Johann Georg Zimmennanns Gedicht

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Johann Georg Zimmennanns Gedicht
, t N EM A R T I N R E C T O R
Gedicht
JohannGeorgZimmennanns
Die Zerstörungvon Lissabon(1756)
I
Am 1. November1755um 9 Uhr Ortszeitbebtein Lissabondie Erde.Es war ein Sonntag,und
zwar der christlicheFeiertagAllerheiligen.Die vermutlichdrei Erdstößedürtienetwader Stärke 8 auf der Richter-Skalaentsprochenhaben.Binnen 10 Minuten sankunterFlutwellenund
einederreichstenStädteEulopasin Trümmerundbegrubetwa30.000Menschen
Feuersbrünsten
von Nordafrika
undWasserbewegungen
untersich.Zur gleichenZeit wurdenErdschwankungen
verheerendste
die
von
Lissabon
Erdbeben
war
das
Wahlscheinlich
bis Skandinavienregistriert.
bis datobekannteNaturkatastropher.
ein ebensobeispiellosesgeistigesBeben in ganz
Sicher ist, daß diese Naturkatastrophe
erklärtsichausdem,wasmandie philosophische
Europaauslöste.DiesegeistigeErschütterung
Schon 1696, kurz vor dem Beginn des
könnte2.
nennen
Erdbebens
vorgeschichte tles
Bayle in seinemDiclionnairehistoriqueet
Pierre
hatteder Skeptiker
Aufklärungsjahrhunderls,
woher
erstmaligangeregt,die alteMenschheitsfrage,
critique, dasGottschedspäterübersetzte,
wie das
zu beantworten,
dasÜbel in derwelt komme,nicht mehrtheologischund metaphysisch
sich
getan
hatte'
sondern
(1691)
poetischer
Überhöhung
mit
Lost
noch Miltons Paradtse
der
Welt
es
den
das
Ubel
daß
zu
machen,
vertraut
vorsichtigmit dem emüchtemdenGedanken
Gott otfenbarnicht gebeund daßman sich folglich wohl in einel Welt einlichten
behebenden
müsse.die durchausnicht perfektund frei von Übeln sei3.
in aller Grundsätzlichkeitstellte,wal GottDer sich dieserdenkerischenHerausforderung
schdft über die
spracheerschienenen
französischer
17l0
in
fried wilhelm Leibniz in seiner
so
del Unteftitel,
neu
nachdachte,
Theodizee(ein eigensvon ihm erfundenesWort), in der er
,.überdie GüteGottes,die FreiheitdesMenschenund denUrsprungdesÜbels."Leibniz'Arguist seinSchlul]:das
entscheidend
mentationmüssenwir hier nicht im einzelnennachvollziehen;
wirkung nachdie
der
Das
war
zumindest
denkbaren'.
Theoremvon der welt alsder bestenaller
1 Vgl. T. D. Kendrick: The Lisbon Eafthquake,London 1956
2 Zim folgenden vgl. den literaturgeschichtlichenAbriß von Harald Weinrich: Litemturgeschichte eines
weltereignisses:Das Erdbebenvon Lissabon,in: Ders.: Literatur für l-eser Essaysund Aufsätze zur Literaturwisseischaft, Sturtgarru.a. 1g'll, S. 64-'76,141-193: die einführendeDarstellung der philosophischen
Debattenvon Horst Günther:Das Erdbebenvon Lissabonerschütteftdie Meinungenund setztdasDenken in
Bewegung,Berlin 199,1(wagenbachsTaschenbuch235); die kommentielte Dokumentationwichtiger Texte
von wlfiang Breiden: Die Erschütterungder vollkommenenwelt. Diewirkung desErdbebensvon Lissabon
im Spieg;l e;ropäischer Z€itgenossen,Darmstadt 1994: sowie die knappe Problemübersichlvon Wolfgang
Breiäert: Ous Eidb.ben von Lissabon und die ErschütterungseinerZeitgenossen,inl Lichtenberg-Jahrbuch
1994,S.56-67. - Vgl. auchdie Rezensionder BücherGünthersund Breidertsvon l.othar Müller in der Frankfufier Allgemeinen Zeitung vom 'l Oktober 1994' S. L 27
"Pyrrho" in: Historischesund critisches wörterbuch. Hrsg. von Jo3 Vgl. z. B. die vorrede und den Artikel
'7
hann Chr. Gottscheden.Bd. l,Leipzig l?41,S lff; Bd. 3. Lelpzlg 1743. Sp 46A-'74'7b
4 Gottfried Wilhelm Leibniz: Versuchein der Theodizeeüber die Güte Gottes,die Freiheit des Menschenund
den UrsprungdesÜbels.Übers.vonArthur Buchenau 2.Aull.' Hamburg 1968,L TeiJ' $ 8 und 25, S l0l u l03
83
jenes zwischenTheologie und Rationalismusvermittelndendeistischen
Gründungsurkunde
"Optimismus" (wieder eine sprachlicheNeuprägung)rasch philosocommon sense,der als
phischeKarrieremachte5und dem dann 1737AlexanderPopein seinemEssayon Man die
unddaherangreifbaren
Formel:
poetischeWeiheverlieh,undzwarmit derpopuldr-verkürzenden
"whateveris, is right."6
In der Tat setztenan dieserFormel Popes,zum Teil rnit bissigerlronie, die Skeptikerund
"Pessimisten"an, die sich auch durch Leibniz' epochalesMachtwort nicht
selbsternannten
hattenmundtotmachenlassen.Nicht ohneeineAttitüdeder keckenExtravaganzzähltesichzu
diesem Lager damalsauch die von Friedrich dem Großen,dem Voltaire-Freund,mit auszu
gesuchtenfranzösischenKapazitätenbesetzteKönigliche Akademieder Wissenschaften
Berlin, in der der Physikerund MathematikerPierreLouis Maupertuisdie Akten fübrte.Diese
just für jenesJahr 1755,in dem in Lissabon
Akademieschriebim Jahre1753als Preisaufgabe
über
tlie Fragenach dem Ursprungtles Übels.
aus
die Erde bebensollte,eine Untersuchung
genauerüber die Richtigkeit des LeibnizschenOptimismus.Allerdings kaschiertesie diese
offensichtlicheAnackegegendenlängsttoten,aberdurchausnichtwirkungslosenPhilosophen,
"Gefordenist", hieß
indem sie sichganzauf seinenpoetischenPopularisatorPopekaprizierte.
"die
desSystemsvon
Text der Preisfrage,
Untersuchung
esim natürlichfranzösischgehaltenen
'tout est bien'enthaltenist." Der heis ging dann an den philoPope,das in der Behauptung
A. F. Reinhard,der wie gewünscht
sophischeheruninspiriertenStrelitzschenKanzlei-Sekretär
gegendenOptimismusperorierthatte.?Dochbevordie Schriftgedrucktwerdenkonnte,fuhr der
1l755
Pamphletin die Parade;estrug denironischen
anonymerschienenes
Akademieein Anfang
Titel Popeein Metaphysiker!und machtesich, ohneüberhauptzur Sachezu reden,auf höchst
WeiselustigüberdasdurchsichtigeManöverderAkademie,die zuerst
geistreicheund amüsante
sei, einenaltenBart angeklebthabeund
dem Pope,der doch Poet und kein Systemphilosoph
"diesen falschenBafi für wert erkannt habe,emsthafteUntersuchungen
dann, so wöfilich,
und
darüberanzustellen".Die AutorendieserPersiflagewarenbekanntlichMosesMendelssohn
GottholdEphrairnLessing".
der erstenJahlÜberblicktman diesehier nur stichwortartigerinnerteOptimismus-Debatte
wie
der höchstErdbeben
von
Lissabon
daß
das
wird
sofort
verständlich,
hunderthälfte.dann
im Streit der Philosophenerscheinenmußte.Auf den erstenBlick
instanzlicheSchiedsspruch
bekommen,die dasErdbebenalssinnlich-zeichenhafte
mußtennatürlichdiejenigenOberwasser
"tout estbien" lasen,alsodie SkeptikerundPessimisten.
Aber fastmehr
WiderlegungdesSatzes
jene
ganze
Richtung
nicht
denen
die
Dogmatiker
bestätigt,
alten
religiösen
noch fühlten sich
des
alttestamenpaßteund die dasBebennun als kaum mehr erhofftes,endlichesStrafgericht
tarischenCottes über die schlechthinnigeSündhaftigkeitaller aufklärerischenFreigeisterei
ein und
deuteten:überallließensie die Glockenläuten,richtetenBußtageund Gebetsstunden
Lager
der
Leibnizschen
hatte
dagegen
das
schweren
Stand
Einen
ließenihre Predigtendrucken.
ErkliirungsverOptimisten;einige zogen sich in gänzlich moralfreienaturwissenschatiliche
und
zudck; andere,vielleichtdie nachdenklichsten
sucheund in kosmologischeSpekulationen
'Optimismus',in: HistorischesWörteöuch der Philosophie.Hng. v. JoachimRitter
5 vgl. Horst Günther:Art
und KarlfriedGründer.Bd. vl, Darmstadt1984,Sp l24l-1264.
AlexanderPope:Vom Menschen.Englischdeutsch.Ubers.von EberhardBreidert.Hrsg.von Wolfgang
Breidert.Hamburg1993,epistleI, 2941IV 394.
der BerlinerAkademieder
und Preisschriften
Preisfragen
Die philosophischen
7 Vgl. ComeliaBuschmann:
(Hrsg.):
in Berlin, Berlin 1989,
Förster
Aufklärung
in:
Wolfgang
Jahrhundert.
im
18.
Wissenschaften
s. 165-228.
DanziglT55 Wiederin:
Popeein Metaphysiker!,
lcotthold Ephriim L€ssingund MosesMendelssohnl:
Bd 6, Berlin 1890,S.409-445
c.E.L.: SämtlicheSchriften.Hrsg.vonLachmann/Muncker
84
!rii1fettr1i;aa,.
s!!.i'i*tüi&
.t
.
empfindsamslen,
die die tribnizsche Metaphysikmeist als Studentenin der katechisierten
Orthodoxie der Wolffschen Schulphilosophiekennengelemthatten, die Poetenvor allem,
artikuliertennun ihren weltanschaulichen
Hader'.
Wasdie im engerenSinnephilosophische
Debatteangehtr0,
sei hier nur an die beidenwichtigstendenkerischen
Weiterungenerinnert,die die Katastrophe
zeitigte,nämlichdie vonVoltaire
undRousseau.
Den SkeptikerVoltaireeneichtdie NachrichtEndeNovember1755in seinerVilla
"Les Delices"bei Genf.Schonam 24.November
schreibter an seinenBankiernachLyon: "Man
wird Mühe haben,zu erraten,wie die Gesetzeder Bewegungso entsetzlicheVerwüstungenin
der bestenaller möglichen Welten anrichten."t' Wenige Monate später,im Frühiahr 1756
erscheintdannseinPoämesur le ddsastrede Lisbonneou Examende cet axiome'Toutestbien'
'Alles ist gut"')'r.
("Gedichtüberdie Katastrophevon LissabonoderPrüfungjenesGrundsatzes
Der Grundtenorder knappzweihundertVersediesesphilosophischen
Lehrgedichtsist ein dopein
emphatischer
Protest
einerseits
des
Aufklürers
gegen
die unvemünftige,denMenschen
Flter:
zerstörende
PotenzderNaturgewalten;
andererseits
einenichtminderbeißendeEmpörunggegen
die Philosophiedessichallzu leichtfertigarrangierenden
Optimismusi la LeibnizundPope.Voltairegehtnicht soweit,denOptimismuskategorialzu negieren;wasihn aufbringt,ist der billigversöhnlerische
Trug der Philosophenangesichts
der Här1eder Fragen.Voltaireklagt im Namen
der leidensfthigenMenschheiteineHoffnungein, die er selbernicht siehtunddie auchder Gott
der Philosophennicht bereith?ilt.Drei Jahrespäterwird. er im Cantlide d,asThema noch einmal
nun ausheiteret spöttischerDistanz.
anschlagen,
Zuvor aberantwortetihm Rousseau,und zwar in einem zunächstunveröffentlichten,
nur
handschriftlichzirkulierendenBrief aus seinerEremitagein Ermenonvillevom 18.August
1756rr.Natürlich muß sich Rousseaudurch VoltairesKritik des Optimismusherausgefordert
fühlen. Geradedeshalbantworteter nicht immanentund inhaltlich, sondemgewissermaßen
grundsätzlichund methodisch.Rousseaugeht nicht von der FragenacheinemgerechtenGott
aus,sondemvom Menschen;und zwar nicht von dessenvollkommenemGlück, sondernvon
seinerExistenz,die sichdurchsich selberrechtfertige,von der der conditionhumaine.Wenner
vom "doux sentimentde I'existence"alsdemalleinigenMaß allenphilosophischen,
moralischen
und sozialenUrteilensspricht,dannist darin implizierl, daßder Menschzwar unp nglich gut
ist, aber verdorbendurch seineeigeneverfehlteEntwicklungund durch die Institutionender
Zivilisation. In diesemSinne argumentiertRousseauauch bezogenauf das Erdbebenzivilija manmöchteheutefastsagen:ökologisch.Warum,fragt er,wohntendie Mensationskritisch,
schenvon Lissaboneingezwängt
in zwanzigtausend
Gebäudevon sechsbis siebenStockwerken,
die ihnensozumVerhängniswurden?Die meisten,sagter,kamenum, weil sienichtgleichbeim
erstenBebenausdenHäusemsprangen,
sondernunbedingtihr Hab undGut rettenwollten.Man
sieht:Rousseauist geneigt,dasErdbebenals gerechteStrafefür dasarroganteund schuldhatie
EingreifendesMenschenin die Natur zu verstehen.
9 Vgl. den Uberblick bei Günther:Das Erdbebenvon Lissabonerschüttertdie Meinungen (s.Anm.2), passim.
l 0 Die drei an Newtons Physik anknüpfendenTraktatedes vorkitischen Kant ausdem Jahre 1756können hier
vernachlässigt werden: sie sind abgedruckt bei Breidert: Die Erschütterung der vollkommenen Welt
(s.Anm. 2), S. 97-143.
l l Zit. nach Günther: Das Erdbeben von Lissabon erschüttertdie Meinungen (s. Anm. 2), S.26. Vgl. die
kommentierteAusgabe des französischenOriginals in: The complete Works of Voltaire. Ed. The Voltaire
Foundation.Vol. 100, Banbury 1971,Nr D 6597, S.401 403.
l 2 Vgl. zum folgenden: Uwe Steiner:Voltaire oder der Optimismus. Zu einigen philosophischenund poetischenAspektenvon VoltairesGedicht über dasErdbebenvon Lissabon.Mit einer Neuübersetzungvon Voltaires"Poöme sur le ddsastrede Lisbonne",in: Daphnis, 21, (1992), S. 305-405.
Jean-Jacques
Rousseau:Brief an Herm Voltaire vom 18.August 1756.In: Rousseau:Schdften. 2 Bde. Hrsg.
von HenningRitter.Bd. l, Frankfurta. M. u. a. I98I, S.313-332.
It
II
Zu den Intellektuellen,die dasErdbebenvon Lissabonaufschreckt,gehörtauchder 27jährige
Stadtphysikusder StadtBrugg im heutigenschweizerKantonAargaunamensJohannGeorg
Zimmermann'o.Dieser,von seinerärztlichenTätigkeit in dem Provinzstädtchen
offensichtlich
nicht ausgefülltund nach Höheremstrebend,beginnt sich eben als popularphilosophischer
Schriftstellerzu etablieren.Geradehat er sein erstesgrößeresWerk, die Biographieseines
LehrersAlbrecht von Haller, veröffentlicht,und in wenigenMonatenwird eine ersteFassung
seineserst dreißig Jahre spätervollendetenHauptwerksüber tlie Einsqmkelterscheinen.15
Angesichtsder LissabonerKatastrophesieht sich Zimmermannnun auchvom furor poeticus
ergriffen,er muß darüberdichten,und zwar sofofi. Schonam I . Dezember1755(er kann die
Nachricht erst wenige Tage kennen)schreibtZimmermanneinen erstenEntwurf von ca 70
ungereimtenAlexandrinern und schickt sie an Haller, der sie offenbar "nicht ungünstig
aufnahm"r6.Gleichwohl denkt Zimmermannan eine Überarbeitung.Doch Brugger Freunde
kommen ihm zuvor und veröffentlichendas Gedicht ohne sein Wissen ebenfallsnoch im
Dezember1755unterdemTitel Die RuinenvonLlssaäonin Schaffhausen:
kurz darauferscheinen Nachdruckein Zürich und Potsdamrr.
Ein guteshalbesJahrspäter,EndeJuli 1756(alsodreiMonatenachVoltairespoem)erscheint
in Zürich die zweite,vollständigüberarbeitete
FassungdesGedichtsunterdem neuenTitel Dle
Zerstörungvon Lissabon'o,versehenmit einerdoppeltenEinleitung,einer8seitigenWidmung
andenBernerPatrizierAbrahamFreudenreich,
undeinerl6seitigenVonede,in derderVerfasser
weitläufigdiesenseinen"erstenVersuchin derDichtkunst"begründet.Doch auchdie 315Verse
desGedichtesselbersind mit etwa50, zum Teil halbseitigenFußnotenversehen,die eineFülle
vonAnspielungen,RealienundPersonalien
erläutem,mündlicheundgedruckteQuellenzitieren
und sich nicht seltenin inhaltlichenExkursenverlieren.
GleichzeitigveröffentlichtZimmermannim selbenVerlagein weiteres,83 Verseumfassendes Gedichtmit dem Titel Gedankenbei dem Erdbebendqs den 9. Christmonat1755in der
Schweizverspühret
worden".Es ist ein SeitenstückdesLissabon-Gedichts,
ausgelöstdurchein
fünfWochennachder portugiesischen
Katastropheauchin der SchweizregistriertesErdbeben;
in seinemgedanklichenGehaltbringt es nichtsNeues.Für die Beurteilungvon Zimmermanns
Reaktionauf dasgroßeBebenkönnenwir eshier ebensovernachlässigen
wie die ersteFassung
seinesLi ssabon-Gedichts'o.
ZimmermannsGedrchtDie Zerstörutlgvon Lissabonist seitseinerErstveröffentlichung
nie
wieder vollständiggedruckt'' und bis heute,wenn überhaupt,nur oberflächlichund wider14 Als Gesamtdarstellungimmernoch unentbehrlichist die zuverlässigrecherchierteArbeitvon Rudolf lscher:
JohannGeorg Zimmemann's Leben und Werke. LitteraturhistorischeStudie,Bern 1893.
15 JohannGeorg Zimmermann: Das Leben des Herrn von Haller, Zürich: Heidegger 1755.- Ders.: BetrachtunSenüberdie Einsamkeit,
Zürich 1756. Ders:Uherdie Ern\ünrkcrt,
4 Bde.,Leipzig 1784/85.
16 Zit. nach lscher: Zimmermann (s. Anm. 14) S. 236.
17 Dem Vi lag vor : Die Ruinen von Lissabon,besungenvon Dr JohannGeorg Zimmermann,Stadt-physikus
in Brugg, Zürich, bey JohannKasparZiegler, 1755.4 S. (AargauischeKanronsbibliothek,Sign. S. l1 q (0).
l8 Die Zerstörxng von Lissabon. Ein Gedicht von D. Johann Georg Zimmermann. Stadtphysikusin Brugg,
Zürich, bey Heideggerund Compagnie 1756.[25 unpaginierteplus] 36 S. Nach dieserAusgabewird im folgendenunter Angabe der Seitenzahlzitiert.
19 JohannGeorgsZimmermann Gedankenbei dem Erdbebendasden 9. Christmonat 1755in der Schweizverspühretworden. Zürich, bei Heideggerund Compagnie.Im Jänner 1756.8 S
20 Vgl. JohannGeorg Zimmermann: Die Zerstörungvon Lissabon.Die Ruinen von Lissabon.Gedankenbey
demErdbeben.1755 1756.Miteiner Nachbemerkungneu lusg. von MartinRector und MatthiasWehrhahn.
Hannover 1997(= VergesseneTexle des 18.Jahrhunderts.Heft 5).
2l Vgl. die Auszügein: JohannGeorgZimmermann.Mit Skalpell und Federkiel- ein Lesebuch.Hrsg. von AndreasLangenbachet Bern etc. 1995,S. XXX.
86
r{
sprüchlichkommentiertworden.Der Zimmermann-Biograph
Rudolf Ischerbeschränktesich
1896 auf folgende' den gedanklichenAufbau und die Argumentationsstruktur
des Gedichts
ignorierende,schlagwortarige
Inhaltsskizze:
"Er
Id i Zimmermann, M.R.] häuft Gedankenund Bilder so viel als möglich. Das Erdbebenselbstnimmt
verhärtnismässignuf einen ganz geringen Raum ein. Das Meiste ist Reflexion über gute
und schlechte
Fürsten.über die verderbnis der sitten, über wollust und Intoleranz.Besondersschaif tritt
er aufgegen
den Katholicismus, speziell gegen die Inquisition. Eine Ermahnung zum tugendhaftenLeben
uÄ ier
Hinweis auf die Ewigkeit bilden den Schluß."::
um so apodiktischerfällt Ischersästhetisches
werturteil aus:,.Die Diktion des Gedichtesist
prägnanz,
hallerisirend,aber ohne Haller's
der Stil pomphaftund hochtrabend.das Metrum
unschön[...]. Es ist als Kunstwerkbetrachtet,ziemlichwerthlos,und man begreiftnicht recht,
wie Breitingeres so überschwänglichloben konnte."23
An andererStelleheißt es lapidar.das
Lissabon-Gedicht
sei "das Schwächste.
waserje geschrieben
hat.,'ra
Inhaltlich genauerund in der wertung zurückhaltenderäußertsich 1974 der Germanist
"DasLehrgedicht
ChristophSiegristin seinemStandardwerk
clerAufklärung",wo er dasGedicht
jedoch nur am Randestreift,weil es,andersalsvoltairesLissabon-Gedicht,
wegenseinesüber_
wiegendbeschreibenden
Duktusnicht eigentlichzum "Lehrgedicht"zu rechnensei;gleichwohl
entdecktsiegrist bei Zimmermanneinen "didaktischenAnstrich,indem das historischwahre
nicht als solchesbestehenbleibt"; nachanfünglichersinnlich-emotionaler
Erschütterung
ziehe
der Verfasserschließlichzur Beruhigungauchseinereigenenvemunft die Lasterder Einwohner Lissabonszur Begdndung desErdbebensheran,womit, so siegdst wörtlich, ,das außerordentlicheEreignissanktioniertist", will sagen:nicht alsBeweisfür dasFehleneinervemünf_
tigenWeltordnungakzeptiertwird,s
Dagegenist es ausgerechnet
der philosophHansGünther,der 1994in seinemeinführenden
Abriß der Lissabon-Theodizee-Problematik
aus ästhetischenGründen auf Zimmermanns
Gedichthinweist.Günthersieht darin clenversuch,die orlhodoxfrühaufkliirerischen
vorstel_
lungenvon Tugendund Laster,Lohn und strafe zu bestätigen,sieaberzugleich,,ausder moralischenNutzanwendung
in die Sphäreerschütterter
BetrachtunggroßerBilder zu heben";womit
bereitsdie "Bedingungenfür dasGefühl desErhabenen"gegebenseien,dasin diesenJahren,
vor ällem durchBurke,psychologischerklärtwerder6.
III
wie nun also?Nimmt ZimmermannsGedichtdasErdbebennur zum Anlaß einerchristlichen
strafpredigtohneweiterenkonsistenten
gedanklichen
Gehalt,wie Ischerbehauptet,
oderbelehrt
es uns zur Theodizee,obwohl eskein Lehrgedichtist, wie Siegristmeint,oderist es vor allem
dasDokumenteinerästhetischen
Emphasedesunfaßlichen,wie Günthernahelegt?vergegenwärtigenwir uns,um denSachverhaltzu klären,zunächstdenGedankengang
desGediclts. Er
vollzieht sich in fünf Schritten.
Der ersteAbschnitt (vers l-25) bietet eine theologischeperspektivierung.Zimmermann
beginntnicht mit dem im Titel angekündigten
historischenGeschehen
selbst,sondemmit einer
ErläuterungdesGesichtspunktes,
unterdem er esbetrachtenwill. Er kleidetesin die MetaDher
desJüns:tenCerichrs:
22 EM.,S.240.
Ebd.,s. 2,10t
24 E b d .s,. 5 1 .
25 Christoph
Siegrist:
DasLehrgedicht
derAufklärung,
Sruttgarr
1974,
S.47t
26 Günther:
DasErdbeben
vonLissabon
erschünert
dieMeinungen
(s.Anm.2),5.22.24.
87
-.
r'.G44::,i
I
"Wann sich der Himmel neigt, wann JEsus im Triumfe
Zur Erde wieder kehrt, und vor ihm her der Sturm,
Gewitter hinter ihm, Gericht und Straf verkünden;
Dann wird ein bangerGraus durch alle Völker gehn, [...]
So starrteLisbons Volk t...1" (S.2)
die
Der jüngsteTag, heißt es dann,ist zwar gewiß,aberer kommt doch immer überraschend,
"großenTag"des"Schicksals",
verdrängen
meist
nicht
darauf
vorbereitet,
sie
den
Menschensind
geblendetvon Sorglosigkeitund Reichtum.Exemplarisch(und um diesestheologischeExempel ist esdemVerfasserzu tun) zeigesichdasam aktuellenFall der im Gold ihrerbrasilianischen
Einwohnervon Lissabon.
Kolonie schwelgenden
"erzählt" danndasSubjektdesGedichts(dasmankaum als
Im zweitenAbschnitt(26-107)
"lyrischesIch" bezeichnenmag, weil es offensichtlichmit der PersondesVerfassers
ZimmerAusmalungder zusammann identischist) das Erdbebenselber;es ist eine emotionsgeladene
menbrechendenPalästeund Häuse1der Flutwelle und der Feuersbrunst,angereichertmit
stetsgrundiertvon der eingangsformulierten
quellenbelegten
Details und Einzelschicksalen,
Wertung,und zwar mit expliziter Stoßtheologischen,genauer:christlich-protestantischen
"wahre
richtunggegenden Katholizismus,der sich mit Weihrauch,Opfer und Ablaß überdie
Buße"hinwegheuchleund dieseHeucheleisogarinstitutionalisierthabein Gestaltder heiligen
Inquisition.vor der selbstdie Thronezilterlen.
undoriginellen,gleichDasStichwort"Thron" liefertdenÜbergangzu demübernschenden
auchnur erwähntendrittenAbschnitt(108-211),der
wohl in keinerder zitiertenInterpretationen
unvermitteltdie politischeLehreder Katastropheformuliert.Siebestehtin einerAnredean den
"großen Fürsten",der auch namentlich"Josef'genannt wird, also an den
Monarchen,den
damaligenKönig Jos6II., der daspolitischePortugalzielstrebigauf den gesamteuropiüschen
Standardvon Absolutismusgebrachthatte.DiesenMonarchen,dessenäußereHerrlichkeitin
ja demütigbewundernder
Schuttund Asche liegt, sprichtZimmermannnun in ehrerbietiger,
der
Katastrophe
zu fragen:
ihn
nach
seiner
Empfindung
angesichts
Gestean,um
"Erkliü' mir, goßer Fürst, dem so viel Völker dienen,
Und beyder Welten Raum [d.i. Europa und Südamerika,M.R.] doch nicht zu enge war /
was sagtedir dein Herz in dieserTodes-Stunde'1"
Doch die Antwort des Königs in ihrem Tenor vorwegnehmendschiebter dieserFrage,als
erübrigesie sich,sogleichdie Versicherungnach:
"Es war von Menschlichkeit und wahrer Großmuth voll" (S. l8)
Monarchals ein Vorbild an Fürsorgefür seinnoch
In der Tat erweistsich der so heimgesuchte
Volk, dessenLeid ihn überallesj ammert.Aus diesemJammeraber,
heimgesuchtes
verheerender
und darinbestehtseineGröße,trösteter sichund seinVolk sogleichmit dem weltanschaulichen
"das nicht dereinst noch nützlich
Dogma des Optimismus, daß es kein Unglück gebe,
wird"(S.20). In diesemSinne versprichtder König nun, geläutertdurch das Unglück seiner
in der "steterFriede"(S.20) herrUntenanen,die ErrichtungeinerneuenGesellschaftsordnung,
"kein
sclavischesGemüth"mehr den Nackenbeugensoll: der Anblick der Ruinen,
schenund
bekehrtden"gutenFürsten"zu "Menschlichkeif'(S. 2l ).
Tal
der
Tränen
das
politischenWirkung desUnglücks,dasder König gibt,
DiesesBeispieleinersegensreichen
"GrossendieserErde"(S.2l
verallgemeinertZimmermanndannzu einemAufruf an alle
), die
zu besinnen
er ermahnt,sichauf die Außerlichkeitund Flüchtigkeitaller sozialenUnterschiede
durch "der WesenReih" zieht,durch die sie
und zu bedenken,daß sich eine Schöpfungskette
"ein
König und ein Wurm."(S.23) Zugleicherklärter damit auchdie politische
alle gleichsind,
KatharsisdesKönigs als FolgeeinesprimärreligiösenUmkehr-Erlebnisses.
88
!,i:
Doch erstnachdiesem,sichvon der historischenurkundeweit entfemenden
Exkursüberdie
aus der Katastrophezu ziehendepolitischeLehre nimmt Zimmermannnun in einem vierten
Abschnitt(212-282)die anftnglicheBlickrichtungwiederaufundentwickeltseinetheologische
DeutungdesErdbebens.Dennerstnun, besänftigtund beruhigtdurchdasExempeldes.?uten
Fürsten",kanner die großeaffektiveErregung,die nochseineteilnehmendeBeschreibunsdes
unglücks im zweitenAbschnittbestimmte,temperierenund sichzu einervemünftigenReÄexion überSinn und Grundder Katastrophehindurchläutern:
"Nun winkt mir
die Vernunft mit sanfterKraft hinwec:
Sie hohll de\ UebelsCrund.der Porrugallbefallen.
ln Frömmigkeit verzückt, von seinenSündenher" (S. 23)
Die sichin diesenwortenschonabzeichnende
DeutungdesErdbebens
alsreligiösesstrafgericht
ist nun im Kontextder zeitgenössischen
wirkung durchausnicht originell.Bemerkenswert
aber
ist der Modus, in dem ZimrnermanndieseArgumentationhier vorführt. sie basiertauf einer
forciertenZusammenführung,
ja Ineinssetzung
von vemunft und Frömmigkeit:die .,vemunft',
des verfassers,heißt es in der soebenzitiertenAnfangspassage,
ist selber,.in Frömrnigkeit
verzückt".zimmermannreklamiertalsoohneweitereBegründung,sondem,wie es scheini,in
wege der reinenSetzung,seinetheologische,von FrömmigkeitgeleiteteDeutungals nicht nur
nicht im widerspruchmit der aufklärerischen
vemunft stehende,
sondernals mit ihr identische.
In den folgendenversen aber wird diese Ineinssetzungvon vernunft und Frömmigkeit als
vorweggenommenes
Ergebniseineszweiphasigenverlaufsprozesses
im sprechenden
subjekt
selbererkennbar.Zuersterklärt er wie erwartetdasErdbebenals gerechteStrafeGottesfür die
in ihrem Reichtum und überfluß der sündhaftigkeit,insbesondereder wollust verfallenen
Lissabonner:
"Gerechtigkeit[...]
verdrang der Langmuth Triebe;
Der Heü schlug in den crund die Stadt,die von ihm wich', (S. 23)
Dannaberschlägter sichmit emphatischer
Gebärdeder selbstkdtikandie eigeneBrustundruft
sich selber zur "Vernunft" auf, die sein urteil freihalten solle von allen .,betriegerischen"
"Leidenschaften",
und zwar besondersvom größten"Gift" der Menschheit.clemverfluchten
"Eifer" (s.
26). Damit aber ist nichts anderesgemeintals jener religiöseEifer, jene selbsr
gerechtigkeitder Frommen,dererer sich serber,wie er nun erkennt,in seinererst"n soontanen
und affektivenVerdammungder Einwohnervon Lissabonschuldiggemachthat:
"Sag
mir, betrognerGeist, der Lisabon verdammt.
Weil GottesWege stetsderWelt verborgenbleiben,
Wo lebt das Volk das nicht ein gleichesSchicksalreizt?"
(s. 27)
Es wäre also nur selbstgerechtes
Eifertum,so lautetdasFazit von Zimmermannspersönlicher
Selbstreflexion
undSelbstbezichtigung,
wenner (undjeclermann)
sichüberdasStrafgericht,das
die Lissabonnerereilte,erhebenwollte, da er (undjeclerMensch)esdochin wahrheit genauso
verdienthätte.Die Fragekannalsonur nochlauten,warumesunterdenen,die allemalsünder
sind,ausgerechnet
die Lissabonner
getroffenhabe.Auf dieseletztevon ihm selbstaufgeworfene
Frageabergibt Zimmermanndie Antwort, daßder MenschdaraufkeineAntwort gebenkönne:
"Genug, im Finstem
liegt für uns des Uebels Grund', (S. 32)
Die Einsichtin die UnerforschlichkeitdesgöttlichenRatschlusses
verbietetes,soZimmermamdie freche,ja frivole Fragenachden Gründendesübels in der welt zu stellen.Die Menschen
könnenund sollennur wissen,daßein Gott ist, der straft,nicht aber,wann,wärumund wen er
straft oder nicht straft.Am Endedieser"vemünftigen",also von selbstgerechtem
Eifer freien
theologischenDeutung der Katastrophesteht daher die ausdrücklicheZurückweisunsder
89
oder
"dialectischen", also tlie Existenz eines vernünftigen Gott bezweifelnden
sesamte;
desErdbebens:
i."n"""d.t oftl"tophischen Erörterung
Wege;
seine
"wir sehndesSchicksals
Ziel'undmissen
Stolz
lächerlichem
mit
nur
r-us;"iti; rtaut"t
ergründen'
ii.i.l"a o" *trt' ""d colrin Dunkelheir
Tag'
nächsten
den
an
*ittn
bis
lJre"ri"l"
äin
'ai"ii."i"itog""
plagen:rS 32f)
ti"h mirDialectic
Kritik im Namenetner
Skepsis-und
Exorzismusalleraufkltirerischen
Nachdiesemkasuistischen
Abschnitt(283-315)
ziäireÄann in tintt l"t'ttn undfünften
vemünftigenFrömmigteituteiut
was man als christliches
;;;;lg;;;i"ernden.Behetzigüngnur noch die Formulterung"ttt'
sondemausder^in
u"'?em FaktumdesErdbebensselber'
fabuladocetgenaug"no-rn"n nt"t.tt
müsse'ser
VerarbeitungdiesesFaktumsentnehmen
scnrittweisen
vorgeführten
Gedicht
diesen.r
nicht bedürten
tt *"itit"t' diesesscilrecklichelMenetekels
die Erkenntnis'daß der Mensch
Gott seiebennichts
ftoli*ut 'utütUuniehen zu Gott;denn
sollte,um ausseinemintettetttu"tt"n
habe er den
""t a"r Verzweiflung fließt"' vielmehr
gelegenan dem Glauben' o"''"il"l"
lläurnit uus eignerWahl zu-ihm-dein Herz sich hebe" Zu
Freihert
die
,tr"otn'
Menschen
derenEintreten
tt'J' nitttt tt't iä Ang"tl"ht der Katastrophe'
beherzigensei daher,Oull"' not
Anlaß'
denspektakulären
tuJ' to"Ji'n sofortundlederzeit'ohne
ungewißsei,Reueunonurc 'o
sensibel
Menschen
onüi"rsehbareMähnungLissabondie
In diesemSinnekönn" una 'off" äi"
Gottes:
Stimme
vernehmbare
.achen für die täglichund überall
irä.äni"lttln
"Merk auf den Schall' clerstetsuns zur Bekehrungruft! (S 35)
"ziemlichwertlos"' undzwarnicht
in derTat
Lissabon-Gedicht
Zimmermannns
ist
Künstlerisch
die Ischer
""0 der holprigenreimlosenAlexandriner'
nur wegen der pathetischennf'"t"'X
emsmimmt'
und
bekennt
ti"ftt "ls Kunstwerk
sonde,nuo' utt"t' *"lt "' Jtft *fUtt
bemängelte,
veranlaßtsieht,die
riilauttiri-ng, .ono"* .ich.permanent
auchnicht arsein Let rg"oict t oel
o"ittellung mit einerngeradezuüberbordenden
Wahrheitder eigenenpoetisch-"itt"iiJ""
zu beglaubigen lnsofern ist das
g"*it'"tmurt""'i iutt'*it'"nt"ttutttich
Anmerkungsapparut
cedichtnichtmehralsder"r*" rti'Lr,"
luicT..p:lTrp^,11:
einesehrgeizigen
versuch
zu profilieren' aufgehängtan elnem
sich auch in der schönenLiteratur
;öt;;;;tt.
ebendem Erdbebenvon Lissabon'
Gegenstand'
sünstigen,weil Aufsehenerregenden
Gehalts'und
."io", pt ito*phisch-theologischen
VonInteresseist ou. c"ai"t t uttlln"*lg"n
das
Breitinger
Jacob
wie Johann
;l.m;;*"t'rtltlttt
J;;
wenn Ischersich wundert,d"ß
Inhalt
den
ti"tt oi" künstlerischeForm, sondem
auctrs."l;;;
Gedichtlobt, soübersiehter,daß
1756an Zimmermann:
tchrieb Breitingeram 12 Oktober
ä.äWlafnh
Probestückirr den deutschen
"Nur schade' dass Sie sich's nichl haben beifallen lassen',dieses-erste
";ll\:J[::;'l
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Rang,
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Bffi:t$ä;ffi;;:äffiffi;;;*0.;
i-zit
90
Georgzimmerzitien nachEduardBodemann:Johann
no"ntnn , (s. Anm 14), s 63' der seinerseits
mann,Hannover1878'S l84'
I
rl
tl
dasheißtgegendie WolffscheSchulegerichteterundin diesemSinneaufder Seite
neologischer,
Klopstocksund BodmersstehenderGehalt.Zwar hattenauchder früheAufklärungsphilosoph
ChristianWolff und seineSchülergefordert,die Dogmender Kirche dem Urteil der kritischen
Vernunftzu unterweden,doch hattensie dabeidie Kategorieder Vernunftrein formallogisch
unddeshalbauchdie christlichenDogmengeltenlassen,soweitihnenformallogische
verstanden
"Neologie" dagegen,wie
Denkmöglichkeitzukam.Die Lehre der sogenannten
sie vor allem
JohannJoachimSpaldingin seinerBestimmungdesMenschen(1748)formulierte,spaltetedas
Bibel- und Dogmenlritik
Problem auf in eine objektive, historischeund wissenschaftliche
geprägte
Gefühlsfrömmigkeitandererseits,
einerseitsund eine subjektive,starkmoralisch
die
"vernünftige"
Gewissens-und Glaubensfreiheit
beanspruchte.
somit eineweitergehende,
Die Stimmedieseralle historischeDogmenkritikhintersichlassenden
subjektivenGefühlsfrömmigkeithört Breitingerin dem GedichtdesjungenZimmermann,und sie ist es,die ihn in
"neologischenHelikon" macht.Mit diesem
seinenAugen zu einem Kandidatenfür den
einvemehmendenLob verfolgt Breitinger offensichtlichauch eine weitergehendestrategische
Literaturstreit,den er seit vielen Jahrenzusammenmit
Absicht in dem alles behenschenden
seinem Zürcher GefährtenJohannJacob Bodmer gegendie Leipziger um den Wolffianer
überdie Rolle desWunderbarenund die produkGottschedausträgt.In diesemGrundsatzstreit
tiven Freiheitenvon Einbildungskraftund Phantasiein der Dichtungnlimlichhatteder Schwei"großen
zer Albrecht von Haller, den Breitinger hier artig als Zimmermanns
Lehrer" apostrophiert,sichnicht soeindeutigwie gewünschtaufdie Seiteder Zürichergestellt,obwohlihm
Breitingerschon1744bescheinigthatte,daßer dasGemütdesLesersintensiveraffizierealsdie
WennBreitingernun demjungen Haller-Adepten
regelm?ißigen
Verseder Gottsched-Schule'3.
Zimmermannapplaudiert,soversuchter ihn damitzugleichvon seinemMentorwegund aufdie
eigeneSeitezu ziehen.
Absichtenspürt Breitinger durchauszuDoch auch abgesehenvon diesenstrategischen
treffend,daßderjungeZimmermann,wennüberhaupt,eherein DichterdessubjektivenGefühls
Regelpoesie
zu werdenverspricht.DasGedichtist zwar (undhierin ist
als der rationalistischen
Lehrgedichtangelegt,aberesist
esin derTathallerisierend)alsein philosophisch-theologisches
ja
als solchesbewußtsubjektiv, man möchtehistorischvorgreifendsagen:als Erlebnisgedicht
gefaßt.Denn im Grundehat es nicht dasErdbebenvon Lissabonund die Frageder Theodizee
zum Inhalt, sonderndie Verlaufskurveder durch das ErdbebenausgelöstensubjektivenEmpfindungendesVerfassersselber DiesesSubjektsprichtdaherauchnicht etwa von der Warte
aus,es präsentiertsich überhauptnicht als stabile
seineram Ende erreichtenUberzeugungen
Urteilsinstanz,sondernesthematisiertsichim Gegenteilbewußtselberalsein innerlichbeweg(diestrukturellderdesKönigsanalogist) zu der
tesundmachtseineinnereBekehrungsdynamik
Lehre,die es mitteilen will. Mehr als der theologischeInhalt dürfte es geradedieseErlebnisSubjektivierungsein,die BreitingersLob erklärt.Sie ist jedoch kaum, wie Günthervermutet,
eineEvokationdesErhabenen,dennihr Pathosentzündetsichnicht an der Erfahrungder übermächtigenObjektwelt,der Natur,sondeman der Beobachtungder Bewegbarkeitund Bewegtheit der eigenenSeelenkräfte.Breitinger subsumiertdiesePsychologisierung
unter die neogehe
Zimmermanns
logischeKritik an der rationalistischenOrthodoxie,doch es scheint,als
Gedicht,wie bewußtauchimmer,noch einenSchrittweiter.Denn sein geradezufundamentaMementoder allgemeinenSündhaftigkeitundNotwendigkeitzur Buße
listisch-protestantisches
eshatstrukturellpietistische
richtetsichnichtnurgegendie katholischeSündenvergebungslehre,
pietistische
gibt
es
keine
Zeugnisse,
die
Einflüsse
beim jungen Zimmermaln
Züge. Bisher
empirischbelegen.Hier sollensolcheEinflüsseauchnicht behauptetwerden.Es soll nur fest-
28 JohannJacobBreitinger: Vertheidigungder schweitzerischenMuse Hm. D. Albrecht Halleß,Z'ijich 1744.
9I
demMusterdespietistischen
gehaltenwerden,daßder innereAufbau seinesLissabon-Gedichts
psychoderAbfolge von äußererErschütterung,
verblüffendnahesteht:
Erweckungserlebnisses
Bußkampf
und
Gnadendemütiger
Selbstzerknirschung,
Gewissenserforschung,
logisierender
Zimmermannein neues
durchbruch.Vielleichtfülltauchaufdie bizarrePsychologiedesspäteren
Licht, wenn man sich vor Augen hält, daß er in seinererstenund einzigennennenswerten
dem Publikum nichts Geringeresanvefiraut,als das innereErlebnis
poetischenJugendsünde
Heilsgewißheit.
und
seinerWiedergeburt

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