.411 6.4 Reisebüros als Vermittler zwischen Angebot und Nachfrage Auch die Reisebürobranche machte eine ähnliche Entwicklung durch, wie die anderen Bereiche des Dienstleistungssektors. Das älteste Reisebüro Čedok entstand 1920 – schon zwei Jahre nach der Gründung der Tschechoslowakei. Neben diesem wurde der Tourismusmarkt von vielen anderen kleineren Reisebüros bedient, die vor allem Mitte der 30er Jahre eine regelrechte Konjunktur erlebten. Nachdem 1948 die private Unternehmenstätigkeit verboten wurde, beendeten die meisten Reisebüros ihre Tätigkeit. Die verbliebenen, wie auch Čedok, wurden verstaatlicht und zu Grosskonzernen umstrukturiert. So verfügte Čedok Ende der 80er Jahre über 166 Filialen im Inland, 20 Filialen im Ausland und über eine eigene Hotelkette mit 200 Hotels und 23’000 Betten,412 was ihm eine Monopolstellung in der Branche sicherte. Ausser ihm waren insgesamt noch neun Reisebüros mit ihren Filialen tätig – in Tschechien waren CKM auf Jugendliche, Autoturist auf Auto- und Motorradfahrer, Rekrea auf Genossenschaftler, Balnea auf Kurortaufenthalte und Sportturist auf Sportler spezialisiert. Eine wichtige Stellung hatte die Reisepflege ROH, die sich mit dem gebundenen Tourismus auf nicht 409 410 411 412 Vgl. Kap. 10.3.2 und 10.3.3. Vgl. Kap. 9.4, 9.5 und 10.3.1. Vgl. Kap. 9.5. Vgl. Sysel (2000), S. 296. 126 kommerzieller Basis befasste.413 Als Folge der Dominanz des Inlandstourismus und eines dichten Netzes von Privatferienwohnungen, in welchen 92% der inländischen Aufenthalte realisiert wurden,414 liess der erwirtschaftete Umsatz der Reisebürobranche aber zu wünschen übrig. Nach der Wende setzte eine stürmische Entwicklung des organisierten, vor allem grenzüberschreitenden Fremdenverkehrs ein. Für das Betreiben eines Reisebüros war anfänglich nur eine Registrierung beim Handelsministerium nötig. Diese zu liberale Bewilligungspraxis führte dazu, dass im Jahr 1990 in Tschechien etwa 4’000 und in der Slowakei etwa 2’000 Reisebüros tätig waren. Nachdem ein Jahr später die Voraussetzungen der Unternehmenstätigkeit in der Reisebürobranche verschärft wurden und auch der Markt teilweise gesättigt war, reduzierte sich ihre Gesamtzahl auf etwa 2’000-2’500.415 Čedok wurde in der grossen Privatisierung zuerst in eine Aktiengesellschaft mit dem Staat als Hauptaktionär umgewandelt. Nach seiner Spaltung in den tschechischen Čedok und den slowakischen Saturn ging der tschechische Teil im Jahr 1994 in Privateigentum über. Auch die anderen neun Reisebüros wurden privatisiert – die ROH wurde in das Reisebüro Orea mit einer eigenen Hotelkette umgestaltet. 1996 wurden die Voraussetzungen für das Betreiben eines Reisebüros erheblich gelockert, was später dazu beitrug, dass zahlreiche Reisebüros in Konkurs fielen. Da mehrere hundert Kunden die vorbezahlten Leistungen nicht erhielten und dies stark medialisiert wurde, wuchs das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber den Reiseveranstaltern. Erst mit der Verstärkung des Konsumentenschutzes durch das Inkrafttreten des Tourismusgesetzes beruhigte sich die angespannte Lage.416 Im Jahr 1999 waren 1’350 Reisebüros aktiv tätig, wobei eine dominante Rolle Čedok und Fischer spielten. 59.9% aller Reisebüros konzentrierten sich auf den Outgoing-Tourismus, 28.9% auf den Incoming-Tourismus. Die sinkende Tendenz bei der Orientierung auf den Outgoing-Tourismus entsprach der Sättigung der Nachfrage nach Auslandsreisen.417 Auch die Entwicklung im Incoming-Tourismus deutete auf einen Rückgang hin. Der Grund könnte der gleiche sein wie im Outgoing-Tourismus – die Sättigung der anfänglichen Neugier, eine postkommunistische Destination zu besuchen. Mit dem Inlandstourismus beschäftigte sich Ende 1999 nur 40.1% der Reisebüros und ihre Zahl scheint sich weiter zu verkleinern. Dies erklärt sich durch die kleineren Gewinne in dieser Sparte und durch den hohen Anteil der Bürger, die im Besitz von Ferienwohnungen sind oder sich die Ferienaufenthalte selbst organisierten. Deutlich war in den letzten Jahren dagegen der Anstieg der Zahl von Reisebüros, die sich auf zwei zukunftsversprechende Segmente, den Kurort- und Kongresstourismus, spezialisierten. Allgemein lässt sich aus den Angaben auf einen beginnenden Rückgang der Universalität und auf eine Spezialisierung auf gewisse Produkte schliessen (vgl. Tabelle 15). 413 414 415 416 417 Vgl. Kap. 7.2. Vgl. Hesková (1999), S. 9; Petrů/Holubová (1994), S. 14. Es handelt sich nur um eine Schätzung des Handelsministeriums, da zu dieser Zeit keine gesetzliche Pflicht zur Erteilung von statistischen Angaben bestand. Vgl. Kap. 9.6.1. Vgl. Kap. 6.5.2. 127 Reisebüros nach Tätigkeiten (in %) Tätigkeit Incoming-Tourismus Outgoing-Tourismus Inlandstourismus Kongresstourismus Kurorttourismus 1995 1996 1997 1998 1999 36.7 70.1 46.2 8.7 15.8 34.5 69.4 45.3 9.5 15.7 27.8 63.4 42.9 10.1 15.8 25.5 61.5 39.9 12.4 17.1 28.9 59.9 40.1 13.9 17.2 Tabelle 15: Reisebüros nach Tätigkeiten (1995-1999)418 Der Umsatz des Reisebürosektors erreichte im Jahr 1999 16.8 Mrd. Kronen, was einen Anstieg von 13% im Vergleich zum Vorjahr bedeutete. Davon fielen 71% auf den OutgoingTourismus, 25% auf den Incoming-Tourismus und nur 4% auf den Inlandstourismus. Ende 1999 beschäftigten nur 0.04% aller Reisebüros mehr als 100 Mitarbeiter und nur 0.5% mehr als 20 Mitarbeiter von den 5’974 in der Branche tätigen Personen – dies zeigt, dass auch in der Reisebürobranche die KMU dominieren.419 Im Jahr 2000 machte nur ein Drittel der tschechischen Bevölkerung von den Dienstleistungen eines Reisebüros Gebrauch, die restlichen zwei Drittel organisierten ihre Reise selbst, was darauf deutet, dass das Potential der Reisebürobranche bei Weitem noch nicht erschöpft ist.420 Die Ursachen dieser Entwicklung sind vor allem in einem beträchtlichen Anteil der Tschechen, welche auf längere Reisen verzichten (40%–2000)421 und in einer hohen Zahl der Bürger, die im Besitz einer Ferienwohnung sind (13.2%–1999),422 zu sehen. Eine mangelhafte Dienstleistungsqualität, ein unzureichend differenziertes Angebot und bis vor kurzem eine ungenügende Rechtssicherheit beim Kauf einer Pauschalreise423 verstärken noch zusätzlich das Misstrauen gegenüber den Reisebüros. 6.5 Touristische Nachfrage Die Tourismusnachfrage stellt die Bereitschaft dar, verschiedene Mengen touristischer Güter gegen bestimmte Geldmengen einzutauschen.424 Anders als in den herkömmlichen ökonomischen Nachfrageanalysen muss der Einfluss des Preises auf die Kaufentscheidung aber nicht ausschlaggebend sein, da bei der touristischen Nachfrage noch zahlreiche andere Faktoren die Entscheidung mitbestimmen. Die Nachfrage wird zusätzlich noch durch objektive Gegebenheiten wie demographische, geographische, soziale, gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche und ökologische Faktoren beeinflusst. Wie bereits im Kapitel 5.4 festgestellt wurde, ist in Tschechien beispielsweise die Reiseintensität der Stadtbewohner viel höher als bei der ländlichen Bevölkerung und der Anteil derjenigen, die auf das Reisen verzichten, wächst mit dem Alter überproportional schnell. Die Population mit der höheren Ausbildung verreist öfters als diejenigen, die sich aus den Gruppen mit niedriger Ausbildung zusammensetzen. Auch die subjektiven nicht rationalen Faktoren spielen für die Reiseentscheidung heutzutage eine wich418 419 420 421 422 423 424 In Anlehnung an Mag Consulting (2000d), S. 75. Vgl. Mag Consulting (2000d), S. 72 ff. Vgl. Mag Consulting (2002a), S. 6. Vgl. Mag Consulting (2002), S. 84. Vgl. Mag Consulting (2001), S. 3. Vgl. Kap. 9.6.1.1. Vgl. Kaspar (1996), S. 121. 128 tige Rolle. Der multioptionale Tourist verhält sich oft widersprüchlich und damit unberechenbar, indem er einmal als hedonistischer Geniesser im Oldtimer auftritt, kurz darauf indes als Vertreter eines alternativen Lebensstils in Wanderschuhen nach möglichst günstigen Angeboten sucht.425 6.5.1 Struktur der Nachfrage vor der Wende Bis zum Zweiten Weltkrieg erlebte der tschechische Tourismus einen Aufschwung. Dies war vor allem dem konjunkturellen Wachstum in der Industrie zu verdanken, was Investitionen in die Tourismusbranche und insbesondere in das Kur- und Badewesen ermöglichte.426 Die Zunahme von kaufkräftigen Einkommensschichten, die Abnahme der durchschnittlichen Jahresarbeitszeit und die Einführung des gesetzlichen Urlaubes trugen zum Anstieg der Nachfrage ebenfalls bei. Der Zweite Weltkrieg verunmöglichte das weitere Aufkommen des Fremdenverkehrs. Erst nachdem sich die Lage nach Kriegsende und der kommunistischen Machtübernahme Ende der 40er Jahre einigermassen konsolidierte, kam es erneut zu einem schnellen Wachstum der Tourismusströme. Möglich wurde dies besonders durch das Einkommenswachstum, die steigende Mobilität, die fortschreitende Urbanisation, den verbreiteten Besitz von Ferienwohnungen, die Einführung einer 5-Arbeitstage-Woche und durch die staatliche Subventionierung der Ferienaufenthalte. Einen massgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Nachfrage hatten die politischen Faktoren. Die Kommunistische Partei war bemüht, den grenzüberschreitenden Tourismus mit westlichen Ländern systematisch zu unterdrücken, um jeglichen Kontakt der eigenen Bevölkerung mit der westlichen Kultur zu verhindern. So führten beispielsweise in den 70-80er Jahren mehr als 90% aller Auslandsreisen in andere sozialistische Länder und auch umgekehrt stammten etwa 90% der Besucher aus anderen sozialistischen Staaten.427 Es überwogen kurzfristige Einkaufsreisen in Nachbarstaaten, bei den langfristigen Aufenthalten dominierten Badeferien am Schwarzen Meer. Massiv gefördert und subventioniert wurde der Inlandstourismus, dessen Anteil am gesamten Fremdenverkehr in der Nachkriegsperiode etwa 95% bildete. Ausser den langfristigeren Aufenthalten in den staatlichen, betriebseigenen oder in den der ROH gehörenden Erholungsstätten, waren die kurzfristigen Wochenendurlaube in den eigenen Ferienhäusern sehr verbreitet – ihr Anteil am gesamten Inlandstourismus bildete ca. 92%.428 6.5.2 Struktur der Nachfrage nach der Wende Nach vierzig Jahren kommunistischer Herrschaft wurden Ende 1989 die Grenzen nach Westen geöffnet. Dies löste unter der tschechischen und auch der westlich benachbarten Bevölkerung eine regelrechte Euphorie aus und die touristischen Aktivitäten nahmen während einer kurzen Zeit massiv zu. 425 426 427 428 Vgl. Greuter (2000), S. 174 f; Kap. 4.8.2. Vgl. Kap. 5.7.1 und 6.2.1.1. Vgl. Poláček/Gúčik/Bušniaková (1990), S. 29. Vgl. Malá (1986), S. 45; Hesková (1999), S. 9. 129 6.5.2.1 Nationaler Tourismus In den ersten Jahren nach der Wende überwog im Outgoing-Tourismus eine Nachfrage nach kurzfristigen Reisen in die westlichen Nachbarstaaten. Besonders gross war das Interesse an billigen Reisen mit minimalen Ansprüchen an Dienstleistungen. Um die Reise möglichst kostengünstig zu gestalten, wurde oft in Reisebussen und Autos übernachtet und Nahrungsmittel wurden von zu Hause mitgenommen. Das Hauptmotiv für das Reisen war an erster Stelle die Neugier und an zweiter Stelle lagen Einkäufe von Konsumgütern, die in Tschechien gar nicht oder zu höheren Preisen erhältlich waren.429 Erst in der zweiten Hälfte der 90er Jahre löste die Nachfrage nach Badeferien am Meer zum Teil jene nach kurzfristigen Einkaufsreisen ab. Ausserdem etablierte sich aus den Reihen der Unternehmer ein Segment, welches vermehrt an komfortablen Reisen in höheren Preiskategorien interessiert war. Die Nachfrage nach inländischen Aufenthalten stagnierte, da die tschechische Bevölkerung in dieser Zeit einen bescheidenen Urlaub im Ausland einem gehobeneren im eigenen Land bevorzugte. Auch die in den Ferienwohnungen verbrachten Wochenenden wurden durch kurzfristige Reisen abgelöst. Im Jahr 1997, nachdem die tschechische Wirtschaft in eine tiefe Rezession gefallen war, liess die Nachfrage nach Auslandsreisen nach. Ausser der schlechten wirtschaftlichen Lage, der schwachen Krone und der sich daraus ergebenden abnehmenden Kaufkraft der tschechischen Bevölkerung war die Nachfrage schon teilweise gesättigt und zahlreiche Konkurse von Reisebüros trugen noch zusätzlich zum Verzicht auf Auslandsreisen bei.430 Bei den realisierten Reisen überwogen Badeferien am Meer – im Jahr 2000 bildete ihr Anteil 62% mit Kroatien an erster, Slowenien an zweiter und Italien an dritter Stelle. Auf die Kosten des OutgoingTourismus stieg in der zweiten Hälfte der 90er Jahre das Interesse an inländischen Aufenthalten an. Nachgefragt wurden vor allem billigere Unterkünfte. Im Jahr 1997 entschieden sich 20% für Dreistern-, 13% für Zweisternhotels, 11% für Campingplätze, 10% für Pensionen und 20% nächtigten in Studentenheimen und Betriebseinrichtungen.431 2000 erreichte der Anteil des Binnentourismus am gesamten Fremdenverkehr 68%, wobei die meisten Reisen in den Sommermonaten realisiert wurden und etwa 30% auf den Badetourismus, 22% auf die Aufenthalte in Ferienwohnungen, 15% auf den Bergtourismus, 15% auf die Besuche von Verwandten und Bekannten, 7% auf Skiaufenthalte, 4% auf den Kulturtourismus und 4% auf den Kurorttourismus fielen. Ohne eine Reise mit mindestens vier Übernachtungen blieben 40% der Tschechen.432 Die sinkende Tendenz in der Nachfrage nach ausländischen Aufenthalten setzte sich auch in den nächsten Jahren fort, wobei dies vor allem der weiteren Abnahme der Kaufkraft der Bevölkerung und der Abwertung der eigenen Währung zuzuschreiben war. Im Jahr 2001 litt die touristische Nachfrage unter den terroristischen Anschlägen in den USA. 2002 kam es, trotz der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und der mehrfachen Aufwertung der Krone, zu ihrem weiteren Rückgang. Dies verursachten vor allem die Überflutungen, die im Sommer zwei Drittel des Landes heimsuchten. 429 430 431 432 Vgl. Kučerová (1997), S. 142. Vgl. Kap. 7.3.2. Vgl. Pírek (1998b), S. 11. Vgl. Mag Consulting (2002a), S. 84. 130 6.5.2.2 Incoming-Tourismus Im Incoming-Tourismus kam es nach dem Systemwechsel ebenfalls zu massgebenden Umschichtungen. Das Bedürfnis der westlichen Bürger ein postkommunistisches Land zu besuchen war gross und bis zum Jahr 1996 liess sich ein kontinuierliches Wachstum der Tourismusströme feststellen. Tschechien war vor allem für kurzfristige Städtereisen interessant, wobei Prag den Hauptanziehungspunkt bildete. Ausser dem Kultur- und Bildungstourismus blühte der Einkaufstourismus in grenznahen Regionen. Anfänglich wurden keine grossen Ansprüche an Dienstleistungen gestellt, da der Hauptgrund für die Reise nicht luxuriöse Ferien waren, sondern die Entdeckung eines unbekannten postkommunistischen Landes. Im Jahr 1997 mussten im Incoming-Tourismus zum ersten Mal Verluste hingenommen werden. Die Ursache auf der Nachfrageseite sah man vor allem im Umstand, dass nach einer Zeitspanne von 5-7 Jahren die Neugier auf eine neue Destination befriedigt war. Wie sich aus einer Untersuchung ergab, waren die ausländischen Besucher zudem nicht mehr bereit, bestimmte Unzulänglichkeiten wie unangemessenes Preis-/Leistungsverhältnis, duale Preise, ausbeuterische Preise des Taxigewerbes, steigende Kriminalität, unzureichende Komfort- und Hygienestandards und Unfreundlichkeit sowie fehlende Sprachkenntnisse des Personals zu akzeptieren.433 Die deutschen Besucher, welche den grössten Anteil der ausländischen Reisenden bilden, empfanden zusätzlich störend vor allem die ungenügende Sauberkeit in den Städten und die schlecht funktionierende Kommunikation mit den Incoming-Agenturen.434 Zu einer gewissen Belebung des Incoming-Tourismus, zu welcher die Konjunktur in den westlichen Staaten beitrug, kam es erst im Jahr 2000. Die Motive eines Besuches im Jahr 2001 bildeten an erster Stelle mit 56% Erholung und kulturelle Motivation, gefolgt von Geschäftsreisen mit 20%, Besuchen von Verwandten und Bekannten mit 12%, Teilnahme an einem Kongress mit 6%, Einkaufstourismus mit 5% und Kurorttourismus mit 4%.435 Die meisten Reisen fielen in die Sommermonate436 und waren nur kurzfristig. Weniger als fünf Tage verbrachte in Tschechien mehr als die Hälfte der Befragten, woraus sich ableiten lässt, dass Tschechien im Ausland eher das Image eines Landes des zweiten Urlaubes hat. Die ausländischen Gäste bevorzugten, im Unterschied zur einheimischen Bevölkerung, Unterkünfte in den höheren Kategorien. 23% logierten in Fünf- und Viersternhotels, 26% in Dreistern- und 8.5% in Zweisternhotels, 13% in Pensionen, 12.5% bei Verwandten und Bekannten und 7% auf Campingplätzen. 30% der Touristen waren deutscher Nationalität, 7% kamen aus Polen, 6% aus Italien, 5% aus Grossbritannien und Holland und 4% aus den USA und der Slowakei.437 6.5.3 Analyse der Nachfragetrends Vor der Wende richtete sich die touristische Nachfrage auf einfache, undifferenzierte, monokulturelle Basisleistungen. Während der ganzen sozialistischen Ära kam es kaum zu Innovationsimpulsen, da von der Nachfrageseite keine neuen touristischen Produkte verlangt wurden. Der grosse Anteil der kurzfristigen Urlaube in eigenen Ferienwohnungen verstärkte diesen 433 434 435 436 437 Vgl. Němčanský (1999a), S. 480; Pírek (1998a), S. 2; Hrala (1996), S. 101. Vgl. Strádalová (2000), S. 27. Vgl. Tschechische Tourismuszentrale (2001a), S. 28. Vgl. Tabelle 4. Vgl. Tschechische Tourismuszentrale (2001a), S. 7 und (2001b), S. 7. 131 Trend noch und verhinderte zusätzlich mögliche Veränderungen. Die staatliche Planung wäre aber auch sonst mit jeglichen Anpassungen überfordert gewesen und hätte auf die Bedürfnisse der Tourismusteilnehmer kaum reagiert. Der sozialistische, auf Massentourismus ausgerichtete Markt kann deshalb durchaus als statisch und in qualitativer Hinsicht als stagnierend bezeichnet werden. Zu Umstrukturierungen der Nachfrage kam es erst nach der Wende, als die veränderte politische Situation dem Tourismus neue Wachstumsimpulse verlieh. In der ersten Hälfte der 90er Jahre trug die Nachfrage in Bezug auf die Dienstleistungsqualität noch ähnliche Züge wie vor dem Systemwandel. Im Binnen- sowie im grenzüberschreitenden Tourismus wurden meistens undifferenzierte Grunddienstleistungen nachgefragt und deshalb kam es lange zu keiner qualitativen Verbesserung der angebotenen Produkte. Der Nachfrageüberhang führte dazu, dass sich der Tourismusmarkt während einer kurzen Zeit zum Verkäufermarkt entwickelte, da sich die Dienstleistungen quasi von selbst vermarkteten. Erst Ende der 90er Jahre kam es im Nachfrageverhalten zu grösseren Veränderungen. Wie bereits im vorangegangen Kapitel skizziert, wurden an das Reisen höhere Ansprüche gestellt und die Bereitschaft, gewisse Unzulänglichkeiten zu akzeptieren, sank. Verlangt wurde nicht nur eine bessere Qualität, sondern auch eine breitere Auswahl an Produkten, die vor allem Abwechslung, mehr Spass, Abenteuer und Unterhaltung bieten. Die wichtigsten Veränderungen fasst die Abbildung 15 zusammen. Steigende Kriminalität Schlechte Kommunikation mit Incoming-Agenturen Duale Preise Ungenügende Dienstleistungsqualität Unzureichende Komfortund Hygienestandards Einfache monokulturelle Wachsende touristische Unzufriedenheit Unangemessenes Preis/Leistungsverhältnis Dienstleistungen Bis 1996 Unfreundlichkeit des Personals Seit 1997 Ungenügende Sauberkeit in den Städten Höhere Ansprüche an touristische Dienstleistungen Notwendigkeit der Anpassung des touristischen Angebotes Fehlende Sprachkenntnisse des Personals Seit 1997 Abbildung 15: Veränderungen in der touristischen Nachfrage438 Will die Tschechische Republik an die erfolgreichen Jahre des touristischen Booms anknüpfen, sind unter anderem Veränderungen im touristischen Angebot, die dem neuen Nachfrageverhalten der einheimischen Bevölkerung und den sich wandelnden Gästebedürfnissen in Quellen-Ländern entsprechen und auf die Bedürfnisse des multioptionalen Touristen eingehen, unabdingbar. 438 Eigene Darstellung. 132 6.6 Fazit Der tschechische Tourismusmarkt machte nach der politischen Wende 1989 wesentliche Veränderungen durch, da der erhebliche Strukturwandel, der durch die Einführung der Marktwirtschaft erfolgte, auch vor der Tourismusbranche nicht Halt machte. Die Bedeutung des tertiären Sektors nahm stark zu. Sein Anteil am Bruttoinlandprodukt konnte innerhalb von zehn Jahren um 23% gesteigert werden und viele freigesetzte Arbeitskräfte aus anderen stagnierenden Wirtschaftsbereichen fanden in ihm eine neue Arbeitsstelle. Die KMU, aus welchen sich der grösste Teil der dienstleistungserbringenden Unternehmen etabliert, erlebten nach der Wende einen regelrechten Boom. Wegen der früheren Förderung von grossen Unternehmenseinheiten mussten die klein- und mittelgewerblichen Strukturen innert kurzer Zeit fast aus dem Nichts auf West-Niveau ausgebaut werden. In der Tourismusbranche dominieren heutzutage eindeutig kleine und mittlere Unternehmungen. Sie tragen einerseits zur Schaffung eines gesunden Unternehmensklimas, zur Verbesserung der Marktdynamik, zur Belebung in ökonomisch schwachen Regionen und zur Erhöhung der Beschäftigung bei. Andererseits sind aber mit ihrer Existenz einige typische Probleme der kleingewerblichen Strukturen wie ungenügendes Investitionsvermögen, fehlende Innovationsfähigkeit, kurzfristige Denkweise und mangelhafte Weiterbildung der Mitarbeiter verbunden. Unter solchen Umständen kommen auch keine überbetrieblichen Kooperationen und Clusterbildung zustande, obwohl dies gerade in der Tourismusbranche vorteilhaft wäre. Da viele der KMU nicht fähig sind, in der harten Konkurrenz mit Grossunternehmen zu bestehen, wird ihre Unterstützung seitens des Staates in den Industrieländern vermehrt diskutiert. In der Tschechischen Republik wird trotz der Fülle von kontroversen Ansichten eine privilegierte Förderung der KMU befürwortet. Aufgrund der vorgenommenen Stärken- und Schwächen Analyse des touristischen Angebotes kann in Tschechien davon ausgegangen werden, dass das ursprüngliche Angebot an zahlreichen natürlichen und kulturellen Gegebenheiten bei seiner Wahl als Reiseland eine entscheidende Rolle spielt. Den Hauptanziehungspunkt für 70% der ausländischen Besucher bildet die Hauptstadt Prag – dies obwohl fast drei Viertel der Landesfläche für den Fremdenverkehr geeignet sind. Der grösste Teil der einheimischen Bevölkerung verbringt ihre Ferien in der Nähe von Wasserflächen. Einer der Gründe, warum das ursprüngliche Angebot eine viel höhere Gewichtung geniesst, liegt wohl daran, dass das abgeleitete Angebot in vielen Bereichen noch nicht das erwartete Niveau erreicht. Nimmt man beispielsweise die Unterkunfts- und Verpflegungseinrichtungen unter die Lupe, stellt man fest, dass ein Netz in einer genügenden Quantität, nicht aber Qualität vorhanden ist, und dass die Unterkünfte in niedrigen Kategorien überwiegen. Bei der Nachfrage nach touristischen Dienstleistungen kam es auch zu vielen Veränderungen. Bis Ende 1989 machte der Inlandstourismus etwa 95% des gesamten Fremdenverkehrs aus und vor allem die kurzfristigen Wochenendurlaube in den eigenen Ferienwohnungen waren sehr verbreitet. Die Nachfrage nach westlichen Auslandsreisen wurde systematisch unterdrückt und so spielte sich der internationale Tourismus zu fast 90% mit anderen sozialistischen Ländern ab. An die Dienstleistungen wurden keine grossen Ansprüche gestellt; verlangt wurden einfache, undifferenzierte Produkte. Zu massgeblichen Umstrukturierungen kam es erst nach dem Systemwechsel. In den ersten Jahren überwog eine Nachfrage nach billigen, kurzfristigen Reisen in die westlichen Länder, die später durch eine Nachfrage nach Badefe- 133 rien am Meer abgelöst wurde. Der Stagnation des Inlandstourismus wurde erst während der Rezession in der zweiten Hälfte der 90er Jahre ein Ende gesetzt, als die Bevölkerung auf billigere Reisearten auswich. Im Incoming-Tourismus liess sich unmittelbar nach der Wende zuerst ein kontinuierliches Wachstum der Tourismusströme feststellen. Ausser der Nachfrage nach kurzfristigen Aufenthalten in Prag blühte vor allem der Einkaufstourismus in Grenzregionen. 1997 mussten aber auch im Incoming-Tourismus das erste Mal Verluste hingenommen werden, wobei die wachsende Unzufriedenheit mehreren Faktoren zuzurechnen war. Die Ursachen waren vor allem in Unzulänglichkeiten im Angebot, in der sinkenden Bereitschaft diese zu akzeptieren sowie in der teilweisen Sättigung der Nachfrage nach postkommunistischen Destinationen zu sehen. Seitens des Staates trug vor allem die Verfolgung einer konzeptlosen Tourismuspolitik zu dieser Entwicklung bei. Will die Tschechische Republik an die erfolgreichen Jahre des touristischen Booms anknüpfen, sind einige Anpassungen und Innovationen des Angebotes, die der veränderten Nachfrage auf dem Markt entsprechen, unabdingbar. Dies ergibt sich unter anderem aus dem Stärken/Schwächen- und Chancen-/Gefahrenprofil. Mehrere von den mengenmässig überwiegenden Mankos gehören zu Bereichen, die auch über staatliche Impulse günstig beeinflusst und mit einer geeigneten Tourismuspolitik gezielt gefördert werden können. 135 7 Entwicklung der Tourismusbranche 7.1 Überblick „In the past ten years tourism in the Czech Republic has become an important economical and social phenomenon with a significant international impact.“ Petr Lachnit (1999) Die Ausgestaltung des Fremdenverkehrswesens unter der Zentralplanwirtschaft vollzog sich in vielen Belangen anders als nach der Wende. Der Ausbau des Dienstleistungssektors war aus ideologischen Gründen nicht erwünscht und die Tourismusentwicklung wurde vom Zentrum in die von der Kommunistischen Partei vorgegebene Richtung gesteuert. Erst nach dem Systemwechsel kam es in Tschechien zu radikalen Veränderungen, die sich auch stark auf die Tourismusbranche auswirkten. Wie sich bereits aus den Kapiteln 6.2 und 6.4 ergibt, wurde der Tourismussektor durch die Entstehung von tausenden privaten KMU gestärkt. Die Monopolstellung der bestehenden Grossunternehmen wurde abgebaut und die meisten touristischen Einrichtungen bereits im Jahr 1990 privatisiert. Die Branche erfuhr in der ersten Hälfte der 90er Jahre einen regelrechten Boom – vor allem nahm der grenzüberschreitende Fremdenverkehr massiv zu. Dies hatte auch volkswirtschaftliche Auswirkungen, da das touristische Aufkommen steigende Anteile der Branche am Bruttoinlandprodukt, am Export und an der Beschäftigung sowie eine gute Positionierung auf dem internationalen Tourismusmarkt mit sich brachte. Nachdem aber die tschechische Wirtschaft in eine Krise geraten war, kam es im Jahr 1997 auch in der Tourismusbranche zu einer Stagnation, für welche aber auch andere Faktoren auf der mikro- und makroökonomischen Ebene verantwortlich waren.439 Als sich die wirtschaftliche Lage nach der Jahrtausendwende verbesserte, kam es im Fremdenverkehr zu einer leichten Belebung. Auf die Tourismusentwicklung vor der Wende und auf seine typischen Merkmale wird im ersten Kapitel eingegangen. Um den Einfluss der kommunistischen Ideologie näher zu demonstrieren, wird der grenzüberschreitende Fremdenverkehr unter die Lupe genommen. Bei der Analyse der Tourismusentwicklung nach der Wende wird zwischen dem touristischen Boom der ersten Jahre und der darauf folgenden Stagnation unterschieden. Zunächst wird die Stellung der Tschechischen Republik auf dem internationalen Tourismusmarkt analysiert. Das letzte Kapitel ist der wirtschaftlichen Bedeutung der Tourismusbranche gewidmet. Es wird insbesondere auf die Entwicklung des Dienstleistungssektors, auf den Anteil des Tourismus am BIP, am Export und an der Beschäftigung sowie am Ausgleich der Zahlungsbilanz eingegangen. 439 Vgl. Kap. 10.2.1. 136 7.2 Tourismusentwicklung vor der Wende Vor dem Zweiten Weltkrieg gehörte die Tschechoslowakei zu den europäischen Ländern mit dem höchsten Lebensstandard.440 Die industrielle Entwicklung führte zu einem starken Wachstum, das Investitionen in den Tourismus und vor allem in die Entwicklung des Kurund Badewesens ermöglichte. Im Jahr 1920 entstanden das erste Reisebüro Čedok und ein gesamtstaatlicher Tourismusklub.441 Ausser dem organisierten Reisen und dem Kurorttourismus begann sich in den 30er Jahren unter der jungen Generation das Trampen weit zu verbreiten. Es handelte sich dabei um eine günstige Möglichkeit, Ferien in Tramplagern, im Zelt oder unter freiem Himmel zu machen. Das grösste Tourismusaufkommen wurde 1937 in der Zeit der Hochkonjunktur verzeichnet. In diesem Jahr nahmen 3.75 Mio. Bürger mit einer durchschnittlichen Dauer von fünf Tagen am Inlandstourismus teil. Die Zahl ausländischer Besucher mit einer durchschnittlichen Dauer von acht Tagen betrug 0.55 Mio.442 Längere Reisen blieben in der ganzen Zwischenkriegszeit aber häufig den vermögenderen Schichten vorbehalten. Das Reisen von jenen mit niedrigerem Einkommen beschränkte sich oft auf Besuche von Verwandten und Bekannten sowie auf eintägige Ausflüge. Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren die Voraussetzungen für die Entwicklung des Tourismus nicht optimal. Die schwierige wirtschaftliche Lage, Inflation, zerstörte Verkehrswege und Unterkunftseinrichtungen erschwerten sein Aufkommen. Dazu kam Ende der 40er Jahre noch die kommunistische Machtübernahme, die nicht nur die Veränderung des politischen Kurses, sondern auch einen umfangreichen Umbau der Wirtschaft und der Tourismusbranche hervorrief.443 Nachdem sich die Situation einigermassen konsolidierte, kam es erneut zu einem schnellen touristischen Wachstum. Infolge der Nichtannahme des Marshallplans und des Ausbruchs des Kalten Krieges entwickelte sich der Fremdenverkehr in den sozialistischen Ländern aber anders als im Rest der Welt. Die sowjetische Führung bemühte sich um eine einheitliche Gestaltung der unter ihrem Einfluss stehenden Regime. Die Staaten sollten ihre bis zum Krieg vorherrschende Westorientierung aufgeben, das Modell der Zentralplanung übernehmen und sich voll in die sozialistische Staatengemeinschaft integrieren. Dies galt auch für die Tourismusbranche. In der Tschechoslowakei wurden die touristische Supra- und Infrastruktur daraufhin verstaatlicht und die Reorganisation des ganzen Tourismuswesens in Angriff genommen.444 Nach dem sowjetischen Vorbild von „Intourist“445 wurden zentrale Organisationen eingerichtet und der Tourismussektor in die zentrale Wirtschaftsplanung einbezogen.446 Es kam zur Herausbildung von typischen Merkmalen, die man in der nach marktwirtschaftlichen Prinzipien funktionierenden Tourismusbranche nicht vorfand (vgl. Abbildung 16). In der Tschechoslowakei hatten diese Merkmale folgende inhaltliche Ausgestaltungen: 440 441 442 443 444 445 446 Vgl. Kap. 5.7.1. Vgl. Kap. 6.4. Vgl. Poláček/Gúčik/Bušniaková (1990), S. 21 f. Die Zahlen für den Outcoming-Tourismus wurden statistisch nicht erfasst. Vgl. Kap. 5.7.1. Vgl. Kap. 6.2.2. Intourist ist eine im Jahr 1929 gegründete sowjetische Organisation für den Incoming-Tourismus. Bis vor wenigen Jahren verfügte sie über das Monopol für Empfang und Versorgung ausländischer Touristen und über ein eigenes Hotelnetz. (Vgl. Henningsen [1993], S. 47). Vgl. Kap. 8.2. 137 Dominanz des Innlandstourismus Übergewicht der kurzfristigen Reisen Datscha-Kultur Typische Merkmale des sozialistischen Tourismus Finanzielle Beteiligung des Staates - „Gratis-Ferien“ Internationaler Tourismus mit sozialistischen Ländern Fehlende touristische Einrichtungen Abbildung 16: Typische Merkmale des Tourismus447 447 448 449 450 451 • Dominanz des Inlandstourismus: Die Basis der touristischen Entwicklung bildete der Inlandstourismus, dessen Aufkommen vom Staat finanziell unterstützt wurde. Sein Anteil am gesamten Fremdenverkehr betrug ca. 95%, in bestimmten Jahren auch mehr.448 • Datscha-Kultur: Das dichte Netz von eigenen Ferienwohnungen führte dazu, dass ihre Nutzung etwa 92% des Inlandstourismus ausmachte.449 Burgstein beschrieb die Datscha-Kultur folgendermassen: „Die Woche über verbringt die Nation zu Hause. Am Freitagnachmittag verschwindet sie auf die Datscha. Hier entfaltet der Tscheche sein wahres Selbst, pflegt das Häuschen und manikürt den Garten ... Insbesondere an Wochenenden und Feiertagen wird gehämmert, gezimmert und gesägt. Die Überlegung, der Nachbar könnte sich über die Ruhestörung beschweren ... wird mit eindeutigem Klopfen auf die Stirn kommentiert.“450 • Fehlende touristische Infra- und Suprastruktur: Der Mangel an kommerziellen touristischen Einrichtungen trug dazu bei, dass sich der freie Tourismus am langsamsten entwickelte, da die bestehende Nachfrage in der Winter- und Sommersaison nicht befriedigt werden konnte. • Internationaler Tourismus mit sozialistischen Ländern: Die Entwicklung des grenzüberschreitenden Tourismus wurde durch die kommunistische Führung stark gehemmt. In den 70-80er Jahren führten mehr als 90% aller Auslandsreisen in andere sozialistische Länder und auch umgekehrt stammten etwa 90% der Besucher aus anderen sozialistischen Ländern, mit denen bilaterale Abkommen abgeschlossen waren.451 Eigene Darstellung. Vgl. Tabelle 17. Vgl. Petrů/Holubová (1994), S. 14. Burgstein (1998), S. 44. Vgl. Kap. 7.2.1; Tabelle 16. 138 7.2.1 • Kurzfristige Reisen: Im gesamten Zeitraum dominierte der Kurzzeittourismus – vor allem in Form von Wochenendurlauben in eigenen Ferienwohnungen. • Finanzielle Beteiligung des Staates: Durch die staatliche Mitfinanzierung des gebundenen Inlandstourismus wurde die Teilnahme am Fremdenverkehr allen Sozialschichten ermöglicht. Am schnellsten entwickelte sich die Gewerkschaftsbewegung ROH, welche über mehrere Erholungsstätten verfügte.452 Die Ferienaufenthalte in betriebseigenen Einrichtungen erfuhren ebenfalls einen grossen Zuwachs wie auch die meist dreiwöchigen Pionier-Zeltlager, die für die Kinder der Angestellten organisiert wurden. Grenzüberschreitender Tourismus Der grenzüberschreitende Verkehr wurde aus Furcht vor der Unterminierung der Souveränität des sozialistischen Staates kurz nach der kommunistischen Machtübernahme drastisch eingeschränkt. Vor allem Kontakte mit westlichen Bürgern waren entweder ausdrücklich verboten oder streng reglementiert. Bereits beim Ausbau des Verkehrsnetzes achtete man darauf, dass die Hauptachsen nicht nach Westen führten. Die wenigen privaten Besucher aus dem Westen waren in ihrer Bewegungsfreiheit eingeengt und private Reisen der eigenen Bevölkerung in den Westen waren so gut wie unmöglich. Die Bürger sollten nicht die Möglichkeit haben, durch Auslandsreisen Kontakte zur kapitalistischen Welt zu knüpfen und einen eigenen Einblick in die dort bestehenden Lebensverhältnisse zu gewinnen, da dies nach Meinung der Kommunistischen Partei zu politisch unerwünschten Reaktionen führen könnte. 1955 wurde auf der Konferenz der RGW-Mitgliedstaaten in Varna beschlossen, zumindest den grenzüberschreitenden Verkehr unter ihnen zu liberalisieren und zu vereinheitlichen. Ein wichtiger Punkt war der Entscheid über die Einbeziehung der Meeresküsten Bulgariens und Rumäniens in den Ferntourismus der Mitgliedstaaten. Anfang der 60er Jahre kam es zu weiteren Erleichterungen. Auf bilateraler Basis wurde 1964 die Pass- und Visumspflicht zwischen der ČSSR, Ungarn, Polen, Bulgarien, der DDR sowie Jugoslawien abgeschafft. Um die Grenzen zu diesen Ländern überschreiten zu können, reichte seitdem ein Einlageblatt zum Personalausweis, das von der Polizeibehörde am Wohnort ausgestellt wurde.453 In den Jahren 19671968 kam es in der Tschechoslowakei im Zusammenhang mit den geplanten Reformen zu weiteren Lockerungen.454 Die Grenzen wurden auch gegenüber den westlichen Staaten geöffnet und die Bürger durften nach Erfüllung der Visumspflicht in kapitalistische Staaten ausreisen. Gleichzeitig kam es zu einem regelrechten Boom von Einreisen aus dem Westen, wobei es sich vor allem um politisch interessierte junge Leute handelte. Nach der gewaltsamen Beendigung des Prager Frühlings wurden die Grenzen jedoch wieder geschlossen und die Ausreiseformalitäten stark verschärft, was zu einer drastischen Drosselung der Westreisen führte. In der ersten Hälfte der 70er Jahre kam es zu einer gewissen Entspannung, da zwischen der Tschechoslowakei, der DDR, Ungarn und Polen die Pass- und Visumspflicht aufgehoben wurde. Dies führte schnell zu einem Anstieg der Touristenströme, wobei für dieses Wachstum besonders ökonomische Überlegungen der Bevölkerung eine Rolle spielten. Es lohnte sich, 452 453 454 Vgl. Kap. 6.4. Vgl. Ropers (1986), S. 22; Socher (1996), S. 162. Vgl. Kap. 5.7.2. 139 Einkaufsreisen in jene sozialistischen Nachbarstaaten zu unternehmen, in denen begehrte Konsumartikel eher oder billiger erhältlich waren. Dieser Anreiz führte aber zu vielen Engpässen in der Versorgung der Einreiseländer, und deshalb wurden daraufhin die Zoll- und Devisenbestimmungen, die ursprünglich zusammen mit den Passbestimmungen liberalisiert worden waren, wieder verschärft. Eine Ausreise in die westlichen Staaten war weiterhin mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Trotz verschiedener Möglichkeiten, eine Reise zu beantragen, erhielten die Gesuchsteller oft ohne Begründung einen negativen Bescheid. Lag eine schriftliche Einladung von Bekannten oder Verwandten vor, musste der Antragsteller bei seinem Arbeitgeber eine Ausreiseerlaubnis beantragen. Nach seiner Zusage war ein Devisenantrag bei der Nationalbank zu stellen und mit all den positiven Bescheiden war der offizielle Antrag bei der örtlichen Polizei einzureichen. Diese entschied endgültig darüber, ob die Ausreise genehmigt wurde oder nicht. Eine andere Möglichkeit für eine Ausreise bestand über das Reisebüro Čedok, wobei auch hier das Visum von staatlicher Seite her verweigert werden konnte. Zudem durfte der Aufenthalt nicht weniger als 15 Tage dauern, was das Reisen in das westliche Ausland unverhältnismässig verteuerte und somit eine kleine Nachfrage garantierte. In allen Fällen galt das ungeschriebene Gesetz, dass die nahen Familienangehörigen des Gesuchstellers die Heimat in dieser Zeit nicht verlassen durften.455 Aus den oben erwähnten Gründen führten in den 70-80er Jahren mehr als 90% aller Auslandsreisen in andere sozialistische Länder und auch umgekehrt, etwa 90% der Besucher stammten aus anderen sozialistischen Ländern, mit denen die Tschechoslowakei bilaterale Abkommen abgeschlossen hatte (vgl. Tabelle 16). Incoming-Tourismus Jahr 1965 1975 1985 Besucherzahl (in Mio.) mit sozialistischen Staaten (%) mit kapitalistischen Staaten (%) 2.9 13.9 16.5 79.0 93.5 92.1 21.0 6.5 7.9 Outgoing-Tourismus Jahr 1965 1975 1985 Reisendenzahl (in Mio.) mit sozialistischen Staaten (%) mit kapitalistischen Staaten (%) 1.7 7.4 8.4 90.3 96.0 94.4 9.7 4.0 5.6 Tabelle 16: Incoming- und Outgoing-Tourismus (1965-1985)456 In den 80er Jahren verlangsamte sich das touristische Wachstum innerhalb der sozialistischen Länder und einige von ihnen versuchten wegen ihren wirtschaftlichen Schwierigkeiten, grössere Anteile ihrer touristischen Kapazitäten gegen Devisen und zu höheren Verrechnungspreisen zu vermarkten. Der ganze Reiseverkehr wurde aber weiterhin stark geregelt und reglementiert – unter gewissen Umständen auch gegenüber den anderen RGW-Mitgliedern. Als es beispielsweise 1980 in Polen zu Arbeiterunruhen und der Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc kam, wurde die Zahl der Ausreisen zum nordöstlichen Nachbarn beschränkt, da die kommunistische Führung die Verbreitung ähnlicher Tendenzen im eigenen Land befürchtete. 455 456 Vgl. Ropers (1986), S. 31 ff.; Ruzicka (1994), S. 11. In Anlehnung an Poláček/Gúčik/Bušniaková (1990), S. 29; Mladová (1997), S. 16. 140 Zur Einführung der Reisefreiheit und zu einer grundsätzlichen Veränderung der ganzen Tourismuspolitik kam es erst nach der Wende Ende 1989.457 Trotz der vielen Einschränkungen war der Fremdenverkehr während der ganzen sozialistischen Ära, vor allem wegen der starken staatlichen Subventionierung des Inlandstourismus, stets im Wachstum begriffen. Die Zahl der Tourismusteilnehmer stieg in den Jahren 1948 bis 1989 von 10.6 Mio. auf 183.6 Mio., was dem Faktor 18 entspricht (vgl. Tabelle 17). 1948 Nationaler Tourismus – Reisendenzahl (in Mio.) Total Inlandstourismus Outgoing-Tourismus 10.6 --- 1955 16.6 -- -- 1965 66.5 64.8 1.7 1970 119.3 117.2 2.1 1980 168.3 157.9 10.4 1985 172.4 164.0 8.4 1989 183.6 173.6 10.0 Jahr Tabelle 17: Nationaler Tourismus (1948-1989)458 7.3 Tourismusentwicklung nach der Wende Wie bereits aus den Kapiteln 5.5 bis 5.7 hervorgeht, kam es nach der Wende in Tschechien zu radikalen politischen und wirtschaftlichen Veränderungen, die dem Tourismus neue Wachstumsimpulse verliehen. Die Tourismusbranche wurde mit zuvor nie dagewesenen Gegebenheiten konfrontiert. Nach vierzig Jahren kommunistischer Herrschaft kam es zur Öffnung der Grenzen und es entstand ein nach marktwirtschaftlichen Prinzipien funktionierender Tourismusmarkt.459 Nach anfänglich kontinuierlichem Wachstum der Tourismusströme kam es 1997 zu einer Stagnation, die trotz der konjunkturellen Ankurbelung der Wirtschaft nach der Jahrtausendwende noch nicht überwunden zu sein scheint. 7.3.1 Tourismusboom bis 1996 Die Tourismusentwicklung bis zum Jahre 1996 kann als explosiv bezeichnet werden. Die Beseitigung der Grenzstacheldrähte und die erlangte Freiheit lösten unter der tschechischen Bevölkerung eine regelrechte „Go-West-Euphorie“ aus. Unmittelbar nach der Grenzöffnung überwogen im Outgoing-Tourismus kurzfristige Reisen in die westlichen Nachbarstaaten. Zu ihrer leichten Verminderung, die sich durch das fallende Interesse am kurzfristigen Einkaufstourismus erklären liess, kam es 1993. Ein Jahr später kurbelte die konjunkturelle Belebung der Wirtschaft die Reisefreudigkeit aber wieder an und im Jahr 1996 wurde ein neuer Rekord 457 458 459 Vgl. Kap. 7.3. In Anlehnung an Mladová (1997), S. 15. Vgl. Kap. 6. 141 erreicht (vgl. Tabelle 18). Die Nachfrage nach Badeferien am Meer löste nun teilweise jene nach kurzfristigen Reisen in Nachbarstaaten ab.460 Jahr 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 Outgoing-Tourismus Reisendenzahl (in Mio.) 13.4 30.7 32.7 31.0 45.8 44.9 48.6 Tabelle 18: Outgoing-Tourismus (1989-1996)461 Beim Incoming-Tourismus liess sich in den ersten Jahren nach dem Systemwechsel auch ein kontinuierliches Ansteigen feststellen (vgl. Tabelle 19). Tschechien war insbesondere für kurzfristige Städtereisen interessant, wobei Prag den Hauptanziehungspunkt bildete. Das überwiegende Interesse der Besucher war die Entdeckung eines unbekannten postkommunistischen Landes. An zweiter Stelle lag der Einkaufstourismus in den grenznahen Regionen.462 Die höchste Zahl der Einreisen wurde im Jahr 1996 registriert. Ihr leichter Rückgang 1995 wurde wohl durch die Einführung des Nachweises über die Zahlungsfähigkeit verursacht. Die ausländischen Besucher mussten sich neu auf Verlangen der Grenzpolizei über eine Mindestsumme von 7’000 Kronen ausweisen können.463 Jahr 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 Incoming-Tourismus Besucherzahl (in Mio.) Touristenzahl (in Mio.) 29.6 -36.6 7.3 50.9 8.1 69.4 10.9 71.7 11.5 101.1 17.0 98.1 16.5 109.4 17.2 Tabelle 19: Incoming-Tourismus (1989-1996)464 460 461 462 463 464 Vgl. Kap. 6.5.2. In Anlehnung an das Ministerium für Regionalentwicklung (1999), S. 3. Die Zahlen für die Jahre 1989-1993 gelten nicht für die ganze Tschechoslowakei, sondern nur für die Tschechische Republik. Vgl. Kap. 6.5.2. Vgl. Němčanský (1999a), S. 480; Statistisches Bundesamt (1996), S. 101 f. Die Besucherzahlen in Anlehnung an Ministerium für Regionalentwicklung (1999), S. 3. Die Touristenzahlen in Anlehnung an Tvarůžková (1999), S. 10. Die Zahlen für die Jahre 1989-1993 gelten nicht für die ganze Tschechoslowakei, sondern nur für die Tschechische Republik. Bei der Touristenzahl handelt es sich um Schätzungen von den jeweils für den Tourismus zuständigen Ministerien. 142 Im Unterschied zum massiven Aufkommen des grenzüberschreitenden Fremdenverkehrs stagnierte der Inlandstourismus. Die in den Ferienhäusern verbrachten Wochenenden wurden durch kurzfristige Reisen in westliche Länder abgelöst. Der gebundene Inlandstourismus wurde fast vollständig verdrängt. Innerhalb der ersten drei Jahre nach der Wende wurde die staatliche Subventionierung abgebaut und die meisten betriebseigenen Tourismuseinrichtungen an Private verkauft. Die ROH wurde 1992 in Orea umgewandelt, das weiterhin Ferienaufenthalte anbietet, jedoch unter ganz anderen, der Marktentwicklung entsprechenden Bedingungen.465 Auch die Aufenthalte in den Kurorten setzten neu eine finanzielle Beteiligung der Gäste voraus, was zu einem Rückgang führte.466 7.3.2 Stagnation seit 1997 Wie sich bereits aus dem Kapitel 5.7.4.4 ergibt, fiel die tschechische Wirtschaft, die sich bis dahin gut entwickelt hatte, im Jahr 1996 in eine tiefe Rezession. Die ungünstige Lage wirkte sich auch auf den touristischen Konsum, der von der wirtschaftlichen Entwicklung abhängig ist, aus.467 Die abnehmende Kaufkraft der einheimischen Bevölkerung und die Abwertung der tschechischen Krone führten dazu, dass vermehrt auf den Einkaufstourismus (besonders nach Polen) verzichtet wurde und dass von den ausländischen Aufenthalten auf den billigeren Inlandstourismus ausgewichen wurde. Eine Renaissance erlebten die kurzfristigen Wochenendaufenthalte in eigenen Ferienwohnungen, die vor der Wende zu der dominierenden Tourismusart gehörten.468 Die sinkende Tendenz im Outgoing-Tourismus setzte sich in den Jahren 1998-2001 weiter fort (vgl. Tabelle 20). Für den Rückgang waren neben der Verschlechterung der Wirtschaftslage, mehrfacher Abwertung der Krone und der daraus resultierenden abnehmenden Kaufkraft der Bevölkerung auch viele andere Umstände auf der makro- und mikroökonomischen Ebene verantwortlich.469 Nicht zuletzt spielten auch die grossen Überflutungen, die einen Drittel der Tschechischen Republik im Juni 1997 heimsuchten, eine bedeutende Rolle. Trotz der konjunkturellen Belebung der tschechischen Wirtschaft Ende 2001 und der Verbesserung der Einkommenssituation470 kam es in Folge der Terroranschläge in den USA nicht zum erwarteten Anstieg der Reiseaktivitäten und Ausgaben für den Tourismus.471 Stattdessen trug das Jahrhundert-Hochwasser vom Sommer 2002 zum weiteren Rückgang der Auslandsreisen bei, noch bevor sich die starke Aufwertung der Krone auf den Outgoing-Tourismus positiv auswirken konnte. 465 466 467 468 469 470 471 Vgl. Kap. 6.4. Vgl. Kap. 6.2.1.1. Vgl. Kap. 4.8.1. Vgl. Kap. 7.2. Die Ursachen der Stagnation werden ausführlich im Kap. 10.2.1 diskutiert. Vgl. Kap. 5.7.4. Theoretisch hätte ein Einkommensanstieg von 1% eine Erhöhung der Ausgaben für den Tourismus um 2-2.5% hervorrufen müssen. (Vgl. Beránek in Ulrych [2002], S. 31). 143 Outgoing-Tourismus Jahr Reisendenzahl (in Mio.) 1997 1998 1999 2000 2001 46.1 43.6 40.0 38.2 36.2 Tabelle 20: Outgoing-Tourismus (1997-2001)472 Im Incoming-Tourismus mussten nach sechs erfolgreichen Jahren ebenfalls Verluste hingenommen werden. Die direkte Ursache dieser negativen Entwicklung sah man vor allem darin, dass das Bedürfnis eine postkommunistische Destination zu besuchen, im Allgemeinen befriedigt war.473 Nicht ohne Auswirkung blieben die grossen Überschwemmungen im östlichen Teil des Landes im Jahr 1997. Die tschechischen Reisebüros waren zu einem grossen Teil nicht fähig, ihre ausländischen Klienten über das Ausmass und die Lokalisierung der Überflutungen zu informieren, so dass die Kunden in der Vorstellung, dass das ganze Land überschwemmt sei, ihre Reisen annullierten. Das Jahr 1998 brachte einen noch deutlicheren Rückgang, der auch 1999 andauerte.474 Zu einer gewissen Belebung, zu welcher die Konjunktur in den westlichen Staaten beitrug, kam es erst nach der Jahrtausendwende (vgl. Tabelle 21). Im Jahr 2001 kam es aber erneut zu einer Verminderung, die vor allem den terroristischen Anschlägen in den USA zuzuschreiben war. Wegen den grossen Überschwemmungen und der mehrfachen Aufwertung der Krone sank der Incoming-Tourismus im Jahr 2002 weiter. Aus einer Untersuchung ergab sich, dass ca. 10 Mio. ausländische Staatsbürger als direkte Folge der Überflutungen auf eine Reise nach Tschechien verzichteten.475 Jahr 1997 1998 1999 2000 2001 Incoming-Tourismus Besucherzahl (in Mio.) Touristenzahl (in Mio.) 107.9 102.8 100.8 104.2 103.1 17.4 16.3 16.0 --- Tabelle 21: Incoming-Tourismus (1997-2001)476 472 473 474 475 476 In Anlehnung an Tschechische Tourismuszentrale (2001a), S. 2. Vgl. Kap. 6.2.2. Zu weiteren Ursachen vgl. Kap. 6.5.2.2 und 10.2.1. Vgl. Beránek (2002b), S. 9. Die Besucherzahlen in Anlehnung an Tschechische Tourismuszentrale (2001a), S. 5. Die Touristenzahlen in Anlehnung an Schätzungen des Ministeriums für Regionalentwicklung (1999), S. 3. 144 7.4 Der tschechische Tourismus im internationalen Vergleich Der Tourismus ist weltweit eine ausgeprägte Wachstumsbranche. Von 1950 bis 1999 stieg die Zahl der internationalen Ankünfte von 25 Mio. auf 664 Mio. an, was einem durchschnittlichen Jahreswachstum von 7% entspricht. Im Jahr 1950 teilten sich die Ankünfte unter ca. 15 Länder auf. Im Jahr 1999 gab es schon mehr als 70 Länder und Regionen, in welchen die Zahl der Ankünfte mindestens eine Million erreichte. Die wichtigsten Empfangsgebiete waren 1999 Europa mit 59% und Amerika mit 19%. Ihre Anteile verkleinern sich aber allmählich zugunsten von Ostasien und dem Pazifik. Die Einnahmen aus dem Tourismus haben sich im letzten Jahrzehnt mehr als verdoppelt und erreichten im Jahr 1999 454.6 Mrd. USD. Davon flossen rund 52% nach Europa, weitere 27% nach Amerika und 15% nach Ostasien sowie in den pazifischen Raum.477 Trotz dieser Entwicklung können aber nur etwa 3.5% der reisefähigen Bevölkerung als regelmässige grenzüberschreitende Reisende betrachtet werden; im Jahre 2020 sollen es 7% sein. Nach einer Prognose der WTO werden sich die Tourismusströme in den nächsten Jahren weltweit stark vergrössern – die internationalen Ankünfte sollen bis zum Jahr 2020 auf 1.55 Mrd. wachsen und die Einnahmen 2’000 Mrd. USD erreichen.478 Die wichtigste touristische Region wird Europa mit 717 Mio. Ankünften bleiben, obwohl sich ihr Marktanteil auf ca. 47% reduzieren wird. Ostasien und der Pazifik werden Amerika überholen und zusammen die zweite Position einnehmen.479 Die Stellung der Tschechischen Republik auf dem internationalen Tourismusmarkt nach der Zahl der Touristenankünfte von 1990 bis 1999 verdeutlicht die Tabelle 22. Für die Zeit vor der Wende bestehen keine statistischen Angaben, da der grenzüberschreitende Tourismus zu 90% nur mit den anderen sozialistischen Ländern praktiziert wurde,480 und sein Anteil auf dem internationalen Tourismusaufkommen aus diesem Grund unbedeutend klein war. Nachdem es in den 90er Jahren zu einem grossen Anstieg der Tourismusströme kam,481 näherte sich Tschechiens Weltmarkanteil am Fremdenverkehr schon nach kurzer Zeit demjenigen von Deutschland und Österreich an. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre kam es aber zu seiner Verkleinerung.482 Die Tschechische Republik klassierte sich weltweit mit ihren 16.03 Mio. Touristenankünften aber immerhin auf dem 13. Rang und in Europa auf dem 9. Rang.483 477 478 479 480 481 482 483 Vgl. Mag Consulting (2000d), S. 234 ff. Vgl. Keller (1999a), S. 59 f. Vgl. Mag Consulting (2000f), S. 5. Vgl. Kap. 7.2.1. Vgl. Kap. 7.3.1. Zu den Ursachen der Stagnation der Tourismusbranche vgl. Kap. 10.2.1. Von zahlreichen Fachleuten werden die genannten Ergebnisse jedoch in Frage gestellt. Das Tschechische Statistische Amt kam z.B. für das Jahr 1996 zum Schluss, dass das Land von 6.78 Mio. Touristen besucht wurde, was weltweit eine Platzierung auf dem 22.-23. Rang bedeuten würde. In die WTO-Statistik wurde aber die Schätzung des Ministeriums für Regionalentwicklung übernommen, die sich auf 17.2 Mio. belief und Tschechien auf die 11. Position brachte. (Vgl. Beránek [1999a], S. 7 f.; Simonian [1998], S. 23). 145 Tschechien auf dem internationalen Markt nach Touristenzahl Rangfolge 1990 1995 1998 1999 1 1 1 1 3 3 2 2 2 2 3 3 4 4 4 4 12 8 6 5 7 5 5 6 10 11 9 7 8 7 7 8 17 18 13 9 27 9 8 10 6 10 10 11 9 13 11 12 16 12 12 13 5 6 14 14 13 16 16 15 Land Touristenzahl 1999 (in Mio.) Weltmarktanteil 1999 (in %) Frankreich Spanien USA Italien China Grossbritannien Kanada Mexiko Russland Polen Österreich Deutschland Tschechien Ungarn Griechenland 73.0 51.8 48.5 36.1 27.0 25.7 19.6 19.2 18.5 18.0 17.5 17.1 16.0 12.9 12.0 11.0 7.8 7.3 5.4 4.1 3.9 2.9 2.9 2.8 2.7 2.6 2.6 2.4 1.9 1.8 Tabelle 22: Tschechien auf dem internationalen Tourismusmarkt (1990-1999)484 Die wertmässigen Statistiken entwickelten sich für Tschechien im weltweiten Vergleich ungünstig.485 Bei den Einnahmen aus dem internationalen Tourismus betrug sein Anteil am europäischen Markt im Jahr 1997 nur 1.6%, was den 16. Rang bedeutete und weltweit war das Land sogar erst auf der 30. Position aufgeführt. In den folgenden Jahren schrumpfte der Anteil auf dem europäischen Markt weiter bis auf 1.3% und auf dem weltweiten Markt auf 0.66% zusammen.486 Vergleicht man die Deviseneinnahmen beispielsweise mit Österreich, das bei der Touristenzahl fast die gleiche Position wie Tschechien einnimmt, wird das Bild noch düsterer – im Jahr 2000 erreichten die Einnahmen vom Tourismus in der Tschechischen Republik knapp 3 Mrd. USD, in Österreich waren es 11.5 Mrd. USD.487 Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Vergleich der touristischen Einnahmen pro Einwohner, wo Tschechien stark hinter dem europäischen Durchschnittsniveau hinkt (vgl. Tabelle 23). Touristische Einnahmen pro Einwohner im Jahr 1999 (in USD) Land Tschechien Frankreich Österreich Schweiz Spanien Europa Einnahmen 295 534 1’546 1’032 825 321 Tabelle 23: Touristische Einnahmen pro Einwohner (1999)488 484 485 486 487 488 In Anlehnung an Mag Consulting (2000d), S. 241. Vgl. Kap. 7.5. Vgl. Mag Consulting (2000d), S. 239; Beránek (1999a), S. 8. Vgl. Nejdl (2000), S. 23. In Anlehnung an Nejdl (2000), S. 24. 146 Diese Entwicklung steht in einem engen Zusammenhang mit den niedrigen durchschnittlichen Ausgaben der ausländischen Besucher. Sie bewegten sich in den Jahren 1992-2000 zwischen 21 und 51 USD pro Tag, wie dies die folgende Tabelle verdeutlicht. Am wenigsten gaben die slowakischen (21.5 USD) und polnischen Besucher (23 USD) aus, am meisten die Gäste aus Japan (135.5 USD). Obwohl die Ausgaben eine steigende Tendenz aufweisen, sind sie im Vergleich zu anderen Ländern niedrig. In Österreich erreichten sie beispielsweise im Jahr 2000 fast 150 USD und auch in anderen westlichen Ländern übersteigen sie regelmässig 100 USD.489 In Tschechien werden dagegen Ausgaben über 100 USD nur im Kurorttourismus mit 122 USD und im Kongresstourismus mit 246 USD getätigt.490 Die Anhebung der Durchschnittsausgaben auf das Niveau der westlichen Länder würde für Tschechien nicht nur eine Verbesserung seines Anteiles an internationalen Einnahmen bedeuten, sondern es würde vor allem seiner Tourismusbranche Wachstumsimpulse bringen. Durchschnittliche Ausgaben der ausländischen Besucher/Tag (in USD) Jahr 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 Ausgaben/Tag 21 30 30 30 35 38 42 44 51 Tabelle 24: Durchschnittliche Ausgaben der ausländischen Besucher (1992-2000)491 Was die Zukunft der tschechischen Tourismusbranche im internationalen Vergleich betrifft, rechnet die aus dem Jahr 1996 stammende WTO-Prognose mit einer steigenden Bedeutung osteuropäischer Länder als Zielgebiete. So soll der Marktanteil Tschechiens weltweit im Jahr 2020 auf 2.7% ansteigen, so dass sich das Land mit 44 Mio. Touristenankünften unter den „Top Ten“ der beliebtesten Reisedestinationen platzieren könnte (vgl. Tabelle 25).492 Prognose der internationalen Ankünfte und Weltmarktanteile für das Jahr 2020 Land China USA Frankreich Spanien Hongkong Italien Grossbritannien Mexiko Russland Tschechien Touristenzahl (in Mio.) 137.1 102.4 93.3 71.0 59.3 52.9 52.8 48.9 47.1 44.0 Anteil am Weltmarkt (in %) 8.6 5.8 6.4 4.4 3.7 3.3 3.3 3.1 2.9 2.7 Tabelle 25: Prognose der internationalen Ankünfte und Weltmarktanteile (2020)493 489 490 491 492 493 Vgl. Tschechische Tourismuszentrale (2001c), S. 13. Vgl. Mourek (2000), S. 11. In Anlehnung an Mourek (2000), S. 9; Tschechische Tourismuszentrale (2001c), S. 13. Vgl. Petermann (1999), S. 50 f. In Anlehnung an World Tourism Organization (1997), o.S., dargestellt in Petermann/Wennrich (1999), S. 50 f. 147 Aufgrund der Entwicklung der letzten zwei Jahre, in denen trotz der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in der tschechischen Tourismusbranche weitere Einbussen in Kauf genommen werden mussten, scheint diese Prognose eher unrealistisch zu sein. Zwar ist die Tschechische Republik immer noch eine ansehnliche postkommunistische Destination, aber ihre Position verschlechtert sich kontinuierlich und das Ende der seit 1997 andauernden Stagnation ist noch nicht absehbar.494 Gleichwohl zählt aber die Tourismusbranche in Tschechien zu den bedeutenden Wirtschaftszweigen, wie auch aus dem nächsten Kapitel ersichtlich wird. 7.5 Tourismus als strategischer Wirtschaftszweig Im Weltmassstab betrachtet ist die Tschechische Republik als kleine offene Volkswirtschaft ein Zwerg, dessen wirtschaftliche Kraft für die weltweite Entwicklung und Prosperität kaum ins Gewicht fällt. Immerhin hat sie aber in Europa eine wichtige Stellung und bei der Betrachtung der Transformationsfortschritte nimmt Tschechien in der Gruppe der Transformationsländer einen Spitzenplatz ein. Gemessen am Bruttoinlandprodukt pro Kopf übertraf das Land mit 13’300 USD (2001) die anderen osteuropäischen Staaten und näherte sich den südlichen EU-Ländern.495 Ähnliche Aussagen können über das Inflationsniveau (4.7%–2001), über das wirtschaftliche Wachstum (3.6%–2001) und über die Entwicklung der Leistungsbilanz gemacht werden. Die Arbeitslosigkeitsquote befand sich 2001 mit 8.5% im zentraleuropäischen Vergleich ebenfalls auf einem tiefen Niveau; einzig die Verschuldung der öffentlichen Hand stieg in den letzten Jahren wesentlich an.496 Zu diesem durchaus positiven Ergebnis trug zu einem beachtlichen Teil die Entwicklung des Dienstleistungssektors, zu dem auch die Tourismusbranche gehört, bei. Wie sich bereits aus den Kapiteln 6.2.3 und 8.4 ergibt, wurde während der sozialistischen Ära dem Dienstleistungssektor keine grosse Bedeutung beigemessen. Die einseitige Förderung der industriellen Produktion hatte zur Folge, dass er stark unterentwickelt war und einen grossen Nachholbedarf hatte. Der wirtschaftlichen Bedeutung des Tourismus wurde ebenfalls keine genügende Aufmerksamkeit geschenkt, da die kommunistische Führung vor allem ideologische und nicht ökonomische Zielsetzungen verfolgte. Vor der Wende betrug der Anteil des Dienstleistungssektors am Bruttoinlandprodukt nur 31%, was im Vergleich zu den westlichen Ländern (z.B. Österreich mit 66% und die Schweiz mit 55%) sehr gering war.497 Im Laufe der Transformation wurde der tertiäre Sektor aber immer wichtiger und sein Anteil am BIP grösser – im Jahr 1999 betrug er fast 54%. Die steigende Bedeutung des Tertiärsektors widerspiegelte sich auch in der wachsenden Zahl der darin Beschäftigten. Im Jahr 1999 fanden dort 54% der aktiven Bevölkerung eine Arbeitstelle, wobei es sich zum Teil um Arbeitskräfte handelte, die von anderen stagnierenden Wirtschaftsbereichen freigesetzt wurden (vgl. Tabelle 26). Im Vergleich zu den entwickelten Ländern (z.B. Österreich mit 63% und die Schweiz mit 69%) ist im Dienstleistungssektor aber immer noch ein grosses Beschäftigungspotential vorhanden.498 Für den grossen Aufschwung des Dienstleistungssektors war insbesondere die Entwicklung im Tourismus und im Handel massgebend, die einen beachtlichen Beitrag zur 494 495 496 497 498 Vgl. Kap. 7.3.2. Vgl. Mag Consulting (2000d), S. 30; Europäische Kommission (2002), S. 36. Vgl. Kap. 5.7.4; http://www.czso.cz/cz/novinky/inflace/inflace2.htm (Stand am 17.1.2003). Vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (1999a), S. 18; Tamm (1993), S. 43; van Orsouw (1990), S. 90. Vgl. Tschechisches Statistisches Amt (2000), S. 692. 148 Überbrückung der anfänglich rezessiven Transformationsphase der tschechischen Wirtschaft leistete. Anteil der Wirtschaftssektoren am BIP und an der Beschäftigung (in %) Jahr 1990 1995 1996 1997 1998 1999 Landwirtschaft Industrie Dienstleistungen BIP Beschäftigung BIP Beschäftigung BIP Beschäftigung 8.2 4.7 4.5 4.9 4.9 5.3 15.3 8.1 7.7 7.3 7.1 6.6 47.5 41.9 42.2 43.6 43.4 41.1 41.9 39.6 39.2 39.6 39.7 39.4 44.3 53.4 53.3 51.5 51.7 53.6 42.8 52.3 53.1 53.1 53.2 54.0 Tabelle 26: Anteil der Wirtschaftssektoren am BIP und an der Beschäftigung (1990-1999)499 Der touristische Boom in den ersten Jahren nach der Wende widerspiegelte sich ökonomisch betrachtet vor allem im ansteigenden Anteil der Tourismusbranche am Bruttoinlandprodukt, am Export und an der Beschäftigung. Zu seinem Rückgang kam es erst in der zweiten Hälfte der 90er Jahre, als die ganze tschechische Wirtschaft in eine Krise fiel und auch die Tourismusbranche stagnierte.500 Der Anteil des Fremdenverkehrs an den oben erwähnten Grössen ist aus der Tabelle 27 ersichtlich, wobei nach der typischen und mittelbaren Tourismuswirtschaft differenziert wird.501 Im Jahr 2000 war der Tourismus indirekt mit 13.4% am BIP beteiligt. Damit wurde der Durchschnitt von anderen Transformationsländern überschritten, das Niveau von den meisten westlichen europäischen Ländern wurde aber noch nicht erreicht.502 Ähnliches ergab sich bei der Beteiligung der Tourismusbranche am Exportvolumen, die 12.8% betrug. Auch die tourismusbedingte Beschäftigung, welche sich in der Tschechischen Republik auf 11.3% belief, war höher als in den anderen Transformationsländern, aber niedriger als in Westeuropa. Geht man von einer Zahl der aktiven Bevölkerung in der Höhe von 5.2 Mio. aus, entsprachen dem Anteil der Tourismusbranche ca. 587’600 Arbeitsplätze. Davon arbeiteten im Jahr 1999 ca. 161’000 Personen im Gast- und Unterkunftsgewerbe und ca. 6’000 in der Reisebürobranche.503 Die besseren Ergebnisse im Vergleich mit den restlichen Transformationsländern sind dem relativ erfolgreichen Verlauf der tschechischen Transformation zuzuschreiben. Vor allem die schnelle Entwicklung des Dienstleistungssektors, die massenhafte Gründung der KMU (die z.B. in Polen zum Teil schon vorhanden waren), das grosse Stellenangebot im Tourismussektors und das gute Exportklima trugen zu dieser Entwicklung bei. 499 500 501 502 503 Eigene Berechnungen gestützt auf Tschechisches Statistisches Amt (2000), S. 288; http://www.czso.cz/cz/cisla/5/50/5001004q/data/tab2b.pdf (Stand am 20.2.2001). Vgl. Kap. 5.7.4. und 7.3.2. Vgl. Kap. 3.2. Vgl. Mag Consulting (2000d), S. 243 ff. Vgl. Mag Consulting (2000d), S. 75 und S. 209; Tschechisches Statistisches Amt (2000), S. 288. 504 505 4.36 5.65 5.74 2.04 3.07 Frankreich Österreich Schweiz Slowakei Slowenien 1997 1998 1999 2000 1996 2.34 1.48 5.89 5.19 4.43 2.71 1.93 1.34 5.76 5 4.43 2.73 1.93 1.29 5.64 5.01 4.3 2.68 In Anlehnung an Mag Consulting (2000d), S. 243 ff. Zur statistischen Erfassung der Deviseneinnahmen und -ausgaben vgl. Kap. 9.5.3. 16.79 16.64 16.34 16.42 16.77 17.23 17.17 16.86 16.94 17.26 9.31 11.51 11.05 Slowakei Slowenien 9.84 9.91 8.07 9.93 8.01 9.49 8.01 9.18 7.6 8.38 7.49 8.43 7.15 8.44 7.1 16.55 17.01 16.86 16.74 16.32 15.99 16.39 16.26 8.56 1999 2000 9.96 15.1 19.8 8.19 7.38 6.91 6.87 14.45 14.24 13.34 13.57 18.99 18.36 18.35 17.31 ------- ------- ------- ------- ------- 1.92 14.92 13.29 10.69 10.72 10.64 1.29 5.74 4.94 Schweiz 8.72 1998 4.25 16.33 16.84 17.06 15.93 15.46 17.33 16.9 1997 Export 2.73 16.91 14.36 13.46 12.64 12.75 Mittelbare Tourismuswirtschaft 2.53 1.76 5.89 5.45 4.35 2.99 Typische Tourismuswirtschaft 1996 Österreich 2.26 1.46 5.57 5.13 4.26 3.23 2000 11.66 11.94 11.88 11.82 11.74 11.61 11.91 11.84 11.79 11.72 2.27 1.45 5.46 5.2 4.31 3.16 1999 Frankreich 2.26 1.53 5.58 5.17 4.44 3.23 1998 Beschäftigung 13.63 12.69 13.13 13.07 13.36 11.45 10.82 11.12 11.08 11.27 2.82 1.69 5.71 5.38 4.44 3.17 1997 BIP Tschechien Land 3.55 1996 Tschechien Land Grösse / Jahr Anteil der Tourismusbranche am BIP, am Export und an der Beschäftigung (in%) 149 Tabelle 27: Anteil der Tourismusbranche an BIP, Export und Beschäftigung (1996-2000)504 Als unsichtbarer Exportzweig trägt die tschechische Tourismuswirtschaft mit ihrem Überschuss regelmässig zum Ausgleich des Zahlungsbilanzdefizits bei. Der Vergleich der Deviseneinnahmen und -ausgaben zeigt, dass sich der Saldo seit 1991 im positiven Bereich bewegt (vgl. Tabelle 28). Bis zum Jahr 1994 konnten die Deviseneinnahmen den Saldo der Zahlungsbilanz ganz ausgleichen, danach deckten sie mindestens teilweise ihr Defizit.505 Zum gleichen Ergebnis kommt man auch, wenn man die ganze Gruppe der Transformationsländer unter die Lupe nimmt. Im Unterschied zu entwickelten Ländern, wo die Ausgaben für den OutcomingTourismus die Einnahmen aus dem Incoming-Tourismus oft überschritten, war ihr Saldo in 150 den letzten zehn Jahren positiv.506 Dies erklärte sich unter anderem durch die vergleichsweise niedrigere Kaufkraft der Bevölkerung in den Transformationsländern, die mehrfache Abwertung der östlichen Währungen und die allgemeine inflationäre Entwicklung. Deviseneinnahmen und -ausgaben (in Mrd. USD) Jahr Einnahmen Ausgaben Saldo 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 0.5 0.5 0.7 1.1 1.6 2.2 2.9 4.1 3.6 3.9 3.2 3.0 3.1 0.3 0.5 0.3 0.4 0.5 1.6 1.6 3.0 2.4 1.9 1.5 1.3 1.4 0.2 0.0 0.4 0.7 1.1 0.8 1.3 1.1 1.2 2.0 1.7 1.7 1.8 Tabelle 28: Deviseneinnahmen und -ausgaben (1989-2001)507 Wie aus der Tabelle 28 ersichtlich ist, wiesen die Deviseneinnahmen bis zum Jahr 1997 eine steigende Tendenz auf. Als direkte Ursachen für die Rekordeinnahmen im Jahr 1996 wurden die grosse Besucherzahl und die allgemeine Inflationsentwicklung genannt. Der Rückgang der Einnahmen ein Jahr später wurde der Verringerung der Besucherzahl und der Abwertung der tschechischen Krone zugeschrieben.508 Nach dem leichten Wachstum im Jahr 1998 kam es wieder zu einem Rückgang, dessen direkte Ursache vor allem in der weiteren Abwertung der Krone lag. Erst nach der Jahrtausendwende stabilisierte sich die Lage einigermassen. Bei den Devisenausgaben wurden die höchsten Zahlen ebenfalls im Jahr 1996 erreicht. Zu einer deutlichen Abnahme kam es in der zweiten Hälfte der 90er Jahre, als sich die wirtschaftliche Krise auf die Ausgabenstruktur zuungunsten des grenzüberschreitenden Tourismus auswirkte. Bis Ende 2000 setzte sich die sinkende Tendenz als Folge der andauernden Rezession weiter fort, zu einem leichten Anstieg kam es erst nach der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage im Jahr 2001. Die ökonomische Bedeutung des Tourismus unterstreicht auch der Anteil seines Saldos an der Dienstleistungsbilanz – dieser erhöhte sich von 67.4% im Jahr 1995 auf 98.3% im Jahr 1998.509 Den Anteil der Deviseneinnahmen der Tourismusbranche am Bruttoinlandprodukt belegt Tabelle 29. 506 507 508 509 Vgl. Mag Consulting (2000f), S. 4. In Anlehnung an Ministerium für Regionalentwicklung (1999), S. 4 ff.; Tschechische Tourismuszentrale (2001a), S. 3. Der hohe Anstieg der Devisenausgaben im Jahr 1994 ist zum grossen Teil der Verwendung einer neuen Erhebungsmethode zuzuschreiben. Vgl. Chvojková (1999), S. 52 ff. Vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (1999), S. 7. 151 Anteil der Deviseneinnahmen am BIP Jahr 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 BIP (in %) 5.0 5.6 5.7 7.3 7.0 6.7 5.7 5.9 5.5 Tabelle 29: Anteil der Deviseneinnahmen vom Tourismus am BIP (1993-2001)510 Der Beitrag der Tourismusbranche an das Staatsbudget wurde vom Ministerium für Regionalentwicklung für das Jahr 1997 auf 4% geschätzt, was ca. 7 Mrd. Kč entsprach. Ihr Anteil an den Einnahmen der lokalen Budgets, vor allem in Form von Kur-, Unterkunftstaxen und Parkgebühren, wurde auf 3% geschätzt, was ca. 3-3.5 Mrd. Kč ausmachte.511 Das touristische Geschehen prägt aber das wirtschaftliche Wachstum nicht nur mit, sondern wird auch selbst durch die allgemeine Entwicklung beeinflusst. Dies obwohl der Fremdenverkehr im Vergleich zu anderen Branchen als relativ konjunkturstabil bezeichnet wird.512 Vor der Wende war der Einfluss der wirtschaftlichen Lage auf die Tourismusbranche nicht so gross, da die unflexible staatliche Planung fast keine Anpassungen an aktuelle Verhältnisse zuliess und wegen der fehlenden Konvertibilität der tschechischen Währung und einer ausschliesslichen Orientierung an sozialistische Länder auch keine grossen Impulse von der restlichen Welt zu erwarten waren. Auch die Veränderungen in der persönlichen Einkommenssituation manifestierten sich in einem kleineren Ausmass – dies war vor allem der staatlichen Subventionierung der inländischen Ferienaufenthalte zu verdanken.513 Nach dem Systemwechsel waren dafür die Auswirkungen der wirtschaftlichen Entwicklung auf die Tourismusbranche beachtlich. Wie sich aus den vorherigen Kapiteln ergibt, korrelierte die Tourismusentwicklung mit Ausnahme der ersten Jahre während der ganzen Periode mehr oder weniger mit der allgemeinen Wirtschaftslage.514 Obwohl die obigen Ausführungen die strategische Bedeutung der Tourismusbranche für die Wirtschaft belegen, wird der Fremdenverkehr von den tschechischen Politikern immer noch oft unterschätzt. Unter der Zentralplanwirtschaft wurde er als ein produktiver Wirtschaftszweig nicht erkannt und nach dem Systemwechsel kümmerten sich die politischen Gremien kaum um ihn, da er auch ohne staatliche Massnahmen florierte und zur Überbrückung der anfänglichen rezessiven Transformationsphase massgeblich beitrug. Erst nach der sozialdemokratischen Machtübernahme wurde der Tourismus von der Regierung in ihrem Programm 510 511 512 513 514 In Anlehnung an Ministerium für Regionalentwicklung (1999), S. 8; Tschechische Tourismuszentrale (2001), S. 3. Vgl. Vitáková (2000a), S. 42. Aktuellere Angaben waren Anfang 2003 noch nicht vorhanden. Vgl. Kap. 4.8.1. Vgl. Kap. 7.2 und 8.2. Vgl. Kap. 5.7.4 und 7.3. 152 vom Jahr 1998 als strategischer und förderungswürdiger Wirtschaftszweig des Landes bezeichnet und der Übergang zu einer konzeptionellen Tourismuspolitik in die Wege geleitet.515 7.6 Fazit Bis zum Zweiten Weltkrieg entwickelte sich der tschechische Tourismus ähnlich wie in andern entwickelten Ländern. Das grösste Tourismusaufkommen wurde 1937 in der Zeit der Hochkonjunktur verzeichnet. Zu umfangreichen Umstrukturierungen und einer Neuausrichtung der Tourismusbranche kam es nach der kommunistischen Machtübernahme Ende der 40er Jahre. Seitdem verlief die Tourismusentwicklung in den sozialistischen Ländern anders als im Rest der Welt. Es bildeten sich spezielle Merkmale, die man in den marktwirtschaftlich orientierten Ländern nicht vorfand. Der Dienstleistungssektor wurde allgemein nicht gefördert, da es sich der marxistischen Lehre nach um einen nicht produktiven Wirtschaftszweig handelte. Diese Einstellung führte auch zur Vernachlässigung und Unterentwicklung der Tourismusbranche. In der Tschechoslowakei wurde der Fremdenverkehr durch die Dominanz des kurzfristigen Inlandstourismus, das grosse Netz von eigenen Ferienwohnungen, die Engpässe in der touristischen Infra- und Suprastruktur, die starke staatliche Subventionierung des gebundenen Binnentourismus und die Orientierung des internationalen Tourismus auf sozialistische Länder geprägt. Die vorrangige Stellung der ideologischen Zielsetzungen kam vor allem in der Ausgestaltung des grenzüberschreitenden Fremdenverkehrs zum Vorschein. Mehr als 90% der Reisen wurden mit anderen sozialistischen Ländern abgewickelt und der Reiseaustausch mit den westlichen Staaten wurde so weit wie möglich eingeschränkt. Zu radikalen Veränderungen kam es erst nach der Wende, als die neue politische und wirtschaftliche Situation dem Tourismus Wachstumsimpulse verlieh. Im grenzüberschreitenden Tourismus herrschte ein regelrechter Boom. Der Wunsch der tschechischen Bürger, ein westliches Land zu besuchen und umgekehrt das Interesse im Ausland am Besuch einer postkommunistischen Destination war gross. Nachdem die tschechische Wirtschaft jedoch Ende 1996 in eine tiefe Rezession geraten war, kam es auch in der Tourismusbranche zu einer Stagnation. Die tschechische Bevölkerung sah sich wegen ihrer abnehmenden Kaufkraft gezwungen, gewisse Umstrukturierungen zuungunsten des Tourismus vorzunehmen. Die ausländischen Besucher vor allem waren nicht mehr bereit, die mangelnde Dienstleistungsqualität und das unangemessene Preis-/Leistungsverhältnis zu akzeptieren. Die Nachfrage war auf beiden Seiten zum grossen Teil gesättigt und im Angebot kam es zu keinen innovativen Veränderungen. Auf der makroökonomischen Ebene trugen insbesondere der unsystematische Zugang zur Branche, die fehlende Rechtssicherheit und die unzureichende Werbung für den tschechischen Tourismus zu dieser ungünstigen Entwicklung bei.516 Auf dem internationalen Markt belegte 1995 das vorher unbekannte Reiseland Tschechien nach der Zahl der Touristenankünfte den 12. Platz und überholte damit Länder wie Österreich und die Schweiz. Ende der 90er Jahre konnte die stagnierende tschechische Tourismusbranche ihre Position nicht verbessern, besetzte aber immerhin den 13. Rang. Viel ungünstiger entwickelten sich im weltweiten Vergleich die Deviseneinnahmen, die Tschechien aus dem 515 516 Vgl. Kap. 9.2.2. Vgl. Kap. 10.2.1. 153 internationalen Tourismus erhielt. Dies steht im Zusammenhang mit den niedrigen Ausgaben der Besucher, die tief unter dem europäischen Durchschnitt liegen. Die ökonomische Bedeutung des Fremdenverkehrs für die tschechische Volkswirtschaft manifestiert sich vor allem in seinem Anteil am Bruttoinlandprodukt, am Export und an der Beschäftigung. In den ersten Jahren nach der Wende absorbierte die Tourismusbranche viele von anderen Wirtschaftssektoren überflüssig gewordene Arbeitskräfte und trug damit zu einem tiefen Arbeitslosigkeitsniveau bei. Im Jahr 1999 arbeitete jeder zehnte Tscheche für die Tourismusbranche. Während die anderen Bereiche stagnierten, verzeichnete die Tourismusbranche in der ersten Hälfte der 90er Jahre ein grosses Wachstum und leistete damit einen beachtlichen Beitrag zur Überbrückung der rezessiven Transformationsphase der tschechischen Wirtschaft. Im Jahr 2000 war der Tourismus mit 13.4% am BIP beteiligt und am Exportvolumen mit 12.8%, was trotz der sinkenden Tendenz der letzten Jahre im Vergleich mit anderen Transformationsländern ein gutes Resultat darstellte. Der Saldo der Deviseneinnahmen und -ausgaben aus dem grenzüberschreitenden Tourismus trägt seit 1991 regelmässig zum Ausgleich der Zahlungsbilanz bei. Trotz der offensichtlichen strategischen Bedeutung des Tourismus für die Wirtschaft wird die Branche von den Politikern oft unterschätzt. Vor dem Systemwechsel führte der Tourismus als unproduktiver Zweig nur ein Schattendasein und auch nach der Wende kümmerten sich die politischen Gremien zuerst kaum um ihn. Erst nach der sozialdemokratischen Machtübernahme im Jahr 1997 wurde der Tourismus allmählich als strategischer und förderungswürdiger Wirtschaftszweig des Landes anerkannt. 155 8 Tourismuspolitik vor der Wende 8.1 Überblick „Die sozialistischen Länder proklamieren … das Prinzip der ,Einheit von Staat und Gesellschaft’, wonach alle Aussenbeziehungen einer übergreifenden und gemeinsamen Gestaltung unterworfen werden sollten.“ Norbert Ropers In der Zwischenkriegsperiode wurde in der Tschechoslowakei eine tourismusfreundliche Politik betrieben und immer bessere Voraussetzungen für den Fremdenverkehr geschaffen. Bis 1936 wurden mit 26 Staaten Vereinbarungen über einen visumsfreien Verkehr abgeschlossen. Das grösste touristische Aufkommen wurde während der Hochkonjunktur im Jahr 1937 verzeichnet. Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren die Voraussetzungen für die Entwicklung des Tourismus nicht optimal. Dazu kam Ende der 40er Jahre noch die kommunistische Machtübernahme, die umfangreiche Umstrukturierungen in allen Wirtschaftssektoren hervorrief. Nach sowjetischem Vorbild wurde auch die Reorganisation der Tourismusbranche in Angriff genommen. Die Infra- und Suprastruktur wurde verstaatlicht, zentrale Träger der Tourismuspolitik eingerichtet und der Tourismussektor in die staatliche Wirtschaftsplanung einbezogen. Die Tourismuspolitik hatte mit derjenigen in der Vorkriegszeit nicht viele Gemeinsamkeiten. Es handelte sich um einen Komplex von Grundsätzen und Massnahmen, die den staatlichen Organen zur Lenkung der Tourismusentwicklung in die von der Kommunistischen Partei vorgegebene Richtung dienten. Im Mittelpunkt stand nicht der Mensch, sondern die Interessen der führenden Partei. Im ersten Kapiteln wird auf die Ausgestaltung der Tourismuspolitik als eine universelle Planungsaufgabe eingegangen und der Einfluss des Staates auf das touristische Geschehen während der sozialistischen Ära analysiert. Danach werden die Träger der Tourismuspolitik aufgezählt und ihr Aufgabenfeld beschrieben. Da private und gemischte tourismuspolitische Institutionen unter dem kommunistischen Regime nicht existierten, liegt das Augenmerk bei den staatlichen Organen. Zuletzt wird die Zielsetzung der Tourismuspolitik skizziert und verschiedene direkte und indirekte Instrumente, welcher sich der Staat bediente, diskutiert. 8.2 Tourismuspolitik als universelle Planungsaufgabe In den zentralplanwirtschaftlich orientierten Ländern wurde die Tourismuspolitik als allgemeine Planungsaufgabe ausgestaltet. Der Fremdenverkehr war in die zentralen Wirtschaftsstrukturen eingegliedert, die wichtigen Entscheidungen wurden zentral gefällt und anstelle der Koordination trat die Subordination der Organe unter einen Willen. In der Tschechoslowakei wurde nach der erfolgten Verstaatlichung 1948 das Entstehen grosser wirtschaftlicher Einheiten (VHJ) gefördert, da dies die staatliche Planung massgeblich vereinfachte.517 Die Basis der ganzen Tourismuspolitik bildeten die Beschlüsse des Kommunistischen Parteikongresses und die Hauptaufgabe der Tourismusverantwortlichen bestand vor allem darin, die Interessen der Kommunistischen Partei auf dem Gebiet des Fremdenverkehrs durchzusetzen.518 Freizeit und 517 518 Vgl. Kap. 6.2.3. Zu den einzelnen Beschlüssen des Kommunistischen Parteikongresses vgl. Čech (1985), S. 10 ff. 156 Ferienreisen waren im Prinzip keine Privatsache, sondern Bestandteil des kontrollierten öffentlichen Lebens. Im Rahmen der volkswirtschaftlichen Planung wurden in der Tschechoslowakei die Zielsetzungen in Tourismuspläne mit unterschiedlichem Zeithorizont eingebaut (vgl. Abbildung 17). • Im langfristigen Plan (10-20 Jahre) wurde das grundlegende Konzept der Tourismusentwicklung ausgearbeitet. Einen wichtigen Teil dieses Planes bildeten die verschiedenen Prognosen über die zukünftige Entwicklung, wobei in allen Fällen von der sich vertiefenden sozialistischen Integration im Rahmen des RGW auszugehen war.519 • Die langfristigen Zielsetzungen wurden in mittelfristigen Plänen konkretisiert. Der Fünfjahresplan setzte sich aus dem Devisenplan und aus dem Plan der touristischen Einrichtungen zusammen. Im Devisenplan wurden die aus dem Incoming-Tourismus zu erwirtschaftenden Einnahmen für einzelne Reisebüros und andere Organisationen und die zu leistenden Ausgaben für den Outgoing-Tourismus festgelegt. Der Plan der touristischen Einrichtungen beinhaltete die durchzuführenden Ausbauten und die Modernisierung der Infra- und Suprastruktur.520 • In den Jahresplänen wurden die Ziele der Fünfjahrespläne weiter präzisiert. Wegen der Verknüpfung des Fremdenverkehrs mit anderen Bereichen der Wirtschaft gelang es in der Regel aber nicht, einen ganzheitlichen Plan auszuarbeiten. Die touristischen Ziele fand man in einzelnen Plänen mehrerer Ministerien, die nicht aufeinander abgestimmt waren. Aus diesem Grund wurde in der beabsichtigen Reform des Wirtschaftsmechanismus in den 80er Jahren auch eine Verbesserung der Tourismusplanung in Angriff genommen.521 Kommunistischer Kongress Zuständige Ministerien Unternehmungen Mittelfristige Planung Langfristige Planung Devisenplan Plan der touristischen Einrichtungen 10-20 Jahre Kurzfristige Planung 1 Jahr 5 Jahre Abbildung 17: Tourismuspolitik als universelle Planungsaufgabe522 519 520 521 522 Eine gemeinsame Tourismuspolitik wurde bereits im Jahr 1955 auf einer Konferenz in Varna beschlossen. (Vgl. Kap. 7.2.1). Vgl. Poláček/Gúčik/Bušniaková (1990), S. 121 f. Vgl. Kap. 5.7.3. Eigene Darstellung. 157 Das grösste Problem dieses Systems bestand in der Tatsache, dass die zentralen Organe verpflichtet waren, sich ungeachtet der aktuellen Lage an den Beschlüssen des Kommunistischen Kongresses zu orientierten. Die untergeordneten Institutionen hatten sich an die gemäss übergeordneten Plänen für touristische Zwecke zur Verfügung stehenden materiellen, finanziellen und personellen Kapazitäten zu halten, statt auf die aktuelle Nachfrage und die Bedürfnisse der Tourismusteilnehmer zu reagieren. Für die einzelnen Unternehmungen, welche sich am Ende der Planungskette befanden, bestand somit fast kein Entscheidungsspielraum mehr. Dies führte zu ineffizienten Ergebnissen, die im Grunde aber nicht negativ interpretiert wurden, sondern als Teil des Systems, in welchem die ideologischen Zielsetzungen den ökonomischen überlegen waren, betrachtet wurden. Aus den obigen Ausführungen wird ersichtlich, dass in den zentralistischen Planwirtschaften die Rolle des Staates viel stärker ausgeprägt war als in marktwirtschaftlichen Systemen. In der Marktwirtschaft haben die staatlichen Organe prinzipiell nur dann einzugreifen, wenn es zu Marktversagen oder -ablehnung kommt. Neuerdings wird nach einem verstärkten Einsatz des Staates bei der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit von Standorten verlangt.523 In den Zentralplanwirtschaften wurde der Verlauf der Tourismusentwicklung von den staatlichen Stellen vollständig geplant und tourismuspolitische Aufgaben vom Staat, dem die touristischen Infraund Suprastruktur gehörte, übernommen. Es wurde eine äusserst aktive Strukturpolitik betrieben und die Teilnahme am Binnentourismus stark subventioniert. Durch ideologische Propaganda und Abschirmung vom Westen sollte das sozialistische Bewusstsein der Bürger gefördert werden.524 Erst nach dem Systemwechsel wurde die Ausgestaltung der Tourismuspolitik als eine universelle Planungsaufgabe nicht weiter verfolgt und zu anderen Ausgestaltungsformen übergegangen.525 Der Einfluss anderer Bereiche auf die Tourismusentwicklung und auch umgekehrt die Auswirkung der touristischen Aktivitäten auf ihr Umfeld wurden bei der Konzipierung der volkswirtschaftlichen Pläne nur wenig berücksichtigt. Eine Ausnahme bildete die Aussenpolitik, deren verfolgter politischer Kurs für den grenzüberschreitenden Tourismus verbindlich war. Sonst gehörte die Tourismusbranche nach der marxistischen Ideologie zu den nicht produktiven Wirtschaftszweigen, welchen der sozialistische Planer keine grosse Aufmerksamkeit schenkte.526 So wurde beispielsweise im Rahmen der Raumordnungspolitik einerseits eine Rayonisierung der touristischen Gebiete ausgearbeitet,527 andererseits wurde aber beim Ausbau der Ferienwohnungen auf die Erhaltung eines intakten Landschaftsbildes und auf die sich aus einer Überbauung ergebenden Belastungen keine Rücksicht genommen. In der Wirtschaftspolitik trug die jahrzehntelang verfolgte Förderung der Schwerindustrie528 zwar zu einer Nivelisierung des erreichten Wohlstandes und zum Abbau der Disparitäten unter den Regionen bei, hinterliess aber beträchtliche Umweltschäden, welche die spätere Entwicklung des Tourismus beeinträchtigten, wenn nicht sogar verunmöglichten. 523 524 525 526 527 528 Vgl. Kap. 3.4.2 und 4.2. Vgl. Kap. 8.5. Vgl. Kap. 9.2. Vgl. Kap. 6.2.3. Vgl. Kap. 5.3. Vgl. Kap. 5.7. 158 8.3 Träger der Tourismuspolitik In den Zentralplanwirtschaften war im Unterschied zu den marktwirtschaftlich orientierten Ländern, wo eine Vielzahl von gemischten und privaten Organisationen auf die Tourismuspolitik Einfluss nimmt, die Tätigkeit anderer als staatlicher Akteure stark eingeschränkt. Die kommunistische Führung fürchtete dadurch die Unterminierung ihrer Macht.529 Nachdem in der Tschechoslowakei die touristischen Einrichtungen im Jahr 1948 verstaatlicht wurden und der Fremdenverkehr in die Zentralplanung eingegliedert wurde, waren in der Branche nur noch staatliche Institutionen tätig. a) Ministerium für Innenhandel und ihm untergeordnete Organe Die Lenkung der Tourismusbranche fiel Ende der 40er Jahre in die Obhut des Ministeriums für Innenhandel. Zu seinen Aufgaben gehörten unter anderem die Gesetzesvorbereitung und die Festlegung der Preise für die touristischen Dienstleistungen. 1948 wurde das Institut für Tourismus gegründet, welches dem Ministerium wichtige Entscheidungsgrundlagen lieferte. Die Untersuchungen befassten sich vor allem mit Motiven der Teilnahme am Tourismus und mit der Tourismusentwicklung in den Kurorten. Im Jahr 1958 bildete die Regierung den Koordinationsausschuss für Fragen des Tourismus. Es handelte sich um ein ressortübergreifendes Organ, dessen Aufgabe es war, eine zweckmässige Organisation der Branche aufzubauen und die Tätigkeiten verschiedener Ministerien und anderer staatlicher Organe zu koordinieren. Die Ressortkommissionen arbeiteten mit dem Ausschuss eng zusammen. Auf lokaler Ebene wurden in einzelnen Kreisen Kommissionen für Tourismusentwicklung gegründet. Der Koordinationsausschuss sowie die Kommissionen hatten aber nur einen beratenden Charakter und keine Entscheidungskompetenzen, was sie in ihrer Tätigkeit hemmte.530 b) Regierungsausschuss für Tourismus Zu einer entscheidenden Veränderung in der Organisationsstruktur kam es im Jahr 1963, als der Regierungsausschuss für Tourismus als leitendes Organ für die Tourismusbranche gegründet wurde. Der Regierungsauschuss wurde im Unterschied zu seinem Vorgänger mit weit reichenden Kompetenzen ausgestattet. Er wurde z.B. zur legislativen Tätigkeit berechtigt und durfte allen Ministerien verbindliche Weisungen, die den Tourismus betrafen, erteilen. Auf Bezirksebene setzten Kommissionen für Tourismusentwicklung ihre Tätigkeit fort, indem sie vor allem die von den übergeordneten Organen delegierten Aufgaben erfüllten und für den Ausbau der touristischen Supra- und Infrastruktur und Koordination der Aktivitäten auf ihrem Gebiet sorgten.531 c) Handelsministerien und Regierungsausschüsse für Tourismus Als Folge der neuen föderativen Landesordnung von 1968532 wurde die Tätigkeit des Regierungsausschusses eingestellt. Mit der Leitung der Branche und der Ausarbeitung der langfristigen Konzepte der Tourismusentwicklung wurden neu die Handelsministerien der beiden Republiken betraut. Da die Handelsministerien aber nicht allein die ganze Koordination auf dem Gebiet des Fremdenverkehrs sicherstellen konnten, wurden Anfang der 70er Jahre die 529 530 531 532 Vgl. Kap. 4.6. Vgl. Petrů/Holubová (1994), S. 45; Baxa (1985), S. 227. Vgl. Němčanský (1999a), S. 351; Poláček/Gúčik/Bušniaková (1990), S. 38. Vgl. Kap. 5.5. 159 nationalen Regierungsausschüsse für Tourismus gegründet. Der tschechische Ausschuss beriet und beurteilte touristische Konzepte, genehmigte die Verwendung der Mittel vom Tourismusfonds und äusserte sich zur geplanten Werbung im Ausland. Die vier ihm unterstellten Ausschüsse befassten sich mit spezifischen Fragen: Der erste Unterausschuss hatte die Aufgabe, die Reiseführer ideologisch zu „aktiven Propagandisten der sozialistischen Tschechoslowakei“ zu erziehen. Ähnlich lautete der Auftrag des zweiten Ausschusses, der die Werbemassnahmen auf ihre ideologische Verträglichkeit überprüfte. Die beiden anderen Ausschüsse waren für die Seilbahnen, Skilifte und Campingplätze zuständig.533 d) Ministerium für Aussenhandel Für die Leitung des grenzüberschreitenden Tourismus war der föderale Regierungsausschuss für den internationalen Tourismus verantwortlich. Er setzte seine Tätigkeit bis zum Jahr 1982 fort, als seine Aufgaben vollumfänglich dem Ministerium für Aussenhandel übertragen wurden. Dieses war vor allem für die Ausarbeitung des Konzeptes für die Entwicklung des internationalen Tourismus, den Abschluss von Vereinbarungen und Verträgen mit anderen Ländern, die Werbung im Ausland, die Erteilung von Bewilligungen für grenzüberschreitende Geschäftstätigkeit und für die Devisenplanung verantwortlich.534 Föderale Regierung Föderales Ministerium für Aussenhandel Regierungen der beiden Republiken Regierungsausschüsse für Tourismus der beiden Republiken Handelsministerium der beiden Republiken Bezirks- und Kreisausschüsse Komission für Tourismus des Beziksausschusses Sektion für Tourismus und Handel Arbeitskommissionen Abbildung 18: Träger der Tourismuspolitik535 533 534 535 Vgl. Čech (1985), S. 22 ff. Vgl. Poláček/Gúčik/Bušniaková (1990), S. 38. In Anlehnung an Baxa (1985), S. 231. 160 Die zuletzt geschilderte Organisationsgestaltung sowie die Kompetenzen der genannten Organe wurden bis zum Systemwechsel beibehalten (vgl. Abbildung 18). Die Konzentration der tourismuspolitischen Kompetenzen auf der nationalen Ebene und nur eine beschränkte Delegation von Aufgaben auf die untergeordneten Bezirks- und Kreisausschüsse waren für die zentralplanwirtschaftlich organisierten Länder typisch, da diese Aufteilung die staatliche Planung massgeblich vereinfachte. In den marktwirtschaftlich orientierten Ländern werden dagegen die Kompetenzen auf verschiedene staatliche, private und gemischte Institutionen auf mehreren Ebenen verteilt. In Tschechien wurde im Jahr 2000 ebenfalls ein Weg zur dezentralisierten Tourismuspolitik eingeschlagen.536 8.4 Ziele der Tourismuspolitik Wie bereits im Kapitel 4.2 festgehalten wurde, sind die Ziele der Tourismuspolitik politische Entscheide, die sich an den Wertvorstellungen der jeweiligen Gesellschaft und/oder des herrschenden Regimes orientieren. Aus diesem Grund besteht kein allgemein akzeptierter Zielkatalog, da sich die Tourismuspolitik von Staat zu Staat unterscheidet. Viele Ähnlichkeiten in der Zielsetzung findet man jedoch in den Ländern mit dem identischen Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, die sich auf der gleichen Entwicklungsstufe befinden. In der Tschechoslowakei wurden bei den Zielsetzungen die Prioritäten anders gesetzt als in den marktwirtschaftlich orientierten Ländern – im Vordergrund standen nicht ökonomische, sondern ideologische und soziale Zielsetzungen. Ausserdem unterschied sich die inhaltliche Ausgestaltung der Ziele von jener der westlichen Länder (vgl. Abbildung 19). Ökologische Ziele Ökonomische Ziele Soziale Ziele Ideologische Ziele Abbildung 19: Ziele der zentralplanwirtschaftlich orientierten Tourismuspolitik537 • 536 537 538 Am wichtigsten war die ideologische Zielsetzung. Es wurde betont, dass der Tourismus „Propagandist und Realisator sozialistischer Innen- und Aussenpolitik (vor allem der Friedenspolitik) sowie der sozialistischen Lebensweise des Volkes gegenüber den eigenen Bürgern und den ausländischen Gästen“538 sein muss. Im Vordergrund stand Vgl. Kap. 5.3 und 9.5.6. Eigene Darstellung. Godau (1989), S. 20. 161 die Abschirmung der Bevölkerung vor Einflüssen vom Westen, da die kommunistische Führung dadurch die Unterminierung ihrer Macht fürchtete.539 • Den sozialen Zielsetzungen, deren Zweck es war, allen Bürgern die Teilnahme am Tourismus zu ermöglichen, wurde ebenfalls viel Aufmerksamkeit geschenkt. Das Recht auf Erholung, welche die allseitige geistig-kulturelle und körperliche Entwicklung unterstützen sollte, war sogar in der Verfassung verankert. Einen massgeblichen Beitrag zur Erreichung dieser Zielsetzung leistete die staatliche Subventionierung des gebundenen Inlandstourismus.540 • Die wirtschaftliche Aufgabe des Tourismus wurde an erster Stelle in seinem Beitrag zur Reproduktion der Arbeitskraft gesehen. Sonst wurde dem Fremdenverkehr als einem unproduktiven Sektor keine grosse Bedeutung für die Entwicklung der Volkswirtschaft beigemessen.541 Die Erwirtschaftung von Devisen spielte nur eine Rolle im Verkehr mit den westlichen Ländern. Im Tourismusaustausch mit den sozialistischen Ländern wurden vorwiegend nicht ökonomische Ziele verfolgt. • Die ökologischen Anliegen wurden bei der Konzipierung der Ziele der Tourismuspolitik häufig ausser Acht gelassen. Die ökologischen Ziele bestanden, wenn überhaupt, meistens nur auf dem Papier, während sie in der Realität kaum verfolgt wurden. Die negativen Auswirkungen der touristischen Aktivitäten auf die Umwelt wurden nicht beachtet und das Ausmass der tatsächlichen Verschmutzung wurde vor der Bevölkerung vertuscht. Zu massgebenden Umgestaltungen in der Hierarchie der Zielsetzungen und in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung kam es erst nach dem Systemwandel, als insbesondere die wirtschaftlichen Effekte des Tourismus in den Vordergrund rückten.542 8.5 Instrumente der Tourismuspolitik Zur Steuerung der Tourismusentwicklung standen den staatlichen Organen in der Tschechoslowakei verschiedene Instrumente zur Verfügung. Diese waren so einzusetzen, dass die Ziele des übergeordneten Planes erreicht werden konnten. Die wichtigsten Mittel, die zur Beeinflussung der touristischen Nachfrage und des Angebotes dienten, waren folgende: • 539 540 541 542 543 Festlegung der Preise: Der Staat bestimmte alle Preise für die touristischen Dienstleistungen, womit er die Nachfrage in die gewünschte Richtung steuerte. Für die wenigen Aufenthalte in den westlichen Ländern, welche die Reisebüros anboten, wurden die Preise absichtlich so hoch gesetzt, dass die Nachfrage nach ihnen automatisch sehr klein war. Für die inländischen Aufenthalte in nicht kommerziellen Einrichtungen wurden dagegen die Preise so niedrig gesetzt, dass sie eine grosse Nachfrage garantierten.543 Vgl. Kap. 7.2.1. Vgl. Kap. 7.2. Vgl. Kap. 7.5. Vgl. Kap. 9.4. Vgl. Kap. 2.2 und 7.2. 162 544 • Bestimmung des Wechselkurses: Aufgrund der fehlenden Konvertibilität der tschechischen Krone legte der Staat den touristischen Kurs für den Umtausch von Fremdwährungen fest und beeinflusste somit den grenzüberschreitenden Fremdenverkehr. Durch einen ungünstigen Kurs für die westlichen Währungen und durch die Bestimmung des minimalen Devisenbetrages, der pro Aufenthaltstag umgetauscht werden musste, wurde das Interesse der westlichen Bürger am Besuch des Landes gedämpft. • Pass- und Visumspflicht: Den grenzüberschreitenden Tourismus beeinflusste der Staat vor allem mit einem Komplex von Ein- und Ausreisebestimmungen. Besonders überwacht wurde der Verkehr mit westlichen Ländern, wo sehr strenge administrative Hürden zu überwinden waren, um eine Ausreisebewilligung zu bekommen.544 • Subventionierung des gebundenen Tourismus: Eines der Ziele der Tourismuspolitik war es, allen sozialen Schichten die Teilnahme am Tourismus zu ermöglichen. Einen Beitrag zur Erfüllung dieser Zielsetzung leistete die staatliche Subventionierung des gebundenen Tourismus, die als Instrument zur Förderung der Nachfrage nach inländischen Aufenthalten eingesetzt wurde. • Ausbau der touristischen Infra- und Suprastruktur: Der Staat als Eigentümer jeglicher touristischer Einrichtungen entschied über die Zuteilung und den Einsatz finanzieller Mittel zu ihrem Ausbau und Modernisierung. Mit der Gewährung von Subventionen aus dem Tourismusfonds lenkte er die Entwicklung in die gewünschte Richtung. Bei der Erweiterung der Verkehrswege wurde beispielsweise streng darauf geachtet, dass die neu gebauten Hauptstrassen nicht zu den westlichen Nachbarn führten. • Festlegung der Arbeits- und Freizeit: Um die Planung und Koordination der touristischen Aktivitäten zu vereinfachen und die Freizeitgestaltung der Bürger besser kontrollieren zu können, führte der Staat in den meisten Unternehmen Betriebsferien ein. Dies bedeutete, dass die Arbeitnehmer ihre Ferienzeit nicht mehr selbst bestimmen durften. • Unvollkommene oder vertuschte Informationen: Mit Informationskampagnen wurde versucht, das sozialistische Bewusstsein der Bürger zu stärken. Die Teilnahme an inländischen Reisen wurde unterstützt und im grenzüberschreitenden Fremdenverkehr wurde der Austausch mit anderen sozialistischen Ländern gefördert. Über die Ausreisemöglichkeiten in kapitalistische Länder wurde entweder gar nicht informiert oder die Informationen dermassen stark verfälscht, dass der Eindruck entstand, es handle sich um risikoreiche und gefährliche Reisen, von denen ganz allgemein abzuraten sei. • Forschungsförderung: Bereits im Jahr 1948 wurde in Prag das Institut für Tourismus gegründet, das sich mit den Fragen des Fremdenverkehrs beschäftigte und dem jeweils zuständigen Ministerium Entscheidungsgrundlagen lieferte. Vgl. Kap. 7.2.1. 163 • Politisches Engagement als Berufsvoraussetzung: An die leitenden Angestellten der Branche und an die Reiseführer, die in Kontakt mit ausländischen Besuchern kamen, wurden spezielle politische Anforderungen gestellt. Eine der wichtigsten Voraussetzungen war die Zugehörigkeit zur Kommunistischen Partei oder mindestens Sympathisierung mit ihrer Ideologie. Spezielle Kenntnisse der Tourismusproblematik wurden nur selten verlangt – viel wichtiger waren die Kenntnisse der marxistischen Ideologie. Zu den Aufgaben des Reiseführers gehörte unter anderem, die ausländischen Gäste von der Überlegenheit und den Vorteilen des sozialistischen Systems zu überzeugen. Die dargestellten Instrumente kamen oft in sehr unterschiedlicher Weise zum Einsatz. Ihre Anwendung war vor allem durch die allgemeine politische und wirtschaftliche Lage des Landes bestimmt. Nach Beendigung des Prager Frühlings wurde beispielsweise von den Instrumenten der Pass- und Visumspolitik Gebrauch gemacht, um die Ein- und Ausreisebestimmungen zu verschärfen. Als es 1980 in Polen zu Arbeiterunruhen kam, wurde die Zahl von Ausreisen zum nordöstlichen Nachbarn ebenfalls beschränkt, da die kommunistische Führung die Verbreitung ähnlicher Tendenzen im eigenen Land befürchtete. In den 80er Jahren versuchte man, mittels der Einführung eines Zwangsdevisenumtausches für die westlichen Währungen die Deviseneinnahmen zu verbessern. Es handelte sich überwiegend um Massnahmen mit Zwangscharakter, die den Beteiligten nur eine kleine Entscheidungsfreiheit überliessen. Wie bereits bei der Festlegung der tourismuspolitischen Zielsetzungen wird auch anhand der Auswahl der Instrumente ersichtlich, dass in den Zentralplanwirtschaften die Rolle des Staates viel stärker ausgeprägt war als in marktwirtschaftlich organisierten Systemen, wo die meisten Massnahmen nur empfehlenden Charakter haben. 8.6 Fazit Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde in der Tschechoslowakei eine tourismusfreundliche Politik betrieben und vor allem die Entwicklung des Kur- und Badewesens gefördert. Nach der Machtübernahme durch die Kommunisten Ende der 40er Jahre veränderte sich aber vieles. Es wurde eine Reorganisation der ganzen Branche nach dem sowjetischen Muster in Angriff genommen, was vor allem bedeutete, dass die touristische Infra- und Suprastruktur verstaatlicht wurde und der Fremdenverkehr in die zentrale Wirtschaftsplanung einbezogen wurde. Die Tourismuspolitik wurde als eine allgemeine Planungsaufgabe verstanden. Die Freizeit war im Prinzip keine Privatsache, sondern ein Bestandteil des kontrollierten öffentlichen Lebens. Die Basis der Tourismuspolitik bildeten die Beschlüsse des Kommunistischen Parteikongresses und alle wichtigen Entscheidungen wurden zentral gefällt. Am Ende der Planungshierarchie standen die operativen Jahrespläne, in welchen die von den Unternehmen zu erfüllenden Kennziffern vorgegeben wurden. Das grösste Problem dieses Systems bestand in der Tatsache, dass sich die ganze Planung nicht nach der bestehenden touristischen Nachfrage und den Bedürfnissen der Tourismusteilnehmer richtete, sondern nach den Vorstellungen der Kommunistischen Partei. Dies führte zu ineffizienten Ergebnissen, die aber nicht negativ, sondern als Teil eines Systems, in welchem die ideologischen Zielsetzungen den ökonomischen überlegen waren, interpretiert wurden. 164 Die Verfolgung der ideologischen Ziele hatte in der Tourismuspolitik eine dominante Stellung. Sie diente der Abschirmung der einheimischen Bevölkerung vor Einflüssen aus dem Westen, durch welche die kommunistische Führung die Unterminierung ihrer Macht fürchtete. Aus diesem Grund wurde der grenzüberschreitende Tourismus mit den westlichen Ländern vor allem mittels administrativ-rechtlicher Instrumente eingeschränkt. Gefördert wurde der gebundene Inlandstourismus, welchen man stark subventionierte und dadurch allen Sozialschichten die Teilnahme an ihm ermöglichte. Die wirtschaftlichen Ziele spielten nur im Verkehr mit kapitalistischen Ländern eine Rolle. Im Tourismusaustausch mit den sozialistischen Ländern wurden vorwiegend nicht ökonomische Ziele verfolgt. Den ökologischen Anliegen wurde nur sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die Leitung der Tourismusbranche lag im Laufe der Zeit in der Kompetenz von verschiedenen Organen. Die Einflussnahme anderer als staatlicher Akteure war nicht zugelassen, da dies der marxistischen Philosophie nicht entsprach. Ende der 80er Jahre waren mit der Leitung des Fremdenverkehrs die Handelsministerien der beiden Republiken betraut und für den internationalen Tourismus war der föderale Regierungsausschuss verantwortlich. Vereinzelte Aufgaben wurden an die untergeordneten Bezirks- und Kreisausschüsse delegiert. Zur Steuerung der Tourismusentwicklung standen dem Staat verschiedene Instrumente zur Verfügung, die so einzusetzen waren, dass die volkswirtschaftlichen Ziele erreicht werden konnten. Der Einfluss anderer Politikbereiche auf die Tourismusbranche und auch umgekehrt die Auswirkung der touristischen Aktivitäten auf ihr Umfeld wurde bis auf wenige Ausnahmen nur wenig berücksichtigt. Es wird ersichtlich, dass in einer Zentralplanwirtschaft die Rolle des Staates viel stärker ausgeprägt ist als in marktwirtschaftlich orientierten Systemen. In der Tschechoslowakei betrieb man eine äusserst aktive Strukturpolitik und der Verlauf der Tourismusentwicklung war von den staatlichen Stellen vollständig geplant. Eine Kompetenzzuteilung an andere Institutionen kam nicht in Betracht und die eingesetzten Instrumente hatten überwiegend Zwangscharakter. In den Industrieländern besitzen dagegen die meisten Massnahmen nur empfehlenden Charakter und den touristischen Akteuren wird eine relativ grosse Entscheidungsfreiheit überlassen. Die zentrale Planung wurde durch die Konzentration der Kompetenzen auf nationaler Ebene und die Existenz von grossen Unternehmen, deren Eigentümer ausschliesslich der Staat war, wesentlich vereinfacht. Die dezentrale Verteilung von Kompetenzen auf verschiedene Träger und das Bestehen von tausenden KMU, wie dies in der Tourismusbranche der marktwirtschaftlich orientierten Länder üblich ist, hätten den sozialistischen Planer überfördert. Auch die Ziele unterschieden sich in ihrer Ausgestaltung stark von jenen der westlichen Länder, da im Vordergrund nicht die wirtschaftlichen, sondern die ideologischen Überlegungen der Kommunistischen Partei standen. Zu massgebenden Umgestaltungen kam es erst nach der Wende, wie im nächsten Kapitel gezeigt wird. 165 9 Tourismuspolitik nach der Wende 9.1 Überblick „Der Staat kann höchstens das Fussballfeld abstecken, aber spielen müssen die Betriebe selbst. Die Rolle des Staates besteht darin, die Seitenlinien des Fussbalfeldes abzustecken, auf dem die Spieler, also die Unternehmer, gerne spielen und deshalb gute Resultate erzielen können.“ Peter Keller Die politischen Veränderungen von 1989 riefen eine vollumfängliche Neuausrichtung der tschechischen Tourismuspolitik hervor. Eine ganze Reihe von Problemen, mit denen die Branche zu kämpfen hat, zeigt, dass es sich keinesfalls um eine einfache Aufgabe handelt. Die Ausgestaltung der Fremdenverkehrspolitik als eine universelle Planungsaufgabe wurde bereits kurz nach dem Systemwechsel abgelehnt und die Suche nach einer neuen passenden Ausgestaltungsform in die Wege geleitet. Die ideologisch ausgerichteten Ziele, die sich ausschliesslich nach den Beschlüssen der Kommunistischen Partei richteten, waren nach dem Systemwechsel nicht mehr haltbar. In den Vordergrund rutschten die ökonomischen Zielsetzungen, welche auch in den meisten marktwirtschaftlich orientierten Ländern den obersten Rang belegen. Die verfolgten tourismuspolitischen Strategien haben mit denjenigen aus der sozialistischen Ära nur wenige Gemeinsamkeiten und die eingesetzten Instrumente, die den Privaten einen relativ grossen Entscheidungsspielraum überlassen, unterscheiden sich massgeblich von dem vorrevolutionären Instrumentarium. Zu Veränderungen kam es auch bei den Trägern der Tourismuspolitik. Die letzten Jahre wurden durch einen mehrfachen Wechsel von Ministerien gekennzeichnet, unter deren Obhut der Fremdenverkehr stand, und es erschienen viele private Institutionen, die vermehrt versuchen, auf die Tourismuspolitik Einfluss zu nehmen. Gewisse weitere Anpassungen in der Tourismuspolitik werden im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt nötig. In den folgenden Kapiteln wird zuerst auf die Veränderungen in der Ausgestaltung der Tourismuspolitik während der Transformation eingegangen. Darauf folgend werden die wichtigsten staatlichen, privaten sowie gemischten Träger der Fremdenverkehrspolitik aufgezählt und ihr Aufgabenfeld skizziert. Es wird der Wandel in der touristischen Zielsetzung während der Transformation diskutiert und die Ziele der gegenwärtigen Tourismuspolitik näher beschrieben. Detailliert analysiert werden die tourismuspolitischen Strategien, die der Erreichung der festgelegten Ziele dienen sollen. Zuletzt wird auf die laufenden Vorbereitungen der Tourismuswirtschaft hinsichtlich des EU-Beitritts und auf die Auswirkungen der EU-Erweiterung auf die Tourismusbranche eingegangen. 9.2 Ausgestaltung der Tourismuspolitik Wie bereits aus dem Kapitel 4.5 hervorgeht, können die Aufgaben der Tourismuspolitik unterschiedlich ausgestaltet werden. Ihre Ausgestaltung ist in erster Linie von der herrschenden Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung jedes einzelnen Landes abhängig. 166 9.2.1 Tourismuspolitik in der Zentralplan- und Marktwirtschaft In den meisten zentralplanwirtschaftlich orientierten Ländern, wie auch in der Tschechoslowakei, wurde eine äusserst aktive Tourismuspolitik betrieben, die in die zentrale Staatsplanung eingegliedert wurde. Ihre Basis bildeten die Beschlüsse des Kommunistischen Parteikongresses und die Aufgabe der Tourismusverantwortlichen bestand vor allem in der Durchsetzung der ideologischen Interessen der Kommunistischen Partei. Die Rolle des Staates war viel stärker ausgeprägt als in den marktwirtschaftlich orientierten Ländern, da Freizeit und Reisen im Prinzip keine Privatsache, sondern Bestandteil des kontrollierten öffentlichen Lebens waren. Der Verlauf der Tourismusentwicklung wurde vom Staat, dem die touristische Infra- und Suprastruktur gehörte, vollständig geplant. Das unflexible System, das auf die bestehenden Bedürfnisse der Tourismusteilnehmer kaum reagierte, führte zu ineffizienten Resultaten, die aber als Teil einer Ordnung, wo die ideologischen Zielsetzungen den ökonomischen überlegen waren, interpretiert wurden. In den Marktwirtschaften werden im Unterschied zu den planwirtschaftlichen Systemen rein strukturpolitische Eingriffe zunehmend abgelehnt, da eine Strukturverzehrung befürchtet wird. Aus dem Kapitel 4.5 ergibt sich, dass die staatlichen Organe nur im Falle einer Marktablehnung oder eines Marktversagens eingreifen sollen. Neulich wird ihr Einsatz auch bei der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit von Standorten verlangt. Der Tourismuspolitik wird meistens ein Konzept zugrunde gelegt. Man geht davon aus, dass sie eher einen ordnungspolitischen Charakter haben soll und sich an der Schaffung von gut funktionierenden Rahmenbedingungen zu orientieren hat und die restlichen Aufgaben den Privaten überlassen soll. Dass der Übergang von der Zentralplan- zur Marktwirtschaft keine einfache Aufgabe ist, beweist unter anderem der Fakt, dass die Transformationsvorhaben nach zwölf Jahren noch in keinem Land beendet sind. Die Transformation ist durch viele wirtschaftliche sowie politische Höhen und Tiefen gekennzeichnet und gleicht somit einem Experiment, dessen Ausgang ungewiss ist.545 Dies gilt auch für die Tourismusbranche, die nach der Wende plötzlich mit vorher nie dagewesenen Tatsachen und Problemen konfrontiert wurde. Die Veränderungen riefen eine vollumfängliche Neuausrichtung der Tourismuspolitik hervor. Dazu Jandala: „The role of the state in a market economy remains important, although very different from that in a command economy. Instead of directing output and resources, the role of the state is to set, supervise and enforce ‘the rules of the game’.”546 Die Umstrukturierungen der Tourismuswirtschaft sind aber, wie die Transformation selbst, noch nicht abgeschlossen. 9.2.2 Tourismuspolitik in der Übergangsphase In der Tschechoslowakei wurde nach der Wende die Ausgestaltung der Tourismuspolitik als eine universelle Planungsaufgabe abgelehnt und die Suche nach einer anderen geeigneten Ausgestaltungsform in die Wege geleitet. Dies erwies sich in einem Transformationsland, dessen Wirtschaft vierzig Jahre auf die Schwerindustrie ausgerichtet war und dem Fremdenverkehr keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde, als eine schwierige Aufgabe. Da die Tourismusbranche in der ersten Hälfte der 90er Jahre zu den wenigen Wirtschaftszweigen gehörte, die nicht in eine tiefe Rezession geraten waren, sondern sogar ein grosses Wachstum 545 546 Vgl. Kap. 2.5 und 5.7.4. Jandala (1996), S. 328. 167 verzeichneten,547 kümmerten sich die staatlichen Organe kaum um sie. Nach der Festlegung der grundlegenden Rahmenbedingungen richteten die Politiker ihre Aufmerksamkeit ausschliesslich auf die stagnierenden Wirtschaftsbereiche und betrachteten das touristische Aufkommen als etwas Selbstverständliches. Diese Einstellung führte dazu, dass in den ersten acht Jahren nach dem Systemwechsel eine pragmatische Tourismuspolitik betrieben wurde. Die Rahmenbedingungen für eine privatwirtschaftliche Ausgestaltung der Tourismusbranche wurden im Jahr 1990 erlassen. Es wurde die Privatisierung der staatlichen Einrichtungen in Angriff genommen und innerhalb von kurzer Zeit entstanden tausende KMU. Die Subventionierung des gebundenen Inlandstourismus wurde abgebaut und auf dem Tourismusmarkt eine freie Preisbildung eingeführt. Zur Aufnahme der Geschäftsbeziehungen mit dem Ausland benötigte man nur eine formelle Bewilligung des damaligen Aussenministeriums. Mit Inkrafttreten des Devisengesetzes wurde die innere Konvertibilität der tschechischen Krone eingeführt und ein nomineller Wechselkurs fixiert, was viele Transaktionen mit dem Ausland vereinfachte.548 Nachdem die nötigsten Voraussetzungen für eine private Unternehmenstätigkeit geschaffen wurden, erfolgten die staatlichen Eingriffe nur fallweise, und zwar erst nachdem sich gewisse Probleme zugespitzt hatten oder wenn es zu schwerwiegenden, sichtbaren Fehlentwicklungen gekommen war. Von einer regen Strukturpolitik, welche für die ganze sozialistische Periode charakteristisch war, wurde abgesehen. Bei den eingeleiteten Massnahmen handelte sich meistens um Entscheidungen, die sich an kurzfristigen Zielen orientierten und somit keinen echten Beitrag für die zukünftige Entwicklung des Fremdenverkehrs leisten konnten. Die pragmatische Ausgestaltung der Tourismuspolitik war unter anderem der Tatsache zuzuschreiben, dass man sich nach der jahrelangen staatlichen Planung keinen starken Einfluss des Staates wünschte, seine Interventionen negativ auffasste und sie auf ein Minimum reduzieren wollte. Die Regierung befasste sich bis zum Jahr 1996 nur zweimal mit der Tourismusbranche – im Jahr 1990 ging es um die Privatisierung von touristischen Einrichtungen und drei Jahre später um die Gründung der Tourismuszentrale. Bis 2000 bestand keine rechtliche Grundlage, die ausschliesslich den Tourismus zum Gegenstand hatte und zumindest den Konsumentenschutz regelte. Bis zum Jahr 1996 machten sich die fehlende langfristige Zielsetzung sowie die Konzeptionslosigkeit der Fremdenverkehrspolitik auf die Tourismusentwicklung nicht stark bemerkbar. Wie bereits aus dem Kapitel 7.5 hervorgeht, leistete die Branche einen bedeutenden Beitrag zum Wachstum der Wirtschaft und zur Verbesserung der Beschäftigungslage. Erst nachdem sie im Jahr 1997 selber in eine Stagnation geraten war,549 wurden die Stimmen, die ein konzeptionelles Vorgehen und mehrere staatliche Interventionen verlangten, immer lauter. Man erkannte allmählich die Vorteile einer konzeptionellen Tourismuspolitik, die im Gegensatz zur pragmatischen Politik von einer bestimmten Konzeption mit mehr oder weniger zwingendem Charakter getragen wird und in den marktwirtschaftlich orientierten Ländern zumeist praktiziert wird. Auf höchster Ebene wurden mehrere organisatorische Veränderungen durchgeführt und das Ministerium für Regionalentwicklung zur obersten Verwaltungsbehörde auf 547 548 549 Vgl. Kap. 7.3.1. Vgl. Kap. 5.7.4. Vgl. Kap. 7.3.2. 168 dem Gebiet des Tourismus ernannt.550 Die Regierung beschäftigte sich in ihren Sitzungen vermehrt mit der Branche. Die Verhandlungen betrafen vor allem die staatliche Förderung des touristischen Aufkommens und die Verbesserung des Konsumentenschutzes. Trotz diesen Fortschritten kam es in der Tourismuswirtschaft aber nicht zu grundsätzlichen Veränderungen – der tschechische Staat hatte in dieser Zeit mit einer tiefen wirtschaftlichen und politischen Krise zu kämpfen551 und der Tourismus stand nicht zuoberst auf seiner Agenda. Erst im August 1998 erklärte sich die neue sozialdemokratische Regierung in ihrem Programm bereit, einen gesetzlichen Rahmen und die notwendigen Instrumente für die Verfolgung einer konzeptionell ausgestalteten Tourismuspolitik zu schaffen. Sie verpflichtete sich zur Ausarbeitung des Konzeptes der staatlichen Tourismuspolitik und zur Integration der touristischen Vorhaben in den Nationalen Entwicklungsplan (RDP) als ein Operatives Sektorprogramm.552 Ihre ersten Versionen wurden bereits im Jahr 1999 präsentiert. Das steigende Interesse an einer konzeptionellen Tourismuspolitik widerspiegelte sich auch in der Eingliederung der Tourismuswirtschaft in die Strategie der Regionalentwicklung, die ein Jahr später vorgelegt wurde.553 2000 trat das Tourismusgesetz, das einen besseren Konsumentenschutz garantiert, in Kraft und 2002 wurde der Vorentwurf des Gesetzes über die Unterstützung des Tourismus vorgestellt, das die Grundzüge der staatlichen Tourismuspolitik gesetzlich verankern soll. Mit diesen Massnahmen wurde der lange angestrebte Übergang von einer pragmatischen zu einer konzeptionellen Fremdenverkehrspolitik in die Wege geleitet. Die geschilderten Veränderungen in der Ausgestaltung der tschechischen Tourismuspolitik während der Transformation und ihre mögliche Ausgestaltung in Zukunft als ein Teil des Destinationsmanagements nach dem Beispiel der westlichen Länder554 verdeutlicht die Abbildung 20. Universelle Planungsaufgabe Pragmatische Tourismuspolitik Konzeptionelle Tourismuspolitik Destinationsmanagement 1948-1990 1990-1998 1998-? ? Abbildung 20: Ausgestaltung der Tourismuspolitik in der Transformationsphase555 9.3 Träger der Tourismuspolitik Wie bereits aus dem Kapitel 4.6 hervorgeht, führen die verschiedenen Interessen am Fremdenverkehr in marktwirtschaftlich orientierten Ländern zu einer Vielzahl von staatlichen, gemischten und privaten Akteuren, die auf das touristische Geschehen Einfluss nehmen wollen. Ebenso wie bei der Wirtschafts- sind auch bei der Tourismuspolitik auf staatlicher Ebene 550 551 552 553 554 555 Vgl. Kap. 9.3.1. Vgl. Kap. 5.7.4.4. Vgl. Regierung der Tschechischen Republik (1998), S. 11. Vgl. Kap. 9.4.2. Vgl. Kap. 4.5.5 und 10.4.1. Eigene Darstellung. 169 Verwaltung, Regierung und Parlament die wesentlichen Entscheidungsträger, welche die tourismuspolitischen Aufgaben in den Bereichen Legislative und Exekutive erfüllen. In der Tschechoslowakei lagen vor dem Systemwechsel die Zielsetzung und die Ausgestaltung der Tourismuspolitik voll in den Händen der zentralen staatlichen Organe.556 Die privaten und gemischten Verbände entstanden erst nach der Wende, nachdem die private Unternehmenstätigkeit in der Branche wieder ermöglicht wurde. Nach der neuen regionalen Aufteilung des Landes im Jahr 2000 sind die tourismuspolitischen Kompetenzen, ähnlich wie in den anderen europäischen Ländern, dezentralisiert auf mehrere Ebenen verteilt.557 Nachstehend werden die bedeutendsten, zumeist gesamtstaatlichen Träger der Fremdenverkehrspolitik genannt und ihre Absichten, Forderungen und ihr Stellenwert erläutert. 9.3.1 Öffentlich-rechtliche Träger Nach dem Systemwechsel waren bei den staatlichen Trägern der Tourismuspolitik gewisse Umgestaltungen unabdingbar. Dass dieser Prozess nicht immer reibungslos verlief, zeigt beispielsweise der wiederholte Wechsel der Ministerien, in deren Zuständigkeitsbereich der Tourismus jeweils fiel, die ständigen Umstrukturierungen der Tourismuszentrale oder der bereits im Kapitel 5.3 geschilderte, mit vielen Schwierigkeiten behaftete Übergang tourismuspolitischer Kompetenzen von den Kreisbehörden auf die Bezirksbehörden. a) Handelsministerien und Ministerium für Aussenhandel Bis zur Trennung der Tschechoslowakei beschäftigten sich mit dem Tourismus die Handelsministerien der beiden Republiken, unter deren Obhut die Branche seit 1968 stand. Nach der Wende wurden beide Ministerien mit neuen Aufgaben betraut. Im Jahr 1990 wurden sie beispielsweise für die Privatisierung der touristischen Einrichtungen und für die Durchsetzung der marktwirtschaftlichen Prinzipien im Tourismussektor zuständig. Bis Inkrafttreten des Gewerbegesetzes erteilten sie Bewilligungen zum Betrieb von Reisebüros und bestimmten die Voraussetzungen für die Tätigkeit der Reiseführer. Mit der Leitung des grenzüberschreitenden Tourismus war das föderale Ministerium für Aussenhandel beauftragt. Sein Aufgabenbereich unterschied sich nicht gross von demjenigen vor der Wende. Es war für die Erteilung der Bewilligungen zur auswärtigen Tätigkeit von Reisebüros, für die Errichtung von Vertretungen im In- und Ausland und für die Bestimmung von Ein- und Ausfuhrvorschriften verantwortlich. In Zusammenarbeit mit dem Ministerium für auswärtige Angelegenheiten war es am Abschluss internationaler Verträge beteiligt und für die Mitgliedschaft in internationalen Tourismusorganisationen zuständig.558 b) Wirtschaftsministerium Mit der Spaltung des Landes zur Jahreswende 1992/93 kam es auch in der Organisation und Leitung des Tourismuswesens zu Veränderungen. Das Handelsministerium wurde aufgelöst und seine Aufgaben im Tourismusbereich wurden vom Wirtschaftsministerium übernommen. Die Abteilung für Tourismus war u.a. mit der Ausarbeitung der Gesetzgebung für die Unternehmenstätigkeit in der Tourismusbranche, mit der Bildung eines neuen Informations- und 556 557 558 Vgl. Kap. 8.3. Vgl. Kap. 5.3 und 9.5.6. Vgl. Kap. 8.3. 170 Reservationssystems, mit der Vorbereitung eines Konzeptes der Tourismusentwicklung und mit der Unterstützung der KMU betraut. Als ein beratendes Organ des Wirtschaftsministers wurde der Tourismusrat gegründet. Er setzte sich aus Vertretern von verschiedenen staatlichen Organen, Unternehmer- und Berufsverbänden, Gemeinden und Ministerien sowie aus Tourismusexperten zusammen. Der Rat beschäftigte sich mit den grundlegenden Fragen der Tourismusentwicklung und arbeitete Verbesserungsvorschläge aus, war aber selbst mit keinen Entscheidungskompetenzen ausgestattet. Im Bereich des grenzüberschreitenden Tourismus arbeitete das Wirtschaftsministerium eng mit dem Aussenhandelsministerium zusammen und war vor allem für die Vertretung Tschechiens in internationalen Organisationen, die Zusammenarbeit mit anderen Ländern, die Verwendung ausländischer Hilfe sowie die Teilnahme an internationalen Konferenzen und Messen zuständig.559 c) Tschechische Tourismuszentrale Zur Sicherstellung der Werbung für den Tourismus im Ausland gründete das Wirtschaftsministerium im April 1993 die Tschechische Tourismuszentrale – eine öffentlich-rechtliche Körperschaft mit Sitz in Prag. Die Zentrale war berechtigt, offizielle Vertretungen im In- und Ausland zu gründen, ausserdem nahm sie an internationalen Ausstellungen teil, arbeitete mit ausländischen Medien zusammen und gab verschiedene Informationsmaterialien heraus. Im Laufe der Zeit wurde ihr Tätigkeitsbereich ausgeweitet, und so begann sich die Tourismuszentrale auch mit Marktforschung, Publikation statistischer Daten, Vermittlung ausländischer Geschäftskontakte, Aufzeigen von Investitionsmöglichkeiten, Unterstützung der Regionalentwicklung, Aufbau eines integrierten Informationssystems und Bildung neuer Tourismusprodukte zu beschäftigen.560 1994 wurde sie Mitglied der Europäischen Kommission für Tourismus (ETC) und 1999 Mitglied der Central European Countries Travel Association (CECTA). Seit dem Jahr 2001 erfüllt sie die Funktion des Vermittlers zwischen der EU und den tschechischen Regionen, indem sie unter anderem die finanzielle Hilfe der EU zur Unterstützung der Tourismusentwicklung sicherstellt.561 In den letzten Jahren wurde die Tourismuszentrale mehrmals organisatorisch umstrukturiert. Seit 2001 bestehen in ihrem Rahmen Abteilungen für Marketing und für Informationssysteme und ein Wirtschafts- sowie ein Personalausschuss. Eine dominante Stellung hat die Marketingabteilung, die vor allem für die Werbung und die Tätigkeit der Vertretungen im Ausland, für die Schaffung von neuen Tourismusprodukten und für die Unterstützung der regionalen Tourismusentwicklung zuständig ist. In der Kompetenz der Abteilung für Informationssysteme liegt der Aufbau eines integrierten touristischen Informationssystems.562 Der Wirtschaftsausschuss ist für die Verwaltung der erhaltenen Mittel sowie für die Aufsicht über die finanzielle Situation der Zentrale verantwortlich und der Personalausschuss ist für den Personalbestand zuständig. Für das Jahr 2002 erhielt die Zentrale einen staatlichen Betrag in der Höhe von 162 Mio. Kronen.563 Obwohl die finanzielle Unterstützung damit im Vergleich zum Jahr 1994 mehr als verdreifacht564 und der Personalbestand von 7 auf 54 Mitarbeiter fast ve559 560 561 562 563 564 Vgl. Wirtschaftsministerium (1994), S. 1 ff.; Jakubíková (1999), S. 246 f. Vgl. Art. 1 f. der Statuten der Tschechischen Tourismuszentrale (1998). Vgl. Rambousková (2001), S. 32; Kap. 9.7.3. Vgl. Kap. 9.5.2. Vgl. Tschechische Tourismuszentrale (2002), S. 7 ff.; http://www.cccr-info.cz/index.php (Stand am 19.3. 2003). Vgl. Tabelle 31. 171 rachtfacht wurde,565 sind diese Zahlen im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern sehr klein.566 d) Ministerium für Regionalentwicklung Ende 1996 wurde das Ministerium für Regionalentwicklung gegründet und zur obersten Verwaltungsbehörde auf dem Gebiet des Tourismus ernannt. Gleichzeitig wurden ihm die Aufgaben des Wirtschaftsministeriums in diesem Bereich übertragen.567 In den aufgelisteten Kompetenzen des Ministeriums befand sich der Tourismus aber an letzter Stelle und in der Organisationsstruktur wurde er in keine Abteilung eingegliedert, sondern als überflüssiger Bereich direkt dem Minister unterstellt. Dies deutete auf den niedrigen Stellenwert hin, der dem Tourismus in dieser Zeit zugeschrieben wurde. Erst im Jahr 2000 wurde das Gewicht der Tourismusbranche in der Exekutive verstärkt, indem für sie eine eigene Abteilung „Tourismus und europäische Integration“ geschaffen wurde (vgl. Abbildung 21). Ministerium für Regionalentwicklung Abteilung für Regionalpolitik Abteilung für Tourismus und europäische Integration Abteilung für Wohnungspolitik, Raumplanung und Bauordnung Abteilung für Wirtschaftspolitik und finanzielle Lenkung Abteilung für Legislative und Kompatibilität mit dem EU-Rechtssystem Abteilung für Kontrolle und Koordination Sekretariat Ausschuss für Konzeption Ausschuss für Realisierung und Entwicklung des Tourismus Ausschuss für Internationale Zusammenarbeit im Tourimus Ausschuss für Integration und Strukturfonds Abbildung 21: Organisatorische Struktur des Ministeriums für Regionalentwicklung568 Innerhalb der Abteilung befassen sich mit dem Fremdenverkehr zurzeit drei Ausschüsse mit etwa 30 Mitarbeitern. Der Ausschuss für Konzeption ist vor allem für die Ausarbeitung der Konzepte der Tourismusentwicklung und Förderungsprogramme, die Vorbereitung der Gesetzgebung sowie für Stellungnahmen zu tourismusrelevanten Erlassen verantwortlich. Im Weiteren unterstützt er die Kooperation unter den touristischen Institutionen und wacht über die Tätigkeit der Tourismuszentrale. Der Ausschuss für Realisierung und Entwicklung befasst sich mit der Einführung der Konzepte, Förderungsprogramme sowie Gesetze in die Praxis und mit der Unterstützung der regionalen Tourismusentwicklung. Der Ausschuss für internationale Zusammenarbeit ist für die Kooperation mit anderen Ländern und für den Abschluss von Verträgen im Tourismusbereich verantwortlich. Er ist auch für das operative Sektorprogramm für den Tourismus zuständig, bietet methodische Hilfe bei den Gesuchen für die Ge- 565 566 567 568 Vgl. Čermáková (2003), e-mail vom 19.3.2003. Vgl. Tabelle 30. Vgl. Art. 14 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 272/1996 Sb. In Anlehnung an http://www.mmr.cz/index.html (Stand am 18.1.2001). 172 währung der EU-Finanzhilfe an und arbeitet an der Angleichung der touristischen Terminologie sowie der Dienstleistungsqualität an die EU-Standards.569 e) Tourismusrat und Kommission für Zusammenarbeit Im Rahmen des Ministeriums für Regionalentwicklung wurde, wie schon bei seinem Vorgänger, ein Tourismusrat gegründet. Unter den 19 Mitgliedern befinden sich Vertreter des Parlamentes, der Agrarkammer, der Tschechischen Tourismuszentrale, der Unternehmer- und Berufsverbände und des Verbandes von Städten und Gemeinden. Der Tourismusrat befasst sich mit aktuellen tourismusrelevanten Fragen und schlägt mögliche Massnahmen vor. Zur Verbesserung der Kooperation unter allen Ministerien, deren Tätigkeit den Fremdenverkehr tangiert, wurde im Januar 2000 eine Kommission für Zusammenarbeit gegründet, in welcher die Vertreter der betroffenen Ministerien tätig waren. Ähnlich wie der Tourismusrat verfügte aber auch die Kommission über keine Kompetenzen und besass nur beratenden Charakter.570 Da sie sich in der Praxis nicht bewährte, wurde sie bereits ein Jahr später aufgelöst und durch bilaterale Zusammenarbeit des Ministeriums für Regionalentwicklung mit dem jeweils zuständigen Ministerium ersetzt.571 f) Parlamentarische Kommissionen und Ausschüsse Mit dem Ziel, das Prestige und das Gewicht der Tourismusbranche zu erhöhen, wurde 1996 durch die parlamentarische Wirtschaftskommission ein zehnköpfiger Unterausschuss für Handel und Tourismus gegründet. Es handelt sich dabei um ein Beratungs- und Konsultationsorgan ohne eigene Kompetenzen, das insbesondere in Fragen der Gesetzgebung mit dem Ministerium für Regionalentwicklung zusammenarbeitet. Auf parlamentarischer Ebene befasst sich mit dem Fremdenverkehr noch der Unterausschuss für Werbung im Ausland, der aber auch über keine eigenen Kompetenzen verfügt.572 g) Staatliche Akteure auf regionaler und lokaler Ebene Auf regionaler Ebene befassten sich mit dem Fremdenverkehr die Ausschüsse der Kreisbehörden, die im Jahr 1990 gegründet wurden. Da ihre Kompetenzen im Tourismus gesetzlich nicht geregelt wurden, hing es meistens von ihrer personellen Besetzung ab, in welchem Mass die touristischen Aktivitäten unterstützt wurden.573 Wie bereits im Kapitel 5.3 festgehalten, waren die Kreisbehörden bis Ende 2002 verpflichtet, ihre verbliebenen Aufgaben auf die Bezirksbehörden zu übertragen. Im Gesetz über die Bezirke wurde festgelegt, dass die Förderung und Steuerung der regionalen Tourismusentwicklung in der Kompetenz der neu entstandenen Bezirke steht. Im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt wurden mit vereinzelten tourismuspolitischen Kompetenzen zusätzlich auch noch die regionalen Räte der NUTS II ausgestattet. Auf der lokalen Ebene wird die Tourismusentwicklung von den Gemeinden gesteuert. Ihre tourismuspolitischen Kompetenzen ergeben sich aus dem Gesetz über die Gemeinden, wo festgehalten wird, dass die Gemeinden für die allgemeine Entwicklung auf ihrem Territorium 569 570 571 572 573 Vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (2001a), S. 19 f.; Kap. 9.7.2. Vgl. Císař in Frindtová (1999), S. 14. Vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (2002), S. 16. Vgl. Hesková (1999), S. 83; Vitáková (2000), S. 34. Vgl. Dohnalová (2000), S. 28. 173 verantwortlich sind574 und somit den Tourismus in ihre Entwicklungspläne eingliedern können. Zurzeit kümmern sich die meisten Gemeinden vor allem um die Markierung von Wander- und Velowegen, unterstützen die Tätigkeit der touristischen Informationszentren und sorgen für die Herstellung von Werbeprospekten. Die Förderung von Investitionen in die touristische Infra- und Suprastruktur, die Unterstützung der überbetrieblichen Kooperationen sowie die Zusammenarbeit mit dem privaten Sektor lassen aber noch zu wünschen übrig.575 9.3.2 Privatrechtliche Träger Die Anzahl der privaten Vereinigungen der tschechischen Tourismusbranche, von welchen die wichtigsten nachstehend aufgeführt werden, ist relativ gross. Die Mitgliederzahlen der einzelnen Verbände sind aber eher gering, da ihnen nicht die Mehrheiten der entsprechenden Gruppen angeschlossen sind. Dies erweckt den Eindruck einer gewissen Zersplitterung, was bei Verhandlungen mit anderen Institutionen eher kontraproduktiv wirkt und auch im Ausland nicht in dem Mass Akzeptanz findet, wie dies bei einer starken Vereinigung der Fall wäre. Wenn die privaten Gruppierungen in Zukunft vermehrt an der Gestaltung der Tourismuspolitik partizipieren wollen, ist ihre Kooperation und Konzentration unabdingbar. Obwohl dies theoretisch bekannt ist und auch durch die ausländischen Erfahrungen bestätigt zu sein scheint, führten die vereinzelten Bemühungen um ein koordiniertes Vorgehen in den letzten Jahren zu keinen sichtbaren Erfolgen. So kam beispielsweise eine Fusion der zwei grössten Assoziationen der Reisebürobranche, der ACK und der AČCKA, nach langen Verhandlungen nicht zustande. a) Assoziation von Reisebüros (ACK) Bei der ACK handelt es sich um eine Vereinigung, die 1991 durch 20 überwiegend grössere Reisebüros gegründet wurde. Im Jahr 2000 gehörten ihr 143 Reisebüros an. Die Assoziation bezeichnet sich als eine Auswahlorganisation und stellt die Ansprüche an die Mitgliedschaft relativ hoch. Organisatorisch ist sie in fünf Sektionen unterteilt, wobei jedes Mitglied je nach seiner Orientierung in einer beliebigen Sektion tätig sein kann. Zu den Zielen der Assoziation gehören vor allem die Vertretung der Interessen ihrer Mitglieder im Tourismusrat, im Unterausschuss für Handel und Tourismus, in der Kommission für Tourismus der Hauptstadt Prag und in anderen Organisationen sowie die Zusammenarbeit mit den Fachschulen und ausländischen Assoziationen mit ähnlicher Ausrichtung. Die ACK stellt ihren Mitgliedern verschiedene Statistiken zur Verfügung, verleiht ihnen ein gemeinsames Logo, informiert sie regelmässig über Neuigkeiten aus der Tourismusbranche, organisiert für sie monatliche Sitzungen und Diskussionsforen, nimmt an Messen und Pressekonferenzen teil und arbeitet Musterverträge sowie andere Dokumente aus.576 b) Assoziation tschechischer Reiseveranstalter und Reisebüros (AČCKA) Die AČCKA entstand als Gegenpol zur ACK zum Schutz der Interessen von kleineren Reisebüros. Im Jahr 2000 hatte die Assoziation 255 Mitglieder und war in acht Abteilungen unterteilt. Ähnlich wie die ACK ist die AČCKA eine Auswahlorganisation, die unter anderem darauf achtet, dass bei ihren Mitgliedern keine Verstösse gegen die Unternehmensethik vorkom574 575 576 Vgl. Art. 35 lit. b des Gesetzes über die Gemeinden. Vgl. Kap. 9.6.3. Vgl. Mag Consulting (2000), S. 9 ff.; http://www.ackcr.cz/ (Stand am 15.12.2000). 174 men. Ziel der Assoziation ist die Vertretung und der Schutz der Interessen ihrer Mitglieder, die Erhöhung ihres Informationsstandes sowie ihres Berufsprestiges. Die AČCKA arbeitet mit ähnlichen Organisationen im In- und Ausland, mit den Tourismuszentralen und mit Fachschulen zusammen. Seit 1999 ist sie ein Mitglied der Internationalen Organisation der europäischen touristischen Assoziationen UFTAA.577 c) Vereinigung von Unternehmern im Gastgewerbe und Tourismus (SPPCR) Die SPPCR zählte Anfang des Jahres 2000 624 Mitglieder. Das Ziel der Vereinigung ist der Schutz der gemeinsamen Interessen ihrer Mitglieder, welches vor allem durch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Organisationen und staatlichen Organen erreicht werden soll. Den Mitgliedern stehen aktuelle Informationen über die Entwicklung in der Branche, Beratungs- und Konsultationsdienste sowie die Teilnahme an branchenspezifischen Weiterbildungskursen zur Verfügung. Die SPPCR wirkte bei der Durchsetzung der Mehrwertsteuersenkung bei Unterkunfts- und Gastgewerbedienstleistungen in die Kategorie von 5% mit und war an der Ausarbeitung der Standards für Unterkunftseinrichtungen beteiligt, deren Zertifizierung sie zusammen mit der NFHR durchführt.578 Die Vereinigung ist Mitglied der Internationalen Organisation von Hotels und Restaurants IH&RA.579 d) Nationale Föderation der Hotels und Restaurants (NFHR) Die NFHR entstand aus einer Initiative der zehn bedeutendsten tschechischen Hotels Anfang der 90er Jahre. Heute zählt die Föderation 197 Mitglieder, die zusammen über 16’249 Hotelzimmer verfügen und 12’500 Mitarbeiter beschäftigen. Das vorrangige Ziel der Föderation ist es, zur Verbesserung der Qualität von Hotel- und Restaurantdienstleistungen und zum guten Ruf der Branche beizutragen. Die NFHR legt grossen Wert auf die Weiterbildung der Hotelund Restaurantbetreiber – sie arbeitet mit mehreren Fachschulen zusammen und gehört zu den Mitbegründern des Institutes für Tourismus und Management (ITM) in Prag. Im Jahr 2000 gründete sie eine private Hochschule für Tourismus, Hotellerie und Kurortwesen. Die NFHR ist ein Mitglied der internationalen Organisation IH&RA und ein nicht-ordentliches Mitglied der Konföderation der nationalen Hotel- und Restaurantassoziationen HOTREC.580 e) Assoziation von Flugbetreibern (ALP) Die Assoziation von Flugbetreibern wurde im Jahr 1991 gegründet. Es ist eine gesamtstaatliche Vereinigung von Unternehmen, die sich mit der Flugtätigkeit beschäftigen, Flughäfen betreiben sowie im Bereich des Flugwesens unterrichten. Ende des Jahres 2000 zählten 18 Organisationen zu ihren Mitliedern. Die Assoziation gibt sich die Aufgabe, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten, sie zu beraten und sie bei ihren Aktivitäten zu unterstützen. Viel Wert wird auf die Beteiligung an der Ausarbeitung der Gesetzgebung und Konzepte, die den Flugverkehr betreffen, gelegt.581 577 578 579 580 581 Vgl. Assoziation tschechischer Reiseveranstalter und Reisebüros (2000), S. 1 f. und (2000a), S. 17; http://www. accka.cz/ (Stand am 15.12.2000). Vgl. Kap. 9.6.2 und 9.5.5. Vgl. Vereinigung von Unternehmern im Gastgewerbe und Tourismus (2000), S. 1 ff. und (2000b), S. 1 f.; Frindtová (2000), S. 52. Vgl. Nationale Föderation der Hotels und Restaurants (2000), S. 1 und (2000a), S. 1 ff.; Hlinka (2001), S. 8; http://www.nfhr.cz/ (Stand am 20.11.2000). Vgl. http://www.mujweb.cz/www/alp.cr/ (Stand am 15.11.2000). 175 f) Assoziation touristischer Informationszentren (ATIC) Die ATIC ist eine im Jahr 1994 von 42 Zentren gegründete Organisation, welche die touristischen Informationszentren vertritt. Anfang des Jahres 2001 vereinigte sie 77 Mitglieder und 19 weitere Kandidaten standen in der Probezeit. Die Informationszentren sind in vier Kategorien A, B, C und D eingeteilt, wobei die höchsten Ansprüche an die Kategorie A gestellt werden. Ein solches Zentrum muss das ganze Jahr über sieben Tage in der Woche geöffnet sein, Informationen über das gesamte Land in mindestens drei Weltsprachen gewähren, Unterkünfte vermitteln und Reiseführerdienste anbieten. Die Eingliederung in eine Kategorie, die jährlich neu zu beurteilen ist, wird in einem Zertifikat bestätigt und die Mitglieder können das gemeinsame Logo zur Bezeichnung ihres Zentrums benützen. In den 90er Jahren gehörte der Ausbau eines einheitlichen Informationsnetzes zu den Hauptzielen der Assoziation. Es wurde das System RIS (Reservations- und Informationssystem) und später seine neuere Version WinRIS eingeführt. Nach kurzer Zeit zeigte sich jedoch, dass das System vielen Ansprüchen der Tourismuszentren nicht genügte und diese begannen, ihre eigenen Systeme und Programme zu entwickeln. Nach diesem Misserfolg stellte die ATIC die Arbeit an einer Vereinheitlichung der bestehenden Informationssysteme ein582 und widmete sich vor allem der Verbesserung der Dienstleistungsqualität, der methodischen Hilfe für die Zentren sowie der Vertiefung der Zusammenarbeit unter ihnen und anderen Institutionen.583 g) Gewerbsmässige Vereinigung der Campingplätze und Ferienhäuserkolonien Die gewerbsmässige Vereinigung der Campingplätze und Ferienhäuserkolonien ist eine Organisation, welche die Betreiber dieser Unterkunftseinrichtungen und andere interessierte Institutionen vereinigt. Sie wurde im Jahr 1990 gegründet und hatte Ende 2000 60 Mitglieder. Zu den Zielen der Vereinigung gehören vor allem die gemeinsame Werbung, Beratung der Mitglieder, Verbesserung ihrer fachlichen Qualifikation und Mitwirkung an der Gesetzgebung, welche die Branche tangiert.584 h) Andere privatrechtliche Träger Zu den weiteren Interessen- und Berufsverbänden gehören beispielsweise die Vereinigung der Unternehmer in der ländlichen Touristik und Agrotouristik, die Assoziation der Köche und Kellner, die Vereinigung der Reiseführer, der Verband der Heilkurorte, die Vereinigung der Kurortstädte, der Autoclub, der Verband der Betreiber von Seilbahnen und Skiliften, die Genossenschaft der Betreiber von Gastwirtschaften, die Assoziation der führenden Touroperatoren, die Assoziation der akkreditierten IATA-Agenturen, das Syndikat von mährischschlesischen Reisebüros, die Vereinigung der Reiseführer, der Verband der Prager Reiseführer, die Prager Assoziation der Kongresstouristik, die Kommission für Tourismus des Verbandes der Städte und Gemeinden und der Klub der tschechischen Touristen. 582 583 584 Im Jahr 1999 wurde vom Ministerium für Regionalentwicklung die Tschechische Tourismuszentrale mit dem Aufbau eines integrierten Informationssystems beauftragt. (Vgl. Kap. 9.5.2). Vgl. Assoziation touristischer Informationszentren (2000), S. 2 ff. und (2000a), S. 1; Jahodová (1999), S. 5 und (1999a), S. 2 f. Vgl. Gewerbsmässige Vereinigung der Campingplätze und Ferienhäuserkolonien (2000), S. 2; Art. 1 ff. der Statuten der Vereinigung (1990). 176 9.3.3 Gemischte Träger Ausser den staatlichen und privaten Trägern der Tourismuspolitik sind in Tschechien auch mehrere gemischte Institutionen aktiv, in denen die Städte, Gemeinden und Unternehmen sowie andere Organisationen vertreten sind. Zu solchen Vereinigungen gehören beispielsweise Bohemia Centralis und die Vereinigung der historischen Siedlungen von Böhmen, Mähren und Schlesien. Der Einfluss der gemischten Vereine auf die Tourismuspolitik hält sich aber in Schranken und hat meistens nur eine regionale Reichweite. a) Bohemia Centralis Bohemia Centralis wurde im Jahr 1997 gegründet. Im Jahr 2000 hatte sie 22 Mitglieder. Sie ist die grösste gemischte Vereinigung, die sich in Mittelböhmen ausschliesslich mit dem Fremdenverkehr beschäftigt. Zu ihren Zielen gehören vor allem die Werbung für die regionalen Tourismusprodukte, die Mitarbeit bei der Vorbereitung des regionalen Konzeptes der Tourismusentwicklung und die Pflege des kulturellen und natürlichen Reichtums.585 b) Die Vereinigung historischer Siedlungen von Böhmen, Mähren und Schlesien Die Vereinigung historischer Siedlungen von Böhmen, Mähren und Schlesien, welche 1990 von 91 Mitgliedern ins Leben gerufen wurde, besass zur Jahrtausendwende 176 Mitglieder. Ihr Ziel bildet ein ganzheitliches und konzeptionelles Vorgehen bei der Pflege und Werbung für die historischen Siedlungen. Seit 1991 beteiligt sich die Vereinigung an der Durchführung der „European Heritage Days“ und seit 1998 trägt sie für diesen Anlass die Hauptverantwortung.586 Sie ist ein Mitglied der internationalen Assoziation der Europäischen historischen Siedlungen Europa Nostra.587 9.4 Ziele der Tourismuspolitik Wie schon im Kapitel 4.2 dargelegt wurde, sind die Ziele der Tourismuspolitik sowie die Strategien zu ihrer Erreichung politische Entscheide, die sich an Wertvorstellungen der jeweiligen Gesellschaft orientieren. In der Zielsetzung der Länder mit einem identischen Gesellschafts- und Wirtschaftssystem findet man deshalb viele Ähnlichkeiten. Die Tourismuspolitik der Transformationsländer besitzt je nach der Transformationsphase Parallelen zur Tourismuspolitik der Entwicklungs-, Schwellen- sowie der Industrieländer. Ihre Ausgestaltung, die Gewichtung von Zielsetzungen sowie die Auswahl der eingesetzten Massnahmen ändern sich im zeitlichen Ablauf der Transformation und machen deshalb eine feste Zuteilung der Transformationsländer zu einer Ländergruppe während des Überganges nicht möglich. 585 586 587 Vgl. Art. 1 ff. der Statuten Bohemia Centralis (1997); Kažmierski (2001), S. 1. „The European Heritage Days“ ist eine gesamteuropäische kulturelle Veranstaltung, die seit 1991 unter der Ägide des Europarates durchgeführt wird und an der 47 Länder teilnehmen. An einem Wochenende werden der Öffentlichkeit viele sonst geschlossene Denkmäler zugänglich gemacht sowie spezielle Veranstaltungen durchgeführt. Bei den meisten Objekten ist der Eintritt kostenlos. (Vgl. Vereinigung historischer Siedlungen von Böhmen, Mähren und Schlesien [2000], S. 3 f.). Vgl. Vereinigung historischer Siedlungen von Böhmen, Mähren und Schlesien (2000), S. 3 ff. 177 9.4.1 Allgemeine Zielsetzung Wie sich aus dem Kapitel 8.4 ergibt, genossen in der Tschechoslowakei vor der Wende die ideologischen und sozialen Zielsetzungen die höchsten Prioritäten. Den ökonomischen und ökologischen Zielen wurde dagegen in der Tourismuspolitik nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. Nach dem Systemwechsel rutschten die wirtschaftlichen Ziele in den Vordergrund. Die ideologischen Ziele verschwanden aus der politischen Agenda und auch die sozialen Zielsetzungen gerieten vor allem durch den Abbau der Subventionierung des gebundenen Inlandstourismus auf die hinteren Plätze. Obwohl die hohen Wachstumsraten des Tourismus viele infrastrukturelle Engpässe und Belastungen für die Umwelt verursachten, wurde den ökologischen Anliegen keine Wichtigkeit zugemessen. Erst seit Ende der 90er Jahre finden die ökologischen Ziele in der Tourismuspolitik langsam auch ihren Platz. Als Beispiel für die Integration der ökologischen Anliegen dient die Vorbereitung des Gesetzes über die Unterstützung der nachhaltigen Tourismusentwicklung sowie die Berücksichtigung der Umweltaspekte in der überarbeiteten Version des Konzeptes der staatlichen Tourismuspolitik und des Operativen Sektorprogramms für den Tourismus.588 Die Veränderungen in der Zielsetzung der Tourismuspolitik in Abhängigkeit vom herrschenden Gesellschafts- und Wirtschaftssystem verdeutlicht die Abbildung 22. Zentralplanwirtschaft Transformation - Marktwirtschaft Marktwirtschaft (Idealvorstellung) Ökonomische Ziele iele Ök olo gisc he Z i le Z Soziale Ziele zia So Ökonomische Ziele ele Ökologische Ziele Soziale Ziele Ideologische Ziele Ökonomische Ziele Ökologische Ziele Abbildung 22: Ziele der Tourismuspolitik in Abhängigkeit vom Gesellschafts- und Wirtschaftssystem589 9.4.2 Konkretisierung der Zielsetzung Wie bereits im Kapitel 4.4.1 erwähnt, erfolgt die konkrete Zielsetzung der Tourismuspolitik in den marktwirtschaftlich orientierten Ländern entweder durch Erlasse öffentlich-rechtlicher Körperschaften oder durch privatrechtliche Vereinbarungen. Von grosser Bedeutung sind tourismuspolitische Konzepte mit mehr oder weniger zwingendem Charakter, welche die Zielrichtung der Einflussnahme auf die touristisch relevanten Gegebenheiten umschreiben. Die grundlegenden Ziele der gesamtstaatlichen tschechischen Tourismuspolitik waren Mitte 2002 in drei Dokumenten formuliert, auf welche nachstehend eingegangen wird. Das wichtigste strategische Papier bildete das Konzept der staatlichen Tourismuspolitik, gefolgt vom Operativen Sektorprogramm für den Tourismus und von der Strategie der Regionalentwicklung. 588 589 Vgl. Kap. 9.4.2.1, 9.4.2.2 und 9.6.1.5. Eigene Darstellung. 178 9.4.2.1 Konzept der staatlichen Tourismuspolitik Das Konzept der staatlichen Tourismuspolitik, das vom Ministerium für Regionalentwicklung im Jahr 1999 ausgearbeitet wurde, enthielt die ersten Grundzüge einer eigenständigen, konzeptionell orientierten Fremdenverkehrspolitik. In einer 26-seitigen Ausführung wurde zunächst auf die wirtschaftliche Bedeutung der Branche eingegangen und die Tourismusentwicklung der letzten Jahre beschrieben. Aus den Ergebnissen der darauf folgenden SWOTAnalyse wurden die zukünftigen Ziele der Tourismuspolitik abgeleitet, wobei man davon ausging, dass der Fremdenverkehr ein strategischer Wirtschaftszweig der Volkswirtschaft werden soll.590 Es wurden vor allem eine bessere Stellung Tschechiens auf dem internationalen Tourismusmarkt, Erhöhung der Teilnahme am Binnentourismus, Aufkommen der regionalen Tourismusentwicklung, Verbesserung der Dienstleistungsqualität und des Konsumentenschutzes, Schaffung günstiger Bedingungen für die KMU sowie bessere Ausbildungsmöglichkeiten für die Mitarbeiter der Branche angestrebt. Den Schlüssel zum Erfolg sahen die Tourismusverantwortlichen in der Identifizierung der bestehenden Probleme, deren Beseitigung zum eigentlichen Ziel des Konzeptes erklärt wurde. Es handelte sich um Intensivierung der Werbemassnahmen im Ausland, Ausarbeitung der regionalen Entwicklungsstrategien, Klärung der Kompetenzaufteilung, Aufbau eines integrierten Informationssystems, Errichtung des Satellitenkontos, Optimierung der Zusammenarbeit auf der Ministeriumsebene, Senkung der Mehrwertsteuer bei Unterkunfts- und Verpflegungsdienstleistungen, Bekämpfung der illegalen Unternehmenstätigkeit, Verbesserung der Reiseführertätigkeit, Regelung der Verpflegungsmöglichkeiten in privaten Unterkünften, Intensivierung der Ausbildung, Erhöhung des Konsumentenschutzes, Einführung von verbindlichen Standards für Unterkunftseinrichtungen und Klärung der staatlichen Unterstützung der Tourismusbranche.591 Im Jahr 2002 wurde das Konzept aktualisiert und um die Integration der ökologischen Aspekte der touristischen Aktivitäten erweitert. Die Zielsetzungen, die noch nicht erfüllt wurden, blieben mehr oder weniger gleich. Neu dazu kamen die Förderung der nachhaltigen Tourismusentwicklung und der sanften Tourismusarten, Schaffung eines legislativen Rahmens für die staatliche Unterstützung der Tourismusbranche und Massnahmen im Zusammenhang mit dem Beitritt zur EU.592 9.4.2.2 Operatives Sektorprogramm für den Tourismus Die Zielsetzungen der Tourismuspolitik wurden auch in den Nationalen Entwicklungsplan (RDP) eingearbeitet, wo der Fremdenverkehr eine der sechs Prioritäten bildet. Die Eingliederung der tourismuspolitischen Vorhaben in den RDP-Plan ist von grosser Bedeutung, da der Tourismusbranche dadurch ermöglicht wurde, für diese Zwecke finanzielle Unterstützung der EU zu beantragen.593 590 591 592 593 Vgl. Císař in Frindtová (1999), S. 14. Vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (1999), S. 1 ff. Vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (2002), S. 10 f. Vgl. Kap. 5.8 und 9.7.3. 179 Die erste Version des Operativen Sektorprogramms für den Tourismus wurde im Jahr 1999 präsentiert. Das strategische Papier enthielt für die Jahre 2000-2006 folgende vier Zielsetzungen: Schaffung von neuen Arbeitsplätzen, Unterstützung der KMU, Steigerung des Beitrages an das öffentliche Budget und Erhöhung der Deviseneinnahmen. Zur Erreichung dieser Ziele wurden vor allem Massnahmen zur Verbesserung der touristischen Infra- und Suprastruktur, Schaffung neuer Tourismusprodukte, Vergrösserung des regionalen Angebotes, Verbesserung der Aus- und Weiterbildung, Veränderungen in der Organisationsstruktur der Branche, Intensivierung der Marketingaktivitäten, Unterstützung des Denkmal- und Naturschutzes und Ausbau eines integrierten Informationssystems vorgeschlagen.594 Zwei Jahre später wurde das Operative Sektorprogramm überarbeitet und an aktuelle Verhältnisse in der Branche angepasst. Als seine langfristigen Oberziele wurden die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit und die Stärkung der ökonomischen Ertragskraft der Tourismuswirtschaft festgelegt. Handlungsbedarf besteht weiterhin vor allem im Ausbau eines integrierten Informationssystems, in der Intensivierung der Marketingaktivitäten, der Verbesserung der Dienstleistungsqualität, der Modernisierung der touristischen Infra- und Suprastruktur, der Förderung von Investitionstätigkeit sowie in der Intensivierung des Schutzes des Natur- und Kulturreichtums. Wie beim Konzept der staatlichen Tourismuspolitik wurden auch im Operativen Sektorprogramm neuerdings die Auswirkungen der touristischen Aktivitäten auf die Umwelt berücksichtigt.595 9.4.2.3 Strategie der Regionalentwicklung Die touristischen Zielsetzungen wurden ebenfalls in die Strategie der Regionalentwicklung, die das grundlegende Dokument der tschechischen Regionalpolitik für den Zeitraum bis 2010 darstellt, integriert.596 Der Tourismus wird als ein Faktor der regionalen Entwicklung betrachtet und durch die Ausschöpfung seines Potentials soll ein Beitrag zum regionalen Wachstum und Prosperität geleistet werden. Die Massnahmen, welche zur Erreichung dieses Ziels führen sollen, umfassen vor allem die Verbesserung des legislativen Rahmens für die Branche, Unterstützung der KMU, Intensivierung der regionalen Marketingaktivitäten, Verbesserung der Ausbildung, Entwicklung eines integrierten Informationssystems, Optimierung der touristischen Infra- und Suprastruktur, Entwicklung von neuen Tourismusprodukten, Segmentierung des Marktes, Unterstützung des ländlichen Tourismus und Förderung der Kooperation unter den Tourismusakteuren. Die Chancen für das regionale Aufkommen des Tourismus werden insbesondere im traditionellen Kurortwesen gesehen. Viele Hoffnungen werden in die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der grenznahen Regionen gelegt.597 9.4.2.4 Bewertung der konzeptionellen Zielsetzung Aus den obigen Ausführungen ist ersichtlich, dass eine wesentliche Aufgabe der tourismuspolitischen Konzepte darin liegt, die Ziele festzulegen und Massnahmen zu ihrer Erreichung vorzuschlagen. Dabei sollte es sich um langfristige Zielsetzungen handeln, die keinen Raum für beliebige Interpretationen offen lassen und nicht Gefahr laufen, dass sie mit jedem Regierungswechsel verändert werden können. Ausserdem sollten die Ziele im Sinne einer ganzheit594 595 596 597 Vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (2001b), S. 9 ff. Vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (2002a), S. 29 ff. Es handelt sich um die erste Vorlage dieses Typs. Noch im Jahr 1998 hatte die Europäische Kommission Tschechien wegen der Nichtexistenz einer Regionalpolitik stark kritisiert. (Vgl. Neumann/Novotná [1999], S. 1). Vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (2000a), S. 43 ff.; Kap. 6.2.1.1 und 9.7.2. 180 lichen und menschenorientierten Tourismuspolitik nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch und sozial ausgerichtet sein und auf ihre Verträglichkeit mit den Zielen von anderen Politikbereichen überprüft werden.598 Die bestehenden strategischen Dokumente der tschechischen Tourismuspolitik erfüllen viele dieser Anforderungen nicht. Allen drei Konzepten ist gemeinsam, dass sie die Verfolgung von wirtschaftlichen Zielen zu ihrer höchsten Priorität machten und die anderen Ziele in den Hintergrund stellten. Die sozialen Zielsetzungen, wie beispielsweise die Unterstützung der Tourismus-Teilnahme von sozial schwachen Gruppen oder die Verbesserung der Lebensqualität der einheimischen Bevölkerung, fanden in keinem Dokument ihren Platz. Auch die ökologischen Anliegen geniessen trotz ihrer neuerlichen Integration in alle drei Dokumente keinen hohen Stellenwert. Die Zielsetzungen in anderen Bereichen, welche die Tourismusentwicklung ebenfalls prägen, wurden bis auf jene der Regionalpolitik nirgends berücksichtigt. Des Weiteren sind viele Ziele (vor allem diejenigen im Konzept der staatlichen Tourismuspolitik) kurzfristig und einige von ihnen konnten bereits nach einem Jahr erreicht werden. Dies ist ein Anzeichen dafür, dass der frühere Pragmatismus noch nicht ganz überwunden wurde, da eine konzeptionelle Tourismuspolitik von einem längeren Zeithorizont als dem eines Jahres ausgehen muss und ihr Ziel muss es sein, den Tourismus dort zu fördern, wo er umwelt- und auch sozialverträglich ist. Bei den meisten Zielsetzungen und vorgeschlagenen Massnahmen zu ihrer Erreichung ist nicht klar, wie sie ermittelt wurden, da jegliche Analysen zu ihrer Festlegung fehlen. Die Dokumente enthalten einzig die Ergebnisse einer SWOT-Analyse, die sich jedoch auf keine klare Grundlage abstützt und eher den Eindruck einer unfundierten und unvermittelten Aufzählung von allgemeinen Stärken und Schwächen der Tourismusbranche weckt. Ausserdem wird meistens nur eine Massnahme vorgeschlagen, ohne auf andere Möglichkeiten hinzuweisen oder diese zu berücksichtigen. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Gründen der seit 1997 andauernden Stagnation der Tourismuswirtschaft, aus welcher sich die Ziele der Tourismuspolitik sowie Massnahmen zur Behebung der Ursachen der Stagnation ableiten liessen, fehlt ebenfalls.599 9.5 Strategien der Tourismuspolitik Während im vorangegangenen Kapitel vor allem die Oberziele bzw. die grossen Leitlinien der tschechischen Tourismuspolitik skizziert wurden, folgt nun eine detaillierte Beschreibung der Zwischenziele oder Strategien, mit denen die angestrebten Ziele erreicht werden sollen. Dabei muss aber in Betracht gezogen werden, dass in den ersten Jahren nach dem Systemwechsel noch lange nicht von einer strategischen Tourismuspolitik gesprochen werden konnte. Wie aus dem Kapitel 9.2.2 hervorgeht, war diese pragmatische Epoche dadurch gekennzeichnet, dass sich der Staat nach Schaffung der grundlegenden Rahmenbedingungen aus der Tourismuspolitik stark zurückzog und sich kaum mehr um die Branche kümmerte. Zu einer Trendwende im tourismuspolitischen Denken kam es mit dem Regierungswechsel, als sich die neue sozialdemokratische Regierung 1998 in ihrem Programm bereit erklärte, ein Konzept der staatlichen Tourismuspolitik auszuarbeiten und zu einer konzeptionellen Fremdenverkehrspo598 599 Vgl. Kap. 4.4. Die Ursachen der Stagnation werden im Kap. 10.2.1 analysiert. 181 litik überzugehen. Erst dann fingen die Tourismuspolitiker an, über umfassende Strategien nachzudenken. In den folgenden Abschnitten werden die Strategien skizziert, die im Konzept von 1999 festgelegt wurden. Es wird nicht auf die Massnahmen eingegangen, welche sich in der Erfüllung einer kurzfristigen Zielsetzung erschöpften und nicht mehr auf der tourismuspolitischen Agenda der nächsten Jahre standen wie z.B. die Regelung der Verpflegungsmöglichkeiten in den privaten Unterkünften oder die Senkung der Mehrwertsteuer. Ebenfalls werden nicht näher die Strategien diskutiert, welche für die Erreichung der tourismuspolitischen Zielsetzung nur von untergeordneter Bedeutung sind oder nur eine kleine Sparte der Tourismusbranche betreffen wie z.B. die Verbesserung der Reiseführertätigkeit. Viele von den aufgeführten Strategien decken sich mit den Massnahmen des Operativen Sektorprogramms und der Strategie der Regionalentwicklung. Es handelt sich um die ersten gesamtstaatlichen tourismuspolitischen Strategien in der Geschichte der postrevolutionären Tschechischen Republik. Sie entsprechen nicht immer den Vorstellungen der westlichen Tourismuswissenschaft über die strategische Tourismuspolitik und beinhalten deshalb auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ihre kurze Übersicht befindet sich in der Abbildung 23. Tourismuspolitische Strategien Ziele der Tourismuspolitik • Förderung der touristischen Nachfrage im Ausland • Aufbau eines integrierten touristischen Informationssystems • Verbesserung der Tourismusstatistik • Konzept der staatlichen Tourismuspolitik • Optimierung der touristischen Aus-und Weiterbildung • Operatives Sektorprogramm für den Tourismus • Verbesserung der Dienstleistungsqualität • Strategie der Regionalentwicklung a) Bekämpfung der illegalen Unternehmenstätigkeit b) Einführung von Standards für die Unterkunftseinrichtungen c) Verschärfung der Zulassungsvoraussetzungen für die Reisebüros • Förderung der regionalen Tourismusentwicklung Abbildung 23: Tourismuspolitische Strategien auf einen Blick600 9.5.1 Förderung der touristischen Nachfrage im Ausland Wie sich bereits aus dem Kapitel 5.2 ergibt, ist die Tschechische Republik aus globaler Sicht eine ziemlich kleine Destination. Schon allein aus den Gründen ihrer Wahrnehmung lohnt es sich deshalb, im Ausland die Werbung für das ganze Land als eine Einheit durchzuführen. Da es sich bei solchen Werbemassnahmen vornehmlich um ein öffentliches Gut handelt, das von der privaten Seite her nur in einem ungenügenden Umfang angeboten wird, gründete das Wirtschaftsministerium zur Durchführung eines komplementären Tourismus-Marketing im Jahr 1993 eine öffentlich-rechtliche Körperschaft – die Tschechische Tourismuszentrale.601 Trotz der Gründung dieser Institution ist die bestehende Förderung der touristischen Nachfrage im Ausland unzureichend. Zu bemängeln ist vor allem das Fehlen einer systematischen Marketingstrategie und die damit zusammenhängende unklare Positionierung des Landes auf 600 601 Eigene Darstellung. Vgl. Kap. 9.3.1. 182 dem Markt. Die Marktsegmentierung wird nur in ungenügendem Umfang betrieben, was dazu führt, dass es nur wenige Spezial- und Individualangebote für potentielle ausländische Besucher gibt. Mit den 14 bestehenden Vertretungen der Tourismuszentrale (Toronto, New York, London, Paris, Amsterdam, Brüssel, Berlin, Mailand, Wien, Moskau, Fumoto, München, Madrid und Prag) sind Gebiete, aus denen weitere Kundschaft kommen könnte (wie Nordeuropa, Nordamerika und Asien), nicht genügend abgedeckt.602 Das Image des Landes leidet unter den negativen Zeilen in der ausländischen Presse. Auf die überrissenen Preise für die Ausländer wird sogar schon in den Reiseführern aufmerksam gemacht. Die Ergebnisse einer Marktstudie, die in den Jahren 1999-2000 in Deutschland durchgeführt wurde, zeigten, dass Tschechien für viele Deutsche (die den grössten Teil der ausländischen Besucher ausmachen), immer noch ein unterentwickelter Staat aus dem ehemaligen Ostblock ist, welcher mit Dienstleistungen auf einem niedrigen Niveau, qualitativ schlechter Infrastruktur, hoher Kriminalität und ungenügender Sicherheit in Verbindung gebracht wird.603 Die Ursache dieser unbefriedigenden Situation liegt vor allem am Mangel finanzieller Mittel. Im Vergleich zu anderen Ländern wird die Tschechische Tourismuszentrale von der Privatwirtschaft gar nicht und von staatlicher Seite nur ungenügend unterstützt. Dies erlaubt ihr nicht, ihre Tätigkeiten in der gewünschten Qualität und im erforderlichen Mass auszuüben. Vergleicht man die finanziellen Mittel, welche der Zentrale zur Verfügung stehen, mit den Budgets von anderen Ländern, sind diese sehr klein. Ähnliches gilt auch für den Personalbestand, wie aus der Tabelle 30 ersichtlich ist. Nicht nur die westlichen Länder, sondern beispielsweise auch das ungarische Tourismusbüro disponiert über das fünffache an finanziellen Mitteln wie die Tschechische Tourismuszentrale. Beiträge für die Tourismuszentralen und ihr Personalbestand in ausgewählten Ländern (1998) Land Griechenland Spanien Grossbritannien Frankreich Österreich Italien Schweiz Deutschland Ungarn Dänemark Tschechien Öffentliche Mittel in Mio. EUR 9.6 87.0 53.2 32.3 36.6 26.1 22.7 18.6 7.9 18.4 3.0 in % 9.2 87.6 66.9 65.3 80.0 73.7 72.0 74.8 48.8 71.6 100.0 Private Mittel in Mio. EUR 94.1 12.3 26.3 17.2 9.1 9.3 8.8 6.3 8.4 7.3 0.0 in % 90.8 12.4 33.1 34.7 20.0 26.3 28.0 25.2 51.3 28.4 0.0 Total (in Mio. EUR) Personalbestand 103.6 99.3 79.5 49.5 45.7 35.4 31.5 24.9 16.3 25.7 3.0 754 477 405 260 245 149 147 124 121 117 64 Tabelle 30: Beiträge für die Tourismuszentralen und ihr Personalbestand (1998)604 Das Budget der Zentrale müsste mindestens dreimal so hoch sein, damit das weltweite Durchschnittsniveau erreicht werden würde. Für das Jahr 2002 stellte das Ministerium für Regionalentwicklung der Zentrale aber weiterhin nur 162 Mio. Kronen zur Verfügung. Unter Berücksichtigung der Inflationsentwicklung konnte dieser Betrag lediglich eine Tätigkeit im selben 602 603 604 Vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (1999), S. 11 f. Vgl. Strádalová (2000), S. 27. In Anlehnung an Havlová (2000), S. 1. 183 Umfang wie im Vorjahr decken, für eine Intensivierung der Werbemassnahmen genügte er keinesfalls. Die Höhe der Beiträge der öffentlichen Hand für die Tätigkeit der Tourismuszentrale in den letzten neun Jahren ist aus der Tabelle 31 ersichtlich. Die meisten finanziellen Mittel wurden in die Tätigkeit der ausländischen Vertretungen und in die Teilnahme an internationalen Messen und Ausstellungen investiert. Staatliche Beiträge für die Tourismuszentrale (in Mio. Kč) Jahr 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 Beitrag 25 53 77 92 83 110 110 129 140 162 Tabelle 31: Staatliche Beiträge für die Tschechische Tourismuszentrale (1993-2001)605 Ein weiteres Problem bei der Durchführung einer qualitativ hoch stehenden Werbung besteht im recht breiten Aufgabenfeld der Tourismuszentrale. Als diese Institution im Jahr 1993 gegründet wurde, konzentrierte sich ihre Tätigkeit fast ausschliesslich auf Werbemassnahmen. Dies veränderte sich aber im Laufe der Zeit. Wie bereits im Kapitel 9.3.1 dargestellt wurde, ist die Zentrale nun auch für die Unterstützung der regionalen Tourismusentwicklung, die Marktforschung, den Ausbau eines integrierten Informationssystems und andere Aufgaben verantwortlich. Seit dem Jahr 2001 ist sie sogar als Vermittler zwischen der EU und der tschechischen Regionen auf dem Fremdenverkehrsgebiet tätig. Durch solch eine Erweiterung ihres Aufgabenfeldes kann sie sich aber nicht auf die Verfolgung ihres Hauptzweckes, auf die Werbung und Schaffung eines guten Landesimages, konzentrieren – zumindest nicht ohne dafür weitere Mittel und Personal zu erhalten. Aus all diesen Gründen wurden keine grossen Fortschritte bei der Ausarbeitung einer Marketingstrategie, die sich eine bessere Marktsegmentierung mit der Ausgestaltung von spezifischen Angeboten für bestimmte Segmente zum Ziel setzen würde, gemacht. Jahrelang wurden die finanziellen Mittel zersplittert und unvermittelt für die Werbung von allen möglichen Produkten eingesetzt, wodurch eine feste Positionierung des Landes auf dem internationalen Tourismusmarkt nicht erreicht werden konnte. Erst im Jahr 2000 wurden zumindest die zu propagierenden Themen für die nächsten fünf Jahre festgelegt, ohne dabei aber eine Marktsegmentierung vorgenommen zu haben. Es handelte sich um die Architektur (2001), tschechische Küche (2002), Sportaktivitäten (2003), Musik (2004) und Landtourismus (2005).606 Zur Verdeutlichung des Reiselandes Tschechien auf dem internationalen Markt wurde ein neues Logo geschaffen (vgl. Abbildung 24). 605 606 In Anlehnung an Tschechische Tourismuszentrale (2000), S. 22; Nejdl in Frindtová (2000j), S. 19; http://www.cccr-info.cz/index.php (Stand am 19.3.2003). Vgl. Tschechische Tourismuszentrale (2001), S. 15. 184 Abbildung 24: Tourismuslogo607 Nach einem Personalwechsel in der Führung der Tourismuszentrale im Jahr 2002 wird nun eine neue Marketingstrategie ausgearbeitet. In Zukunft sollen sich die Werbeaktivitäten ausschliesslich auf folgende sechs Produkte konzentrieren: Burgen/Schlösser, Gesunde und aktive Ferien, Goldenes Prag, Kurortwesen, Kongresse und Religiöser Tourismus. Für jeden Bereich werden für das Jahr 2003 aus dem Budget der Zentrale 13-16 Mio. Kronen ausgesondert. Dies im Unterschied zu den letzten Jahren, während denen wegen der grossen Zahl der unterstützten Projekte nur mit etwa 3 Mio. Kronen pro Tourismusprodukt gerechnet werden konnte. Durch die Konzentration auf die aufgezählten Bereiche erhofft man sich den Aufbau einer stabilen Positionierung des Landes auf dem internationalen Markt, die sich nach Berechnungen der Zentrale etwa in drei Jahren in der ansteigenden Zahl der ausländischen Besucher widerspiegeln sollte.608 9.5.2 Aufbau eines integrierten touristischen Informationssystems Mit den Massnahmen zur Verstärkung des komplementären Tourismus-Marketing im Ausland, die im vorherigen Kapitel diskutiert wurden, hängt das Vorhandensein von einem integrierten leistungsfähigen Informations- und Reservationssystem eng zusammen. In Tschechien gab es an der Jahrtausendwende kein solches System, welches das ganzheitliche Angebot an Tourismusprodukten enthielt und an die internationalen Informationsnetze angeschlossen war. Bei den bestehenden 265 Informationszentren (1999), von welchen ein Teil in der Assoziation der touristischen Informationszentren vereinigt ist, handelte es sich nicht um ein homogenes Netz, sondern um organisatorisch und technologisch sehr unterschiedlich ausgestattete Subjekte.609 Nachdem im Jahr 1993 das Projekt für ein nationales Informations- und Reservationssystem (NIRES) des Wirtschaftsministeriums scheiterte, wurde an einer neuen, kleineren Variante (NITS) gearbeitet. Aber auch dieser Versuch sowie das Reservations- und Informationssystem (RIS), das durch die Assoziation eingeführt wurde, missglückten. Viele Institutionen fingen an, ihre eigenen Systeme und Programme zu entwickeln, was zu einer noch grösseren Heterogenität auf diesem Feld führte. Um diese Bemühungen zu vereinheitlichen, wurde vom Ministerium für Regionalentwicklung Ende 1999 die Tschechische Tourismuszentrale mit dem Aufbau eines neuen integrierten Informationssystems betraut. Sie schrieb einen öffentlichen Wettbewerb aus und suchte von 607 608 609 Tschechische Tourismuszentrale (2000c), S. 15. Vgl. Tschechische Tourismuszentrale (2002a), S. 1 f.; Gladiš in Ulrych (2002), S. 89; Frindtová (2002), S. 72. Vgl. Kap. 9.3.2. 185 vierzig Teilnehmern das auf die Informationsprojekte der Tourismusbranche spezialisierte Unternehmen BEDY aus. Dieses wurde beauftragt, eine Pilotversion des Systems „Czechtourservice“, das die bestehenden regionalen Systeme in einem möglichst grossen Umfang nützt, auszuarbeiten. Das System soll allgemeine Angaben über die Tschechische Republik und ihre Regionen sowie Informationen über verschiedene Veranstaltungen, Angebote von Reisebüros, Hotels etc. mit der Möglichkeit der direkten Reservation beinhalten. Ausserdem soll es eine geeignete Plattform für die Zusammenarbeit der staatlichen und privaten Tourismusakteuren unter sich und miteinander schaffen,610 sowie eine wichtige Aufgabe bei der technischen Absicherung der Erfassung der statistischen Daten erfüllen611 und damit einen Beitrag zur Verbesserung der touristischen Dienstleistungen leisten. 9.5.3 Verbesserung der Tourismusstatistik Anders als die meisten Wirtschaftssektoren ist der Tourismus ein Zweig, dessen Produktionseinheiten sich auf eine Vielzahl von Branchen verteilen und die Erfassung seiner Leistungen zu einer anspruchsvollen Aufgabe machen. Die Beschaffung statistischer Daten über die Tourismusbranche stellt ein öffentliches Gut dar, das im genügenden Umfang nur mit staatlicher Hilfe hergestellt werden kann.612 In der Tschechoslowakei verfügte bis zum Jahr 1989 das Föderale Statistische Amt dank der strengen Visumspolitik, harter Grenzkontrollen und der Nichtexistenz des privaten Sektors über relativ gute statistische Daten. Nach der Wende kam es aber im Zusammenhang mit der Lockerung der Reisebestimmungen, dem Entstehen von tausenden privaten KMU und der Spaltung des Staates zum Zusammenbruch dieses Systems. Die Devisen- und Zollerklärungen wurden wegen der Beschränkung der persönlichen Freiheit abgeschafft und das Föderale Statistische Amt Ende 1992 aufgelöst.613 Obwohl im Jahr 1995 das Gesetz über den statistischen Dienst verabschiedet wurde, bietet die tschechische Statistik mittlerweile keine genügenden Grundlagen für die tourismuspolitischen Entscheidungen. Ausserdem ist sie mit den Statistiken der OECD-Länder nicht vollumfänglich vergleichbar, entspricht nicht den Anforderungen der WTO und auch die Richtlinie der EU über die Erhebung statistischer Daten im Bereich des Tourismus (95/57/EG) wurde nicht vollständig umgesetzt.614 Seit 1997 führt das Tschechische Statistische Amt (ČSÚ) einmal pro Jahr eine Untersuchung über die Ausgabestruktur der tschechischen Haushalte durch; in deren Rahmen werden auch die Angaben über die Reiseaktivitäten gemacht. Ausser diesen Ergebnissen gibt es über den Binnentourismus nur wenige Angaben. Die Daten über den In- und Outgoing-Tourismus basieren auf der Grenzstatistik, welche die Zahl der grenzüberschreitenden Personen ermittelt. Seit 2001 werden mit Hilfe der Standortsmethode auch die Logiernächte erfasst. In der Fremdenverkehrsbilanz wird der monetäre Bereich der Tourismusnachfrage abgedeckt – die Deviseneinnahmen und -ausgaben werden von der Tschechischen Nationalbank aufgrund der Transaktionen bei den Wechselstuben und Reisebüros erfasst. Die Geldbeträge, die man sich 610 611 612 613 614 Vgl. Šetena in Frindtová (2000i), S. 28; Ticháček (2001), S. 1 f.; o.V. (2000), S. 52. Vgl. Art. 9 des Vorentwurfes des Gesetzes über die Unterstützung des Tourismus. Vgl. Kap. 4.3.1. In der Tschechischen Republik wurden die Tätigkeiten des Föderalen Statistischen Amtes vom Tschechischen Statistischen Amt übernommen. Vgl. Hesková (1999), S. 87; Ministerium für Regionalentwicklung (1999b), S. 13; Němčanský (1999), S. 85. 186 auf einem anderen Weg beschaffte, werden aber bei der Benützung dieser Methode ausgeklammert und umgekehrt werden Beträge, die nicht für touristische Aktivitäten ausgegeben werden, mitberechnet.615 Von den staatlichen Organisationen befasst sich mit den statistischen Untersuchungen ausser dem ČSÚ noch die Tourismuszentrale. Statistische Daten werden ebenfalls von einigen privaten Forschungsinstituten, die zum Teil im Auftrag des Ministeriums für Regionalentwicklung arbeiten, gesammelt. Der häufige Wechsel dieser Institutionen führt aber zu einer Heterogenität der Untersuchungen, wodurch vor allem die Vergleichbarkeit und Kontinuität der Ergebnisse nicht gewährleistet sind. Aus den obigen Ausführungen ist ersichtlich, dass die bestehenden Statistiken den Tourismus nur ungenügend erfassen und der Tourismuspolitik vor allem in Bezug auf ökonomische Belange keine zuverlässige Entscheidungsgrundlage liefern können. Aus diesem Grund wird ein Satellitenkonto errichtet, das eine Gesamtübersicht über den Beitrag der Branche für die Volkswirtschaft ermöglicht und damit ihre wirtschaftliche Bedeutung transparent macht.616 Im Unterschied zum alten Statistiksystem, das lediglich die Einkommens- und Verwendungsseite in die makroökonomische Analyse einbezog, spielt beim Satellitenkonto die Produktion die Hauptrolle. Für die Schaffung dieser neuen volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, die spätestens im Jahr 2005 in die Praxis umgesetzt werden soll, ist das Tschechische Statistische Amt verantwortlich. Da die verwendete Branchenklassifikation der ökonomischen Tätigkeiten (OKEČ) den internationalen Standards nicht entspricht, wird auch hier eine neue Klassifikation nötig. Weitere Anpassungen werden im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt, vor allem bei der Erfassung des Inlandstourismus, vorgenommen werden müssen. 9.5.4 Optimierung der Aus- und Weiterbildung Generell dürften Bildung und Wissen zu den entscheidenden Erfolgsfaktoren der Industrieländer des 21. Jahrhundert gehören. Je höher der Bestand einer Volkswirtschaft an Humankapital ist, desto häufiger sind auch Innovationen in den Unternehmen zu erwarten. Vor allem in den Dienstleistungsbranchen, zu welchen auch der Tourismus gehört, wird eine höhere Wertschöpfung durch ein geeignetes Management von Know-how erzeugt.617 In Tschechien kann die Ausbildung für verschiedene Tätigkeiten in der Tourismusbranche auf mehreren Wegen erworben werden: durch den Abschluss einer Lehre, einer Mittelschule, einer Fachschule oder einer Hochschule sowie durch die Absolvierung von Requalifikationskursen. Vor 1989 existierten z.B. nur sieben Mittelschulen für Hotellerie und Tourismus, die eine entsprechende Ausbildung anboten. Nach dem Systemwechsel kam es zu einer Expansion von Mittelschulen, welche die Tourismusproblematik in ihre Lehrprogramme eingliederten. Im Jahr 2001 wurden ca. 120 solche Institutionen registriert. Die Fremdenverkehrskunde wird ausserdem an acht staatlichen Hochschulen auf der Grundstufe unterrichtet und an zweien davon ist es möglich, den Tourismus als Vertiefung auf der Lizenziatsstufe zu wählen. Ausserdem existieren noch zwei private Hochschulen – eine für Hotellerie und eine für Hotellerie, Tourismus und Kurortwesen. 615 616 617 Vgl. Šesták (1998), S. 33. Vgl. Kap. 3.4.1. Vgl. Greuter (2000), S. 200 f. 187 Trotz der Vielfalt an Schulen mit touristischer Ausrichtung entspricht ihr Angebot oft nicht den Bedürfnissen der Branche. Der Graben zwischen der Theorie und der Praxis scheint sich eher weiter zu vergrössern. Vor allem ist das Absolventenprofil nicht klar festgelegt, was dazu beiträgt, dass das Niveau der Ausbildungsinstitutionen sehr unterschiedlich ist. Das Ministerium für Schulwesen, Jugend und Sport verabschiedete deshalb 1998 einen Standard der fachlichen Ausbildung im Tourismus und Hotellerie an Mittelschulen, in welchem die minimalen inhaltlichen Anforderungen an das Absolventenprofil aufgeführt sind. Ein ähnlicher Standard für Hochschulen wird vorbereitet.618 Ausserdem wurde eine Reform des Mittelschulsystems in die Wege geleitet, die durch eine Eingliederung der potentiellen Arbeitgeber in den Ausbildungsprozess ein Gleichgewicht zwischen der Qualifikation der Absolventen und den Marktbedürfnissen erreichen will.619 Eine neue Chance öffnet sich mit dem EUBeitritt – bereits jetzt kann Tschechien an verschiedenen Ausbildungsprogrammen für Fachleute aus der Tourismusbranche teilnehmen.620 Im Jahr 1999 wurde im Auftrag des Ministeriums für Regionalentwicklung eine Studie über die Qualität der Ausbildung in der Tourismusbranche ausgearbeitet. Die Schwachstellen wurden insbesondere in der Kooperation zwischen den Schulen selbst und mit der Praxis, in Informationen über das Ausbildungsangebot, im Umgang mit Informationstechnologien und in fehlenden Möglichkeiten an Praktika aufgedeckt.621 Mit der fachlichen Kompetenz und den Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte für die Tourismuskunde befasste sich in ihrer Studie Indrová. Sie stellte unter anderem fest, dass ihre Entlöhnung im Vergleich zu anderen Berufen sehr niedrig ist, weshalb viele in die Privatwirtschaft wechseln, dass das System der lebenslänglichen Weiterbildung für Lehrkräfte fehlt und dass die Dozenten zumeist keine Habilitation über Tourismus verfassten.622 An einer renommierten Hochschule ist es beispielsweise keine Seltenheit, dass die Diplomarbeiten von Personen betreut werden, die sonst mit diesem Fach nichts zu tun haben. Den meisten Lehrkräften fehlt auch der entsprechende Praxisbezug und viele von ihnen verfügen zwar über sehr gute Kenntnisse in dem Gebiet, auf welches sie spezialisiert sind, haben aber nur eine begrenzte Übersicht über die Geschehnisse, die in anderen Tourismusbereichen ablaufen.623 Da aber der Fremdenverkehr eine sehr komplexe Problematik darstellt, ist es zweifelhaft, ob den Studierenden auf solch eine isolierte Art und Weise die Zusammenhänge in der Branche und die Fähigkeit zur Lösung von Problemen in der Praxis vermittelt werden können. Wie aus Untersuchungen über die Zufriedenheit der ausländischen Besucher hervorgeht, müssen auch die Sprachenkenntnisse der Angestellten im Tourismus verbessert werden. Die Verständigungsprobleme mit dem Service- und Agenturenpersonal stehen auf der Tagesordnung. Als ein weiteres besorgniserregendes Beispiel kann das Vorhandensein der an der Grenze auszufüllenden Begleitkarten ausschliesslich in tschechischer Sprache und die Einstellung der dafür verantwortlichen Organe genannt werden:624 „Der Text ist deshalb nur in Tschechisch, 618 619 620 621 622 623 624 Ausführlich zu den Standards vgl. Zelenka (1999a), S. 9 ff. Vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (1999), S. 18. Vgl. Kap. 9.7.2. Vgl. Zelenka (1999), S. 173 f. Vgl. Indrová (2000a), S. 223 f. Eigene Beobachtungen. Vgl. Kap. 9.6.1.3. 188 weil es sich um die Amtsprache unseres Landes handelt.“625 Dass auch die Übersetzungen der Werbematerialien in die Fremdsprachen nur qualifizierten Personen in Auftrag gegeben werden sollten, beweist der folgende Ausschnitt aus dem Werbeprospekt des Kurortes Bochoř. Abbildung 25: Werbematerial des Kurorts Bochoř Solange die Beschäftigungsstruktur durch ein tiefes Qualifikationsniveau gekennzeichnet bleibt, wird es schwierig die Dienstleistungsqualität, die als ein mehrfach belegter Schwachpunkt des tschechischen Tourismus gilt, zu verbessern. Allerdings erfordern nicht alle touristischen Dienstleistungen hoch qualifizierte Fachkräfte. Entscheidender ist vielmehr, dass die Führungskräfte die nötige Sensibilität und das Know-how für ihre Verbesserung entwickeln und dass eine fehlerhafte Unternehmensführung vermieden wird.626 9.5.5 Verbesserung der Dienstleistungsqualität Wie bereits vor allem aus dem Kapitel 6.5.2 hervorgeht, wurden unmittelbar nach dem Systemwechsel einfache, undifferenzierte, monokulturelle touristische Basisdienstleistungen nachgefragt. Der Wunsch eine unbekannte westliche oder postkommunistische Destination zu besuchen war so gross, dass der Reisekomfort und die Qualität der angebotenen Dienstleistungen nur eine untergeordnete Rolle spielten. Der Nachfrageüberhang führte dazu, dass sich der tschechische Tourismusmarkt während einer kurzen Zeit zum Verkäufermarkt entwickelte, da sich die Dienstleistungen quasi von selbst vermarkteten. Es kam kaum zu Innovationsimpulsen, da keine neuen und qualitativ besseren touristischen Produkte verlangt wurden. Zu 625 626 Masaříková in Hodíková (2000), S. 11 f. (Übersetzung der Verfasserin). Vgl. Greuter (2000), S. 201. 189 einer Veränderung kam es erst Ende der 90er Jahre, als an das Reisen höhere Ansprüche gestellt wurden und die Bereitschaft, gewisse Unzulänglichkeiten zu akzeptieren, sank. Vor allem die ausländischen Besucher waren nicht mehr bereit, unangemessenes Preis/Leistungsverhältnis, duale Preise, steigende Kriminalität, unzureichende Komfort- und Hygienestandards, Unfreundlichkeit und mangelhafte Sprachkenntnisse des Personals in Kauf zu nehmen.627 Verlangt wurde nicht nur eine bessere Qualität, sondern auch eine breitere Auswahl an Dienstleistungen, die insbesondere mehr Abwechslung, Spass, Abenteuer und Unterhaltung bieten. Im Konzept der staatlichen Tourismuspolitik wurden mehrere Massnahmen zur Verbesserung der Dienstleistungen vorgeschlagen, auf welche nachstehend kurz eingegangen wird. Ausserdem befassten sich die Tourismuspolitiker mehrmals mit der Situation im Prager Taxigewerbe, auf dessen überrissene Preise für die ausländischen Besucher bereits in den Reiseführern aufmerksam gemacht wird. Zurzeit wird ein neues System getestet, wo der Klient auf Anfrage ein SMS mit der Angabe des maximal möglich verlangbaren Preises erhält.628 Im Weiteren wird seit 2000 die Zertifizierung der Tourismusunternehmen nach dem europäischen Beispiel aufgrund der Norm ISO 9000 in die Praxis eingeführt, welche die Qualität der angebotenen Dienstleistungen ebenfalls anheben soll.629 9.5.5.1 Bekämpfung der illegalen Unternehmenstätigkeit Die illegale Unternehmenstätigkeit betrifft insbesondere die Aktivitäten von ausländischen Reiseführern, die Vermietung von privaten Wohnungen und die Geschäftstätigkeiten der ausländischen Busgesellschaften, die den Abholdienst am Flughafen und verschiedene Rundreisen betreiben. Eine Untersuchung zeigte, dass die Zahl ausländischer Dienstleistungsanbieter, die in der Branche ohne jegliche Bewilligung tätig sind, sehr hoch ist und dass es sich dabei nicht nur um Aktivitäten von Einzelpersonen, sondern um ein gut organisiertes und funktionierendes System handelt. Um das Ausmass der illegalen Reiseführertätigkeit konkret zu belegen, wurden die Tourismusgruppen, die in der Sommersaison 2000 die Prager Burg besuchten, unter die Lupe genommen. Dabei wurde festgestellt, dass etwa die Hälfte über einen Reiseführer ohne eine entsprechende Bewilligung verfügte.630 Um den illegalen Aktivitäten einen klareren Stopp zu setzen und damit auch einen Beitrag zur Verbesserung der Dienstleistungsqualität zu leisten, muss vor allem die staatliche Kontrolle seitens der Gewerbe- und Finanzbehörden, der Handelsinspektion und der Polizei verstärkt werden. Zur Kooperation sind ebenfalls die privaten Gruppierungen angehalten, von denen erwartet wird, dass sie in diesem Prozess eine gewisse Initiative übernehmen.631 9.5.5.2 Einführung von Standards für die Unterkunftseinrichtungen Ein grosser Teil der Unterkunftseinrichtungen bietet nur einen niedrigen Standard an Dienstleistungen an. Wie sich bereits aus der Tabelle 12 ergibt, befanden sich Ende 1999 42% aller Hotelbetten in Ein- und Zweisternhotels. Dies ist nicht nur dem fehlenden Innovationsvermö627 628 629 630 631 Vgl. Němčanský (1999a), S. 480; Pírek (1998a), S. 2; Hrala (1996), S. 101. Vgl. Valášek (2002), S. 59. Vgl. Kap. 9.7.2. Vgl. Mecnerová in Gulbiš (2000), S. 67. Vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (2000a), S. 5. 190 gen der KMU zuzuschreiben,632 sondern auch dem Umstand, dass es in Tschechien keine verbindliche Norm für die Eingliederung der Unterkünfte in eine bestimmte Kategorie gibt. Bis zum Jahr 1996 teilte man die Beherbergungseinrichtungen aufgrund der Norm über die Kategorisierung von Unterkunftseinrichtungen in verschiedene Kategorien und Klassen ein. Bis 1988 wurde die Einteilung von den Kreisbehörden vorgenommen, in der Zeitperiode von 1988 bis 1993 war dafür jeder Betreiber selbst verantwortlich. Ende 1993 verlor die Norm als solche zwar ihre Gültigkeit – im Gewerbegesetz wurde aber bei der Erteilung von Bewilligungen weiter auf sie hingewiesen und ihre Einhaltung verlangt. Von 1996 bis 2000 wurde von Gesetzes wegen keine Zuteilung zu einer Kategorie verlangt. Das Wirtschaftsministerium arbeitete zwar eine Empfehlung für die Kategorisierung aus, diese stellte aber nur eine unverbindliche Orientierungshilfe dar. Die Unternehmer nahmen die Zuordnung in eine bestimmte Kategorie weiterhin selbst vor, was häufig dazu führte, dass die Qualität der Dienstleistungen und der verlangte Preis nicht der gewählten Kategorie entsprachen.633 In der Revision des Gewerbegesetzes im März 2000 wurde die Pflicht der Zuordnung zwar wieder eingeführt,634 aber im Gesetz selbst fand sich kein Anhaltspunkt darüber, aufgrund welcher Kriterien sie erfolgen sollte. Zur Erhöhung der Markttransparenz wurde deshalb vom Ministerium für Regionalentwicklung, der Tourismuszentrale und verschiedenen Berufsverbänden eine Empfehlung für die Einteilung der Unterkunftseinrichtungen in verschiedene Klassen und Kategorien ausgearbeitet. Sie werden einer der fünf Klassen zugeteilt und im Einklang mit den internationalen Standards mit der entsprechenden Zahl der Sterne bezeichnet: Tourist *, Standard **, Komfort ***, First Class ****, Luxus *****. Ausser den Klassen werden vier Kategorien unterschieden: Hotel, Hotel Garni, Motel und Pension, wobei die drei letzt genannten maximal vier Sterne erhalten können.635 Auch dies hat aber nur empfehlenden Charakter. Die Entscheidung über die Wahl der entsprechenden Klasse und Kategorie liegt weiterhin bei den Unternehmen. Die Irreführung von Kunden kann aufgrund des Verbraucherschutzgesetzes bestraft werden. Die Zertifizierung wird von der NFHR und der SPPCR vorgenommen und kann aufgrund von Beschwerden oder bei offensichtlichen Veränderungen aberkannt werden. Obwohl die Einführung der Zuteilungspflicht der Unterkunftseinrichtungen sowie die Ausarbeitung der entsprechenden Empfehlung unbestrittenermassen einen Fortschritt darstellen, ersetzen diese Schritte nicht eine verbindliche Kategorisierung/Klassifizierung aufgrund von objektiv gegebenen, gesetzlich verankerten Kriterien, die in den meisten europäischen Ländern üblich ist und auch als eine Qualitätsgarantie seitens des Staates für die gewährleisteten Dienstleistungen gilt. 9.5.5.3 Verschärfung der Zulassungsvoraussetzungen für die Reisebüros Wie bereits im Kapitel 6.4 dargestellt, gehörte das Betreiben eines Reisebüros von 1991 bis 1996 zu den konzessionierten Gewerben. Während einer erheblichen Liberalisierung des Gewerbegesetzes im Jahr 1996 wurde es in freie Gewerbe eingegliedert, was u.a. hiess, dass kein Nachweis mehr über die fachliche Eignung des Unternehmers erbracht werden musste. Nach632 633 634 635 Vgl. Kap. 6.2.3. Vgl. Wirtschaftsministerium (1994a), S. 5; Indrová (2000), S. 152; Vitáková (2000b), S. 96. Vgl. Art. 17 Abs. 8 lit. c des Gewerbegesetzes. Vgl. Vitáková (2000b), S. 92 f. 191 dem es 1997 zu einer Welle von Reisebürokonkursen kam, die zum Teil auf ungenügende Qualifikation und/oder Erfahrung zurückzuführen waren, und hunderte Klienten die vorausbezahlten Dienstleistungen nicht erhielten, wurden die Voraussetzungen für eine selbständige Tätigkeit in der Reisebürobranche deutlich verschärft und erneut eine Konzessionierung eingeführt. Seitdem müssen die Unternehmer bei der Beantragung der Konzession, die das Ministerium für Regionalentwicklung erteilt, unter anderem einen Businessplan und einen Versicherungsvertrag vorlegen. Der Versicherungsvertrag muss mit einer dazu autorisierten Anstalt im Umfang von mindestens 30% der geplanten oder letztjährigen (falls niedrigere Einkünfte erwartet werden) Einnahmen aus dem Reisenverkauf abgeschlossen werden. Der Kunde wird gegen das Ausbleiben der Gewährleistung der Rückreise aus dem Ausland und der Rückerstattung der Preisdifferenz bei einer Reise, die nicht zu den vereinbarten Bedingungen realisiert wurde oder gar nicht durchgeführt wurde, geschützt.636 Das Tourismusgesetz, in welchem die oben genannten Voraussetzungen geregelt sind, trat im Oktober 2000 in Kraft. Von den Reisebüros wird insbesondere die Pflicht der Vorlage eines ausführlichen Businessplans als problematisch bezeichnet, da diese vertraulichen Informationen in einem Land mit hoher Korruption leicht in die Hände der Konkurrenz geraten könnten. Ein weiterer Punkt, der kritisiert wird, betrifft die Regelung der Versicherungspflicht. Die Wettbewerbsschutzbehörde bewilligte eine Ausnahme vom Antimonopolgesetz und ermöglichte neun Gesellschaften, die Vereinigung „Pool“ zur Versicherung der Produkte von Reisebüros zu bilden.637 Die Reisebüros befürchten, dass die Versicherungsgesellschaften Macht über sie gewinnen und ihnen die Preispolitik diktieren würden.638 Kurz nach der Einführung des Gesetzes wurde aber seitens der Unternehmer bereits eine Möglichkeit gefunden, wie man diese Bestimmungen umgehen kann. Ein Reisebüro kann zukünftig anstatt einer Reise,639 die versichert werden muss, dem Klienten zu einem ermässigten Preis zwei Verträge anbieten – einen für den Transport und einen anderen für die Unterkunft. Dass dies dem Ziel des Gesetzgebers zuwider läuft und auf keinen Fall zum Konsumentenschutz und zur Verbesserung der Dienstleistungsqualität beiträgt, ist offensichtlich. Erst die Praxis wird aber zeigen, ob eine Gesetzrevision notwendig sein wird oder ob sich die Reisebüros mit qualitativ besseren und versicherten Produkten um ihre Klienten bemühen werden. 9.5.6 Förderung der regionalen Tourismusentwicklung Wie bereits in den Kapiteln 5.2 und 6.2.1 festgehalten wurde, ist fast 75% der Fläche von Tschechien für den Fremdenverkehr geeignet. Auf dem ganzen Territorium befinden sich viele kulturelle, technische und historische Sehenswürdigkeiten sowie unzählige natürliche Schönheiten. Elf Denkmäler sind im Verzeichnis des Weltnatur- und Kulturerbes der UNESCO enthalten und das Kur- und Badewesen verfügt über eine lange Tradition. Trotz dieser Tatsachen konzentriert sich das Interesse von ca. 70% der ausländischen Besucher aber 636 637 638 639 Vgl. Art. 6 ff. des Tourismusgesetzes. In Deutschland wird das Problem ähnlich gelöst. Die meisten Reisebüros schliessen ihre Versicherung mit dem Deutschen Reisepreissicherungsverein (DRS) ab. Vgl. Navara (2000), S. 5; Nezvalová (2001), S. 99 und (2000), S. 13. Eine Reise wird als Kombination von mindestens zwei Dienstleistungen (Transport, Unterkunft oder andere Dienstleistungen, die einen wichtigen Teil der Reise bilden oder deren Preis mehr als 20% des Gesamtpreises beträgt) definiert, wenn sie zu einem Gesamtpreis verkauft wird und wenn die Dienstleistungen in einem Zeitraum von insgesamt mehr als 24 Stunden erbracht werden oder die Reise eine Übernachtung beinhaltet. (Vgl. Art. 1 Abs. 1 des Tourismusgesetzes). 192 ausschliesslich auf die Hauptstadt Prag und die anderen Regionen profitieren vom Tourismus nur unterdurchschnittlich.640 Die Ursache dieses ungünstigen Verhältnisses ist unter anderem in der mehrfachen Abgrenzung von tourismusrelevanten Einheiten, in der daraus resultierenden bis vor kurzem unklaren Kompetenzaufteilung und der darauf folgenden Absenz von regionalen Strategien der Tourismusentwicklung zu sehen. Die Verantwortung für die Förderung der regionalen Tourismusentwicklung tragen seit 2000 die Bezirke. Dies ergibt sich aus den Art. 14 ff. des Gesetzes über die Bezirke und wurde bereits ausführlich im Kapitel 5.3 diskutiert. Mit diesem Gesetz wurde die seit Jahrzehnten herrschende zentralisierte Leitung der Tourismusbranche aufgegeben und einer dezentralisierten Kompetenzaufteilung, die in den meisten Industrieländern üblich ist, der Vorzug gegeben. Im Zusammenhang mit dem Beitritt zur EU wurden auch die NUTS II mit gewissen Kompetenzen ausgestattet, wobei es sich vor allem um die Realisierung touristischer Projekte handelt, für welche eine finanzielle Hilfe der EU beantragt werden kann. Ausserdem wurden 1998 von der Tourismuszentrale vierzehn Tourismusregionen gebildet. Das Ziel bestand darin, die tourismusrelevanten Gebiete so abzugrenzen, dass sie sich auch im Ausland als selbständige Einheiten präsentieren liessen. Diese Regionen verfügen gegenwärtig aber über keine beachtlichen tourismuspolitischen Kompetenzen. Nachdem sich sogar die Zentrale Anfang 2002 entschied, auf regionaler Ebene als ihre Partner statt ihnen die Bezirksbehörden zu bevorzugen, wird der Sinn ihrer weiteren Existenz in Frage gestellt. Da der Grenzverlauf der genannten Einheiten unterschiedlich ist, ist ein koordiniertes Vorgehen bei der Förderung der regionalen Tourismusentwicklung von Wichtigkeit. Eine gewisse Systematik in den ganzen Prozess wollte das Ministerium für Regionalentwicklung bringen, indem es eine Methodik für die Ausarbeitung der Strategien der Tourismusentwicklung erstellte. Die meisten bis zum Jahr 2002 vorgestellten Strategien gingen von der administrativen Aufteilung in Bezirke aus. Ausserdem wurden für die einzelnen NUTS II im Rahmen des RDP-Planes regionale operative Programme (ROP), die in den meisten Fällen auch die Unterstützung der Tourismusentwicklung beibehalten, ausgearbeitet. Bei der Realisierung der touristischen Strategien sind den Regionen das Ministerium für Regionalentwicklung und die Tschechische Tourismuszentrale behilflich. Das Ministerium lancierte ein Unterstützungsprogramm, das 2001 auf das Kurortwesen und 2002 auf das Kurortwesen und den Sporttourismus ausgerichtet war.641 Die Tourismuszentrale bereitet mit den Regionen die Präsentationen auf Messen und Ausstellungen vor, informiert über ihre Aktivitäten im Internet, stellt sie in einem Vortragszyklus „Regionale Tage“ vor und erfüllt die Rolle des Vermittlers zwischen den Regionen und der EU. Ausserdem ist sie an der Schaffung von neuen regionalen Tourismusprodukten beteiligt, indem sie seit 1999 unter bestimmten Voraussetzungen642 Hilfe zu ihrer Herstellung und Präsentation gewährt. Die Förderung der regionalen Tourismusentwicklung sowie die Kooperation zwischen den beteiligten Subjekten sind trotz dieser Massnahmen immer noch ungenügend. Dies zeigt sich 640 641 642 Dies belegen auch die in der Tabelle 9 aufgeführten Zahlen der ausländischen Gäste in Unterkunftseinrichtungen in verschiedenen Bezirken. Vgl. Kap. 9.6.3. Maximalle Unterstützung pro Projekt beträgt 350’000 Kč. Ausserdem wird eine eigene finanzielle Beteiligung von mindestens 40% vorausgesetzt. Vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (1999), S. 20; Tschechische Tourismuszentrale (2000a), S. 1. 193 beispielsweise bei den regionalen Präsentationen an Messen und Ausstellungen. Das Bild einer Region erscheint nur selten als Einheit, da sich die verschiedenen Unternehmen und Verbände zumeist allein vorstellen und kein koordiniertes Vorgehen anstreben. Somit bleibt die Unterstützung des regionalen touristischen Aufkommens für die Tourismusverantwortlichen in den nächsten Jahren weiterhin eine Herausforderung. 9.6 Instrumente der Tourismuspolitik Wie bereits im Kapitel 4.7 dargestellt, stehen den staatlichen Organen verschiedene Instrumente zur Verfügung, mit denen sie Einfluss auf die Ausgestaltung und das Funktionieren des Tourismusmarktes ausüben. Die Mittel und Steuerungsmechanismen verändern sich mit der Zeit, da ihr Einsatz von den herrschenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen eines bestimmten Landes sowie von den angestrebten Zielen der Tourismuspolitik abhängig ist. Im Unterschied zu den in der Tschechoslowakei vor dem Systemwechsel praktizierten Massnahmen, die überwiegend Zwangscharakter hatten, wird heutzutage Privaten ein relativ grosser Entscheidungsspielraum überlassen. Viele der damaligen Massnahmen wie staatliche Preisbildung, Bestimmung des touristischen Wechselkurses oder politisches Engagement als Berufsvoraussetzung wurden ersatzlos gestrichen. Andere Instrumente wie Bestimmungen für Ein- und Ausreise oder Förderung der touristischen Infra- und Suprastruktur kommen immer noch zum Einsatz – ihre inhaltliche Ausgestaltung veränderte sich aber grundsätzlich.643 An Gewicht gewannen vor allem die marktwirtschaftlich orientierten Instrumente. In der Anfangsphase der Transformation waren die ordnungsrechtlichen Massnahmen, mit deren Hilfe die Rahmenbedingungen für die private Unternehmenstätigkeit geschaffen wurden, von grundsätzlicher Bedeutung. Bei der folgenden Analyse des Instrumentariums der tschechischen Tourismuspolitik wird von der Gliederung im Kapitel 4.7 ausgegangen. 9.6.1 Ordnungsrechtliche Instrumente Das Schaffen eines legislativen Rahmens gehört zu den wichtigsten Voraussetzungen für das Funktionieren der Tourismusbranche. Nur wenn eine bestimmte rechtliche Sicherheit besteht, sind die einheimischen sowie ausländischen Unternehmer bereit, in die touristische Entwicklung zu investieren, und nur falls es einen gewissen Schutz für Tourismusteilnehmer gibt, sind diese bereit, von den angebotenen Dienstleistungen im entsprechenden Mass Gebrauch zu machen. Durch die Ausgestaltung der Reisebestimmungen wie der Visum-, Pass- und Zollformalitäten schafft der Staat einen Raum für die Freizügigkeit seiner Bürger und beeinflusst damit den grenzüberschreitenden Tourismus. Mit der gesetzlichen Verankerung der Prinzipien der Unterstützung der Tourismusbranche wird ein Rahmen gebildet, an dem sich die Subjekte der Privatwirtschaft bei ihren Entscheidungen langfristig orientieren können. Mit dem Ziel, den privaten Unternehmern einen guten Start zu ermöglichen und ihnen einen relativ grossen Raum für ihre Aktivitäten zu lassen, wurden in Tschechien bereits am Anfang der Transformation die legislativen Bedingungen für die Ausübung der touristischen Gewerbe weitgehend liberalisiert. In der Branche, die sich nach vielen Jahren staatlicher Planung frei 643 Vgl. Kap. 8.5. 194 entfalten konnte, führte dies einerseits zum gewünschten Aufschwung, andererseits bestand aber kein Schutz vor den negativen Auswirkungen einer zu liberalen Ordnung. Nachdem im Jahr 1997 während der Konkurswelle von Reisebüros mehrere hundert Klienten einen Schaden erlitten, wurde der Handlungsbedarf, die zu legere Ordnung zu verschärfen und an die EU-Vorschriften anzupassen, immer grösser. Anfang 2002 tangierten den Tourismus mehrere rechtliche Erlasse – das einzige Gesetz, das sich aber ausschliesslich mit ihm befasste, war das Tourismusgesetz. Im April 2002 wurde vom Ministerium für Regionalentwicklung der Vorentwurf des Gesetzes über die Unterstützung des Tourismus vorgestellt, das die Grundzüge der staatlichen Tourismuspolitik festlegen soll. Ausserdem wurde in Zusammenarbeit mit dem Umweltministerium der Entwurf des Gesetzes über die Unterstützung der nachhaltigen Tourismusentwicklung vorbereitet. Auf die wichtigsten rechtlichen Erlasse, die tourismusrelevante Regelungen beinhalten, wird nachstehend eingegangen. Zu den weiteren Gesetzen, die für die Tourismusbranche von Bedeutung sind, gehören vor allem noch das Bürger-, Handels-, Steuer-, Mehrwertsteuer-, Zollund Versicherungsgesetz sowie das Gesetz über die Unterstützung von KMU. 9.6.1.1 Tourismusgesetz Das im Oktober 2000 in Kraft getretene Gesetz über bestimmte Bedingungen der Unternehmenstätigkeit in der Tourismusbranche wird oft als Tourismusgesetz bezeichnet. Obwohl dies nicht ganz seinem Inhalt entspricht, da es nur einen Teil der Tourismusproblematik regelt, bürgerte sich diese Bezeichnung wegen dem langen Titel in der Praxis ein. Die ersten Arbeiten am Gesetz begannen bereits im Jahr 1995. Durch das fehlende Interesse der staatlichen Organe am Schicksal der Tourismusbranche und durch den Wechsel des für den Fremdenverkehr verantwortlichen Ministeriums, verzögerte sich jedoch seine Vorbereitung.644 Erst 1997 nach den zahlreichen Konkursen von Reisebüros und mit dem daraufhin verlangten besseren Konsumentenschutz wurde der Prozess beschleunigt. Ursprünglich war vorgesehen, die touristischen Anliegen ganzheitlich zu regeln. Dafür gab es unter den veränderten Umständen aber keine Zeit mehr und deshalb wurde z.B. von einer Regelung der Reiseführertätigkeit und der verbindlichen Standards für die Unterkunftseinrichtungen abgesehen. Das Gesetz legt vor allem die Bedingungen für die Erteilung der Konzessionen für Reisebüros und die obligatorische Versicherung von den Reisen fest. Gleichzeitig wurden auch das Bürger- und Gewerbegesetz abgeändert – die Veränderungen betrafen die Bestimmungen über den Reisevertrag und die fachlichen Anforderungen für das Betreiben von Reisebüros und Reiseagenturen. Die Ausarbeitung des Tourismusgesetzes erfolgte im Einklang mit der Richtlinie der EU über Pauschalreisen (90/314/EWG), womit auch ein Schritt zur Annäherung des tschechischen Rechts an das Rechtssystem der EU getan wurde.645 9.6.1.2 Gewerbegesetz Das Gewerbegesetz regelt mit allgemeinen Vorschriften die Ausübung eines Gewerbes. Es betrifft auch die Tourismusbranche, da die Unternehmenstätigkeit im Tourismus im Sinne des Gesetzes ein Gewerbe ist. Als solches wird eine systematische Tätigkeit verstanden, die selb644 645 Vgl. Kap. 9.3.1. Vgl. Kommentar zum Tourismusgesetz, S. 1. 195 ständig, im eigenen Namen, auf eigene Verantwortung, zwecks Gewinnerzielung und unter den gesetzlich festgelegten Bedingungen betrieben wird. Bei der Ausübung jeder Art von Gewerbe müssen drei allgemeine Bedingungen – die Volljährigkeit, die Rechtsfähigkeit und die Unbescholtenheit – erfüllt werden. Die Gewerbe werden in melde- und konzessionspflichtige eingeteilt, wobei für die Ausübung von den erst genannten eine Anmeldung nach der Erfüllung gewisser Voraussetzungen genügt. Für Konzessionsgewerbe ist hingegen eine staatliche Konzession nötig. Zu den meldepflichtigen Gewerben gehören handwerkliche Gewerbe (Voraussetzung: erlernter Beruf), bedingte Gewerbe (Voraussetzung: fachliche Eignung) und freie Gewerbe (keine Fachkenntnisse vorausgesetzt).646 Die Gewerbe in der Tourismusbranche sind nach dem Kriterium der Unternehmenstätigkeit den Dienstleistungsgewerben zuzuteilen.647 Das Betreiben von einem Reisebüro gehörte von 1991 bis 1996 zum konzessionspflichtigen und von 1996 bis 2000 zum freien Gewerbe. Seit dem Inkrafttreten des Tourismusgesetzes ist es wieder in die Konzessionsgewerbe eingeteilt.648 Die Verpflegungsdienstleistungen gehören zu den handwerklichen Gewerben, die Unterkunftsdienstleistungen zu den freien Gewerben und die Reiseführertätigkeit sowie das Betreiben einer Reiseagentur fallen unter die bedingten Gewerbe.649 9.6.1.3 Gesetz über den Aufenthalt von Ausländern Im Januar 2000 trat das Gesetz über den Aufenthalt von Ausländern in Kraft, das u.a. die Voraussetzungen für die Einreise nach Tschechien regelt und damit auch den IncomingTourismus tangiert. Die Dokumente, mit welchen sich ein Ausländer an der Grenze vorweisen muss, werden in obligatorische und nicht-obligatorische eingeteilt. Zu den obligatorischen gehören der Reisepass und im Falle der Visumspflicht das Visum. Neu kann die Grenz- und Fremdenpolizei das Vorweisen von nicht-obligatorischen Dokumenten verlangen, die folgende Tatsachen belegen: das Vorhandensein finanzieller Mittel für die Aufenthaltsdauer (oder eine beglaubigte Einladung) sowie für die Rückreise (wenn eine begründete Befürchtung besteht, dass diese Kosten sonst Tschechien übernehmen müsste), den Abschluss einer Krankenund Unfallversicherung, das Vorhandensein einer Unterkunft und das Visum des Staates in den der Ausländer von Tschechien aus einreisen will (falls Visumspflicht besteht). Ausserdem kann das Ausfüllen einer mit der Fotografie versehenen Grenzbegleitkarte sowie weitere Angaben im Umfang eines Visumsgesuches verlangt werden.650 Die Verschärfung der Einreisebestimmungen löste in der Tourismusbranche eine Welle von Kritik aus, da vor allem am Anfang nicht klar war, von wem die Polizei die nichtobligatorischen Dokumente verlangen wird und von wem nicht. Die Regelungen wurden seitens der Unternehmer, die eine angemessene transparente Visumspolitik bevorzugt hätten, als unkonzeptionell, unberechenbar und konfus bezeichnet.651 Dazu beispielsweise Šeba: „Meine Pflicht ist es, dem ausländischen Partner zu sagen: Deine Kunden müssen zwei Fotos, die Bestätigung über eine Versicherung, den Nachweis über finanzielle Mittel etc. mit sich füh646 647 648 649 650 651 Vgl. Art. 2 ff. des Gewerbegesetzes. Vgl. Art. 33 ff. des Gewerbegesetzes. Die Voraussetzungen für das Erhalten einer Konzession wurden im Kap. 9.5.5.3 ausführlich diskutiert. Vgl. Beilage zum Gewerbegesetz. Die inhaltliche Festlegung der Tätigkeiten bei den einzelnen Gewerben regelt die Regierungsverordnung Nr. 469/2000 Sb. Vgl. Art. 5 des Gesetzes über den Aufenthalt von Ausländern. Vgl. Valášek (2000), S. 23 ff. 196 ren. Sie werden es wahrscheinlich nicht brauchen, aber ... Und er sagt mir darauf, dass er den Kongress oder das Symposium lieber anderswo organisieren wird.“652 Ebenfalls ist die Bestimmung, dass die nicht-obligatorischen Dokumente grundsätzlich „alle Ausländer, wenn nichts anderes festgelegt ist“653 vorzuweisen haben, problematisch. Der Grund dafür ist vor allem die weitgehende Auslegung des Gesetzes seitens des Innenministeriums, das in einem unveröffentlichten, mehrmals überarbeiteten Dokument die Länder nach einem nicht klaren Kriterium in Problem- und Nichtproblemstaaten einteilte, wobei auf Bürger aus problemlosen Ländern das Gesetz keine Wirkung haben sollte. Nach dem Prinzip „für jemanden wird es gelten und für jemanden nicht, wir sagen ihnen aber nicht für wen“ bestanden somit keine richtigen Anhaltspunkte, an denen sich die Reiseveranstalter und die ausländischen Besucher orientieren konnten.654 Pavlík befürchtet ausserdem auch einen internationalen Imageschaden: “Die ganze Welt ist offen und überall sind die Touristen willkommen. Nur wir sagen: Kommen sie nicht oder bereiten sie einen Haufen Dokumente vor.“655 Die Kritik der neuen Regelung wurde so laut, dass das Gesetz bis Mitte 2002 schon zwei Revisionen unterzogen wurde. 2001 wurde die Pflicht die Grenzbegleitkarte mit einem Foto zu versehen abgeschafft und die Visumsformalitäten vereinfacht.656 Dies war vor allem für die vielen Kurorteinrichtungen, die sich auf das Kundensegment aus der ehemaligen Sowjetunion spezialisierten, von Bedeutung. Ein Jahr später wurde bei der Angleichung an die EURechtsvorschriften festgelegt, dass die Bürger aus den EU-Ländern die Pflicht zum Vorweisen der nicht-obligatorischen Dokumente nicht betrifft.657 9.6.1.4 Vorentwurf des Gesetzes über die Unterstützung des Tourismus Die Ausarbeitung des Gesetzes, das die Grundzüge der staatlichen Tourismuspolitik regelt, wurde als eines der Ziele des überarbeiteten Konzeptes der staatlichen Tourismuspolitik festgelegt. Im Jahr 2002 wurde vom Ministerium für Regionalentwicklung der Vorentwurf des Gesetzes präsentiert. Im ersten Teil wird der Fremdenverkehr als ein strategischer Wirtschafszweig definiert, der in der Volkswirtschaft eine wichtige Position einnimmt. Mit dieser definitorischen Abgrenzung wollte man nicht nur die Förderungswürdigkeit des Tourismus legitimieren, sondern auch die Debatte, ob er ein Wirtschaftszweig ist oder nicht, beenden. Im zweiten Teil wird die Aufteilung der tourismuspolitischen Kompetenzen unter den staatlichen Organen auf verschiedenen Ebenen vorgenommen und die Grundzüge ihrer Zusammenarbeit mit den privaten Organisationen festgelegt. Der dritte Teil handelt von der strategischen Planung der Tourismusentwicklung und der Ausarbeitung der Tourismuskonzepte für das gesamte Staatsgebiet sowie für einzelne Bezirke, NUTS II und Gemeinden. Diese Regelung statuiert somit eine klare Verantwortung für die Förderung des regionalen Tourismusaufkommens. Im vierten Teil folgen die Bestimmungen über die Erfassung und Benützung der statistischen Daten. Es werden insbesondere die Pflichten der privaten Subjekte zur Ablieferung von relevanten Unterlagen, die Bildung des Satellitenkontos und die Verantwortung für den ganzen Prozess festgelegt. Im 652 653 654 655 656 657 Šeba in Borovička (2000), S. 19 (Übersetzung der Verfasserin). Art. 5 des Gesetzes über den Aufenthalt von Ausländern (Übersetzung der Verfasserin). Vgl. Hodíková (2000), S. 11 f. Pavlík in Janík (2000), S. 2 (Übersetzung der Verfasserin). Vgl. Art. 1 ff. der revidierten Fassung des Gesetzes über den Aufenthalt von Ausländern von 2001. Vgl. Art. 8 der revidierten Fassung des Gesetzes über den Aufenthalt von Ausländern von 2002. 197 letzten Teil werden die Prinzipien der staatlichen Unterstützung der Tourismusbranche und der Methodik zur Berechnung des entsprechenden Beitrages festgelegt.658 Es handelt sich um die erste gesetzliche Grundlage, welche die Förderungswürdigkeit der Tourismusbranche nicht in Frage stellt und sie rechtlich verankert. Die Bestimmungen verdeutlichen, dass die tschechische Tourismusbranche in eine Phase der konzeptionell ausgestalteten Tourismuspolitik eingetreten ist. 9.6.1.5 Entwurf des Gesetzes über die Unterstützung der nachhaltigen Tourismusentwicklung Das Ziel des Gesetzes über die Unterstützung der nachhaltigen Tourismusentwicklung ist es, einen Beitrag zu einem ausgeglichenen nachhaltigen Wachstum zu leisten. Seine Bestimmungen betreffen vor allem die lokale Ebene. Damit eine Gemeinde staatliche Subventionen zur Finanzierung der touristischen Aktivitäten erhält, muss sie ein Programm ausarbeiten, in welchem sie die Kapazitätsgrenzen für das zukünftige Aufkommen des Tourismus festlegt. Ausserdem muss sie regelmässig statistische Daten erheben, diese mit den festgelegten Kennzahlen vergleichen und bei Überschreitungen ihrer Grenzwerte die nötigen Massnahmen in die Wege leiten. Aufgrund der erzielten Ergebnisse werden die Gemeinden von den Bezirksbehörden in touristische Klassen eingeteilt. Diese Eingliederung gilt als Ausgangspunkt für die Bestimmung der Höhe des staatlichen Beitrages. Zusätzlich können die Gemeinden beim Ministerium für Regionalentwicklung ein Zertifikat beantragen, das die Nachhaltigkeit der Tourismusentwicklung auf ihrem Gebiet bestätigt.659 Das Gesetz stellt durch die Integration der ökologischen Aspekte in die Planung der Gemeinden einen wichtigen Schritt dar. Bis zu seinem Entwurf gab es in Tschechien keine gesetzliche Grundlage, die sich mit den negativen Auswirkungen des Fremdenverkehrs auf die Umwelt befasste. Bei der Vorbereitung des Gesetzes wurden vor allem die Erfahrungen aus dem Oberösterreich berücksichtigt und es wurde darauf geachtet, dass das neue Gesetz mit den EU-Vorschriften rechtskonform ist. 9.6.2 Fiskalische Instrumente Über die Erhebung von Steuern und Abgaben auf touristische Dienstleistungen sowie durch die Ausgestaltung des ganzen Steuersystems können die staatlichen Organe die Entwicklung auf dem Tourismusmarkt ebenfalls beeinflussen. Der Staat kann beispielsweise durch die Festlegung eines niedrigeren Steuersatzes die Investitionstätigkeit in der Branche fördern, die Schaffung von nachhaltigen Produkten begünstigen oder das Aufkommen von bestimmten Tourismusarten unterstützen. Im Jahr 1997 betrug der Beitrag der tschechischen Tourismusbranche an das staatliche Budget etwa 4%, was 7 Mrd. Kč entsprach. Die grössten Einnahmen in Höhe von 117.6 Mrd. Kč (67%) wurden durch die seit 1993 erhobene Mehrwertsteuer erzielt.660 Die Tourismuswirtschaft wurde im Vergleich zu anderen Branchen von der hoch angesetzten Mehrwertsteuer stark betroffen. Von dem 22% Satz auf die Unterkunfts- und Verpflegungsdienstleistungen 658 659 660 Vgl. Vorentwurf des Gesetzes über die Unterstützung des Tourismus. Vgl. Art. 3 ff. des Entwurfes des Gesetzes über die Unterstützung der nachhaltigen Tourismusentwicklung. Vgl. Vitáková (2000a), S. 42. Aktuellere Angaben waren Anfang 2003 noch nicht vorhanden. 198 wurde nur das Kurortwesen befreit und für die Kinderaufenthalte wurden 5% erhoben.661 Das Gastgewerbe lieferte in die Staatskasse mit Abstand den höchsten Nettosteuerbetrag – die Unternehmer bezahlten dem Staat 17% ihres Umsatzes, da die eingekauften Esswaren mit 5%, die verkauften Gerichte aber mit 22% besteuert wurden. Im Jahr 1998 gehörte Tschechien zu den europäischen Ländern mit der höchsten Mehrwertsteuer auf Unterkunfts- und Verpflegungsdienstleistungen überhaupt (vgl. Tabelle 32). Dies verzehrte nicht nur die Konkurrenz zwischen den Zahlern und Nichtzahlern der Mehrwertsteuer, sondern erschwerte ebenfalls die Investitionen in die Modernisierung der Suprastruktur.662 Land Dänemark Tschechien Grossbritannien Deutschland Ungarn Italien Österreich Griechenland Spanien Frankreich Schweiz Mehrwertsteuer 1998 (in %) Unterkunft 25.0 22.0 17.5 16.0 12.0 10.0 10.0 8.0 7.0 5.5 3.0 Verpflegung 25.0 22.0 17.5 16.0 12.0 10.0 10.0 8.0 7.0 20.6 6.5 Tabelle 32: Mehrwertsteuer auf Unterkunfts- und Verpflegungsdienstleistungen (1998)663 Der erste Schritt, der die Senkung der Mehrwertsteuer von 22% auf 5% in die Wege leitete, war die Einarbeitung dieses Anliegen in das Konzept der staatlichen Tourismuspolitik. Obwohl die Regierung diesen Vorschlag unterstützte, stimmte ihm das Parlament 1999 nicht zu, womit die Unterkunfts- und Verpflegungsdienstleistungen weiterhin mit 22% besteuert wurden. Erst in der nächsten Revision des Mehrwertsteuergesetzes im Jahr 2000 gelang es, den Steuersatz (mit Ausnahme des Verkaufs der Alkohol- und Tabakerzeugnisse) zu reduzieren. Ausserdem können die ausländischen Besucher seitdem die Mehrwertsteuer für die gekauften Waren an der Grenze zurückverlangen, wie dies auch in anderen EU-Ländern üblich ist.664 Die Freude der Tourismusbranche über diese Veränderung währte aber nicht lange. Sollte nichts anderes vertraglich festgehalten werden, wird nach Tschechiens Beitritt zur EU im Jahr 2004 der Steuersatz für die Verpflegungsdienstleistungen wieder angehoben. Die Verhandlungen der tschechischen Delegation, die „wohl vergessen hatte“ den reduzierten Satz des Art. 28 der 6. EU-Richtlinie, in dessen Genuss acht EU-Länder und fünf Kandidaten-Länder kommen,665 zu beantragen, führte zu einer Reihe von Protesten. Befürchtet werden vor allem die Verminderung von Investitionen, die Verschlechterung der Konkurrenzfähigkeit, das Ver- 661 662 663 664 665 Vgl. Beilage zum Mehrwertsteuergesetz. Vgl. Mlejnková (2000), S. 130; Psyma (2000), S. 24. In Anlehnung an McMahon (1999), S. 23. Vgl. Art. 45 lit. d des Mehrwertsteuergesetzes; Beilage zum Mehrwertsteuergesetz. Es handelt sich um folgende Länder: Österreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxembourg, Niederlande, Portugal, Spanien, Polen, Ungarn, Zypern, Slovenien und die Slowakei. (Vgl. Luprichová [2002], S. 46). 199 schwinden von preisgünstigen Gaststätten und der Verlust von Arbeitsplätzen.666 Die Belassung der Verpflegung in der Kategorie mit dem reduzierten Mehrwertsteuersatz steht deshalb auf der Aufgabenliste des tschechischen Gastgewerbes momentan an erster Stelle. Ein weiteres Anliegen, das die Tourismusbranche beachtlich tangiert, stellt die allgemeine Steuerumverteilung dar. Bis 2001 galt in der Tschechischen Republik der Grundsatz, dass die Steuern am Sitz des Unternehmens und nicht am Ort der tatsächlichen Unternehmenstätigkeit geschuldet werden. Dies führte (vor allem wegen der geringeren Häufigkeit der staatlichen Finanzkontrollen) zur Konzentration der Unternehmenssitze in die grösseren Agglomerationen und folglich dazu, dass die kleineren Gemeinden nur über wenige finanzielle Mittel aus dem Fremdenverkehr verfügten und keine Anreize zu seiner Förderung hatten. Im Jahr 1997 ereichten die tourismusbedingten Einnahmen der lokalen Budgets 3-3.5 Mrd. Kč; reinvestiert in die Tourismusentwicklung wurden aber nur 76.9 Mio. Kč, was ca. 4% der Einnahmen entsprach.667 Im Konzept der staatlichen Tourismuspolitik wurde nach dem österreichischen Muster vorgeschlagen, dass die Steuereinnahmen aus dem Tourismus in die Budgets der Gemeinden, wo sie generiert wurden, fliessen sollten. Stattdessen beschloss die tschechische Regierung im Jahr 2000 jedoch ein anderes Umverteilungssystem, aufgrund dessen zurzeit die Steuereinnahmen auf die Gemeinden nach der Einwohnerzahl verteilt werden. Das System benachteiligt weiterhin vor allem kleinere Tourismusorte, in denen nur wenige Einwohner einen dauerhaften Wohnort haben.668 Eine zukunftsträchtige Lösung wird erst im Zusammenhang mit der Klärung der Finanzierung der Tätigkeiten von den Bezirksbehörden, in deren Kompetenzen auch die Unterstützung des regionalen Tourismusaufkommens liegt, erwartet. 9.6.3 Finanzielle Förderungsinstrumente Durch den Einsatz von Förderungsmitteln greift der Staat ebenfalls in die Tourismusentwicklung ein. Wie bereits im Kapitel 4.2 dargestellt, kommen ihm bei der Unterstützung der touristischen Aktivitäten je nach herrschendem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, der allgemeinen wirtschaftlichen Lage und der Lebenszyklusphase der Tourismusbranche eines bestimmten Landes verschiedene Aufgaben zu. In der Tschechoslowakei war der Staat vor dem Systemwechsel als Eigentümer der touristischen Infra- und Suprastruktur für die Steuerung und Förderung der Tourismusentwicklung allein verantwortlich.669 Nach der Wende zog er sich aus der aktiven Tourismuspolitik stark zurück und baute die finanzielle Unterstützung im grossen Mass ab. Auf der Nachfrageseite betraf dies vor allem den gebundenen Tourismus und den Kurorttourismus, auf der Angebotsseite widerspiegelte sich die Absenz des Staates insbesondere in der mangelnden Förderung der KMU, den fehlenden Investitionen in die öffentliche Infrastruktur und in den unzureichenden Werbemassnahmen im Ausland.670 Wie wenig die Tourismusbranche von der öffentlichen Hand unterstützt wurde, beweisen die in der Tabelle 31 aufgeführten Beiträge für die Tätigkeit der Tourismuszentrale sowie die Absenz eines Tourismusfonds. Im Jahr 1998 wurde der Tourismus vom staatlichen Budget nur mit 183.7 Mio. Kč, 1999 mit 188.8 Mio. Kč und 666 667 668 669 670 Vgl. Dort (2002), S. 64; Luprichová (2002), S. 46 f. Vgl. Vitáková (2000a), S. 42; Mag Consulting (2000d), S. 42. Vgl. Vítek (2001), S. 71 ff. Vgl. Kap. 8.5. Vgl. Kap. 9.2.2. 200 2000 mit 170.4 Mio. Kč unterstützt.671 Ein anderes Transformationsland wie Ungarn förderte beispielsweise im Jahr 2000 seine Tourismusbranche mit 38 Mio. USD,672 was ca. 1’267 Mio. Kč entspricht und die tschechische Hilfe um mehr als das siebenfache übersteigt. Ausserdem wurde in Ungarn bereits 1995 ein Gesetz über die Finanzierung der Tourismusentwicklung angenommen und ein Tourismusfonds gegründet. Aufgrund dieser Regelung sind die Unternehmen der Tourismusbranche verpflichtet, 1% ihres Jahresumsatzes zur Finanzierung der Aktivitäten der Tourismuszentrale beizusteuern.673 Ähnlich wurde die Situation im Nachbarstaat Österreich gelöst, wo aufgrund der einzelnen Landesgesetze die Unternehmer aufgrund der Höhe des ökonomischen Nutzens vom Tourismus ebenfalls verpflichtet sind, zur Unterstützung des Fremdenverkehrs beizutragen.674 Nachdem die tschechische Tourismuswirtschaft 1997 in eine Stagnation geraten war, wurde ein verstärkter staatlicher Einsatz verlangt, da die Privatsubjekte unter den veränderten Bedingungen nicht mehr fähig waren, das Tempo der Tourismusentwicklung aus eigener Kraft beizubehalten. Die Erhöhung der staatlichen Hilfe gab Anlass zu vielen politischen Diskussionen. 1999 beauftragte die Regierung das Ministerium für Regionalentwicklung und das Finanzministerium mit der Ausarbeitung der gesetzlichen Vorlage zur Schaffung eines Fonds zur Unterstützung der Tourismusentwicklung. Es war vorgesehen, dass sein Funktionieren von etwa drei Mitarbeitern des Ministeriums für Regionalentwicklung sichergestellt wird. Als Einnahmequellen hätten vor allem die staatlichen Beiträge von Deviseneinnahmen aus dem grenzüberschreitenden Tourismus, Übernachtungstaxen, Beiträge aus der Herstellung von Ansichtskarten und Souvenirs sowie Gebühren aus Geldwechsel dienen sollen. Im ersten Jahr wurde mit ca. 242 Mio. Kronen gerechnet.675 Die Mittel wollte man für zinslose Darlehen und Subventionen an KMU, touristische Verbände und Gemeinden zur Finanzierung von Tourismusprojekten einsetzen. Die Vorteile eines staatlichen Fonds wurden in der Transparenz der Kredit- und Subventionspolitik sowie in erhöhter Akzeptanz und grösserem Vertrauen seitens der Privatwirtschaft gesehen. Nach langen Verhandlungen stimmte die Regierung jedoch 2000 der Errichtung des Tourismusfonds nicht zu. Begründet wurde dies mit der gleichzeitigen Bildung von Wohn- und Verkehrsfonds, die als wichtiger eingestuft wurden, und dem daraus resultierenden Mangel an finanziellen Mitteln für die Startphase des Tourismusfonds.676 Nachdem die Gründung des Tourismusfonds nicht gelungen war, lancierte das Ministerium für Regionalentwicklung ein einjähriges Programm zur Unterstützung des Tourismus. Im Jahr 2001 war es auf das Kurortwesen ausgerichtet. Das erste Unterprogramm wurde für die 34 Gemeinden mit dem Status eines Kurortes bestimmt. Gefördert wurden mit bis zu 50% der Gesamtkosten der Ausbau und die Pflege der öffentlichen Infrastruktur. Das zweite Unterprogramm verfolgte das gleiche Ziel, es beschränkte sich aber nicht nur auf öffentliche Einrichtungen. Das dritte Unterprogramm unterstützte die Erweiterung der Privatunterkünfte – für ein neues Bett konnten bis zu 20’000 Kronen beansprucht werden. Das vierte Unterprogramm wurde für die Schaffung von neuen Tourismusprodukten bestimmt, wofür finanzielle Mittel 671 672 673 674 675 676 Vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (2002d), S. VII. Vgl. Dohnalová (2000), S. 67. Vgl. Vitáková (2000), S. 23. Vgl. Mag Consulting (1998), S. 23 ff. Vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (1999), S. 25. Vgl. Syrůček (2000), S. 14. 201 von bis zu 50% der geplanten Kosten beantragt werden konnten.677 Alle Projekte mussten einen Beitrag zur Verbesserung der Tourismusdienstleistungen, zur Schaffung neuer Arbeitsplätze oder zur Beratungs-, Informations- und Bildungstätigkeit leisten und ausserdem waren die regionale Entwicklung und die Umweltverträglichkeit zu berücksichtigen.678 Insgesamt wurden 178 Subventionen in der Höhe von 269.6 Mio. Kronen erteilt, die weitere Investitionen in die Tourismusentwicklung seitens der Gemeinden und der Privatwirtschaft hervorriefen (vgl. Tabelle 33). Es wird erwartet, dass in Folge der durchgeführten Massnahmen etwa 360 neue Arbeitsplätze geschaffen, die Kurorte jährlich von 1’000 Besuchern mehr aufgesucht und die Deviseneinnahmen um 2 Mio. USD ansteigen werden.679 Im Jahr 2002 wurde das Unterstützungsprogramm weiterhin auf das Kurortwesen und neuerdings auf den Aufbau und die Modernisierung der Infrastruktur für den Sporttourismus ausgerichtet. Bis Mitte des Jahres wurden für die 136 Subventionen aus dem staatlichen Budget 200 Mio. Kronen gewährt.680 Finanzmittel für das Unterstützungsprogramm für den Tourismus (2001) Finanzmittel (in Mio. Kč) Programm Zahl der Projekte Staat Gemeinden Private Total 1 2 3 4 Total 106 30 33 9 178 147.7 107.3 4.9 9.7 269.6 182.7 -- ---- 212 10.6 9.8 232.4 330.4 319.3 15.5 19.5 684.7 182.7 Tabelle 33: Finanzmittel für das Unterstützungsprogramm für den Tourismus (2001)681 Mit Hilfe von staatlichen Mitteln wurden ausser den oben erwähnten Unterstützungsprogrammen auch andere Aktivitäten in der Branche gefördert, deren Realisierung sonst nicht möglich wäre. Wie sich bereits aus den vorangegangenen Kapiteln ergibt, werden gesamtstaatlich z.B. die Tätigkeit der Tschechischen Tourismuszentrale, der Aufbau eines integrierten touristischen Informationssystems und die Erstellung eines Satellitenkontos vom Staat finanziert.682 Ausserdem kann die tschechische Tourismuswirtschaft aufgrund der EU-Beitrittskandidatur von einer überstaatlichen Vorbeitrittshilfe im Rahmen von verschiedenen Programmen der EU profitieren.683 Über die Förderung der regionalen Tourismusentwicklung durch die Kreisbehörden in den Jahren 1995-1999 gibt die Tabelle 34 Auskunft. Obwohl die Unterstützung der Tourismusentwicklung in dieser Periode gesetzlich nicht verankert wurde, konnte man eine steigende Tendenz beobachten. Dies war ausser der allgemeinen inflationären Entwicklung wohl den Bemühungen der einzelnen Bezirke, die fallenden Touristenzahlen wieder anzuheben, zuzu- 677 678 679 680 681 682 683 Ausführlich zu den einzelnen Voraussetzungen vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (2001), S. 1 f. Vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (2001d), S. 1 ff. Vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (2002b), S. 6. Vgl. http://www.mmr.cz/index.html (Stand am 5.10.2002). In Anlehnung an o.V. (2002), S. 30. Vgl. Kap. 9.5.1, 9.5.2 und 9.5.3. Vgl. Kap. 9.7.3. 202 rechnen. Über die Finanzierung der touristischen Aktivitäten durch die im Jahr 2000 neu entstandenen Bezirksbehörden gab es Ende 2002 noch keine statistisch fundierten Angaben. Förderung der regionalen Tourismusentwicklung (in Mio. Kč) Jahr/Region Prag Mittelböhmen Südböhmen Westböhmen Nordböhmen Ostböhmen Südmähren Nordmähren Total 1995 17.0 4.0 3.8 20.2 5.4 4.8 21.8 4.5 81.5 1996 24.0 3.6 4.6 7.2 5.4 4.9 23.5 5.8 79.0 1997 22 4.0 4.6 5.3 4.2 6.0 25.2 5.6 76.9 1998 24.9 4.4 5.3 6.5 6.8 6.0 28.3 6.1 88.3 1999 20.4 4.5 6.7 19.0 7.6 10.6 28.8 24.9 122.5 Tabelle 34: Förderung der regionalen Tourismusentwicklung (1995-1999)684 Trotz den erwähnten Massnahmen ist die staatliche Förderung der Tourismusbranche in der Tschechischen Republik, wie gezeigt, im Vergleich zu anderen Industrie- und auch Transformationsländern gering. Die Unterstützung der KMU ist ungenügend und die Tourismuszentrale ist nicht im Stande, eine wirksame Werbung durchzuführen. Der Forschung und der Ausbildung wird ebenfalls nicht viel Aufmerksamkeit gewidmet. Es besteht kein Tourismusfonds und das einjährige Unterstützungsprogramm stellt mit sehr beschränkten Mitteln keine zukunftsträchtige Lösung dar. Ein staatliches Finanzierungssystem muss auf klaren, objektiven und stabilen Regelungen basieren, an denen sich alle Subjekte der Branche orientieren und sie in ihren langfristigen Strategien berücksichtigen können. Was der Staat in den Fremdenverkehr investiert, ist nach Ansicht von Vertretern der verschiedenen Berufsverbände „wie ein Tropfen auf den heissen Stein“685. Dies trotz dem Wissen, dass sich die staatlichen Mittel, die für die Unterstützung des Fremdenverkehrs benützt werden, viel schneller auszahlen als in anderen Wirtschaftsbereichen. Im Jahr 1997 brachte nach Berechnungen des Ministeriums für Regionalentwicklung eine Krone, die der Staat in die Tourismusentwicklung investierte, 180 Kronen in Form von Deviseneinnahmen zurück.686 9.6.4 Übrige Instrumente Die staatlichen Organe können ausser den soeben detailliert erörterten Instrumenten auf eine Reihe von weiteren Massnahmen zugreifen, mit deren Hilfe sie die Tourismusentwicklung in die gewünschte Richtung lenken. Die an dieser Stelle kurz skizzierten Massnahmen gehören nicht zu den tragenden Säulen der tschechischen Tourismuspolitik und sind für sie deshalb eher von untergeordneter Bedeutung. Auf die bereits diskutierten bildungspolitischen und konstitutiven Instrumente wird nicht mehr näher eingegangen.687 684 685 686 687 In Anlehnung an Mag Consulting (2000d), S. 42. Interviews an der Ferienmesse in Prag (2000). Vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (1999), S. 19. Vgl. Kap. 9.3.1 und 9.5.4. 203 • Umweltinstrumente: Die umweltfreundliche und nachhaltige Gestaltung von Tourismusprodukten kann der Staat mit Hilfe von verschiedenen Mitteln unterstützen. In Tschechien sollten die Anreize neuerdings vor allem vom Gesetz über die Unterstützung der nachhaltigen Tourismusentwicklung ausgehen. Wie aus dem Kapitel 9.6.1.5 hervorgeht, können die staatlichen Beiträge für die Finanzierung der touristischen Projekte nur diejenigen Gemeinden erhalten, welche dabei die Prinzipien der Nachhaltigkeit berücksichtigen. Das gleiche gilt für die Erteilung eines Zertifikates, welches die Nachhaltigkeit auf ihrem Gebiet belegt. • Informatorische Instrumente: Auf den Verhaltenswandel bei Konsumenten und Anbietern von touristischen Dienstleistungen zielen informatorische Instrumente. Als Beispiel für die Anhebung des Interesses am regionalen Tourismus kann der im Jahr 2002 gestartete Vortragszyklus „Regionale Tage“ der Tschechischen Tourismuszentrale genant werden. In seinem Rahmen werden dem interessierten Publikum die einzelnen Regionen mit ihrem Angebot vorgestellt. • Partizipatorische Instrumente: Mit dem Einsatz von partizipatorischen Instrumenten versuchen die staatlichen Organe vor allem auf der lokalen Ebene alle vom Fremdenverkehr Betroffenen an den touristischen Projekten zu beteiligen und sie für die touristischen Angelegenheiten zu sensibilisieren. Im Zusammenhang mit der neuen regionalen Aufteilung des Landes und der Stärkung der tourismuspolitischen Kompetenzen auf der dezentralen Ebene688 ist anzunehmen, dass diese Massnahmen in Zukunft an Wichtigkeit gewinnen werden. • Forschung: Mit der Unterstützung der Forschung kann ein bedeutender Beitrag zur Überwindung bestehender Probleme der Tourismusbranche geleistet werden. In Tschechien gibt es gegenwärtig keine staatliche Stelle, die sich mit der Forschung auf dem Tourismusgebiet beschäftigt. Vereinzelte Daten werden vom Tschechischen Statistischen Amt, von der Tourismuszentrale sowie von verschiedenen privaten Marketingunternehmen gesammelt und ausgewertet. Zur Sicherung einer kontinuierlichen Forschung, die der Tourismuspolitik unverfälschte und aussagefähige Grundlagen für ihre Entscheidungen liefert, genügt dies keinesfalls.689 Deshalb wäre es sinnvoll, die Gründung einer staatlichen Forschungsstelle in Betracht zu ziehen. Im Weiteren kann der Staat die Tourismusströme durch eine gestaffelte Ferienregelung oder die Durchsetzung von Devisen-, Grenz- und Gesundheitsvorschriften lenken. Wegen der internationalen Verflechtung des Fremdenverkehrs beschäftigen diese Fragen vermehrt auch die internationalen Staatsgemeinschaften.690 Dabei steht gegenwärtig vor allem wegen der Gefahr der Terroranschläge die Gewährleistung der Sicherheit der Besucher an oberster Stelle in der Agenda der internationalen Zusammenarbeit. Beachtliche Aufmerksamkeit wird auch der Förderung der nachhaltigen Tourismusentwicklung geschenkt. Wie aus dem Kapitel 4.7 hervorgeht, gibt es ausser den erwähnten direkten Instrumenten, die hauptsächlich aus dem Fremdenverkehr heraus begründet werden, auch eine ganze Reihe von indirekten Massnahmen, die den Tourismus massgeblich tangieren. Dies ergibt sich aufgrund 688 689 690 Vgl. Kap. 5.3. Vgl. Kap. 9.5.3. Vgl. Greuter (2000), S. 210. 204 seiner engen Vernetzung mit anderen Branchen. Indirekte Massnahmen findet man zum Beispiel in der Verkehrs-, Raumplanungs-, Ausländer-, Regional- und Umweltpolitik.691 Die Tourismusbranche wird auch von jenen Massnahmen betroffen, welche die allgemeinen Bedingungen für alle Wirtschaftssubjekte festlegen, wie etwa die Konjunktur-, Währungs-, Geld-, Wettbewerbs-, Steuer-, Sozial-, Arbeits- und Landwirtschaftspolitik. Ihr Einfluss auf den Fremdenverkehr bleibt in Tschechien aber nach wie vor meistens unberücksichtigt. Dies wird unter anderem aus dem Konzept der staatlichen Tourismuspolitik und aus dem operativen Sektorprogramm für den Tourismus, die fast nur direkte Massnahmen beinhalten, ersichtlich. Eine Ausnahme bildet die Umweltpolitik, deren Aspekte in die revidierten Fassungen der beiden Dokumente im Jahr 2001 integriert wurden. Andere indirekte Instrumente wurden weiterhin nicht berücksichtigt. Dies obwohl es bei den eingesetzten Mitteln besonderes wichtig ist, dass sie aufeinander abgestimmt sind, sich nicht gegenseitig ausschliessen oder in ihrer Wirkung überschneiden. Auch die Zusammenarbeit der Ministerien in den Fragen des Tourismus ist schwach entwickelt und deshalb finden die touristischen Anliegen in anderen Bereichen der Politik ebenfalls nur wenig Beachtung. Der Versuch, dies durch die Gründung einer Kommission für Zusammenarbeit zu ändern, ist nach einem Jahr gescheitert.692 Eine detaillierte Untersuchung der beschriebenen indirekten Instrumente der Tourismuspolitik würde den Rahmen der vorliegenden Dissertation um ein mehrfaches sprengen. Aus diesem Grund kann sie an dieser Stelle nicht vorangetrieben werden und muss Gegenstand weiterer Forschungsarbeiten bleiben. 9.7 Tschechien und die EU-Tourismuspolitik Der im Kapitel 5.8 erörterte Abschluss des Europaabkommens und der kommende EU-Beitritt brachten für die Tschechische Republik mehrere Verpflichtungen mit sich, die auch den Tourismus betreffen. Da die EU aber im Fremdenverkehr über keine vertraglich festgelegten Kompetenzen verfügt, ist ihr Einfluss auf einzelne Staaten nicht so gross wie bei anderen Politikbereichen. Auf die wichtigsten Prinzipien der EU-Tourismuspolitik sowie auf einige Aktivitäten der Gemeinschaft im Tourismusbereich wird nachstehend eingegangen. Anschliessend werden die in Tschechien eingeleiteten Massnahmen und die Auswirkungen des EUBeitrittes auf die Tourismusbranche diskutiert sowie die Möglichkeiten einer finanziellen Unterstützung der touristischen Projekte durch die EU skizziert. 9.7.1 Prinzipien und Aktivitäten der EU-Tourismuspolitik Wie bereits erwähnt, verfügt die EU über keine vertraglich festgelegten tourismuspolitischen Kompetenzen. Im Vertrag von Maastricht wurde der Tourismus einerseits zwar als Tätigkeitsbereich der Gemeinschaft genannt, andererseits wurde ihm aber kein eigener Titel und damit keine eigene Rechtsgrundlage, aufgrund welcher die Gemeinschaft aktiv werden könnte, zugewiesen.693 So stützen sich die touristischen Aktivitäten der EU auf die Rechtsgrundlagen aus anderen Bereichen wie der Umweltpolitik oder auf den Lückenschliessungsartikel 308 des EG-Vertrages. Danach kann der Ministerrat einstimmig eine entsprechende Vor691 692 693 Vgl. Kap. 5.2, 9.4.2, 9.6.1.3 und 9.6.1.5. Vgl. Kap. 9.3.1. Vgl. Art. 3 lit. u des EG-Vertrages. 205 schrift erlassen, wenn die Union in einem Bereich tätig werden müsste, für den sie sonst keine Befugnis hätte.694 Auf der Basis dieser Generalermächtigung wurde z.B. der Aktionsplan zur Förderung des Tourismus für die Jahre 1993-1995 erlassen. Ohne eigentliche Kompetenz übt die EU dennoch zunehmend Einfluss auf den internationalen Tourismus und die nationalen Tourismuspolitiken aus – zum Teil durch gezielte Massnahmen wie dem Erlass der Pauschalreiserichtlinie und zum Teil durch tourismuspolitisch folgenreiche Massnahmen wie dem Erlass von Umweltrichtlinien, der Liberalisierung des Flugverkehrs und der Gestaltung von diversen Förderprogrammen. Während der laufenden Diskussion zeichnet sich jedoch ab, dass solch eine Kompetenzausweitung unter den Mitgliedstaaten durchaus umstritten ist. Die klassischen Ferienländer Südeuropas würden weitergehende Aktivitäten begrüssen, die anderen Staaten nehmen aber mit dem Hinweis auf das Subsidiaritätsprinzip eine eher ablehnende Haltung ein. Nach diesem Prinzip soll die EU in Bereichen, die nicht in ihre ausschliessliche Zuständigkeit fallen, nur dann aktiv werden, wenn die Mitgliedstaaten selbst nicht in der Lage sind, Lösungen zu finden und wenn diese besser auf Unionsebene gefunden werden können.695 Aus diesem Grund sind auch die meisten Tourismusregelungen in Form von Richtlinien gekleidet, die nicht unmittelbar in den Mitgliedstaaten gelten, sondern diese verpflichten, bestimmte Regelungen binnen festgelegter Frist in nationales Recht umzusetzen.696 Der Erlass zahlreicher Richtlinien, die sich mit dem Fremdenverkehr befassen, beweist, dass die EU auf legislativer Ebene sehr aktiv ist. Zu ihren anderen bedeutenden Aktivitäten gehörten beispielsweise folgende: 694 695 696 697 698 699 • Europäisches Jahr des Tourismus: Mit der Erklärung des Jahres 1990 zum Europäischen Jahr des Tourismus bot sich der EU die Gelegenheit, die wirtschaftliche und soziale Funktion des Tourismus deutlich zu machen und die Kooperation zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor zu fördern. Als Hauptziel wurde die Verstärkung der Integrationsrolle des Fremdenverkehrs für die zukünftige europäische Entwicklung verfolgt.697 Ob das Ziel erreicht wurde, wird unterschiedlich bewertet. Nach Aussage von Mundt „blieb dieses Jahr den meisten Menschen Europas eher verborgen, weil es von der Kommission weder vernünftig vorbereitet, noch auch von entsprechenden Ereignissen begleitet war.“698 Nach Malá war das Jahr aber erfolgreich: „Es hat nicht nur das gesamteuropäische Interesse am Tourismus geweckt, sondern auch die Zusammenarbeit und Kontakte zwischen den staatlichen Organen und zwischen den Unternehmen der Branche vertieft.“699 • Aktionsplan zur Förderung des Tourismus: Der Aktionsplan zur Förderung des Tourismus in den Jahren 1993-1995 verstärkte und erweiterte die bisherigen Aktivitäten der Gemeinschaft. Er enthielt die ersten Lösungsansätze für kurz- und mittelfristige Probleme des europäischen Tourismus und gab den Rahmen für direkte Massnahmen der Gemeinschaft zur Förderung des Fremdenverkehrs vor. Konkret handelte es sich um Entflechtung der Ferientermine, Ausbau der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, Verbesserung des Verbraucherschutzes, Unterstützung des Kultur-, Sozial-, Ju- Vgl. Art 308 des EG-Vertrages; Petermann (1998), S. 151. Vgl. Art. 5 des EG-Vertrages; Kahleborn/Kraack/Carius (1999), S. 50; Petermann (1998), S. 151. Vgl. Mundt (1998), S. 440; Kres (1997), S. 54. Vgl. Malá (2000), S. 15. Mundt (1998), S. 440. Malá (2000), S. 15 (Übersetzung der Verfasserin). 206 gend- und Agrotourismus sowie umweltfreundlicher Tourismusentwicklung, Koordination der Tourismuspolitik und gemeinsamer Werbemassnahmen, Optimierung der Ausbildung, Verbesserung des Informationstandes über die Branche und Vereinheitlichung der Statistik.700 Die Evaluation des Aktionsplans durch PriceWaterhouseCoopers förderte aber gravierende Mängel zu Tage. Der erstellte Bericht bewertete den Aktionsplan als Flickwerk verschiedener Initiativen, die insgesamt keinen Zusammenhang aufweisen.701 Die Europäische Kommission beurteilte den Plan trotz seines experimentellen Charakters und bestimmter Schwächen aber insgesamt als positiv, vor allem da es mit ihm gelang, Beziehungen zwischen Kommissionsdienststellen, Mitgliedstaaten und anderen Beteiligten auf regionaler und sektoraler Ebene zu knüpfen und den Weg für Partnerschaften mit der Tourismuswirtschaft zu ebnen. Darüber hinaus konnte festgestellt werden, welche Art von Massnahmen für die zukünftige Förderung des Fremdenverkehrs geeignet ist.702 700 701 702 703 • Grünbuch zum Tourismus: Die Veröffentlichung des Grünbuches über die Rolle der Union im Bereich des Fremdenverkehrs im Jahr 1995 bildete eine weitere bedeutende Aktion der EU. Das Dokument sollte eine Debatte über die Aufgabe der EU bei der Förderung des Tourismus anregen und den Weg zu einer umfassenden Beratung über dieses Thema bereiten. Es wurden vier Möglichkeiten skizziert: Einschränkung oder Einstellung spezifischer Aktionen, Beibehaltung des gegenwärtigen Rahmens und Aktionsniveaus, Intensivierung der Gemeinschaftsaktionen auf der Grundlage des geltenden Vertrages oder Entwurf einer gemeinsamen Tourismuspolitik. Die Ausführungen zu den einzelnen Optionen machten deutlich, dass die EU nicht abgeneigt wäre, eine gemeinschaftliche Tourismuspolitik zu betreiben. Als konkrete Betätigungsfelder wurden vor allem Konsumentenschutz, Aufbau der Verkehrsnetze, Verbesserung der Dienstleistungsqualität, Förderung der Informationsgesellschaft, Ausbildung, Regionalpolitik, Umweltschutz, Forschungs- und Entwicklungspolitik, kulturelle Aktionen sowie Unterstützung der KMU genannt.703 • Programm Philoxenia I&II: Das mehrjährige Programm für die Förderung des Tourismus wurde 1996 ausgearbeitet. Es war langfristig auf die Verbesserung der Qualität und Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Fremdenverkehrs sowie auf die Steigerung seines Beitrags zu Wachstum und Beschäftigung ausgerichtet. Als mittelfristige Ziele wurden vor allem die Verbesserung der Kenntnisse und Statistiken über den Tourismus, Schaffung eines entsprechenden legislativen Rahmens, Optimierung der finanziellen Förderung der Tourismusprojekte, Steigerung der Besucherzahlen aus Drittländern, Intensivierung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten, qualitative Verbesserung des Angebotes und Förderung des sanften Tourismus angestrebt. Zur Realisierung dieses Projektes, an welchem sich auch die assoziierten Länder Mittel- und Osteuropas hätten beteiligen können, kam es aber nicht, da das Programm vom Ministerrat nicht genehmigt wurde. Als mögliche Gründe für die Ablehnung wurden die harte Kritik an den Ergebnissen des Aktionsplans und dessen starke Konzentration auf Vgl. Europäische Kommission (1997a), S. 8 ff.; Assam/Raffling (1994), S. 12 ff. Vgl. Europäische Kommission (1996), S. 29. Vgl. Europäische Kommission (1996), S. 1 ff. und (1997a), S. 8 ff. Vgl. Europäische Kommission (1997a), S. 34 f.; o.V. (1996), S. 135. 207 die Mittelmeerländer genannt.704 Nach dem Scheitern von Philoxenia wurde von der High Level Group, bestehend aus europäischen Tourismusexperten, ein neues Förderungsprogramm erarbeitet. Gegenwärtig wird abgewartet, ob mindestens dieses Programm beim Rat seine Zustimmung findet. Die oben aufgelisteten Projekte stellen nur einen Teil der Aktivitäten der EU dar. Von den bedeutenden Tätigkeiten der letzten zwei Jahre sind vor allem noch die Resolution zum Fremdenverkehr des Europäischen Parlamentes und die Veranstaltung des ersten Europäischen Forums für Tourismus im Jahr 2002 zu nennen. In der Resolution wird die wirtschaftliche Bedeutung der Tourismusbranche hervorgehoben und Vorschläge zur Stärkung ihrer Entwicklungsfähigkeit unterbreitet. Es wird deutlich gemacht, dass sich Massnahmen in anderen Bereichen auf den Fremdenverkehr massgeblich auswirken – deshalb wird eine strengere Überwachung der Folgen der neuen Gesetzgebung sowie sämtlichen Aktionen, die den Tourismus indirekt beeinflussen könnten, gefordert. Auch wird das Ziel genannt, einen konstruktiven Dialog in der Branche zu unterstützen. Dazu soll das jährlich stattfindende Forum beitragen, das die Kooperation und Koordination in der Branche verbessern und für die Tourismusverantwortlichen eine Diskussionsplattform schaffen soll.705 Ausserdem bestehen zahlreiche Initiativen und Programme, die zwar nicht direkt auf den Fremdenverkehr ausgerichtet sind, aber trotzdem einen wichtigen Beitrag zu seiner Entwicklung leisten können. Es handelt sich beispielsweise um Unterstützungsprogramme zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit von KMU und der regionalen Entwicklung, Verbesserung der Ausbildung und Forschung, Unterstützung des Einsatzes von Informationstechnologien, Ausbau der Verkehrsnetze und Intensivierung des Umweltschutzes.706 Die Tourismusbranche kann indirekt auch von den europäischen Strukturfonds profitieren – Ende der 90er Jahre flossen nahezu 6% aller Darlehen in den Fremdenverkehr. Die Hauptquelle für die Finanzierung der touristischen Entwicklung stellt der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) dar. Ausgewählte Länder können eine Hilfe aus dem Kohäsionsfonds für die Finanzierung der Projekte in den Bereichen Umwelt und Verkehr beantragen. In Verbindung mit den Strukturfonds stellt auch die Europäische Investitionsbank Mittel für eine ausgewogene nachhaltige Entwicklung bereit und der Europäische Investitionsfonds erleichtert die Finanzierung von transeuropäischen Netzen und KMU.707 Den Beitrittskandidaten steht eine Vorbeitrittshilfe in Form von verschiedenen Unterstützungsprogrammen und Fonds zur Verfügung, die auch für die Tourismusbranche beansprucht werden kann.708 704 705 706 707 708 Vgl. Europäische Kommission (1996a), S. 7 und (1996b), S. 8. Vgl. Baldvinsdottir (2002), o.S. Ein umfassender Überblick über die Unterstützungsprogramme ist im Internet-Wegweiser für die Tourismusbranche der Europäischen Kommission (2000) zu finden. Vgl. Europäische Kommission (1997a), S. 69 ff. und (2000), S. 98 ff. Vgl. Kap. 9.7.2. 208 9.7.2 Auswirkungen des EU-Beitrittes auf die tschechische Tourismusbranche Ein Beitritt zur EU hat für die Kandidatenländer zur Folge, dass sie massgebende Vorbereitungen und Anpassungen in vielen Bereichen vornehmen müssen. Auch die Tourismusbranche bildet keine Ausnahme. In der Tschechischen Republik wurden die tourismuspolitischen Ziele bereits im Jahr 1999 in den RDP-Plan eingearbeitet. Die Entwicklung des Fremdenverkehrs bildet eine seiner sechs Prioritäten, für welche je ein separates operatives Sektorprogramm besteht.709 Die weiteren Anpassungen, auf die nachstehend eingegangen wird, betreffen die Annäherung der Rechtsordnung, die Intensivierung und Förderung der gegenseitigen Zusammenarbeit und die Einführung einer einheitlichen Terminologie. 709 710 711 712 • Annäherung der Rechtsordnung: Da ab dem Beitritt das EU-Recht über nationalem Recht stehen wird, ist es unumgänglich, dass das tschechische Rechtssystem mit demjenigen der EU kompatibel ist. In der Tourismusbranche soll das Ziel durch die allmähliche Annäherung der tschechischen Rechtsvorschrifte an die von der EU erlassenen Richtlinien, Verordnungen und Empfehlungen erreicht werden. Bis zum Erlass des Tourismusgesetzes im Jahr 2000 gab es in Tschechien keine Rechtsvorschrift, die direkt den Tourismus zum Gegenstand hatte.710 Die Ausarbeitung dieses mit dem europäischen Recht voll kompatiblen Erlasses erfolgte im Einklang mit der Richtlinie über Pauschalreisen (90/314/EWG). An der Annäherung an weitere EU-Normen wird gearbeitet.711 Die Verantwortung dafür trägt das Ministerium für Regionalentwicklung, das mit Institutionen von anderen Bereichen, deren gesetzliche Bestimmungen den Tourismus indirekt tangieren, zusammenarbeitet. Ausserdem ist das Ministerium angehalten, alle seine Entscheidungen mit Rücksicht auf die EU-Tourismuspolitik und im Einklang mit dem Weissbuch712 zu treffen. • Förderung der Zusammenarbeit: Bei der Unterstützung der Zusammenarbeit geht es vor allem um den Informationsaustausch und die Beratung. Mehrere tschechische Berufsverbände pflegen Kontakte mit ähnlichen Vereinigungen in den EU-Staaten und sind Mitglieder verschiedener europäischer Tourismusverbände. Viel Gewicht wird auf die Unterstützung der Zusammenarbeit der grenznahen Regionen gelegt. Anfang Vgl. Kap. 5.8 und 9.4.2.2. Vgl. Kap. 9.6.1. Für die Tourismusbranche sind vor allem folgende Normen von Bedeutung: Empfehlung über einheitliche Informationen in Hotels (86/665/EWG), Entschliessung zu einer besseren zeitlichen und räumlichen Verteilung des Fremdenverkehrs (86/C340/01), Richtlinie über Massnahmen zur Förderung der tatsächlichen Ausübung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für die selbständigen Tätigkeiten bestimmter Hilfsgewerbetreibender des Verkehrs und der Reisevermittler sowie der Lagerhalter (82/470/EWG), Richtlinie über die Erhebung statistischer Daten im Bereich Tourismus (95/57/EG), Richtlinie über die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für die selbständigen Tätigkeiten der persönlichen Dienste: 1. Restaurations- und Schankgewerbe, 2. Beherbergungsgewerbe und Zeltplatzbereiche (68/367/EWG), Richtlinie zur insbesondere auf die touristische Beistandsleistung bezügliche Änderung der ersten Richtlinie 73/239/EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausübung der Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) (84/641/EWG), Verordnung zur Einführung gemeinsamer Regeln für den grenzüberschreitenden Personenverkehr mit Kraftomnibussen (684/92/EWG) und die Verordnung über eine gemeinsame Regelung für ein System von Ausgleichsleistungen bei Nichtbeförderung im Linienflugverkehr (295/91/EWG). Vgl. Kap. 5.8. 209 der 90er Jahre wurden mehrere Euroregionen gebildet, welche die Regionen der Nachbarländer vereinigen und sich häufig auch die Tourismusentwicklung zum Ziel setzen. Diese Vorhaben werden von der EU durch Programme wie Phare CBC, Phare Credo und Interreg finanziell unterstützt. Über einen umfangreichen Plan zur Förderung des Tourismus verfügt die Euroregion Nisa, wo unter anderem der Ausbau eines Informations- und Navigationssystems in mehreren Sprachen und die Erweiterung von Wanderwegen geplant werden.713 • Vereinheitlichung der Terminologie: In allen EU-Ländern setzte man sich als Ziel die Vereinheitlichung der Terminologie bei den Unterkunftseinrichtungen sowie bei anderen Anbietern von touristischen Dienstleistungen (CEN/TC/329). Bei der Beherbergung werden die einzelnen Einrichtungen und die von ihnen angebotenen Dienstleistungen definiert. Bei anderen Dienstleistungen werden die Begriffe wie Anbieter, Reise, Reiseführer und Reisevertrag bestimmt. Die Terminologie wird vom Normalisierungskomitee (CEN) festgelegt, dessen Mitglied seit 1997 auch Tschechien ist und sich somit an ihrer Ausarbeitung aktiv beteiligen kann. Die einheitliche Terminologie sollte in Zukunft die Transparenz auf dem Markt erhöhen und zum besseren Konsumentenschutz beitragen.714 Ausser den oben erwähnten Vorbereitungen gibt es noch eine Reihe von anderen Massnahmen, die der Tschechischen Republik auf dem Gebiet des Tourismus einen möglichst unproblematischen EU-Beitritt ermöglichen sollten. Zu nennen ist beispielsweise die Einführung der Norm ISO 9000. Es handelt sich um ein europäisches Qualitätssicherungssystem, welches, basierend auf einer Standardisierung einzelner Teilprozesse in den touristischen Unternehmen, eine Berechenbarkeit der Leistung für den Gast und klare Verhältnisse für den Mitarbeiter schaffen soll. Für den Erfolg ist ausschlaggebend, dass sowohl die Durchführung des Projektes selbst wie die Verankerung der einzelnen Qualitätsanforderungen durch intensive Kommunikation mit den Mitarbeitern begleitet werden.715 Neben den Massnahmen, die sich direkt auf den Fremdenverkehr beziehen, gibt es in verschieden Bereichen noch andere unzählige Aktionen, die ihn ebenfalls tangieren. Von allen ist das Projekt CEBRE zu nennen, das auf die Untersuchung der Chancen der tschechischen Unternehmen auf dem europäischen Markt, auf ihre Beratung und regelmässige Informationen über die Neuentwicklungen ausgerichtet ist.716 Was die Auswirkungen der EU-Erweiterung anbelangt, ist man sich in einer von der Europäischen Kommission ausgearbeiteten Studie einig, dass der Beitritt den mittel- und osteuropäischen Ländern ein erhebliches zusätzliches Wirtschaftswachstum bescheren könnte. Die prognostizierten jährlichen Wachstumsraten von 4.6% bis 6.1% sind vor allem darauf zurückzuführen, dass die EU-Transferzahlungen und vermehrte ausländische Direktinvestitionen die Investitionsquote massgeblich erhöhen werden. Zum anderen werden dank den Verschiebungen in der sektoralen Zusammensetzung der Produktion, welche der Wettbewerb im Binnenmarkt erzwingt, die Produktionsfaktoren effizienter eingesetzt und das Wachstumspotential 713 714 715 716 Die Euroregion Nisa wurde als erste Euroregion im Jahr 1991 gegründet. Sie vereinigt die Grenzregionen von Deutschland, Polen und Tschechien, bedeckt eine Fläche von 11’366 km2 und umfasst 89 Städte und 742 Gemeinden. (Vgl. Vaško [2000], S. 71 ff.). Vgl. Petrů (2000), S. 171 f.; Vitáková (2000b), S. 97; Houška (2001), S. 5. Vgl. Bieger (2002), S. 268. Vgl. http://www.cebre.cz/profil.asp (Stand am 29.1.2003). 210 gesteigert. Die Auswirkungen auf die bisherigen Mitglieder werden dagegen als gering, aber auch insgesamt als positiv eingeschätzt.717 In der Tourismusbranche ist der Beitritt von den Kandidatenländern mit vielen Hoffnungen aber auch Besorgnissen verbunden. Die EUMitglieder befürchten insbesondere die Verschärfung der Konkurrenz aufgrund der niedrigen Preise der neuen Anbieter, gleichzeitig begrüssen sie aber die Möglichkeit der eigenen Expansion auf die angeschlossenen Märkte sowie die Erweiterung des potentiellen Kundenkreises. Die Unternehmer im Gast- und Beherbergungsgewerbe erwarten einen Zufluss von Arbeitskräften vom Osten, mit denen sie sich erhoffen, die offenen Arbeitsstellen zu besetzen. Zugleich wachsen aber Sorgen, dass dadurch die Arbeitsbedingungen in der Tourismusbranche verschlechtert werden und die Angestellten vermehrt ausgenutzt werden könnten.718 In der Tschechischen Republik wird eine grössere Konkurrenz befürchtet, vor allem von der Seite der internationalen Hotel- und Reisebüroketten mit genügender Investitionskraft und gut funktionierendem Know-how System. Mit einem erhöhten Druck auf die Dienstleistungsqualität werden sich wahrscheinlich insbesondere die mit dem Kapital und der IT-Technologie unzureichend ausgestatten einheimischen KMU schwer tun. Aus einer Untersuchung im Gastgewerbe geht hervor, dass nur 15% der befragten Unternehmer mit keinen Veränderungen nach dem EU-Beitritt rechnen. Einen negativen Einfluss nach der Einführung von anspruchsvolleren hygienischen und qualitativen Standards erwarten die Befragten in den niedrigen Preisklassen. Die Unternehmer in den höheren Preisklassen sind dagegen optimistisch veranlagt und versprechen sich von der Mitgliedschaft weitere Wachstumsimpulse. Etwa ein Drittel von ihnen plant in den nächsten Jahren Investitionen, welche die Qualität der Dienstleistungen auf das europäische Niveau anheben sollten.719 Wegen den deutlich höheren Verdienstmöglichkeiten in den anderen EU-Ländern wird ein Abfluss von Arbeitskräften aus der Branche befürchtet. Dies sollte sich aber vor allem bei dem niedrig qualifizierten Personal mit mangelnden Sprachkenntnissen in Grenzen halten. Nicht zuletzt könnten auch vermehrte Fehlentscheidungen aufgrund der ungenügenden Kenntnisse des neuen Marktes und des europäischen Rechtssystems zur Verschlechterung der Position der tschechischen Unternehmenssubjekte führen.720 Andererseits werden in Tschechien die Expansionsmöglichkeiten auf die neuen Märkte und die Erweiterung des Kreises der potentiellen Kundschaft begrüsst. Grosse Wachstumsimpulse werden z.B. im Kurorttourismus erwartet, da nach dem EU-Beitritt die ausländischen Krankenkassen die bereits beliebten Aufenthalte in tschechischen Kurorten mitfinanzieren können werden.721 Gerechnet wird mit einer wachsenden Zahl von Dienst- und Geschäftsreisen sowie mit dem Anstieg des Kongresstourismus.722 Der Weiterbildung der Angestellten wird in Zukunft mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden müssen und die Nachfrage nach qualifizierten Managern wird steigen. Dies sollte langfristig zur Verbesserung der Dienstleistungsqualität beitragen. Nach dem Beitritt werden der Tschechischen Republik viele neue Finanzierungsmöglichkeiten der Tourismusprojekte seitens der EU offen stehen, die in der Branche ver- 717 718 719 720 721 722 Vgl. Höltschi (2001), S. 15. Vgl. Kupsová (2002), S. 18; Filip (2002), S. 74. Vgl. http://www.vsh.cz/vsh/verejnost14.htm (Stand am 23.7.2002). Vgl. Švarc (2002), o.S. Vgl. Houdek (2002), o.S. Vgl. Tschechische Tourismuszentrale (2003), S. 20 f. 211 mehrt Investitionen hervorrufen sollten.723 Allgemein ist man in der Tourismuswirtschaft der Ansicht, dass die Vorteile einer EU-Mitgliedschaft die Nachteile überwiegen werden und dass der Beitritt in der Anfangsphase nicht einen ähnlichen Schock wie bei der Einführung der Marktwirtschaft verursachen wird. Aus einer Schätzung der Tschechischen Tourismuszentrale geht hervor, dass im ersten Jahr nach dem EU-Beitritt die Anzahl der Besucher bis um 30% ansteigen könnte – dies vor allem dank der vermehrten Dienst- und Geschäftsreisen. Für die folgenden drei Jahre wird ein Wachstum zwischen 2-5% prognostiziert.724 9.7.3 Finanzielle Unterstützung der Tourismusvorhaben durch die EU Als EU-Beitrittskandidat kann Tschechien von einer Vorbeitrittshilfe profitieren, die auch für die Tourismusbranche beansprucht werden kann. Im Programm Phare725 ist der Fremdenverkehr als solcher zwar nicht als eine der unterstützungsbedürftigen Gebiete aufgeführt. Da in seinem Rahmen aber die regionale Entwicklung unterstützt wird, können die Regionen auch für die touristischen Projekte gewisse finanzielle Mittel erhalten. Bis jetzt wurden beispielsweise verschiedene Velorouten, regionale Informationssysteme, mehrsprachige Navigationsschilder und Renovationen von mehreren Schlössern von Phare mitfinanziert.726 Im Jahr 1998 war das Programm auf die Unterstützung der Mikroregionen Haná und Jeseníky ausgerichtet. Im Laufe der nächsten drei Jahre wurden mit Hilfe von 3 Mio. EUR 187 Projekte realisiert, die vor allem den Ausbau der touristischen Infrastruktur förderten. Im Jahr 2000 erhielten die NUTS II Moravskoslezsko und Severozápad über 24 Mio. EUR für die Unterstützung der KMU, die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen und die Verbesserung der touristischen Infrastruktur.727 Seit 2000 werden von Phare aber nur Vorhaben unterstützt, an denen sich auch die tschechische Seite finanziell mit mindestens 25% beteiligt – dadurch soll das Investitionsvolumen noch zusätzlich erhöht werden. Für die Förderung der Entwicklung in den grenznahen Regionen sind vor allem die Unterprogramme Phare CBC und Phare Credo bestimmt.728 Indirekt kann die Tourismusbranche von den Fonds Sapard und Ispa profitieren. Sapard bezweckt die finanzielle Hilfe für die Landwirtschaft und die Förderung der Entwicklung auf dem Lande. Die Mittel können unter anderem für die Bildung und die Tätigkeit von Mikroregionen benützt werden, die sich für die Unterstützung des Fremdenverkehrs einsetzen. Ausserdem kommt der Ausbau der ländlichen Infrastruktur auch dem Tourismus zugute. Die Tourismusregion Český ráj erhofft sich z.B. von dieser Hilfe die Förderung von Agrotourismus, den Aufbau von traditionellen Handwerkbetrieben und die Erweiterung von Dienstleistungen von Informationszentren. Gegenwärtig kann Tschechien von Sapard jährlich bis zu 22 Mio. EUR erhalten. Die Mittel des Ispa Fonds sind für den Umweltschutz und den Ausbau sowie die Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur bestimmt. Daraus können die standortgebundenen Tourismusunternehmen, deren Existenz von den Verkehrsverbindungen und vom Zustand der Umwelt abhängig ist, einen beachtlichen Nutzen ziehen. Bis 2002 wurden im Rahmen von Ispa in Tschechien 10 Projekte genehmigt und insgesamt 170 Mio. EUR für ihre Realisa- 723 724 725 726 727 728 Vgl. Kap. 9.7.3. Vgl. Tschechische Tourismuszentrale (2003), S. 21. Vgl. Kap. 5.8. Vgl. Ječná (2000), S. 54. Vgl. Ministerium für Regionalentwicklung (2002c), S. 14 f. Vgl. Kap. 9.7.2. 212 tion gewährt. Für die folgenden Jahre wurde dem Land Hilfe in der Höhe von ca. 70 Mio. EUR pro Jahr zugesprochen.729 Ausser den oben genannten Unterstützungsmassnahmen stehen der Tschechischen Republik zur Finanzierung der Tourismusentwicklung seitens der EU noch weitere Möglichkeiten offen. Zu nennen ist beispielsweise das Mehrjahresprogramm für die KMU mit dem Ziel der Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit durch einen erleichterten Zugang zum Investitionskapital, zur Forschung und zur Ausbildung. Ein Beispiel für ein kofinanziertes Tourismusprojekt im Rahmen dieses Programms ist Net-Quality, das die Verbreitung bewährter Managementpraktiken und der dafür geeigneten IT-Produkte unterstützt und dadurch den Einsatz neuer Organisations- und Vermarktungsmethoden durch kleine Fremdenverkehrsbetriebe fördert. Weiter kann Tschechien von der Teilnahme an verschiedenen Programmen und Veranstaltungen profitieren. Von vielen werden an dieser Stelle die Ausbildungsprogramme Sokrates, Leonardo da Vinci, Tempus und Jugend und die Veranstaltung Europäischer Kulturmonat genannt. Im Rahmen von Leonardo da Vinci wird zurzeit ein Weiterbildungszyklus für Fachleute in Gastronomie und Hotellerie vorbereitet. Die Teilnehmer müssen fünf verschiedene Fächer absolvieren, von denen jedes in einem anderen EU-Land belegt werden kann.730 Wie bereits in den Kapiteln 5.8 und 9.4.2.2 dargestellt, wurden die Ziele der tschechischen Tourismuspolitik in den RDP-Plan integriert. Ohne dies wäre die EU nicht bereit gewesen, die Tourismusprojekte mitzufinanzieren. Die erhoffte Finanzierung der touristischen Vorhaben seitens der EU für die Jahre 2004-2006 wurde im Sektorprogramm für den Tourismus präzisiert. Die zweckgebundenen Beiträge, die Tschechien nach seinem Beitritt vom Fonds für Regionalentwicklung (EFRE) beziehen möchte, zeigt die Tabelle 35. Finanzielle Mittel der EU für die Tourismusprojekte in Mio. EUR (2004-2006) 2004 Jahr 2005 2006 Verbesserung der Dienstleistungsqualität und Entwicklung der touristischen Informations- und Reservationssysteme 2.58 2.58 2.58 Unterstützung von Marketingaktivitäten, Schaffung von neuen Tourismusprodukten, Förderung von Investitionen und Verbesserung des Schutzes des Natur- und Kulturreichtums 8.76 13.29 17.67 Mittel für die administrative Durchführung des Sektorprogramms und seine Kontrolle 0.17 0.24 0.31 Total 11.51 16.11 20.56 Zweck Tabelle 35: Finanzielle Hilfe von der EU (2004-2006)731 729 730 731 Vgl. Patřičný/Váša (1998), S. 14 ff.; Ministerium für Regionalentwicklung (2002c), S. 15 ff. Europäische Kommission (2000), S. 39; Parmová (2002), S. 52. Ein umfassender Überblick über die Unterstützungsprogramme für die Beitrittsländer ist im Internet-Wegweiser für die Tourismusbranche der Europäischen Kommission (2000) zu finden. In Anlehnung an Ministerium für Regionalentwicklung (2002a), S. 45 f. 213 Zudem werden zurzeit für die NUTS II operative Regionalprogramme ausgearbeitet, in welche die touristischen Vorhaben des Sektorprogramms integriert werden sollen.732 So wird es dann auch den NUTS II frei zustehen, finanzielle Mittel der EU zur Unterstützung ihrer Aktivitäten im Fremdenverkehr zu beantragen. Dies geschieht über vierzehn Entwicklungsagenturen, die für die Koordination und Unterstützung der regionalen Entwicklung im Einklang mit der gesamtstaatlichen Politik verantwortlich sind.733 Aus den obigen Ausführungen wird ersichtlich, dass den Beitrittsländern relativ viele finanzielle Hilfen für die Förderung des Tourismus offen stehen. Wie in den tschechischen tourismuspolitischen Kreisen aber bereits mehrmals erwähnt wurde, kommt es häufig darauf an, ob sich das bestimmte Kandidatenland über alle Möglichkeiten umfänglich informiert und ob es die Unterstützung zum richtigen Zeitpunkt, am richtigen Ort und zum richtigen Zweck anfordern kann: „Es gibt genug finanzielle Mitteln von der EU, wir wissen aber nicht, wie sie beantragen, da wir die Prozesse der europäischen Bürokratie nicht beherrschen.“734 Seit 2001 erfüllt die Tschechische Tourismuszentrale die Funktion des Vermittlers zwischen der EU und den tschechischen Regionen. Mit ihrem Einsatz erhofft man sich die Sicherstellung der Mittel zur Förderung der regionalen Tourismusentwicklung in einem grösst möglichen Umfang. Da die Gewährung der finanziellen Hilfe der EU meistens eine eigene Teilfinanzierung voraussetzt, sollten dadurch auch die Investitionen der einheimischen Unternehmer angekurbelt werden. Dies sollte zu einer Erhöhung des gesamten Investitionsvolumen führen und folglich zur Verjüngung des Angebotes und zur Verbesserung der Qualität von touristischen Dienstleistungen beitragen. 9.8 Fazit Die politische Wende im Jahr 1989 brachte in der Tschechischen Republik viele gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen mit sich. Dass vor allem der Übergang von der Zentralplan- zur Marktwirtschaft keine einfache Aufgabe ist, beweist unter anderem die Tatsache, dass die Transformation nach zwölf Jahren noch nicht abgeschlossen ist. Der erhebliche Strukturwandel rief auch eine vollumfänglich neue Ausrichtung der Tourismuspolitik hervor. Die Umstrukturierungen in der Branche und die Suche nach einem erfolgsversprechenden Konzept sind aber, wie die Transformation selbst, noch nicht beendet. Die Ausgestaltung der Tourismuspolitik als eine universelle Planungsaufgabe wurde kurz nach der Wende abgelehnt. Die ideologisch ausgerichteten Ziele, die in der sozialistischen Ära an erster Stelle verfolgt wurden, verschwanden aus der tourismuspolitischen Agenda. Nachdem die grundlegenden Rahmenbedingungen für die private Unternehmenstätigkeit 1990 erlassen wurden, zog sich der Staat aus der aktiven Tourismuspolitik stark zurück und intervenierte nur fallweise. Da die tschechische Tourismusbranche vom Fall des Eisernen Vorhanges auch ohne staatliche Massnahmen in hohem Mass profitierte, führte die pragmatische Tourismuspolitik zuerst zu keinen spürbaren Beeinträchtigungen. Der Fremdenverkehr gehörte bis zum Jahr 1996 zu den wenigen Branchen, die ein Wachstum verzeichneten und zur 732 733 734 Mit der Implementierung der Tourismusvorhaben in die Regionalpläne befasst sich ausführlich die Studie „Lösung der im operativen Sektorprogramm beinhalteten Tourismusproblematik und ihre Implementierung in die regionalen Pläne“, die im Auftrag des Ministeriums für Regionalentwicklung ausgearbeitet wurde. Vgl. Mag Consulting (2000b), S. 3. Valášek (2001c), S. 89 (Übersetzung der Verfasserin). 214 Verbesserung der gesamten Wirtschafts- und Beschäftigungslage beitrugen. Die fehlende langfristige Zielsetzung sowie die Konzeptionslosigkeit der praktizierten Politik machten sich erst 1997 sichtlich bemerkbar, als auch die Tourismuswirtschaft in eine Stagnation fiel. Es wurde zunehmend konzeptionelles Vorgehen verlangt. Man erkannte allmählich die Vorteile einer konzeptionellen Fremdenverkehrspolitik und gab ihr den Vorzug vor der pragmatischen Ausgestaltung. 1998 erklärte sich die neue sozialdemokratische Regierung bereit, einen rechtlichen Rahmen für die Branche zu schaffen, ein Konzept der staatlichen Tourismuspolitik auszuarbeiten und den Tourismus in den RDP-Plan in Form eines Sektorprogramms zu integrieren. Mit diesen Massnahmen leitete sie den Übergang von der pragmatischen zur konzeptionellen Tourismuspolitik ein. Das Konzept der staatlichen Tourismuspolitik und das Operative Sektorprogramm für den Tourismus, welche die tourismuspolitischen Ziele und Strategien zu ihrer Erreichung festlegen, wurden 1999 präsentiert. Ein Jahr später kam noch die Strategie der Regionalentwicklung, welche die Tourismusentwicklung ebenfalls beinhaltet, dazu. Obwohl diese strategischen Papiere unbestrittenermassen einen grossen Fortschritt auf dem Weg zu einer konzeptionellen Fremdenverkehrspolitik darstellen, erfüllen sie viele Anforderungen an moderne Tourismuskonzepte nicht. Die höchste Priorität wurde in allen drei Dokumenten den ökonomischen Zielsetzungen eingeräumt. Soziale Ziele berücksichtigte man nicht und die ökologischen Anliegen wurden erst in den revidierten Versionen einbezogen. Die Zielsetzungen in anderen Wirtschaftsbereichen wurden, bis auf jene der Regionalpolitik, nicht beachtet. Ausserdem sind viele Ziele nur kurzfristig und es ist nicht immer klar, wie sie ermittelt wurden, da jegliche Analysen zu ihrer Festlegung fehlen. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Ursachen der andauernden Stagnation der Branche, aus der sich Massnahmen zu ihrer Behebung ableiten liessen, fehlt ebenfalls. Diese Tatsachen deuten darauf hin, dass der Pragmatismus auch nach der Jahrtausendwende noch nicht vollständig überwunden wurde. Zu den tourismuspolitischen Strategien, die zurzeit verfolgt werden, gehören vor allem die Förderung der Nachfrage im Ausland, der Aufbau eines integrierten touristischen Informationssystems, die Verbesserung der Tourismusstatistik, die Optimierung der Aus- und Weiterbildung, die Verbesserung der Dienstleistungsqualität und die Förderung der regionalen Tourismusentwicklung. Für die Durchführung der Werbung im Ausland ist die Tschechische Tourismuszentrale zuständig. Wegen ihrem sehr kleinen Budget kann sie aber ihren Aktivitäten nicht in erforderlichem Mass und entsprechender Qualität nachgehen. Eine neue Plattform für die Verstärkung der Marketingaktivitäten und der Kooperation der Tourismusakteure soll das Informationssystem „Czechtourservice“ bieten, von dem man sich unter anderem auch ein Aufkommen des regionalen Tourismus erhofft. Nach den Verbesserungen in der Tourismusstatistik soll diese den Trägern der Tourismuspolitik qualitativ hochwertigere Entscheidungsgrundlagen liefern. Das geplante Satellitenkonto wird eine Gesamtübersicht über den Beitrag der Tourismusbranche für die Volkswirtschaft ermöglichen und somit ihre wirtschaftliche Bedeutung transparent machen. Der Bildung will der Staat in Zukunft ebenfalls mehr Aufmerksamkeit schenken und einige Reformen im Schulsystem durchführen. Das jetzige Angebot an Aus- und Weiterbildung entspricht häufig nicht den Bedürfnissen der Tourismuswirtschaft und der Graben zwischen der Theorie und der Praxis scheint sich damit weiter zu vergrössern. Die ungenügenden Sprachkenntnisse und die Unfreundlichkeit der Angestellten bilden ein weiteres Hindernis auf dem Weg zur Verbesserung der Dienstleistungsqualität, die bereits jahrelang als ein mehrfach belegter Schwachpunkt des tschechischen Tourismus gilt. 215 Die Bekämpfung der illegalen Unternehmenstätigkeit, die Einführung von Standards für die Unterkunftseinrichtungen, die Zertifizierung der touristischen Betriebe und die Verschärfung der Zulassungsvoraussetzungen für die Reisebüros stellen weitere Massnahmen dar, von denen man sich die Anhebung der Dienstleistungsqualität erhofft. Seit 1996 ist für die Festlegung und die Realisierung der gesamtstaatlichen Tourismuspolitik das Ministerium für Regionalentwicklung zuständig. Auf regionaler Ebene gehört der Fremdenverkehr seit 2000 zu den selbständigen Kompetenzen der Bezirksbehörden, die für die Tourismusentwicklung in ihrer Region die Hauptverantwortung tragen. Auf lokaler Ebene sind es die einzelnen Gemeinden, welche die Tourismusentwicklung auf ihrem Gebiet steuern. Diese neue Kompetenzaufteilung macht eine Abkehr von einer zentralisierten zu einer dezentralisierten Leitung der Tourismusbranche deutlich. Neben den staatlichen Organen existieren noch viele private und gemischte Verbände, die versuchen, auf die Fremdenverkehrspolitik zunehmend Einfluss zu nehmen. Wegen ihrer Zersplitterung, die sich vor allem in ihrer grossen Zahl mit jeweils einer kleinen Mitgliederbasis und in der fehlenden Zusammenarbeit unter ihnen manifestiert, finden sie jedoch bei den staatlichen Organen keine beachtliche Akzeptanz. Die Instrumente, derer sich die Träger der Tourismuspolitik bedienen, überlassen den Privaten relativ viel Entscheidungsspielraum. Am Anfang der Transformation waren insbesondere die ordnungsrechtlichen Massnahmen, mit denen die Rahmenbedingungen für die private Unternehmenstätigkeit geschaffen wurden, von Bedeutung. Im Jahr 2002 tangierten den Tourismus bereits mehrere rechtliche Erlasse. Das einzige Gesetz, das sich aber ausschliesslich mit ihm befasste, war das Tourismusgesetz. Die finanziellen Förderungsinstrumente wurden nach der Wende massiv abgebaut. Im Vergleich zu anderen Transformations- und Industrieländern sind die staatlichen Investitionen in die Tourismusbranche in Tschechien sehr gering. Es fehlt ein Tourismusfonds – die jährlichen Unterstützungsprogramme stellen keine zukunftsträchtige Lösung dar. Ungenügend ist vor allem die Förderung der KMU, die nicht mehr aus eigener Kraft fähig sind, das frühere Tempo der Tourismusentwicklung beizubehalten. Das bestehende System der allgemeinen Steuerumverteilung beeinträchtigt die kleineren Tourismusorte, die über die Steuereinnahmen nur wenige finanzielle Mittel aus dem Fremdenverkehr auf ihrem Gebiet erhalten und somit keine Anreize zu seiner Förderung haben. Im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt sind in Tschechien viele Vorbereitungen am Laufen, die auch die Tourismusbranche betreffen. Da die EU aber im Fremdenverkehr über keine vertraglich festgelegten Kompetenzen verfügt, ist ihr Einfluss auf die einzelnen Staaten nicht so gross wie bei anderen Bereichen. Über die Auswirkungen des Beitrittes auf die Tourismuswirtschaft ist man sich nicht einig. Einerseits wird insbesondere eine grössere Konkurrenz befürchtet, andererseits wird aber die Erweiterung der Märkte und des potentiellen Kundenkreises begrüsst. Seitens der EU werden die touristischen Vorhaben in Tschechien vom Programm Phare sowie der Fonds Sapard und Ispa unterstützt. Nach dem Beitritt werden der Tschechischen Republik viele neue Finanzierungsmöglichkeiten offen stehen, die der Tourismusbranche neue Wachstumsimpulse bringen sollten. Es kommt dann nur darauf an, ob die Tourismusverantwortlichen im Stande sein werden, die Hindernisse der europäischen Bürokratie zu überwinden, um die potentielle Hilfe zu erhalten. 217 10 Zukünftige Entwicklung der Tourismusbranche 10.1 Überblick „Was die Zukunft bringt, wissen wir nicht, aber dass wir handeln müssen, wissen wir.“ Friedrich Dürrenmatt Die Tourismusbranche befindet sich derzeit weltweit in einem umfassenden Wandel, der vor allem durch die Globalisierung und die sich daraus ergebende Neugestaltung der Wettbewerbsbedingungen ausgelöst wurde. Die veränderten Marktbedingungen machen eine Anpassung der relevanten touristischen Strukturen und Strategien notwendig. Dies gilt auch für die Tourismusbranche in Tschechien. Wie bereits im Kapitel 7.3 dargelegt wurde, befindet sich die tschechische Tourismuswirtschaft nach mehreren Jahren des Wachstums nun in einer Stagnation. Will das Land wieder an die erfolgreichen Jahre anknüpfen, sind einige Veränderungen in seiner Tourismuspolitik unabdingbar. Auf der mikroökonomischen Ebene kommt es vor allem darauf an, wie schnell die einzelnen Unternehmen lernen, mit den veränderten Bedingungen in der Branche umzugehen und sich der neuen Situation anzupassen. Auf der makroökonomischen Ebene spielen die Ausgestaltung von tourismusfreundlichen Rahmenbedingungen und die Schaffung von Voraussetzungen, die eine kreative Nutzung von unternehmerischen Handlungsspielräumen ermöglichen, eine entscheidende Rolle. In den folgenden Kapiteln wird der Vollständigkeit halber zuerst nochmals kurz auf den Lebenszyklus der tschechischen Tourismusbranche nach der Wende eingegangen. Näher skizziert werden die Ursachen der seit 1997 andauernden Stagnation, deren Behebung zu den wesentlichen Aufgaben der heutigen Tourismuspolitik gehören muss. Darauf folgend werden anhand des adaptierten Diamant-Modells von Porter mögliche staatliche Massnahmen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Tourismusbranche dargestellt und mit dem heutigen Stand verglichen. 10.2 Lebenszyklus der Tourismusbranche Das Lebenszyklus-Modell kann auf einzelne Produkte, Märkte und Branchen implementiert werden. Bei seiner Anwendung auf die Tourismusbranche wird meistens von der Betrachtung einer Destination als ein Unternehmen ausgegangen, deren Lebenszyklus in die Organisationslebenszyklen eingebettet wird.735 In der Entwicklung einer Destination können somit grundsätzlich vier Phasen unterschieden werden: Einführung, Wachstum, Reife und Degeneration oder Abschwung.736 Am Ende der Abschwungsphase kann das Unternehmen aus dem Markt entweder endgültig ausscheiden oder eine Neuausrichtung in seiner Entwicklung in die Wege leiten, indem es vor allem sein Angebot verjüngt und dem veränderten Nachfrageverhalten anpasst. 735 736 Ausführlich zu dieser Problematik vgl. Beritelli (1997), S. 27 ff. Vgl. Bieger (2002), S. 104 f. 218 Wie bereits aus den Kapiteln 6.5 und 7.3 hervorgeht, befand sich die tschechische Tourismusbranche nach einer kurzen Einführungsphase Ende 1989 anschliessend sechs Jahre in einem rasanten Wachstum. Die besten Ergebnisse, gemessen an der Zahl der ausländischen Besucher und an den realisierten Deviseneinnahmen, wurden im Jahr 1996 erreicht. Nach diesem Rekordjahr fing das Marktvolumen der Branche an zu schrumpfen. Da die Zeichen, dass die Tourismuswirtschaft in die Reifephase eintrat, übersehen oder nicht erkannt wurden, verstärkten sie sich im Laufe der Zeit. Dies führte folglich dazu, dass der Fremdenverkehr in Tschechien in eine Stagnation geriet und gegenwärtig an der Schwelle zur letzten Phase seines Lebenszyklus steht (vgl. Abbildung 26). Deviseneinnahmen Besucherzahlen Tschechische Tourismusbranche ? ? ? Wachstum Einführung 1990 Abschwung Reife 1996 2002 Zeit Abbildung 26: Lebenszyklus der tschechischen Tourismusbranche737 Um den Eintritt in die Abschwungsphase zu verhindern, müssen neben den Massnahmen auf Einzelbetriebsebene auch die tourismuspolitischen Rahmenbedingungen der veränderten Situation angepasst werden und eine neue Ausrichtung in der Tourismuspolitik eingeschlagen werden. Wird dies nicht gemacht und werden weiterhin Aktivitäten und Massnahmen eines Wachstumsmarktes verfolgt, lässt sich die Degenerationsphase der Tourismusbranche kaum noch verhindern. Der vor kurzem gestartete, im Kapitel 9.2.2 ausführlich diskutierte Übergang von einer pragmatischen zu einer konzeptionellen Tourismuspolitik stellt eine der wichtigsten bisherigen Aktivitäten des Staates bei der Neuausrichtung seiner Politik dar. 10.2.1 Ursachen der andauernden Stagnation Die Gründe der seit 1997 bestehenden Stagnation der tschechischen Tourismuswirtschaft wurden bereits in mehreren Kapiteln der vorliegenden Dissertation implizit oder explizit erwähnt. Die folgenden Abschnitte stellen eine Zusammenfassung der Ursachen dar, die den Eintritt der Stagnationsphase begünstigten. 737 Eigene Darstellung in Anlehnung an Kotler/Bliemel (2001), S. 574. 219 Die angebotsorientierten Gründe lassen sich aus dem im Kapitel 6.3 ausgearbeiteten Profil des touristischen Angebotes ableiten. Aus diesem ergibt sich, dass zu den sinkenden Leistungen der Branche insbesondere ungenügende Dienstleistungsqualität, Fehlen an regionalen Tourismusprodukten, ungenügende Segmentierung des Marktes und Differenzierung des Angebotes, mangelnde Freundlichkeit, Sprachkenntnisse und Qualifikation der Angestellten, unangemessenes Preis-/Leistungsverhältnis und Existenz der dualen Preise beitrugen. Auskunft über die nachfrageorientierten Ursachen geben die in den Kapiteln 6.5.2 und 6.5.3 durchgeführten Analysen der Nachfragestruktur und der Nachfragetrends. Die Gründe für die sinkenden Besucherzahlen und Deviseneinnahmen im Incoming-Tourismus können vor allem darin gesehen werden, dass nach sieben Jahren die Neugier nach einer früher unbekannten Destination befriedigt war und Tschechien kein neues interessantes Angebot präsentierte. Auch die Nachfrage der einheimischen Bevölkerung nach kurzfristigen Reisen in die westlichen Länder war gesättigt und die Auslandsreisen wurden vermehrt durch Aufenthalte in eigenen Ferienwohnungen ersetzt. Zu dieser Entwicklung trug zusätzlich die Wirtschaftskrise bei, die Umstrukturierungen in den Ausgaben zuungunsten des Fremdenverkehrs hervorrief. Die auftretenden Fehlentwicklungen auf der mikroökonomischen Ebene wurden im Kapitel 6.2.3 skizziert. Die in der Tourismusbranche dominierenden Klein- und Mittelunternehmen verfügen nur über eine beschränkte wirtschaftliche Macht, was sich in einem schwierigen Zugang der KMU zum Investitionskapital und in ihrer fehlenden Innovationsfähigkeit manifestiert. Die ungenügende Ausbildung der Angestellten und ihre niedrige Entlöhnung tragen ebenfalls zur abnehmenden Konkurrenzkraft der kleinen Unternehmen bei. Die herrschende kurzfristige Denkweise der Unternehmer verunmöglicht überbetriebliche Kooperationen und ein gemeinsames Vorgehen bei der Vermarktung der touristischen Dienstleistungen. Auf die Verfehlungen der staatlichen Organe wurde im Kapitel 9 verwiesen. Die allzu lange praktizierte pragmatische Tourismuspolitik begünstigte den Eintritt der Branche in die Stagnationsphase. Die Schwächen der pragmatischen Handlungsweise waren vor allem in der ungenügenden Förderung der Tourismusentwicklung, in der mangelnden Rechtssicherheit und im unsystematischen Zugang zur Branche zu verzeichnen. Ein grundlegendes Problem bei der Behebung der Stagnation stellen die geringen finanziellen Mittel dar, die der obersten Verwaltungsbehörde auf dem Gebiet des Tourismus, dem Ministerium für Regionalentwicklung, zur Verfügung stehen. Wie bereits in den Kapiteln 9.5.6 und 9.5.1 festgehalten, sind die vom Staat in die Tourismusentwicklung investierten Mittel im Vergleich zu anderen Industrieaber auch Transformationsländern sehr niedrig. Dies kann unter anderem darauf zurückgeführt werden, dass in Tschechien der Tourismusbranche in der Realität immer noch nicht die Anerkennung als ein strategischer Wirtschaftszweig zukommt und die konzeptionelle Ausgestaltung der Tourismuspolitik erst an ihrem Anfang steht. Die touristischen KMU sind heutzutage aber nicht mehr aus eigener Kraft fähig, in einem globalen Wettbewerb zu bestehen und bedürfen angemessener staatlicher Hilfe. Den wissenschaftlichen Erkenntnissen nach kann gegenwärtig auch eine ganze Destination kaum mehr ein stabiles Entwicklungsgleichgewicht ohne Engagement seitens des Staates erreichen.738 Die folgende Abbildung verdeutlicht den Teufelkreis, in welchem sich die tschechische Tourismusbranche seit der zweiten Hälfte der 90er Jahre befindet. 738 Vgl. Kap. 4.3.1. 220 Mangel an finanziellen Mitteln • Ungenügende Anerkennung des Tourismus als ein strategischer Wirtschaftszweig • Unzureichende Werbung • Fehlendes integriertes Informationsund Reservationssystem • Veraltete Infrastruktur • Fehlendes Angebot an regionalen Tourismusprodukten • Qualitativ ungenügende Statistiken • Fehlende fundierte Tourismusforschung • Mangelnde Ausbildung • Ungenügende Unterstützung der KMU • Unzureichende politische Unterstützung der Branche • Zersplitterung der Kräfte • Kein gemeinsames Vorgehen • Fehlendes politisches Lobbying • Kurzfristiges Denken • Ausgeprägtes Konkurrenzverhalten • Ungenügende Dienstleistungsqualität • Fehlen eines innovativen Angebotes • Wachsendes Misstrauen der Unternehmer • Zweifel an der Zukunft der Tourismusbranche • Wachsende Unzufriedenheit der Tourismusteilnehmer • Fallende touristische Nachfrage • Sinkende Wettbewerbsfähigkeit der Branche Abbildung 27: Stagnation der Tourismusbranche739 Nur aufgrund einer fundierten Analyse der Ursachen der Stagnation und Berücksichtigung der Erfahrungen der anderen Länder, die sich in der gleichen Phase ihres touristischen Lebenszyklus befinden, können erfolgsversprechende Massnahmen zur Verbesserung der bestehenden Lage ermittelt werden. Die im Konzept der staatlichen Tourismuspolitik durchgeführte SWOT-Analyse740 ist sehr oberflächlich und bietet den Tourismusakteuren keine genügende Entscheidungsgrundlage. Je schneller wirksame Massnahmen zur Verstärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Tourismusbranche getroffen werden, desto geringer werden ihre weiteren Verluste sein. 10.3 Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit (Diamant-Modell) Wie im Kapitel 4.2 dargestellt, hat die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit in der Fremdenverkehrspolitik der entwickelten Länder, die sich an der Schwelle zur letzten Phase ihres touristischen Lebenszyklus befinden, gegenwärtig die oberste Priorität. Aus dem vorherigen Abschnitt geht hervor, dass die tschechische Tourismusbranche zurzeit auch in einer Stagnationsphase steht. Dies bedeutet, dass das Land mit den gleichen tourismuspolitischen Problemen wie die Industrieländer zu kämpfen hat. Will sich die Tschechische Republik auf dem in739 740 Eigene Darstellung. Vgl. Kap. 9.4.2. 221 ternationalen Markt wieder behaupten, muss die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit deshalb zu den zentralen langfristigen Aufgaben ihrer Tourismuspolitik gehören. Das Zusammenspiel nationaler Rahmenbedingungen mit unternehmensspezifischen Wettbewerbsvorteilen lässt sich nach Porter als ein Diamant darstellen. Das im Kapitel 3.4.2 beschriebene Modell geht davon aus, dass für die Wettbewerbsfähigkeit eines Standortes vier Faktoren verantwortlich sind: die Ausstattung mit Produktionsfaktoren, die Präsenz und der Entwicklungsstand von anderen Branchen, die Firmenstrategien, -strukturen und Wettbewerb und die Nachfragebedingungen. Die staatlichen Organe können diese Faktoren mit verschiedenen Instrumenten beeinflussen. Die Massnahmen sollten aber nicht einen Subventionierungscharakter haben, sondern den Unternehmen innovative Impulse geben und somit zur Erweiterung der Diamant-Determinanten und zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit einer bestimmten Branche oder Standortes einen Beitrag leisten. 10.3.1 Faktorbedingungen Die Ausstattung der Tourismusbranche mit Produktionsfaktoren kann vereinfachend in natürliche Schönheiten, kulturelle Ressourcen, Arbeitskräfte, Infrastruktur und Kapital unterteilt werden. Die Fähigkeit, kontinuierlich diese Faktoren zu verbessern, ist für die Entstehung von Wettbewerbsvorteilen von grundlegender Wichtigkeit: „ … the stock of existing factors is less important than the rate at which they are created, upgraded and specialized.“741 Deshalb besteht eine der Aufgaben des Staates in der Faktorbildung und -aufwertung, seien es nun qualifizierte Arbeitskräfte, wissenschaftliche Grundkenntnisse, Ausbau der touristischen Infrastruktur, Umweltschutz, Pflege des kulturellen Reichtums oder Zugang zum Kapital.742 Tschechien verfügt über ein breites Spektrum an natürlichen und kulturellen Ressourcen.743 Obwohl die klassischen Standortvorteile für die Tourismusentwicklung zwar immer eine geringere Rolle spielen,744 gehören die natürlichen und kulturellen Gegebenheiten gegenwärtig unbestritten zum Hauptgrund für die Wahl Tschechiens als Reiseziel. Dies ergibt sich aus der im Kapitel 6.3 durchgeführten Analyse des vorhandenen touristischen Potentials. Da es sich bei diesen Ressourcen meistens um öffentliche Güter handelt, ist die staatliche Hilfe im Bereich des Umweltschutzes oder bei der Pflege des Kulturgutes für die Bewahrung dieses Wettbewerbsvorteils von entscheidender Bedeutung. Das Engagement des tschechischen Staates ist trotz dieser Kenntnisse aber ungenügend und erreicht nicht das Niveau von anderen Industrie- und auch Transformationsländern. Die Ausbildung der Arbeitskräfte und die Forschung, die auch Merkmale öffentlicher Güter tragen, spielen für die Bildung der Wettbewerbsvorteile ebenfalls eine wichtige Rolle. Generell dürften Bildung und Wissen sogar zu den entscheidenden Erfolgsfaktoren der Industrieländer des 21. Jahrhunderts gehören – je besser die Ausbildung der Mitarbeiter einer Branche ist, desto häufiger sind Innovationen zu erwarten.745 Die Aktivitäten des Staates in der Tourismusforschung übersteigen meistens die Forschungsbereitschaft der einzelnen Unternehmen 741 742 743 744 745 Smeral (1996), S. 401. Vgl. Greuter (2000), S. 110 ff. Vgl. Kap. 5.2 und 6.2.1. Vgl. Kap. 3.4.2. Vgl. Greuter (2000), S. 200 f. 222 und kommen somit der ganzen Branche zugute. Das tschechische Ausbildungssystem hat heutzutage mit vielen Unzulänglichkeiten zu kämpfen. Besorgniserregend ist vor allem der sich vertiefende Graben zwischen der Theorie und der Praxis.746 Das Fehlen einer staatlichen Forschungsstelle, die den Tourismusverantwortlichen für ihre Entscheidungen fundierte Unterlagen liefern würde, bildet ein weiteres Manko in der Ausstattung der tschechischen Tourismusbranche mit den Faktorbedingungen.747 Die Infra- und Suprastruktur bildet die nächste Determinante bei der Wettbewerbsfähigkeit der Tourismusbranche. Ihr Stellenwert im Vergleich zu natürlichen Faktoren ist heutzutage nicht klar erkennbar, da das Vorhandensein der gewünschten Anlagen je nach Besucherstruktur und Länge des Aufenthaltes immer öfters höher gewichtet wird.748 In Tschechien wird die Qualität der touristischen Infra- und Suprastruktur heftig bemängelt, da sie das Niveau der EU-Länder bei Weitem nicht erreicht. Ein entsprechendes Angebot an Sport- und Erlebnisattraktionen, die heutzutage vermehrt nachgefragt werden, ist nicht vorhanden.749 Aus diesen Gründen sollte der tschechische Staat als Unterstützer der touristischen KMU und als Anbieter einer modernen öffentlichen Infrastruktur auftreten und damit zur Verstärkung der Wettbewerbsfähigkeit beitragen. Für die Aufwertung der Tourismuswirtschaft fällt weiter ins Gewicht, dass genügend Kapital zu geringen Realkosten verfügbar ist, welches Investitionen in die Tourismusentwicklung und Innovationen im Angebot ermöglicht. Wie im Kapitel 6.2.3 dargestellt, hält sich die Investitionstätigkeit in Tschechien in Grenzen, da der Zugang der KMU zum Kapital beschränkt ist. Auch hier wäre deshalb eine Intervention der staatlichen Organe, mit dem Ziel der Vergrösserung des Angebots an Investitionskapital für die touristischen Betriebe, wünschenswert. Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass die tschechische Tourismusbranche ausser den natürlichen und kulturellen Ressourcen gegenwärtig eher nur über qualitativ mässige Faktorbedingungen verfügt. Die Arbeitskräfte und die touristische Infra- und Suprastruktur sind zwar in genügender Menge vorhanden, müssten aber qualitativ aufgewertet werden. Der Pflege und Erhaltung der natürlichen und kulturellen Gegebenheiten wäre ebenfalls mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Der Staat kann zur Verbesserung der Faktorbedingungen beitragen, indem er zum Beispiel ein hochwertiges Aus- und Weiterbildungsangebot bereitstellt, die Forschung fördert, die nachhaltigen Tourismusprodukte steuerlich begünstigt oder die Einführung von Informationstechnologien und verbindlichen Qualitätsstandards unterstützt. Generell können die staatlichen Organe die Wettbewerbsfähigkeit der Tourismusbranche verstärken, indem sie die Aufwertung der Produktionsfaktoren zu einem der Ziele ihrer Tourismuspolitik machen. 746 747 748 749 Vgl. Kap. 9.5.4. Vgl. Kap. 9.5.3. Vgl. Smeral (1996), S. 408; Kap. 6.2. Vgl. Kap. 5.2, 6.2 und 6.3. 223 10.3.2 Präsenz von anderen Branchen Die Wettbewerbsfähigkeit einer Destination ist nicht nur durch die herrschenden Verhältnisse in der Tourismusbranche, sondern auch durch die Qualität, die Vielfältigkeit und den Spezialisierungsgrad von anderen Branchen sowie durch ihre gegenseitige Kooperation bestimmt. Da sich die in einer Branche vorhandenen Wettbewerbsvorteile in andere Branchen transferieren lassen, dürfte sich beispielsweise ein Innovationsprozess auf die ganze Wertschöpfungskette auswirken. Die Präsenz von erfolgreichen verwandten Branchen erlaubt vor allem einen Informations- und Technologieaustausch, durch welchen häufig externe Skalenerträge entstehen, die von den einzelnen Branchen sonst nicht alleine direkt internalisiert werden könnten. Bildungsinstitutionen und Forschungsinstitute können im engen Austausch mit der Wirtschaft innovative Anwendungen neuer Erkenntnisse ebenfalls erleichtern.750 Wie aus dem Kapitel 3.3 hervorgeht, werden von den Konsumenten meistens nicht einzelne touristische Dienstleistungen nachgefragt, sondern ein ganzes Leistungsbündel, welches als eine Einheit wahrgenommen wird. Der Kunde differenziert oft nicht nach den verschiedenen Erbringern und misst die Stärke der ganzen Dienstleistungskette nach ihrem schwächsten Glied. Aus diesem Grund sind die überbetrieblichen sowie branchenübergreifenden Kooperationen und die Qualität von angebotenen Produkten jedes beteiligten Betriebes von grosser Wichtigkeit. So kann beispielsweise die Hotellerie durch eine vertikale Verclusterung gemeinsam mit der Lebensmittelindustrie spezifische Kompetenzen, die Wettbewerbsvorteile verschaffen, erarbeiten. Durch laterale Verflechtungen ist z.B. bei der Automatisierung von Dienstleistungen eine Verbindung mit dem Bankensektor denkbar. Im Sinne einer horizontalen Verflechtung mit anderen Beherbergungsformen können weitere Kompetenzen in der Marktbearbeitung entwickelt werden.751 Trotz dieser Erkenntnisse ist die Kooperation in der Tourismusbranche selber und mit den anderen Branchen ungenügend. Allgemein erklärt sich dies mit der Theorie der öffentlichen Güter. Wenn nicht ein individualisierter, schnell sichtbarer Nutzen erzielt werden kann, kommt keine Zusammenarbeit zustande.752 Unter optimalen Voraussetzungen kann dagegen die Existenz von Kunden, Zulieferern und verwandten Branchen in einem bestimmten geographischen Raum einen sich selbst verstärkenden Aufwertungsprozess auslösen und damit ein Branchencluster bilden.753 Die Notwendigkeit von Kooperationen wird umso eher erkannt, je weniger Wahrnehmungsverzerrrungen bestehen, je kleiner die Transaktionskosten sind, je mehr kontrollier- und steuerbar die Kooperation ist, je klarer die Besitzverhältnisse am Nutzen sind und je mehr Kernkompetenzen durch die Kooperation weiterentwickelt werden können. Da die Cluster aber oft nicht von selbst entstehen, sind die staatlichen Organe angehalten, ihre Bildung zu fördern. Auf der Ebene der Tourismuspolitik müssen Voraussetzungen geschaffen werden, die vor allem eine selbstkritischere Wahrnehmung der Situation (Schulung, öffentlich zugängliche Analysen), Senkung der Transaktionskosten (rechtlich stabiles Umfeld, Subvention der Entwicklungskosten von Kooperationen) und klarere Abgrenzung der Nutzung der positiven externen Effekte (Schutz von Markenrechten an Destinationen, Mitfinanzierung des Tourismusmarketing) ermöglichen. Die schon vorhandenen Cluster könnten folglich durch 750 751 752 753 Vgl. Bieger (1999), S. 6; Smeral (1996), S. 403; Greuter (2000), S. 104. Vgl. Bieger (1999), S. 7 und (2001a), S. 6. Vgl. Kap. 4.3.1. Vgl. Greuter (2000), S. 114. 224 den Staat am ehesten gestärkt werden, indem Institute an Universitäten, Schulungs- und Forschungszentren, Datenbanken geschaffen und spezielle Innovationsprogramme lanciert werden.754 In der Tschechischen Republik sind die bestehenden Kooperationen auf einem niedrigen Niveau. Es fehlt an notwendiger Zusammenarbeit zwischen der privaten Tourismuswirtschaft und den staatlichen Organen. Dies manifestiert sich beispielsweise im ungenügenden Dialog im Prozess der Gesetzgebung, während dem die interessierten Exponenten der Tourismusbranche häufig nicht konsultiert werden. Wäre beispielsweise der erste Entwurf des Tourismusgesetzes755 angenommen worden, hätte bei seiner strengen Auslegung sehr wahrscheinlich kein Reisebüro mehr seine Tätigkeit ausüben dürfen. Auch weitere Beispiele wie die unüberlegte Bildung der künstlichen Tourismusregionen durch die Tourismuszentrale,756 die sich in der Praxis bereits nach kurzer Zeit nicht bewährten, deuten darauf hin, dass die Kommunikation der staatlichen Organe mit der Tourismuswirtschaft ungenügend ist. Die Kooperation unter den touristischen Betrieben selber lässt ebenfalls zu wünschen übrig. Das kurzfristige Konkurrenzdenken und die Vision eines schnellen Gewinns statt einer Kooperation, die in einem langfristigeren Horizont für alle Beteiligten Nutzen bringend wäre, dominieren in Tschechien eindeutig. Die meisten Unternehmer betrachten die anderen statt als potentielle Partner in einer Dienstleistungskette ausschliesslich als Konkurrenten.757 Dies wird z.B. bei den Präsentationen der Tourismusgebiete an verschiedenen Messen und Ausstellungen ersichtlich. Das Bild einer Region erscheint nur selten einheitlich, da sich die verschiedenen Unternehmen, Verbände, Städte, Gemeinden sowie andere Institutionen meistens einzeln vorstellen und kein gemeinsames Angebot an touristischen Dienstleistungen bieten.758 Dieses Vorgehen steht im krassen Widerspruch zu dem im Kapitel 4.5.5 diskutierten Konzept des Destinationsmanagements, das seit den 90er Jahren in den Industrieländern vermehrt eingesetzt wird und unter anderem koordiniertes Vorgehen und Zusammenarbeit anstelle von Konkurrenzverhalten verlangt. Auch bei näherer Betrachtung der privaten Träger der tschechischen Tourismuspolitik macht sich eine Zersplitterung der Kräfte bemerkbar. Die grosse Anzahl der relativ kleinen Verbände, die teilweise gleiche oder sehr ähnliche Zielsetzungen verfolgen, wirkt sich nicht nur bei Verhandlungen mit staatlichen Organen kontraproduktiv aus, sondern findet auch im Ausland nicht in dem Mass Akzeptanz, wie dies bei einer starken Vereinigung der Fall wäre.759 Wenn die privaten Institutionen in Zukunft vermehrt an der Gestaltung der Tourismuspolitik partizipieren wollen, ist aber ihre Kooperation, Koordination und Konzentration unabdingbar, da sie nur so ihre Interessen durchsetzen können. Die Vernetzung zwischen der Tourismusbranche und der Forschung ist ebenfalls unbefriedigend. In Tschechien gibt es zurzeit keine staatliche Stelle, die sich mit der Forschung auf dem Gebiet des Tourismus beschäftigt. Obwohl das Tschechische Statistische Amt tourismusrelevante Daten sammelt sowie auswertet und die Tourismuszentrale einige Forschungen durch754 755 756 757 758 759 Vgl. Bieger/Weibel (1998), S. 196 ff. Vgl. Kap. 9.6.1.1. Vgl. Kap. 5.3.3 und 9.6.1.1. Vgl. Kap. 6.2.3. Vgl. Kap. 9.5.6. Vgl. Kap. 9.3.2. 225 führt, erfüllen diese zwei Institutionen keineswegs die Funktion eines spezialisierten Institutes, das den Politikern qualitativ hochwertige Entscheidungsgrundlagen liefern und innovative Anwendungen von neuen Erkenntnissen erleichtern würde.760 Um dies zu gewährleisten sollte in Tschechien die Gründung einer staatlichen Forschungsstelle, wie dies in den meisten westlichen Ländern der Fall ist, in Betracht gezogen werden. 10.3.3 Firmenstrategien, Struktur und Wettbewerb Die dritte Determinante des Diamanten beschreibt den Wettbewerb unter Unternehmen sowie die Bedingungen, unter denen sie gegründet, organisiert und geführt werden. Die Firmenstrategien und -strukturen werden von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst, die vor allem durch die Unternehmensgrösse bestimmt werden.761 Ein intensiver inländischer Wettbewerb erlangt insbesondere für die Entstehung international erfolgreicher Branchen eine eminente Bedeutung, da er neben dem Aspekt der Effizienz auch eine psychologische und politische Disziplinierung fordert. Erzielen die ausländischen Unternehmen bessere Ergebnisse als die inländischen Konkurrenten, wird häufig argumentiert, dass die ausländischen Betriebe in den Genuss von vorteilhafteren nationalen Rahmenbedingungen kommen. Beim Binnenwettbewerb zählen diese Argumente dagegen nicht. Unterliegt ein heimisches Unternehmen gegen einen inländischen Konkurrenten, dann liegt die Ursache für das Scheitern einzig bei ihm.762 Was die Firmengrösse anbelangt, dominieren in der tschechischen Tourismusbranche eindeutig kleine Unternehmungen. Die Firmen mit 100 und mehr Mitarbeitern, welche mit ungefähr 20% zum Umsatz der Branche beitragen, bildeten im Jahr 1999 nur 0.14% der Gesamtzahl.763 Die beschränkte wirtschaftliche Macht der einzelnen KMU, die relativ hohen Produktionskosten, der erschwerte Zugang zum Investitionskapital und die daraus resultierende fehlende Innovationsfähigkeit führen dazu, dass viele von ihnen heutzutage nicht mehr fähig sind, aus eigener Kraft in Konkurrenz mit Grossunternehmen und internationalen Unternehmensketten zu bestehen. Ausserdem verfolgen die meisten KMU nur kurzfristige Zielsetzungen, was bewirkt, dass keine Kooperationen unter ihnen zustande kommen.764 Unter solchen Umständen ist es auch nicht möglich, eine Destination auf dem Tourismusmarkt als eine Einheit anzubieten und ihre Wettbewerbsfähigkeit damit zu erhöhen. Die staatliche Unterstützung der touristischen KMU ist in Tschechien ungenügend und hat eher Subventionierungscharakter, wodurch für die Branche keine langfristigen Wettbewerbsvorteile geschaffen werden.765 Die geschilderte KMU-Problematik ist in der europäischen Tourismusbranche nicht neu. Mit dem gleichen Thema beschäftigen sich Länder wie Frankreich, die Schweiz, Deutschland und Österreich: „The many small and medium enterprises … have difficulties forming a unique destination with related experiences for global competition and to distribute their products worldwide … Currently it is by far easier to market an island with a few hotels, an airport and a well defined destination-related experience than to market a sophisticated highly developed 760 761 762 763 764 765 Vgl. Kap. 9.5.3. Vgl. Smeral (1996), S. 404. Vgl. Greuter (2000), S. 105. Vgl. Tabelle 13. Definitionsgemäss gehören aber sogar diese Unternehmen zu KMU. (Vgl. Fussnote 389). Vgl. Kap. 6.2.3. Vgl. Kap. 9.6.3. 226 river valley in Austria or a mountain valley in Switzerland or Bavaria.”766 Wie bereits erwähnt wurde, handelt es sich bei den Kooperationen um ein öffentliches Gut, das von der privaten Tourismuswirtschaft nicht in einem genügenden Umfang hergestellt wird.767 Deshalb muss hier der Staat intervenieren und günstige Bedingungen für die überbetriebliche Zusammenarbeit schaffen: „The challenge of tourism policy … will be to convince the SME [small and medium enterprises] owners that they have to be open to cooperation and give up some firm autonomy in order to survive economically in tourism.“768 Was die Wettbewerbsbedingungen auf dem tschechischen Tourismusmarkt anbelangt, wurde bereits im letzten Kapitel dargelegt, dass der inländische Wettbewerb durch ein Konkurrenzverhalten geprägt ist, dass sich auf die Erreichung von kurzfristigen Zielen ausrichtet. Durch die bestehenden Schutzregulierungen sind die einheimischen Unternehmen noch nicht vollkommen der internationalen Konkurrenz ausgesetzt, was sich unter anderem in einer vergleichsweise niedrigeren Qualität der angebotenen Dienstleistungen widerspiegelt. Dies sollte sich nach dem EU-Beitritt im Jahr 2004 ändern. Mit der EU-Mitgliedschaft werden für die Tourismusbranche einerseits Wachstumsimpulse erwartet, welche die Investitionen erhöhen und die Dienstleistungsqualität verbessern; andererseits wird aber seitens der KMU (vor allem diejenigen aus den niedrigen Preisklassen) eine wesentliche Verschlechterung ihrer Konkurrenzfähigkeit befürchtet.769 Die Schaffung der Voraussetzungen für das Bestehen der einheimischen Unternehmen auf dem europäischen Markt sollte zu den prioritären Aufgaben der gegenwärtigen Tourismuspolitik gehören. Zusammenfassend ergibt sich, dass die tschechische Tourismuswirtschaft über eine sehr ähnliche Unternehmensstruktur wie die westlichen europäischen Länder verfügt. Die Kooperationen in der Branche selber und mit anderen Branchen erreichen das europäische Niveau aber bei Weitem nicht. Bei der unveränderten Verfolgung des bisherigen tourismuspolitischen Kurses, und vor allem ohne vermehrte staatliche Unterstützung der KMU sowie ihrer gegenseitigen Zusammenarbeit muss die tschechische Tourismusbranche in Zukunft mit weiteren Einbussen rechnen. 10.3.4 Nachfragebedingungen Der inländische Markt ist oft dafür massgebend, dass die Präferenzänderungen und neue Trends auf der Nachfrageseite von den Unternehmen wahrgenommen und nötige Innovationen vorgenommen werden. Dies lässt sich damit erklären, dass das Verständnis der Unternehmer gegenüber Bedürfnissen von einheimischen Kunden normalerweise viel mehr ausgeprägt ist als bei der geographisch und kulturell weit gelegenen Kundschaft. Wenn die lokalen Nachfrager anspruchsvoll sind, dann können bestimmte Branchen besonders wettbewerbsfähig werden. Zum einen werden dadurch die Hersteller angehalten, immer qualitativ bessere Produkte anzubieten und zum anderen können wählerische Konsumenten Trends kreieren, die der Branche einen Vorteil verschaffen, wenn sie von den Unternehmen frühzeitig beachtet werden. Ausserdem werden die Wettbewerbsvorteile einer Branche zusätzlich verstärkt, wenn die Inlandnachfrage schnell wächst. Sie ist für die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit am 766 767 768 769 Smeral (1996), S. 404. Vgl. Kap. 4.3.1. Smeral (1996), S. 404. Vgl. Kap. 9.7.2. 227 wirksamsten, wenn sie einen frühen und andauernden Antrieb für Investitionen und Innovationen ermöglicht.770 In Tschechien sind die einheimischen Nachfrager nach touristischen Dienstleistungen nicht allzu anspruchsvoll. In der ersten Hälfte der 90er Jahre richtete sich ihre Nachfrage auf einfache, undifferenzierte, monokulturelle Basisleistungen mit minimalem Komfort – ein bescheidener Urlaub im Ausland wurde oft einem gehobeneren im eigenen Land vorgezogen. Auch die ausländischen Besucher stellten an die Dienstleistungen keine grossen Ansprüche, da die Neugier, eine unbekannte postkommunistische Destination zu bereisen so gross war, dass nicht nach dem üblichen Komfort verlangt wurde. Als Resultat kam es zu keinen qualitativen Verbesserungen und Innovationen der angebotenen Produkte. Der Nachfrageüberhang und die Entwicklung des Tourismusmarktes zu einem Verkäufermarkt verstärkten diese Tendenz noch zusätzlich. Erst Ende der 90er Jahre kam es zu grösseren Veränderungen. Aus den Reihen der tschechischen Unternehmer etablierte sich ein Segment, das vermehrt an komfortablen Reisen in höheren Preiskategorien interessiert war und ein innovatives Angebot forderte. Die ausländischen Besucher waren zunehmend nicht mehr bereit, gewisse Missstände zu tolerieren und stellten an das Reisen in die postkommunistischen Länder immer höhere Ansprüche.771 Da man in der Tourismusbranche diese Signale aber nicht richtig wahrnahm und das Angebot nicht entsprechend anpasste, wurden durch diese Impulse keine Wettbewerbsvorteile geschaffen. Im Gegenteil, die Position des Reiselandes Tschechien auf dem internationalen Markt fing an, wie bereits im Kapitel 7.4 skizziert wurde, sich kontinuierlich zu verschlechtern. Neben den Konsumenten kann die touristische Nachfrage auch der Staat beeinflussen. Als Abnehmer vieler Güter und Dienstleistungen hat er einen direkten Einfluss auf die Nachfragebedingungen. Wenn die staatliche Nachfrage die inländischen Branchen aufwerten und Innovationen schaffen soll, muss sie strenge Anforderungen an die Produkte formulieren und durchsetzen sowie ein starkes Wettbewerbselement erhalten. Der Staat kann verschiedene Regulierungen schaffen. Strenge Normen führen in der Regel dazu, dass die Unternehmen die Qualität verbessern, die verwendeten Technologien aufwerten, ihr Umweltbewusstsein stärken und auf das soziale Wohlergehen mehr achten. Solche Normen wirken wie ein anspruchsvoller Konsument, weil sie die Entwicklung von qualitativ besseren Gütern anregen. Damit die staatlichen Anreize effizient werden, muss auf dem einheimischen Markt aber ein wirkungsvoller Wettbewerb spielen – dann ist eine solche Anreizstrategie viel vorteilhafter als eine blosse Subventionierung.772 Im Weiteren kann der Staat durch die Förderung von Marketing- und Werbemassnahmen oder durch informatorische Kampagnen in den Medien direkt die Nachfrager beeinflussen, indem er sie zum Beispiel für bestimmte Arten des Fremdenverkehrs sensibilisiert. Mit der Unterstützung eines Destinationsmarketings kann er mithelfen, potentielle Kunden für den Besuch der Destination zu gewinnen. In der tschechischen Tourismusbranche ist die Beeinflussung von Nachfragebedingungen seitens des Staates eher schwach ausgeprägt. Die Nachfrage der staatlichen Institutionen setzt für die Unternehmer meistens keine innovativen Impulse, da die Ansprüche an die Qualität der verlangten Dienstleistungen nicht allzu hoch sind. Dies ist vor allem auf die noch eher quanti770 771 772 Vgl. Greuter (2000), S. 103 f. Vgl. Kap. 6.5.3. Vgl. Greuter (2000), S. 112 ff. 228 tativ orientierte Denkweise, die noch nicht abgeschlossene Transformation der Wirtschaft und den Mangel an finanziellen Mitteln zurückzuführen. Verbindliche Standards für die Unterkunftseinrichtungen, die in vielen Ländern als eine Art staatliche Garantie für die Qualität von angebotenen Dienstleistungen dienen, gibt es in Tschechien nicht.773 Für die Förderung der touristischen Nachfrage im Ausland ist die Tourismuszentrale zuständig. Ihre Marketingaktivitäten sind im Vergleich zu anderen Ländern aber ungenügend und können die Veränderungen in der Nachfrage nicht im gewünschten Mass bewirken.774 Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass die Diamanten-Determinante „Nachfragebedingungen“ in der tschechischen Tourismusbranche nicht stark ausgeprägt ist und der Branche momentan keine Wettbewerbsvorteile verschafft. 10.4 Wettbewerbsstrategien In den vorangehenden Kapiteln wurden die vier Faktoren, welche für die Wettbewerbsfähigkeit eines Ortes oder Branche verantwortlich sind, identifiziert und analysiert sowie einzelne Massnahmen zu ihrer Verbesserung vorgeschlagen. Es ergab sich, dass die tschechische Tourismusbranche in keiner Diamant-Determinante über wesentliche Wettbewerbsvorteile verfügt. Soll ihre Position auf dem internationalen Markt wieder gestärkt werden, muss der Vervollständigung des Diamanten in der zukünftigen Tourismuspolitik mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden und eine erfolgsversprechende Wettbewerbsstrategie festgelegt werden. Aus den drei Grundtypen von Wettbewerbsstrategien bieten sich, da eine Destination wegen des möglichen direkten Vergleichs durch die Kunden am Ort des Konsums nicht auf verschiedenen Märkten mit unterschiedlichen Qualitäten und Preisen präsent sein kann, die Kostenführer- und Differenzierungsstrategie an.775 Das Ziel der Kostenführerstrategie ist es, günstige und qualitativ standardisierte Produkte in grossen Mengen bei gleichzeitiger Optimierung der Skalenerträge zu produzieren und damit möglichst viele ausländische Besucher anzulocken.776 In der tschechischen Tourismusbranche kam diese Strategie, obwohl sie eher unbewusst verfolgt wurde, in den ersten Jahren nach der Wende zum Zug. Es wurden zwar meistens keine qualitativ zufrieden stellenden Dienstleistungen angeboten, aber dafür lag ihr Preis im europäischen Vergleich auf einem tiefen Niveau.777 Tschechien verfügte in Europa über den Ruf einer billigen Destination, was dazu beitrug, dass es vermehrt auch von der jungen Generation und von Gruppen mit niedrigerem Einkommen als Reiseziel ausgesucht wurde. Zurzeit werden die Preise und vor allem jene für die ausländischen Besucher778 allmählich an das Niveau der westlichen Länder angepasst, wobei bei der Qualität der angebotenen Produkte aber meistens keine entsprechenden Veränderungen vorgenommen werden. Das Image eines billigen Landes verlor die Tschechische Republik dadurch nicht, da die zu bezahlenden Preise immer noch unter dem EUDurchschnitt liegen. Sie gewann dagegen aber die Reputation einer touristischen Destination, wo die angebotene Qualität der Dienstleistungen ungenügend und dem verlangten Preis nicht angemessen ist. 773 774 775 776 777 778 Vgl. Kap. 9.5.5.2. Vgl. Kap. 9.3.1 und 9.5.1. Vgl. Bieger/Beritelli (1996), S. 431 f. Vgl. Bieger/Beritelli (1996), S. 432. Vgl. Kap. 7.4. Zur Problematik der dualen Preise vgl. Kap. 6.3. 229 Tschechien gehört mit seiner stagnierenden Tourismusbranche nun zu den vielen anderen Destinationen, die um ihre Kunden kämpfen müssen. Aufgrund der Erfahrungen der anderen Länder, die sich in der gleichen Phase ihres touristischen Lebenszyklus befinden und sich auch durch eine kleingewerbliche Struktur der Tourismusbranche auszeichnen, ist die Kostenführerschaft für die nahe Zukunft keine empfehlenswerte Wettbewerbsstrategie. Viel mehr sollte im Rahmen des Destinationsmanagements auf eine Differenzierungsstrategie gesetzt werden, die auf den unimitierbaren Kompetenzen aufbaut und ermöglicht, durch optimale Kooperationen einmalige Tourismusprodukte zu generieren. 10.4.1 Konzept des Destinationsmanagements Das Destinationsmanagement bildet einen konzeptionellen Ansatz, der mit den Ausprägungen der Determinanten des Diamanten-Modells übereinstimmt und aufgrund der Identifizierung und der Entwicklung von Kernkompetenzen einen Beitrag zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit einer touristischen Destination leisten soll. Wie sich bereits aus dem Kapitel 4.5.5 ergibt, ermöglicht die Schaffung von nicht leicht imitierbaren Kompetenzen die Erschliessung neuer Märkte oder die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit in bestehenden Märkten. Die neuen Marktleistungen entstehen vor allem dank den überbetrieblichen und branchenübergreifenden Kooperationen sowie durch Produkt- und Prozessinnovationen. In den wissenschaftlichen Kreisen gilt das Destinationsmanagement als eine erfolgsversprechende Strategie beim Rückgang der touristischen Nachfrage: „As the globalisation of tourism markets and the rapid changes in the conditions for the international competition challenge tourism policy, there is a growing need to implement successful destination management.“779 In den westlichen europäischen Ländern wird das Destinationsmanagement zunehmend praktiziert. In Tschechien wird sein möglicher Einsatz zurzeit in vereinzelten Regionen geprüft. Über ein ausgearbeitetes Pionierkonzept des Destinationsmanagements verfügen beispielsweise die Stadt Krumau (Český Krumlov) und die Region Böhmisches Paradies (Český ráj). Auf der gesamtstaatlichen Ebene fand das Destinationsmanagement noch keinen Eingang in die Tourismuspolitik. Dies hängt damit zusammen, dass in Tschechien nach mehreren Jahren eines fast vollständigen „Laisser-faire“ auf dem Tourismusmarkt erst vor kurzem der Weg einer konzeptionellen Tourismuspolitik eingeschlagen wurde. Es ist deshalb anzunehmen, dass die ungenügend anpassungsfähigen staatlichen Organe780 in einem angemessenen Zeithorizont kaum fähig sein werden, die neue Herausforderung wahrzunehmen und eine schnelle Einführung des Destinationsmanagements zu lancieren. 779 780 Smeral (1996), S. 406. Vgl. Kap. 11.3.7 und 11.3.8.2. 230 10.5 Fazit Die tschechische Tourismusbranche befindet sich nach mehreren Jahren eines beachtlichen Wachstums seit 1997 in einer Stagnationsphase. Die Gründe der Stagnation lassen sich auf mehrere angebots- und nachfrageorientierte Ursachen sowie auf einige Fehlentwicklungen auf der mikro- und makroökonomischen Ebene zurückführen. Auf der mikroökonomischen Ebene war es vor allem der Mangel an Kapital, was den KMU die dringlich gebotenen Investitionen zur Verbesserung ihrer Dienstleistungen nicht ermöglichte und folglich zu einer wachsenden Unzufriedenheit der Gäste führte. Zudem war im Ausland die Neugier nach der Besichtigung einer postkommunistischen Destination nach einigen Jahren zum grossen Teil befriedigt und da Tschechien kein neues kreatives Angebot präsentierte, verstärkte sich die sinkende Tendenz in der Nachfrage noch zusätzlich. Die Nachfrage der einheimischen Bevölkerung nach Auslandsreisen wurde ebenfalls allmählich gesättigt und durch die schlechte wirtschaftliche Lage noch weiter abgeschwächt. Seitens des Staates waren es vor allem die pragmatische Ausgestaltung seiner Tourismuspolitik und die Ignorierung der Zeichen, dass sich die Branche bereits in ihrer Reifephase befindet, die das Kommen der Stagnation beschleunigten. Um den Eintritt der tschechischen Tourismusbranche in die letzte Etappe ihres Lebenszyklus, in die Abschwungsphase, zu verhindern, müssen sowohl entsprechende Massnahmen auf der betrieblichen Ebene als auch eine Neuausrichtung in der Tourismuspolitik eingeschlagen werden. Wichtig ist vor allem, dass die tourismuspolitischen Rahmenbedingungen der veränderten Lage angepasst werden und dass Voraussetzungen geschaffen werden, die eine innovative Nutzung von unternehmerischen Handlungsspielräumen ermöglichen. Bei den einzelnen Unternehmen kommt es insbesondere darauf an, wie schnell sie lernen, mit den neuen Bedingungen umzugehen. Werden keine Anpassungen vorgenommen und weiterhin Aktivitäten und Massnahmen eines Wachstumsmarktes verfolgt, lässt sich die Degenerationsphase der Branche kaum noch abwenden. Die Behebung der Ursachen der Stagnation muss zu den wesentlichen Aufgaben der gegenwärtigen staatlichen Tourismuspolitik gehören. Je schneller wirksame Massnahmen zur Verstärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Tourismusbranche getroffen werden, desto geringer werden ihre weiteren Verluste sein. Die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit hat heutzutage in der Tourismuspolitik der Industrieländer, die sich in der gleichen Phase ihres touristischen Lebenszyklus wie Tschechien befinden, oberste Priorität. Will sich die Tschechische Republik auf dem internationalen Markt wieder behaupten, muss die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit zu den zentralen langfristigen Aufgaben ihrer Tourismuspolitik gehören. Die Wettbewerbsfähigkeit einer Destination lässt sich als ein Diamant mit vier Determinanten darstellen. Aufgrund ihrer Ausprägung kann auf die Wettbewerbsvorteile oder -nachteile geschlossen und Massnahmen zu ihrer Verbesserung vorgeschlagen werden. Dem Staat stehen mehrere Instrumente zu ihrer Beeinflussung zur Verfügung. Wichtig ist, dass die eingeleiteten Massnahmen nicht überwiegend einen Subventionierungscharakter haben, sondern den Unternehmen innovative Impulse geben und dadurch die Erweiterung der Diamant-Determinanten und die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Branche fördern. Die Ausstattung der tschechischen Tourismusbranche mit den Faktorbedingungen ist bis auf die natürlichen und kulturellen Gegebenheiten auf einem niedrigen Niveau. Die Arbeitskräfte und die touristische Infra- und Suprastruktur sind zwar in einer genügenden Menge vorhanden, müssten aber qualitativ aufgewertet werden. Es fehlt an der nötigen Zusammenarbeit un- 231 ter den Tourismusakteuren sowie zwischen der Praxis und der Forschung. In der tschechischen Tourismusbranche dominieren eindeutig die KMU, die heutzutage aber aus eigener Kraft nicht mehr fähig sind, in Konkurrenz mit Grossunternehmen und internationalen Unternehmensketten zu bestehen. Nach dem EU-Beitritt befürchten vor allem die Betriebe in den niedrigen Preisklassen noch eine zusätzliche Verschlechterung ihrer Konkurrenzfähigkeit, da sie nicht im Stande sein werden, bei der Qualität der Dienstleistungen Schritt zu halten. Die bestehende staatliche Hilfe für die KMU ist ungenügend und hat eher Subventionierungscharakter. Für die direkte Förderung der touristischen KMU steht nur ein jährliches Unterstützungsprogramm mit sehr beschränkten Mitteln zur Verfügung. Zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Tourismusbranche können auch anspruchsvolle Kunden beitragen, welche die Anbieter dazu anhalten, immer qualitativ bessere Produkte auf den Markt zu bringen. In Tschechien sind die einheimischen Nachfrager aber nicht sehr anspruchsvoll, was sich folglich in einer ungenügenden Qualität der Dienstleistungen manifestiert. Auch die Nachfrage des Staates setzt für die Unternehmer meistens keine innovativen Impulse, da seine qualitativen Ansprüche ebenfalls eher niedrig sind. Für die direkte Förderung der Nachfrage im Ausland ist die Tschechische Tourismuszentrale zuständig. Ihre Marketingaktivitäten können jedoch wegen des Mangels an finanziellen Mitteln nicht im gewünschten Mass durchgeführt werden und somit bleiben die ersehnten Veränderungen im Nachfrageverhalten der potentiellen Kunden aus. Zusammenfassend ergibt sich, dass die tschechische Tourismusbranche in keiner DiamantDeterminante über wesentliche Wettbewerbsvorteile verfügt. Soll ihre Position auf dem internationalen Markt gestärkt werden, muss der Erweiterung der Determinanten und der Vervollständigung des Diamanten in der Tourismuspolitik mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Dazu steht den Tourismusverantwortlichen der Einsatz von mehreren Wettbewerbsstrategien offen. Nach dem Systemwechsel lockte Tschechien die ausländischen Besucher mit seinem Ruf als billige Destination an. Mit den steigenden Ansprüchen der Tourismusteilnehmer und mit der allmählichen Angleichung des Preisniveaus an andere europäische Länder stellt die Kostenführerschaft für die Zukunft jedoch keine empfehlenswerte Strategie dar. Vielmehr sollte im Rahmen des Destinationsmanagements auf eine Differenzierungsstrategie gesetzt werden, die auf unimitierbaren Kompetenzen aufbaut und es erlaubt, durch optimale Kooperationen einmalige Tourismusprodukte zu schaffen. In naher Zukunft ist aber in Tschechien, wo erst vor kurzem der Weg einer konzeptionellen Tourismuspolitik eingeschlagen wurde, mit einer gesamtstaatlichen Lancierung des Destinationsmanagements eher nicht zu rechnen. Die staatlichen Organe werden kaum fähig sein, diese neue Herausforderung unmittelbar wahrzunehmen und die nötigen Massnahmen in die Wege zu leiten. TEIL III: TOURISMUSWIRTSCHAFT IN TRANSFORMATION 235 11 Empfehlungen für eine Tourismuspolitik in Transformation 11.1 Überblick „Wer sich heute nicht verändert und innovativ dem Wandel stellt, der verharrt nicht auf dem gleichen Niveau, sondern fällt zurück.“ Georges Fischer Nachdem in den vorangegangenen Teilen die theoretischen Grundlagen der Tourismuspolitik und die Praxis der tschechischen Tourismuspolitik in der Übergangsphase erläutet wurden, steht dieser Teil im Zeichen der Explikation. Aufgrund der Gegenüberstellung der theoretischen Überlegungen des ersten Teiles und der Erkenntnisse aus der Fallstudie über die tschechische Tourismusbranche werden Gestaltungsempfehlungen für eine Tourismuspolitik in Transformation abgeleitet. Die gemachten Aussagen sind mit Wertungen verbunden, die sich bei einem Gebiet wie demjenigen der Tourismuspolitik, das stark durch Werte und Ideologien geprägt ist, nicht vermeiden lassen. Sie werden zusätzlich durch die subjektiven Erfahrungen des Forschers beeinflusst. Um eine möglichst breite Perspektive zu wahren, werden die in der Realität bisher angetroffenen und von der Gesellschaft allgemein akzeptierten Wert- und Zielvorstellungen übernommen. Zur Sicherung der Reliabilität der Ergebnisse beruhen die empirisch-normativ abgestützten Empfehlungen, welche im Rahmen einer argumentativen Verallgemeinerung hergeleitet werden, auf einer nachvollziehbaren, analytischen, vergleichenden und chronologischen Auseinandersetzung. Die gewonnenen Empfehlungen können als ein Raster zur Beurteilung der Tourismuspolitik der einzelnen Transformationsländer verwendet werden. Ausserdem sollen sie den Politikern neue Denkanstösse für die Ausrichtung ihrer Fremdenverkehrspolitik geben sowie ihnen den Zusammenhang zwischen der Tourismusentwicklung und der praktizierten Tourismuspolitik aufzeigen. Den zentralplanwirtschaftlich organisierten Ländern und den Entwicklungsländern mit der Ausgestaltung der Fremdenverkehrspolitik als eine universelle Planungsaufgabe können die Empfehlungen als eine Anleitung für den Übergang zu einer marktwirtschaftlich orientierten Tourismuswirtschaft dienen indem sie ihnen eine integrierte Sicht der Transformation der Tourismusbranche vermitteln. Die Fehlentscheidungen, die den Tourismusverantwortlichen in Tschechien während der Transformation unterliefen, sowie ihre weit reichenden Folgen können auf diesem Weg vermieden werden. Bei der Implementierung der politischen Massnahmen in anderen Ländern muss die externe Validität der Untersuchung beachtet werden. Es ist immer im Auge zu behalten, dass die Verallgemeinerung der Ergebnisse einer Fallstudie nicht unproblematisch ist, und dass die abgeleiteten Empfehlungen den jeweils bestehenden wirtschaftlichen und politischen Bedingungen eines bestimmten Transformationslandes, dem Lebenszyklus seiner Tourismusbranche und der aktuellen Entwicklung auf dem internationalen Tourismusmarkt anzupassen sind. 236 11.2 Transformation der Tourismusbranche Wie aus den Kapiteln 1.2 und 2.5 hervorgeht, erweist sich die angestrebte Rückkehr der Transformationsländer zu einer marktorientierten Wirtschaft als ein langwieriger Weg, der auch die Tourismuswirtschaft einer schwierigen Probe unterzieht. Der erhebliche Strukturwandel, der durch die Einführung der Marktwirtschaft erfolgte, machte eine neue Ausrichtung der Tourismuspolitik und Umstrukturierungen in der Tourismusbranche unabdingbar. Es ist eine völlig neue Herausforderung und da alle vorgenommenen Handlungen mit Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit verbunden sind, wird die Transformation in den wissenschaftlichen Kreisen oft mit einem präzedenzlosen Experiment verglichen. Von den osteuropäischen Staaten, die nach dem Umbruch im Jahre 1989 den Übergang zur Demokratie in die Wege leiteten und mit einem radikalen Umbau ihrer wirtschaftlichen Strukturen anfingen, hat noch keiner die Transformationsprozesse abgeschlossen. Die Tschechische Republik wird als eines der Länder mit den besten Resultaten bewertet,781 dessen Erfahrungen deshalb für die anderen Transformationsländer sowie für die Länder, die von einer planwirtschaftlich geleiteten Tourismuswirtschaft zu einem nach marktwirtschaftlichen Prinzipien funktionierenden Tourismusmarkt übergehen wollen, in mehrerer Hinsicht nützlich sein können. Die Erkenntnisse aus der Transformation der Tourismuswirtschaft sollen den Verantwortlichen die durchzuführenden Veränderungen aufzeigen und damit einen möglichst reibungslosen Übergang der Branche zur Marktwirtschaft fördern. Ausser diesen unmittelbaren Erfahrungen besteht in den westlichen Ländern ein breites Wissen über die Funktionsweise der Tourismuswirtschaft unter marktwirtschaftlichen Bedingungen, welches den Transformationsländern ebenfalls als Richtschnur für ihre Tourismuspolitik dienen kann. Dies umso mehr, weil sich die meisten sich transformierenden Länder heutzutage in der gleichen Phase ihres touristischen Lebenszyklus wie die meisten europäischen Industrieländer befinden und mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben.782 Die tschechische Tourismusbranche geriet nach einem anfänglich kontinuierlichen Wachstum 1997 in eine Stagnation und steht nun an der Schwelle zur Abschwungsphase.783 Um den Eintritt in diese Phase zu verhindern und die verlorenen Anteile auf dem internationalen Tourismusmarkt wieder zu gewinnen, muss zu den wichtigsten Aufgaben ihrer Tourismuspolitik die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der touristischen Standorte gehören.784 Dies wird durch eine langfristig ausreichende Wertschöpfung, welche attraktive mobile Faktoren wie Kapital und gut qualifizierte Arbeitskräfte an sich bindet, erreicht. Diese Zielsetzung wird in den entwickelten Ländern als „neues Paradigma der Tourismuspolitik“785 bezeichnet und seine Erfüllung wird vor allem mit Hilfe des Destinationsmanagements angestrebt. Dieses Konzept geht davon aus, dass die Destinationen als Unternehmen, die sich in einem Konkurrenzumfeld befinden, geführt werden müssen.786 Die staatlichen Organe können die Faktoren, welche für die Wettbewerbsfähigkeit eines Standortes verantwortlich sind, mit verschiedenen Instrumenten beeinflussen. Die Massnahmen sollten nicht Subventionierungscharakter haben, sondern vor allem 781 782 783 784 785 786 Vgl. Kap. 5.7.4.3 und 5.8. Vgl. Kap. 4.2. Vgl. Kap. 7.3. Vgl. Kap. 7.3, 10.2 und 10.3. Vgl. Greuter (2000), S. 150. Vgl. Kap. 4.5.5. 237 marktnahe Anreize für gemeinsame Marketingmassnahmen, Innovationen und überbetriebliche Kooperationen schaffen.787 11.3 Empfehlungen für die Tourismuspolitik Aufgrund der Gegenüberstellung der Kenntnisse über die tschechische Tourismuswirtschaft in der Übergangsphase und des Wissens über die Funktionsweise der Tourismusbranche in der Marktwirtschaft werden in den nächsten Kapiteln Empfehlungen für eine Tourismuspolitik in Transformation hergeleitet. Bei ihrer Gliederung wird von der im Kapitel 4 vorgenommenen Einteilung der verschiedenen Aspekte der Tourismuspolitik ausgegangen. Es ist zu beachten, dass die gewonnenen Empfehlungen keinen Anspruch auf Vollständigkeit beinhalten und nicht ohne weiteres auf die Tourismuspolitik der Transformationsländer übertragen werden können.788 11.3.1 Ausgestaltung der Tourismuspolitik 11.3.1.1 Ordnungspolitik Wie im Kapitel 4.5 festgehalten, wird in den marktwirtschaftlich orientierten Systemen gegenwärtig davon ausgegangen, dass die Tourismuspolitik eher einen ordnungsrechtlichen Charakter haben soll und statt reine strukturpolitische Eingriffe vorzunehmen, sich an der Schaffung von gut funktionierenden Rahmenbedingungen für die Privatwirtschaft zu orientieren hat. Ihre Aufgabe muss es vor allem sein, die notwendigen Voraussetzungen für Unternehmen zu schaffen, damit diese den Strukturwandel selbst bewältigen können. In Tschechien wurden die grundlegenden Rahmenbedingungen für die private Unternehmenstätigkeit in der Tourismusbranche bereits kurz nach der Wende geschaffen und die Voraussetzungen für die Ausübung der touristischen Gewerbe weitgehend liberalisiert. Dies ist einerseits positiv zu bewerten, da es den Unternehmern einen schnellen Start ermöglichte und zu einem gewünschten Aufschwung der Branche führte. Andererseits bestand aber kein Schutz vor den negativen Auswirkungen einer zu liberalen Ordnung und auf dem Markt herrschte fast ein vollständiger „Laisser-faire“.789 Das Tourismusgesetz, das den Konsumentenschutz beinhaltet, trat z.B. erst im Jahr 2000 in Kraft, nachdem mehrere Reisebüro-Kunden einen erheblichen Schaden erlitten.790 Diese Tatsachen sowie die allgemeine Unterordnung der ordnungspolitischen Herausforderungen der Stabilisierungsfrage und die Missachtung der Probleme auf der mikroökonomischen Ebene beschleunigten Mitte der 90er Jahre den Eintritt der Tourismusbranche in die Stagnation und verstärkten noch zusätzlich die negativen Trends in der Tourismusentwicklung. Wie die tschechischen Erfahrungen zeigen, spielt eine möglichst schnelle Ausgestaltung angemessener Rahmenbedingungen, die für eine Unternehmenstätigkeit ein gutes Klima schaffen und gleichzeitig auch eine bestimmte Ordnung und einen Schutz aller Beteiligten garantieren, bei der Transformation der Tourismuswirtschaft eine entscheidende Rolle. Als Beispiel 787 788 789 790 Vgl. Kap. 3.4.2 und 10.3. Vgl. Kap. 11.4. Vgl. Kap. 9.2.2. Vgl. Kap. 9.6.1.1. 238 dafür kann ein anderes Transformationsland wie Ungarn dienen, wo bereits im Jahr 1995 ein Tourismusgesetz verabschiedet wurde und der Konsumentenschutz im europäischen Vergleich stark ausgebaut ist. Wichtig ist, dass der Staat den Privaten eine relativ grosse Freiheit gewährleistet, sich aus der aktiven Tourismuspolitik aber nicht ganz zurückzieht, sondern die Funktion eines Koordinators und Supervisors erfüllt: “The role of the state in a market economy remains important, although very different from that in a command economy. Instead of directing output and resources, the role of the state is to set, supervise and enforce ‘the rules of the game’.”791 Aus den obigen Ausführungen resultiert für eine Tourismuspolitik in Transformation folgende Empfehlung: • Möglichst schnell freundliche ordnungspolitische Rahmenbedingungen gestalten, die einerseits das Aufkommen des Tourismus unterstützen, andererseits aber auch gewisse Spielregeln auf dem Markt festlegen und den Schutz aller Teilnehmer vor negativen Auswirkungen einer zu liberalen Ordnung garantieren. 11.3.1.2 Strukturpolitik In den marktwirtschaftlich orientierten Ländern wird mehrheitlich die Meinung vertreten, dass die strukturpolitischen Massnahmen in der Tourismusbranche auf den Strukturwandel fokussiert werden müssen und nicht der Erhaltung der alten Strukturen dienen sollen. Der Staat muss vor allem die notwenigen Freiräume und Anreize schaffen, damit die Unternehmen den Strukturwandel selbst bewältigen können. Wenn die Massnahmen vor allem auf Subventionierung zu konsumtiven Zwecken ausgerichtet sind und die Tourismuspolitik somit zu einer Schutzpolitik umfunktionieren, wird ihre Wirksamkeit aus der langfristigen Perspektive in Frage gestellt. Das Betreiben einer reinen Strukturpolitik erscheint vor allem durch das Argument der Strukturverzehrung zunehmend fraglich.792 In der Tschechoslowakei wurde vor 1989 eine äusserst aktive staatliche Strukturpolitik betrieben, welche den nicht existenten Wettbewerb auf dem Tourismusmarkt ersetzte. Nach der Wende zog sich der Staat aus der Tourismuspolitik stark zurück – viele Subventionen wurden radikal gestrichen und von einer reinen Strukturpolitik abgesehen. Dies führte allmählich dazu, dass die anfänglich gut prosperierenden touristischen KMU nicht mehr fähig waren, das Tempo der Tourismusentwicklung beizubehalten. Der schwierige Zugang zum Kapital verunmöglichte die notwendigen Investitionen in die Infrastruktur und in die Personalressourcen und verhinderte folglich die Verbesserung der Qualität der angebotenen Dienstleistungen.793 Die geringen staatlichen Beiträge an die Tourismuswerbung und -forschung, die ungenügende Bereitstellung der öffentlichen Infrastruktur sowie die Vernachlässigung der Aufwertung des Humankapitals verursachten weitere Fehlentwicklungen. Der massenhafte Abbau der finanziell erleichterten Ferien und der Finanzierung der Aufenthalte in Kurorteinrichtungen führten zum Ausschluss der älteren und einkommensschwachen Gruppen von der Teilnahme am Tourismus.794 791 792 793 794 Jandala (1996), S. 328. Vgl. Kap. 4.5.2. Vgl. Kap. 6.2.3. Vgl. Kap. 9.4 und 9.5. 239 Obwohl in den Transformationsländern nach dem politischen Wechsel oft eine Abneigung gegenüber staatlichen Interventionen spürbar ist, sollten diese nicht sofort und vollkommen abgebaut werden. Wie die Erfahrungen von Tschechien zeigen, werden dadurch aus der langfristigen Sicht keine Wettbewerbsvorteile für die Branche geschaffen. In erster Linie müssen diejenigen Subventionen gestrichen werden, welche auf die Deckung der konsumtiven Zwecke ausgerichtet sind. Beibehalten werden sollten dagegen vor allem Massnahmen, die der Stärkung der kleinen und mittleren Unternehmensstrukturen sowie ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf dem Tourismusmarkt dienen. Daraus ergibt sich für eine Tourismuspolitik in Transformation folgende Empfehlung: • Die Subventionierung der Tourismusbranche nicht überstürzt abbauen, sondern die Massnahmen schrittweise auf den Strukturwandel fokussieren und vor allem für eine genügende Unterstützung der KMU sorgen. 11.3.1.3 Pragmatische und konzeptionelle Tourismuspolitik Obwohl die pragmatische Ausgestaltung der Tourismuspolitik am ehesten der Konzeption einer liberalen Marktwirtschaft entspricht, neigt die weltweite Entwicklung in den Industrieländern zu einer konzeptionellen Ausgestaltung, die von einer mehr oder weniger verbindlichen Konzeption getragen wird. Beim Rückgang der touristischen Nachfrage wird zum Konzept des Destinationsmanagements gegriffen, dessen Einsatz die Wiedererlangung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit sichern soll.795 Die pragmatische Handlungsweise sollte nur ausnahmsweise, vor allem wenn ein rasches Handeln angesagt ist, zum Zug kommen.796 In Tschechien wurde in den ersten Jahren nach der Wende eine pragmatische Tourismuspolitik praktiziert. Zu staatlichen Interventionen kam es nur bei schwerwiegenden Fehlentwicklungen oder wenn sich gewisse Probleme zuspitzten. Die Vorteile einer konzeptionellen Tourismuspolitik wurden nicht erkannt, und da die Branche in der ersten Hälfte der 90er Jahre auch ohne staatliche Massnahmen und ohne eine koordinierte Politik in hohem Mass florierte, kam es zuerst zu keinen spürbaren Beeinträchtigungen. Erst nachdem die Branche 1997 in eine Stagnation geriet, wurden die Stimmen nach einem konzeptionellen Vorgehen immer lauter. Der Übergang von der pragmatischen zur konzeptionellen Ausgestaltung der Tourismuspolitik wurde mit der Programmerklärung der sozialdemokratischen Regierung im Jahr 1998 in die Wege geleitet.797 Aus den obigen Schilderungen ist ersichtlich, dass unabhängig davon, in welcher Phase des Lebenszyklus sich die Tourismusbranche befindet, und unabhängig davon, ob das untersuchte Land in Transformation steht oder bereits über eine funktionierende Marktwirtschaft verfügt, einer anderen Form als der pragmatischen Ausgestaltung der Tourismuspolitik der Vorzug zu geben ist. Eine Korrelation zwischen der Ausgestaltung der Tourismuspolitik und der Tourismusentwicklung konnte in verschiedenen Ländern bereits mehrmals empirisch nachgewiesen werden. Sollen die Fehlentscheidungen, die in Tschechien gemacht wurden, und die Fehlentwicklungen, welche dadurch begünstigt wurden, vermieden werden, muss während der Transformation schon in der Anfangsphase wenn möglich eine konzeptionelle Tourismuspoli795 796 797 Vgl. Kap. 4.5.5. Vgl. Kap. 4.5.3. Vgl. Kap. 9.2.2. 240 tik betrieben werden. So kann die Tourismusentwicklung gezielt in die gewünschte Richtung gesteuert werden und bis zu einem gewissen Grad koordiniert verlaufen. Befindet sich die Tourismusbranche in einer Stagnation, sollte die Anwendung des Konzeptes des Destinationsmanagements, das in den entwickelten Ländern gegenwärtig vermehrt eingesetzt wird, geprüft werden. Für eine Tourismuspolitik in Transformation resultieren daraus folgende Empfehlungen: • Die Hoffnung auf eine Selbstregulierung der Tourismusentwicklung aufgeben und von Anfang an anstatt einer pragmatischen eine konzeptionelle Tourismuspolitik betreiben. Zur pragmatischen Handlungsweise nur ausnahmsweise greifen. • Beim Rückgang der touristischen Nachfrage die ausländischen Erfahrungen berücksichtigen und den Einsatz des Konzeptes des Destinationsmanagements prüfen. 11.3.2 Träger der Tourismuspolitik Wie im Kapitel 4.6 dargestellt, führen die verschiedenartigen Interessen am Fremdenverkehr zu einer Vielzahl von Gruppen, die auf die Tourismuspolitik Einfluss nehmen wollen. Die Aufteilung der tourismuspolitischen Kompetenzen ist insbesondere von den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen in einem Land abhängig. In den bundesstaatlich organisierten Ländern wie z.B. der Schweiz, Österreich und Deutschland sind für die Tourismusentwicklung aufgrund des doppelten Subsidiaritätsprinzips an erster Stelle die Privaten verantwortlich. Wenn diese die touristischen Anliegen nicht selbst bewältigen können, kommen die einzelnen Bundesländer zum Einsatz. Diese legen unter anderem die Oberziele der Tourismuspolitik auf ihrem Gebiet fest. Erst wenn auch auf der Länderebene keine Lösungen gefunden werden können, wird der Bund tätig. Von der Dezentralisierung der Kompetenzen erhofft man sich das Entstehen einer Konkurrenz unter touristischen Regionen und darauf folgend eine Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit. In der Tschechoslowakei waren vor der Wende ausschliesslich die staatlichen Organe für die Tourismuspolitik zuständig und wegen der Vereinfachung der Planung wurden die Entscheidungskompetenzen auf die nationale Ebene konzentriert.798 Die vielzähligen privaten und gemischten Verbände entstanden erst nach dem Systemwechsel, nachdem die private Unternehmenstätigkeit ermöglicht wurde.799 Die Zentralisierung der tourismuspolitischen Kompetenzen wurde bis zum Jahr 2000 fortgesetzt – erst nachdem eine neue regionale Aufteilung des Landes eingeführt wurde, setzte sich eine dezentralisierte Verteilung der Kompetenzen im Fremdenverkehr durch. Die bis dahin unklare Kompetenzaufteilung und die daraus resultierende Absenz von regionalen Entwicklungsstrategien verhinderten ein breiteres Aufkommen des regionalen Tourismus.800 Der ständige Wechsel von Ministerien, unter deren Obhut der Fremdenverkehr jeweils stand, die fehlende Zusammenarbeit unter den Tourismusakteuren sowie die Zersplitterung der privaten Träger der Tourismuspolitik wirkten sich auf das weitere Schicksal der Branche ebenfalls kontraproduktiv aus.801 798 799 800 801 Vgl. Kap. 8.3. Vgl. Kap. 9.3.2 und 9.3.3. Vgl. Kap. 5.3.1 und 9.5.6. Vgl. Kap. 9.3.1 und 10.3.2. 241 Aus den vorangegangenen Ausführungen lassen sich für eine Tourismuspolitik in Transformation folgende Empfehlungen ableiten: • Frühzeitig eine standhafte und gesetzlich verankerte dezentralisierte Aufteilung von tourismuspolitischen Kompetenzen unter Berücksichtigung der territorialen Landesgrösse schaffen und damit eine klare Verantwortung für die Tourismusentwicklung statuieren. • Die gegenseitige Zusammenarbeit zwischen den Tourismusakteuren fördern und damit einen Beitrag zum besseren Dialog in der Branche und zum Entstehen von Synergien leisten. 11.3.3 Ziele der Tourismuspolitik Wie bereits im Kapitel 4.4 festgehalten, sind die Ziele der Tourismuspolitik politische Entscheide, die sich an den Wertvorstellungen der jeweiligen Gesellschaft orientieren und einem ständigen Wechsel unterworfen sind. In den marktwirtschaftlich orientierten Ländern stehen in der Praxis meistens die wirtschaftlichen Ziele im Vordergrund. Dies obwohl den ökologischen Anliegen in der Theorie immer mehr Bedeutung zukommt. In den Zentralplanwirtschaften nahmen dagegen die ideologischen Zielsetzungen, die vor allem der Abschirmung der einheimischen Bevölkerung vom Westen dienten, gefolgt von den sozialen Zielen die oberste Stellung ein. In Tschechien kam es nach der Wende in der Zielsetzung der Tourismuspolitik zu massgebenden Veränderungen, da vor allem die Weiterverfolgung der ideologischen Ziele mit dem Fall des kommunistischen Regimes unhaltbar wurde.802 Die gegenwärtige Tourismusentwicklung ist, ähnlich wie in den Industrieländern, durch die Dominanz von ökonomischen Zielsetzungen geprägt. Dies wird unter anderem aus dem Konzept der staatlichen Tourismuspolitik und aus dem operativen Sektorprogramm für den Tourismus ersichtlich. Die ökologischen und sozialen Ziele fanden in die praktizierte Fremdenverkehrspolitik lange keinen Eingang – erst an der Jahrtausendwende fing man an, ihnen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Die meisten Zielsetzungen sind mit denjenigen der anderen Bereiche nicht abgestimmt und bei ihrer Festlegung wurden auch die bestehende wirtschaftliche Lage und die touristische Lebenszyklusphase des Landes nur wenig beachtet. Ausserdem basieren viele von ihnen auf keinen genügenden analytischen und statistischen Grundlagen und gehen von einem kurzfristigen Zeithorizont aus.803 Aus diesen Ausführungen ergeben sich für eine Tourismuspolitik in Transformation vor allem folgende Empfehlungen: • 802 803 Trotz der herrschenden Dominanz der ökonomischen Interessen auch die ökologischen und die sozialen Anliegen bei der Zielsetzung der Tourismuspolitik beachten und auf ihre Kompatibilität mit den verfolgten Zielen in anderen Bereichen prüfen. Vgl. Kap. 8.4 Vgl. Kap. 9.4. 242 • Die Ziele, wenn möglich, aufgrund von fundierten Entscheidungsgrundlagen festlegen und bei ihrer Formulierung aus einer langfristigen und ganzheitlichen Perspektive ausgehen. 11.3.4 Strategien der Tourismuspolitik Mit den tourismuspolitischen Strategien sollen die Ziele der Fremdenverkehrspolitik erreicht werden. Die Strategien, welche heutzutage in den Industrieländern eingesetzt werden, richten sich somit vorwiegend auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Landes auf dem internationalen Tourismusmarkt. Es ist wichtig, dass die Strategien auf einer fundierten ZielMittel-Wirkung Analyse basieren und den bestmöglichen Weg zur Erreichung der vorgegebenen Ziele darstellen. Mit ihrem Einsatz sollten die bestehenden Schwächen der Tourismusbranche möglichst beseitigt werden und die Stärken im grösstmöglichen Umfang genützt werden. Im Unterschied zu den Industrieländern, wo die vorgeschlagenen Strategien vorwiegend einen empfehlenden Charakter haben, wurden in den zentralplanwirtschaftlich orientierten Ländern die Ziele und die genaue Vorgehensweise zu ihrer Erreichung von den obersten Organen in den staatlichen Plänen im Voraus bestimmt und durften kaum abgeändert oder der aktuellen Lage angepasst werden. In den ersten Jahren nach der Wende wurde in Tschechien weiterhin keine strategische Tourismuspolitik betrieben. Die 90er Jahre waren durch ihre pragmatische Ausgestaltung geprägt. Der Staat überliess die Tourismusentwicklung fast vollständig den Privaten und intervenierte nur bei schweren Fehlentwicklungen oder wenn sich gewisse Probleme zuspitzten.804 Die Gründung der Tschechischen Tourismuszentrale wurde zum Beispiel erst im Jahr 1993 durchgesetzt.805 Erst nachdem der Tourismus 1997 in eine Stagnation geriet, fingen die Politiker gezwungenermassen an, über umfassende Strategien nachzudenken. Die ersten gesamtstaatlichen tourismuspolitischen Strategien, deren kurze Zusammenfassung nachstehend folgt, wurden im Konzept der staatlichen Tourismuspolitik vom Jahr 1999 verankert.806 Zur Verbesserung der Position des Reiselandes Tschechien auf dem internationalen Markt wurde eine Verstärkung der Marketingaktivitäten der Tourismuszentrale vorgeschlagen. Die Werbemassnahmen, welche diese Institution betreibt, sind zum grossen Teil unsystematisch und zersplittert. Im Unterschied zu anderen Ländern wird die Tschechische Tourismuszentrale von der Privatwirtschaft überhaupt nicht und von der staatlichen Seite her nur ungenügend finanziell unterstützt. In einem anderen Transformationsland, in Ungarn, sind die touristischen Unternehmen seit 1995 gesetzlich verpflichtet, 1% ihres Jahresumsatzes zur Finanzierung der Aktivitäten der Tourismuszentrale beizusteuern.807 Um das vorhandene touristische Potential bestmöglich auszuschöpfen, müssen mehr Massnahmen zugunsten der regionalen Tourismusentwicklung eingesetzt werden. Dies aber mit dem Bewusstsein, dass der Tourismus nicht für alle Regionen den geeigneten wirtschaftsbelebenden Faktor darstellen kann und dass man sein Aufkommen nur dort anstreben sollte, wo für ihn wirklich eine reale Chance besteht. Ausserdem sollte man sich dabei nur auf gewisse, zukunftsversprechende Segmente konzentrieren 804 805 806 807 Vgl. Kap. 9.2.2. Vgl. Kap. 9.3.1. Vgl. Kap. 9.4.2.1. Vgl. Kap. 9.5.1. 243 und diese dann gezielt fördern. In der Tschechischen Republik stellt so ein Segment zum Beispiel das Kur- und Badewesen dar.808 Im Weiteren wird im Konzept dem Aufbau eines integrierten Informations- und Reservationssystems Aufmerksamkeit gewidmet, mit dessen Hilfe eine neue Plattform für die Verstärkung der touristischen Marketingaktivitäten geschaffen werden soll. In der heutigen Zeit der Globalisierung ist es enorm wichtig, dass die Tourismusbranche den Anschluss an die weltweiten Computernetze nicht verpasst.809 Die Verbesserung der Qualität von statistischen Daten und die Einführung eines Satellitenkontos stellen weitere strategische Massnahmen dar. In den letzten Jahren fehlte es vor allem an der Vergleichbarkeit und Kontinuität der Untersuchungen sowie an der statistischen Belegbarkeit des wirtschaftlichen Beitrags der Branche für die Volkswirtschaft.810 Das tschechische Ausbildungssystem weist viele Lücken auf, die beseitigt werden müssen. Das Absolventenprofil ist nicht klar festgelegt und somit scheint sich der Graben zwischen der Theorie und der Praxis zu vergrössern. Den meisten Lehrkräften von Tourismus-Fächern fehlt der entsprechende Praxisbezug und viele Mitarbeiter der Branche beherrschen keine Fremdsprachen. Die fehlende Aufwertung des Humankapitals widerspiegelt sich folglich in einem tiefen Innovationsniveau und in der schlechten Qualität von Dienstleistungen.811 Die ungenügende Dienstleistungsqualität gilt auch sonst als ein mehrfach belegter Schwachpunkt der tschechischen Tourismusbranche und nimmt deshalb auf ihrer politischen Agenda einen der oberen Plätze ein.812 Aus den obigen Ausführungen lassen sich für eine Tourismuspolitik in Transformation folgende Empfehlungen ableiten: 808 809 810 811 812 • Die entsprechenden Institutionen für die Durchführung der Werbemassnahmen in der Anfangsphase der Transformation gründen und die touristische Nachfrage mit komplementären staatlichen Marketingmassnahmen fördern. • Der weltweiten Entwicklung der IT-Technologien genügend Aufmerksamkeit widmen und den Anschluss an die internationalen Computernetze und touristischen Systeme nicht verpassen. • Eine staatlich unterstützte Tourismusforschung betreiben, um qualitativ hochwertige statistische Daten, die den Tourismusverantwortlichen fundierte Entscheidungen ermöglichen, sicherzustellen. • Die Aufwertung des Humankapitals kontinuierlich fördern und damit einen Beitrag zu Innovationen und Verbesserungen der Dienstleistungsqualität leisten. Besonderes Augenmerk auf die Erweiterung der Sprachkenntnisse der Angestellten werfen. • Mit dem Einsatz von verschiedensten Mitteln dauernd Impulse für die Verbesserung der Qualität von touristischen Dienstleistungen schaffen und diese allmählich an das Niveau der westlichen Länder angleichen. Vgl. Kap. 6.2.1.1 und 9.5.6. Vgl. Kap. 9.5.2. Vgl. Kap. 9.5.3. Vgl. Kap. 9.5.4. Vgl. Kap. 9.5.5. 244 • In den Gebieten, wo es sinnvoll erscheint, die regionale Tourismusentwicklung unterstützen, um das vorhandene touristische Potential möglichst effizient auszuschöpfen. Die Aufmerksamkeit dabei auf die zukunftsversprechenden Segmente richten. • Die zur Verfolgung der festgelegten tourismuspolitischen Strategien benötigten finanziellen Mittel im genügenden Umfang sicherstellen. Wo möglich, auch die private Tourismuswirtschaft an der Finanzierung beteiligen. 11.3.5 Instrumente der Tourismuspolitik Zur Steuerung der Tourismusentwicklung stehen den Trägern der Tourismuspolitik verschiedene direkte und indirekte Instrumente zur Verfügung. Wie aus dem Kapitel 4.7 hervorgeht, ist ihr Bestand nicht unveränderlich, da je nach der aktuellen wirtschaftlichen und politischen Lage der Gebrauch von bestimmten Mitteln ausgeschlossen, beschränkt oder gefördert werden kann. In den Marktwirtschaften werden üblicherweise empfehlende Massnahmen denjenigen mit Zwangscharakter vorgezogen und der Privatwirtschaft damit ein relativ grosser Entscheidungsspielraum überlassen. Eine wichtige Rolle spielen die ordnungsrechtlichen Instrumente, mit deren Hilfe die grundlegenden Rahmenbedingungen geschaffen werden und damit auch der Einsatz von anderen Instrumenten ermöglicht wird. In der Tschechoslowakei waren vor dem Systemwechsel die Instrumente so einzusetzen, dass die Ziele des übergeordneten Planes der Tourismusentwicklung erfüllt wurden. Es handelte sich fast ausschliesslich um staatlich erzwingbare Massnahmen, deren nicht Verfolgung sanktioniert wurde. Wichtig war vor allem der Einsatz von administrativ-rechtlichen Instrumenten, die der Einschränkung des grenzüberschreitenden Fremdenverkehrs mit dem Westen dienten.813 Nach der Wende veränderten sich die benützten Instrumente grundsätzlich. Den Privaten wurde eine grosse Entscheidungsfreiheit eingeräumt. Mit den Massnahmen der Visumspolitik wurde bereits Ende 1989 für die Reisenden eine erhebliche räumliche Freizügigkeit geschaffen. Von massgeblicher Bedeutung waren die ordnungsrechtlichen Instrumente, mit denen der grundlegende legislative Rahmen für die private Unternehmenstätigkeit gebildet wurde. In den übrigen Belangen war die rechtliche Sicherheit auf dem Tourismusmarkt aber nicht zufriedenstellend. Das Tourismusgesetz, welches die Bestimmungen über den Konsumentenschutz enthält, trat erst im Jahr 2000 in Kraft. Die Ausarbeitung einer gesetzlichen Regelung der staatlichen Förderung des Fremdenverkehrs und der Unterstützung der nachhaltigen Tourismusentwicklung wurde erst im Jahr 2001 in Angriff genommen.814 Mit Hilfe von fiskalischen Instrumenten greift der Staat ebenfalls in das touristische Geschehen ein, indem er die Endpreise der angebotenen Produkte beeinflusst. Die bis zum Jahr 2000 mit 22% zu hoch angesetzte Mehrwertsteuer für die Unterkunfts- und Verpflegungsdienstleistungen verzehrte nicht nur die Konkurrenz auf dem Markt, sondern erschwerte vor allem die Investitionen in die Modernisierung der Einrichtungen. Die allgemeine Steuerumverteilung benachteiligt die kleineren Tourismusorte, denen nur wenige Einnahmen aus dem Fremdenverkehr auf ihrem Gebiet zufliessen und ermöglicht ihnen die Förderung der touristischen Aktivitäten nicht im gewünschten Umfang.815 Die finanziellen Instrumente, mit denen der tsche813 814 815 Vgl. Kap. 8.5. Vgl. Kap. 9.6.1. Vgl. Kap. 9.6.2. 245 chische Staat die Tourismusentwicklung fördert, sind im Vergleich zu den westlichen Ländern und auch zu manchen Transformationsländern wie beispielsweise Ungarn und Polen gering. Ungenügend ist vor allem die Unterstützung der KMU und auch die Tourismuszentrale ist mit den ihr zugeteilten finanziellen Mitteln nicht im Stande, eine wirksame Werbung durchzuführen. Es besteht kein Tourismusfonds und das einjährige Unterstützungsprogramm stellt mit sehr beschränkten Mitteln keine zukunftsträchtige Lösung dar. Ein staatliches Finanzierungssystem muss auf klaren, objektiven und stabilen Regelungen basieren, an denen sich alle Subjekte der Branche orientieren und die sie in ihren langfristigen Strategien berücksichtigen können.816 Aus den obigen Erwähnungen gehen für eine Tourismuspolitik in Transformation folgende Empfehlungen hervor: • Mit einem unverzüglichen Abbau von strikten Ein- und Ausreisebestimmungen Voraussetzungen für das Aufkommen von grenzüberschreitendem Tourismus bilden. • Mit Hilfe von ordnungsrechtlichen Instrumenten bereits in der Anfangsphase der Transformation eine entsprechende Rechtssicherheit auf dem Tourismusmarkt schaffen. • Frühzeitig eine angemessene, auf Dauer gerichtete staatliche Förderung der Tourismusbranche sicherstellen, zum Beispiel durch die Schaffung eines Tourismusfonds oder durch eine gesetzliche Verankerung. Wo möglich, auch die private Tourismuswirtschaft an der Finanzierung beteiligen. • Eine Besteuerung der touristischen Dienstleistungen durchsetzen, welche die Investitionen der Unternehmer und der Gemeinden nicht unnötig erschwert. Bei der allgemeinen Steuerumverteilung dafür sorgen, dass die Steuereinnahmen aus dem Tourismus den Ortschaften zufliessen, wo sie generiert wurden und damit ein Aufkommen des regionalen Fremdenverkehrs begünstigen. 11.3.6 Rolle des Staates Ähnlich wie in den anderen Bereichen der Wirtschaft übernimmt der Staat auch im Tourismus gewisse Aufgaben. Wie im Kapitel 4.3 festgelegt, werden diese von den staatlichen Stellen in unterschiedlichem Umfang, vor allem in Abhängigkeit vom herrschenden Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, wahrgenommen. In den meisten Zentralplanwirtschaften wurden die touristischen Angelegenheiten vollständig vom Staat erledigt und für private Aktivitäten kein Freiraum gelassen. In den Industrieländern kümmern sich die staatlichen Organe vor allem um die entsprechenden Rahmenbedingungen und belassen die anderen Aufgaben bei den Privaten. Die staatlichen Interventionen werden insbesondere bei der Beseitigung von Marktunzulänglichkeiten und bei der Unterstützung der KMU verlangt; neuerdings auch bei der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit von Standorten.817 Die Frage nach der richtigen Dosierung von staatlichen Eingriffen bleibt weiterhin offen. Unbestritten ist aber, dass ohne sie eine touristische Destination heutzutage kaum noch ein stabiles Entwicklungsgewicht erreichen würde. Ausserdem gewinnt der Staat auch in liberalsten Ländern durch die Ausgestaltung der 816 817 Vgl. Kap. 9.6.3. Vgl. Kap. 3.4.2. 246 Rahmenbedingungen einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die touristische Entwicklung. In der Tschechoslowakei betrieb der Staat vor 1989 zwar eine äusserst aktive, jedoch ineffiziente Tourismuspolitik. Die ineffizienten Ergebnisse, welche der fehlerhaften staatlichen Planung zuzuschreiben waren, wurden jedoch nicht negativ interpretiert, sondern als Teil des Systems betrachtet und gaben keinen Anlass zu Verbesserungen.818 In der Anfangsphase der Transformation neigten die Politiker deshalb zu einer Abneigung gegenüber einem zu starken staatlichen Engagement und nahmen viele Deregulierungsmassnahmen vor. Gerade aber in dieser Etappe, die durch vermehrtes Marktversagen gekennzeichnet war, wären angemessene Interventionen aus der langfristigen Sicht von Vorteil gewesen. Da die Branche in dieser Zeit aber vom Fall des Eisernen Vorhangs auch ohne staatliche Massnahmen profitierte, machte sich eine Fehlentwicklung lange nicht bemerkbar. Erst nachdem der Tourismus 1997 in eine Stagnation geriet, forderte man wieder vermehrt ein staatliches Engagement.819 Verlangt wurden vor allem die Erhöhung des Konsumentenschutzes und der Transparenz auf dem Markt, Bekämpfung der Kriminalität gegenüber ausländischen Besuchern, vermehrte Bereitstellung von öffentlichen Gütern wie Verkehrsinfrastruktur, Sicherheit, Ausbildung, Forschung und Umweltschutz, Intensivierung von Marketingaktivitäten sowie eine verstärkte Förderung der KMU.820 Aus den obigen Ausführungen lassen sich für eine Tourismuspolitik in Transformation folgende Empfehlungen ableiten: • Nach dem Systemwechsel auf die staatlichen Interventionen nicht vollkommen verzichten, sondern mit deren Hilfe versuchen, die entstandenen Marktunzulänglichkeiten in möglichst grossem Umfang zu beseitigen. Die negativen Externalitäten, die von der Branche ausgehen, wenn möglich vermeiden und eine nachhaltige Tourismusentwicklung anstreben. • Die Transparenz auf dem Tourismusmarkt durch geeignete Massnahmen erhöhen und öffentliche Güter, die für die weitere Tourismusentwicklung unentbehrlich sind, in genügendem Umfang und Qualität bereitstellen. Innovationen und Kooperationen in der Tourismuswirtschaft unterstützen. • Für eine genügende Sicherheit der Touristen sorgen, die Kriminalität gegenüber ausländischen Besuchern bekämpfen und das Image eines sicheren Reiselandes schaffen. 11.3.7 Nutzung der ausländischen Erfahrungen und Unterstützung Wie bereits mehrmals erwähnt, verfügen die westlichen Länder über ein breites Wissen über die Funktionsweise der Tourismuswirtschaft unter marktwirtschaftlichen Bedingungen, welches während der Transformation nützlich eingesetzt werden könnte. Ausserdem sind die meisten Industrieländer bereit, die touristischen Vorhaben der ost- und mitteleuropäischen Staaten auch finanziell zu unterstützen. 818 819 820 Vgl. Kap. 8.2 und 8.4. Vgl. Kap. 7.3.2. Vgl. 9.4.2 und 9.5. 247 In der Tschechischen Republik wurde während der Transformation den ausländischen Erfahrungen auf dem Gebiet des Tourismus nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Dies ist einerseits der pragmatischen Ausgestaltung der Tourismuspolitik zuzuschreiben.821 Andererseits sind dafür wohl auch die Überschätzung der eigenen Kräfte der Politiker auf der obersten Ebene und ihre nicht selbstkritische Haltung sowie Unflexibilität verantwortlich.822 Als Beispiel dafür kann ihr Desinteresse am Schweizer Tourismusprogramm für osteuropäische Länder genannt werden. Dieses bot ausgewählten Ländern Hilfe an beim Aufbau der territorialen Organisationsstruktur, bei der Aus- und Weiterbildung sowie bei der Vermittlung von Knowhow. Eine intensive Kooperation konnte mit Ungarn, Polen und der Slowakei erreicht werden, jedoch nicht mit Tschechien, wo das Programm folglich nicht realisiert wurde.823 Es ist unbestritten, dass es auch von Vorteil gewesen wäre, wenn sich die tschechischen Politiker näher mit der gesetzlichen Regelung des Tourismuswesens, der Kompetenzaufteilung und der staatlichen Unterstützung der touristischen Vorhaben in anderen Industrie- sowie Transformationsländern befasst und die Kenntnisse dementsprechend verwertet hätten. Wäre beispielsweise der Bildung von den Tourismusregionen eine gründliche Analyse vorangegangen und hätte man dabei die internationalen Erfahrungen berücksichtigt, wären diese in der Praxis kaum bereits nach kurzer Zeit gescheitert.824 Ähnliches gilt auch für den Schaden, der mehreren hundert Reisebüro-Kunden während der Konkurswelle von Reisebüros im Jahre 1997 entstanden ist und der durch eine frühzeitige Lancierung der Bestimmungen des Konsumentenschutzes, wie beispielsweise in Ungarn, mit grösster Wahrscheinlichkeit hätte verhindert werden können.825 Was die Anforderung ausländischer Hilfe zur Unterstützung von Tourismusprojekten anbelangt, stehen der Tschechischen Republik im Zusammenhang mit dem geplanten EU-Beitritt bereits viele Möglichkeiten offen. Sie kann an mehreren Programmen partizipieren sowie finanzielle Unterstützung von verschiedenen Fonds beantragen. Wichtig ist vor allem, dass sich die zuständigen Gremien über die bestehenden Möglichkeiten umfassend informieren und die Hürden der europäischen Bürokratie überwinden. Es darf nicht wieder „vergessen“ werden, den Fremdenverkehr in die Hilfsprogramme zu integrieren, wie dies bei Phare passiert ist, oder für die Branche gewisse Erleichterungen auszuhandeln, wie dies bei der Mehrwertsteuer für die Verpflegungsdienstleistungen der Fall war.826 Aus den obigen Erwähnungen ergeben sich für eine Tourismuspolitik in Transformation folgende Empfehlungen: 821 822 823 824 825 826 • Das Wissen der Industrieländer über die Funktionsweise der Tourismuswirtschaft unter marktwirtschaftlichen Bedingungen und die Erfahrungen anderer Transformationsländer beachten und Nutzen bringend einsetzen. • Die ausländische Hilfe zur Unterstützung von Tourismusprojekten in möglichst grossem Mass ausnützen und damit der Branche neue Wachstumsimpulse verleihen. Vgl. Kap. 9.2.2. Eigene Beobachtungen. Die Behauptung, dass es „in der staatlichen Tourismuspolitik keine Mängel gäbe und dass ihre Kritik unbegründet sei” entspricht nicht der Realität. (Strukturiertes Interview beim Ministerium für Regionalentwicklung [2000]). Vgl. Würzl (1996), S. 202 ff. Vgl. Kap. 5.3.3. Vgl. Kap. 9.6.1.1. Vgl. Kap. 9.6.2 und 9.7.3. 248 • Die tourismuspolitischen Ämter mit fachlich ausgebildeten, teamfähigen und innovationsfreudigen Mitarbeitern besetzen, die den neuen Herausforderungen auf dem Feld der Tourismuspolitik gewachsen sind. 11.3.8 Grenzen der Tourismuspolitik Wie aus dem Kapitel 4.8 hervorgeht, sind der Tourismuspolitik gewisse Grenzen gesetzt. Ausser den nur bedingt beeinflussbaren exogenen Einflüssen wie Naturereignisse, Wetterveränderungen, Terroranschläge etc. werden die entsprechenden Institutionen in ihren Handlungen vor allem durch das herrschende politische System und die aktuelle wirtschaftliche Lage eingeschränkt. Stark wirken sich die gesellschaftlichen Trends, die Modewellen im Reiseverhalten und das widersprüchliche Verhalten von Menschen aus. Die eigennützigen Interessen der Politiker spielen bei der Festlegung und Durchsetzung der tourismuspolitischen Ziele auch eine derart grosse Rolle, dass sie in Betracht gezogen werden müssen. 11.3.8.1 Wirtschaftliche Entwicklung Wie bereits im Kapitel 4.8.1 dargestellt, ist für eine erfolgreiche Tourismuspolitik die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Trends, die zur Eliminierung von Fehlentwicklungen und Zielkonflikten beiträgt, von grosser Wichtigkeit. Die Entwicklung der touristischen Nachfrage und des Angebotes ist vor allem von der wirtschaftlichen Lage im eigenen Land, in den Nachbarländern und in den Quellenländern des Incoming-Tourismus abhängig. Der Fremdenverkehr beeinflusst im Gegenzug aber auch das volkswirtschaftliche Wachstum. In den Ländern mit hohem Anteil der Tourismusbranche am BIP, Export und/oder an der Beschäftigung und insbesondere in den Ländern mit touristischer Monostruktur ist er für die wirtschaftliche Entwicklung sogar massgebend. In der Tschechoslowakei war vor 1989 der Einfluss der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung auf die Tourismusbranche nicht so gross wie in den Industrieländern. Dies war vor allem der Abschottung der sozialistischen Länder von der restlichen Welt, der fehlenden Konvertibilität der eigenen Währung, der starken Subventionierung der Ferienaufenthalte und der unflexiblen staatlichen Planung, die keine Anpassungen an die aktuelle ökonomische Lage zuliess, zuzuschreiben.827 Nach der Wende wurden die wirtschaftlichen Konjunkturzyklen in der Tourismuspolitik weiterhin nur wenig berücksichtigt. Die Tourismusbranche blieb aber trotzdem zuerst vor der negativen wirtschaftlichen Entwicklung nicht nur verschont, sondern erlebte sogar einen grossen Aufschwung. Dies war dem enormen Wachstum der Tourismusströme und dem daraus resultierenden schnellen Aufbau des Dienstleistungssektors sowie der kleinen und mittleren Unternehmensstrukturen zu verdanken. Die Tourismusbranche half die anfänglich rezessive Transformationsphase der tschechischen Wirtschaft zu überbrücken, vor allem indem sie viele Arbeitskräfte aufnahm und damit die Arbeitslosigkeit auf einem niedrigen Niveau hielt.828 Nachdem die tschechische Wirtschaft jedoch 1996 in eine tiefe Krise gefallen war,829 geriet ein Jahr später auch die Tourismusbranche in eine Stagnation, deren Ende immer noch nicht absehbar ist.830 Der Eintritt in die Stagnationsphase wurde auch dadurch be827 828 829 830 Vgl. Kap. 7.2 und 8.2. Vgl. Kap. 7.3.1 und 7.5. Vgl. Kap. 5.7.4.4. Vgl. Kap. 7.3.2. 249 schleunigt, dass die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage und die daraus resultierende abnehmende Kaufkraft der Bevölkerung in den touristischen Vorhaben nicht genügend berücksichtigt wurden und weiterhin eine Strategie eines Wachstumsmarktes verfolgt wurde. Auch die Warnsignale, dass sich die Branche allmählich in ihrer Reifephase befindet, wurden nicht richtig wahrgenommen.831 Aufgrund von diesen Erkenntnissen ergeben sich für eine Tourismuspolitik in Transformation folgende Empfehlungen: • Die wirtschaftliche Entwicklung bei der Festlegung der tourismuspolitischen Zielsetzungen berücksichtigen und auch umgekehrt den Beitrag der Tourismusbranche zum volkswirtschaftlichen Wachstum beachten. • Die Bedeutung des Tourismus als einen strategischen Wirtschaftszweig, der zur Überbrückung der rezessiven Transformationsphasen massgebend beitragen kann, frühzeitig anerkennen und mit einer geeigneten Tourismuspolitik für eine langfristige Ausschöpfung seines Potentials sorgen. • Die Warnsignale in der Branche frühzeitig wahrnehmen und die tourismuspolitischen Massnahmen der Phase ihres Lebenszyklus anpassen. 11.3.8.2 Menschlicher Faktor Wie bereits im Kapitel 4.8.2 dargestellt, macht auch das zunehmend widersprüchliche menschliche Verhalten die Formulierung der Tourismuspolitik zu einer schwierigen Aufgabe. Die Tourismuswirtschaft muss sich einerseits auf einen hybriden Verbraucher einstellen, dessen Verhalten immer weniger kalkulierbar wird, und andererseits muss sie mit einem eigennützigen Verhalten von Politikern, das schnell zu einem staatlichen Versagen führen kann, rechnen. Unter der Zentralplanwirtschaft bestand in der Tschechoslowakei für Abweichungen vom festgelegten tourismuspolitischen Kurs und für die Verfolgung von anderen Interessen als denjenigen von der Kommunistischen Partei kein Raum. Die für den Tourismus verantwortlichen Gremien hatten sich in ihren Entscheidungen ausnahmslos nach den Beschlüssen des Kommunistischen Kongresses zu richten.832 Erst mit der Ablösung des alten politischen Systems kam es zu beachtlichen Veränderungen. Viele Korruptionsskandale deuten darauf hin, dass das eigennützige Verhalten von Politikern ein grosses Problem darstellt. In der Zeit des Überganges, in der es an den gesetzlichen und anderen Rahmenbedingungen fehlt und Unsicherheit über die Richtigkeit der verfolgten Transformationsstrategie herrscht, besteht für das Durchsetzen der eigenen Interessen ein idealer Raum. Da sich die Politiker auch häufig auf jene Ziele konzentrieren, bei denen Fehlentwicklungen am stärksten spürbar sind und sich der Instrumente bedienen, die schnell und erfolgreich wirken und ihnen die erreichten Fortschritte zurechnen lassen, steht die Tourismusbranche meistens erst am Ende ihrer Agenda. Politiker mit tourismuspolitischen Visionen treten nur spärlich auf, da der Aufbau einer Lobby zu aufwendig und zu wenig erfolgsversprechend erscheint. Die tschechische Regierung befasste sich zum Beispiel in den ersten sechs Jahren nach der Wende nur zweimal mit dem Tourismus. Eine Verbesserung zeichnete sich erst 1998 nach der sozialdemokratischen Machtüber831 832 Vgl. Kap. 10.2. Vgl. Kap. 8.2, 8.4 und 8.5. 250 nahme ab. Eine angemessene Unterstützung der touristischen Vorhaben im Parlament sowie bei den politischen Parteien fehlt weiterhin.833 Die Orientierung auf die Bedürfnisse eines multioptionalen Touristen ist in der Tschechischen Republik nicht so ausgeprägt wie in den westlichen Ländern. Dies ist vor allem dem Fakt zuzuschreiben, dass die Mehrheit der einheimischen Bevölkerung keine hohen Ansprüche an die Qualität und an das Spektrum der Tourismusdienstleistungen stellt und dadurch keine innovative Verjüngung des Angebotes unterstützt.834 Will sich die tschechische Tourismusbranche auf dem internationalen Markt behaupten, müssen in Zukunft die steigenden Ansprüche der vom Ausland kommenden Besucher mehr berücksichtigt werden und für sie ein breites, komplexes Angebot an touristischen Produkten bereit gehalten werden. Aus den obigen Ausführungen lassen sich für eine Tourismuspolitik in Transformation folgende Empfehlungen ableiten: • Die Trends in der touristischen Nachfrage laufend beachten und entsprechende Anpassungen im Angebot und in den verfolgten tourismuspolitischen Strategien vornehmen. • Grössere Transparenz in den politischen Entscheidungsprozessen schaffen und damit dem eigennützigen Verhalten von Politikern Schranken setzen. • Eine Lobby in der Tourismusbranche aufbauen, die für die Durchsetzung der tourismuspolitischen Anliegen auf der obersten Ebene einen geeigneten Raum schafft. 11.4 Allgemeingültigkeit und Übertragbarkeit der Empfehlungen Wie bereits im Kapitel 11.3 erwähnt, können die soeben hergeleiteten Empfehlungen für eine Tourismuspolitik in Transformation nicht ohne weiteres auf die Tourismuspolitik anderer sich transformierende Länder übertragen werden. Die Problematik der Implementierung der Massnahmen auf andere Länder steht in einem engen Zusammenhang mit der Frage nach der Allgemeingültigkeit der aus den Fallstudien gewonnenen Erkenntnisse. Die gemachten Aussagen beziehen sich meistens nur auf einen Fall und es ist nicht klar, in welchem Umfang sie auch für andere Fälle gelten. Bassey spricht in diesem Zusammenhang von einer„fuzzy generalization“, welche auf “the idea of possibility but no certainty” beruht und besagt, dass „something may happen, but without any measure of its probability”.835 In einer statistischen Verallgemeinerung der Ergebnisse wird aus dem gleichen Grund von vielen Wissenschaftlern ein ungeeignetes Forschungsziel erblickt und es wird eine argumentative Verallgemeinerung angestrebt, welche auf einer nachvollziehbaren, analytischen, vergleichenden und chronologischen Auseinandersetzung beruht.836 Stake hält die Übertragung der Erkenntnisse aus den einzelnen Fallstudien auf andere ähnliche Fälle im Rahmen der sog. „naturalistic generalization“ für gut möglich. Der Erfolg des ganzen Prozesses ist insbesondere von einem fundierten Vergleich des untersuchten Phänomens mit demjenigen von der Fallstudie und der darauffolgenden Feststellung der vorhandenen Ähnlichkeiten abhängig.837 In der vorliegenden Dissertation ist 833 834 835 836 837 Vgl. Kap. 5.6. Vgl. Kap. 6.5.3 und 10.3.4. Bassey (1999), S. 46. Vgl. Kap. 1.5.3. Vgl. Stake (1978) o.S., zitiert nach Schofield (2000), S. 75; Kap. 1.5.3. 251 das Mass der Übertragbarkeit der Erkenntnisse über die Transformation der Tourismuswirtschaft auf andere Länder vor allem durch den Vergleich der jeweils herrschenden wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse, der Lebenszyklusphase der Tourismusbranche eines bestimmten Landes und der Lage auf dem internationalen Tourismusmarkt bestimmt. Ungeachtet davon kann jedoch zusammenfassend behauptet werden, dass die Tourismuspolitik während der Transformation vor allem einen ordnungsrechtlichen Charakter mit Fokus auf den Strukturwandel bei gleichzeitiger Berücksichtigung der wirtschaftlichen Konjunkturzyklen haben soll und sich auf ein langfristigeres Konzept, welches vor allem auch ökologische und soziale Aspekte der Tourismusentwicklung einbezieht, stützen muss. Die externe Validität dieser empirisch-normativ abgestützten Empfehlungen, welche einerseits auf einer Momentaufnahme der Situation des Tourismus in der Tschechischen Republik und andererseits auf den Kenntnissen über die Funktionsweise einer marktwirtschaftlich orientierten Tourismuswirtschaft beruhen, kann in Zukunft zusätzlich noch mit Hilfe der „Case Survey Method“ erhöht werden. In ihrem Rahmen werden Informationen aus einzelnen Fallstudien zu einem bestimmten Forschungsthema zusammengefasst und aggregiert.838 Als eine nötige Voraussetzung für den Einsatz dieser Methode müssen mehrere Fallstudien über die Transformation der Tourismusbranche oder mindestens ihrer Teilbereiche in verschiedenen Ländern vorhanden sein. Im deutsch- und englischsprachigen Raum wurde dieses Thema bis jetzt aber nur ausnahmsweise erwähnt. Die vereinzelten Beiträge befassen sich vor allem mit der Problematik der Hotellerie und der Schaffung neuer touristischer Institutionen. In den osteuropäischen Ländern sieht die Lage nicht besser aus, denn dem Verfassen von wissenschaftlichen Publikationen im Bereich des Tourismus wird während der umfassenden Transformation der Wirtschaft keine Priorität eingeräumt. Eine integrierte Sicht der Transformation unter besonderer Berücksichtigung der indirekten Tourismuspolitik besteht ebenfalls noch nicht. Die Einführung des Konzeptes des Destinationsmanagements sowie der integralen Standortsstrategien wurde bis zum jetzigen Zeitpunkt auch nur ungenügend untersucht. Die Erforschung des eigennützigen Verhaltens von den Politikern während der Transformation und dessen Einfluss auf die Tourismusentwicklung stellt ein weiteres interessantes Thema dar. Somit ist auch weiterer Forschungsbedarf angedeutet. Bis dann bleibt die argumentative Verallgemeinerung der Ergebnisse im Rahmen der vorliegenden Dissertation ein lohnender Versuch, „sich schrittweise situativ anwendbaren Regeln zu nähern“.839 838 839 Vgl. Kap. 1.5.3. Greuter (2000), S. 256. 252 11.5 Fazit Der Übergang zur Demokratie und der radikale Umbau der Wirtschaft stellen für die Transformationsländer eine völlig neue Herausforderung dar. Die Rückkehr zur Marktwirtschaft erweist sich als ein langwieriger Weg, der oft mit einem präzedenzlosen Experiment verglichen wird. Der erhebliche Strukturwandel, der durch die Einführung der Marktwirtschaft erfolgte, machte auch vor der Tourismusbranche nicht Halt und rief eine Neuausrichtung der Tourismuspolitik sowie weitgehende Veränderungen in der Tourismuswirtschaft hervor. Die Wissenschaft konnte den Politikern zwar die Kenntnisse über die Funktionsweise der Tourismusbranche unter marktwirtschaftlichen Bedingungen vermitteln; aufgrund der Inexistenz einer integrierten Sicht der Transformation unter besonderer Berücksichtigung der Tourismuspolitik konnte sie ihnen aber keine konkreten Handlungsempfehlungen und Lösungswege aufzeigen. Der eingeschlagene Weg der Umstrukturierung der Tourismusbranche ist somit mit Unsicherheit und Unvorhergesehenheit verbunden. Aus der Gegenüberstellung der theoretischen Überlegungen zu einer Tourismuspolitik in der Marktwirtschaft und der Erkenntnisse aus der Fallstudie über die tschechische Tourismuswirtschaft in der Übergangsphase wurde eine Reihe von Empfehlungen für eine Tourismuspolitik in Transformation abgeleitet. Aus den Fehlentscheidungen, die den tschechischen Politikern während der Umgestaltung der Tourismuswirtschaft unterliefen, können die anderen Länder lernen und sie vermeiden. Bei der Implementierung der tourismuspolitischen Massnahmen ist immer zu beachten, dass diese nicht ohne weiteres übertragen werden können, sondern dass sie vor allem den jeweils bestehenden wirtschaftlichen und politischen Bedingungen eines bestimmten Landes, der Lebenszyklusphase seiner Tourismusbranche sowie der aktuellen Entwicklung auf dem internationalen Markt angepasst werden müssen. Die externe Validität dieser empirisch-normativ abgestützten Empfehlungen kann in Zukunft zusätzlich noch mit Hilfe der „Case Survey Method“ erhöht werden, in deren Rahmen Informationen aus einzelnen Fallstudien zu einem bestimmten Forschungsthema aggregiert werden. Zu den ermittelten Gestaltungsempfehlungen gehören, ohne dabei Anspruch auf ihre Vollständigkeit zu erheben, folgende Massnahmen: • Möglichst schnell freundliche ordnungspolitische Rahmenbedingungen gestalten, die einerseits das Aufkommen des Tourismus unterstützen, andererseits aber auch gewisse Spielregeln auf dem Tourismusmarkt festlegen und den Schutz aller Teilnehmer vor negativen Auswirkungen einer zu liberalen Ordnung garantieren. • Nach dem Systemwechsel auf die staatlichen Interventionen nicht vollkommen verzichten, sondern mit deren Hilfe versuchen, die entstandenen Marktunzulänglichkeiten in möglichst grossem Umfang zu beseitigen. Die Subventionierung der Tourismusbranche nicht überstürzt abbauen, dagegen die Massnahmen schrittweise auf den Strukturwandel fokussieren, Innovationen unterstützen und vor allem für eine genügende Unterstützung der KMU sorgen. 253 • Die Hoffnung auf eine Selbstregulierung der Tourismusentwicklung aufgeben und von Anfang an anstatt einer pragmatischen eine konzeptionelle Tourismuspolitik betreiben. Zur pragmatischen Handlungsweise nur ausnahmsweise greifen. Beim Rückgang der touristischen Nachfrage die ausländischen Erfahrungen beachten und den Einsatz des Konzeptes des Destinationsmanagements prüfen. • Die Warnsignale in der Branche frühzeitig wahrnehmen und die tourismuspolitischen Massnahmen der Phase ihres Lebenszyklus anpassen. Die Trends in der touristischen Nachfrage laufend beachten und entsprechende Veränderungen im Angebot und in den verfolgten Strategien vornehmen. • Die Transparenz auf dem Tourismusmarkt durch geeignete Massnahmen erhöhen und öffentliche Güter, die für die weitere Tourismusentwicklung unentbehrlich sind, in genügendem Umfang und Qualität bereitstellen. Die negativen Externalitäten, die von den touristischen Aktivitäten ausgehen, wenn möglich vermeiden und eine nachhaltige Tourismusentwicklung anstreben. • Die gegenseitige Zusammenarbeit zwischen den Tourismusakteuren fördern und damit einen Beitrag zum besseren Dialog in der Branche und zum Entstehen von Synergien leisten. Frühzeitig für eine standhafte und gesetzlich verankerte dezentralisierte Kompetenzaufteilung sorgen und eine klare Verantwortung für die Tourismusentwicklung statuieren. • Grössere Transparenz in den politischen Entscheidungsprozessen schaffen und damit dem eigennützigen Verhalten von Politikern Schranken setzen. Eine Lobby in der Tourismusbranche aufbauen, die für die Durchsetzung der tourismuspolitischen Anliegen auf der obersten Ebene einen geeigneten Raum schafft. • Trotz der herrschenden Dominanz der ökonomischen Interessen auch die ökologischen und sozialen Anliegen bei der Zielsetzung der Tourismuspolitik beachten und sie auf ihre Kompatibilität mit den verfolgten Zielen in anderen Bereichen prüfen. Die Ziele aufgrund von fundierten Grundlagen ermitteln und bei ihrer Festlegung aus einer langfristigen und ganzheitlichen Perspektive ausgehen. • Die wirtschaftliche Entwicklung bei der Festlegung der touristischen Zielsetzungen einbeziehen und auch umgekehrt den Beitrag der Branche zum volkswirtschaftlichen Wachstum beachten. Den Tourismus als einen strategischen Wirtschaftszweig, der zur Überbrückung der rezessiven Transformationsphasen massgebend beitragen kann, anerkennen und mit einer geeigneten Politik für eine langfristige Ausschöpfung seines Potentials sorgen. • Die entsprechenden Institutionen für die Durchführung der Werbemassnahmen gründen und die touristische Nachfrage mit komplementären staatlichen Marketingmassnahmen fördern. Mit dem Einsatz von verschiedensten Mitteln dauernd Impulse für die Verbesserung der Qualität von touristischen Dienstleistungen schaffen und diese allmählich an das Niveau der westlichen Länder heranführen. Für eine genügende Sicherheit der Touristen sorgen und das Image eines sicheren Reiselandes schaffen. 254 • Der weltweiten Entwicklung der IT-Technologien genügend Aufmerksamkeit widmen und den Anschluss an die internationalen Computernetze und touristischen Systeme nicht verpassen. Eine staatlich unterstützte Tourismusforschung betreiben und qualitativ hochwertige statistische Daten, die den Politikern fundierte Entscheidungen ermöglichen, sicherstellen. • Die Aufwertung des Humankapitals kontinuierlich fördern und damit einen Beitrag zu Innovationen und Verbesserungen der Dienstleistungsqualität leisten. Besonderes Augenmerk auf die Erweiterung der Sprachkenntnisse der Angestellten werfen. Die tourismuspolitischen Ämter mit fachlich ausgebildeten, teamfähigen und innovationsfreudigen Mitarbeitern besetzen, die den neuen Herausforderungen auf dem Feld der Tourismuspolitik gewachsen sind. • In den Gebieten, wo es sinnvoll erscheint, die regionale Tourismusentwicklung unterstützen, um das vorhandene touristische Potential möglichst effizient auszuschöpfen. Die Aufmerksamkeit dabei auf die zukunftsversprechenden Segmente richten. • Die zur Verfolgung der festgelegten tourismuspolitischen Strategien benötigten finanziellen Mittel sicherstellen. Eine auf Dauer gerichtete staatliche Förderung der Tourismusbranche gewährleisten, z.B. durch die Schaffung eines Tourismusfonds oder durch eine gesetzliche Verankerung. Wo möglich, auch die private Tourismuswirtschaft an der Finanzierung beteiligen. Bei der Steuerumverteilung dafür sorgen, dass die Steuereinnahmen aus dem Tourismus den Ortschaften zufliessen, wo sie generiert wurden und damit ein Aufkommen des regionalen Fremdenverkehrs begünstigen. • Das Wissen der Industrieländer über die Funktionsweise der Tourismuswirtschaft unter marktwirtschaftlichen Bedingungen und die Erfahrungen anderer Transformationsländer Nutzen bringend einsetzen. Die ausländische Hilfe zur Unterstützung von Tourismusprojekten in möglichst grossem Mass ausnützen und damit der Branche neue Wachstumsimpulse verleihen. Von den osteuropäischen Ländern, die nach 1989 mit dem Umbau ihrer wirtschaftlichen Strukturen anfingen, hat noch keines die Transformationsprozesse abgeschlossen. Ihre Tourismusbranchen befinden sich nach den ersten Jahren eines beachtlichen Wachstums in einer Reife- oder Stagnationsphase und stehen vor ähnlichen Problemen wie die westlichen Länder. Um den Eintritt in die Abschwungsphase ihres Lebenszyklus zu vermeiden, muss zu den wichtigsten Aufgaben ihrer gegenwärtigen Tourismuspolitik die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit gehören. Diese Zielsetzung wird in den Industrieländern als „neues Paradigma der Tourismuspolitik“ bezeichnet und ihre Erreichung wird vor allem mit Hilfe des Konzeptes des Destinationsmanagements angestrebt. 255 12 Ausblick „There is a way to do it better. Find it!” Thomas A. Edison Mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems in Osteuropa ging Anfang der 90er Jahre eine vierzigjährige Epoche zu Ende, die von der Herrschaft des sowjetischen Wirtschaftsund Gesellschaftssystems gekennzeichnet war. Der Übergang zur Demokratie und der radikale Umbau der Wirtschaft stellen für die Transformationsländer eine völlig neue Herausforderung dar. Die angestrebte Rückkehr zu einer marktorientierten Wirtschaft erweist sich als ein langwieriger Weg, der erhebliche Belastungen für die Gesellschaft mit sich bringt und die Wirtschaft einer schwierigen Probe unterzieht. Der erhebliche Strukturwandel, der durch die Einführung der Marktwirtschaft erfolgte, machte auch vor der Tourismusbranche nicht Halt und rief eine Neuausrichtung der Tourismuspolitik sowie weitgehende Veränderungen in der Tourismuswirtschaft hervor. Im Fremdenverkehr wurde ein grosses Wachstumspotential gesehen, das viele Hoffnungen weckte. Die Wissenschaft konnte den Politikern in den Transformationsländern zwar die Kenntnisse über die Funktionsweise der Tourismuswirtschaft unter marktwirtschaftlichen Bedingungen vermitteln; sie konnte ihnen aufgrund der Inexistenz einer integrierten Sicht der Transformation unter besonderer Berücksichtigung der Tourismuspolitik aber keine konkreten Handlungsempfehlungen und Lösungswege aufzeigen. Das Ziel der vorliegenden Dissertation bestand deshalb einerseits darin, die vorhandenen Forschungsdefizite auf diesem Gebiet bestmöglich zu schliessen und eine Basis für zukünftige Untersuchungen zu schaffen. Andererseits wurde angestrebt, durch die Ausarbeitung von Empfehlungen für eine Tourismuspolitik in Transformation den Ländern im Übergang einen anwendungsorientierten praxisnahen Ansatz zu liefern. Zu diesem Zweck wurde im ersten Teil der Arbeit auf die theoretischen Grundlagen einer marktwirtschaftlich orientierten Tourismuspolitik eingegangen und im zweiten Teil wurde im Rahmen einer Fallstudie die tschechische Tourismusbranche während der Transformation untersucht. Aus der Gegenüberstellung der theoretischen Überlegungen und der Erkenntnisse aus der Fallstudie wurde im dritten Teil eine Reihe von Gestaltungsempfehlungen für eine Tourismuspolitik in der Übergangsphase von der Zentralplan- zur Marktwirtschaft abgeleitet. Durch diese Vorgehensweise wurde das festgelegte Forschungsziel erreicht. Die tschechische Tourismusbranche, die nach dem Systemwechsel einen Aufschwung erlebte, half die anfängliche rezessive Transformationsphase der Wirtschaft zu überbrücken. Tschechien profitierte vom Ruf einer unbekannten posttotalitären Destination und seine Tourismuswirtschaft florierte auch ohne staatliche Massnahmen. Die Warnsignale, dass die extensiven Wachstumsfaktoren allmählich erschöpft waren und dass seitens des Staates interveniert und eine konzeptionelle Tourismuspolitik betrieben werden sollte, wurden lange nicht beachtet. Dies führte dazu, dass sich die tschechische Tourismusbranche nach mehreren Jahren eines kontinuierlichen Wachstums nun in einer Stagnationsphase befindet und vor ähnlichen Problemen wie jene der westlichen Länder steht. Um den Eintritt in die Abschwungsphase ihres Lebenszyklus zu vermeiden, muss zu den wichtigsten Aufgaben der Tourismuspolitik die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit gehören. Vom Staat wird erwartet, dass er die Branche mit geeigneten Massnahmen fördert. Er sollte vor allem marktnahe Anreize für gemeinsame Marketingmassnahmen, Innovationen auf der Angebotsseite und überbetriebliche Kooperati- 256 onen schaffen. Zudem hat er die Aufgabe, für die laufende Aufwertung der Produktionsfaktoren, zu denen insbesondere auch das Humankapital gehört, zu sorgen. Die hergeleiteten Empfehlungen für eine Tourismuspolitik in Transformation, welche einerseits auf einer Momentaufnahme der Situation des Tourismus in der Tschechischen Republik und andererseits auf den Kenntnissen über die Funktionsweise einer marktwirtschaftlich orientierten Tourismuswirtschaft beruhen, können nicht ohne weiteres auf die Tourismuspolitik anderer sich transformierende Länder übertragen werden. Das Mass ihrer Übertragbarkeit ergibt sich vor allem aus dem Vergleich der jeweils herrschenden wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse, der Lebenszyklusphase der Tourismusbranche eines bestimmten Landes und der Lage auf dem internationalen Tourismusmarkt. Ungeachtet davon kann jedoch zusammenfassend behauptet werden, dass die Tourismuspolitik während der Transformation vor allem einen ordnungsrechtlichen Charakter mit Fokus auf den Strukturwandel bei gleichzeitiger Berücksichtigung der wirtschaftlichen Konjunkturzyklen haben soll und sich auf ein langfristigeres Konzept, welches vor allem auch ökologische und soziale Aspekte der Tourismusentwicklung einbezieht, stützen muss. Die externe Validität dieser empirisch-normativ abgestützten Empfehlungen kann in Zukunft zusätzlich noch mit Hilfe der „Case Survey Method“ erhöht werden, in deren Rahmen Informationen aus einzelnen Fallstudien zu einem bestimmten Forschungsthema aggregiert werden. Nach zwölf Jahren sind die Transformationsprozesse noch in keinem Land abgeschlossen. Sie werden in wissenschaftlichen Kreisen oft mit einem präzedenzlosen Experiment mit einem unsicheren Ausgang verglichen. Es handelt sich um eine schwierige Aufgabe, zu deren besseren Bewältigung auf dem Gebiet des Tourismus auch die vorliegende Dissertation ihren Beitrag leisten soll. I LITERATURVERZEICHNIS Adamová, K./Mates, P. (2000): České dějiny v datech 1945-1999 (Tschechische Geschichte in Daten 1945-1999), Prag 2000 Adejuwon, F. J. (1993): Fundamentals of Tourism Planning, Nigeria 1993 Aerni, K. et al. (1993): Tschechoslowakei im Wandel – Umbruch und Tradition – Bericht zur Exkursion in Böhmen 1992, Bern 1993 Aerni, K. et al. (1994): Tschechien zwischen marktwirtschaftlicher Herausforderung und planwirtschaftlichem Erbe – Exkursionsbericht Tschechien 1993, Bern 1994 Agentur Madi (1999): Seminář k problematice zákona o cestovním ruchu č. 159/1999 (Seminar zur Problematik des Tourismusgesetzes Nr. 159/1999), Prag 1999 AIEST (1999): Glossar, in: Zukunftsorientierte Tourismuspolitik – Ein Beitrag zur strategischen Entwicklung von Standorten, Berichte zum 49. 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(Wer hat in meinem Bettchen geschlafen?), in: C.O.T. business Nr. 12/2001, Prag 2001, S. 37 XLI Valášek (2001c): Klubový den ACK ČR v Brně (Klubtag von ACK ČR in Brünn), in: C.O.T. business Nr. 2/2001, Prag 2001, S. 89 Valášek, D. (2002): Workshop na téma taxislužba (Workshop zum Thema Taxidienstleistungen), in: C.O.T. business Nr. 12/2002, Prag 2002, S. 59 Vallender, K. A. (1995): Wirtschaftsfreiheit und begrenzte Staatsverantwortung – Grundzüge des Wirtschaftsverfassungs- und Wirtschaftsverwaltungsrechts, 3. Auflage, Bern 1995 Van den Brincken, Ch. (1998): Marktforschung im Tourismus: Der Single-Source-Ansatz als innovatives Instrument zur Messung von Marktdaten im Tourismus, in: Haedrich, G. et. al. (Hrsg.): Tourismus-Management – Tourismus-Marketing und Fremdenverkehrsplanung, 3. Auflage, Berlin 1998, S. 169-185 Van Orsouw, M. (1990): Grosse Verheissung, in: Bilanz Nr. 2/1990, Zürich 1990, S. 86-91 Vaško, M. 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Oktober 1997 TSCHECHISCHE QUELLEN Gesetz Nr. 50/1976 Sb.: Zákon o územním plánování a stavebním řádu – Stavební zákon (Gesetz über die Raumplanung und Bauordnung – Baugesetz) in der revidierten Fassung vom Jahr 2001 Gesetz Nr. 455/1991 Sb.: Zákon o živnostenském podnikání – Živnostenský zákon (Gesetz über die Ausübung von Gewerben – Gewerbegesetz) in der revidierten Fassung vom Jahr 2001 Gesetz Nr. 299/1992 Sb.: Zákon o státní podpoře malého a středního podnikání (Gesetz über die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmungen) Gesetz Nr. 634/1992 Sb.: Zákon o ochraně spotřebitele (Verbraucherschutzgesetz) Gesetz Nr. 588/1992 Sb.: Zákon o dani z přidané hodnoty (Mehrwertsteuergesetz) in der revidierten Fassung vom Jahr 2000 Gesetz Nr. 272/1996 Sb.: Zákon, kterým se provádějí některá opatření v soustavě ústředních orgánů státní správy České republiky a kterým se mění a doplňuje Zákon České národní rady č. 2/1969 Sb. o zřízení ministertev a jiných ústředních orgánů státní správy České republiky ve znění pozdějších předpisů a mění a doplňuje zákon č. 97/1993 Sb. o působnosti správy státních hmotných rezerv (Gesetz, durch welches bestimmte Massnahmen bei der Staatsverwaltung der Tschechischen Republik durchgeführt werden und durch welches das Gesetz Nr. 2/1969 Sb. des Tschechischen Nationalrates über die Errichtung von Ministerien und anderen staatlichen Verwaltungsorganen der Tschechischen Republik verändert und vervollständigt wird und durch welches das Gesetz Nr. 97/1993 Sb. über den Wirkungsbereich der Vewaltung von staatlichen materiellen Reserven verändert und vervolständigt wird) Gesetz Nr. 347/1997 Sb.: Ústavní zákon o vytvoření vyšších územních samosprávných celků a o změně ústavního zákona České národní rady (Gesetz über die Schaffung von höheren Selbstverwaltungsgebieten und über die Veränderung des Verfassungsgesetzes des Tschechischen Nationalrates) Gesetz Nr. 159/1999 Sb.: Zákon o některých podmínkách podnikání v oblasti cestovního ruchu a o změně zákona č. 40/1964 Sb., občanský zákoník, ve znění pozdějších předpisů, a zákona č. 455/1991 Sb., o živnostenském podnikání – živnostenský zákon, ve znění pozdějších předpisů (Gesetz über bestimmte Bedingungen der Unternehmenstätigkeit in der Tourismusbranche und über die Veränderung des Bürgergesetzes Nr. 40/1964 Sb. und des Gewerbegesetzes Nr. 455/1991 Sb.) XLVI Kommentar zum Gesetz Nr. 159/1999 Sb.: Komentář k zákonu č. 159/1999 Sb. Gesetz Nr. 326/1999 Sb.: Zákon o pobytu cizinců na území České republiky a o změně některých zákonů (Gesetz über den Aufenthalt von Ausländern auf dem Gebiet der Tschechischen Republik und über die Veränderungen einiger anderer Gesetze) Gesetz Nr. 128/2000 Sb.: Zákon o obcích (Gesetz über die Gemeinden) Gesetz Nr. 218/2000 Sb.: Zákon o rozpočtových pravidlech a o změně některých souvisejících zákonů (Gesetz über die Budgetregelungen und über die Veränderungen einiger zusammenhängender Gesetze) Gesetz Nr. 249/2000 Sb.: Zákon o podpoře regionálního rozvoje (Gesetz über die Unterstützung der Regionalentwicklung) Gesetz Nr. 140/2001 Sb.: Zákon kterým se mění zákon č. 326/1999 Sb. o pobytu cizinců na území České republiky a o změně některých zákonů (Gesetz, durch welches das Gesetz Nr. 326/1999 Sb. über den Aufenthalt von Ausländern auf dem Gebiet der Tschechischen Republik verändert wird) Gesetz Nr. 217/2002 Sb.: Zákon kterým se mění zákon č. 326/1999 Sb. o pobytu cizinců na území České republiky a o změně některých zákonů (Gesetz, durch welches das Gesetz Nr. 326/1999 Sb. über den Aufenthalt von Ausländern auf dem Gebiet der Tschechischen Republik verändert wird) Verfassung Nr. 100/1960 Sb.: Ústava Československé socialistické republiky (Verfassung der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik) Verfassung Nr. 1/1993 Sb.: Ústava České republiky (Verfassung der Tschechischen Republik) Regierungsverordnung Nr. 469/2000 Sb.: Nařízení vlády, kterým se stanoví obsahové náplně jednotlivých živností (Regierungsverordnung, welche den Umfang der einzelnen Gewerbe festlegt) STATUTEN Bohemia Centralis (1997): Stanovy (Statuten), Beroun 1997 Gewerbsmässige Vereinigung der Campingplätze und Ferienhäuserkolonien (1990): Stanovy (Statuten), Prag 1990 Ministerium für Regionalentwicklung (1998): Statut České centrály cestovního ruchu (Statuten der Tschechischen Tourismuszentrale), Prag 1998 Wirtschaftsministerium (1993): Statut České centrály cestovního ruchu (Statuten der Tschechischen Tourismuszentrale), Prag 1993 XLVII INTERNETQUELLENVERZEICHNIS http://www.accka.cz/ (Stand am 15.12.2000) http://www.ackcr.cz/ (Stand am 15.12.2000) http://www.cccr-info.cz/ (Stand am 12.10.2000 und 4.11.2002) http://www.cccr-info.cz/index.php (Stand am 19.3.2003) http://www.cccr-info.cz/pages/orgschema.html (Stand am 10.12.2000) http://www.cebre.cz/profil.asp (Stand am 29.1.2003) http://www.cecta.org/nto/index.htm (Stand am 2.10.2002) http://www.cnb.cz/ (Stand am 6.1.2003) http://www.czso.cz/cz/cisla/5/50/5001004q/data/tab2b.pdf (Stand am 20.2.2001) http://www.czso.cz/cz/cisla/4/40/400901/data/anmesta.xls (Stand am 12.10.2002) http://www.czso.cz/cz/novinky/inflace/inflace2.htm (Stand am 17.1.2003) http://www.euroskop.cz/cr_evropdohoda.html (Stand am 2.5.2000) http://www.klubturistu.cz/ (Stand am 10.11.2000) http://www.linux.onyx.cz/region/phare.html (Stand am 11.12.2000) http://www.mmr.cz/cz/osv/cestkanc.html (Stand am 5.4.2001) http://www.mmr.cz/cz/tourism/programs/2002/selected (Stand am 5.11.2002) http://www.mmr.cz/cz/regional/mikroreg/ (Stand am 20.12.2000) http://www.mmr.cz/cz/tourism/statistics/1999/ (Stand am 19.8.2000) http://www.mmr.cz/cz/tourism/statistics/2000/ (Stand am 22.2.2001) http://www.mmr.cz/cz/tourism/statistics/2001/ (Stand am 10.11.2002) http://www.mmr.cz/cz/tourism/statistics/2002/ (Stand am 10.11.2002) http://www.mmr.cz/index.html (Stand am 18.1.2001 und 5.10.2002) http://www.mpo.cz/reader/ (Stand am 6.11.2002) http://www.mujweb.cz/www/alp.cr/ (Stand am 15.11.2000) http://www.mvcr.cz/cizinci/z_140_01.html (Stand am 1.12.2002) http://www.mvcr.cz/reforma/n_kraje.gif (Stand am 13.1.2001) http://www.mvcr.cz/sbirka/2002/sb083-02.pdf (Stand am 1.12.2002) http://www.nato.cz/clenove/cr.html (Stand am 4.11.2002) XLVIII http://www.nfhr.cz/ (Stand am 20.11.2000) http://www.odci.gov/cia/publications/factbook/ez.html (Stand am 26.7.2000) http://www.restaurace2000.cz/horeka/_data/klasifikace.htm (Stand am 2.12.2000) http://www.un.org/Overview/unmember.html (Stand am 14.3.2001) http://www.visitczech.cz/cccr/stranky.asp?stranka_id=02020100 (Stand am 26.7.2000) http://www.vsh.cz/vsh/verejnost14.htm (Stand am 23.7.2002) http://www.wdb.cnb.cz/kurzy.k_prum (Stand am 15.4.2001) http://www.world-tourism.org/ (Stand am 28.7.2000) XLIX GESPRÄCHSPARTNERVERZEICHNIS Die Expertengespräche wurden im Zeitraum vom 27. Dezember 2000 bis 19. März 2003 durchgeführt. H. Benešová Gewerbsmässige Vereinigung der Campingplätze und Ferienhäuschenkolonien, Vorsteherin des Zentralsekretariates Ing. J. Beránek Mag Consulting, Direktor, zudem gleichzeitig Berater des parlamentarischen Unterausschusses für Handel und Tourismus M. Burianová Vereinigung der Unternehmer in der ländlichen Touristik und Agrotouristik, Vorsteherin des Zentralsekretariates H. Čermáková Tschechische Tourismuszentrale, Assistentin des Direktors PhDr. M. Frančová Tschechische Tourismuszentrale, Realisationsabteilung, Mitarbeiterin des Ausschusses für verlegerische Tätigkeit Ing. O. Freidinger Assoziation von Reisebüros, Vorsteher des Zentralsekretariates Bc. L. Haupt Tschechische Tourismuszentrale, Leiter der Regionalabteilung Ing. H. Havlová Tschechische Tourismuszentrale, Leiterin der Marketingabteilung Doc. Ing. J. Indrová Hochschule für Ökonomie in Prag, Leiterin des Lehrstuhles für Tourismus N. Jahodová Assoziation touristischer Informationszentren, Vorsteherin des Zentralsekretariates Ing. M. Kotek Reisebüro B.T.I. International, Direktor PhDr. B. Křížová Ministerium für Regionalentwicklung, Abteilung für Tourismus und europäische Integration, Direktorin des Ausschusses für Realisierung und Entwicklung Ing. J. Lajka Assoziation von Flugbetreibern, Vorsitzender Ing. M. Lambojová Nationale Föderation von Hotels und Restaurants, Mitarbeiterin des Zentralsekretariates Doc. Ing. V. Malá Hochschule für Ökonomie in Prag, Dozentin am Lehrstuhl für Tourismus L Ing. E. Mráčková Assoziation von Reisebüros, Mitarbeiterin des Zentralsekretariates M. Nemrava Vereinigung von Unternehmern im Gastgewerbe und Tourismus, Mitarbeiter des Zentralsekretariates M. Nevrklo Orea Hotels, Mitarbeiter der Marketingabteilung Ing. Z. Petrů Hochschule für Ökonomie in Prag, Assistentin am Lehrstuhl für Tourismus Ing. A. Ríšová Tschechische Tourismuszentrale, Realisationsabteilung, Leiterin des Ausschusses für verlegerische Tätigkeit J. Smičková Assoziation tschechischer Reiseveranstalter und Reisebüros, Vorsteherin des Zentralsekretariates Ing. J. Šnajdr Tschechische Tourismuszentrale, Mitarbeiter des Ausschusses für ausländische Vertretungen Ing. M. Šourková Ministerium für Regionalentwicklung, Mitarbeiterin der Abteilung für Tourismus und europäische Integration, Ausschuss für Konzeption RNDr. J. Srb Tschechische Tourismuszentrale, Abteilung für Regionalpolitik, Leiter des Ausschusses für Regionen und Subventionen Ing. M. Stříbrná Ministerium für Regionalentwicklung, Mitarbeiterin der Abteilung für Tourismus und europäische Integration, Ausschuss für internationale Zusammenarbeit im Tourismus Ing. Z. Ticháček Tschechische Tourismuszentrale, Abteilung für Regionalpolitik, Leiter des Ausschusses für Informatikdienstleistungen Ing. M. Vitáková Ministerium für Regionalentwicklung, Abteilung für Tourismus und europäische Integration, Direktorin des Ausschusses für Konzeption Ing. D. Zachystalová Ministerium für Regionalentwicklung, Mitarbeiterin der Abteilung für Tourismus und europäische Integration, Ausschuss für Konzeption Lebenslauf Eva Nováková geboren am 25. August 1971 in Jilemnice, Tschechien Schulbildung: 1977 – 1985 1985 – 1989 1989 – 1994 1994 – 1995 1995 – 2003 1997 – 2000 Grundschule in Brno und Velké Opatovice Gymnasium in Brno und Jaroměř, Abschluss mit Matura Hochschule für Ökonomie in Prag (VŠE), Vertiefung Internationaler Handel Universität St. Gallen (HSG), Austauschprogramm Mapow Universität St. Gallen (HSG), Doktorandenstudium, Vertiefung Tourismuswirtschaft Universität St. Gallen (HSG), Vertiefung Jura, Grundstudium Berufliche Tätigkeit: 1995 1995 – 2000 1998 1998 – 2003 St. Gallen Consulting Group (SCG), Junior Consultant Institut für Marketing und Handel an der Universität St. Gallen (HSG), wissenschaftliche Mitarbeiterin Visura BDO International Zürich, Wirtschaftsprüferin Institut für Wirtschaftsinformatik an der Universität St. Gallen (HSG), wissenschaftliche Mitarbeiterin