Der Molche sechster Sinn

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Der Molche sechster Sinn
Stefan H . Reißm ann
D er M olche sechster Sinn
A D 2007-02-14
Der Molche sechster Sinn
Ein Vortrag von Stefan H. Reißmann, verfasst im Jahre 2007 AD.
( Ungekürzte Version. )
Literaturquellen
Hauptsächlich :
Fischer, J.H. & Freake, M.J. & Borland, S.C. & Phillips, J.B. (2001) : » Evidence for the use
of magnetic map information by an amphibian«. Animal Behaviour 62 : 1-10.
Phillips, John B. (1987) : » Laboratory studies of homing orientation in the Eastern Red-spotted
Newt Notophthalmus viridescens «. The Journal of Experimental Biology 131 : 215-229.
Phillips, John B. & Borland, S. Chris (1994) : » Use of a specialized magnetoreception system
for homing by the Eastern Red-spotted Newt Notophthalmus viridescens «. The Journal of
Experimental Biology 188 : 275-291.
Ergänzend :
Anonymus : » Eastern Newt «. Wikipedia – the free encyclopedia (en.wikipedia.org).
Anonymus : » Grünlicher Wassermolch «. Wikipedia – die freie Enzyklopädie (de.wikipedia.org).
Brassart, J. & Kirschvink, J.L. & Phillips, J.B. & Borland, S.C. (1999) : » Ferromagnetic
material in the Eastern Red-spotted Newt Notophthalmus viridescens «. The Journal of
Experimental Biology 202 : 3155-3160.
Deutschlander, Mark E. & Phillips, John B. & Borland, S. Chris (1999) : » The case for
light-dependent magnetic orientation in animals «. The Journal of Experimental Biology 202 :
891-908.
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Gliederung
1. Der Lebenszyklus des Nordamerikanischen Grünmolches
2. Das Problem der Wiederfindung des Geburtsgewässers
3. Die Entdeckung des Magnetsinnes der Grünmolche
4. Magnetkompass und Magnetfeldkarte
5. Die Grünmolche können navigieren!
6. Wie funktionieren die Magnetsinne der Grünmolche physiologisch?
7. Wie oder wieso können sie diese in ihrem Alltag verwenden?
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Text
Mein Vortrag handelt vom Grünlichen Wassermolch Notophthalmus viridescens,
welcher im mittleren, östlichen und südöstlichen Nordamerika in vier Unterarten
vorkommt und dort vielerorts die häufigste Schwanzlurchart ist. Wie die meisten
anderen Lurche der gemäßigten Breiten durchläuft auch er in seinem Leben sowohl
eine aquatische Larvalphase wie eine semiterrestrische oder amphibische
Adultphase, doch ist sein Lebenszyklus im Gegensatz zu den meisten anderen
Lurchen in drei beziehungsweise vier deutlich unterscheidbare Phasen gegliedert:
Nachdem die Larve aus dem Ei geschlüpft ist, verbringt sie zunächst einige
Monate in ihrem Geburtsgewässer, wo sie zunächst durch äußere Kiemen atmet.
Nach zwei bis fünf Monaten wandelt sie sich jedoch zu einem Landlebewesen um,
verlässt das Wasser, und betritt es für einige Jahre nicht mehr. In dieser Zeit lebt
der junge Molch als orange gefärbter sogenannter Eft ausschließlich an Land, am
Boden von Wäldern. Dann, nach zwei bis acht Jahren, wird er olivgrün und begibt
sich wieder zurück ins Wasser. Dort verbringt er nun fast das ganze Jahr. Er kann
es aber auch wieder verlassen, beispielsweise um zu hohen Temperaturen zu
entgehen. Das Höchstalter der Grünmolch in der Wildnis liegt bei etwa fünfzehn
Jahren.
Die meisten, über zwei Drittel, der Grünmolche kehren als Erwachsene in den
Teich zurück, in dem sie selber ihre ersten Lebensmonate verbracht haben, und die
restlichen 20% bis 30% lassen sich größtenteils in nur ein bis zwei Kilometer
entfernten anderen Gewässern nieder.
Doch wie finden die Molche ihren ‚Heimatweiher‘ wieder? Dieses Problem teilen
sie mit vielen anderen Lurchen, die alljährlich teils recht weite Laichwanderungen
zu ihrem Geburtsgewässer unternehmen, doch beim Grünlichen Wassermolch ist
etwas problematischer, weil sie ja ihre teilweise recht lange Jugend als Efte
gänzlich außerhalb des Wassers verbringen, und sich in dieser Zeit auch
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dementsprechend weit von ihrem ‚Heimattümpel‘ entfernen können. Und so ist es
vielleicht kein Wunder, dass sie eine ganz besondere Orientierungsfähigkeit
entwickelt haben, welche meines Wissens bislang noch bei keinem anderen Lurch
entdeckt wurde.
Und zwar fand man bei der Untersuchung ihres Orientierungsvermögens an der
Universität von Indiana heraus, dass Grünmolche offenbar einen Magnetsinn
besitzen, also bestimmte Eigenschaften des magnetischen Feldes der Erde
wahrnehmen können. Genau genommen, besitzen sie sogar mindestens zwei
verschiedene Magnetsinne, welche jeweils unterschiedliche Eigenschaften des
Erdmagnetfeldes empfinden. Ein Sinn dient augenscheinlich der Erkennung der
Richtung oder Deklination des Magnetfeldes, und der andere fühlt offenbar
entweder die Stärke des Magnetfeldes oder seine Inklination, also vertikale
Neigung, vielleicht auch beides.
Da alle drei genannten Eigenschaften des Erdmagnetfeldes räumlich variieren,
spannen sie ein Koordinatensystem auf, in welches eine kartenartige Darstellung
der Erdoberfläche eingezeichnet werden kann. Und dies tut das zentrale
Nervensystem des Grünmolches offenbar auch, denn allem Anschein nach ist er zu
echter Navigation befähigt. Dies bedeutet, dass er von einem ihm unbekannten
Ort ohne Kenntnis des Weges, dass heißt, ohne sich an Landmarken zu orientieren
oder den Rückweg aus dem Hinweg zu berechnen, zu seinem Heimatteich
zurückfinden kann. Um dies zu bewerkstelligen, muss er einerseits seinen
Aufenthaltsort auf der Erdoberfläche im Verhältnis zum Ziel- oder Heimatort
einordnen können, braucht also eine Art Karte, um zu erfahren, in welche
Richtung er laufen muss. Dazu befähigt ihn die Wahrnehmung von Deklination
und Inklination oder Stärke des Erdmagnetfeldes. Andererseits muss er seine
Laufrichtung feststellen können, benötigt also eine Art inneren Kompass. Als
solchen nutz er offenbar den Magnetkompasssinn, mit welchem er die Richtung
des Magnetfeldes, seine Deklination, perzipiert. Möglicherweise verfügen die
Grünmolche sogar über zwei verschiedene Magnetkompasssinne, welche in
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unterschiedlichen Zusammenhängen zur Anwendung kommen.
Einer der Magnetkompass-Sinne des Grünmolches hängt offenbar mit dem
optischen System zusammen, da er bei Bestrahlung mit ausschließlich
langwelligem Licht gewissermaßen falsch geht. Der Magnetfeldstärke- oder inklinationssinn hingegen ist vom Licht unabhängig. Er beruht möglicherweise auf
magnetischen Partikeln im Körper der Molche. Solche konnten dort auch
nachgewiesen werden.
Wie allerdings die beiden, oder vielleicht auch drei, Magnetsinne tatsächlich
funktionieren, ist noch völlig unklar.
Auch gibt noch Rätsel auf, wie die Molche in ihrem Alltag den Magnetsinn
eigentlich nutzen können, denn die dort sind sie mit viel, ungefähr hundertmal,
geringeren räumlichen Unterschieden als in der Experimentalsituation
konfrontiert, un diese unterliegen auch noch zeitlichen Schwankungen.
Stefan H. Reißmann
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