Die Bedeutung des Traumes von der Antike bis zur
Transcrição
Die Bedeutung des Traumes von der Antike bis zur
Die Bedeutung des Traums von der Antike bis zur Gegenwart Vortrag an der Märztagung 2014, Sa 29.3.14 Meine Damen und Herren ich freue mich sehr, an dieser Stelle den Einführungsvortrag unserer Tagung am ISAP halten zu dürfen. „Die Bedeutung des Traums von der Antike bis zur Gegenwart“ - ein etwas stolzer Titel, ich gebe es zu, auf dieser Zeitreise innerhalb von 60 Minuten werden wir einzelne Etappen kurz etwas näher ins Auge fassen können, in der Hoffnung, Ihnen eine Ahnung von der Bedeutung des Traumes in der menschlichen Kulturentwicklung vermitteln zu können. Die Bedeutung des Traumes hat mich seit meinem Studium immer wieder beschäftigt. In der jungschen Psychologie ist die Beschäftigung mit Träumen nach wie vor ein sehr wichtiger Weg, um mit dem Unbewussten in Kontakt zu kommen. In der heutigen Zeit finden es meine Klienten manchmal merkwürdig, komisch, wenn ich sie nach ihren Träumen frage. Heutzutage ist es gar nicht “in“, am morgen innezuhalten und sich kurz auf sich selber zu besinnen, womöglich gar aufzuschreiben, welche inneren Bilder aufgetaucht sind. Viele Menschen geben auch an, gar keine Traumerinnerung zu haben. Wenn es ihnen dann doch gelingt, sich einen Traum wieder zu vergegenwärtigen, sind sie oft sehr berührt von den Inhalten und der Arbeit damit, auch ganz junge Leute. Träume kommen vor, seit es Menschen gibt, und ganz vieles spricht dafür, dass auch unsere tierischen Vorfahren und Tiere, jedenfalls Säugetiere, träumen. Aufzeichnungen von Träumen gibt es seit Menschengedenken, denn Träume wurden ursprünglich als göttliche Botschaft verstanden und sehr ernst genommen. Dabei wurde kein Unterschied gemacht zwischen Vision und Traum. Das ist wichtig, weil auch in Jungs Verständnis Vision und Traum nahe beieinander sind und gleich behandelt werden. Ich spreche hier von den sog „grossen Träumen“, die einer tief im Unbewussten liegenden, archetypischen Schicht entstammen. Solche Träume bewegen, ergreifen, erschüttern, und man erinnert sich zeitlebens daran. Schon aus der Benützung dieser Verben wird ersichtlich, dass solche Träume etwas machen mit einem, eine Erschütterung, die vielleicht oder hoffentlich eine Änderung im Leben anzeigt oder bewirkt. Die erste bekannte Aufzeichnung eines Traumes stammt aus dem Gilgamesch Epos. Das Epos ist in Keilschrift auf Tafeln geschrieben, das in Bruchstücken in der Tontafelbibliothek des einstigen Ninive in Assyrien gefunden wurde. Die Sage von Gilgamesch ist aber noch viel älter als die assyrische, sie geht auf die Kultur der Sumerer zurück, die als erste die Städte zwischen Euphrat und Tigris erbauten und die Keilschrift erfanden. Wir sprechen von der Zeit von etwa 3000 v.Ch. 1 Gilgamesch repräsentiert den ersten kämpferischen Helden. Er bricht auf, um das ewige Leben zu finden (wahrhaft ein archetypisches Thema!). Im Lauf der langen Geschichte mit vielen Abenteuern sucht er jenseits des Flusses des Lebens den weisen Alten Utnapischtim auf, der Name bedeutet „der sehr Kluge“, weil er im Gegensatz zu Gilgamesch demütig ist und dem Willen der Götter gehorcht. Ich lese Ihnen aus dem Epos in der Nacherzählung von Heide Göttner-Abendroth vor: „Utnapischtim sprach: „ich will dir, Gilgamesch, eine verborgene Geschichte eröffnen. Ein Geheimnis der Götter will ich künden: Einstmals waren die Menschen in den Städten des Landes voller Bosheit, nicht mehr sanft und liebevoll, wie Inanna-Ischtar, die Herrin aller Götter, sie geschaffen hatte. Da beschloss die Grosse Göttin in der Ratsversammlung der Götter, die Menschen zu strafen. Enlil, der Luftgott, hörte ihren Beschluss und beschwor einen furchtbaren Sturm von Süden herauf. Dieser drängte die Flut des Meeres landeinwärts, nach und nach verschlangen die Wogen alle Städte. Zugleich liess Hadad, der Wettergott, Blitze vom Himmel fallen, viele lange Tage strömten Regen und Finsternis hernieder. In der Ratsversammlung hatte auch Enki, der Gott der Wassertiefe, gesessen, der alte Weise. Bevor die schreckliche Flut losbrach, schickte er mir, der ich in meiner Stadt Schurippak König war, einen Traum: Utnapischtims Traum: Ich sah mich zum Süsswassermeer ziehen, dorthin wo Enki wohnt. Von dort schaffte ich Holz und Teer herbei, entwarf den Plan eines hölzernen Hauses, das auf einem Schiff stand, und zeichnete ihn auf. Dann baute ich dieses seltsame Hausschiff. Als es fertig war, liess ich Frauen und Kinder, meine Verwandtschaft und Sippe ins Schiff steigen. Handwerker jeglicher Kunst liess ich hineingehen. Dann brachte ich das Grossvieh hinein und das kleine Getier, von jedem ein Paar. Auch von den wilden Tieren der Erde und den Vögeln unter dem Himmel lud ich je ein Paar ein, Pflanzen aller Art nahm ich auf, so lud ich jeglichen Lebenskeim ins Schiff. Aber Reichtum wie Silber und Gold nahm ich nicht mit, ich brauchte ihn nicht. War mein Schiff doch schon über und über mit Reichtum gefüllt. Als ich erwachte, spürte ich noch den Hauch des Gottes um mich. (Gefühlstonus eines Traumes, in der Arbeit mit Träumen auch heute sehr wichtig!) Ihm, den ich schon immer verehrte, gehorchte ich. Ich führte alles genauso aus, wie er es mir im Traum eingegeben. Aber ich wusste nicht wozu. Das Volk verlachte mich, die Ältesten der Stadt stellten mich zur Rede wegen meines sonderbaren Tuns. Ich konnte ihnen nicht antworten, denn die Götter antworteten mir auch nicht. Doch das Fragen war nicht meine Aufgabe, ich überliess die Weisheit den Göttern. (Demut, unbedingte Annahme der Traumbilder als Gebot.) In der Folge erzählt Utnapischtim die ganze weitere Geschichte der schrecklichen Sturmflut, wobei alles Land, alle Menschen und alle Tiere vernichtet wurden. Am siebten Tag wurde das Meer ruhig. Utnapischtim schaut aus der Luke des Hausschiffes und sieht 2 nur noch Schlamm und eine Wasserwüste, bis schliesslich nach Tagen des Herumtreibens auf der Wasseröde eine Insel auftaucht, die Kuppe eines Berges. Utnapischtim lässt am 7. Tag eine Taube losfliegen, die jedoch zurückkehrt, am nächsten Tag eine Schwalbe, usw., bis ein Rabe auf dem Boden scharren kann, weil das Wasser abgeflossen ist, und einen Wurm frisst und nicht mehr zurückkehrt. So lässt er dann alle Wesen hinaus in alle vier Himmelsrichtungen, tritt selber hinaus auf den festen Boden und bringt den Göttern sofort aus Zedernholz und Myrrhe ein Duftopfer dar. (Eine neue Welt wird erschaffen, eine Art von zweiter Schöpfung oder Schöpfungsgeschichte.) Sie kennen diese Geschichte und diesen Traum aus der Bibel, die dort als Sintflut-Sage mit der Arche Noah beschrieben wird. Die Autoren der hebräischen Bibel haben den sumerischen Mythos übernommen und abgeändert, die Grosse Göttin Inanna wird durch den Gott Jahwe ersetzt. Aus diesem frühen Beispiel sehen wir, dass der Traum als göttliche Botschaft verstanden wird. Es sind ausgezeichnete Menschen, die in den Genuss solcher Botschaften kommen, so wird denn darauf verwiesen, dass Utnapischtim ein König ist. > in den antiken Kulturen werden Träume mantisch aufgefasst, das bedeutet, als Orakel (Mantik bedeutet Wahrsagekunst). Der Wille der Götter und der Lauf des Schicksals tat sich nach dieser Auffassung durch Träume kund. Lassen Sie mich noch kurz weiter auf die Fortsetzung der Sage eingehen. Gilgamesch versteht den Sinn der Geschichte nicht und will aus selbstsüchtigen Gründen unbedingt weiterhin die Unsterblichkeit erlangen. Aus Mitleid nennt ihm Utnapischtim ein Wunderkraut, das neue Jugend schenkt. Gilgamesch findet es und hält es fortan auf seiner Schiffsreise fest umklammert, bei Tag und Nacht, um es ja nicht zu verlieren. Schliesslich sehen sie an einem besonders heissen Tag ein Stück Land auftauchen, mit einem Kühle und Erholung verheissenden Teich. Gilgamesch will sich darin erfrischen und versteckt das Kraut ganz sorgfältig unter Steinen am Ufer und deckt diese mit Moos und Zweigen zu. Während er badet, riecht eine Schlange den Duft des Krautes, schleicht heran, kriecht unter die Steine und isst es auf! Dadurch wird sie sofort wieder jung und wirft ihre alte Haut ab. Gilgamesch verliert auf undramatische Weise seine Wunderpflanze. Er hat die natürliche Verbindung mit der Erde verloren und sich an das Kraut wie an einen Fetisch geklammert. Die kleine Schlange macht ihm vor, worauf es ankommt, nämlich auf Umwandlung, Wandlung. So kommt es, dass die Schlange, welche die alte Haut abstreifen kann, ein Symbol für Wandlung, für Tod und Erneuerung ist. Sie gehört zum Anfang und zum Ende der Welt denken Sie nur an die Uroborus-Schlange. Die Schlange spielt aber auch eine zentrale Rolle in den Heiligtümern der Antike. 3 Ich möchte mich im Folgenden mit dem berühmten Tempelschlaf von Epidauros und anderen Kultstätten beschäftigen, wo der entscheidende Traum die Heilung brachte. (Blütezeit ca 700 v.Ch. bis ca 450 n.Ch., Wurzeln reichen bis 3000 v.Chr., Abb. der schlafenden Frau, unterirdisches Heiligtum im Fels, Hypogäum in Saflieni, Jungsteinzeit 3500 v.Ch.) In der Antike wurde kein Unterschied gemacht zwischen Leib und Seele, Körper und Geist sind eins. Krankheit wird von Göttern geschickt, und nur die Götter können sie heilen. In den antiken Heilstätten wurde eine ausgesprochene Homöopathie betrieben: das Göttliche (die Krankheit) wurde durch das Göttliche geheilt (meistens die Erscheinung des Gottes im Traum). Der Traum war die Medizin, die zur Heilung führte. Im alten Griechenland waren die Heiligtümer meistens dem Gott Asklepios geweiht. Aislapios, wie er ursprünglich hiess, ist ein alter chthonischer Gott oder Dämon, der an Quellen und Haine gebunden ist, wo es ein Orakel hat. Seine wichtigen Attribute sind die Schlange und der Hund. Er ist der Sohn der Koronis und des Apoll. Seine Mutter will schwanger einen anderen Mann heiraten, da ereilt sie die göttliche Rache und wird getötet. Kurz davor rettet Apoll seinen Sohn und übergibt ihn der Obhut des Kentauren Chiron. Chiron selber ist durch die vergifteten Pfeile des Herakles unheilbar verwundet, gleichzeitig ist er ein Heilkundiger (das ist der Ursprung des archetypischen Bildes des verwundeten Heilers). Asklepios ist also ein Halbgott, der die Heilkunst vom Kentauren Chiron erlernt hat. Zu Lebzeiten ist er als Arzt äusserst erfolgreich und soll gar Tote wieder zum Leben erweckt haben. Weil er damit zu sehr in die göttliche Vorsehung hineinfunkte wurde er schliesslich von Zeus mit seinen Blitzen erschlagen. Durch seine Fulmination wurde Asklepios in den Kreis der Götter aufgenommen und in das Sternbild des Serpentarius, des Schlangenträgers, versetzt. Abb: Asklepios als bärtiger, starker Gott. 4 Marmorstatue des Museo Nazionale di Napoli. Ursprung: Asklepieion der Tiberinsel in Rom Die Verbindung von oben und unten ist bei Asklepios augenscheinlich. Einerseits mit dem Reich der grossen Mutter verbunden, erreicht er schliesslich den Himmel. Sein Stab mit der sich empor windenden Schlange symbolisiert diese Verbindung der Gegensätze oben und unten, Hell und Dunkel, Leben und Tod. Im Heiligtum wird er von seiner Begleiterin Hygieia begleitet, die eine besonders gute Beziehung zu den Schlangen hat und diese mit sanfter Hand füttert. Abb: Hygieia mit Asklepios, die Schlange fütternd. Marmorrelief 47x60cm, wahrscheinlich aus der Gegend von Saloniki. Es ist deutlich sichtbar, dass der Asklepiosstab ein Baum ist. Ottomanisches Museum Istanbul. Dieses Symbol der Lebenserneuerung (Baum mit Schlange) hat seinen Ursprung genau im Gilgamesch-Epos. Das 5 Lebenskraut wird zum Lebensbaum, der oben mit unten verbindet. Die am Baum empor kriechende Schlange kann als Symbol für einen Bewusstseinsprozess betrachtet werden (die sich erhebende Schlange im Kundalini-Yoga, in der Bibel: der Baum der Erkenntnis!). Asklepios hat viele Kinder. Der Kinderreichtum des Gottes ist wesentlich, weil Fruchtbarkeit und Erneuerung eng mit der Heilung zusammenhängen. Viele Male erscheint er mit einem Knaben, dem Telesphoros. Das Kind ist Leben und Licht bringend. Asklepios selber kann als Knabe oder als Säugling erscheinen - ein Hinweis auf das uns wohlbekannte „göttliche Kind“, das Dritte, das Lichtbringende, und er wird, gar nicht erstaunlich, später vielerorts auch Jesus gleichgesetzt. Entsprechend den Asklepieien in Griechenland gab es in Ägypten die Serapeien (bis ca 400 n.Chr.), in denen der Heilschlaf betrieben wurde. Auch Sarapis ist ein chthonischer Gott, der oft in Begleitung von Isis erscheint, und auch er hat einen kindlichen Begleiter, den Harpokrates, den Sohn von Isis und Osiris, wieder in der Bedeutung des göttlichen Kindes. Wie muss man sich nun dieses Inkubationsritual vorstellen, das an diesen Heilstätten betrieben wurde? Es kamen viele Heilung suchende Pilger von nah und fern, die Unterkunft im Gästehaus fanden. Zuerst fanden Waschungen und Reinigungsrituale statt. Das Bad hatte reinigende Wirkung auf Körper und Seele, es machte die Seele frei für den Verkehr mit dem Gott bzw. für unbeschränkte Traumerlebnisse. Dann wurden die Orakel befragt - etwa durch Vogelschau, durch Wahrsagung aus Eingeweiden, eventuell wurden Tiere geopfert und auf deren Fell geschlafen. In späterer Zeit verbrachten die Kranken längere Zeit im Asklepieion, um sich vorzubereiten, bis sich eine günstige Konstellation ereignete. Nach der Verrichtung von Voropfern für Hypnos, dem Gott des Schlafes, und für Oneiros, dem Gott des Traumes, wurde im Allerheiligsten geschlafen. Abb. Hypnos, 4.Jh v.Chr., Bronze. Spätklassische Zeit. 6 Der Gott des Schlafes erscheint hier als schöner Jüngling (British Museum London). Milde und Stille sprechen aus diesem Kopf, der an den Schläfen Flügel trägt. Ovid schreibt, der Gott Hypnos wohne in einer Höhle am Ufer des Lethebaches, wohin niemals die Sonne gelange. Am Eingang der Höhle stünden Mohn und tausenderlei Kräuter, aus denen die Nacht ihre Schlummersäfte gewinne. Auf anderen Abb hält Hypnos denn auch oft Mohnstengel in den Händen, was die Kenntnis der Opiate im Altertum bezeugt. Und wir können uns gut vorstellen, dass auch in den Heiligtümern Betäubungsmittel verwendet wurden. Das Allerheiligste ist der Abaton (Abaton bedeutet „nicht von Unberufenen zu betretener Raum“). Nachdem der Gott durch ein Orakel zu erkennen gab, dass er im Traum erscheinen werde, durfte man als Gerufener auf einem Lager, einer Kline, übernachten. Incubare bedeutet „im Heilraum schlafen“. Der Inkubant wurde geheilt, wenn ihm Asklepios im Traum erschien. Er konnte auch in einer Vision erscheinen, als bärtiger Mann, oder als Knabe, oder in seiner Tiergestalt als Schlange oder als Hund. Häufig erschien er in Gesellschaft seiner weiblichen Begleiterin, dann berührte er den kranken Körperteil, oder manchmal gab er Verordnungen. So verschrieb er das Komponieren von Musik oder das Dichten von Oden. Dieses entscheidende Erlebnis geschah nachts, die Heilung erfolgte nachts, ob der Inkubant nun wirklich schlief oder vor Erregung schlaflos war, im letzten Fall eben nicht durch einen Traum, sondern durch eine Vision. Es gab keine Traumdeuter, aber PriesterInnen, welche die Kranken begleiteten. Nach der Heilung war der Patient verpflichtet, seinen Traum aufschreiben zu lassen. Die inschriftlichen Fixierungen auf Stein oder Lehm als Votive hiessen charisteria (Dankopfer). In Epidauros, einem wunderschönen Ort auf dem Hügel mit Blick auf das fruchtbare Tal bis zum Meer, gibt es beinahe 2000 Bruchstücke von Stelen, etwa 70 Krankengeschichten sind rekonstruierbar. (Der Legende nach soll Hippokrates aus den Inschriften der Asklepiosheiligtümer seine Heilkunst gelernt haben.) Zum Heiligtum gehörte auch die Tholos, ein Rundbau mit labyrinthischem Fundament, welches von Wasser durchflossen war. Das Wasser spielte eine wichtige Rolle. Alle chthonischen Gottheiten haben ihr Heiligtum an einer Quelle, durch die Beziehung zum Gott wird sie als Heilquelle oder als Lebenswasser betrachtet. In enger Beziehung dazu gehört der schlangenumwundene Baum. Zusammengefasst: in den Asklepios Heiligtümern gab es eine Tagwelt mit Musik, Theater und Gesang, während nachts die Seele trunken wurde für den Inkubationsschlaf und den heilenden Traum. An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass diese Rituale verwandt waren mit gewissen Mysterien und Initiationsritualen. Auch da ist die Erscheinung des Gottes in der Vision oder 7 im Traum des Inkubanten in der Nacht das Entscheidende (z.B. unten in einer Höhle), bevor er wie ein Neugeborener wieder in die Tagwelt aufgenommen wurde. In diesen alten Ritualen ist die Todes- und Geburtssymbolik ganz wichtig. Heilung ist verbunden mit Wiedergeburt und Erneuerung. Hier möchte ich eine Verbindung zu CGJung knüpfen, der gesagt hat, dass die menschliche Psyche eine natürliche religiöse Funktion hat. Keine Patienten können wirklich geheilt werden, die nicht den Zugang zu eben dieser genuinen Funktion gefunden hätten. Auch aus der altägyptischen Zeit sind Stelen überliefert, auf denen Traumberichte eingekritzt sind. Berühmt ist der Traum von Thutmosis IV um 1400 v.Ch. Als er noch als junger Bursche in der Nähe der kaum mehr sichtbaren Sphinx von Gizeh auf Jagd ging und sich ermüdet in den Schatten legte, habe ihm der Sonnengott Harachte im Traum Königswürde und Ruhm verheissen, wenn er die Sphinx aus dem Sand ausgraben und in ihrer vollen Würde wieder erstellen liesse. Er wurde Pharao, und noch in seinem ersten Regierungsjahr hat er vor der Sphinx eine Kapelle und die Stele mit den Traumberichten errichten lassen. Der Traum hat in Mythen und Religionen einen ausgesprochen bedeutenden Stellenwert. Im Traum werden wichtige Botschaften empfangen, von den Göttern, von einem Gott, von Engeln oder von Dämonen. Betrachten wir nun ein Beispiel aus der Bibel, aus dem A.T. , Buch Genesis, Jakobs Traum. So berührende, bewegende und Leben verändernde Träume haben immer Künstler zur Darstellung angeregt. 8 Abb: Jusepe de Ribera (1588-1652), in Neapel genannt „lo Spagnoletto“, dieses Bild „Jakobs Traum“ befindet sich im Prado in Madrid. Der von Strapazen gezeichnete Mann befindet sich auf der Flucht vor Esau (mit einem Trick hatte er ihn um ihres Vaters Segen gebracht und ihn an seiner Stelle erhalten). Am Wegrand ist er bei einem Baumstrunk übermüdet hingesunken, hat den Kopf auf einen mit dem Gewand belegten Stein gelegt. In der hell ansteigenden Wolkenbahn hinter ihm und durch das Licht auf seinem durchgeistigten Gesicht wird das innere Geschehen malerisch zum Ausdruck gebracht. Abb: der Inhalt des Traumes von Jakob wird im Blatt aus dem 12. Jh. der Lambeth-Bibel aus Canterbury wunderschön dargestellt. Jakobs Himmelsleiter ist eine Vision des Aufstiegs in den Himmel. Im Traum sieht Jakob die Engel die Himmelsleiter auf- und niedersteigen. Ganz oben erscheint ihm Gott selber, ein beschriebenes Band haltend (ego sum Deus...) Rechts oben sehen wir Abraham, der bereit ist, seinen Sohn Isaac zu opfern, aber der Engel mit erhobenem Schwert hindert ihn daran. Anstatt des Sohnes wird der Schafbock im Gebüsch geopfert werden. Jakob ist der Sohn des Isaac. Der Herr selber steht bei ihm und sagt, er wolle ihm und seinen Nachkommen dieses Land geben, ihnen beistehen und sie beschützen. Als er am Morgen erwacht, weiss er, dass sich Gott ihm kundgetan hat. Er nimmt den Stein, richtet ihn zur Stele auf und nennt ihn „Bethel“, das bedeutet „Haus Gottes“. Als er später an den heiligen Ort wiederkehrt, begiesst er das steinerne Mal mit Öl (Szene links). Der Traum hat Jakobs Leben verändert, gewandelt. Er hat erfahren, dass die Kraft vom Herrn aus geht, und 9 dass er von ihm beschützt wird. Gehen wir noch zu einer Illustration zu einem Traum aus dem N.T., nämlich zu diesem wunderschöne Relief von der Kathedrale Saint-Lazare in Autun im Burgund. Abb: es ist ein steinernes Kapitell, dem Meister Gislebertus zugesprochen. Dargestellt sind die drei Weisen aus dem Morgenland, die gekommen waren, in Bethlehem den neugeborenen König zu ehren (gemäss Matthäus 2, 1-12). Nun haben sie einen gemeinsamen Traum, in dem ein Engel erscheint, der sie davor warnt, den Herodes zu benachrichtigen und sie anweist, wieder in ihre Heimatländer zurück zu kehren. Der Stern, der sie zum Gottessohn geführt hat, steht über ihnen und wird sie wieder geleiten. Die drei Weisen liegen, wie üblich im Mittelalter, gemeinsam unter einer Decke. Sie schlafen - aber ihre Augen sind offen, ein Zeichen dafür, dass sie im Traum sehen, was der Engel gebietet. Diese Beispiele zeigen wieder, dass im Traum oder der Vision wichtige, zukunftsweisende Eingebungen vermittelt werden. Träume können also eine 10 entscheidende Wende für das Leben eines einzelnen bedeuten, aber sie können einem auserwählten Träumer auch das Schicksal der Völker voraussagen. Solche prophetischen Träume werden in alten Kulturen auch von Stammesältesten, von Häuptlingen oder von Schamanen geträumt. Die Botschaft von den Göttern wird vorzugsweise an ausgezeichnete Menschen vermittelt, welche sie dann an die Gemeinschaft weiter geben. Kehren wir nochmals zurück nach Griechenland, denn die griechischen Vorstellungen über den Traum haben unsere westliche Kultur massgebend geprägt. Die griechische Sage berichtet, dass der sanfte Schlaf, Hypnos, und der mitleidlose Tod, Thanatos, Zwillingsbrüder aus dem Schoss der Königin der Nacht seien. Abb: Blatt des Asmus Jacob Carstens (1754-1798), einem idealen Vertreter des deutschen Klassizismus. Goethe hat diese Zeichnung für das Grossherzogliche Schlossmuseum in Weimar erworben, wo sie sich noch heute befindet. Wir sehen die kräftig gebaute, nackte Frau, die Königin der Nacht, ihre Schleier ausbreitend. Sie sitzt auf einem Polster und hält zwischen ihren Beinen den Knaben Tod mit der gesenkten Fackel, an den linken Oberschenkel geschmiegt lehnt der Knabe Schlaf mit den Mohnsamenkapseln. Schlaf und Tod als Geschwister, diese Vorstellung hat unsere Kultur sehr lange geprägt. Heute wissen wir, dass der Schlaf alles andere als todesähnlich ist. Bei den Germanen waren die Geschwister Schlaf und Tod die „Sendboten“, später „Sandmann“, auch bei uns noch als „Sandmännli“ angerufen für guten Schlaf. 11 Bei Homer ist der Traum immer ein personifiziertes, göttliches, geflügeltes Wesen, welches dem Träumer am Kopfende des Bettes erscheint. Träume werden von Zeus oder anderen Göttern geschickt. Je nach Trauminhalt empfiehlt es sich, dem betreffenden Gott ein Opfer zu bringen. Interessant bei Euripides ist die Erwähnung der dunklen Träume. Diese ordnet er dem unteren Bereich zu. Um sie von sich abzuwenden, soll man in den Opfern die Herrin Erde anflehen! Er nennt die Erde „die Mutter der schwarzgeflügelten Träume“. Auch für die Pythagoräer bedeutete der Traum die Verbindung zum Göttlichen und der Welt der Unsterblichkeit. Bis weit in die Römerzeit war es wichtig, sich durch die entsprechenden Rituale auf die Nacht und den Schlaf einzustellen, ganz wie in den Asklepios-Heiligtümern. Plato hat eine Abhandlung über die Inhalte der Träume geschrieben, er ordnet sie drei Bereichen zu: so kann ein Trauminhalt dem Bereich der Vernunft zugehören, das logische Denken betreffen, oder 2. dem Bereich des Gefühls, das kann Liebe und Zuwendung zu den Mitmenschen betreffen, oder, 3., dem Bereich des Tierischen, womit das Triebhafte gemeint ist. Diese Unterteilung mutet schon sehr modern an. Mit Aristoteles und Artemidor von Daldis folgt die Wende im Verständnis der Träume: beide halten sie nicht mehr von Gott gesandt. Artemidor von Daldis hat etwa 150 nach Christus ein grosses Werk über die Traumdeutung geschrieben. Auf seinen Reisen versuchte er, die damals existierenden Aufzeichnungen über Träume zusammen zu tragen. Er war der Traumdeuter seiner Zeit, und bringt bei seinen Deutungen die Symbole der Träume mit dem Wesen des Träumers, mit seiner Lebensgeschichte, und mit der Stimmung, in der geträumt wurde, in Zusammenhang. Dieses Traumverständnis berührt uns, gehen wir doch in der heutigen Psychotherapie von den gleichen Fakten aus. Andererseits ist das Werk von Artemidor auch voller stereotyper Deutungen. So gilt der Rücken und alle rückwärtigen Körperteile als Symbol der Alters, und so wie sie im Traum erscheinen, so wird es einem im Alter ergehen. Träume werden bei ihm somit auch prophetisch aufgefasst. Auch Aristoteles hat ein Werk über die Wahrsagung aus Träumen verfasst. Er führt die Träume auf dämonischen Ursprung zurück. Diese Abwertung des Traumes hatte einen nachhaltig negativen Einfluss auf die Geschichte des Abendlandes. In der Zeit der Spätantike, teilt Augustinus, der noch stark von Aristoteles beeinflusst ist, die Träume in zwei Kategorien ein: - Traum als göttliche Offenbarung - Traum als teuflische Illusion 12 Wie Sie sicher wissen, entsagte er sich jeder sexuellen Versuchung, dafür träumte er nachts regelmässig davon. Das liess ihn verzweifelt fragen, ob man für die eigenen Träume verantwortlich sei. Abb: „der Kupferstich 1497 Traum des Doktors“. von Albrecht Dürer, um Kupferstichkabinett Basel 1494/95 war Dürer in Venedig gewesen und war dort der Antike begegnet, wie sie sich in der italienischen Kunst wiederspiegelt, und beschäftigte sich mit Aktzeichnen. Die Frau im Vordergrund ist ein Symbol der Versuchung, die den schlafenden Mann im Traum heimsucht. Dieser sitzt voll bekleidet, das Haupt seitlich in die Kissen gelegt, auf der Bank neben dem wärmenden Kachelofen. Ein geflügelter Dämon bläst ihm den erotischen Traum mit einem Blasebalg ins Ohr. Wie fraglich aber die Erfüllung des Traumes ist, deutet die am Boden liegende Kugel der Fortuna an, und der Versuch des kleinen geflügelten Amors, seine Stelzen zu besteigen. Descartes, der Begründer des Rationalismus, fragt nach dem Fundament der Wahrheit. 13 Er philosophiert darüber, was nun wirklich ist. Im Traum erscheint uns die Welt ja als wirklich, und erst beim Aufwachen wird sie unwirklich. Wie kann man da ganz sicher sein, dass man im Wachen nicht bloss träumt? „Träum ich oder wach ich?“ Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Descartes sagt, das einzig gewisse ist, dass ich derjenige bin, der träumt. In der Zeit der Aufklärung geht das Interesse an Träumen zurück. Die Romantik (ca 1790-1830) wendet sich dann in einer Gegenbewegung wieder ganz dem Irrationalen und Traumhaften zu. Den wichtigsten Beitrag zur Traumauffassung der Romantik liefert der Naturforscher und Arzt Gotthilf Heinrich von Schubert, ein Schüler Schellings. Durch sein Buch „Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft“ übte er grossen Einfluss auf romantische Dichter aus, darunter die Brüder Schlegel, Kleist und E.T.A.Hoffmann. Auch Novalis und Jean Paul interessieren sich plötzlich für das Unbewusste (ein von Leibniz 1646-1716 erstmals eingeführter Begriff). Der Traum wird in der Romantik verstanden als eine Gegenwelt zum rationalen Verständnis der Welt. Die innere Welt ist ebenso wichtig wie die äussere. Die Romantiker postulieren eine tiefere Schicht des Menschen, die sie Natur oder das Unbewusste nennen, und die über die Existenz des Einzelnen hinausgeht. Der Traum wird dann zur Möglichkeit, mit dieser Schicht in Verbindung zu treten. Jung wird oft als „Kind der Romantik“ gesehen. Sein Konzept des Kollektiven Unbewussten, das bei allen Menschen vorhanden ist und zur biologischen Struktur der Psyche gehört, basiert auf diesen Gedanken. In dieser kurzen Zeit kann ich nur einen sehr oberflächlichen Bogen spannen bis zum 20. Jahrhundert. Zwei Philosophen, die mit ihren Gedanken massgeblich zur Entwicklung der Psychoanalyse beigetragen haben, müssen aber unbedingt erwähnt werden. Da ist Schopenhauer (1788-1860), der sich mit vielen psychologischen Fragestellungen beschäftigt hat und auch eine Abhandlung über den Traum geschrieben hat. Er unterscheidet Träume beim Einschlafen und Aufwachen von den Träumen im Tiefschlaf, und er postuliert eine physiologische Erregung als Ursprung des Traumes. Bei der Deutung der Träume hält er sich an Artemidor. Interessant ist seine Idee, die Träume als „träumende Allwissenheit“ zu bezeichnen und das Bewusstsein mit Unwissenheit gleichzusetzen. Im Werk von Friedrich Nietzsche (1844-1900) gibt es dann viele Hinweise auf Träume und auch auf das Unbewusste. In seiner Biographie erzählt er eigene Träume, die ihm wichtig sind. Seine Aussage „im Schlaf und im Traum machen wir das Pensum früheren Menschentums noch einmal durch“ ist recht bekannt. Er beschäftigt sich damit, weshalb der Geist geneigt ist, dem Traum zu glauben, während er im Wachzustand so kritisch ist. Er sagt sich, der Traum bringe uns „ferne Zustände der menschlichen Kultur zurück“. 14 Sehr aktuell mutet folgende Aussage an: „Die längsten Zeiten hindurch hat man bewusstes Denken als das Denken überhaupt betrachtet. Jetzt erst dämmert uns die Wahrheit auf, dass der allergrösste Teil unseres geistigen Wirkens uns unbewusst, ungefühlt verläuft.“ Am Ende des 19. Jh. begann die Erforschung des Traumes mit den damaligen wissenschaftlichen Kriterien. Die Medizin machte rasante Fortschritte, und der Körper und seine Funktionen stand im Zentrum. Auch Freud war einer dieser Forscher. Einige mögliche Traumquellen wurden entdeckt: -äussere Sinneserregung (z.B. Geräusche, es wurden Experimente mit Kitzeln angestellt, etc. Freud postulierte die schlaferhaltende Funktion des Traumes.) -innere Sinneserregungen - das waren eher hypnagoge Visionen -innerer organischer Leibreiz: Freud sagt, dass Störungen der inneren Organe als Traumerreger wirken können. Herz- und Lungenkranke haben Angstträume, Entzündungen bewirken Träume von Feuer, und der Einfluss von sexueller Erregung auf die Träume ist bekannt. -rein psychische Reizquellen, da wurde mit Hypnose experimentiert und eigentlich geführten Tagträumen. Freud ist aber viel weiter gegangen. Bei seiner Erforschung des Unbewussten entdeckte er verdrängte Inhalte in Träumen. 1900 wurde seine „Traumdeutung“ veröffentlicht, ein revolutionäres und Epoche machendes Werk. Er wendete erstmals eine psychodynamische Betrachtungsweise an. Entgegen der Annahme, der Traum sei eine Art von Abfallkübel voller absurder Inhalte oder nur die Reaktion auf äussere oder innere Reize betrachtet Freud den Traum als wichtige, sinnhaltige und bedeutsame Erscheinung des Unbewussten. Er geht davon aus, dass die Bedeutung des Traumes normalerweise verborgen ist, der Traum ist vom manifesten Inhalt her nicht ohne weiteres verständlich. Und er nimmt an, dass der Traum eine Wunscherfüllung darstellt. Der Traum stellt beispielsweise eine einfache Wunscherfüllung dar, wenn wir im Schlaf durstig sind und träumen, dass wir wunderbares kühles Wasser an einer Quelle trinken. Oder dass wir unterwegs sind und gerade ein WC suchen und finden, wenn wir dringend pinkeln müssten. Aber: Die entscheidenden inhaltlichen Traumquellen sind bei Freud die dynamisch unbewussten Wünsche aus dem Bereich der infantilen Sexualität, diese stellen die Triebquelle dar. Es handelt sich dabei nicht nur um aktuelle, sondern auch um vergangene, abgetane, verdrängte und überlagerte Wünsche. Das Traumgeschehen wird vom Sexualtrieb gesteuert. 15 Die vorbewussten Tagesreste, die Körperempfindungen, die unbewussten sexuellen Wünsche, die angeregten libidinösen Ansprüche stellen das sog. latente Traummaterial dar. Dieses wird in der Traumarbeit (Verdichtung, Verschiebung) entstellt und verhüllt und zeigt sich so im manifesten Trauminhalt. Wir können uns einen Zensor vorstellen, der sich um die Verwandlung der peinlichen und unterdrückten Wünsche und Gedanken kümmert, bevor sie „so verkleidet“ im Bewusstsein auftauchen dürfen. Die Interpretation eines Traumes ist somit immer schwierig, und es bleibt offen, ob ein bestimmtes Traumelement wörtlich, symbolisch, positiv oder negativ verstanden werden soll. Der Traumdeuter muss die Biographie des Träumers kennen, auch seine freien assoziativen Gedankengänge, und er muss über ein grosses Symbolverständnis verfügen. Nur so kann das Material aus dem Unbewussten durch die Trauminterpretation (die via regia) bewusst werden, kann das ES ins Bewusstsein integriert werden. Lassen Sie uns nochmals kurz zusammenfassen: Freud versteht die Träume als kausal verursacht, und sie drücken die Erfüllung eines verborgenen Wunsches aus. Das Unbewusste enthält alle unterdrückten Wünsche und andere unerfreuliche Lebenserinnerungen. Wenn der Traum einen unterdrückten Wunsch erfüllt, hat er eine Ventilfunktion. Der Trieb wird dadurch entladen, die Spannung gemindert, und der Schlaf nicht gestört. Deswegen hat er den Traum auch als „Hüter des Schlafes“ bezeichnet. Ja, nun befinden wir uns im 20. Jh., und es werden vermehrt die biologischen und neurophysiologischen Funktionen von Schlaf und Traum erforscht und untersucht. 1929 erfindet Berger das Elektroencephalogramm, das wird 1937 von Loomis für Schlafuntersuchungen angewandt. 1953 entdecken Aserinsky und Kleitman die REMPhasen. Mittels des EEG werden die Schlafzyklen und die verschiedenen Schlaftiefen erforscht, welche verschiedene Arten von Hirnaktionsströmen aufweisen. Die rythmische Abfolge der Schlafphasen erweisen sich als stabiles Merkmal aller schlafenden Menschen. In jeder Phase finden wichtige Aufbauvorgänge im Stoffwechsel statt, welche lebensnotwendig sind. Im Schlaf findet eine grosse Hirnaktivität statt, somit erweist sich der Schlaf keinesfalls als Bruder des Todes! Die REM-Phasen dauern im Durchschnitt 20 Minuten und nehmen gegen Morgen zu. Im Labor berichten 80% der Versuchspersonen über einen Traum, wenn sie aus der REMPhase geweckt werden. Anfangs der 60-er Jahre setzte man deshalb den REM-Schlaf dem Traumschlaf gleich. Diese Annahme erwies sich als falsch. Irgendeine Form von psychischer Aktivität im Hirn findet immer statt, während des ganzen Schlafs. Weil die Hirnstromaktivitätskurve in der REM-Phase derjenigen der Wachphase schon sehr ähnlich ist, ist es leichter, sich beim Erwachen an den Traum zu erinnern. 16 Soweit zum biologischen Aspekt. Weshalb wir träumen, welche Funktion der Traum hat, ist immer noch Gegenstand vieler Untersuchungen. Freuds Theorie birgt wichtige Erklärungen, ich möchte jetzt zum Abschluss auf CGJung eingehen. Freud hat vor allem mit neurotischen Patienten gearbeitet, und man muss seine Befunde auch in Zusammenhang mit den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen sehen. Jung war lange im Burghölzli tätig und arbeitete mit psychotischen Patienten. Er war also mit ganz anderem klinischen Material konfrontiert. Der berühmte archetypische Traum vom Sonnenpenis eines seiner Patienten hat ihn zur Entdeckung des kollektiven Unbewussten geführt. Das kollektive Unbewusste ist allen Menschen gemeinsam und birgt vererbte Engramme aus allen Phasen der Stammesgeschichte in sich. Es steht für eine tiefe archetypische Schicht, eine Art von Mutterboden, die allem zugrunde liegt. Es repräsentiert einen uns allen gemeinsamen Fundus, einen Schatz und eine Ressource. Man kann sich das wie eine psychische Grundstruktur vorstellen, ein Raster von möglichem psychischem Erleben. Archetypische Bilder, wie sie im Traum auftauchen können, sind jeweils individuell und je nach Kultur anders gestaltet. Das Ich-Bewusstsein ist wie eine Insel, das aus dem koll. UBW herausragt und darin verwurzelt ist, dazwischen steht das persönliche Unbewusste mit allen Schattenseiten. (Abb.) Der Traum stellt bei Jung eine Mischung aus bewussten und unbewussten Inhalten dar. Eine Hauptfunktion des Traumes ist die kompensatorische Funktion. Wenn wir in irgendeiner Sache auf sehr einseitige Weise im BW feststecken, kann der Traum eine andere Dimension eröffnen. Es scheint, dass der Traum ein Regulator ist im psychischen Geschehen: die Psyche bleibt so eher im Gleichgewicht. Der Traum kann dem bewussten Standpunkt einen neuen, weiteren Aspekt zufügen, wenn das BW bereit ist, diese Erweiterung anzunehmen und zu integrieren, wird es wachsen. Wir können fragen, weshalb wir etwas träumen. Die Sinnfrage ist immer wichtig. Der Traum kann kausal sein (weshalb, verbunden mit Vergangenem), oder er kann final sein (wozu, mit der Zukunft verbunden). Viele Male zeigt ein Traum einfach eine Situation klar auf. Ich möchte hier ein kurzes, einfaches Beispiel aus meiner täglichen Praxis anfügen, selbstverständlich mit der Einwilligung des Träumers. Es handelt sich um einen 73jährigen Mann, der sich vermehrt mit dem Alter und dem Tod auseinandersetzt und viele Ängste davor hat. Er träumt, er findet in seiner Tasche ein altes SBB-Billet, so wie man es früher hatte, aus Karton und schon verschiedentlich gelocht. Es ist aber durchaus noch gültig und man kann noch einige Reisen damit unternehmen. Der Träumer hat die 17 Botschaft sofort verstanden: ich bin zwar aus einer anderen Zeit und etwas verbraucht, aber ich habe noch etwas vor mir. Er war sehr bewegt von diesem Traumbild, eröffnet es ihm doch eine Perspektive. Beim Traum geht es darum, zuerst einmal wahrzunehmen, was er gefühlsmässig mit einem macht und was anklingt. In der jungschen Theorie unterscheiden wir die objektstufige Deutung und die subjektstufige Deutung. Lassen Sie mich das kurz erklären: auf der Objektstufe nehme ich die im Traum vorkommenden Figuren als real, also wenn ich beispielsweise von meiner Mutter träume, die erkrankt ist, beziehe ich das auf das reale objektive Aussenleben und befürchte vielleicht, dass sie wirklich erkranken wird. Das wäre eine recht verbreitete Art, Träume prophetisch aufzufassen. In Wirklichkeit treten prophetische Träume eher selten auf. Subjektstufig würde die erkrankte Mutter etwas Innerseelisches bedeuten, die eigene verinnerlichte Mutter, und könnte etwa bedeuten, dass ich mir selber zuwenig mütterlich schaue, weil da etwas erkrankt ist. Auf der Subjektstufe nehme ich alle auftretenden Orte, Landschaften und Figuren als Teile meiner eigenen Persönlichkeit wahr, die können bewusst und unbewusst sein. Ein Traummotiv könnte beispielsweise auch sein, dass ich ein Kind erwarte. Dies kann bei einer jungen Frau durchaus bedeuten, dass dieses Ereignis real eintreffen wird, es kann aber auch bedeuten, dass ein inneres Kind wichtig werden wird, ein geistiges, das könnte ein Projekt sein, um das ich mich werde kümmern müssen. Ein weiteres Beispiel: wenn ich von einem schlimmen Erdbeben träume, kann das wirklich ein äusseres drohendes Ereignis ankündigen, etwa eine Kündigung, oder das Ende einer Beziehung, andererseits wird das auch eine innere Entsprechung haben, und vermeintlich feststehende innere Werte können massiv erschüttert werden, und die Person der Träumerin oder des Träumers in eine tiefe Krise geraten. In meiner psychotherapeutischen Praxis stelle ich oft fest, dass sich Subjekt- und Objektstufe nicht ausschliessen, sondern ergänzen, und eine Deutung auf beiden Ebenen möglich ist. Jung: „Die ganze Traumschöpfung ist im Wesentlichen subjektiv, und der Traum ist jenes Theater, wo der Träumer Szene, Spieler, Souffleur, Regisseur, Autor, Publikum und Kritiker ist. Diese einfache Wahrheit ist die Grundlage jener Auffassung des Traumsinnes, die ich als Deutung auf der Subjektstufe bezeichnet habe. Diese Deutung fasst, wie der Terminus sagt, alle Figuren des Traumes als personifizierte Züge der Persönlichkeit des Träumers auf.“ (GW8) Im jungschen Denken ist der Kontext ganz wichtig, die Kenntnis der Lebensgeschichte und der aktuellen Umstände. Die im Traum auftretenden Inhalte werden nicht als als Bilderrätsel aufgefasst, aber es braucht ein gutes Symbolverständnis. Der Traum birgt in sich eine ins Bewusstsein drängende Energie, und die Symbole beinhalten neben einem bewussten einen noch unbekannten, geheimnisvollen Anteil, der erforscht werden möchte. 18 Zum Abschluss möchte ich noch etwas persönliches anmerken. Früher dachte man, durch eine treffende Traumdeutung könne man das Störende, „Böse“ entdecken und damit unschädlich machen, eine heilende Katharsis würde stattfinden. Das mag manchmal auch so sein. Im Alltag der Praxis wissen wir aber, dass es viel mehr auf Begleitung, achtsam Wahrnehmen, Einordnen ankommt. Meistens ist es weniger so, dass wir einen Traum mit einer treffenden Deutung erfassen und quasi aufspiessen können, sondern wir versuchen hineinzugehen, darüber zu fantasieren und imaginieren. So oder so: Dem Traum bleibt in der jungschen Analyse ein ganz wichtiger Stellenwert! lic.phil. Katharina Casanova Psychotherapeutin FSP Mitglied SGAP, AGAP, IAAP Dozentin und Lehranalytikerin von ISAP Zürich Kronenstrasse 42 8006 Zürich 19