Ist die Werbung plötzlich rezessionsfest?
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Ist die Werbung plötzlich rezessionsfest?
trends m ersten Quartal dieses Jahres trug sich etwas Unerwartetes zu: Während im Zuge der Griechenlandkrise immer häufiger Prognosen über einen abermaligen Rückfall in eine Rezession zu hören waren, signalisierten die weltweiten Werbeinvestitionen einen ganz anderen Ausblick. Laut Nielsens „Global AdView Pulse“ wuchs der globale Werbekuchen in den ersten drei Monaten um enorme 8,8 Prozent. Logischerweise sind die aufstrebenden Ökonomien hier der starke Treiber; laut ZenithOptimedia sollte ihr Anteil an den weltweiten Werbeausgaben bis 2013 auf 35 Prozent anwachsen. Unter den Regionen legte der Ferne Osten mit 12,4 Prozent am stärksten zu, gefolgt von Südamerika (+11 Prozent) und dem Nahen Osten/Afrika mit plus 10 Prozent (das, obwohl der Werbemarkt in Ägypten im Gefolge der Unruhen um 50 Prozent geschrumpft war!). In den USA wuchsen die Werbeausgaben um beachtliche 5,9 Prozent (hauptsächlich TV, Radio und Magazine, während die Tageszeitungen abermals einbrachen). Bloß in Europa funktionierte der Aufschwung nicht recht (mickrige +2,9 Prozent), was angesichts der Einbrüche in Spanien, Portugal, Irland und Griechenland nicht verwundern kann. Bemerkenswert an diesem Boom ist, dass er vor allem von der TV-Werbung getragen ist. Sie wuchs mit fast 12 Prozent überdurchschnittlich stark. Noch bemerkenswerter ist, dass Investitionen in kommerzielle Kommunikation in der Regel parallel zum globalen Wirtschaftswachstum gehen. Doch das war vergleichsweise schwächer. Lässt sich daraus schließen, dass die Werbung nicht länger empfindlich auf konjunkturelle Schwankungen reagiert? Nicht ganz. Diese Zahlen reflektieren eher unaufhaltsamen ökonomischen Aufstieg von China & Co., unter Umständen auch auf Kosten einer guten Konjunktur im Westen. GroupM, die Dachorganisation aller WPP Media-Agenturen, reduzierte ihre globale Werbeinvestitionsvorhersage für das Jahr 2011 von plus 5,8 auf 4,8 Prozent. Alles in allem könnte 2012 mit den Olympischen Spielen in London und den US-Präsidentschaftswahlen ein gutes Jahr für die Werbung werden. Um die künftige Entwicklung abschätzen zu können, muss natürlich die OnlineWerbung ins Auge gefasst werden. Heuer sollte das Internet (inklusive des mobilen Zugangs) weltweit 17 Prozent der Werbebudgets belegen. 2012 könnte der Anteil 20 Prozent betragen, was in Summe Investitionen von über 100 Milliarden Dollar ausmachen würde. Nachdem Banner-Werbung nur noch zwei Clicks pro 1.000 Kontakten erzielt, müssen neue Formate entwickelt werden. Im Moment sind die Innovationen vor allem Daten-getrieben. Daten- 12 von Walter Braun profile zu Web-Nutzern sind allerdings noch von unterschiedlicher Qualität (Ich nutze oft eine US-Schach-Site, auf der regelmäßig BannerWerbung erscheint, die junge russische Frauen anpreist – weil Schach und Russland zusammenhängen? Oder weil Schachspieler als kontaktarm gelten?). Die Zukunft der Werbung kann nur in einer gezielteren Verabreichung liegen. Dazu ist es nötig, sämtliche Informations- und Kommunikationsquellen zu integrieren, ohne dabei Datenschützer auf die Barrikaden zu treiben. Über Smartphones und Apps lässt sich das ganz gut machen, weil hier für Marketer Interesse und Aufenthaltsort gute Rückschlüsse erlauben. Wie kann die klassische Werbung auf diese Entwicklung reagieren? Sie muss noch sorgsamer in der Auswahl des Umfeldes werden, die Werbung sollte also offensichtlicher als bisher reflektieren, was rund um den Werbeblock im Programm vor sich geht, ob gerade ein emotionsgeladener Spielfilm oder eine dramatische Sportübertragung läuft. Auch die digitale Außenwerbung wird mit ziehen, entweder mit aufmerksamkeitsstarken holografischen 3D-Projektionen oder – noch viel gespenstischer – mit Gesichtserkennungs-Software, die Vorbeispazierende persönlich identifiziert (falls hier der Schmeichelfaktor größer ist als die Angst um den Verlust der Intimsphäre). Es sind also nicht bloß die viel zitierten sozialen Medien, denen Aufmerksamkeit gebührt … Bestseller 9|10 2011 braun Ist die Werbung plötzlich rezessionsfest? Auf der Suche nach Nischenarbeittrends s ist absehbar, dass auf die überschuldeten Länder des Westens wachstumsschwache Jahre zukommen, da nicht länger Geld zur Schaffung künstlicher Arbeitsplätze vorhanden ist. Das gilt nicht bloß für Südeuropa. In den USA beispielsweise sind 25 Millionen Menschen nicht oder unterbeschäftigt, insgesamt 16 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung. Auf britischen Arbeitsämtern sind nur noch rund die Hälfte der Stellenangebote Vollzeitstellen. Viele der künftigen Jobs werden Teilzeitarbeit sein, so sehr sich auch die Finanz- und Sozialminister grämen. Zur anhaltend hohen Arbeitslosigkeit kommt noch eine generell sinkende Kaufkraft aufgrund starker Inflation, besonders bei Energie und Lebensmitteln. Was sich der Westen und besonders Österreich fragen muss: Wie kann ein Land im 21. Jahrhundert mit hochbezahlten Angestellten überleben, die nicht unbedingt besser qualifiziert sind als Millionen aufstrebender Inder und Chinesen, die aber wesentlich härter zu arbeiten bereit sind und deren Gehälter nur einen Bruchteil der hiesigen ausmachen? Es gibt nur zwei Wege: Entweder sich Erben wird fraglicher nde der 1990er-Jahre zirkulierten in Bankkreisen Prognosen über das Ausmaß an Erbmasse, das die Baby-Boomer-Generation im beginnenden 21. Jahrhundert einheimsen würde. Der Kuchen wird vermutlich kleiner ausfallen als gehofft. Besonders zu Buche schlagen Pflegekosten für Hochbetagte, die rasant angestiegen sind. Deswegen zirkulieren jetzt Vorschläge, denen zufolge ältere Menschen ihre Besitztümer teilweise für Betreuungskosten aufbringen müssen, statt sie für die eigene Brut zur Seite zu räumen. Im Pleite gegangenen Irland kann ein Besuch beim Hausarzt mittlerweile bis zu 90 Euro kosten. In England wird derzeit politisch darum gerungen, wie viel künftig von einem Immobilienbesitz abgezwackt wird, um die enormen Aufwendungen für ein Pflegeheim mitzutragen (ein Jahr in einer betreuten Einrichtung kann schnell einmal mit 30.000 Euro zu Buche schlagen). Bereits jetzt verkaufen jährlich 70.000 Leute ihr Haus, um Heimkosten finanzieren zu können. Dazu kommt, dass nicht alle Alten von frugalem Geist besessen sind – viele haben ein Vergnügen namens Kreditkarte entdeckt und sitzen auf Konsumschulden. Oder sie haben Wohnungsverbesserungskredite aufgenommen. Die Regelungen sind in den einzelnen Ländern unterschiedlich, was nichts daran ändert, dass in Europa eine politische Grundsatzdebatte rund um Hinterlassenschaftssteuern zu erwarten ist … 14 an den Wettbewerb anpassen oder sich hinter Zoll mauern verstecken (wie es die Schweiz versucht, wo nun die Bürger aufgrund der extrem hohen Preise protestieren). Angesichts des globalen Wettbewerbs und immensen Lohngefälles ist damit zu rechnen, dass immer wieder langjährige Angestellte entlassen und durch Jüngere mit geringerem Stundenlohn ersetzt werden. Den Gekündigten bleibt kaum eine andere Wahl, als sich aus eigener Kraft durchzuschlagen. Laut Angaben der in New York ansässigen Freelancers Union sind bereits 30 Prozent der amerikanischen Arbeitnehmer selbständig (wobei Telecommuter, die bei einer Firma angestellt sind, aber von zu Hause aus arbeiten, hier nicht eingerechnet sind). In England etwa haben „virtuelle Büroaushilfen“ eine neue Nische erobert. Angesichts eines unklaren Wirtschaftsausblicks wollen viele Unternehmen ihr Sekretariat so klein wie möglich halten und feste Anstellungen vermeiden – wovon stundenweise Aushilfen profitieren. Mittlerweile entwickeln sich internationale Plattformen wie Peopleperhour.com, wo sich Texter, Web-Designer, Grafiker und so weiter verdingen. Der Ausblick ist klar: Statt auf Arbeitsplätze von Großunternehmen zu warten, müssen viele kleine Initiativen, die Ideen und Selbständige brauchen, verfolgt werden. Das zukunftsweisendste Modell könnte daher sein: Teilzeitangestellte, die nebenbei als unabhängige Berater und Auftragnehmer zu Teilzeitunternehmern werden. Lesetipps: Stephen Barley und Gideon Kunda Gurus, Hired Guns, and Warm Bodies Princeton University Press, 2006 sowie Debra Osnowitz Freelancing Expertise Cornell University Press, 2010 Bestseller 9|10 2011