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Insolvenz
Wenn die Pleitegeier kreisen
Von Corinna Budras
08. November 2006
Die Mitarbeiter fühlten sich verraten und verkauft, als sie die
Nachricht hörten: Fast auf den Tag genau ein Jahr hatte das
taiwanische Unternehmen BenQ nach dem Kauf der
Handy-Sparte von Siemens durchgehalten, bis es schließlich
für seine deutsche Tochtergesellschaft BenQ Mobile Insolvenz
beantragte.
Wenn dieses Schild erscheint, ist es für
die Arbeitnehmer oft zu spät
Auf den Schock einer solchen Nachricht folgt meist eine
aufgeregte Suche nach dem Schuldigen - oft das eigene
Management. Im Fall BenQ zeigten die Finger der Mitarbeiter außerdem gen München: zur
Zentrale des deutschen Großkonzerns Siemens.
Seitdem überschütten die Mitarbeiter in ihrer Not den Betriebsrat täglich mit Fragen.
„Viele Kollegen haben noch gar nicht verstanden, was die Insolvenz für sie bedeutet“, sagt
die BenQ-Betriebsratsvorsitzende Susanne Hahlweg. „Hier herrscht der absolute
Ausnahmezustand.“
„Meist stellt sich blanke Angst ein“
Der Arbeitsrechtler Stephan Altenburg von der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek kennt
solche Situationen aus seiner beruflichen Praxis: „Über allem steht die Sorge um den
Arbeitsplatz. Meist stellt sich die blanke Angst ein, gemischt mit einer Wut auf die
Geschäftsführung.“
Zumindest für einen Zeitraum von drei Monaten vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
ist das Gehalt gesichert. Dafür springt die Bundesagentur für Arbeit ein, die die
Finanzierung des Insolvenzgeldes übernimmt. Grundsätzlich wird es erst nach der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens gezahlt, dann aber auf einen Schlag.
Doch monatelang keinen Cent zu sehen kann Mitarbeiter ohne finanzielles Polster vor
echte Probleme stellen: Wer begleicht bis dahin die Mietkosten, womit sollen die Einkäufe
bezahlt werden?
Rechtzeitig Insolvenz beantragen
Deshalb könne der Insolvenzverwalter in solchen Fällen einen Antrag auf Vorfinanzierung
stellen, rät Horst Piepenburg, Vorsitzender des Insolvenzrechtsausschusses des Deutschen
Anwaltvereins (DAV). Dazu müsse er jedoch darlegen, daß mit der Vorfinanzierung des
Geldes durch eine Bank Arbeitsplätze erhalten werden können.
"Für Arbeitnehmer ist es deshalb wichtig, daß der Insolvenzantrag rechtzeitig gestellt
wird", betont der Düsseldorfer Insolvenzrechtler. Oft geschehe dies jedoch erst, wenn es
schon zu spät sei und der Betrieb nur noch stillgelegt werden könne. Dabei können
grundsätzlich auch die Arbeitnehmer selbst einen solchen Antrag stellen, wenn das
Unternehmen mit den Gehaltszahlungen in Verzug gerät.
Auch nach der Eröffnung besteht für Arbeitnehmer noch der Trost, daß ihre Ansprüche auf
Zahlung des Gehalts vor den Forderungen der anderen Gläubiger beglichen werden. Sie
sind als sogenannte Masseverbindlichkeiten bevorzugt zu behandeln.
Alter Arbeitgeber, neuer Verhandlungspartner
Doch selbst diese Privilegierung kann kaum beruhigen: Wer weiß schon, ob es der neuen
Führung wirklich gelingt, den Betrieb wieder auf Vordermann zu bringen? „Als
Insolvenzverwalter sollte man sich immer die Frage stellen, wie viele Arbeitnehmer
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gerettet werden können, wie viele Mitarbeiter ein Unternehmen vertragen kann“, erläutert
Piepenburg.
Dabei ist nach Ansicht von Altenburg grundsätzlich klar: „Ein Unternehmen kann in den
seltensten Fällen in der bisherigen Personalstärke weitergeführt werden.“ Ein
Arbeitnehmer sollte deshalb genau analysieren, wie seine Zukunftschancen aussehen: Wie
profitabel arbeitet der eigene Betriebsteil? Wie gut geht es der gesamten Branche? Wie
groß sind die Chancen, daß das insolvente Unternehmen gekauft wird und damit saniert
werden kann?
Eine Insolvenz selbst hat grundsätzlich zunächst keine Auswirkungen auf das
Arbeitsverhältnis. Allerdings sitzt dem Mitarbeiter auf der Arbeitgeberseite nun ein anderer
Verhandlungspartner gegenüber: Nicht mehr die alte Geschäftsführung steht für die
Erfüllung des Arbeitsvertrages gerade, sondern der Insolvenzverwalter.
Kündigungen werden leichter
Auch die Kündigungsfrist verkürzt sich auf maximal drei Monate zum Monatsende. Ebenso
braucht der Verwalter keine Rücksicht mehr auf tarifliche Unkündbarkeitsklauseln zu
nehmen, die Mitarbeiter von einem bestimmten Alter an mit der entsprechenden
Betriebszugehörigkeit vor Entlassungen schützen.
„Die erleichterte Kündigung gilt jedoch nur eingeschränkt“, betont Altenburg. Auch
bankrotte Unternehmen müssen darauf achten, daß ihre Kündigungen sozial gerechtfertigt
sind.
Außerdem muß der Arbeitgeber grundsätzlich einen Sozialplan vereinbaren, in dem die
Abfindungen für die gekündigten Mitarbeiter festgelegt werden. Im Gegensatz zu den
üblichen Sozialplänen außerhalb der Insolvenz sind diese jedoch zum Schutz des
Gläubigers gedeckelt: Während die Vereinbarungen bei zahlungsfähigen Unternehmen bis
zum Rand der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gehen können, liegt die Grenze hier bei
2,5 Bruttogehältern.
Widerspruch nicht unbegrenzt möglich
Ist die Situation so verworren wie nach dem Verkauf der Siemens-Sparte an BenQ,
schöpfen die Arbeitnehmer oft Hoffnung, wieder zu ihrem alten Arbeitgeber zurückkehren
zu können. Dabei hilft ihnen eine Regelung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Paragraph
613a), die bei Betriebsverkäufen den Mitarbeitern die Möglichkeit gibt, dem Übergang
ihres Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber zu widersprechen.
Mitunter geht das sogar noch Monate nach dem Verkauf, wenn die Mitarbeiter falsch über
die Details der Transaktion informiert wurden. Dabei hat das Bundesarbeitsgericht kürzlich
die Pflichten der Unternehmen weiter verschärft (Az.: 8 AZR 303/05).
Der alte Arbeitgeber muß den Mitarbeiter dann wieder zurück ins Boot holen - hat aber die
Option, ihn in das kalte Wasser der Arbeitslosigkeit zu schubsen, wenn er keine
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für ihn hat. Diesen Weg wollen derzeit auch viele
ehemalige Siemens-Beschäftigte beschreiten.
Sie müssen dazu allerdings beweisen, daß sie vor rund einem Jahr über den
Betriebsübergang getäuscht oder zumindest nur unzureichend darüber informiert wurden,
denn die übliche Frist zum Widerspruch beträgt einen Monat und ist damit für sie schon
abgelaufen.
Transfergesellschaften als Chance?
Doch auch die Möglichkeit, den Übergang des Arbeitsverhältnisses wieder rückgängig zu
machen, hat ihre Grenzen. „Es besteht die Gefahr, daß Arbeitnehmer dieses Recht
verwirken“, betont Altenburg.
Dies kann etwa dann gelten, wenn sie monatelang bei dem neuen Unternehmen
verbringen, ohne auf die Idee des Widerspruchs zu kommen - bis es Insolvenz anmeldet.
Das Landesarbeitsgericht München habe in einem kürzlich entschiedenen Fall
angenommen, daß der Arbeitnehmer nach acht Monaten Untätigkeit keinen Widerspruch
mehr einlegen kann, sagt Altenburg, der an dem Verfahren beteiligt war (Az.: 2 Sa
990/05).
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Die Revision wurde zugelassen, so daß sich nun auch das Bundesarbeitsgericht bald damit
beschäftigen könnte. Neben all diesen offenen Fragen müssen sich Arbeitnehmer in der
Insolvenz auch immer wieder neuen tatsächlichen Herausforderungen stellen. Bereits seit
Jahren wabern in solchen Situationen auch immer wieder Vokabeln wie
„Transfergesellschaft“ oder „Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft“ umher.
Kein Transfer gegen den Willen der Mitarbeiter
Dahinter verbirgt sich ein arbeitsmarktpolitisches Instrument, mit dem der
krisengeschüttelte Betrieb wieder interessant für den Verkauf gemacht werden soll. Dabei
werden die Mitarbeiter in eine unabhängige Gesellschaft transferiert, wo sie sich im besten
Fall weiterbilden können und schließlich an einen neuen Arbeitsplatz weitervermittelt
werden.
In dem insolventen Unternehmen bleiben hauptsächlich die Betriebsmittel zurück, die
einfacher verkauft werden können. Gegen den Willen der Mitarbeiter könne diese
Konstellation jedoch nicht durchgesetzt werden, betont Altenburg.
„Insolvenzverwalter sollten deshalb nicht auf Konfrontationskurs mit dem Betriebsrat
gehen“, rät der Münchner Arbeitsrechtler. „Sie können nur erfolgreich sein, wenn es eine
Struktur gibt, bei der die Arbeitnehmer nicht auf der Strecke bleiben.“
Text: F.A.Z., 04.11.2006, Nr. 257 / Seite C2
Bildmaterial: dpa
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