Vortrag Nadine Weise

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Vortrag Nadine Weise
Thematische Einführung - Die Sicht der Akteure
Nadine Weise Kulturwissenschaftlerin, IG Kultur West, Kultiviert Anders e.V.
Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren, zu Beginn möchte ich direkt die
Wichtigkeit der Existenz eines derartigen Forums als Plattform für den Austausch
zwischen den Ämtern, der Politik und den Akteuren unterstreichen und hoffe, dass
wir hier gemeinsam neue Ideen für die weitere Zusammenarbeit finden. Meine
Aufgabe hier soll es sein die Perspektive der Akteure aus dem Stadtteil in einem
kurzen Vortrag zu verdeutlichen, keine leichte!
Angefangen hat der Leipziger Westen nach dem zweiten Weltkrieg als kulturelles
Zentrum Leipzigs, da die Kultureinrichtungen der Innenstadt durch den Krieg in
großen Teilen zerstört waren. Nach 1989 ereilte den Westen als Industriestandort
allerdings ein starker Um- und Einbruch, der sich auch auf die Kultur auswirkte. Doch
wenig später gab es bereits die ersten Pioniere, die Kultur, zum großen Teil aus
Eigeninitiative, im Stadtteil wieder belebten. Seit der Jahrtausendwende entstanden
vielfältigste kulturelle Entwicklungen zum einen durch den Fokus der Förderung, u.a.
sogar durch europäische Fördermittel wie Urban II und EFRE1 aber vor allem auch
durch engagierte BürgerInnen. Meilensteine dieser Entwicklung sind, nur
exemplarisch, die Wiederbelebung der Schaubühne Lindenfels und des Victor Jara’s,
die Umnutzung der Baumwollspinnerei, aber auch die Entstehung der Gieszer 16
und des Zollschuppenvereins. Zudem siedelten sich unzählige Kultureinrichtungen,
Kulturvereine, Kunsträume und freie KünstlerInnen bzw. KünstlerInnengruppen an.
Diese
Vielfalt
bringt
automatisch
auch
vielfältige
Interessen
und
Unterstützungsbedarfe der einzelnen Akteure mit sich, mit denen man lernen muss
umzugehen. Dafür gibt es mittlerweile gelungene aber auch nicht gelungene
Beispiele im Leipziger Westen. So waren die Debatten im letzten Jahr um den
Verkauf der G16 an den Trägerverein ein alarmierendes Zeichen an die
Kulturschaffenden im Leipziger Westen. Zudem kann man auch die
Kulturraumuntersuchung des Leipziger Westens aus dem Jahr 2002 mit 21.000€
Kosten als nahezu ergebnislos bezeichnen und vor allem wurde sie nicht den
Kulturschaffenden oder -interessierten zur Verfügung gestellt. Auch das noch in der
Realisierung befindliche Kulturleitsystem oder der angestrebte Gründerzeittourismus
durch das Projekt ISAAC sind keine Vorzeigeprojekte der Kulturförderung auf
Umwegen. Problematisch scheint aber vor allem, dass die genehmigten Mittel des
Creative Cities-Antrages wohl eher nicht der Kultur zu Gute kommen, sondern
erstmal in eine weitere Studie fließen. Natürlich gibt es auch besser Beispiele. Neben
einer Vielzahl an Projektförderungen wurden der Kunstraum Delikatessenhaus sowie
auch das LOFFT bzw. das Theater der jungen Welt in den letzten Jahren wesentlich
besser protegiert und auch durch größere Fördermittelsummen unterstützt.
Deutlich wird aber hoffentlich spätestens vor dem Hintergrund einer Kultur- und
Kreativwirtschaftsdebatte,
dass
die
aktuellen
Rahmenbedingungen
für
gemeinnützige Kulturarbeit nicht mehr optimal im Leipziger Westen sind und
dringend neue Strukturen für die Zusammenarbeit gefunden werden müssen.
Der Westen braucht keine künstliche "Kulturzufuhr" wie im Leipziger Osten, hier
haben sich die Kulturschaffenden trotz teilweise prekärer Verhältnisse freiwillig und
eigenständig angesiedelt, mit viel Kreativität alternative Möglichkeiten gefunden ihre
Visionen umzusetzen und durch privates Engagement kostengünstig
1
EFRE (Europäischer Fonds für Regionale Entwicklung)
Stadtteilentwicklung betrieben, den Stadtteil aufgewertet, Lebensqualität geschaffen,
attraktiv gemacht für neue BewohnerInnen und damit sogar eine Ausstrahlungskraft
über die Tore Leipzigs hinaus erzeugt, wie man letzte Woche in der NYT lesen
konnte. Aber die Kultur ist noch ein zierliches Pflänzchen, wenn ich das so mal
verbildlichen darf, sie braucht gute Rahmenbedingungen und vor allem eine
nachhaltige Fürsorge. Hierbei sollten besonders die bereits existierenden Potentiale
genutzt, Impulse gefördert, Initiativen gestärkt und Immobilien für kreative Nutzung
erhalten werden. Doch ebenso sollte die oft als "eng" deklarierte Zusammenarbeit
zwischen Kulturschaffenden und Amt bzw. Politik noch deutlich ausgebaut werden,
was auch die kürzliche Gründung der IG Kultur West und die jährlichen
kulturpolitischen Demonstrationen der Global-Space-Odyse zeigen. Kultur ist der
Nährboden für Kreativwirtschaft, sie beide sichern zusammen eine positive
Stadtteilentwicklung. Deutlich zeigte sich dies an der Ansiedlung von S+P sowie
Spreadshirt und der kreativen Nutzung der Baumwollspinnerei. Allerdings war das
Problem nach der innerdeutschen Vereinigung vor allem ein fehlender
Förderschwerpunkt der Kultur- und Kreativwirtschaft, weshalb viele Potentiale nicht
genutzt werden konnten. Doch mittlerweile haben sich alle 11 bzw. in Sachsen laut
Kultur- und Kreativwirtschaftsbericht 12 Bereiche der Kultur- und Kreativwirtschaft im
Stadtteil angesiedelt! Mein Vorredner Herr Geiss hat es bereits erwähnt, doch ich
möchte nun beispielhaft verdeutlichen, was das heißt. Die Musikwirtschaft ist in
vielfältiger Weise vertreten, hier nur exemplarisch das Tonstudio Monophon oder der
Musikalienhändler Underground neben unzähligen Kultureinrichtungen,
Kulturinitiativen oder DJ-Crews. Außerdem beherbergt der Westen im Bereich
Buchmarkt zig Literaten, wie Volly Tanner, Michael Schwessinger, Kurt Mondaugen
u.v.m. und seit kurzem auch den Verlag PaperOne. Der Kunstmarkt ist, denke ich,
allen bekannt: Neo Rauch und die Galerien der Spinnerei als Leuchttürme, aber auch
Lindenow, der Zusammenschluss freier Kunsträume neben weit über 100 Galerien
und Kunsträumen im Leipziger Westen. Die Filmwirtschaft ist exemplarisch vertreten
durch das LuRu, die Schauburg und hoffentlich bald wieder das Cineding; die
Rundfunkwirtschaft durch DetektorFM; der Markt für darstellende Künste durch
Bimbo-Town oder das noch entstehende Neue Schauspiel Leipzig; die
Designwirtschaft durch Dataholic oder die Schicken Schnitten; die Architektur
exemplarisch durch die vielseitig engagierte und in die Vorbereitung des heutigen
Forums mitwirkende Architektin Jana Reichenbach-Behnisch vom Tapetenwerk; der
Pressemarkt mit der Zeitung "Die Lokale" bzw. dem Tangente-Verlag; der
Werbemarkt in Vertretung durch DeltaDruck; die Software & Games-Industrie
vertreten durch das Data-Team sowie S+P und als letzter Bereich speziell im Land
Sachsen das Kunsthandwerk repräsentiert durch die Keramikwerkstatt von
Christiane Schlegel auf der Zschocherschen Straße. Die Enge eines derartigen
Konstruktes der Kultur- und Kreativwirtschaft zeigt sich allerdings bereits beim
Versuch einer Einordnung von Visual Art. Doch dies nur kurz zur Verdeutlichung. Die
Ansiedlung von Kreativen im Leipziger Westen führte zur erneuten Aufwertung und
Belebung des Stadtteils, aber vor allem auch zur Schaffung von neuen
Arbeitsplätzen und einer internationalen Ausstrahlung. Leider wird sich allzu oft auf
das "Best-Practice" der Kultur- und Kreativwirtschaft fokussiert: die
Baumwollspinnerei als kreatives, internationales und kulturelles Konglomerat,
allerdings auch als abgeschottete Kulturinsel, die nicht den gesamten Stadtteil mit
ihrer Entwicklung trägt. Derartige Zentralisierungstendenzen mit einseitiger
Ausrichtung, wie auch eine einstmals angestrebte Karli-West oder ein noch in der
Planung befindliches Design Quartier widersprechen der natürlichen dezentralen
Entwicklung im Leipziger Westen und werden großteils weder von Akteuren noch
von BewohnerInnen des Stadtteils gewünscht. Dies verdeutlichen besonders die weit
mehr in den Stadtteil integrierten und natürlich gewachsenen Entwicklungen in der
Alten Damenhandschuhfabrik, der Alten Handelsschule, dem KunZstoffe e.V., dem
Tapetenwerk, den Wächterhäusern und dem Westwerk. Sie alle erweisen sich bei
näherer Betrachtung als kreative Zusammenschlüsse zur Existenzgründung und sicherung. Außerdem genannt sei hier noch der Westbesuch e.V. als Initiative und
Plattform für Kreative und Stadtteilentwicklung. Zudem gibt es natürlich noch eine
Menge weiterer Ansiedlungen, deren Nennung den zur Verfügung stehenden
Rahmen aber sprengen würde. Aktuell gestaltet es sich allerdings schwierig dazu
genauere Aussagen zu treffen, da detaillierte Analysen und Handlungsempfehlungen
zur Kultur- und Kreativwirtschaft im Leipziger Westen bisher fehlen. Wichtig wäre hier
keine Leuchtturm-Analysen durchzuführen, sondern die Entwicklungsmöglichkeiten
der KMUs inklusive nicht-kommerzieller Kulturbetriebe sowie des Stadtteils zu
erheben. Dafür sollte eine Studie mit den Akteuren zusammen geplant werden.
Außerdem stellt sich der Erhalt und die Bereitstellung von Freiräumen als weitere
kreative Ansiedlung in einer permanenten Verpönung von Leerstand als
problematisch dar. Als Herausforderung sollte die professionelle Entwicklung der
ansässigen DJ-Szene gesehen werden, da ihr Renommee mittlerweile ebenfalls bis
in die Zeitungen Amerikas reicht. Abschließend der Versuch einer Empfehlung aus
Sicht der Akteure. Es muss uns gelingen die aktuellen Entwicklungen im Stadtteil zu
erhalten, zu schützen, zu pflegen und zu fördern, weshalb es wichtig ist über zur
Verfügung stehende Gelder, bspw. aus dem Creative Cities-Antrag, gemeinsam zu
entscheiden, sie sinnvoll zu verwenden und nicht lediglich Leuchttürme oder
ergebnislose Analysen zu fördern; weshalb es wichtig ist sich vom
Schubladendenken in Hoch- und Subkultur oder Kultur- und Kreativwirtschaft zu
trennen und neue Wege zu gehen. Lassen Sie mich eine kurze Revision des letzten
Kulturforums als Antrieb für das heutige benutzen: es wurde viel geredet, aber es ist
wenig danach passiert! Deshalb ist es wichtig heute zu klären, wie und was wir
gemeinsam weiter voranbringen können, lassen Sie uns praktikable Ideen
entwickeln, um kürzere Kommunikationswege und innovative Lösungen respektive
Strukturen zu finden und eine nachhaltige Entwicklung fördern. Dieser Prozess sollte
von allen Beteiligten mit getragen werden Dazu kann, muss und soll das heutige
Kulturforum ein Auftakt sein! Vielen Dank!