Der folgende Bericht ist in Ausgabe 1/2004 des großen

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Der folgende Bericht ist in Ausgabe 1/2004 des großen
Der folgende Bericht ist in Ausgabe
1/2004 des großen KITE & friends
Buggy-Sonderheft 2004 erschienen.
www.kite-and-friends.de
Schnüre zum Himmel – was hier wie Spinnweben
aussieht, ist elementarer Bestandteil des Kitesports
SICHEREVERBINDUNG
Andreas Arriens über Drachenschnüre
Viel zu wenig beachtet, obwohl sie beim Drachenfliegen gleich nach dem Wind das Wichtigste sind – die Schnüre. Sie sind das hoch
belastbare Zauberwerk aus modernen Hightech-Fasern und neuester Flechttechnik, durch
welches viele der heutigen Kitesportarten
wie das Buggyfahren erst möglich wurden.
Doch sind nicht alle Schnüre gleich. In der
Belastbarkeit bei gleichem Durchmesser, der
Beschaffenheit der Oberfläche und in der
Dehnung gibt es gewaltige Unterschiede. Ich
habe sogar schon einmal gesehen, dass jemand
seinen neu erworbenen Hochleister zurück in
den Laden brachte, weil er nicht flog. Schuld
war allerdings nicht der (im übrigen tadellose)
Schirm, sondern die sich unter Belastung stark
reckende Schnur, welche beim Zug auf den
oberen Steuerleinen stark nachgab. Dadurch
Berührungen
untereinander
kommen schon mal vor –
glatte Schnüre aus Dyneema
verkraften viel
NAME: Andreas Arriens
BERUF: Geschäftsführer
ALTER: 34
IM HAUSE LIPPMANN SEIT: 1989
DRACHENFLIEGER SEIT: 1993
verschob sich das Verhältnis von Steuer- zu
Bremsleinen in einen unfliegbaren Zustand.
Viele Rennpiloten vertrauen deshalb seit Jahren ihrem gewohnten Schnurtyp. Dieser
kostet vielleicht ein paar Cent mehr, dafür
kann man sich aber auf die Sicherheit und
optimale Performance verlassen.
Wir befragten Andreas Arriens, Experte aus
dem Hause Lippmann Tauwerk, Hersteller
An den Griffen werden die ummantelten Schlaufen der Schnurenden mit Buchtknoten eingehängt
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der seit vielen Jahren beliebten CycloneSchnüre.
KITE & friends: Polyester, Dacron, Dyneema,
Spectra, Aramid und Kevlar – viele Namen.
Was steckt dahinter und
welches Material ist für die
hoch belasteten Schnüre
unserer Vierleiner geeignet?
Andreas Arriens: Ich fasse
das gerne einmal kurz zusammen: Dacron ist ein
Markenname eines Polyesters, damit eher was für
Einleiner ; Dyneema und
Spectra sind so genannte
HMPE-Fasern und damit
sind beide gleich gut für
unsere typischen Flugleinen
geeignet. Dyneema kommt
aus Europa, Spectra in Lizenz aus den USA. Kevlar ist
auch unter dem Namen
Aramid erhältlich und verliert am Markt immer mehr
an Bedeutung, obwohl einige immer noch darauf
schwören, und das nicht immer ganz ohne Grund.
In Loops drehen sich die vier
Schnüre ein und reiben beim
Steuern aneinander
Unterschiedliche Konfiguration der CycloneFlugschnüre von Lippmann Tauwerk
Vierleiner-Schnursatz mit Griffen
und Nachtrimm-Anleitung
Dyneema ist also eine Markenbezeichnung
für eine spezielle Hightech-Faser?
Ganz richtig. Vor einigen Jahren hat es ein
schlauer Holländer geschafft, aus der eigentlich
primitivsten Chemiefaser Polyethylen (PE)
durch ein spezielles Verfahren, bei dem sich die
Molekülketten optimal ausrichten, eine Faser
zu schaffen, die vergleichbare Tragkräfte wie
Stahlseile bietet, das jedoch bei nur etwa 1/9
des Gewichts.
Es gibt Dyneema SK65 und auch das höher
belastbare SK75, bei dem es aber immer wieder zu Liefer-Engpässen kommt.Wo liegt der
Unterschied und wie setzen Sie diese Fasern
in Ihren Schnüren ein?
Der Hersteller der Garne verbessert natürlich
auch seine Prozesse. So entstehen immer wieder neue Typen, die eine noch höhere Festigkeit bieten. Der letzte Stand ist hier die Type
SK75, die es derzeit in zwei „Garnstärken“
gibt. Die dickere, leider ungeeignet zur Herstellung von Drachenschnüren, setzen wir beispielsweise in den Bereichen Offshore oder
Tiefseeforschung ein. Hier entstehen dann 40Millimeter-Dyneema-Seile mit über 120 Tonnen Tragkraft. Die anderen Typen verwenden
wir für unsere Xtrem+ Cycloneschnur.
Verschiedene Schnurtypen aus dem Drachensport
für unterschiedliche Anwendungen
Den Namen haben wir gewählt, weil sich
damit eine Schnur herstellen lässt, die zwar so
dick ist wie eine „Xtrem 130“, aber rund 25
Prozent mehr Tragkraft, also 160 daN, hat.
Leider gibt es bei der Herstellung seitens des
Garnlieferanten immer wieder Probleme mit
diesem dünneren Material, so dass es vorkommt, dass diese Type auch mal ein Jahr nicht
lieferbar ist. Noch dünnere Garne, beispielsweise für 50-daN-Leinen, sind derzeit nicht
machbar.
Die Drachenschnüre werden aus einzelnen
Rohfasern geflochten.Wie kann man sich das
vorstellen und wie entsteht dabei eine besonders hochwertige Schnur?
Na, da nehmen wir doch mal wieder den
„Maibaum“ als Beispiel, um den herumgetanzt
wird. So wie die Menschen hat jeder einzelne
„Klöppel“ so einer Flechtmaschine ein Garn in
der „Hand“, und alle laufen wie beim Maibaum
im Kreis herum. Die Kunst ist, dabei ein perfektes Verhältnis von der Anzahl der „Klöppel“
zum Durchmesser des Garns zu finden. Das
Problem ist hier immer, dass die dünneren
Garne wesentlich teurer sind als dickere. So
werden häufig grobe Leinen mit solchen dikken Garnen verarbeitet. Wir gehen hier keinerlei Kompromisse ein. Bei Cyclone findet
man deshalb niemals eine grob geflochtene
Schnur. So ist es dann auch zu erklären, dass
eine „Xtrem 50“ teurer ist als die 70-Kilogramm-Schnur.
Ummantelte Schlaufe –
hier wurden die Enden vernäht
Kevlar ist nach internationalem Regelwerk
als Flugschnur nicht erlaubt und
inzwischen verschwunden
Dieses System wurde von uns entwickelt, um
für den entsprechenden Seiltyp eine optimierte Oberfläche zu schaffen. Die Technik stammt
ebenfalls aus dem Offshore-Bereich, wo diese
Dinge elementar wichtig sind. Wir haben das
System dann einfach auf unsere Drachenschnüre angewendet.
Wodurch unterscheiden sich die Xtrem und
Xtrem+, welche vornehmlich zum Buggyfahren eingesetzt werden, von der Cyclone Pro?
Die Cyclone-Schnüre Pro, Xtrem und Xtrem+
werden mit einem so genannten SCPS hergestellt. Woher stammt diese Technik und
was bewirkt sie bei der Schnurherstellung?
Drähte zum Ummanteln und
verschiedene Spleißnadeln
Ein Draht wurde durch die Ummantelung
geführt, die Schnur hindurchgezogen und
wie bei den Mustern verknotet
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Zum Spleißen wird die Schnur zuerst
gestaucht, um die Flechtung zu lockern
An der Schlaufe den Spleiß
ordentlich strecken, nun ist er fertig
Das Schnurende wird mit der Verdickung
nach hinten gestreift, wobei diese sich
von innen nach außen kehrt
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Über den Spleiß sollte man eine
Ummantelung ziehen, um die Schnur
beim Einschlaufen zu schützen
Danach sitzt das Schnurende am
hinteren Ende der Verdickung
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Dann wird die aufgeklappte Spleißnadel eingeführt.Als Richtwert wird empfohlen, in etwa
8 cm Abstand zum Schnurende einzustechen
und die Nadel 8 cm weit durchzuführen
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Die Spleißnadel durch die Schnur ziehen und
kurz vor dem Schnurende wieder ausführen.
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Die Nadel ausführen und die Schnur mit der
Öse der Spleißnadel ein Stück weiter aufnehmen
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Das Schnurende komplett in die Schnur einziehen
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Die Schlaufe mit der Spleißnadel
durch die Schnur hindurchziehen
Mit der Einführung der Cyclone Xtrem haben
wir ein bis dahin so nicht bestehendes System
entwickelt, mit dem wir jeden einzelnen Meter
der Xtrem-Typen unter bis zu 90 Prozent
ihrer linearen Tragkraft verstrecken. Dafür
haben wir eine eigene Maschine entwickelt,
die auch gleich mit einem Innovationspreis
ausgezeichnet wurde. Nur durch ein optimiertes verstrecken kann man aus Dyneema wirklich alles herausholen.
Die Oberflächenbehandlung scheint ein
Geheimnis glatter, reibungsfester Schnüre zu
sein. Was wird bei den Cyclone-Schnüren in
dieser Hinsicht gemacht?
Die Beschichtung ist sicher ein wichtiger Teil
der Schnur. Lange haben wir nach der richtigen Oberflächenbehandlung gesucht und sie
dann gefunden. Es reicht nicht aus, irgendeine
Flüssigkeit über die Leine zu kippen. Hier kommen spezielle Prozesse zum Einsatz, mit denen
sich eine solche Beschichtung langlebig und
höchst effektiv mit der Schnur verbinden lässt.
Aber nicht nur wenig Reibung bei Loops,
sondern auch ein geringer Durchmesser ist
entscheidend. Wie wirkt sich eine unnötig
dicke Schnur bei der Performance im
Buggyfahren aus?
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Das geschlaufte Schnurende fertig zum Einhängen
Das wissen die Buggyfahrer sicher am besten.
Jeder Millimeter zählt. Die benötigte Tragkraft
ist durch die Sache an sich vorgegeben, denn
ist der Wind schwächer, wird halt die Matte
entsprechend größer genommen. So bleibt die
Zugkraft meistens die gleiche. Eine dickere
Schnur heißt eben immer mehr Windwiderstand und auch mehr Gewicht und das wirkt
sich ganz erheblich aus. Nicht ohne Grund fahren sehr viele deutsche Top-Fahrer eine
bestimmte Schnurmarke. Cyclone bringt
gewiss Performancevorteile.
Dehnung sorgt bei manchen Schnüren dafür,
dass sie nach dem ersten Einsatz nachjustiert
werden müssen. Kann man das durch Vorstrecken verhindern?
Klar, man kann Cyclone kaufen, denn das mit
der Dehnung wird bei uns im Haus erledigt!
Die mit bis zu 90 Prozent ihrer linearen Tragkraft vorgereckten Leinen sind anschließend
wie eine seit Monaten benutzte Schnur richtig
schön ausgedehnt. Dieses Verstrecken kann
man selbst nicht machen, weil man diese großen Kräften nicht auf die Schnur übertragen
kann. Das gelingt nur mit einer entsprechend
aufwändigen Anlage.
An den Enden werden Drachenschnüre ummantelt geknotet, gespleißt oder vernäht.
Wie wirken sich diese Methoden auf die
Belastbarkeit aus?
Knoten ist das schlechteste, leider aber auch
das einfachste und eben schnell vor Ort zu
machen. Hier gehen aber immerhin rund 25
bis 30 Prozent der Tragkraft verloren. Spleißen
ist besser, aber eben wesentlich aufwändiger.
Einige Schnurtypen lassen sich durch ihre Konstruktion gar nicht spleißen. Ist der Spleiß gut
gemacht, verliert man aber nur noch zehn bis
15 Prozent. Vernähen ist ebenfalls eine gute
Methode, die vor Ort natürlich auch meistens
nicht geht. Verlust hier, auch bei optimaler
Ausführung, rund 15 Prozent. Spleißen und
Vernähen haben zusätzlich den Nachteil, dass
man diese Verbindung anschließend nicht so
leicht wieder ändern kann. Eine Schnur, die sich
anschließend im Gebrauch vom Neuzustand
an nicht mehr dehnt, ist hier Voraussetzung.
Unsere Kitesurf-Leine Cyclone „Xtrem 250“
ist zum Beispiel grundsätzlich vernäht.
Wie sieht es mit der Lebensdauer von
Dyneema-Schnüren aus? Kann ich erkennen,
ob eine Schnur noch gut ist?
Der deutlichste Hinweis ist natürlich mechanischer Abrieb. Hier können schon kleinere Verletzungen gewaltig an Festigkeit kosten. Was
man nicht sehen kann, ist der Abrieb im Inneren der Schnur. Die meisten Seile zerstören
sich von innen nach außen. Hier kann nur
rechtzeitiges Auswechseln Abhilfe schaffen.
Verändert sich die Schnur durch ständige Belastung mit den Jahren?
Viele haben bestimmt schon erlebt, dass eine
Schnur, die seit längerem im Einsatz ist, plötzlich reißt, obwohl der Zug gar nicht so groß
war. Hier kommt eine Eigenschaft von Dyneema und Spectra zum Tragen, die bewirkt,
dass sich diese hoch feste Faser im Gebrauch
stets minimal auseinander zieht, der so genannte „Creep“. Diesen Effekt weisen alle
Schnüre auf. Es ist also ratsam, die Schnur spätestens nach drei Jahren auszuwechseln.
Kann man Dyneema-Schnüre nach dem Einsatz am Strand mit Sand, Salz und Feuchtigkeit einfach einrollen oder worauf sollte man
nach Gebrauch achten?
Man kann schon. Ich denke, eine gute Schnur
schützt sich selbst durch eine glatte Oberfläche. Bei den „rauen Vögeln“ kann das natürlich schon ganz anders aussehen.
Ich habe einmal Tipps im Internet gelesen,
wie man seine Schnur pflegt, was halten Sie
von den folgenden Vorschlägen?
- im Handwaschbecken mit warmem Wasser
und etwas Seife abwaschen, um die Sandkörner aus der Flechtung zu befördern?
Kann man sicher machen, wenn man Sand in
der Schnur wirklich sieht. Die Lauge selbst
macht zumindest unseren Leinen nichts aus.
- altes Dyneema-Schnurset, das schon recht
rau und verschlissen ist, mit Kerzenwachs
behandeln?
Kann man auch machen. Dadurch wird die
Schnur natürlich nur kosmetisch behandelt. Die
Festigkeit bekommt man damit nicht wieder.
- die Leinen mit Siliconspray (aus dem Baumarkt) einsprühen, dann werden sie noch glatter und weisen Dreckpartikel ab. Man kann
sie einfach auf dem Winder einsprühen, das
Zeug kriecht dann schon dahin, wo es hin soll.
Oh, da würde ich sehr vorsichtig sein.Wirklich
reines Siliconspray könnte funktionieren. Aber
Andreas Arriens
was ist in der Dose sonst noch so drin, wie Verdünner oder anderer chemische Stoffe? Da
könnte es zu Reaktionen kommen. Auch Dyneema und Spectra können nicht alles vertragen.
Herzlichen Dank, Herr Arriens für die ausführliche Beantwortung unserer Fragen.
Unser Tipp:
Wer die Lebensdauer seiner Schnüre verlängern möchte, kann diese nach einiger Zeit
umdrehen, dass heißt die Griff-Seite an den
Schirm montieren und umgekehrt. Bei Loops
reiben sich die Schnüre immer ziemlich an der
gleichen Stelle hinter den Griffen aneinander
und können hier zuerst anfangen, die Oberfläche abzunutzen, besonders wenn die
Schnüre am Strand durch Sand verschmutzen.
Dreht man die Schnüre, so erhält man eine
„frische“ Schnuroberfläche an der Reibungsstelle, womit die Schnur noch lange für viele
Loops gut ist.
Schnüre spleißen
Wie bereits erwähnt ist der Spleiß die schonendste Methode, das Schnurende für ein
Einschlaufen an den Griffen oder an der Waage des Schirms vorzubereiten. Daher haben
wir eine Spleißanleitung zusammengestellt.
Dennoch möchten wir erwähnen, dass in der
Praxis die meisten Flugschnüre der Buggypiloten mit einer Ummantelung zur Schlaufe
geknotet sind. Das ist sehr praktikabel und die
meisten Schnurempfehlungen kalkulieren diese leichte Schwächung mit ein. Es ist allerdings
sehr wichtig, dass die Schnüre selbst in keinem
Fall geknotet oder in anderer Weise geschwächt werden. Daher sollte man beim
Auslegen der Schnüre immer auf den schlaufenfreien Verlauf achten und diesen noch einmal kontrollieren.
INTERNET-TIPP
Weitere Infos zu Cyclone-Leinen gibt es im
Internet unter www.kitelines.de
Flechtmaschinen im Hause Lippmann Tauwerk
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