Tatort - Radio Bremen

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28. März 2014
14090c/ml-we
Radio Bremen im Ersten
Sonntag, 18. Mai 2014, 20.15-21.45 Uhr
Tatort „Alle meine Jungs“
Interviews mit
den Autoren
Erol Yesilkaya, Boris Dennulat
und Matthias Tuchmann
und dem Regisseur und dem
Kameramann
Florian Baxmeyer und Marcus Kanter
dem Komponisten
Jakob Grunert
den Schauspielern/ -innen
Sabine Postel
Oliver Mommsen
Jacob Matschenz
Roeland Wiesnekker
Genija Rykova
Die Interviews führte Anna Tollkötter, Radio Bremen.
Arbeitsgemeinschaft
Der öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten der
Bundesrepublik Deutschland
Bayerischer Rundfunk
Hessischer Rundfunk
Mitteldeutscher Rundfunk
Norddeutscher Rundfunk
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Südwestrundfunk
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„Zärtlich, grausam, amüsant, voller praller Lebenslust und banaler Bosheit“
Interview mit den Drehbuchautoren Erol Yesilkaya, Boris Dennulat und Matthias Tuchmann
Herr Yesilkaya, Herr Dennulat und Herr Tuchmann, Sie haben den Bremer Tatort „Alle meine
Jungs" gemeinsam geschrieben. Wie sind Sie darauf kommen, über eine Parallelgesellschaft von
Ex-Knackis im Müll-Milieu zu schreiben?
Matthias Tuchmann: Während meiner Schulzeit arbeitete ich bei einem Entrümpelungsunternehmen und war mehrere Tage in einem heruntergekommenen Wohnblock tätig. Dort lebten
viele Männer, die aus dem Knast kamen. Was mich beeindruckte, war der raue Charme und der
Trotz ihrer Chancenlosigkeit gegenüber. Vor einiger Zeit kam mir das wieder in den Sinn und
ich fragte mich, was passiert, wenn jemand das brachliegende Potential dieser Männer nutzen
würde.
Erol Yesilkaya: Matthias schlug die Grundidee beziehungsweise das Müll-Milieu vor und sehr
schnell merkten wir, wie 'groß' dieses Thema ist: Es gibt keine Gesellschaft ohne Müll. Da
erschien der Gedanke einer Parallelgesellschaft als Metapher für 'unsere' Gesellschaft einfach
konsequent.
Boris Dennulat: Resozialisierung steht in Deutschland nicht an erster Stelle. Ex-Knackis sollen
auch eher aus den Augen – wie der Müll. Hauptsache, er wird regelmäßig abgeholt und stinkt
nicht vor dem Haus rum. Was aber, wenn diese Leute, die ihre Strafe abgesessen haben, sich
selbst resozialisieren? Sich ihren Teil vom Glück holen? Mit Stolz, Würde, Witz und Selbstbewusstsein?
Was war Ihnen bei der Entwicklung der Geschichte besonders wichtig?
Matthias Tuchmann: Die Tonalität, der vibrierende Sound der Geschichte. Kein BetroffenheitsSozialdrama im Plattenbau, sondern ein energetischer Kosmos voller Zurückgelassener, die
handfest um ihr Stück vom Glück kämpfen.
Erol Yesilkaya: Das Drehbuch war so komplex und das Tableau der Charaktere so umfangreich,
dass es in jedem Fall ein emotionales Zentrum der Handlung geben musste. Einen roten Faden,
dem man mit Spannung und ohne Schwierigkeiten folgen kann. In diesem Fall war das die
Beziehung und der Überlebenskampf der beiden Geschwister Sascha und Yvonne.
Die Figuren, die Umgangsformen untereinander und das gesamte Milieu wirken sehr überhöht. Ist
das eine Frage der Inszenierung oder war das von Anfang an von Ihnen als Autoren geplant?
Boris Dennulat: Die Straße der Jungs, ihr ganzes Versorgungsmodell, das ist natürlich auch eine
Utopie, Wunschtraum einer Gewerkschaft – und zugleich die düstere Kehrseite. Wir wollten
Gut und Böse, das Sympathische und das Abschreckende, den Kleinbürgertraum der Gangster
und das große Verbrechen, die große Nummer, möglichst eng zusammenführen.
Matthias Tuchmann: Unsere Idee war, die Geschichte auf verschiedenen Ebenen zu erzählen:
Manchmal realistischer Korruptionskrimi, dann wieder grimmige Totalitarismus-Parabel,
unterlegt mit einem Schuss lässiger Räuberpistole – zärtlich, grausam, amüsant, voller praller
Lebenslust und banaler Bosheit. Daraus entsteht – so hoffen wir zumindest – ein aufregendes
Panorama aus Emotionen und Ideen für den Zuschauer.
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Sie haben den Tatort „Alle meine Jungs" zu dritt geschrieben. Wie sieht eine solche Zusammenarbeit aus?
Erol Yesilkaya: Einer schreibt, einer schläft, einer besorgt Nahrung – immer abwechselnd.
Boris Dennulat: Anfangs spricht man alles gemeinsam durch, dann bespricht man die Sequenzen. Jeder schreibt ein paar Szenen am Stück – einen kleinen Bogen –, bevor der andere wieder
übernimmt. Dabei haben wir teilweise die Figuren oder Handlungsschwerpunkte aufgeteilt. So
überraschen und konfrontieren wir uns gegenseitig. Hinterher geht jeder über die Szenen der
anderen.
Worin liegen für Sie in dieser Arbeitsweise die Vorteile?
Matthias Tuchmann: Warum alleine gegen das weiße Blatt ankämpfen? Zusammen zu
schreiben, bringt oft bessere Ergebnisse hervor und macht einfach mehr Spaß.
Boris Dennulat: In unserer Bürogemeinschaft arbeiten wir – insgesamt fünf Autoren, eine
Autorin – seit Jahren in wechselnden Konstellationen zusammen. Man kennt sich immer
besser, so dass man sich je nach Stoff Partner sucht, bei denen sich die Stärken am besten
ergänzen.
Herr Yesilkaya, Herr Dennulat und Herr Tuchmann, danke für das Gespräch.
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„Die coolen Mülljungs sind alles andere als nett“
Interview mit dem Regisseur Florian Baxmeyer und dem Kameramann Marcus Kanter:
Herr Baxmeyer, Herr Kanter, „Alle meine Jungs“ ist die achte Folge der Reihe „Tatort“, in der Sie
zusammenarbeiten. Woran haben Sie schon früh erkannt, dass Sie ein gutes Team sind?
Marcus Kanter: Kennengelernt haben wir uns 2000 beim Aufbaustudium Film (heute Hamburg
Media School, Anm. d. Red.) in Hamburg. Schnell war klar, dass wir auch unseren Diplomfilm
„Die rote Jacke“ gemeinsam machen wollten. „Die rote Jacke“ hat dann viele Preise bekommen, unter anderem den Student Academy Award und eine Live Action Short film Nomination.
Florian Baxmeyer: (lacht) Wir sind also ähnlich filmisch sozialisiert.
Wie kann man sich Ihre Zusammenarbeit konkret vorstellen?
Florian Baxmeyer: Wir nehmen uns für jeden Film eine spezielle Visualisierung vor, die aber
immer den Charakteren folgt und dramaturgisch begründet ist.
Marcus Kanter: Bei guten Motiven muss man mit der Kamera und dem Licht nicht mehr viel
machen. Doch je weniger die Sets hergeben, desto vordergründiger kommen die Kameraarbeit
und künstliches Licht ins Spiel.
Ihr letzter Bremer Tatort "Brüder" im Februar erzielt eine Rekordquote. "Alle meine Jungs", der im
direkten Anschluss an "Brüder" gedreht wurde, ist in jeder Hinsicht anders inszeniert als sein
Vorgänger und hat eine völlig andere Tonalität und einen anderen Look. Hätten Sie sich für
diesen Stilwechsel entschieden, wenn Sie gewusst hätten, dass "Brüder" so ein Erfolg wird?
Florian Baxmeyer: Auf jeden Fall. Die Geschichte brauchte diese Inszenierung. Wir haben durch
die lange Zusammenarbeit in Bremen ein großes gegenseitiges Vertrauen aufgebaut und
waren uns einig, dass wir die Grenzen des Krimis weiter ausloten möchten. "Alle meine Jungs"
beginnt eher leicht, ist eher bunt und freundlich. Aber dann wird die Geschichte immer härter
und abgründiger. Man stellt fest: Die coolen Mülljungs sind alles andere als nett. Im Gegenteil:
Wir haben es mit einer brutalen Mafia zu tun. So eine Herangehensweise ist für den Tatort
ungewöhnlich. (...)
Marcus Kanter: Den Müllalltag mit den Arbeitern, den großen Autos, den Müllbehältern kennt
eigentlich jeder Zuschauer. Wir zeigen (…) ein Milieu, in dem er Geheimnisse entdecken kann
und eine neue Welt kennenlernt. Die Ästhetisierung dieser Welt macht die selbsterschaffene
Welt von Exknackis zum Thema und hilft die Charaktere zu erzählen, ohne sie zu diffamieren.
Ungewöhnlich ist auch der Umgang mit der Musik. Es gibt sehr viele, kommentierende Songs und
dazu eine melancholische Filmmusik mit vielen Bläsern. War das von Anfang an geplant oder ist
das erst im Schnitt entstanden?
Florian Baxmeyer: Die Songs standen so schon im Drehbuch. Meine Cutterin Friederike
Weymar, die nicht nur fantastisch schneidet, sondern auch ein großes musikalisches
Verständnis hat, war richtig beleidigt, dass die Autoren das alles schon festgelegt hatten und
es dann auch noch so gut passte. Vor allem die Schlussmontage zu Hildegard Kneef's "So oder
so ist das Leben" ist in ihrer Aussage heftig. Dazu kommt die Musik von Jakob Grunert,, die
entscheidend mit dazu beiträgt, dass "Alle meine Jungs" nicht ins Komödiantische abgleitet,
sondern aus meiner Sicht genau den richtigen Ton trifft.
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War es eine Herausforderung, die Müllmänner-Crew zu casten?
Florian Baxmeyer: Auf jeden Fall. Die Damen und Herren mussten authentisch sein und auch
zu unserer leichten Überhöhung im Film passen. Solche Leute muss man lange suchen. Und sie
müssen Lust und Zeit haben und „schauspielern“ sollten sie auch können. Es gab daher viele
Castings.
Herr Baxmeyer und Herr Kanter, vielen Dank für das Gespräch.
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„Gute Filmmusik funktioniert auch, ohne den Film zu sehen.“
Interview mit dem Komponisten Jakob Grunert
Herr Grunert, Sie haben sowohl für den neuen Bremer Tatort „Alle meine Jungs“ als auch für den
Tatort „Er wird töten“ die Filmmusik komponiert. Was ist das Besondere an Ihrer
Zusammenarbeit mit Florian Baxmeyer, den Sie auch schon von „Die drei ???“ kennen?
Es ist zunächst einmal eine sehr freundschaftliche. Es macht großen Spaß mit Florian zu arbeiten. Über Filmmusik kann man ja eigentlich schwer reden, daher ist es bei uns von Vorteil, dass
wir uns schon lange kennen und vertraut sind. An Florian schätze ich zudem, dass er sehr
präzise sagen kann, was er sich vorstellt, und mich dann entwickeln lässt.
Ab wann werden Sie in den Prozess, eine Filmmusik zu komponieren, eingebunden?
Meistens fängt es schon mit dem Lesen des Drehbuchs an – und das ist mir auch am liebsten.
Dann kann ich schon anfangen, Themen zu den Personen, zu den einzelnen Strängen entwickeln. Früh eingebunden zu sein, hat zudem für alle den Vorteil, dass im Schnitt schon etwas
von der späteren Musik vorhanden ist und nicht so viel Fremdmusik eingesetzt werden muss.
Dadurch bekommt man von Anfang an ein ganz anderes Gefühl für die Geschichte.
Der Tatort „Alle meine Jungs“ lebt in einigen Szenen von einer leichten Überhöhung. Hat Ihnen
das beim Komponieren geholfen?
Auf jeden Fall. Eine Überhöhung oder Überzeichnung ist sehr hilfreich, eine Musiksprache zu
entwickeln. Sie bietet auch die Möglichkeit, etwas Ungewöhnliches zu entwerfen und dafür ist
Florian Baxmeyer erfreulicherweise immer offen.
Welche Funktion hat Ihrer Meinung nach Filmmusik?
Im besten Fall unterstützt sie, im schlimmsten Fall soll sie dem Zuschauer ganz klar zeigen,
was er zu fühlen hat. Je weniger Musik ein Film braucht, desto besser ist es meiner Meinung
nach. Ich bin ein Freund von reduzierter Musik, ich mag es insgesamt lieber minimalistisch,
weil man damit auch eine weitaus größere Wirkung erzielt. Es ist doch grausam, wenn man zu
80 Prozent mit Filmmusik zugeballert wird. Man hat dann den Eindruck, als ob die Macher dem
Film selbst nicht vertrauen. Als Komponist stellt man sich in den Dienst des Films. Damit
möchte ich uns Komponisten aber nicht klein reden. Denn gute Filmmusik funktioniert ja auch,
ohne den Film zu sehen.
Ihr schräger Song „Der Tourist feat. Friedrich Liechtenstein – Supergeil“ ist seit Oktober 2013 auf
dem Markt und feiert inzwischen mit über fünf Millionen Klicks im Netz Erfolge. Wie erklären Sie
sich den aktuellen, plötzlichen Hype Ihres viralen Werbespots im In- und Ausland?
Das ist ein Phänomen, das auch mich umgehauen hat. Den ersten Erfolg im Herbst habe ich
mir damit erklärt, dass der Song animiert, mitzumachen – ja, er ist ein Mitmach-Song! Der
Riesenerfolg liegt sicher an der Kombination aus dem Song, dem Entertainer Friedrich
Liechtenstein und dem dazugehörigen Clip. Als die Werbeagentur uns beauftragt hat, das
Video für eine Supermarktkette zu entwickeln, haben sie uns absolute Freiheit gelassen. Das
hat gut funktioniert. Inzwischen gibt es etliche abgewandelte Versionen. Sogar die Fußballmannschaft von Werder Bremen hat im aktuellen Sportstudio eine „Derby-Version“ des Songs
performt. Das freut mich, das ist doch super!
Apropos „super“. Ist das Wort „super“ aus Ihrer Sicht eigentlich zeitgemäß?
Gute Frage (lacht). Eigentlich gehört „super“ nicht zu meinem Sprachstil, aber seitdem ich den
Text zu dem Song geschrieben habe und mich zwangsläufig mit diversen Kombinationen mit
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dem Wort „super“ beschäftigt habe, ist mir aufgefallen, wie oft „super“ und auch „supergeil“
im Sprachgebrauch auftauchen. Also eigentlich ist „super“ ein Klassiker, ein Evergreen, ein
Dauerbrenner!
Herr Grunert, vielen Dank für das Gespräch.
(Das Gespräch führte Gitta Deutz)
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„Wo Tatort Bremen draufsteht, ist immer Qualität drin.“
Interview mit der Schauspielerin Sabine Postel
Frau Postel, seit 1997 ermitteln Sie als Hauptkommissarin Inga Lürsen im Bremer Tatort. Der
Tatort „Alle meine Jungs“ ist ihr 30ster Fall. Wie geht es Ihnen damit?
Das erfüllt mich schon mit einem gewissen Stolz, denn wer hätte 1997 gedacht, dass Inga
Lürsen 2014 immer noch erfolgreich gegen die Bösen dieser Welt kämpft! Mittlerweile
beweisen nicht nur die guten Kritiken, sondern auch sensationelle Quoten – zuletzt im Februar
beim Tatort „Brüder“ – und die hohe Akzeptanz besonders beim jungen Publikum, dass wir
alles richtig gemacht haben. Wir waren und sind nie eine Mogelpackung: Wo Tatort Bremen
draufsteht, ist immer Qualität drin. Das hat uns eine feste Fangemeinde beschert .
Wie hat sich Inga Lürsen in dieser Zeit entwickelt?
Sie ist erfahrener geworden und noch mutiger und radikaler in der Verfolgung ihrer Ziele –
also das genaue Gegenteil von Altersmilde oder Resignation. Es macht Spaß sie zu spielen!
Im Tatort „Alle meine Jungs“ überführt Inga Lürsen den Täter nach ihren eigenen Regeln und aus
einem persönlichen Motiv heraus. Sie ist dabei nicht nur mutig und radikal, sondern vor allem
hartnäckig...
Es ist ja nun mal ein hervorstechender Charakterzug meiner Figur nie locker zu lassen und sich
wie ein Bullterrier in den Fällen zu verbeißen. In diesem speziellen Fall geht's auch um ein Kräftemessen mit einem ihr sehr ebenbürtigen Partner, dem Sozialarbeiter "Papa“. Seine Motive
geben viele Rätsel auf. Es entwickelt sich ein Machtkampf und es ist spannend mitzuerleben,
wer am Ende die besseren Karten hat!
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Beziehung zwischen Inga Lürsen und ihrer Tochter
Helen, die sich seit 1997 wie ein roter Faden durch den Bremer Tatort zieht. Helen ist inzwischen
Kommissarin vom Dienst. Was bedeutet das für die Figur Inga Lürsen?
Es ist schön, dass wir Helen nicht verloren haben. Im normalen Leben würde die Tochter aus
dem Haus gehen und ihr eigenes Leben führen. Durch unsere Idee, sie als Kommissarin vom
Dienst zu etablieren, bleibt sie weiter im Spiel und die alten – und auch neuen! – MutterTochter Konflikte bieten gute Spielvorlagen. Die pragmatische Karrierefrau Helen und die
sozial engagierte Kämpferin Inga – da prallen manchmal Welten aufeinander.
Frau Postel, vielen Dank für das Gespräch.
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„Ich mag das Schrille an dem Film“
Interview mit dem Schauspieler Oliver Mommsen
Herr Mommsen, im Tatort „Alle meine Jungs“ ermitteln die Bremer Kommissare nach dem Mord
an einem Müllmann in einem Milieu, in dem es sehr rau zugeht. Wie finden Sie das, wenn Ihre
Figur in einer Prügelei den Kürzeren zieht?
Gar nich gut! (lacht) In dem Fall aber waren die Gegner einfach in der Überzahl und
Stedefreund hat echt alles gegeben. Dann kann ich zähneknirschend damit leben. Und mal
abgesehen davon macht es einen Riesenspaß sich mit Stuntmännern zu prügeln. Die tun
einem nicht weh.
Gibt es etwas, was Stedefreund noch lernen muss?
Auf jeden Fall weiß er seit seinem Ausflug nach Afghanistan, wo er hin gehört: Auf die Straße.
Er ist „Bulle“ durch und durch. In seinem Privatleben gibt es allerdings noch viel Raum für
zwischenmenschliche Erfahrungen. Ansonsten gefällt er mir gut, wenn er Inga die Stirn bietet.
Ich mag es, wenn die beiden leidenschaftlich aneinander rasseln.
Was war für Sie beim Tatort „Alle meine Jungs“ besonders reizvoll?
Ich mag das Schrille an dem Film. Die zu großen Jungs, die zu kurzen Röcke, die aufgemotzten
Autos. Alles ein bisschen drüber. Wir tauchen in eine Welt ein, die sich irgendwo in einer
Seitenstraße eingenistet hat und uns mit ihren ganz eigenen Regeln konfrontiert.
Herr Mommsen, vielen Dank für das Gespräch.
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„Das Spannende an dieser Figur war, den sensiblen Kern zu finden und trotzdem äußerlich
hart zu bleiben“
Interview mit dem Schauspieler Jacob Matschenz
Herr Matschenz, im Tatort „Alle meine Jungs“ haben Sie die Episodenhauptrolle. Sie spielen einen
Müllmann mit kurzen Haaren und vielen Tattoos und verkörpern ein extremes soziales Milieu.
Wie war es für Sie, eine solche Rolle zu spielen?
Wichtig ist grundsätzlich, dass es in der Vorbereitung einen inhaltlichen Austausch mit dem
Regisseur gibt, um die Figur gemeinsam zu „finden“. Das ist natürlich auch für diesen „Tatort“
mit Regisseur Florian Baxmeyer geschehen. Wir haben die Figur besprochen und ich habe für
mich das Woher-und-Wohin des Charakters entwickelt.
Welchen Hintergrund haben Sie Ihrer Figur konkret gegeben?
Ich habe ihn für mich sozial verortet, aber dieser Prozess ist schwer zu beschreiben und ich
mag es eigentlich, dass das auch ein wenig Geheimnis des Schauspielers sein und bleiben
sollte. Der Zuschauer muss merken, dass die Figur einen Background hat, wie ich den herstelle,
dass es glaubwürdig ist, behalte ich für mich.
Was war für Sie dabei die größte Herausforderung?
Jede Szene für sich braucht eine treffende Gestaltung. Das ist aber bei jeder filmischen
Charakterisierung so, das ist die generelle Aufgabe eines Schauspielers bei jeder Rolle.
Das Spannende an dieser Figur war, den sensiblen Kern zu finden und trotzdem äußerlich
hart zu bleiben.
Was hilft Ihnen dabei, eine solche Rolle glaubwürdig zu verkörpern?
Ich versuche bei jeder Rolle eine körperliche Vorbereitung, die, die Figur dann glaubwürdig
agieren lässt. Der Charakter hier im „Tatort“ muss sich auch in Schlägereien beweisen. Das
geht mit dickem Bauch schlecht und wäre auch untypisch.
Wie haben Sie sich körperlich vorbereitet?
Ich habe wieder begonnen mein Sportverhalten kontinuierlich zu gestalten, also täglich ein
Laufpensum und schwimmen.
Herr Matschenz, vielen Dank für das Gespräch.
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„Diese Figur (...) verhilft seinen ‚Klienten‘ zu einer Rente!“
Interview mit dem Schauspieler Roeland Wiesnekker
Herr Wiesnekker, im Tatort „Alle meine Jungs“ spielen Sie den Bewährungshelfer Uwe Frank, der
in keiner Weise so ist, wie man ihn sich vorstellt. Wie war Ihre Reaktion, als Sie das Drehbuch zum
ersten Mal gelesen haben?
Mich interessierte genau diese Mischung an dieser Figur: Der Mann hat eine durchaus soziale
Komponente, die wiederum mit mafiösen Zügen gemischt ist. Diese Figur schröpft das Geld ja
nicht nur für sich selbst ab, sondern verhilft ihren „Klienten“ auch zu einer Rente! Dass sich
Uwe Frank dafür nicht nur im legalen Bereich aufhält, lässt sich nicht abstreiten …
Einige der Komparsen, die Müllmänner spielen, sind von beeindruckender Erscheinung. Haben Sie
mal gedacht: „Nachts möchte ich denen nicht über den Weg laufen“?
Die waren durchaus sehr freundlich und engagiert. Aber wenn man die Leute nicht kennt, kann
man schnell Vorurteile entwickeln. Und das finde ich eigentlich bedauerlich.
Herr Wiesnekker, vielen Dank für das Gespräch.
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„Was ich als Herausforderung gesehen habe, ist das Verhalten und Funktionieren eines
Menschen in einem mafiösen System“
Interview mit der Schauspielerin Genija Rykova
Frau Rykova, im Tatort „Alle meine Jungs“ spielen Sie die Ex-Freundin eines ermordeten
Müllmanns und leben in einem Milieu mit eigenen ästhetischen Vorstellungen und einer eigenen
Sprache. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?
Um ehrlich zu sein, was die "eigenen ästhetischen Vorstellungen" und die " Sprache"
betrifft, war gar nicht so viel Vorbereitung nötig. Als wir nach Deutschland kamen (von
Russland, Anm. der Red.), lebten wir zunächst längere Zeit in einem Sozialbau, wo die
Umgangsformen, sagen wir, auf das Wesentlichste runtergebrochen (...) und eher derb
als höflich strukturiert waren. In der Hauptschule, die ich ein Jahr besuchte, hab ich
dann noch einiges dazulernen können. (…) Glücklicherweise hatte ich Eltern, die streng
darauf geachtet haben, dass andere Sprachregeln galten, sobald die Haustüre
geschlossen war.
Worin lag bei der Rolle der Yvonne für Sie die größte Herausforderung?
Was ich als Herausforderung gesehen habe, ist das Verhalten und Funktionieren eines Menschen in einem mafiösen System, eine Frau, die aber eine emotionale Verantwortung übernommen hat. Yvonne findet Sicherheit für ihr Kind, ihren Bruder und sich selbst nur, wenn sie
nach den Spielregeln der "Familie" funktioniert. Was macht sie aber, wenn die gegen ihre
eigenen Moral- und Wertevorstellungen gehen? Als Frau, Mutter und Schwester steckt sie
nicht blind in diesem System und will mit aller Gewalt Gerechtigkeit oder Vergeltung, sondern
wünscht sich im Grunde instinktiv das Wohlergehen und Überleben ihrer Familie. Mich interessiert an solch einer Figur: Wie weit spielt sie in diesem "Familiensystem" mit? Badet sie
lieber bequem in dieser Sicherheit oder bleibt sie sich und ihren Moralvorstellungen oder
Werten treu?
Wie ist es für Sie, wenn Sie für eine Rolle Ihre Kleidung, Frisur u.a. verändern? Hilft Ihnen das beim
Spiel?
Zunächst einmal macht es für mich persönlich gar keinen Sinn, zu Hause in meinem
Kämmerlein einen Charakter zu schaffen, bevor ich an den Set gehe. Klar weiß ich nach
dem Lesen eines Drehbuches, in welchem Milieu sich meine Figur bewegt, ob sie sich
intro- oder extrovertiert gibt, oder wie sie von A nach B kommt. Natürlich lässt sich
auch einiges über Kostüm und Ausdrucksweisen erschließen, aber ich glaube, ein
Charakter „entsteht“ am Ende sowieso bei dem Zuschauer, der die Handlungen einer
Figur innerhalb einer Geschichte verfolgt und bewertet.
Frau Rykova, vielen Dank für das Gespräch.
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