Manfred von Ardenne - Max Planck Institute for the History of Science
Transcrição
Manfred von Ardenne - Max Planck Institute for the History of Science
Erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. November 2009: Manfred von Ardenne Der rote Baron Von Dieter Hoffmann Das Fernsehen ist eine technische Errungenschaft, über welche die SED-Führung nicht immer glücklich gewesen sein dürfte - bis hin zur Live-Übertragung jener denkwürdigen Pressekonferenz mit dem Politbüromitglied Günter Schabowski, die sich morgen zum zwanzigsten Mal jährt. Dabei hatte eine der prominentesten, begabtesten und zugleich schillerndsten Figuren der DDR an der Entwicklung der Methode zur elektronischen Übertragung bewegter Bilder maßgeblichen Anteil gehabt. Das war lange bevor die DDR gegründet wurde. Im Jahr 1930 berichtete eine Berliner Tageszeitung unter dem Titel "Braunsche Röhre - Fernsehen der Zukunft?" über die Experimente des damals gerade 23 Jahre alten Manfred Freiherr von Ardenne. In seinem Privatlabor in Berlin Lichterfelde experimentierte der junge Mann mit Braunschen Röhren leergepumpten Glaskolben, in denen Elektronenstrahlen freigesetzt und dazu gebracht werden konnten, auf den mit fluoreszierenden Salzen beschichteten Kolbenböden Bilder zu erzeugen. Bildröhre und Elektronenmikroskop In den großen elektrotechnischen Laboratorien war das Ziel der Bildübertragung bis dahin fast ausschließlich mit mechanisch-optischen Verfahren verfolgt worden. Ardenne ging einen prinzipiell anderen Weg und hatte Erfolg. Im Frühjahr 1930 gelang es ihm, mit seiner Elektronenstrahlröhre Bilder wiederzugeben, und am Ende des Jahres glückte auch die Übertragung. Auf der Berliner Funkausstellung 1931 demonstrierte Ardenne dann öffentlichkeitswirksam die erste elektronische Übertragung eines Films. Die Urform unseres heutigen Fernsehens war geschaffen. Doch Manfred von Ardenne war nicht nur Fernsehpionier. Der erste Breitband-Verstärker geht ebenso auf ihn zurück wie der erste Röntgenbildwandler. Vor allem aber gelangen ihm in den dreißiger und vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entscheidende Erfolge auf dem Gebiet der Elektronenmikroskopie, die 1937 in der Entwicklung des Rasterelektronenmikroskops gipfelten. Der Unterprimaner im Privatlabor All dies leistete ein Autodidakt. Denn der 1907 in Hamburg geborene Ardenne hatte es weder auf dem Gymnasium noch auf der Universität lange ausgehalten. Dafür konstruierte er schon als Schüler Fotoapparate und Alarmanlagen und meldete 15-jährig sein erstes Patent für eine Mehrfachröhre an. Diese wurde von der Berliner Radiofirma Loewe finanziell ertragreich vermarktet. Von diesem Erfolg ermutigt, verließ Ardenne 1923 als Unterprimaner das Gymnasium und gründete in der elterlichen Wohnung sein eigenes Privatlabor für Elektronenphysik, wo er Entwicklungsarbeiten durchführte, mit deren Erträgen er bereits ab 1924 seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte. Das Laboratorium existierte bis 1945 und war im NS-Staat auch an militärtechnischen Entwicklungen beteiligt. So wurde das Elektronenmikroskop in der Materialprüfung sowie bei Forschungen zur Katalyse und zur Kunststoffchemie eingesetzt, womit Erkenntnisse 1 erzielt wurden, die sich "für eine Reihe kriegs- und staatswichtiger Arbeiten entscheidend auswirkten", wie es in einem zeitgenössischen Bericht heißt. Isotopentrennung auf eigene Faust Doch daneben befasste sich Ardenne schon mit etwas anderem: In Lichterfelde betrieb er einen Beschleuniger zur Atomumwandlung und eine Anlage zur elektromagnetischen Trennung von Isotopen. Er bastelte damit an Technologien zur Herstellung nuklearer Sprengsätze - allerdings als Außenseiter. Seine Arbeiten wurden nicht vom allmächtigen Rüstungsministerium Albert Speers oder von dem Reichsforschungsrat finanziert, sondern vom Postminister Wilhelm Ohnesorge, der allen Ernstes sein eigenes Vorhaben zum Bau einer deutschen Kernwaffe unterhielt. Wie die übrigen deutschen Nuklearprojekte kam auch dieses nicht weit. Trotzdem wurde Ardenne nach Kriegsende die besondere Aufmerksamkeit der russischen Besatzungsmacht zuteil. Sein Labor wurde zunächst unter ihren besonderen Schutz gestellt. Im Frühsommer 1945 jedoch, bevor die Amerikaner in Lichterfelde einrückten, wurde es demontiert und zusammen mit Ardenne und der Mehrzahl seiner Mitarbeiter in die Sowjetunion verbracht. Im Kaukasus richtete man Ardenne ein neues Institut ein. Dort hatte er gemeinsam mit anderen hochrangigen deutschen "Spezialisten" darunter dem Berliner Physiknobelpreisträger Gustav Hertz - spezielle Forschungen zum sowjetischen Atombombenprojekt auszuführen. Auch hier beschäftigte sich Ardenne vor allem mit der Isotopentrennung. Zehn Jahre in der Sowjetunion Nachdem die Sowjetunion im Sommer 1949 ihre erste Kernwaffe gezündet hatte, war die Mission der deutschen Spezialisten praktisch beendet. Dies hieß jedoch nicht, dass sie nun nach Deutschland zurückkehren konnten. Vielmehr begann eine mehrjährige Periode, in der ihr kernphysikalisches Wissen "abkühlen" sollte und in der sie sich mit wissenschaftlichen Fragen ihrer Wahl beschäftigen konnten. Ardenne entwickelte in dieser Zeit unter anderem das sogenannte Duoplasmatron, eine Hochstromionenquelle, die bis heute in der Beschleunigertechnik, aber auch als Korrekturantrieb in der Weltraumtechnik Anwendung findet. Zehn Jahre blieb Manfred von Ardenne in der Sowjetunion und wurde dort mit den höchsten Auszeichnungen dekoriert unter anderem bekam er 1947 und 1953 den Stalin-Preis. Goldene Brücken in die DDR Im Frühjahr 1955 durfte Ardenne nach Deutschland zurückkehren. Er entschied sich für Dresden und die DDR, obwohl er durchaus auch die Möglichkeit gehabt hätte, in die Bundesrepublik überzusiedeln. Doch dorthin hätte man ihm kaum jene goldenen Brücken gebaut, die ihm den Neuanfang in der DDR ganz wesentlich erleichterten. So durfte er die Ausstattung seines Instituts im Kaukasus zu großen Teilen mitnehmen und sein nicht unbeträchtliches Rubel-Vermögen - allein der Stalin-Preis war mit 75 000 Rubel dotiert, und auch sein Jahresverdienst lag weit über dem, was sich in der Sowjetunion vernünftigerweise ausgeben ließ - zu einem günstigen Wechselkurs in DDR-Mark umtauschen. Mit diesem Startkapital ließ er schon in den letzten Jahren seines Aufenthaltes in 2 der Sowjetunion durch einen Gewährsmann im Dresdener Stadtteil Weißer Hirsch systematisch Grundstücke aufkaufen. Ein privates Forschungsinstitut Dort entstand nun das tatsächlich private "Forschungsinstitut Manfred von Ardenne". Mit dem Wohlwollen der SED-Führung entwickelte es sich zu einem der renommiertesten und effektivsten wissenschaftlich-technischen Entwicklungslaboratorien der DDR. Seine Mitarbeiter - in den letzten Tagen der DDR waren es 500 Personen - waren in einer Art besonderem Wissenschaftsterritorium tätig. Der Schwerpunkt ihrer Forschungsarbeiten lag auf den Gebieten der Elektronen- und Plasmaphysik sowie der Elektronenmikroskopie. Mit dem Elektronenstrahl-Mehrkammerofen und dem Plasmastrahlbrenner zum Schneiden von Metallen wurde auch hier wieder Pionierarbeit geleistet. Seit den sechziger Jahren beschäftigten Ardenne zunehmend Fragen der Medizin. Getreu dem Motto, ein Wissenschaftler müsse den Mut haben, die großen ungelösten Probleme seiner Zeit anzugreifen, widmete er sich der Krebsbehandlung. Dabei fand er im Nobelpreisträger und (West-)Berliner Max-Planck-Direktor Otto Warburg einen einflussreichen Fürsprecher. Eine Krebstherapie sorgt für Debatten Ardenne entwickelte in diesem Zusammenhang die sogenannte Mehrschritttherapie mit der dazu nötigen Gerätetechnik. Diese Therapie versucht, die Krebszellen mit einer Kombination von Überwärmung, Sauerstoffanreicherung und Überzuckerung des Blutes zu bekämpfen. Allerdings blieb diesem Projekt Ardennes der durchschlagende Erfolg versagt, und seine Mehrschritttherapie blieb in der Medizin umstritten. Sie ist aber einer der wenigen Fälle, in denen eine wissenschaftliche Kontroverse in die Medien der DDR getragen wurde. So warnten 1973 führende Krebsforscher der DDR öffentlich vor ungeklärten Risiken des Verfahrens und warfen Ardenne vor, nicht nur "die international üblichen Normen wissenschaftlicher Berichterstattung" ignoriert, sondern auch "in wissenschaftlich nicht vertretbarer Art bei schwerkranken Patienten und deren Angehörigen unrealistische Hoffnungen auf Hilfe erweckt" zu haben. Ardennes Wunsch, eine eigene Krebsklinik zu eröffnen, blieb dann auch unerfüllt und konnte erst nach der Wende realisiert werden. Wissenschaftsberater der Regierung Dennoch stand Ardenne in der Gunst der Mächtigen der DDR. So hatte es sich Walter Ulbricht zwei Tage nach Ardennes Rückkehr nicht nehmen lassen, dem neuen Institut in Dresden einen Besuch abzustatten und dem Hausherrn dabei nicht nur eine russische Luxuslimousine als Geschenk zu überreichen, sondern dem Institut auch zahlreiche Privilegien und Vergünstigungen einzuräumen: von steuerlichen Vorrechten über lukrative Staatsaufträge bis hin zur Gewährung weitgehender Forschungsautonomie. Auch gehörte der "rote Baron", wie er in einer Mischung aus Ironie und Ehrfurcht auch genannt wurde, zu den Wissenschaftsberatern des allmächtigen SED-Chefs und durfte ihn wiederholt auf Auslandsreisen begleiten. Unter Erich Honecker, der Ulbricht 1971 nachfolgte, sank Ardennes Stern. Nur mit Mühe und großem Geschick konnte er sein Institut vor der Verstaatlichung bewahren. Seine Einstellung zur DDR und zum Sozialismus war zwar nicht völlig unkritisch, blieb aber bis 1989 grundsätzlich positiv. Das dokumentieren nicht nur seine langjährige Zugehörigkeit zur DDR3 Volkskammer sowie zahlreiche öffentliche Aufrufe und Akklamationen, dafür sprechen auch seine umfänglichen Memoiren, die er nach der Wende allerdings kurzerhand umschrieb. Wende mit der Wende Ardenne stellte seine technischen Fähigkeiten nicht nur der Wirtschaft der DDR zur Verfügung, sondern auch ihrem Militär- und Sicherheitsapparat. So dachte er etwa über Möglichkeiten nach, das DDR-Grenzregime dadurch zu "humanisieren", dass auf Flüchtlinge statt mit scharfer Munition mit einem Betäubungsmittel geschossen werden sollte. Jahre zuvor hatte er über Ulbricht dem sowjetischen Parteichef Chruschtschow die Anregung zukommen lassen, ballistische Raketen mit einer Tarnoberfläche zu versehen, um die Radarerfassung und damit auch eine Raketenabwehr auszuschalten. All das war im Herbst 1989 vergessen. Nun gehörte Ardenne zu jenen, die öffentlich eine Reform der DDR-Gesellschaft forderten, insbesondere die Abkehr vom bürokratischen Zentralismus und eine Hinwendung zur Marktwirtschaft. Doch nicht nur für die DDR, auch für sein Institut bedeutete das Jahr 1989/90 eine Wende. Mit dem Ausbleiben staatlicher Förderungen und der Währungsreform geriet es in Schwierigkeiten, musste in den folgenden Jahren deutlich abspecken und einen tiefgreifenden Umstrukturierungsprozess durchmachen, verbunden mit der Aufspaltung und Ausgründung verschiedener Teilbetriebe. Trittsicherer Wanderer zwischen den Welten Doch wie schon 1945, so gelang Manfred von Ardenne auch diesmal der Systemsprung, und der alte Baron erwies sich bis zu seinem Tode - er starb kurz nach seinem 90. Geburtstag am 25. Mai 1997 in Dresden - als ein sicherer Wanderer zwischen den Welten. Neben einem Lebenswerk, das ihn zu einem der großen Erfinder des 20. Jahrhunderts macht, steht so das Bild eines Mannes, der sich mit beinahe chamäleonartiger Geschmeidigkeit den jeweiligen politischen Systemen anzupassen wusste. Damit ist Manfred von Ardenne ein fast idealtypischer Repräsentant einer vermeintlichen "technokratischen Unschuld" geworden sowie zum Nutznießer dreier Diktaturen - Hitlers, Stalins und der SED. Prof. Dr. Dieter Hoffmann ist Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. 4