Tal der Tränen

Transcrição

Tal der Tränen
Tracht sorgt
für Zündstoff
Deutschlands
Mann in Prag
Kultur: Seite 4
Im Gespräch: Seite 6
ZEITUNG DER DEUTSCHEN IN DER TSCHECHISCHEN REPUBLIK
Prag, 15. Mai 2012 | Nr. 10 Jahrgang 18 | 11,00 Kč (im Abonnement 10,50 Kč)
www.landeszeitung.cz
Tal der Tränen
Editorial
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Landeszeitung,
Mehrere Studien belegen:
In der tschechischen Gesellscha herrschen Skepsis
und Pessimismus.
Die Vorfreude auf einen erlebnisreichen Freitagabend in der Prager
Altstadt steht den jungen deutschen
Touristen schon ins Gesicht geschrieben, als sie im Prager Stadtteil
ALEXANDRA
Holešovice in die Tram Nummer Drei,
MOSTÝN
Richtung Wenzelsplatz einsteigen.
Unter einigem Gejohle stempeln sie ihre Fahrkarten
ab, manche kichern, andere kommentieren laut einige der Prager Sehenswürdigkeiten, die sich auf dem
Weg in die Stadt auftun. Bald erfüllt die gute Laune der
jungen Truppe den hinteren Straßenbahnwaggon der
Nummer Drei – genauso wie ihre Gespräche.
„Ticho“, ertönt es auf einmal inmitten des Wagens.
Eine ältere Frau mit dunkelrot gefärbtem Kurzhaarschnitt schaut grimmig auf die jungen Touristen und
schüttelt den Kopf. Sicherheitshalber unterstreicht
sie ihre Körpersprache noch mit einem kräftigen
„Ruhe“, bevor sie sich auf der Suche nach Anteilnahme ihrem Sitznachbarn zuwendet: „Ježišmaria“,
sagt sie und schüttelt verärgert den Kopf.
„Wir Tschechen lachen zu wenig“, weiß Petr
Fridrich, der sich beruflich mit der Erforschung
des Lachens beschäftigt. „Und dabei ist gerade das
Lachen einer der wichtigen Faktoren des Glücksgefühls“, sagt Fridrich.
Das scheint nicht nur in öffentlichen Verkehrsmitteln außen vor gelassen zu werden. Wie eine
Umfrage der Meinungsforschungsagentur TNS AISA
bestätigt, betrachtet sich die Mehrheit der Tschechen
in diesem Jahr hat die deutsche Minderheit in der Tschechischen Republik wahrlich Grund zu feiern. Nicht nur, dass wir 2012
das 20. Jubiläum der Unterzeichnung des deutschtschecho-slowakischen Nachbarschaftsvertrags und 15
Jahre seit der Deutsch-Tschechischen Erklärung begehen. Wir in der Landesversammlung freuen uns auch
über einen weiteren Abschnitt im Leben der Landeszeitung: sie wird in diesem Jahr volljährig.
Weiter geht´s im Forum, Seite 1
Teures Epos
Laster statt Lachen: viele Tschechen sind mit ihrem Leben unzufrieden.
liegen sie mit 32 Punkten weit hinter dem GlücksDurchschnitt von 60 und damit hinter den meisten
europäischen Ländern.
Weg ohne Ziel
Bleibt die Frage, woher so viel Unglück und Skepsis stammen. Der Lebensstandard in Tschechien hat
sich in den vergangenen 20 Jahren enorm verbessert.
Das jährliche Durchschnittsgehalt von 11 788 Euro ist
das höchste in Mittelosteuropa, die Gefahr, unter die
Armutsgrenze zu fallen, hingegen am niedrigsten.
Das behauptet zumindest das deutsche Bundesamt
für Statistik in Wiesbaden, das die Anzahl der armen
Europäer mit 16,3 Prozent beziffert. In Tschechien
hingegen sind es nur 8,6 Prozent.
Der tschechischen Gesellschaft fehlen Sinn und Richtung. Es
mangelt ihr an Visionen, Sicherheit und positiven Beispielen.
– 55 Prozent – als nicht glücklich. „Tschechen sind
Skeptiker und haben eine eher negative Lebenseinstellung“, erklärt der Leiter der TNS AISA-Studie Pavel Vaněček.
Auch im internationalen Vergleich bleiben die
Tschechen dem Glück fern. Auf dem GlücklichkeitsIndex der Gesellschaft WIN-Gallup International
MARTIN
DZINGEL
Objektiv gesehen, gibt es kaum einen Grund, durch
die schwarze Brille aufs Leben zu schauen. In Tschechien herrschen weder Krieg noch Hungersnot,
dafür aber Freiheit und sämtliche Annehmlichkeiten der modernen Welt. „Auf jeden Fall geht es den
Tschechen besser als noch vor 20 Jahren“, meint
der Soziologe Jaroslav Huka. Nur schwärmten noch
Foto: Vladislav Galgonek/čtk
heute viele von der Zeit, als das Bier noch keine
zwei Kronen kostete. „Dabei zieht aber niemand in
Betracht, dass man damals ein Zehntel des heutigen
Durchschnittsgehalts verdiente“, sagt Huka.
Die Gesellschaftsforscher sind sich einig, dass der
tschechische Pessimismus nicht auf einer mangelhaften Erfüllung von Grundbedürfnissen basiert.
Sondern eher auf einem Gefühl des Verlorenseins.
Der tschechischen Gesellschaft fehlen Sinn und
Richtung. Es mangelt ihr an Visionen, Sicherheit und
positiven Beispielen. „Blöde Laune“ nannte Václav
Havel das Symptom dieser gesellschaftlichen Mangelerscheinungen. Und die nimmt immer weiter zu.
Das manifestiert sich nicht nur in sozialen Spannungen, wie sie in letzter Zeit immer mehr an die
Oberfläche kommen. Einer internationalen Studie
der Agentur Bloomberg zufolge, sind die Tschechen
Champions der Laster. Keines der über 60 Länder
der Studie übertrifft Tschechien, wenn es um den
Konsum von Alkohol, Nikotin und illegalen Drogen
geht. Vielleicht müssen die Tschechen sich die Realität erst etwas versüßen, um sich glücklich zu fühlen.
Zumindest deutet das eine weitere Umfrage der Prager Meinungsforschungsagentur SC&C an. Der zufolge leben die glücklichsten Bewohner Tschechiens in
den Weinanbaugebieten des Landes.
Sudetendeutsche Spende unerwünscht
Kurz vor dem 70. Jahrestag der Zerstörung des mittelböhmischen Dorfes Lidice sorgt eine Geste des guten Willens für einen Eklat. Grund der Empörung ist
eine bescheidene Geldspende von 8000 Kronen (350
Euro), mit der das Prager Kontaktbüro der „Sudetendeutschen Landsmannschaft“ (SL) zum multimedialen
Gedenken an die Auslöschung des Dorfes und seiner
Bewohner beitragen wollte. „Als wir das herausfanden,
waren wir entsetzt. Es geht zwar nur um eine symbolische Summe, aber wir wollen nicht, dass sich diese Organisation an diesem Projekt beteiligt“, sagt der stellvertretende Bürgermeister von Lidice, Tomáš Skála.
Mit dem Projekt „Rozeznění“ („Ertönen“) soll an den
Nazi-Terror erinnert werden, der in der Nacht vom 9.
auf den 10. Juni 1942 das Dorf Lidice dem Erdboden
gleichmachte und seine Bewohner tötete oder in die
Konzentrationslager verschleppte. Mit verschiedenen
Techniken will das Projekt Rozeznění an der Stelle des
ursprünglichen Lidice das Dorfleben vor der Katastrophe nachzeichnen. Seine symbolische Spende für die-
ses Projekt hatte das Prager SL-Büro schon im Februar
dieses Jahres geleistet. „Wir wären schon damals aufgestanden und gegangen, hätten wir gewusst, dass das
Sudetendeutsche Büro zu den Unterstützern zählt. Wir
sind dagegen, dass das Projekt mit dieser Unterstützung
weiterläuft“, schimpft Pavel Horešovský, der als jüngstes der Kinder von Lidice das Massaker überlebte.
Viel Lärm um nichts
Bis heute werfen die Bewohner des Dorfes, das schon
während des Zweiten Weltkriegs zum internationalen
Symbol grausamster Nazi-Willkür wurde, den Sudetendeutschen vor, bei der Zerstörung des Dorfes an
vorderster Front mitgemacht zu haben. „Die Sudetendeutschen waren damals die ersten im Dorf, die den
Einwohnern die Befehle überbrachten. Diese Erfahrung bringt uns dazu, eine Zusammenarbeit in dieser Sache auszuschließen“, sagt der Vorsitzende der
Bürgervereinigung Lidice, Antonín Nešpor, selbst ein
Nachkomme überlebender Opfer.
Das Sudetendeutsche Büro will sich in dieser Sache
nicht weiter äußern. Sein Leiter Petr Barton erklärte
aber der Tageszeitung MF Dnes sein Unverständnis.
„Der deutsche Nazismus ist für schreckliches Leid
verantwortlich. Deshalb betrachte ich es als eine
Selbstverständlichkeit, diese Initiative zu unterstützen“, sagte Barton.
Vilém Faltýnek, dessen Firma Sonosféra das Gedenkprojekt in Lidice organisiert, versteht die ganze Aufregung nicht. Die Sudetendeutschen hätten
schließlich schon öfters an Gedenkveranstaltungen
teilgenommen. „Zuletzt zusammen mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer und
SL-Sprecher Bernd Posselt“, sagt Faltýnek und verweist darauf, dass sie damals von der Bürgermeisterin, dem Leiter der Gedenkstätte und Nazi-Opfer
Pavel Horešovský empfangen wurden. Zu mehr gegenseitigem Verständnis hat jetzt der Prager Priester
Tomáš Halík aufgerufen: „Der Druck auf Rückgabe
der Spende schiebt das Gedenken der Tragödie von
Lidice zurück in die Zeiten der kommunistischen
Propaganda, die dieses Ereignis für eine antideutsche
Hetzjagd missbrauchte und sudetendeutsche Orga(amo)
nisationen pauschal dämonisierte.“
Für die einen grausamer Kitsch,
für die anderen ein Leinwandgewordenes Heldenepos. In jedem
Fall aber ein begehrtes Streitobjekt: die Slawische Epopöe von
Alfons Mucha. Nach jahrelangem,
RICO
oft emotional aufgeladenem TauSCHELLER
ziehen hat der Zyklus der 20 Bilder
des Jugendstilmeisters eine angemessene Heimat
gefunden. Zumindest vorläufig wird es im Museum
der Modernen Kunst im Prager Veletržní palác zu
sehen sein. Jahrelang hatten sich die ursprüngliche Heimat der Epopöe, das Städtchen Moravský
Krumlov (Mährisch Krummau), und Prag um das
monumentale Mucha-Werk gestritten. Der Meister
selbst hatte es zwar Prag vermacht, aber unter der
Bedingung, die Hauptstadt würde einen geeigneten, sprich nicht weniger monumentalen, Bestimmungsort für den Bilderzyklus bereitstellen.
Noch sind zwar nicht alle Gerichtsverfahren um
das Epos entschieden. Schon droht die nächste
Kontroverse. Die Galerie der Hauptstadt Prag, die
die Bilder während ihres Aufenthalts an der Moldau unter ihre Fittiche genommen hat, hat das geplante Budget der Ausstellung, 15 Millionen Kronen
(600 000 Euro) nämlich gehörig überschritten. Die
Kosten belaufen sich inzwischen auf 36 Millionen
Kronen (1,4 Millionen Euro).
Um dem Werk, das zwischen 1912 und 1928 entstanden ist und Szenen aus der Geschichte der
Tschechen und der Slawen allgemein verherrlicht,
gerecht zu werden, musste das Museum extra eine
neue Beleuchtung und spezielle Heizkörper anschaffen. Ob sich die Investition gelohnt hat, wird
sich in den kommenden 18 Monaten zeigen, in denen die Epopöe in Prag weilen soll. Was danach mit
ihr geschieht, ist im Augenblick noch offen
Wem das Slawenepos zu kitschig ist, um 180 Kronen (rund 7 Euro) Eintritt für seine Begutachtung zu
berappen, dem sei eine andere Epopöe empfohlen.
LZ-Illustrator und akademischer Maler Jiří Bernard
hat eine Bier-Epopöe geschaffen, die im Restaurant
„U tři růžy“ („Zu den drei Rosen“) in der HusováGasse in der Prager Altstadt zu bewundern ist.
Im Bild
Prozessionen und Wallfahrten sieht man in der
tschechischen Hauptstadt so gut wie gar nicht.
Was es mit dieser Marienprozession auf sich hat,
erfahren Sie auf Seite 3.
Die
wurde 1994 gegründet und erscheint vierzehntägig. Sie wird herausgegeben von der Landesversammlung
der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien und versteht sich als Medium des deutsch-tschechischen Dialogs.
LandesZeitung | MEINUNG UND DISKUSSION
Seite 2
Übrigens...
...sitzen wir auf einer ethnischen Zeitbombe.
Ende April wurde ein Mann im mährisch-schlesischen 1100-Seelen-Ort Chotěbuz (Kotzobenz)
auf offener Strasse am helllichten Tag mit Pfeil
und Bogen in den Kopf geschossen. Im Krankenhaus erlag er seinen Verletzungen. Das Opfer: ein
Roma. Sein Mörder: Besitzer eines verfallenen
Hauses, der glaubte, die „Zigeuner“ wollten dort
auf Diebestour gehen. Augenzeugen berichten
aber, das Opfer habe sich nicht auf dem Grundstück seines Mörders befunden.
Nun unterscheidet das Gesetz nicht zwischen
schwarz und weiß. Deshalb ist der Todesschütze
inzwischen der schweren Körperverletzung mit
Todesfolge angeklagt. Dagegen wehrt sich nun
eine Petition, die bislang jeder zehnte Einwohner
des Dorfes unterschrieben hat. Die Tat, so fordert
die Petition, soll in Notwehr umgewandelt werden. Denn, so das Argument, im Dorf, das tagsüber recht verlassen ist, seien Roma schon zu oft
in Häuser eingebrochen.
Ohne das Roma-Problem schön reden zu wollen - ich persönlich, kenne niemanden, der noch
nie von einem Roma beklaut wurde - ist diese
Petition eine wirklich widerliche Angelegenheit, die nach Kollektivschuld-Denken stinkt.
Und erneut das hässliche Verhältnis zwischen
„weißen“ Tschechen und Roma reflektiert. Und
das ist auf beiden Seiten angespannt, die Geschichten rassistischer Übergriffe auf und von
Roma mehren sich. Hier ist - leider, möchte
man als liberal denkender Mensch sagen - der
Staat gefragt. Denn der tut nichts, um die Roma
in die Mehrheitsgesellschaft einzugliedern.
Er kann bei den Kindern anfangen. Wer
zusammen im Sandkasten spielt, haut sich
später nicht die Köpfe ein. Oder schießt Pfeile
durch sie.
(amo)
Rot, orange, blau
„Im Falle der Kirchenrestitution geht es
um die Frage, ob in Tschechien Recht oder
Willkür herrscht“.
Außenminister Karl Schwarzenberg wundert sich .
NOTIZEN EINES
ZUGEWANDERTEN BÖHMEN
Tschechien sollte die Entwicklungen
in Frankreich genau beobachten.
Angela Merkel kann bei aller politischer Erfahrung mitunter erstaunlich ungeschickt sein. Einst suchte sie
den Wahlkampf von Barack Obama
zu behindern, jetzt stellte sie sich im
HANS-JÖRG
französischen Wahlkampf an die SeiSCHMIDT
te ihres Spannemanns Nicolas Sarkozy. Geholfen hat es nichts: Obama zog ebenso
ins Weiße Haus ein, wie Sarkozy abgewählt wurde.
Der neue Präsident im Élysée-Palast heißt François
Hollande.
Obama hat seinerzeit den Affront Merkels, ihn bei
seinem Berlin-Besuch als Präsidentschaftskandidat nicht zu empfangen, rasch überspielt. Man wird
Was danach kam, war schon weniger wundersam. In
der postsowjetischen Welt wurde die Ukraine zuerst
zu einem noch chaotischeren, noch korrupteren und
noch ärmeren Gegenstück zu Jelzins Russland. Ich
erinnere mich an ein Interview mit dem damaligen
Präsidenten Leonid Kučma in seinem vergoldeten
Arbeitszimmer, irgendwann um die Jahrtausendwende. Dabei kam ich aus dem Staunen darüber,
dass jemand eine Stunde lang reden kann, ohne
etwas zu sagen, nicht mehr heraus. Seitdem habe
ich sämtliche ukrainische Potentaten kennenlernen
auch das Wunder der Orangenen Revolution 2005
miterleben dürfen. Die rief mir auch wieder das
NACHGEFRAGT
Soll die Mariensäule wieder auf dem
Altstädter Ring in Prag stehen?
Jahr 1990 in Erinnerung, als ich keinen Unterschied
zwischen der Ukraine und unserem Land feststellen
konnte. Als mir die Ukraine durch und durch europäisch vorkam und ich mir nicht vorstellen konnte,
dass sie nicht Teil des gleichen Europas sei wie Prag,
Berlin, Paris oder Bratislava.
Aber dann, wie es nach Revolutionen so oft passiert, ging alles den Bach runter. Die Ukraine war
zwar immer noch demokratischer, freiheitlicher und
weitaus europäischer als Putins Russland. Dass es
jedoch schlimmer kommen könnte, merkte ich auf
der Zielgeraden der ukrainischen Präsidentschaftswahlen, in denen Viktor Janokowitsch und Julia
Timoschenko sich gegenüberstanden. Timoschenko beging das Wahlfinale umgeben von Popen und
Gebeten vor der Kathedrale der heiligen Sofia in
Kiew. So, dachte ich damals, muss die Versammlung
der Hussiten um Prokop Holý vor der Schlacht bei
Lipany ausgesehen haben. Bei Janukowitschs Meeting hingegen, übrigens völlig auf Russisch gehalten,
herrschte die gleiche mafia-kommunistische, brutale Atmosphäre, die auch das Gold verzierte Hotel
umgab, in dem er seinen Stab untergebracht hatte.
Der Rest ist bekannt. Die Inhaftierung Timoschenkos und ihrer halben Regierung für Verbrechen, die
im postkommunistischen Teil Europas als „lächerlich“ gelten, die Bemühungen der Europäischen
Union, Timoschenko zu helfen, das deutsche Angebot, die ehemalige Ministerpräsidentin medizinisch
zu versorgen, deren Hungerstreik, sowie die Drohung
europäischer Spitzenpolitiker, den ukrainischen
Foto: Sergej Chusakow/čtk/AP
Teil der anstehenden Fußball-Europameisterschaft
zu boykottieren.
Boykott der europäischen Ukraine
Wie im Frühjahr 1990 und während der Orangenen
Revolution von 2005 bin ich auch heute überzeugt,
dass die Ukraine ihren Weg nach Europa über alle
Hindernisse, die auf ihm lauern, hinweg finden wird.
Die Fußball-EM, eines der höchsten sportlichen Feste überhaupt, bedeutet für die Ukraine den Beitritt
ins weitere europäische Bewusstsein. Einerseits weiß
ich, wie nötig es ist, Timoschenko und andere politische Gefangene zu befreien. Anderseits ist mir klar,
wie wichtig die EM ist, für die Ukraine wie auch die
Ukrainer und ihre europäische Zukunft. Deshalb halte ich den politischen Boykott der EM, angeführt von
der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und
dem Bundespräsidenten Joachim Gauck, für falsch.
Denn es ist keineswegs ein Boykott des Präsidenten Janukowitsch und seiner Regierung. Sondern ein
Boykott der gesamten Ukraine. Der Ukraine, die bereit
ist, Janukowitsch und seiner „Partei der Regionen“ in
den Wahlen im kommenden Oktober den Rücken zu
kehren. Gerade aus diesem Grund sollten sämtliche
europäischen Politiker in die Ukraine fahren und dort
laut aussprechen, was sie von Janukowitsch und seinen Leuten halten. Und die europäischen Fußballfans
sollten Transparente in ihre Koffer packen, auf denen sie Freiheit für Timoschenko fordern. Auf jeden
Fall aber sollten sie in die Ukraine fahren. Denn die
europäische Ukraine braucht uns alle. Und wir Europäer brauchen die Ukraine, ohne die unser Kontinent
nur noch ein Rumpf wäre.
Der Autor ist Redakteur
der Tageszeitung „Lidové noviny“.
Was Paris von Prag und Prag von Paris lernen kann
Die Kanzlerin kann sich nicht wirklich über die
Wahl der Franzosen freuen. Denn das war nicht nur
eine Wahl über innenpolitische Themen, sondern vor
allem auch eine Art roter Karte für die von Sarkozy
unterstützte deutsche Sparpolitik, die darauf angelegt
ist, die Schuldenkrise einzudämmen und die Problemstaaten der EU vor dem finanziellen Aus zu bewahren. Beifall fand Hollande bei seinen Landsleuten
für die Forderung nach Konjunkturprogrammen, die
den Sparkurs ergänzen müssten. Wachstumsanreize
sind zwar in der Tat willkommen und werden auch
von Merkel nicht gänzlich ausgeschlossen. Sie müssen
aber auch von irgendjemandem finanziert werden.
Außer den Deutschen ist aber in Europa mittlerweile
niemand mehr da, der etwas finanzieren kann. Und
Merkel weiß, dass sie ihren eigenen Landsleuten auch
nicht immer wieder die Ausgabe neuer Milliarden für
andere schmackhaft machen kann. Abgesehen davon,
Petr Nečas hat zwar den Brüsseler Fiskalpakt nicht unterzeichnet,
aber er hält sich im Grunde daran – als „Schatten-Unterzeichner“.
abwarten müssen, wie nachtragend Hollande ist.
Ewig schmollen kann er mit der deutschen Bundeskanzlerin nicht. Dazu ist die Achse zwischen Paris
und Berlin für Europa zu wichtig. Leicht wird der
Anfang im Umgang der beiden Spitzenpolitiker jedoch nicht werden. Das liegt freilich nur bedingt an
der diplomatischen Ungeschicklichkeit der Kanzlerin und sehr viel mehr an den unterschiedlichen
Grundüberzeugungen von Merkel und Hollande.
Ein politischer Boykott der EM schadet nur den Menschen in der Ukraine.
Ich bin überzeugt, dass die Ukraine ihren Weg nach Europa über
alle Hindernisse, die auf ihm lauern, hinweg, finden wird.
Was ich an den darauf folgenden Tagen erlebte,
war ähnlich aufregend. Vor allem die Diskussionen
mit ukrainischen Dissidenten, beobachtetet vom
damals noch allgegenwärtigen KGB, über unsere
Samtrevolution.
Panoptikum
Auf in die Ukraine!
BLICK ÜBER DIE GRENZEN
Es war der Frühling 1990. Ich arbeitete als Lehrer einer Grundschule in
einem Prager Plattenbauviertel und
hatte gerade Frühjahrsferien. Der
Winter war sehr warm gewesen und
LUBOŠ
hatte meine Pläne zerstört, die FePALATA
rien auf meinen Skiern im Riesengebirge zu verbringen. So erinnerte ich mich an eine
hübsche junge Ukrainerin, die ich ein paar Monate
zuvor in Prag kennengelernt hatte. Wir hatten unsere Adressen ausgetauscht, bevor sie mich auf dem
Prager Hauptbahnhof mit einem Küsschen und einer
Einladung, sie zu besuchen, verabschiedete. Dank
des Mangels an Schnee saß ich also bald im Zug
gen Osten. Und so war ich auf dem Weg ins westukrainische Lwow, eine Stadt, die ich schon einmal besucht hatte und deren verwitternde Schönheit mir im
Gedächtnis geblieben war. Meiner ganz persönlichen
ukrainischen Schönen hatte ich im Voraus nichts über
meinen Besuch gesagt, ich wollte sie überraschen.
Das Haus, in dem sie lebte, ein altes Bürgerhaus, das
seine österreichisch-ungarische Vergangenheit nicht
verleugnete, fand ich relativ schnell und problemlos.
Mit einem Blumenstrauß in der Hand klingelte ich an
Wohnung Nummer 11. Aber zum falschen Zeitpunkt.
Meine Schöne aus Prag öffnete die Tür – gekleidet
ganz in Weiß. Nur eine Stunde zuvor hatte sie ihr
Ja-Wort einem schnauzbärtigen Ukrainer gegeben,
der etwas verständnislos hinter ihr stand und mich
angrinste. Bis heute weiß ich nicht, was sie ihm damals gesagt hat, aber innerhalb weniger Minuten
feierte ich inmitten der Hochzeitsgesellschaft.
15. Mai 2012
dass die große deutsche Leistungsfähigkeit auch nicht
grenzenlos ist.
Die deutsch-französische Achse zwischen Merkel
und Sarkozy hat bei vielen in Europa den Eindruck
erweckt, als ratterten beide Motoren im Gleichklang.
Doch seit längerem schon läuft nur noch der Berliner Motor, der Pariser stottert. Folgt man den Plänen des neuen Präsidenten aus dem Wahlkampf,
dann könnte das nur noch schlimmer werden. Die
Ankündigungen Hollandes erinnern an die eines
Wohlfahrtspräsidenten. Er will unter anderem die
Erhöhung des Renteneintrittsalters von 62 wieder
auf 60 zurückdrehen. Sein Versprechen von Neueinstellungen werden zudem den eh schon aufgeblähten
und teuren öffentlichen Dienst noch mehr aufblasen.
Frankreich geht damit genau in die falsche Richtung.
Seifenblase Wohlfahrtsstaat
Doch Frankreich ist nicht Griechenland. Wenn Athen
am Abgrund wandelt und nach den Parlamentswahlen, die zeitgleich mit der zweiten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen stattfanden, dort schon
bald hineinfällt, dann wird Europa das womöglich
noch überleben, wenn auch mit Schrammen. Frankreich ist ein völlig anderes Kaliber. Schon mit der Sanierung der schwächelnden Spanier und Italiener wäre
Europa überfordert; Frankreich lässt sich nicht retten.
Tschechiens politische Parteien sehen aufmerksam
auf das, was sich da in Paris tut. Die tschechischen
Sozialdemokraten, mit den wachsenden Protesten
der Bevölkerung im Rücken, verspüren Aufwind
durch den Sieg des Sozialisten Hollande für ihre eigenen Pläne, die Reformen in Prag zu beenden und
zurückzufahren, auch wenn sie in Wahrheit kein
Geld haben, um den Tschechen neue Wohltaten zu
spendieren. Das bürgerliche Lager wiederum kann
es nicht gut finden, wenn Frankreich aus der Sparpolitik aussteigen würde. Petr Nečas hat zwar den
Brüsseler Fiskalpakt zur Eindämmung der Schulden
nicht unterzeichnet, aber er hält sich im Grunde daran – als „Schatten-Unterzeichner“ – sehr zur Freude
von Angela Merkel. Von dieser Einstellung des tschechischen Premiers könnte Hollande etwas lernen.
Und die tschechischen Sozialdemokraten sollten
genau beobachten, was in Frankreich wirklich geht
und was nur schöne Worte aus Hollandes Wahlkampf bleiben werden. Das dürfte auch hochinteressant für die Tschechen werden, die glauben,
der Staat müsse wieder zur Melkkuh werden, weil
sie zu mehr eigenen Anstrengungen und zu mehr
Eigenverantwortung nicht bereit sind. Es wird sich
in Frankreich sehr rasch zeigen, dass hochfliegende
soziale Träume in Krisenzeiten schnell wie Seifenblasen zerplatzen. Vielleicht lernen die Tschechen
ja etwas daraus mit Blick auf ihre eigenen Wahlen,
die angesichts der auf ziemlich tönernen Füßen
stehenden Regierung nicht unbedingt erst in zwei
Jahren stattfinden müssen.
Der Autor ist Prag-Korrespondent der deutschen
Tageszeitung „Die Welt“.
Bohuslav Svoboda, Prager Oberbürgermeister:
Richard Hašek, Enkel von Jaroslav Hašek:
„Ich betrachte die Erneuerung der Mariensäule als einen richtigen
Schritt. Nicht nur weil sie 268 Jahre als bestimmter geistlicher Mittelpunkt Mitteleuropas galt. Sondern auch die Komposition der Denkmäler auf dem Altstädter Ring verbessern würde.“
„Ich halte das für überflüssig. Die Stadt sollte sich lieber
um den Erhalt ihrer bestehenden Denkmäler kümmern,
als um die Erneuerung derer, die heute niemandem mehr
etwas sagen.“
15. Mai 2012
LandesZeitung | THEMA
Seite 3
Maria vor der Auferstehung
Als Symbol der Habsburger
Macht wurde die Mariensäule
auf dem Altstädter Ring kurz
nach der Gründung der Tschechoslowakei zerstört. Jetzt
ist eine Erneuerung der
barocken Säule geplant.
Immer, wenn Eugen Kukla über den
Altstädter Ring in Prag läuft, fehlt
ihm etwas. „Meine ganze Kindheit
über habe ich auf ein großes Gemälde des Platzes geschaut, das im
ALEXANDRA
Wohnzimmer meines Elternhauses
MOSTÝN
hing“, erzählt Kukla, der in der Prager Altstadt aufgewachsen ist und auch heute noch
dort lebt. „Und wenn ich dann mit meinem Vater auf
dem Altstädter Ring war, kam er mir immer so leer
vor“, erzählt er.
Mit seiner Mischung aus Romanik, Gotik und Barock gehört der Altstädter Ring zu einem der schönsten und ältesten Plätze Mitteleuropas. Doch hat er
in diesem Jahrhundert sein Aussehen drastischer
geändert als irgendein anderer Ort in der Prager
Altstadt. Das mächtige Altstädter Rathaus fiel den
Kämpfen des Prager Aufstandes im Mai 1945 zum
Opfer, ein weiteres Wahrzeichen des Platzes wurde
nur fünf Tage nach Gründung der Ersten Tschechoslowakischen Republik von einem aufgebrachten
Mob zerstört: Die Prager Mariensäule.
nische Familie Miseroni, die zur Zeit Rudolfs II., also
im 16. Jahrhundert, der kulturellen und künstlerischen Anziehungskraft des damaligen Prags erlegen
war und sich am Altstädter Ring angesiedelt hatte,
für die Säule zur Verfügung gestellt. Gläubige Katholiken kamen von überall her, um an diesem Bildnis
zu beten.
Doch während der Zeit der tschechischen Nationalen Wiedergeburt wurde die Säule fälschlicherweise
immer mehr zu einem Symbol der Unterdrückung
der tschechischen Nation durch die Habsburger. Hochaufragend erinnerte es an die Niederlage
der böhmischen Intelligenz und des Adels bei der
Schlacht am Weißen Berg im Jahre 1620. Die Sieger
störung protestierte, wurde von der Menge harsch
abgewiesen. „Als ein Vertreter der provisorischen
tschechoslowakischen Regierung versuchte, die
Menge im Namen des Volkes dazu zu bewegen, von
der Säule abzulassen, wurde ihm nur entgegnet: Wir
sind das Volk“, erzählt Bradna. Eine Frau soll sich aus
Protest auf den Altstädter Ring geworfen haben, in
der Hoffnung, mit ihrem Körper die Zerstörung der
Säule zu verhindern. Nur knapp entging sie dem fallenden Koloss.
Wenige derer, die die Zerstörung der Säule
planten und in die Tat umsetzten, sind bekannt.
Gemunkelt wird, dass auch der Schriftsteller Jaroslav Hašek unter ihnen war, sicher ist, das Hašeks
Die Mariensäule, deren Schatten sich täglich Punkt
12 Uhr mittags mit dem Prager Meridian traf,
war das Wahrzeichen des Altstädter Rings.
Nach 268 Jahren auf dem Altstädter Ring....
Seit der Samtrevolution mehren sich nun die Stimmen, die eine Rückkehr der knapp 16 Meter hohen
Mariensäule auf den Altstädter Ring fordern. Schon
1994 hat die „Gesellschaft für die Erneuerung der
Mariensäule“ – im Jahre 1990 gegründet – einen
Grundstein für die neue Säule gelegt, der gleichzeitig
auch an das Original erinnern soll. „Hier stand einst
die Prager Mariensäule und hier wird sie wieder
stehen“, lautete der Originaltext der Erinnerungsplakette. Nur, dass der dem damaligen Prager Magistrat so gar nicht gefiel. Die Inschrift ließ er sogar
entfernen.
Platz ohne Wahrzeichen
Inzwischen haben sich auch die Stadtväter Prags
mit der Mutter Gottes versöhnt. Prags derzeitiger
Oberbürgermeister Bohuslav Svoboda hat versprochen, die Maria auf den Platz zurückzubringen. „Mit
der Wiederrichtung der Säule rechnen wir noch in
diesem Jahr“, sagt Svoboda. Die Kosten hierfür beliefen sich auf eine bis zwei Millionen Kronen (40
000-80 000 Euro), meint der Prager OB.
Jahrhundertelang bildete die Mariensäule auf
dem Prager Altstädter Ring das Wahrzeichen dieses
Platzes. Errichtet wurde die barocke, 16 Meter hohe
Sandsteinskulptur im Jahre 1650 von Bildhauer Jiří
Bendl nach dem Vorbild der Wiener Mariensäule. Nach München und Wien war die Prager Säule
die drittälteste Mitteleuropas und das erste barocke
Monument in Böhmen und Mähren. Aus Dankbarkeit wurde sie gebaut für das Ende des Dreißigjährigen Krieges, der in Böhmen wie nirgendwo anders
wütete. Und ganz konkret für die Rettung Prags
vor schwedischen Truppen, die noch kurz vor dem
westfälischen Frieden 1648 das andere Moldauufer,
das heißt den Hradschin und die Kleinseite, besetzt
hielten, bevor sie auf der Karlsbrücke, hauptsächlich
von Jesuitenschülern aus dem Klementinum, in die
Flucht geschlagen werden konnten.
Missverstandene Mutter Gottes
Am Sockel der Mariensäule war ein gotisches Bildnis
der Jungfrau Maria angebracht. Dies hatte die italie-
der Schlacht, katholische Kreuzritter –
unter ihnen auch der Philosoph René
Descartes – dankten der Mutter Gottes
für ihren angeblichen Beistand bei der
Zerschlagung der aufständischen Böhmen. Doch nicht in Prag, sondern in
München: Der Hochaltar der Münchner
Marienkirche ist dem Sieg am Weißen
Berg geweiht.
Vielleicht war den tschechischen Nationalisten der Weg nach München zu
weit. Wahrscheinlicher aber störten sie
sich auch daran, dass die Maria, dieses typische Bildnis des Katholizismus,
hoch auf dem Altstädter Rings aufragte, wird die Mariensäule 1918 gestürzt.
Foto (2x): Archiv
auf dem nach der Schlacht vom WeiFreund, der Prager Anarchist Frantisek „Franßen Berg 27 böhmische, mährische und slowakische
ta“ Sauer, bei der Aktion maßgebend war. Seinen
Adlige für ihre Rebellion gegenüber der Habsburger
Aktionismus soll Franta Sauer am Ende seines LeKrone brutal hingerichtet wurden. Noch heute erinbens bitter bereut haben. Heute ist die Nachbildung
nern 27 weiße Kreuze an die Auslöschung der damader Mariensäule schon so gut wie fertig. Ihr Sockel
ligen böhmischen Elite.
steht im Garten des Krankenhauses „Orden der
Reuiger Anarchist
Barmherzigen Schwestern des heiligen Carolus Borromeus“ unter dem Prager Petřín. Paradoxerweise
Fünf Tage nach der offiziellen Gründung der Tschegenau unter dem Zimmer, in dem Franta Sauer auf
choslowakei, am 3. November 1918, richtete sich des
seinem Sterbebett lag.
Volkes Zorn, besser gesagt das Bedürfnis tschechischer Anarchisten, mit der Vergangenheit abzurechAve Maria – nur wann?
nen, gegen die Mariensäule. Was wie eine spontane
Kundgebung aussehen sollte, aber von langer Hand
Die Marienstatue, die die Säule zieren soll, steht nicht
geplant war, mündete in der Erstürmung und Zerweit von ihrem zukünftigen Bestimmungsort. Vor
störung der Mariensäule mit Hilfe der Feuerwehr.
einem Seiteneingang der Teyn-Kathedrale thront
„Das war kein gutes Vorzeichen für die neu entstansie auf einer hohen blauen Säule. Und schaut auf die
dene Erste Republik“, seufzt Altprager Eugen Kukla,
Touristen, die sich in der direkt angrenzenden Pizzeder sich in der „Gesellschaft für die Erneuerung der
ria etwas vom Prager Sightseeing erholen.
Mariensäule“ engagiert. Sein Kollege Jan Bradna, hat
Verwundert blicken sie auf eine kleine Grupdie Geschichte der Zerstörung genau studiert:
pe von Katholiken, die singend an ihnen und dem
„Am 3. November 1918, es war ein Sonntag, war
Duft frischgebackener Pizza vorbeimarschieren.
eine Kundgebung auf dem Weißen Berg, an der
Die Marienprozession, die traditionell am ersten
Zehntausende teilnahmen. Nach der Kundgebung
Samstag im Mai stattfindet, hat ihr Ziel erreicht.
dirigierten einige Provokateure die Masse geschickt
Geschmückt mit hölzernen Marienstatuen, einem
durch die Kleinseite und über die Karlsbrücke auf
Bild des letzten Habsburger Kaisers Karl I. und den
den Altstädter Ring“, weiß Bradna. Dort, am JanFarben Tschechiens wie des Vatikans drängen sie
Hus-Monument gegenüber der Mariensäule, das drei
sich um die Säule, singen und beten für eine balJahre zuvor errichtet worden war, wartete schon die
dige Rückkehr der Maria auf den Altstädter Ring.
Feuerwehr aus dem Prager Stadtteil Žižkov mit Lei„Maria ist die Botin des Lichts“, sagt Stanislav Louttern, Seilen und Hammern. Damit machte sich die
cha, der extra zur Prozession aus dem südböhmiMasse an der Säule zu schaffen. Beim ersten Versuch
schen Protivin angereist ist. Drei Stunden lang ist
riss das Seil, die Säule blieb unbeschädigt. Aber nach
der Physiker der Maria zuliebe und, bei durcheinigen Versuchen fiel sie dann. Wer gegen die Zerwachsenem Wetter, mit einer Prise Gnade von
Petrus durch Prag marschiert. Vom Strahov Kloster bis auf den Altstädter Ring, zwischendurch
immer wieder unterbrochen von kleinen Messen
in verschiedenen barocken Prager Kirchen links
und rechts der Moldau. Auf ihrem Weg stimmen
sie immer wieder das „Ave Maria“ an. Irgendwann
bekommen sie dabei Verstärkung von einer Gruppe gut gelaunter Tourstinnen, die durch die Gassen
der Prager Altstadt ziehen. „Ave Maria“, singen sie
lachend, ohne zu ahnen, wie ernst es den Prozessionsteilnehmern damit ist.
Viele sind es allerdings nicht. Tschechien ist durch
und durch säkular und gilt im Vatikan als Missionsland. Laut der letzten Volkszählung bekennen sich
nur etwa zehn Prozent der Tschechen zur katholischen Kirche, Priester müssen meist aus Polen oder
der Slowakei „importiert“ werden.
Auch Eugen Kukla hat nicht an der Prozession teilgenommen. „Ich vertrete eher den säkularen Flügel
der ,Gesellschaft zur Erneuerung der Mariensäule‘
und finde sogar, dass eine Verbindung der Mariensäule zur Prozession in diesem Land eher kontraproduktiv wäre“, sagt er. Die Mariensäule ist für ihn
mehr als eine Angelegenheit der katholischen Kirche. Es geht um Prag.
„Momentan ist das Aussehen des Altstädter Rings
eine Tragödie“, erklärt Kukla seine Beweggründe. Mit der Zerstörung der Mariensäule wurde ihm
sein Wahrzeichen genommen, die Mariensäule, deren Schatten sich täglich Punkt 12 Uhr mittags mit
dem Prager Meridian traf, dem Längengrad, der im
Platz in Messing eingelassen ist. „Ich würde mir
wünschen, dass alle Menschen guten Willens – egal
welcher Herkunft oder welchen Glaubens – dem
Altstädter Ring helfen, sein Zentrum wiederzubekommen“, sagt Kukla. Die Initiative des Oberbürgermeisters Svoboda begrüßt er mit typisch tschechischer Skepsis. „Allzu optimistisch bin ich nicht.
Schließlich muss der Vorschlag noch vom Prager
Stadtrat abgesegnet werden. Natürlich würde ich die
Maria am Seiteneingang
Foto (2x): Pavel Hořejší
Erneuerung der Mariensäule gerne noch zu meinen
Lebzeiten sehen“, sagt Endvierziger Kukla. „Aber ich
kann auch damit leben, dass daraus nichts wird“,
meint er und sagt überzeugt: „Wann auch immer,
eines Tages wird die Mariensäule wieder auf dem
Altstädter Ring stehen.“
LandesZeitung | KULTUR
Seite 4
15. Mai 2012
Fantasie-Tracht sorgt für Zündstoff
Für Aufsehen sorgte die halbstündige satirische Dokumentation „Mein kroj“ („Meine Tracht“),
in der der junge tschechische
Filmemacher Martin Dušek in
einer selbstgebastelten Fantasietracht am „Sudetendeutschen
Tag“ teilnimmt, bis er von der
Polizei abgeführt wird. Wie
Dušek seine Verhaung überstanden hat und worum es ihm in
dem Film eigentlich geht, erklärt
er im Gespräch mit der LZ.
LZ: Wie sind denn Ihre Eindrücke von der deutschen Polizei? Mit der haben Sie beim „Sudetendeutschen Tag“ 2011 Ihre Erfahrungen gemacht.
Da gibt es Unterschiede. Die uniformierten Polizisten, die mich festgenommen haben, waren kompromisslos. Die Ermittler, denen ich später vorgeführt wurde, die waren wie aus „Alarm für Cobra 11“.
Sehr korrekt und humorvoll.
LZ: Welches Vergehens wurden Sie denn beschuldigt?
Des Hausfriedensbruchs. Ich war zwar für den „Sudetendeutschen Tag“ akkreditiert. Aber das interessierte die Polizei wenig. Erst als die Staatsanwältin
Vertreter der „Sudetendeutschen Landsmannschaft“
(SL) erreichte, klärte sich die Sache etwas. Die SL
zog den Vorwurf des Hausfriedensbruchs zurück.
Wahrscheinlich wurde ihnen klar, dass es nicht die
beste Reklame ist, einen Journalisten des Tschechischen Fernsehens beim Dreh verhaften zu lassen.
Die Staatsanwaltschaft verbat mir allerdings per
einstweiliger Verfügung, mich noch einmal auf dem
„Sudetendeutschen Tag“ blicken zu lassen.
Ausschnitt aus der Dokumentation „Mein kroj“: Filmemacher Martin Dušek in seiner Fantasietracht.
LZ: Die meisten Teilnehmer des „Sudetendeutschen
Tages“ reagieren im Film zwar etwas verwundert
auf Ihr Outfit, keineswegs aber aggressiv.
Innerhalb der SL gibt es so viele verschiedene Strömungen. Da waren auch einige sehr unfreundliche
Rentner dabei, die immer wieder versuchten, uns
am Drehen zu hindern. Andere wiederum waren
sehr jovial. Sie erinnerten mich an meinen Großvater, der ja auch Deutscher war. Und die Sudetendeutsche Jugend war ganz locker. Die meinten sogar,
wenn sie mal am Ruder in der SL wären, würden sie
mich auch beim Trachtenumzug mitmarschieren
lassen.
LZ: Vielleicht hätten Sie bei Ihrer „Tracht“ die Blinker weglassen sollen. Sie hätten seriöser gewirkt
und viele wären sich nicht so veralbert vorgekommen.
Warum hätte ich da seriöser gewirkt? Ich finde, die
Blinker haben hervorragend gepasst. Außerdem hatte ich das Gefühl, sie passen zu meiner Tracht, die ja
etwas aus meinem persönlichen Leben symbolisieren sollte. Und den alten Octavia meines Großvaters
haben wir seinerzeit oft zusammen repariert.
Foto: ČT
LZ: Bei so viel persönlichem Einsatz muss Sie die
negative Reaktion getroffen haben.
Die Reaktionen haben eigentlich genau gezeigt,
was für Leute am „Sudetendeutschen Tag“ teilnehmen. Die alten Deutschen, die noch in Böhmen geboren wurden, kamen recht interessiert auf mich zu
und fragten mich nach meiner Herkunft und Familiengeschichte. Aggressiv waren vor allem die, die
keine persönlichen Wurzeln in Böhmen mehr haben.
Denen fehlt vielleicht der böhmische Humor.
LZ: In Ihrem Film geht es ja eigentlich nicht darum,
Sudetendeutsche zu ärgern, sondern um den Umgang Ihrer Heimatstadt Česká Lípa (Böhmisch Leipa) mit ihrem deutschen Erbe.
Auf die Idee mit dem Film kam ich, als bei uns in
Česká Lípa eine Tracht auftauchte. Dabei gab es bei
uns nie Trachten oder Folklore. Ich fand dann auch
heraus, dass diese Tracht nach dem Krieg erfunden
wurde. Und es kam mir bizarr vor, dass sie heute jemand aus der Versenkung holt, um zu behaupten, sie
gehöre zur Geschichte der Stadt. Und mal ganz abgesehen davon, dass bei uns nie Tracht getragen wurde,
ist die Tracht auch aus irgendwelchen Lappen zu-
sammengeflickt, die nicht einmal zueinander passen. Also habe ich mir meine eigene Tracht gemacht,
die auf meiner persönlichen Geschichte basiert.
LZ: Sie sind in einer Stadt aufgewachsen, in der die
Bevölkerung mehr oder weniger auf einen Schlag
ausgetauscht wurde. Wie macht sich das, Ihrer Meinung nach, heute bemerkbar?
In unserer Stadt hat die Uranförderung nach dem
Krieg Zehntausende neuer Bewohner angezogen.
Und denen ist es egal, wie die Stadt aussieht. Es ist
ihnen egal, ob auf dem Marktplatz ein riesiger Supermarkt gebaut wird. Einfach, weil sie keinen Bezug zur Stadt haben. Wenn sie zum Beispiel Tennis
spielen wollen, dann zählt nur, dass da eine Halle
steht. Dass die potthässlich ist und das Stadtbild verschandelt, ist egal. Mein Großvater – er war Halbdeutscher, zählte sich aber zur tschechischen Nation, auch wenn er kein Tschechisch konnte – kam
aus dem Dorf Modlany (Modlan) bei Most (Brüx).
Sie sollten sich mal die hässlichen neuen Häuser anschauen, die seit dem Krieg dort gebaut wurden, und
die gar nicht ins traditionelle Dorfbild passen. Ich
glaube, die Leute, die in die ehemaligen deutschen
Gebiete gezogen sind, haben bis heute keine Beziehung zu diesen Landschaften und ihren Dörfern
entwickelt. Die interessiert nur das eigene Haus, der
eigene Garten und die eigene Couch. Zumindest ist
das in Nordböhmen so.
LZ: Und wirkt das auf Sie nicht inspirierend?
Es ist mein natürliches Habitat. Vor „Mein kroj“
habe ich den Film „Pouštevna – das ist das Paradies“ gemacht. Eine Dokumentation aus dem Dorf
Dolní Pouštevna (Niedereinsiedel) im Schluckenauer Zipfel. Dort hat sich in den letzten 50, 60 Jahren
eine recht bizarre Kommune herausgebildet. Eine
Mischung aus Tschechen, Roma, ein paar zurückgekehrten Sudetendeutschen. Und jeden Tag kommen ziemlich viele Arbeitslose aus Sachsen rüber,
um im Dorf ihren Tag zu verbringen.
LZ: Werden Sie auch dieses Jahr zum „Sudetendeutschen Tag“ fahren?
Ich denke noch darüber nach. Wenn aber, dann
bestimmt nicht in Tracht. Sonst würden sie mich ja
gleich wieder verhaften lassen. Und eigentlich würde
ich mich dort ganz gerne mit den Leuten unterhalten.
Die Fragen stellte Alexandra Mostýn
Literarische Streifzüge
des Österreichischen Kulturforums und der Schweizer Kulturstiftung prohelvetia – werden Lesungen und
Diskussionen von und mit Michael Kumpfmüller, Josef
Haslinger und Monique Schwitter stattfinden. Literarisch stehen in diesem Jahr Werke mit Bezug zu Tschechien im Fokus: Josef Haslinger stellt „Jáchymov“ und
Michael Kumpfmüller seinen Roman „Die Herrlichkeit des Lebens“, in dem es um Franz Kafkas letztes
Lebensjahr geht, vor. Beide Werke erscheinen nun in
tschechischer Übersetzung. Mit der Autorin Monique
Schwitter, die aus ihrem Roman „Goldfischgedächtnis“
liest, ist eine der größten Entdeckungen der jungen
Schweizer Literaturszene auf der Buchmesse vertreten.
Der Prager Mai steht ganz
im Zeichen der Literatur:
Die Nacht der Literatur und
die Buchmesse „Svět knihy“
laden zu literarischen
Erkundungstouren ein.
Mit Einbruch der Dämmerung verwandelt sich am 16. Mai das ehemalige Arbeiterviertel Smíchov in eine
große Lesebühne. Wenn die Schatten länger werden, öffnet die Villa
ULRIKE
Portheimka ihre Pforten. In dem
MASCHER
Lustschlösschen, das der bedeutende Barockarchitekt Kilian Ignaz Dientzenhofer
1725 zur Sommerresidenz für sich und seine
Familie umbaute, liest der tschechische Schauspieler und Regisseur Jan Budař aus dem Roman
„Jáchymov“ von Josef Haslinger. Im neuesten Roman des in Wien und Leipzig lebenden Österreichers geht es um die jüngere tschechische Geschichte – und um ein ureigenes tschechisches
Thema: Eishockey. Am Beispiel des Torwartes Bohumil Modrý erzählt Haslinger das tragische Schicksal der tschechoslowakischen Eishockey-Nationalmannschaft, die 1950 vom kommunistischen
Regime in Schauprozessen zu Gefängnisstrafen und
Arbeitslager verurteilt wurden.
An fünfzehn Orten – von der Villa Portheimka über
einen Eisenbahnwagon bis zur Brauerei Staropramen
– lesen tschechische Persönlichkeiten von 18 bis 23
Uhr aus den tschechischen Übersetzungen internationaler Werke. Neben zeitgenössischen deutschsprachigen Autoren sind auch zwei Nobelpreisträger vertreten: Der 2010 verstorbene Portugiese José
Saramago erhielt den begehrten Literaturpreis 1998.
Karel Dobrý wird aus Saramagos letztem Roman
„Kain“ lesen – passenderweise in der Druckerei des
Literatur in Bildern
Verlagshauses „Libertas“, das auf eine lange Geschichte zurückblicken kann.
Jan Kačer liest im Theater Švandovo aus dem jüngsten Roman „Der Traum des Kelten“ des peruanischspanischen Autors Mario Vargas Llosa, der 2010 von
der Schwedischen Akademie ausgezeichnet wurde.
Doch es ist nicht nur die hochkarätige Literatur,
die nach Smíchov lockt: „Der sechste Jahrgang der
Literaturnacht wird sich an attraktiven und zum
Teil an normalerweise für die Öffentlichkeit unzugänglichen Orten in Prag 5 abspielen. Zu den interessantesten Plätzen gehören sicherlich die Brauerei
Staropramen, das stilvolle Gebäude des Musikklubs
Jazz Dock und das inspirierende Umfeld des Prager
HUBs, sowie die seit 130 Jahren mit Smíchov verbundene Buchdruckerei Libertas, aber auch das architektonisch bedeutsame barocke Lustschloss Portheimka und das Gebäude der Städtischen Bücherei“,
so die Leiterin des Tschechischen Zentrums Prag, das
die Literaturnacht in Kooperation mit dem Netzwerk
europäischer Kulturinstitute (EUNIC) ausrichtet. Neben Prag wird das Literaturevent in 22 weiteren europäischen Städten stattfinden.
Am nächsten Morgen heißt es früh aufstehen, denn
die internationale Prager Buchmesse „Svět Knihy“
zeigt vom 17. bis 20. Mai alles rund ums Lesen. Das
diesjährige Gastland Rumänien präsentiert sich dem
Publikum mit über 50 Veranstaltungen zu Belletristik und Theater, Kinder- und Kunstbüchern und
neuesten tschechischen Übersetzungen rumänischer Literatur. Daneben gibt es eine Vielzahl von
Lesungen und Diskussionsrunden zu Themen aus
Rumänien und der Schwarzmeerregion.
Aber auch deutschsprachige Literatur gibt es auf der
Buchmesse zu entdecken. Im Rahmen von „Das Buch“
– einem Gemeinschaftsprojekt des Goethe-Instituts,
Ein weiterer Schwerpunkt der 18. Buchmesse, die
auf dem Ausstellungsgelände Výstaviště im Prager
Stadtteil Holešovice stattfindet, bilden in diesem Jahr
Comics. Und so widmet sich auch „Das Buch“ der
gezeichneten Literatur.
Der in Göttingen geborene Comic-Autor Sascha
Dreier liest aus seiner Graphic Novel „Der Papierene“, in der er das fußballverrückte Wien der Zwischenkriegszeit in den Blick nimmt. Neben dem in
Kozlau bei Iglau geborenen Idol des österreichischen
Fußballs Matthias Sindelar, genannt „der Papierene“,
spielt auch der Erfinder des modernen Fußballs, der
in Maleschau (Malešov) geborene Trainer und Funktionär Hugo Meisl, eine zentrale Rolle.
Die Schweizer Comiczeichnerin Anna Sommer
stellt ihren Erstling „Damen Dramen“ vor, in dem sie
ohne Worte wilde und schräge Geschichten von und
über Frauen erzählt.
Der Wiener Comicautor und Filmkünstler Nicolas Mahler folgt mit seinem neuesten Werk dem
Trend, kanonisierte literarische Werke als Comic zu
adaptieren: „Alte Meister“ ist eine Comicfassung des
gleichnamigen Romans von Thomas Bernhard.
Außerdem wird der Comic-Verantwortliche der
Frankfurter Buchmesse Wolfgang Strzyz mit anderen
Comic-Spezialisten über den aktuellen deutschsprachigen und internationalen Comicmarkt diskutieren.
KULTURTIPPS
Ausstellung
Festival
Filmfestival
Ausstellung
Man spricht Deutsch –
Ausstellung rund um
die deutsche Sprache
Österreich-Tag –
Konzerte, Lesungen,
Workshops
23.5.2012,
Krajská vědecká
knihovna, Liberec
52. Internationales Filmfestival
für Kinder und Jugendliche
Jan Reich – das Lebenswerk
des 1942 geborenen Fotografen
25. 4.- 19. 8. 2012, Prager Burg
Eine ganze Welt zwischen zwei Buchdeckeln: Der Prager Mai steht im Zeichen des gedruckten Wortes.
4.5.- 3.6.2012,
Klub ÁMOS, Ostrava
Foto: Archiv
Welt der Bücher
27.5.-3.6.2012, Zlín
LandesZeitung | WIRTSCHAFT
15. Mai 2012
Seite 5
Das Nationaldenkmal
Das umstrittene AKW
Temelin gilt als sicher und hat
fast schon den Status eines
Nationaldenkmals.
Wenn es in Tokio fünf vor zwölf ist,
ist es in Temelín kurz vor vier. Zumindest behaupten das die Uhren,
die über dem Eingang der Dorfkneipe von Temelín hängen. Dass
ALEXANDRA
der Zeitunterschied zwischen SüdMOSTÝN
böhmen und dem Fernen Osten
eigentlich neun Stunden beträgt, stört niemanden. In
Temelín tickt man halt etwas anders.
„Temelin ist das sicherste Kraftwerk der Welt“, erklärt Jan Pěnička, der vor drei Jahren in den 120-Seelen Ort unweit zwischen Moldau und Böhmerwald
gezogen ist. Seine Nachbarn, die im Kraftwerk
arbeiten, hätten ihm dies versichert. Im Schatten
der Kühltürme fährt er seine beiden sechs Monate
alten Jungs spazieren. „Sie sind die ersten Zwillinge,
die seit 55 Jahren hier in Temelín geboren wurden“,
sagt er stolz. Ob das vielleicht am Kraftwerk liege?
Jan Pěnička schaut etwas irritiert in Richtung AKW :
„Nein, ich hoffe nicht,“ lacht er.
Jenseits des Böhmerwaldes, in Bayern und Österreich ist beim Gedanken an Temelín kaum jemandem zum Lachen zumute. Die heftigen Proteste und
Grenzblockaden, die noch tobten, bevor der erste
der insgesamt zwei Reaktoren im Oktober 2000 ans
Netz ging, sind zwar inzwischen abgeebbt. Dennoch
gilt das AKW in Deutschland und Österreich, im Gegensatz zu Tschechien, als extrem unsicher. Gesunde
Skepsis oder einfache Panikmache?
Bastard-AKW
Kritisch beäugt wird vor allem der Mix der Systeme:
Vertragen sich russische Reaktoren mit amerikanischer Leittechnik? Mit dem Bau von Temelín wurde im Jahre 1983 begonnen. Da war die Welt noch
zweigeteilt und die Tschechoslowakei bekam ihre
Druckwasserreaktoren des Typs WWER 1000 vom
sozialistischen Bruderstaat Sowjetunion. Nach deren
Zusammenbruch wandten sich die Tschechen in den
90er Jahren an den US-Konzern Westinghouse, die
das Sicherheitssystem des AKW lieferte.
„Diese Bastardisierung des AKWs hat dazu geführt,
dass der Betrieb in Temelín öfters abgestellt werden
musste als in westlichen Kraftwerken, die nicht so
zusammengebastelt sind“, sagt Jan Rovenský von
Greenpeace in Prag. Wo genau die Probleme liegen,
kann er allerdings nicht sagen. „Weil es keine gibt“,
argumentiert der stellvertretende Leiter der tschechischen Strahlenschutzbehörde SUJB, Petr Brandejs.
Strahlende Aussichten im Schatten der Kühltürme: das AKW-Temelín soll um zwei Reaktorblöcke erweitert werden.
Foto: Björn Steinz
einem Austritt von Radioaktivität außerhalb der
Sicherheitszone ist es noch nie gekommen “ sagt
Brandejs. „Kernkraftgegner sind schnell dabei, wenn
es darum geht ,Störfall‘ zu schreien“, meint der Prager Physikstudent David, der in den Semesterferien
gerne mal in Temelín jobbt. „Da reicht es schon,
wenn dem Pförtner mal die Kaffeetasse umfällt.“
Vergangenen Sommer hat David mitgeholfen, eine
ausgebrannte Lagerhalle im AKW aufzuräumen. „Da
wurde wohl Brennstoff gelagert, na und? Passiert ist
nichts.“
der im Ernstfall das Kraftwerk herunterfahren soll.
Atomausstieg beim Familienausflug.
Stelle wieder angeschweißt wurde, ist die Schweißnaht nun schwächer, als sie sein darf. Und weil sie
direkt am Reaktor liegt, wo ja unheimlicher Druck
herrscht, könnte sie theoretisch irgendwann mal
platzen“, fürchtet Jan Rovenský.
„Ja ja, die Schweißnaht“, lächelt Strahlenschützer
Brandejs müde. Aufgrund der Greenpeace-Klage sei
diese mehrfach untersucht worden, sagt Brandejs,
auch von internationalen Experten. „Alle sind zu
dem Ergebnis gekommen, dass es zu keinen unautorisierten Ausbesserungen am Reaktor gekommen
ist.“ Wegen dieser ganzen Geschichte, meint Brandejs, stehe im ersten Temelín-Block der wohl am
gründlichsten geprüfte und am besten dokumentierte Reaktor der Welt.
Spekulationen über Schweißnähte hin und her.
Fakt ist: Insgesamt 27 Sicherheitsüberprüfungen hat
es in Temelín schon gegeben. Die Deutschen waren
da, die Österreicher sowieso. Und auch die IAEA.
„Alle haben uns bestätigt, dass Temelín mit westlichen Druckwasserreaktoren des Typs PWR stand-
Bei den Touristen ist das AKW Temelín in der Region genauso beliebt wie die Burgen und Schlösser Südböhmens.
So ungewöhnlich, wie es immer wieder dargestellt
wird, sei der Systemmix außerdem nicht. In Finnland, zum Beispiel, werden auch russische WWERReaktoren von deutschen Siemens-Systemen geleitet. In den 10 Jahren, in denen Temelín in Betrieb ist,
ist es zu keinen Problemen gekommen, die auf den
russisch-amerikanischen Mix zurückzuführen sind.
Schlamperei am Bau?
Viel gefährlicher als der Technologie-Mix sei die
Schlamperei am Bau, meint Jan Rovenský. Seit
über 10 Jahren klagt Greenpeace über eine poröse Schweißnaht direkt am ersten Reaktor. „Damals
wurde ein Rohr falsch an den Reaktor angeschweißt.
In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurde das dann
verbessert. Aber weil dasselbe Rohr an der selben
halten kann“, sagt Petr Brandejs. „Außerdem“, sagt
er, „steht das AKW auf erdbebensicherem Gebiet.
Und ein Tsunami in der Moldau droht kaum.“ Selbst
Greenpeace-Aktivist Jan Rovenský weiß, dass es
in Tschechien Unsichereres gibt als Temelín: „Das
AKW Dukovany, zum Beispiel.“ Das Kraftwerk in
Südmähren ist um einiges älter als Temelín, liegt
noch näher an der österreichischen Grenze. „Und
von seinen vier Reaktoren hat keiner ein Containment, das ist bedenklich“, sagt Rovenský.
Dennoch gilt das Interesse hauptsächlich Temelín,
dem Medienstar unter den Atomkraftwerken. Über
130 Störfälle wollen bayerische und österreichische
Atomkraftgegner dort schon gezählt haben. „Das
sind aber keine nuklearen Störfälle, sondern ausnahmslos Probleme im sekundären Kreislauf. Zu
Nationalstolz AKW
Die Tschechen gehen äußerst entspannt mit der mit
der Kernkraft um. Zum einen liegt das daran, dass
sie in ihr eine gute Alternative zur Kohlekraft sehen. Im Norden der Tschechischen Republik, wo
die meisten der 15 Kohlekraftwerke stehen, mussten
über 80 Gemeinden den Kraftwerken weichen, noch
zwei sollen folgen. Die Lebenserwartung dort ist um
zwei Jahre niedriger als der Landesdurchschnitt.
„Die Liebe der Tschechen zur Kernkraft liegt auch
daran, dass wir Tschechen ein Volk von Technikern
sind. Ein Ingenieur hat hier mindestens so viel Prestige, wie ein Doktortitel“, sagt Jan Rovenský. Temelín
ist eben nicht nur ein Atomkraftwerk. Sondern auch
ein Nationaldenkmal.
„Rund 32 000 Besucher hatten wir hier im vergangenen Jahr“, erklärt Temelín Sprecher Marek
Sviták. „Als Touristenattraktion hier in der Region ist Temelín genauso beliebt wie die Burgen
und Schlösser Südböhmens. Im interaktiven Besucherzentrum, in einem barocken Schlösschen
gleich gegenüber des AKW, kann man die einzelnen
Kreisläufe nachverfolgen, Brennstäbe angucken
und Keramiktassen aus der benachbarten Behindertenwerkstatt kaufen. Wem das nicht reicht, der
kann sich zu einem Rundgang im eigentlichen AKW
anmelden. Besonderes Schmankerl: das Steuerungszentrum Temelíns ist zu Übungszwecken eins
zu eins nachgebaut worden. Wer nett fragt, darf da
vielleicht auch mal auf den roten Knopf drücken,
Nein zum Atomausstieg
Ein Atomausstieg ist für Tschechien kaum eine Alternative. Immer wieder belegen Umfragen, dass
zwei Drittel der Tschechen pro-Kernkraft sind. „Hier
in Südböhmen sind es sogar 80 Prozent“, weiß Temelín-Sprecher Sviták. Kein Wunder: Der Betreiber des AKW Temelín, die staatlichen „Tschechischen Elektrizitätswerke“ (ČEZ), produzieren nicht
nur Atomstrom, sondern pumpen auch Kohle in die
Region. „Wir unterstützen gesellschaftliche und
kulturelle Aktivitäten, sponsern Sportveranstaltungen und Schulen, finanzieren Kinderspielplätze“,
zählt Svitak auf. Bis 2018 will die ČEZ so über 600
Millionen Euro nach Südböhmen schicken.
„Das Beste ist die Liegenschaftssteuer, die unsere
Gemeinde jährlich vom Kraftwerk erhält. Die macht
bei weitem den größten Posten in unserem Haushalt
aus“, freut sich der Bürgermeister von Temelín, Petr
Macháček. Da hat er auch nichts dagegen, dass Temelín in den nächsten Jahren um zwei Reaktorblöcke erweitert werden soll. Im Augenblick läuft die
Umweltverträglichkeitsprüfung und der Betreiber
ČEZ versucht, die 20 Milliarden Euro zusammenzubekommen, die der AKW-Ausbau mindestens kosten soll. Eine Investition, die sich lohnen könnte. Vor
allem dank des deutschen Atomausstiegs. Schon jetzt
exportiert Tschechien rund 14 Prozent seines Stroms.
Wörterbuch
(das) Atomkraftwerk (AKW) - jaderní elektrárna (JE)
(der) Zeitunterschied
- časový rozdíl
(die) Leittechnik
- řídící technika
(die) Schweißnaht
- svar
(die) Umweltverträglichkeits- - Vyhodnocení vlivůna životní
prüfung
prostředí
(der) Störfall
- nehoda
(der) Kernkraftgegner
- odpůrce jaderní energetiky
(die) Behindertenwerkstatt - chráněná dílna
(der) Atomausstieg
- odklon od jaderní energetiky
Temelín-Ausbau: kein Fallout auf Wirtschaftsbeziehungen
Kein Problem mit dem geplanten Temelín-Ausbau
hat die deutsche und österreichische Wirtschaft.
Vertreter des deutschen Bundes der Industrie (BDI)
wie auch österreichischer Arbeitgeberverbände
haben klar erklärt, sie respektieren das Recht jedes Landes, seine Energiepolitik selbst zu bestimmen. Eine Erweiterung des AKW Temelín um zwei
Reaktorblöcke werde daher keinen Fallout auf die
Wirtschaftsbeziehungen zu Tschechien haben, heißt
es aus deutschen und österreichischen Wirtschaftskreisen.
Das bestätigt auch eine Umfrage, die der tschechische Industrieverband (SPČR) unter seinen Mitgliedern durchgeführt hat, die mit deutschen und österreichischen Firmen zusammenarbeiten. Im Interesse
seiner Mitgliedsfirmen behält der SPČR die Namen
der Befragten allerdings für sich.
Das Thema Temelín, so die Befragten, hauptsächlich aus der Maschinenbauindustrie, habe bislang gar
keine Rolle in den gegenseitigen Verhandlungen ge-
spielt. „Ein großer Teil unseres Jahresexports geht nach
Deutschland, wo wir einen
starken
Geschäftspartner
haben. Aufgrund unserer
bisheriger Erfahrungen kann
ich sagen, dass das Thema
Temelín auf unsere Beziehungen höchstwahrscheinlich gar keinen Einfluss haben wird“, erklärte einer der
Befragten.
Politischer Druck?
Auf persönlicher, keinesfalls geschäftlicher, Ebene,
Temelín ist kein Grund, den Tschechen den Rücken zu kehren. Foto: Björn Steinz
schieden sich in Bezug auf
das AKW Temelín die Geister. Manche der deutschen
wiederum seien kritisch. „Das zeigt sich allerdings
und österreichischen Geschäftspartner stünden dem
nur in den Meinungsäußerungen Einzelner, hat aber
geplanten AKW-Ausbau positiv gegenüber. Andere
keinen Einfluss auf die Entscheidungen der Firma“,
meinte einer der Befragten. „Das kann sich verständlicherweise ändern, falls Temelín in Deutschland zu
einem großen medialen und politischen Thema werden sollte. Aber das kann niemand vorhersehen“,
fügte er noch hinzu.
Denn es gibt nicht nur strahlende Gesichter. Wie
die deutsche Atomdebatte sich negativ auf tschechische Unternehmen auswirken kann, weiß ein
weiterer Befragter. Als die Firma Siemens nach dem
deutschen Atomausstieg ihre Produktion von AKWKomponenten drosselte, war auch ein tschechischer
Zulieferer betroffen. Der zeigte sich aufgrund seiner
Erfahrungen in der SPČR-Umfrage skeptischer als
seine Kollegen. „Deutschland und Österreich sind
dem Temelín-Ausbau nicht besonders geneigt. Wenn
wir von der gegenwärtigen politischen Atmosphäre dort ausgehen, dann ist es gut möglich, dass sie
Druck auf uns ausüben werden, den Bau hinauszuzögern“, sagt er.
MILAN MOSTÝN, SPČR
LandesZeitung | IM GESPRÄCH
Seite 6
15. Mai 2012
„Wir pflegen einen Dialog auf Augenhöhe“
Deutschland geschichtsträchtigen Sitz der Botschaft. Die Weichen hierfür sind ja seit längerer
Zeit gestellt, wie sieht es aber ganz konkret aus?
Die Verhandlungen laufen derzeit. Bei einem
Immobilienkauf dieser Größenordnung gibt es
viele Fragen und Details zu besprechen. Unser
Interesse am Erwerb des Palais Lobkowicz liegt in
der Tat in seiner für die deutsche Einheit hohen
symbolischen Bedeutung. Der Auftritt des damaligen Außenministers Genscher auf dem Balkon
des Lobkowicz-Palais, als er fast 4 000 Landsleuten aus der DDR die Ausreise in die Bundesrepublik bekannt gab, ist unvergessen. Zugleich ist uns
die historische und kunstgeschichtliche Bedeutung des Palais für Tschechien und die Stadt Prag
bewusst. Wir führen das Palais daher als offenes
Haus. Im vergangenen Jahr haben wir etwa 13 000
Besucher verzeichnet: Schulklassen, Besucher von
Seminaren, Vorträgen, Konzerten oder Empfängen
in der Botschaft. Auch in diesem Jahr werden wir
am 20. Juni wieder einen Tag der offenen Tür veranstalten. Ich hoffe, auch viele Ihrer Leser werden
an diesem Tag zu uns in die Botschaft kommen.
Der deutsche Botschaer
Detlef Lingemann empfindet
es als Privileg, Deutschland
in Tschechien zu vertreten.
Im LZ-Gespräch erläutert
er warum.
LZ: Herr Lingemann, seit September 2011 sind Sie
deutscher Botschafter in Prag. Wie bewerten Sie
die deutsch-tschechischen Beziehungen zwanzig
Jahre nach der Unterzeichnung des DeutschTschechoslowakischen Nachbarschaftsvertrags?
Die Beziehungen sind ausgezeichnet. Deutschland und Tschechien sind einander wichtige Handelspartner. Der kulturelle Austausch floriert:
Ein beeindruckendes Beispiel ist das jährliche
deutschsprachige Theaterfestival in Prag. Der Jugendaustausch entwickelt sich weiterhin positiv.
Auf kommunaler Ebene in den Grenzgebieten
entwickelt sich eine enge, grenzübergreifende
Zusammenarbeit. Auch auf höchster politischer
Ebene sind die Kontakte sowohl auf Bundesebene
wie auch auf Länderebene sehr eng, wie die jüngsten Besuche in Prag von Bundeskanzlerin Merkel
und Außenminister Westerwelle, des bayerischen
Ministerpräsidenten Seehofer und des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt Haseloff gezeigt
haben. Auch das Bundesland Sachsen unterhält
engste Beziehungen zu Tschechien. Wir pflegen
einen engen Dialog auf Augenhöhe.
LZ: Im Zusammenhang mit der Krise in der EU
wird gerne von einer Führungsrolle Deutschlands
gesprochen. Auch in Mitteleuropa. Überrascht Sie
das? Wie könnte eine solche Führungsrolle in der
EU und im Europa der Regionen aussehen?
Deutschland hat als größte Volkswirtschaft in der
EU eine besondere Verantwortung für ein erfolgreiches Krisenmanagement. Dieser Verantwortung sind wir uns bewusst und wir nehmen sie in
Abstimmung mit unseren Partnern in der EU wahr.
Mit dem Fiskalpakt haben wir ein wirkungsvolles
Instrument, um künftig vergleichbare Krisen zu
vermeiden. Und wir haben in der EU einen Rettungsschirm aufgespannt, um einzelnen Ländern
die Möglichkeit zu verschaffen, ihre Haushalte in
Ordnung zu bringen.
LZ: Ab und an erheben Berührungsängste den-
noch ihr Haupt. Die Stadt Opava weigert sich zum
Beispiel, Platz für ein Denkmal für Troppauer
Deutsche bereitzustellen. Wie kann man diese
Berührungsängste diplomatisch angehen?
Da gibt es kein Patentrezept. Gerade in diesem Jahr, 70 Jahre nach dem Terror in Lidice
oder Ležaky bleibt uns bewusst, wie präsent die
schrecklichen Ereignisse des Zweiten Weltkriegs
immer noch sind. Ich denke, wir haben mit dem
Deutsch-Tschechoslowakischen Vertrag von 1992
und mit der Deutsch-Tschechischen Erklärung
von 1997 den richtigen Weg eingeschlagen, den
Weg des vertrauensvollen Dialogs und der Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit. Vieles
wird heute zwischen den Gesellschaften diskutiert, was früher undenkbar gewesen wäre. Ich
denke etwa an den Film „Alois Nebel“, der die
Vertreibung eindrucksvoll thematisiert und in den
tschechischen Kinos sehr erfolgreich gelaufen ist.
Aber nicht alles ist von heute auf morgen möglich,
wir brauchen einen langen Atem und Sensibilität
im Umgang miteinander.
LZ: Natürlich gibt es auch positive Beispiele.
Immer mehr, vor allem junge, Tschechen interessieren sich für die deutsche Geschichte Böhmens
und machen sich um die Bewältigung der eigenen
Vergangenheit verdient. Sehen Sie diese Bemühungen eher als innertschechische Angelegenheit,
oder unterstützt die Botschaft sie in irgendeiner
Form?
Wir haben mit der Erklärung von 1997 uns darauf verständigt, dass wir das Thema Vergangenheit
nicht politisieren, sondern den Zivilgesellschaften und Historikern überlassen sollten. Zugleich
Gern in Prag: Botschafter Lingemann
publik und ein Instrument der Assimilierung
ihrer deutschen Bürger.
Mit der Deutsch-Tschechischen Erklärung von
1997 haben wir damals auch festgestellt, dass
jede Seite ihrer Rechtsordnung verpflichtet bleibt
und respektiert, dass die andere Seite eine andere
Rechtsauffassung hat. Die Unterzeichner der Erklärung haben klargestellt, dass sie ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen oder rechtlichen Fragen belasten
werden. Auf der Basis der Deutsch-Tschechischen
Erklärung haben sich unsere bilateralen Beziehungen sehr erfreulich entwickelt. Nicht zuletzt
der Besuch des bayerischen Ministerpräsidenten
Seehofer im November letzten Jahres hat eindrucksvoll gezeigt, dass heute bei den politischen
Gesprächen ganz praktische Fragen der Zusammenarbeit und gemeinsame Interessen im Vordergrund stehen.
LZ: Was betrachten Sie noch als größten Feind des
deutsch-tschechischen Verhältnisses? Ist es überhaupt möglich, einen endgültigen Schlussstrich
unter die Geschichte zu ziehen?
Ihre Frage legt zu Recht die Antwort nahe: Nein,
man darf Geschichte nicht vergessen. Wie gesagt,
Ich freue mich über viele Projekte, die ganz konkret
zeigen, wie viel wir zusammen erreichen können.
wurde der deutsch-tschechische Zukunftsfonds
geschaffen, um Projekte auf beiden Seiten gerade
auch zur Aufarbeitung der Vergangenheit zu fördern. Die Bilanz mit vielen tausenden erfolgreichen Projekten ist sehr eindrucksvoll. Erwähnen
möchte ich die erfolgreiche Arbeit der gemeinsamen Historikerkommission und die vielen Seminare, die Kulturinstitute oder Universitäten hier
ausrichten. Wir als Botschaft konzentrieren uns
bei eigenen Projekten auf Themen, die uns aktuell beschäftigen, wie die Förderung der deutschen
Sprache oder die Folgen der Energiewende in
Deutschland.
LZ: Bleibt die Frage der Beneš-Dekrete endgültig
geschlossen? Theoretisch könnten Mitglieder der
deutschen Minderheit unter den Beneš-Dekreten
jederzeit enteignet und abgeschoben werden.
Auch wenn die reale Gefahr hierfür seit 1948
nicht mehr besteht, so bleiben die BenešDekrete doch ein diskriminierendes Element innerhalb der Gesellschaft der Tschechischen Re-
bin ich überzeugt, dass gerade mit der Erklärung
von 1997 die Weichen richtig gestellt wurden.
Aber ein zivilgesellschaftlicher Dialog über die
Vergangenheit bleibt notwendig. So würde ich
heute auch nicht von „Feinden“ des deutschtschechischen Verhältnisses sprechen wollen,
Für dieses Wort ist heute in unseren Beziehungen
kein Raum mehr. Im Gegenteil: Wir sind Partner
und Verbündete in EU und NATO! Aber es gibt
auch Entwicklungen, denen wir entgegenwirken wollen. So hat das Interesse am Erlernen der
deutschen Sprache in Tschechien deutlich abgenommen, obwohl wir engste Partner sind. Wir
bemühen uns daher intensiv, diesen Trend umzukehren. Ich freue mich, dass wir dabei in den
tschechischen Regionen auf große Unterstützung
stoßen. Wir müssen zudem darauf achten, dass
angesichts der von vielen empfundenen Normalität der Beziehungen das Interesse unserer Gesellschaften am Nachbarn nicht sinkt. Da freue
ich mich über viele Projekte, von gemeinsamen
Kindergärten oder Infrastrukturprojekten in den
Detlef Lingemann
* wurde 1954 in Düsseldorf geboren
* studierte Rechtswissenschaften in Bonn,
der prestigeträchtigen „London School of
Economics“ und Straßburg
* trat 1981 in den Auswärtigen Dienst ein
* hatte seinen ersten Auslandseinsatz zwischen 1983 und 1986 in der Wirtschaftsabteilung der Deutschen Botschaft in
Moskau
* leitete von 1995 bis 2000 das Pressereferat der Deutschen Botschaft in
Washington
* war von 2004 und 2006 Deutschlands
erster Mann in Aserbaidschan
* kehrte zwischen 2006 und 2008 als Ständiger Vertreter des Botschafters nach
Moskau zurück
* war von 2008 bis 2011 am Auswärtigen
Amt in Berlin verantwortlich für Außenwirtschaftsförderung, Technologie und
Exportkontrolle
* ist seit dem 7. September 2011 deutscher
Botschafter in Prag
Grenzgebieten, die ganz konkret zeigen, wie viel
wir zusammen erreichen können.
LZ: Welche Aktionen plant die Botschaft noch in
diesem Jubiläumsjahr 2012, in dem nicht nur 20
Jahre Nachbarschaftsvertrag, sondern auch 15
Jahre Deutsch-Tschechische Erklärung unterzeichnet werden.
Die politischen Höhepunkte im Jubiläumsjahr
waren die Besuche der Bundeskanzlerin im April
und des Bundesaußenministers, der an einer sehr
würdevollen Feierstunde zum 20-jährigen Jubiläum des Deutsch-Tschechoslowakischen Vertrages
im tschechischen Senat im März dieses Jahres teilgenommen hat. Die Botschaft hat eine ganze Reihe
von Veranstaltungen mit großer und prominenter
Beteiligung durchgeführt und plant weitere: ein
Seminar und eine Reihe von Vorträgen zu bilateral relevanten Themen wie Energie, Wissenschaft
oder Demographie und natürlich auch zum Thema
Europa. Die Resonanz auf diese Veranstaltungen ist
ausgesprochen positiv.
LZ: Krönender Abschluss dieses Jahres könnte
der Erwerb des Lobkowicz-Palais sein, dem für
LZ: Wird Tschechien nach seinem Nein zum
EU-Fiskalpakt überhaupt noch als verlässlicher
Partner gesehen?
Aber sicher. Tschechien und Deutschland teilen
eine ähnliche Philosophie, auch was die Ziele des
Fiskalpakts angeht. Für beide Länder ist solides
Haushalten ein Gebot der Stunde. Darüber hinaus
teilen wir als exportorientierte Nationen mit einer
modernen, hoch technologisierten industriellen
Infrastruktur in hohem Maße gemeinsame Interessen, gerade auch innerhalb der EU. Entsprechend eng ist unsere Zusammenarbeit.
LZ: Ministerpräsident Petr Nečas bezeichnete
Tschechien als „Schattenunterzeichner“ des EUFiskalpakts. Wie wurde das in Deutschland verstanden? Erwartet man, dass Tschechien zu einem
späteren Zeitpunkt unterschreibt?
Bei den Gesprächen zwischen dem Premierminister und der Bundeskanzlerin wurde deutlich,
dass wir bei der Analyse der Ursachen der Schuldenkrise und bei den zu ergreifenden Maßnahmen
zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommen. Und Premierminister Nečas hat explizit darauf verwiesen,
dass ein Beitritt zu einem späteren Zeitpunkt stets
möglich ist.
LZ: Warum sind Sie eigentlich Diplomat geworden?
Die Motive sind vielschichtig. Zum einen ist es
ein sehr abwechslungsreicher Beruf, der nie Routine aufkommen lässt: Man wechselt alle drei bis
vier Jahre den Lebensmittelpunkt, übernimmt
eine neue Aufgabe, lernt neue Menschen und
Länder kennen. Man kann sein eigenes Land von
außen betrachten; es eröffnen sich mit jeder neuen Aufgabe, jedem Ortswechsel neue Perspektiven. Wenn Sie so wollen: Es ist ein ewiges Lernen.
Das hält jung. Zum anderen habe ich mich stets für
Außenpolitik interessiert. Da lag es nahe, diesen
Beruf zu ergreifen.
LZ: Hatten Sie, bevor Sie nach Prag kamen, einen
Bezug zu Tschechien? Wie haben Sie sich eingelebt? Was gefällt Ihnen besonders an Ihrer neuen
Wirkungsstätte? Und was nicht?
Meine erste Reise nach Prag habe ich im April 1972 als Schüler im Rahmen einer Abiturfahrt
unternommen. Damals wurde die Tschechoslowakei Eishockey-Weltmeister. Es herrschte eine
grenzenlose Begeisterung. Die damalige Stimmung im Land hat mich sehr beeindruckt. Prag
ist eine besonders lebenswerte, weltoffene Stadt.
Ich empfinde es als Privileg, mein Land in einem
Nachbarland vertreten zu dürfen, mit dem wir
so enge Beziehungen haben. Wenn ich hier mit
etwas Probleme habe, dann mit dem Erlernen
der schwierigen tschechischen Sprache. Aber ich
gebe mir Mühe.
Die Fragen stellte ALEXANDRA MOSTÝN
15. Mai 2012
LandesZeitung | UNTERWEGS
Seite 7
Pernek– ein Ort am Rande der Existenz
Landschalich reizvoll aber
voller zerstörerischer Spuren
liegt der verlassene Ort Pernek
in Südböhmen.
In den Grenzgebieten gibt es wieder
zahlreiche aufblühende Kommunen, die sich nicht mehr hinter dem
einstigen „Eisernen Vorhang“ zu verstecken brauchen. Überall sind die
KARL W.
Zeichen der Investitionen zu sehen,
SCHUBSKY
die Erfolge der umfangreichen Zuschüsse aus den Töpfen der EU, die teils zum Wiederaufbau, teils zum Zwecke von Restaurierungsarbeiten Verwendung finden. Davon zeugen die
zahlreichen EU-Hinweistafeln auf erhaltene Fördermittel. Damit konnten bisher zahlreiche „Erbstücke“
vor dem endgültigen Verfall bewahrt werden. Für
viele kam der Umschwung allerdings viel zu spät.
Ganze Ortschaften sind von der Bildfläche verschwunden bzw. „versenkt“ worden. Trotzdem sind
noch immer und überall die Zerstörungsspuren der
Verdrängung erkennbar. Neuanfang und Untergang
liegen dicht beieinander.
Pernek ist ein vergessener Ort, der wie eine
Geisterstadt anmutet. Es ist ein kleiner Ort in Südböhmen, am Ufer der Moldau gelegen, der 1429 zum
ersten Mal erwähnt wurde. Nicht weit entfernt beginnt auch der Schwemmkanal der Schwarzenberger, der sich durch den südlichen Böhmerwald in
Richtung Österreich zieht. Pernek wurde nicht direkt zerstört, aber wer aus Richtung Wallern kommend, die steile Straße hinunter in den heutigen Ort
hineinfährt, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, hier kurze Zeit nach einem Fliegerangriff eingetroffen zu sein. Häuserruinen säumen die Hauptstraße auf beiden Seiten und bevölkern den zentralen
Dorfplatz. Wer sich häufiger bei Durchfahrten mit
Restauranttipp
Der Verfall macht vor dem Ortszentrum nicht halt.
Der letzte Perneker
dem Anblick von Gebäuden, die wie Narben wirken,
konfrontiert sieht, stellt sich doch die Frage nach
dem Warum und steigt irgendwann einmal aus, um
der Sache auf den Grund zu gehen.
Franz Bauer ist einer der letzten deutschen Bewohner von Pernek. Er ist nicht nur für die Renovierungsarbeiten an der Kapelle verantwortlich und kümmert sich um ihre Instandhaltung, sondern hegt noch einen
weiteren Schatz: Er besitzt das letzte Exemplar der „Chronik der Gemeinde Pernek“, die nur in einer kleinen Auflage erschienen ist und die Geschichte des heute vergessenen Ortes bewahrt hat. Aus ihr geht hervor, dass der Ort mehrfach in schwere Mitleidenschaft gezogen worden ist. Die Passagen über den einstigen
Glanz lesen sich wie ein Abgesang auf das einst idyllische Fleckchen Erde:
„Unsere Heimatfluren gehörten und gehören noch heute zu den schönsten des Böhmerwaldes. Noch vom Moldauursprung um den Lusen konnte man bis in das weite Tal zwischen Pernek und Oberplan sehen. Von Wallern kommend in Richtung Süden, schlängelte sich die Moldau
mit ihrem träg dahinfließenden Wasser durch ruhige Auen und Haine. Zwischen Pernek und Oberplan hatte die Moldau im flachen breiten Bett viel Platz, um ein nahezu symmetrisches Herz
in die Wiesenlandschaft zu zeichnen. Das Moldauherz ist heute nicht mehr. Der Stausee hat es verschlungen.“
Auch die verheerende Brandkatastrophe, die Pernek in den 30er Jahren heimsuchte, fand Eingang in die
Chronik:
„Das helle und gepflegte Bauerndorf Pernek schmiegte sich an einen breiten fruchtbaren Hang oberhalb der
Moldau. Von Salnau kommend fiel die Straße am Ortseingang ab, machte eine starke Rechtkurve – und schon
schaute man hinunter in ein freundliches Dorf. Die beiden parallel laufenden Sträßchen wurden eingesäumt
von schattenspendenden Bäumen und stattlichen Bauernhäusern mit ihren großen Hoftoren. Zwischen den
beiden Ortsstraßen die dominierenden Gebäude Schule und Dorfschmiede…Als Pernek am 25. Juni 1931 in
Flammen aufging, fiel auch die malerische Dorfschmiede mit ihrem Glockentürmchen dem roten Hahn zum
Opfer. Pernek wurde wieder aufgebaut, renoviert und schön herausgeputzt. Zur Erinnerung an das schwere
Brandunglück und zum Gedächtnis an die Toten wurde in der Mitte des oberen Dorfes eine Gedächtniskapelle
gebaut.“
Das Andenken an die Opfer und die Erinnerung an das hübsche Bauerndorf wachzuhalten, hat sich Franz
Bauer, der letzte Perneker, zur Aufgabe gemacht. Trotz der verfallenen Gebäude und verlassenen Straßen
um ihn herum.
Gebeutelte Geisterstadt
Es sind aber nicht nur die Gebäuderuinen zwischen
den wenigen erhaltenen und oft unbewohnten
Häusern und Höfen, neben einigen sozialistischen
Neubauten, sondern es ist der frappante Mangel an
sichtbaren Bewohnern. Kein Geschäft vorhanden,
das Gasthaus geschlossen und nur ein einsames,
altes Mütterchen ist auf der Straße zu sehen. Während der Unterhaltung beklagt sie sich, dass es keine
jungen Leute mehr gebe und man zum Einkaufen
sogar bis nach Oberplan fahren müsse, wohin der
Ort eingemeindet ist. Selbst Ausländer, die einige
Häuser in Ordnung gebracht hatten, soll es in Pernek
nicht auf Dauer gehalten haben. So bieten nur wenige Häuser nahe des Dorfplatzes einen besseren Eindruck und natürlich die Kapelle am oberen Ende des
Dorfplatzes, die an den verheerenden Brand von 1931
und dessen Opfer erinnert und die von den früheren
deutschen Bewohnern wieder instandgesetzt wurde
und bis heute auf deren Kosten erhalten wird.
Ein weiteres Mal wurde Pernek 1945 durch amerikanischen Artilleriebeschuss und eine schwere
Als König bei der Fürstin
Dort, wo die Moldau das historische Stadtgebiet
von Prag erreicht, thront auf einem steil über dem
Ufer emporragenden Felsen die Burg Vyšehrad.
Ihr Name ist mit der legendären Fürstin Libuše
verknüpft, die von ihrer Residenz aus die Gründung der Stadt Prag prophezeit haben soll. Heute
erinnert unweit der Burg der Name des Restaurants „U kněžny Libuše“ („Bei Fürstin Libuše“)
an die Herrscherin. Und huldigt ihr mit hervorragender Küche. „Wir möchten mit unserem Restaurant und dem dazu gehörigen Sommergarten
die Palette der kleinen, aber qualitativ hochwertigen Wirtshäuser in Prag erweitern, die sich vor
allem auf die saisonale tschechische und internationale Küche ausrichten“, sagt die Chefin des
Hauses, Libuše Dosedělová.
Ihre Philosophie ist klar und einfach: „Anständiges Essen aus frischen Zutaten von tschechischen Produzenten, zubereitet auf klassische
Art“, erläutert sie. Dazu gibt es ausgezeichnetes
ungefiltertes Bier aus der tschechischen Familienbrauerei Bernard und erstklassige Weine
aus Böhmen und Mähren. „Unsere geschickten
Köche kochen und backen alles selbst“, unterstreicht Libuše. Damit verdient jedes Essen und
jedes Dessert die Bezeichnung Eigenproduktion.
Und da bei der „Fürstin“ der Gast immer König
ist, wird auch für die gesorgt, die es eilig haben.
„Unsere Bedienung erklärt den Gästen gerne,
was sie an Gutem schnell auf dem Teller haben,
und worauf es sich zu warten lohnt“, sagt Chefin Libuše. Dem perfekten kulinarischen Erlebnis
wird so nicht einmal die Zeit im Wege stehen.
Mitglieder der Verbände der deutschen Minderheit können sich bei der „Fürstin“ auf ein besonderes Schmankerl freuen. Auf Vorlage ihres
Verbandsausweises erhalten sie nach dem Essen
eines der leckeren selbstgemachten Desserts auf
Kosten des Hauses.
U kněžny Libuše, Na Pankraci 7, Prag 4 Vyšehrad (5 Min. von der gleichnamigen MetroStation). Reservierungen unter: 00420-252 542
137; www.ukneznylibuse.cz
(lz)
Der letzte Deutsche von Pernek sorgt sich um die kleine, liebevoll restaurierte Kapelle.
Fotos: Autor
Explosion in Mitleidenschaft gezogen. Nach dem
Abzug der US-Truppen wurden die ansässigen Deutschen zunächst ausgeplündert, danach vertrieben
und durch eine zusammengewürfelte Gruppe tschechischer „Neusiedler“ ersetzt, die sich in Pernek – der
Ortsname ist übrigens auch in tschechischer Sprache
identisch – eine neue Lebensgrundlage zu schaffen
suchten. Der zunächst vorhandene Individualismus der neuen Bevölkerung musste sich dann aber
in den folgenden Jahren nach und nach in das neue
Modell des Kollektivismus „integrieren“, das auch
in der neuen ČSSR eingeführt wurde. Dazu heißt es
in der Gemeindechronik: „Abschließend kann bemerkt werden, dass die Siedler aus den Jahren 1945
und 1946, die sich in Pernek niederließen, Bleibe und
Arbeit fanden, allerdings nicht als selbständige
Bauern, sondern als landwirtschaftliche Hilfskräfte.“
Pernek ist seit 1995 eine dörfliche Denkmalzone mit Häusern vom Böhmerwald-Typ nach oberösterreichischer Bauart. Auch wenn die meisten
dieser Häuser nur noch Ruinen sind.
Nahe des kleinen südböhmischen Ortes stößt man
auf ein äußerst mysteriöses Bauwerk: Im Wald nördlich der Straße nach Želnava (Salnau) befindet sich
eine mittelalterliche Burg mit hohen Wällen umfriedet, die über die Jahrhunderte hinweg in keinen
schriftlichen Quellen erwähnt wird.
Auf den Spuren Schwejks
„Endlich bin ich glücklich. Ich lebe im Wirtshaus“,
entfuhr es Jaroslav Hašek, als er mit seinem Kumpanen Panuška zum ersten Mal in der „Böhmischen
Krone“ („U České koruny“) in Lipnice nad Sázavou
aufschlug. Als Gast war Hašek zwar nicht erwartet,
als „enfant terrible“ der Ersten Republik aber bekannt genug, um gebührend empfangen zu werden:
Der Wirt der „Böhmischen Krone“ quartierte ihn
kurzerhand in einem Zimmer über der Gaststube ein.
Bei einem so kurzen Weg zur liebsten Inspirationsquelle sprudelte Hašek förmlich vor Ideen. In seinem Zimmer unweit des Zapfhahns erschuf er den
zweiten, dritten und vierten Teil der „Abenteuer des
braven Soldaten Schwejk“. Erst als das Leben an der
Spitze der Bohème seinen unweigerlichen Tribut forderte, zog Hašek vom Wirtshaus in ein kleines Häuschen unterhalb der mächtigen Burg von Lipnice. Dort
verstarb er am 3. Januar 1923 im Alter von 39 Jahren.
Im Geiste Hašeks kann man heute in der „Böhmischen Krone“ übernachten. Das Wirtshaus von einst
ist von den direkten Nachfahren Hašeks zu einem
gemütlichen Restaurant mit Pension umgebaut worden. Hier können Gäste in dem Zimmer übernachten, in dem einst der „Schwejk“ entstand. Aber auch
in den anderen Zimmern lohnt sich eine Übernachtung. Die „Böhmische Krone“ braut nämlich ihr eigenes süffiges, ungefiltertes Bier, an dem sich sicher
auch gerne Schwejk und sein Schöpfer gelabt hätten.
Der liegt übrigens gleich hinter dem Gasthaus begraben. Seine Fans, die nicht nur zu den zahlreichen
Hašek-Gedenkveranstaltungen nach Lipnice fahren,
erweisen dort dem böhmischen Bohemien den Respekt, der sicher nach seinem Gusto wäre: Statt Blumen stellen sie Bier und Schnapsflaschen auf sein
Grab. Mehr Informationen unter: www.hasektour.cz
RICO SCHELLER
LandesZeitung | VERBÄNDE
seite 8
Verbände der Deutschen - Begegnungszentren
Shromáždění Němců v Čechách, na Moravě a ve Slezsku
Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien
Tel.: +420 233 344 410 l Fax: +420 233 344 372
Na Ořechovce 58, 162 00 Praha 6 l E-Mail: [email protected]
13. Gemeinschaft Brünner Bürger deutscher
Böhmen
1. Adalbert-Stifter-Zentrum
Horst Löffler
Jiráskova 168, 382 26 Horní Planá,
Tel. 380 738 034, Fax: 380 738 057
E-mail: [email protected]
2. Egerländer Gmoi z’ Schlaggenwald
Hilde Sura
Poštovní 628/1, 357 31 Horní Slavkov
Tel./Fax: 352 698 572
E-Mail: [email protected]
3. Bund der Deutschen - Landschaft Egerland
Begegnungszentrum Balthasar Neumann
Geschäftsführerin:
Krista Hrubá
Františkánské nám. 3, 350 02 Cheb
Tel./Fax 354 422 992, Privat: 354 433 792
E-Mail: [email protected]
Richard Šulko
Privat: 377 528 549, Fax: 377 542 797
E-Mail: [email protected]
4. Bund der Deutschen, Region Erzgebirge
und sein Vorland, Begegnungszentrum Komotau
Ema Laubrová
Na Bělidle 842/3, 430 01 Chomutov
Tel./Fax: 474 651 821
E-Mail: [email protected]
5. Verband der Deutschen - Region Reichenberg
Begegnungszentrum Reichenberg
Krista Blaževičová
Ruprechtická 254, 460 14 Liberec 14
Tel.: 482 726 697, Tel./Fax: 482 726 698
E-Mail: [email protected]
6. Organisation der Deutschen in Westböhmen
Begegnungszentrum Pilsen
Gertrud Trepková
Na Roudné 55, 301 65 Plzeň
Tel./Fax: 373 730 183, Privat: 373 730 462
E-Mail: [email protected]
7. Verband der Deutschen
Region Prag und Mittelböhmen
Margit Řehoříková
Na Ořechovce 58, 162 00 Praha 6
Tel.: 222 965 056
E-Mail: [email protected]
8. Begegnungszentrum Trautenau
Dipl.-Ing. Roland Wiesner
Horská 634, 541 01 Trutnov
Tel./Fax: 499 812 232, E-Mail: [email protected]
9. Böhmerwaldverein Krummau
Emma Marx
Školní 242, 382 11 Větřní, Tel./Fax: 380 732 801
E-mail: [email protected]
10. Haus der tschechisch - deutschen Verständigung
Dům česko- německého porozumění
Petra Laurinová
Československé armády 24, 466 01 Jablonec nad Nisou
Tel.: 604 911 000
Mähren
11. Deutscher Kulturverband Region Brünn
Begegnungszentrum Brünn
Jana Uhra 12, 602 00 Brno
Tel. /Fax: 541 243 397
E-Mail: [email protected], E-Mail: [email protected]
12. Deutscher Sprach- und Kulturverein e. V. Brünn
Jiří Nestraschill
Musilova 3, 614 00 Brno
Tel.: 545 581 450, E-Mail: [email protected]
Nationalität ČR
Gerda Skalníková
Chodská 9, 612 00 Brno
Handy: 604 477 835
E-Mail: [email protected]
14. Iglauer Regionalkulturverband
Bc. Mojmír Kolář
Musilova 31, 586 01 Jihlava
Tel./Fax: 567 301 282, E-Mail: [email protected]
www.iglau.de, www.regionalist.cz/iglau
15. Verband der Deutschen in der ČR
Begegnungszentrum Walther Hensel
Mährisch Trübau
Irene Kunc, Tel./Fax: 461 316 304
Svitavská 18, 571 01 Moravská Třebová
E-Mail: [email protected]
16. Verband der Deutschen Nordmähren
und Adlergebirge Begegnungszentrum Mährisch
Schönberg
Gertrude Polčáková
Kladská 1, 787 01 Šumperk
Tel./Fax: 583 215 142,
Handy: 608 727 537, E-Mail: [email protected]
Geschäftsführerin: Hana Filipčíková
15. Mai 2012
Wir gratulieren im Mai
STIER
21.04.–21.5.2012
45
50
55
60
65
70
ZWILLINGE
22.05.–21.6.2012
75
Tomáš Byrtus,
29. 5. 1967, Teschen
Jan Mělo,
22. 5. 1962, Rumburg
Pavel Adamek,
21. 5. 1957, Neutitschein
Zdena Byrtusová,
23. 5. 1952, Jablunkau
Jiří Teplý,
26. 5. 1952, Reichenberg
80
Zdena Tůmová,
17. 5. 1947, Havířov
Eva Skurčáková,
19. 5. 1942, Rumburg
Alžběta Soldánová,
30. 5. 1942, Römerstadt
85
Horst Neumann,
22. 5. 1937, Gablonz
Alžběta Žůrková,
24. 5. 1937, Freiwaldau
Stefan Novák,
26. 5. 1937, Sternberg
Johann Rein,
26. 5. 1937, Rumburg
Gertrud Galle,
16. 5. 1932, Zuckmantel
Wilhelm Bradatsch,
22. 5. 1932, Budweis
Lothar Porsche,
26. 5. 1932, Reichenberg
Florian Placzek,
18. 5. 1927, Hultschin
Angela Nieminařová,
26. 5. 1927, Hultschin
Schlesien
17. Schlesisch-Deutscher Verband in Bolatitz
Veronika Krohe
Staňkova 27, 747 06 Opava
Tel.: 553 734 946, E-Mail: [email protected]
18. Verband der Deutschen Regionalverband des
Teschner Schlesiens Begegnungszentrum Havířov
Hans Mattis
Studentská 11, 736 00 Havířov-Město
Tel./Fax: 596 410 466
E-Mail: [email protected]
19. Gemeinschaft schlesisch-deutscher Freunde
im Hultschiner Ländchen
Begegnungszentrum Hultschin
Marie Roncka
Zahradní 24, 748 01 Hlučín
Tel.: 595 043 031, Handy: 605 737 788
E-Mail: [email protected]
20. Deutscher Freundeskreis
Begegnungszentrum Deutsch Krawarn
Reinhard Večerek
Zámek, Alejní ul., 747 21 Kravaře
Tel./Fax: 553 673 711
21. Schlesisch-Deutscher Verband Jägerndorf
Horst Westphal
Albrechtická 220, 794 01 Krnov
Tel./Fax: 554 637 444, Handy: 736 639 836
E-Mail: [email protected]
22. Schlesisch-Deutscher Verband
Begegnungszentrum Troppau
Günther Kořínek
Horovo nám. 2, 746 01 Opava
Tel./Fax: 553 719 494
E-Mail: [email protected]
23. Deutscher Freundeskreis Schepankowitz
Dorothea Plachtzík
Ratibořská 5, 747 25 Sudice, Tel.: 553 761 114
24. JUKON
Jan Kopřiva
Na Ořechovce 58, 162 00 Praha 6
Tel./Fax: 233 322 959
E-Mail: [email protected]
www.jukon.net
BUSOW, Bildungs- und Sozialwerk o. p. s.
und Bohemia Troppau, o. p. s.
Masarykova 342/39, 746 01 Opava
Kulturverband der Bürger deutscher Nationalität der ČR
Dům národnostních menšin, Vocelova 602/3, 120 00 Praha 2
LANDESZEITUNG
Redaktion:
Alexandra Mostýn– Chefredakteurin
Ulrike Mascher – ifa-Redakteurin
Alžběta Rubriciusová – Redaktionsassistentin
Irena Bourová - Grafik
Vladimír Trčka - LayOut
Na Dlouhém lánu 67, CZ 160 00 Praha 6
Tel./Fax: 235 365 903; Tel.: 235 354 282
E-Mail: [email protected]
www.landeszeitung.cz
Herausgeber:
Landesversammlung der Deutschen
in Böhmen, Mähren und Schlesien
Verantwortlich:
Ing. Richard Neugebauer, CSc.
Tel. 553 616 791, Handy 602 777 875
[email protected], www.troppau.cz
Irena Nováková
Tel.: 221 419 819
Veranstaltungskalender
Dienstag, 15. Mai
17.-20. Mai
LIBEREC / REICHENBERG
Lesezirkel in der Bibliothek des BGZ,
ab 13.00 Uhr.
Ausflug der Ortsgruppe Reichenberg nach
Zákupy, weiter Informationen im BGZ
CHEB / EGER
Jugendbegegnung in Tepl
Mittwoch, 16. Mai
CHOMUTOV / KOMOTAU
Brauchtum- Maibaumfällen, im BGZ,
ab 13.30 Uhr.
LIBEREC / REICHENBERG
Monatstreffen der OG Grottau,
im Rentnerklub, ab 14.00 Uhr.
Donnerstag, 17. Mai
LIBEREC / REICHENBERG
Ortsgruppe Rumburg und Schönlinde:
Muttertagsfahrt ins Blaue
Sonntag, 20. Mai
LIBEREC / REICHENBERG
Ortsgruppe Oberwittigtal, Muttertagstreffen
der OG in Weißbach a.d.T.-Bartelbaude,
ab 14.00 Uhr.
Dienstag, 22. Mai
LIBEREC / REICHENBERG
Vorstandssitzung des Verbandes,
im BGZ, ab 10.00 Uhr.
Lesezirkel in der Bibliothek des BGZ,
ab 13.00 Uhr.
Mittwoch, 23. Mai
LIBEREC / REICHENBERG
Monatstreffen der Ortsgruppe Reichenberg,
mit Vortrag und Mundart, im BGZ,
ab 14.00 Uhr.
Samstag, 26. Mai
TRUTNOV / TRATENAU
Studienausflug nach Polen: Jelenia Góra
(Hirschberg), Museum des Literatur-Nobelpreisträgers Gerhart Hauptmann Jagniatków
(Agnetendorf), Niederschlesischer Miniaturenpark in Kowary (Schmiedeberg). Anmeldung im BGZ.
BESUCHEN SIE DIE
AM SUDETENDEUTSCHEN TAG
Liebe Leserinnen und Leser, wir freuen uns darauf,
Sie am Sudetendeutschen Tag in Nürnberg (25. – 27. Mai 2012)
an unserem Stand in Halle 6 persönlich kennenlernen zu dürfen.
Mehr zum 63. Sudetendeutschen Tag finden Sie unter:
http://www.sudeten.de/cms/st/?Programm:Programmablauf
GESCHENKTIPP: Jahresabo
der Landeszeitung
Ja, ich möchte die Landeszeitung verschenken! Der Empfänger erhält
die Landeszeitung direkt ins Haus geliefert. Ich werde die Zahlung des
Abonnements übernehmen. Der Preis beträgt in Deutschland 33 Euro inkl.
Versandkosten und in Tschechien 273 Kè inkl. Versandkosten.
Die Belieferung endet nach Ablauf eines Lieferjahres automatisch,
keiner der genannten Personen muss etwas tun.
NEU: Probeabo
Trauen Sie sich!
Testen Sie die LandesZeitung!
Wir bieten Ihnen die LandesZeitung zum Probelesen an. Sie erhalten die Druckausgabe drei Monate lang (6 Ausgaben) frei Haus
Empfänger des Geschenkabos, an den die Landeszeitung ein Jahr
lang ausgeliefert werden soll:
für nur 70 CZK in der Tschechischen Republik und nur 5 Euro in
Name: .........................................................................................................
zum selben Preis. Ohne Kündigung. Nach drei Monaten endet der
Mgr. Martin Dzingel – Präsident der LV
Deutschland. Oder testen Sie unser e-Paper drei Monate lang
Versand automatisch.
Anschri:
Adresse: ......................................................................................................
Na Ořechovce 58, CZ – 162 00 Praha 6
Tel: 233 344 410, Fax: 233 344 372
E-Mail: [email protected]
Die Lieferung beginnt ab Ausgabe ............................................................
Nachname: ......................................................................................................
Die Kosten übernehme ich:
Adresse: ..............................................................................................................
Typografie und Druck:
NOVOTISK s.r.o., Podnikatelská 17, 301 00 Plzeň
Milady Horákové 391/47, 170 00 Praha 7
Die Zeitung wird mit finanzieller Unterstützung der Regierung der ČR
herausgegeben. Eine Redakteursstelle wird durch das Institut für Auslandsbeziehungen
e.V. (ifa) in Stuttgart finanziert. Mit Namen gekennzeichnete Beiträge stellen nicht
unbedingt die Meinung der Redaktion und des Herausgebers dar.
Für unangeforderte Beiträge übernehmen wir keine Garantie. Wir behalten uns
das Recht vor, eingesandte Beiträge zu kürzen. Die Auslieferung unserer
Zeitung an die Abonnenten tätigt die Gesellschaft Mediaservice s.r.o.
– Abocentrum, Vídeňská 995/63, 639 63 Brno (Tel. 541 233 232)
Reg.-Nr.: MK ČR E 7438
Redaktionsschluss für Ausgabe Nr. 12/2012:
21. 5. 2012. Erscheint vierzehntägig.
Vorname: .........................................................................................,,,,,,,,,,,,....
Name: .......................................................................................................
Adresse: ......................................................................................................
Telefon: ................................... .................. Fax: .......................................
Datum: .................................... Unterschrift: .....................................
.............................................................................................................................
.............................................................................................................................
Telefon: ...............................................................................................................
Die Bestellung senden Sie bitte an:
LandesZeitung, Na dlouhém lánu 67, CZ - 160 00 PRAHA 6
Diese Bestellung bitte an folgende Anschrift schicken:
LandesZeitung, Na dlouhém lánu 67, CZ 16000 Praha 6
Datum und Unterschrift: .................................................................................

Documentos relacionados