Barbara Städtler-Mach Krankheit und der Umgang damit in der

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Barbara Städtler-Mach Krankheit und der Umgang damit in der
Barbara Städtler-Mach
Krankheit und der Umgang damit in der christlichen Frömmigkeitsgeschichte
Rothenburg 11. November 2006 (gekürzt)
1. Der Zusammenhang von Frömmigkeit und Krankheit
Frömmigkeit
Was bezeichnet der Begriff Frömmigkeit?
In seiner Grundbedeutung meinte „fromm“ keine religiöse Haltung, sondern eine
rechtschaffene, gute Lebensweise (Vgl. „Es frommt“ im Sinn von: Es ist in Ordnung).
Im Laufe der Zeit hat sich die Wortbedeutung dahin gehend verändert, dass wir eine
religiöse Haltung damit bezeichnen.
Fromm ist ein Mensch, dessen innere religiöse Haltung eine bestimmte Lebenspraxis
hervorruft, die er bewusst gestaltet
Abgrenzung zu Spiritualität und Glaube:
Spiritualität – heute ein Modewort – beschreibt im Grunde die gleiche Haltung: Eine
religiöse (Re-ligio – zurück binden, gebunden sein) Haltung des Menschen, die eine
bestimmte Lebenspraxis generiert.
Traditionell denken wir bei Frömmigkeit an eine geprägte (christliche) Form der
Religiosität. Insofern beinhaltet die Geschichte der Frömmigkeit aus christlicher
Perspektive eine historische Wahrnehmung der unterschiedlichen Ausformung des
jeweils individuellen Frommseins und Glaubens.
Unsere Fragestellung „Krankheit und der Umgang damit in der christlichen
Frömmigkeitsgeschichte“ beinhaltet die Zuordnung von Krankheit und dem Umgang
damit in zwei Perspektiven:
1. Was Krankheit bedeutet/ welche Bedeutung einer Krankheit gegeben wird
2. Welche Formen des Umgangs damit der fromme Mensch findet
Allgemeiner Umgang mit Krankheit in einer religiösen Form
Für die Frage nach dem Umgang mit Krankheit unter religiösen Aspekten sind die
allgemeinen „Antworten“ des Menschen zu betrachten. Unter diesen Antworten
verstehe ich die verschiedenen Möglichkeiten, dem subjektiven Krankheitserleben
eine persönliche Interpretation zu geben.
1. In der Regel erlebt der Patient die Krankheit als persönliche Not. Das subjektive
Krankheitsgefühl äußert sich in Schwäche, Schmerzen, Einschränkungen,
Hilfebedürftigkeit bis zur Abhängigkeit von helfenden Personen.
Viktor von Weizsäcker: „Das Wesen des Krankseins ist eine Not und äußert sich als
Bitte um Hilfe.“
Religiös gesehen richtet sich die Erwartung auf Hilfe in diesem Angewiesen Sein auf
Gott selbst, auf Jesus Christus, im römisch-katholischen Bereich auch auf bestimmte
Heilige
2. Eine weitere Möglichkeit des Umgangs: Die Suche nach Sinn der Krankheit.
Um die Krankheit ertragen zu können, um sich selbst auch noch als wertvoll zu
erleben, wird der Krankheit ein Sinn verliehen. Hier entsteht die eigentliche
Herausforderung für die religiöse Haltung des Menschen.
Novalis: „Krankheiten, besonders langwierige, sind Lehrjahre der Lebenskunst und
der Gemütsbildung.“
Es zeigt sich, dass für diese Interpretation von Krankheit ein umfassender
Krankheitsbegriff notwendig ist.
3. Sehr verbreitet ist die Zusammenschau von Krankheit und Schuld. Sie hält sich
hartnäckig in vielen Köpfen und Phantasien kranker und gesunder Menschen:
Was habe ich/ was hat dieser oder jener getan, dass er so krank geworden ist?
Krankheit wird dabei als Strafe gesehen, die – von wem auch immer - als Reaktion
auf ein Fehlverhalten verhängt wird.
Zu Grunde liegt dieser Vorstellung die Denkweise, dass ein innerer Zusammenhang
zwischen der „Ordnung“ des Menschen, der gesund ist, und seinem falschen
Verhalten abgebildet wird. Dabei muss noch unterschieden werden, inwiefern
Krankheit auch als Schuld eigenen Verhaltens, als Konsequenz also von nicht
angemessenem Leben, entsteht.
4. Darüber hinaus geht noch die Vorstellung von Krankheit als Strafe.
Krankheit – als Gegenstück zur Gesundheit, die von Gott geschenkt ist, - ist also die
Wirkungsweise Gottes, der damit direkt auf ein falsches Leben antwortet.
Zu Grunde liegt hier die sehr anthropomorphe Sichtweise Gottes, der Gebote gibt
und deren Übertretung mit Kranksein bestraft. Dabei zeigen die graduellen
Unterschiede die Intensität des Fehlverhaltens auf.
Besonders deutlich wird die Frage nach dem Bestraft werden bei der Krankheit eines
Kindes, speziell des Säuglings gestellt. Was hat denn so ein kleines Kind getan?
Joh 9 gibt darauf eine eindeutige Antwort: Jesus lehnt den Tun-ErgehensZusammenhang der hebräischen Denkweise ab. Nicht um schlimme Taten als
Begründung geht es, sondern um den Hinweis auf die Vollmacht Gottes.
2. Exemplarische Personen und Stationen im christlichen Umgang mit
Krankheit
Benedikt von Nursia: Im Kranken Christus sehen
Benedikts Regel beschreibt nicht nur den Umgang im Kloster ganz allgemein,
sondern sehr speziell auch den mit den Kranken. Dabei steht die Rezeption der
Endzeitrede Jesu mit den „Werken der Barmherzigkeit“ (Mt 25) im Vordergrund:
„Die Sorge für den Kranken ist eine erste und höchste Pflicht. Man diene ihnen
wirklich wie Christus. Er selbst hat ja gesagt: Ich war krank, und ihr habt mich
besucht. Und: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr
mir getan. …
Man soll (…) Kranke aber mit Geduld ertrage, denn an ihnen erwirbt man sich einen
größeren Lohn. Es sei also eine der wichtigsten Sorgen des Abtes, dass an den
Kranken nichts versäumt wird.“1
Hildegard von Bingen: Krankheit als Verlust des Maßes und der Mitte2
Die Grundlage der Vorstellung von Krankheit und ihrem Umgang damit bei Hildegard
von Bingen ist ihre Verbundenheit mit dem Kosmos.
Ihre Krankheitsvorstellung basiert auf der antiken Elementen- und Säftelehre
(Hippokrates, Galen). Die Säfte, die im Körper herumschweifen, verwirren den
Menschen. Durch den Sündenfall Adams ist das System des Körpers durch die Galle
1
Die Benediktsregel – Eine Anleitung zum christlichen Leben, übersetzt und erklärt von Georg Holzherr, Zürich
3. Aufl. 1989, 207.
2
Hildegard von Bingen: Causae et Curae, Hg. von P. Kaiser, Leipzig 1093, 145-
verdüstert: „Und so wurde Adam ganz und gar in eine andere Existenzweise
umgewandelt (totus mutatus). Da befiel Traurigkeit seine Seele.“ 3
Martin Luther und die reformatorische Sicht von Krankheit
Der Protestantismus ist von seinem Beginn an eine Bewegung des gelesenen,
gesprochenen und gesungenen Wortes Gottes gewesen. Von daher sind seine
Frömmigkeitsformen stark davon geprägt: Gebet, Sprüche, Lieder.
Auch in der Reflexion von Krankheit und dem frommen Umgang damit sind diese
Formen entscheidend.
Die theologische Reflexion ist von der ganzheitlichen“ Sicht des Menschen in der
Bibel bestimmt. „Mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott.“ (Ps 84,3)
Martin Luther hat diese „Ganzheitlichkeit“ selbst befürwortet und auch gelebt.
„Man sagt und ist wahr: wo ein melancholischer und schwermütiger Kopf ist, da hat
der Teufel ein zugericht Bad. Ich habe aus Erfahrung gelernet, wie man sich in
Anfechtung halten soll. Nämlich, wer mit Traurigkeit, Verzweiflung oder anderm
Herzeleid geplagt wird und einen Wurm im Gewissen hat, derselbige halte sich
erstlich an den Trost des göttlichen Wortes, danach so esse und trinke er und trachte
nach Gesellschaft und Gespräch gottseliger und christlicher Leute, so wird’s besser
mit ihm werden.“4
Beispiel für das evangelische Lied:
„Gesunden Leib gib mir/ und dass in solchem Leib
Ein unverletzte Seel und rein Gewissen bleib.“5
3
Vgl. zum Ganzen: Schipperges, Heinreich: Hildegard von Bingen, München 2. Aufl. 2005.
Münchner Lutherausgabe Bd. IV: Tischreden, München 1940, 240 f.
5
Johann Heermann: O Gott, du frommer Gott, EG 495, Strophe 1.
4
Geschichtlich und gleichzeitig aktuell gegenwärtig:
Formen der römisch-katholischen Krankheitsbewältigung
Innerhalb der römisch-katholischen Kirche sind in der Tradition und mit graduellen
Unterschieden auch in der Gegenwart folgende Umgangsweisen mit Krankheit zu
nennen:
•
Krankensalbung und –segnung
•
Wallfahrten
•
Votivmessen
•
Gebet zu bestimmten Heiligen
Aktuell: Fasten, Offenheit für alternative Formen
Fasten als Form der Frömmigkeit nach biblischem Vorbild, aktuell wieder, um
-
frei zu werden, insbes. von Abhängigkeiten
-
zu sich selbst zu kommen-
-
etwas für die Gesundheit zu tun und
-
Krankheiten vorzubeugen
Damit ist ein Krankheitsverständnis verbunden, das durchaus von
Eigenverantwortung und einer sehr umfassenden Sicht des Menschen
gekennzeichnet ist.6 Die Aktualität des Fastens lässt sich gleichermaßen bei
evangelischen wie katholischen Christen feststellen und wird auch in theologischer
Hinsicht reflektiert.7
Prof. Dr. Barbara Städtler-Mach
Evangelische Fachhochschule Nürnberg
Bärenschanzstr. 4
90429 Nürnberg
[email protected]
6
Peter Müller: Fasten. Dem Leben Richtung geben. Handbuch für Fastengruppenleiter, München1990.
Vgl. zum Ganzen exemplarisch: Dorothee Sölle: Für und wider die Askese, in: Dies.: Mystik und Widerstand.
Du stilles Geschrei, Hamburg 1997, 273 – 278.
7