Rettet die Neugier« Gegen den Frühförderwahn
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Rettet die Neugier« Gegen den Frühförderwahn
4. A P R I L 20 1 3 CHANCEN 67 D I E Z E I T No 1 5 Sie lernen viel zu viel »Rettet die Neugier« heißt ein neues Buch von Salman Ansari – ein Plädoyer gegen den Frühförderwahn im Kindergarten. Ein Gespräch mit dem Pädagogen darüber, was schadet und was nützt selbst gern noch mal Kind? Salman Ansari: Ehrlich gesagt, ungern. Kinder wachsen heute in einer extremen Erwachsenenwelt auf. Wenn man durch Städte wie Berlin oder Hamburg läuft, aber auch durch kleinere wie Offenbach, wo ich oft in Kindergärten arbeite, entdeckt man im öffentlichen Raum kaum noch etwas, das darauf hinweist, dass hier Kinder leben. Hier und da mal ein Spielplatz, aber die sind meist trist und trostlos und alle TÜV-geprüft. ZEIT: Was war bei Ihnen früher anders? Ansari: Meine Kindheit spielte sich im Freien ab und war viel weniger belastet. Was Kinder heute alles wahrnehmen und aufnehmen müssen, ist ungeheuerlich. Uns ging das Weltgeschehen überhaupt nichts an, wir haben es auch gar nicht mitbekommen. Kindheit war ein Schonraum, das ist heute anders. ZEIT: Dafür, sagt man, sind die Kinder heute schlauer. Stimmt das? Ansari: Die Kinder lernen heute viel zu viel. Dass man sie bereits mit fünf Jahren als potenzielle Schüler betrachtet, die bestimmte Curricula erfüllen sollen, muss wirklich nicht sein. ZEIT: Sie halten nicht viel von Frühförderung? Ansari: Der Begriff wurde bis heute nicht richtig definiert. Jedenfalls können diejenigen, die ihn geprägt haben und vertreten, selbst nicht genau sagen, was sie darunter verstehen. Es herrscht sehr viel Durcheinander. Wenn man sich heute einen der vorschulischen Bildungspläne anschaut, die ja in jedem Bundesland unterschiedlich ausfallen, hat man oft den Eindruck, jedes Kindergartenkind könnte Leiter der Deutschen Bank werden, wenn es all die Anforderungen erfüllen würde, die darin enthalten sind. ZEIT: Mit Ihrem aktuellen Buch Rettet die Neugier richten Sie sich vor allem gegen die Überfrachtung der Kindergärten mit akademischen Inhalten, gegen eine naturwissenschaftliche Frühförderung, die sich vor allem auf vorgegebene Experimente und Lerneinheiten stützt. Was läuft da falsch? Ansari: In allen Stiftungen und Projekten, die sich auf die naturwissenschaftliche Frühförderung spezialisiert haben – egal ob das Haus der kleinen Forscher in Berlin oder das Science Lab in München –, wird versucht, die Welt aus akademischer Perspektive zu erklären. Mit dem kindlichen Denken hat das oft nichts zu tun. ZEIT: Den Befürwortern der naturwissenschaftli- treten, selbst mit jenen, die kaum Deutsch sprechen Frühförderung kommt es ja bekanntlich vor chen. Alles, was sich heute Frühförderung nennt, allem darauf an, dem zukünftigen Fachkräfte- sollte dem Zweck dienen, dass sich Kinder besser verstehen und ausdrücken können. Denn wir mangel vorzubeugen. wissen, dass Menschen mit Ansari: Die Behauptung, dass einer hohen Sprachkompewir durch intensive Frühfördetenz alles im Leben erreirung später qualifiziertere Fachchen können. Die Sprache kräfte gewinnen, entbehrt jegist von zentraler Bedeutung. licher Grundlage. Das ist reine Spekulation. Für mich bleibt ZEIT: ... und Sie meinen, rätselhaft, warum dieser Frühwer mit den Kindern zu viele förderwahn so viel Zustimnaturwissenschaftliche Exmung findet. perimente macht, spricht zu wenig mit ihnen? ZEIT: Sie selbst sind ein gefragter Experte in Kindergärten, Ansari: Wenn man den Kinauch sie arbeiten mit den Kindern dauernd etwas vordern an Themen aus der Natur. führt, dann verstummen sie Und Sie sind als promovierter irgendwann. Denn jedes ExChemiker ein Akademiker. Was periment verlangt Methode Der 71-Jährige wuchs in machen Sie denn anders? und Kontrolle. Das sind jeIndien und Pakistan auf und doch Kategorien, die mit ging fürs Chemiestudium Ansari: Ich kann mich noch gut dem kindlichen Denken nach Deutschland. Nach der daran erinnern, wie ich als und Handeln nicht übereinPromotion unterrichtete er Chemielehrer an die Odenstimmen. an der Odenwaldschule. Wie waldschule kam und vor einer kein anderer Lehrer kämpfte fünften Klasse stand. Ich habe ZEIT: Mit welchem Ziel geer für die Aufklärung der sofort gemerkt, dass ich meine hen Sie in die Kitas? Missbrauchsfälle. Doktorurkunde getrost in den Ansari: Kinder haben die Mülleimer werfen kann. Im Gabe der reinen AnschauUnterricht hat mir der Doktorung. Sie sind nicht durch irBekannt geworden ist titel gar nicht geholfen. Dann gendwelche Theorien belasSalman Ansari durch seine habe ich begonnen, nachzudentet, und genau das interesArbeit mit Vorschulkindern ken, wie Kinder eigentlich lersiert mich: Was denken die und durch seine ungewöhnnen. Ich versuche, die Kinder Kinder über Naturphänolichen Lernkonzepte. Für selbst kreativ werden zu lassen, mene? Denn oft denken sie die Telekom entwickelte er sodass sie neue Ideen mit mir ja wirklich wie Naturfordas Projekt »Kinder fragen gemeinsam generieren können. scher. Und wenn sie manche Kinderfragen«, er ist Ihnen Raum und Zeit zu geben, Phänomene nicht richtig erMitglied im Praxisbeirat an der Lösung einer Frage aktiv klären, dann lass ich das der Sinn-Stiftung. mitzuarbeiten. Aus den kognitiauch gelten, weil ich weiß, ven Wissenschaften weiß man, dass sie weitere Erfahrungen Mit seinem aktuellen Buch dass das der emotionalen und benötigen, um die vorhan»Rettet die Neugier«, das in geistigen Entwicklung der Kindenen Konzepte zu korrigiediesen Tagen im Krügerder sehr guttut. Sie gewinnen ren. Forscher arbeiten ja imVerlag erscheint, streitet er dadurch mehr Selbstvertrauen mer auch mit Irrtümern. Die für eine neue Form des und das Gefühl, ich schaff Menschheit hat beispielsLernens im Kindergarten. das – ich kann das. weise lange gebraucht, um die Zusammensetzung der ZEIT: Ihnen geht es eher um Luft zu erkennen. Die Fotosynthese wurde erst eine Art umfassende Persönlichkeitsförderung? Ansari: Ja, absolut. Deshalb lege ich auch so viel 1978 aufgeklärt. Die Prozesse der ErkenntnisWert auf die Sprache und versuche, so oft wie gewinnung sind nie geradlinig. Denn unsere Sicht möglich mit den Kindern in einen Dialog zu auf die Dinge verändert sich dauernd. Foto: [M] Hardy Mueller DIE ZEIT: Herr Ansari, wären Sie heute Salman Ansari ZEIT: Ihr Ärger über die Mode, Erzieherinnen mit Experimentierkästen auszustatten, geht so weit, dass Sie sagen, diese Art von Förderung nütze den Kindern nicht und schade ihnen sogar. Warum? Ansari: Weil diese Versuche außerhalb der Erfahrungsmöglichkeiten der Kinder ausgedacht sind und kein Mitdenken auslösen. Es ist aber ein wesentliches Prinzip des Lernens, dass ich die Gelegenheit bekomme, mitzudenken und vorhandene Konzepte zu modifizieren. Nur so komme ich im Denken weiter. Aber wenn ich das Geschehen nicht beurteilen kann, kann ich es nur fasziniert zur Kenntnis nehmen. Und ist es denn wirklich relevant für ein Kind, ob eine Kerze zum Brennen Sauerstoff braucht? Ist das eine Frage, mit der sich ein Kind beschäftigt? ZEIT: Es gibt noch andere Fragestellungen, die Ihrer Meinung nach im Kindergarten nichts zu suchen haben: »Warum fällt der Mond nicht vom Himmel?« zum Beispiel oder »Warum brauchen Astronauten einen Raumanzug?« Kinder interessieren sich doch für solche Dinge! Ansari: Kinder sind heute den virtuellen Welten ausgesetzt. Alles, was sie sehen, ist nicht nur rätselhaft, sondern zugleich auch unheimlich. Daher stellen sie Fragen über Bilder, die zwar ihre Fantasie anregen, doch letztlich für sie nicht verständlich interpretiert werden können. Es ist unmöglich, ihnen auf diese hochkomplexen Fragen einfache Antworten zu geben. Außerdem ist es ein Prinzip meiner Arbeit, Erklärungen so weit wie möglich zu vermeiden, denn für mich entsteht dadurch nur Wissen aus zweiter Hand. Ich möchte, dass die Kinder selbst eine Art Lösungsweg finden und nicht einfach nur Wissen anhäufen. Wenn Kinder etwas wissen wollen, überlege ich mir immer, wie sie das Wissen weiterverwenden könnten. Wissen ist ja wie eine Art Werkzeug, mit dem sich dann weitere Dinge entdecken lassen. ZEIT: Das heißt, wenn ein Kind weiß, warum der Mond nicht vom Himmel fällt, kann es damit nichts anfangen? Ansari: Ja, in meinen Augen wäre das nutzloses Wissen. Wissen, das niemals in einen Dialog mit der Wirklichkeit eintreten kann. Wir alle haben in der Schule unzählige Dinge gepaukt, die wir heute nicht mehr anwenden können. Wir sollten aufhören, bereits die Zeit im Kindergarten damit zu verschwenden, Kindern unnützes Wissen beizubringen. Hauptstadt-Internate: im Herzen Deutschlands – am Puls der Zeit Berlin-Dahlem 7 km 1 Königin-Luise-Stiftung 96 Rangsdorf 14 km Seeschule Rangsdorf Internatsschule Königin-Luise-Stiftung Podbielskiallee 78 14195 Berlin Tel.: 0 30 / 84 18 13 www.koenigin-luise-stiftung.de Seeschule Rangsdorf gymnasiale Ganztagsschule Stauffenbergallee 6 15834 Rangsdorf Tel.: 03 37 08 / 4 49 47 www.seeschule.de BOLIVIANISCHE SCHÜLER SUCHEN GASTFAMILIEN Schüleraustausch mit La Paz/Bolivien Die Deutsche Schule La Paz/Bolivien plant 2013/2014 einen Schüleraustausch mit Schülern aus der Bundesrepublik Deutschland. Die bolivianischen Schüler haben das 10. Schuljahr beendet, sind etwa 16 Jahre alt und sprechen in der Regel gut Deutsch. Gesucht werden Gastfamilien mit etwa gleichaltrigen Schülern, die sie für 3 Monate, vom 18. September 2013 bis zum 10. Dezember 2013, bei sich aufnehmen. Während des Aufenthaltes gehen die bolivianischen Gäste mit ihren Gastgeschwistern zur Schule. Der Gegenbesuch der deutschen Schüler ist erwünscht, aber nicht Bedingung. Wir bieten zwei Termine für den Gegenbesuch an, einen am Anfang des Jahres und einen weiteren über die deutschen Sommerferien. Die deutschen Schüler können die Deutsche Schule in La Paz unentgeltlich besuchen, in der sie bis zur 12. Klasse in Deutsch (Abitur) oder in Spanisch unterrichtet werden können. Den Eltern entstehen lediglich Kosten für Reise, Versicherung und Taschengeld. Hingegen werden Kosten für Unterkunft und Verpflegung von den jeweiligen Gastfamilien getragen. Interessenten melden sich bitte unter Angabe ihrer E-Mail-Adresse oder Telefon/Fax-Nummer bei: Henning Hinsch, Colegio Alemán „Mariscal Braun“ Casilla 4442, La Paz, Bolivia Fax: 00591-2-2711599; E-Mail: [email protected] oder [email protected]; Tel.: 00591-2-2713403 den Naturwissenschaften die Natur selbst noch eine Rolle? Ansari: Ich halte es für extrem problematisch, dass die Natur bei all diesen Formen der Frühförderung so stark ausgeblendet wird. Alles findet quasi nur noch in Abstraktion statt. Das ist für mich die Reduktion der Wirklichkeit, denn jedes Experiment kann nur einen ganz kleinen Ausschnitt der Realität wiedergeben. ZEIT: Wäre der Gang in die Natur also sinnvoller? Ansari: Ja, ich sage den Erzieherinnen: Geht raus und schaut um Euch herum, was es zu entdecken gibt. Erzieherinnen müssen auch wieder lernen, einfacher zu denken, und Dinge zum Gegenstand von Gesprächen machen, die Kinder in der Wirklichkeit ihres Alltags erleben. Es macht keinen Sinn, Fragen zu beantworten, die die Kinder gar nicht gestellt haben. Erzieherinnen könnten besser mit den Fragen der Kinder umgehen, wenn sie sich die Denkschemata der Kinder selbst aneignen würden. Also lernten, Kinder auf Augenhöhe wahrzunehmen. Denn welche Erzieherin bringt schon eine echte Leidenschaft für Physik oder Chemie mit? Beim Vorführen der vorgegebenen Experimente geraten sie völlig aus dem Konzept, wenn ein Kind auch nur eine unerwartete Frage stellt. Denn alle Experimente sind ja so aufgebaut, dass das Ergebnis von vornherein feststeht. ZEIT: Aber auch Sie bringen konkrete FragestelANZEIGE 13. April 2013 n Tür Tag der offene n ge n StudieNre we inwww.rim u.nl/tdot lungen mit in den Kindergarten und wissen nicht, ob Sie damit das Interesse der Kinder treffen. Ansari: Natürlich muss ich vorbereitet in die Arbeit mit den Kindern gehen. Allerdings habe ich dabei nie ein bestimmtes Lernziel, der Ausgang ist völlig offen. Wenn wir etwa über den Frühling reden, überlegen wir, warum der Löwenzahn nicht unter Bäumen blüht. Dann kommen die Kinder vielleicht zu der Erkenntnis, dass er viel Sonne zum Blühen braucht. Für mich ist das kreatives Denken. Interview: JEANNETTE OTTO SCHULEN IM PROFIL Internat des Evangelischen Gymnasiums Hermannswerder 2b 14473 Potsdam Tel.: 03 31/ 23 13-1 42 www.hoffbauer-bildung.de Potsdam 16 km Internat Hermannswerder ZEIT: Wie stark spielt bei der Beschäftigung mit LOCAL SCHOOLS – GLOBAL EDUCATION Lernen auf Deutsch und Englisch vom Kindergarten bis zum Abitur Bilinguale Phorms Schulen mit Ferien mit Köpfchen ▸ deutschen und internationalen Pädagogen Lernspaß und aktive Freizeit an besonderen Orten mit außergewöhnlichen ZEIT Lern-Extras. Vom Sprachurlaub in Kanada über Ferien am Meer bis hin zu Entdeckungsreisen quer durch Deutschland – jetzt direkt Informationen anfordern. ▸ ganztägiger Betreuung und Nachmittagsprogramm ▸ individueller Förderung ▸ einkommensabhängigen Elternbeiträgen Phorms Schulen gibt es 7 Mal in Deutschland! Katalog anfordern: www.phorms.de Für Schüler von 8 bis 18 Jahren www.zeit-schuelercampus.de +49 (0)6341/96 90 845