Episode 1

Transcrição

Episode 1
Ocean of Revelations TV/Video Series
Transcripts of Episodes 1-6
German Translation
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Inhaltsverzeichnis
Episode 1: ISLAM & GLAUBE................................................................................................................... 1
Episode 2: ISLAM & ECHTE HINGABE ................................................................................................. 10
Episode 3: GLAUBENSGEMEINSCHAFTEN ......................................................................................... 19
Episode 4: MENSCHEN DES GLAUBENS.............................................................................................. 29
Episode 5: PROSELYTISIERUNG............................................................................................................ 39
Episode 6: JIHAD ....................................................................................................................................... 50
Episode 1:
ISLAM & GLAUBE
EINLEITUNG
Kyai Haji A. Mustofa Bisri
Renommierter Leiter der Nahdlatul Ulama
Rembang, Zentral-Java, Indonesien
Mögen der Friede, die Liebe und der Segen Gottes mit Ihnen sein.
Verehrte Zuschauer, mein Name ist Mustofa Bisri. Danke, dass Sie sich Zeit für mich und diese Sendung,
Ozean der Offenbarungen, nehmen. Wir laden Sie ein, sich auf eine Reise zu begeben, bei der Sie sich die
Beiträge zahlreicher Intellektueller, religiöser Gelehrter und muslimischer Führer zu einer Reihe von
Themen hinsichtlich des Islam anhören können.
Wie Sie alle wissen, sandte Gott den Islam und Mohammed, den Boten Gottes, Friede und Segen seien
mit ihm, als eine Quelle der Barmherzigkeit und des Mitgefühls für die gesamte Schöpfung; damit dem
gesamten Universum Liebe und Segen zuteil würden. Doch in den letzten Jahren verhielten sich viele
Anhänger von Mohammed im Widerspruch zu dem großartigen Inhalt dieser Botschaft und verzerrten
diesen. Folglich ist es unerlässlich, dass wir unser Herz und unseren Verstand öffnen und uns das
Verhalten unseres großen Führers, den Botschafter Gottes, und seine Lehren erneut vor Augen führen.
Wir müssen uns zudem unserer Schwächen bewusst sein und erkennen, dass unser eigenes Verhalten
seinem großmütigen Beispiel nur allzu oft nicht gerecht wird.
Wie wir wissen, war unser Führer, der Prophet Mohammed, Friede und Segen seien mit ihm, eine Person,
die dank Gottes Barmherzigkeit und Mitgefühl ein sanftmütiges Herz hatte und behutsam war. Gott sagt
im Koran: „Dank Allahs Liebe und Mitgefühl bist du sanftmütig und kultiviert. Wärest Du grob und
unnachsichtig, würden andere vor dir davon laufen.“ Aus diesem Grund ist alles in den Lehren des Boten
Gottes von einem Hauch Liebe geprägt. Der Bote Gottes sagte: „Liebe die Bewohner dieser Erde, und du
wirst von ihm oben geliebt.“ Und des Weiteren: „Wer weder Gnade noch Liebe oder Mitgefühl kennt,
wird keine Gnade, Liebe oder Mitgefühl von Gott erhalten.“ All dies stimmt mit Gottes eigener Aussage
überein, dass er den Propheten Mohammed nur zu dem Zweck gesandt hat, der Schöpfung Liebe und
Segen zu schenken.
In dieser Folge werden wir die Themen Glauben und Islam sowie diverse Begriffe diskutieren, die
Muslime oft verwenden. Sie werden die Ansichten vieler hervorragender Intellektueller, religiöser
Gelehrter und muslimischer Führer zu diesen und anderen Thematiken hören. Wir werden uns Wissen
aneignen. Denn wie der Prophet sagte, so lange ein Mensch lernt, wird er klug und sachkundig sein.
Hören die Menschen aber auf zu lernen in der arroganten Überzeugung, dass sie schon alles wissen, setzt
Episode 1: ISLAM UND GLAUBE
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die Ignoranz ein. Wir befinden uns inmitten eines Lernprozesses. Ich mache mir keine Sorgen darüber,
was in muslimischen Kreisen oder bei Menschen anderen Glaubens geschieht, so lange sie den Wunsch
haben, mehr über ihre eigene Religion zu lernen. Wir fürchten uns vor Menschen, die aufhören zu lernen,
weil sie davon überzeugt sind, die absolute Wahrheit bereits zu kennen, und sodann andere anprangern
und verurteilen, im Unrecht zu sein. Dies führt zu Problemen in unserer Welt. Ein weiteres Problem
entsteht, wenn wir eine bestimmte Person oder Gruppe hassen und unseren Hass mit der Religion
begründen.
Nun, folgen wir einfach den Experten und hören uns an, was sie über unsere Religion zu sagen haben.
Viel Freude bei der Sendung!
ABSCHNITT 1
GLAUBE
Moschee des Kasepuhan-Palastes
Cirebon, West-Java, Indonesien
Der Glaube kann weder vom Islam noch von der Selbsttranszendenz getrennt werden. Wenn ich mich
Gott wahrhaftig ergebe, fühle ich inneren Frieden und Ruhe - ich fühle mich wohl, wie auch immer die
äußeren Umstände meines Lebens aussehen.
~ Dr. Komaruddin Hidayat, Rektor der islamischen staatlichen Universität Syarif Hidayatullah,
Indonesien
Der Glaube ist ein innerer Vorgang, die tiefste und innigste Anstrengung der Menschen; und er verbindet
uns mit dem Verborgenen und Mysteriösen, dem Ungesehenen; mit dem, was außerhalb des
menschlichen Intellekts liegt... und das ist Gott.
~ Prof. Dr. A. Syafii Maarif, ehemaliger Vorsitzender der Muhamadiyah (1998-2005)
Der Begriff „Glaube“ stammt von dem arabischen Ausdruck ta’amana yu’minu, was Vertrauen oder sich
Gott vollkommen anvertrauen meint. In diesem Zusammenhang ist ein Mensch, der wirklich gläubig ist,
jemand, der sich Gott vollkommen hingibt - seine Gedanken, sein Herz, sein gesamtes Leben. Das ist ein
wahrer Gläubiger.
~ Kyai Haji Masdar Mas’udi, stellvertretender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Glaube ist Überzeugung, Glaube ist Sicherheit; aber er zeigt sich auch im täglichen Verhalten, welches
durch ein gewisses „Aroma“ gekennzeichnet ist und die allgemeine Wahrnehmung hervorruft, dass das
Verhalten eines gläubigen Menschen gut ist und er anderen bzw. der Gesellschaft insgesamt keinen
Schmerz verursacht oder sie beeinträchtigt. Dies ist meine Einschätzung.
~ Dr. Moeslim Abdurrahman, indonesischer muslimischer Gelehrter
Episode 1: ISLAM UND GLAUBE
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Der Glaube ist die größte Freude, die Gott uns bereitet. Warum? Weil er die Basis für alle guten Worte
und Taten ist und in der Tat das Fundament unseres gesamten Lebens in dieser Welt darstellt.
~ Kyai Haji M. Yusuf Chudlori, Leiter des islamischen Internats Asrama Perguruan Tinggi in Tegalrejo,
Indonesien
Der Glaube eines Menschen wird stets geprüft: erstens, inwieweit ein Mensch immerzu nur Gott verehrt
und nicht die weltlichen Dinge; und zweitens, inwieweit er stets Gutes für seine Mitmenschen tut.
~ Dr. Haedar Nashir, stellvertretender Vorsitzender der Muhammadiyah
Der Prophet Mohammed (Friede sei mit ihm) sagte: „Wer Gott und Gottes Wille für den letzten Tag treu
ist, ehrt seinen Nachbarn. Wer Gott und Gottes Wille für den letzten Tag treu ist, ehrt seinen Gast.“
Gemäß der Definition des Propheten ist ein Ungläubiger jemand, den das Leiden anderer nicht kümmert.
Oder wie der Prophet Mohammed (Friede sei mit ihm) auch sagte: „Der Begriff ‚Menschen des
Glaubens‛ bezieht sich nicht auf jemanden, der nachts satt und zufrieden schläft, während sein Nachbar
hungrig wach liegt.“
~ Jalaluddin Rakhmat, indonesischer muslimischer Gelehrter
Das Leben wird beeinträchtigt, zerrüttet oder zerstört, wo immer Menschen durch ihren irregeführten
Glauben das Band, das sie mit Gott verbindet, und die Bande der Menschlichkeit zerschneiden.
~ Dr. Haedar Nashir, stellvertretender Vorsitzender der Muhammadiyah
Wenn wir den Glauben von der Perspektive aus betrachten, dass wir ihn vollends verstehen und
umsetzen, ist er ganz klar mal stärker und mal schwächer. Mit anderen Worten, der Glaube ist eine
Entwicklung, ein Prozess.
~ Kyai Haji Abdurrahman Wahid, ehemaliger indonesischer Präsident und Vorsitzender der Nahdlatul
Ulama (1984-1999)
Manchmal denken wir, dass Polytheisten nur diejenigen sind, die Statuen, große Bäume und derartige
Dinge anbeten. Aber die Schätzung von Stellung, Beruf und Wohlstand wird oftmals übersehen, obwohl
sie die Vergötterung eben dieser Dinge darstellt.
~ Kyai Haji M. Tolchah Hasan, Berater der Nahdlatul Ulama
Die Menschen sollten ihr Leben vollständig nach Gott ausrichten; Gott bestimmt alles; und ob wir
wahrhaftig Gutes tun oder nicht, weiß nur Gott allein.
~ Kyai Haji Abdurrahman Wahid, ehemaliger indonesischer Präsident und Vorsitzender der Nahdlatul
Ulama (1984-1999)
Episode 1: ISLAM UND GLAUBE
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ABSCHNITT 2
SELBSTTRANSZENDENZ
Die Selbsttranszendenz führt uns dazu, ohne Eigennutz zu handeln; zum Beispiel der Wunsch, jemandem
zu helfen oder aufrichtig und mit guter Absicht zu handeln - das ist Selbstlosigkeit.
~ Dr. Amin Abdullah, Rektor der islamischen staatlichen Universität Sunan Kalijaga, Indonesien
Die Selbstlosigkeit repräsentiert ein Umsetzungselement des Glaubens selbst. Ein Mensch mit gutem
religiösen Glauben ist definitiv selbstlos. Allerdings ist es leichter, über Selbsttranszendenz zu reden als
sie zu erreichen.
~ Kyai Haji M. Tolchah Hasan, Berater der Nahdlatul Ulama
Wir können den Weg des Lebens mit einem reinen und selbstlosen Herzen gehen, indem wir
sicherstellen, dass ein jeder unserer Schritte und all unsere Gedanken und Taten für Gott, der höchsten
Wahrheit, erfolgen.
~ Kyai Haji Masdar Mas’udi, stellvertrender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Selbstlosigkeit ist die hauptsächliche antreibende Kraft dafür, Gutes zu tun. Und das Wesen dieser guten
Taten ist nicht transaktional, da sie lediglich dem Ruf menschlicher Pflicht folgen. So erhält das Leben
seinen Sinn und Zweck - durch ein solides Fundament des Glaubens und der Selbsttranszendenz.
~ Dr. Moeslim Abdurrahman, indonesischer muslimischer Gelehrter
Die bedeutendsten Taten, die aus Hingabe erfolgen, sind die, die von der großen Dankbarkeit für Gottes
Gnade sowie der starken Liebe zu Gott, seinen Dienern (Menschheit) und all seinen Geschöpfen motiviert
wurden.
~ Kyai Haji Muhammad Zuhri Zaini, Leiter des islamischen Internats Nurul Jadid in Probolinggo,
Indonesien
Meiner Meinung nach ist es die einfachste Form der „Selbstlosigkeit“, wenn wir etwas tun, weil es
[gemäß der Offenbarung in den Schriften] Gottes ausdrückliches Gebot ist; in zeitgemäßen
philosophischen Begriffen ausgedrückt, aufgrund unserer Werte und nicht zu materialistischen oder
privaten Zwecken oder zur Befriedigung unseres Egos. Menschen handeln selbstlos aufgrund der
transzendentalen Werte, an die sie festhalten; einfach ausgedrückt, wegen Gott.
~ Jalaluddin Rakhmat, indonesischer muslimischer Gelehrter
Episode 1: ISLAM UND GLAUBE
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Ich bin mir sicher, dass wenn Selbstlosigkeit tief in unserer Psychologie und unserem Verhalten und eben
in unseren Seelen verwurzelt wäre und den Geist eines jeden Indonesen, einschließlich unserer Elite,
beleben würde..., ich glaube, dies würde zu einer „Spiritualisierung des Lebens“ voller wahrer Hingabe zu
Gott führen; bis zu dem Punkt, an dem die Selbsttranszendenz nicht nur zu frommen einzelnen Personen,
sondern auch zu einer Gesellschaft, die von Hingabe gekennzeichnet ist, führen würde, was wiederum
Harmonie in unser Leben hier auf Erden bringen würde.
~ Dr. Haedar Nashir, stellvertretender Vorsitzender der Muhammadiyah
Unser Leben und unsere Überzeugungen sollten sich nach den Lehren eines Sufi-Meisters zur
Selbsttranszendenz ausrichten: „Begrabe dich selbst (d. h. dein Ego) in der leeren Erde.“ Das heißt, dass
man die Eigennützigkeit vollkommen aufgibt und sich gänzlich Gott und Gottes Wille, der aus dem
Transzendenten auftaucht, hingibt.
~ Kyai Haji Abdurrahman Wahid, ehemaliger indonesischer Präsident und Vorsitzender der Nahdlatul
Ulama (1984-1999)
Aufrichtigkeit ist das Wesen religiöser Praxis und sollte meiner Meinung nach den Glauben stets
begleiten. Denn ohne Aufrichtigkeit entspricht unser Glaube dem eines Scheinheiligen. Wir können
fünfmal am Tag beten und unseren Glauben lautstark bekannt geben, aber wenn wir Nicht-Muslime
hassen und sie nicht als Freunde respektieren oder schätzen, dann ist unser Glaube wertlos. Aufrichtigkeit
bei der Arbeit; echte Freundschaften mit jedermann - dies sind wesentliche Werte, die nicht gefährdet
oder ersetzt werden können. Es mangelt an Aufrichtigkeit, wenn wir behaupten, dass wir Muslime sind,
die für den Islam „kämpfen“, während unsere Herzen voller Stolz, Ego und Eigennützigkeit sind; dann ist
unsere religiöse Praxis lediglich oberflächlich, und wir manipulieren den Islam für eigennützige Zwecke.
In diesem Fall unterscheidet sich unsere Frömmelei nicht von der Frömmelei der Menschen ohne jegliche
Religion. In der Tat ist es meiner Ansicht nach geringwertiger und niedriger als die primitiven Instinkte
von Tieren.
~ Kyai Haji Abdul A’la, Mitglied, Nationales Kommittee für die Verhinderung von Gewalt gegen Frauen,
Sumenep, Indonesien
Selbstlosigkeit liegt nicht auf der Zunge, sondern in der Tiefe des Herzens.
~ Kyai Haji M. Tolchah Hasan, Berater der Nahdlatul Ulama
Gemäß dem Koran existiert Satan; aber er hat keine Macht über selbsttranszendente Diener (Gottes). Es
sind die eigennützigen und egozentrischen Menschen, die in der Tat Satans Freunde und Verbündete sind.
~ Prof. Dr. A. Syafii Maarif, ehemaliger Vorsitzender der Muhamadiyah (1998-2005)
GEDICHT
Alif (der erste Buchstabe des arabischen Alphabets; er hat die Form eines Schwertes oder Dorns)
Von Zawawi Imron
Episode 1: ISLAM UND GLAUBE
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Sumenep, Madura, Indonesien
Erinnerung an Gott
(Keine Übersetzung der ersten Worte des Gedichtes)
Gott
Dein Wille ist wie ein Schwert in meiner Hand,
Das meine Brust durchsticht und den Kompass meines Herzens ändert
Deine Form gleicht der einer aufrechten Säule, die sich, wenn sie sich krümmt, in einen Aal verwandelt
und sich in der Fantasie verliert... mit lediglich einem Nadeleinstich, der bleibt, um das Licht zu enthüllen
So dass ich von den mäßigen Winden deiner Fügung hin- und hergeweht werde
Gott... Gott... Gott... Gott...
Gott!
Mein Leben... mein Tod... mein Schicksal... liegen in deinen Händen
Mein Leben... mein Tod... mein Schicksal... liegen allesamt in deinen Händen
in deinen Händen... in deinen Händen... in deinen Händen
in deinen Händen... in deinen Händen... in deinen Händen...
Ich grabe die Tiefen meines Herzens aus mit dem Dorn deines Alif
Bis eine Quelle hervorspringt,
die zu einem Brunnen wird und dann zu einem Fluss, einem Meer, einem Ozean mit seinen Millionen
Wellen,
die laut stöhnen, wenn ich deinen Namen rufe
Gott... Gott... Gott...
Gott!
Herr
Deine Beschaffenheit ist einzig und steht aufrecht im Universum
Episode 1: ISLAM UND GLAUBE
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ABSCHNITT 3
DER VOLLKOMMENE MUSLIM
Universität Al-Azhar
Kairo, Ägypten
Die Botschaft des Propheten Mohammed, Friede und Segen seien mit ihm, steht im Allgemeinen im
Einklang mit den Überlieferungen früherer Propheten. Alle Boten, die Gott der Menschheit sandte einschließlich Moses, Jesus, Abraham und Mohammed - überbrachten eine einzige Botschaft, deren
wesentlichen Grundsätze identisch waren: erstens, verehre selbstlos den Herrn, deinen Gott; zweitens,
eine Pflicht, sich mit guten moralischen Werten zu zieren.
~ Muhammad Sayyid Tantawi, Großscheich von al-Azhar in Kairo, Ägypten
Die wahre Bedeutung des Begriffs Islam ist die gänzliche und vollkommene Ergebenheit gegenüber Gott,
der uns erschaffen hat. Im Koran heißt es: „Die wahre Religion ist die gänzliche Ergebenheit gegenüber
Gott.“ Die Etymologie dieses Satzes zeigt, dass ein jeder, der sich Gott vollkommen hingibt, ein Muslim
ist. Da der Islam jedoch zum Namen einer bestimmten Religion wurde - überbracht von dem Propheten
Mohammed in seiner heiligen Schrift, dem Koran - hat der Islam als eine offizielle Religion Regeln, die
von all seinen Anhängern befolgt werden sollten; die einfachsten Beispiele sind die fünf Säulen des Islam.
~ Prof. Dr. Kyai Haji Said Agil Siraj, stellvertretender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Ein vollkommener Muslim ist jemand, der sich zur Bekundung des in seiner Seele vorherrschenden
Glaubens Gott vollständig hingibt und unterwirft. Eine verbale Verpflichtung (das Glaubensbekenntnis)
führt zu einer von Herzen kommenden Realität, die sodann zu einem Leben im Einklang mit den höchsten
Werten gedeiht.
~ Kyai Haji Abdul Muqiet Arief, Leiter des islamischen Internats Bahrul Ulum in Jember, Indonesien
Hauptsitz der Muhammadiyah
Yogyakarta, Indonesien
Der vollkommene Muslim ist nicht jemand, der sich selbst als den islamischsten Menschen betrachtet
oder der fühlt oder vorgibt, heilig zu sein oder von sich selbst denkt, dass er fehlerlos ist. Es ist vielmehr
jemand, der seine individuelle Natur als schwach und begrenzt ansieht; jemand, der sich gezwungen fühlt,
durch Dienste an die Menschheit anderen Liebe und Mitgefühl entgegen zu bringen, und so durch sein
Verhalten zum Wohl anderer beiträgt. Einen solchen Menschen bezeichnen wir als vollkommenen
Muslim bzw. vollkommenen Menschen.
~ Dr. Haedar Nashir, stellvertretender Vorsitzender der Muhammadiyah
Ein Muslim ist jemand, der in der Lage ist, seine Zunge und Hände zu hüten, um andere nicht zu
verletzen. Ein Muslim zu sein ist weitaus mehr als symbolisch unser Glaubensbekenntnis aufzusagen:
„Ich bezeuge, dass es keine Gottheit außer Gott gibt und dass Mohammed der Gesandte Gottes ist.“
Muslim zu sein besteht vielmehr darin, dieses Glaubensbekenntnis in unserem Alltag anzuwenden und
Episode 1: ISLAM UND GLAUBE
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dem Beispiel des Gesandten Gottes zu folgen. Bei jedem Schritt und jeder Handlung denken wir stets
daran, dass Gott über uns wacht. Die Parameter unseres Lebens sind die Taten des Gesandten Gottes,
Friede und Segen seien mit ihm.
~ Kyai Haji M. Yusuf Chudlori, Leiter des islamischen Internats Asrama Perguruan Tinggi in Tegalrejo,
Indonesien
Die muslimische Vollkommenheit zeigt sich durch den Gehorsam (gegenüber Gott) und einem Verhalten,
das die Größe des Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) zum Vorbild hat, d. h. indem man Gutes
tut, um Gott zu lobpreisen. Um es allgemeinsprachlich auszudrücken: der einzige Grund, warum wir
leben, ist Gott; wir können uns nur mit der Hilfe Gottes bewegen; und es gibt keine Kraft oder Macht in
dieser Welt, abgesehen von Gott. Aus diesem Grund ist der vollkommene Muslim jemand, der sich selbst
nur Gott und nicht weltlichen Formen hingibt.
~ Mohamad Sobary, indonesische Kulturfigur
Ein vollkommener Muslim ist jemand, der die Gebote seiner Religion im größtmöglichen Umfang
versteht und einhält.
~ Prof. Dr. A. Syafii Maarif, ehemaliger Vorsitzender der Muhamadiyah (1998-2005)
Muslim zu werden heißt, anderen mit Respekt zu begegnen. Ein Muslim beraubt, bestiehlt, tötet oder
belästigt andere Menschen nicht. Das ist die Definition eines wahren Muslims. Und daher glaube ich, dass
ein vollkommener Muslim jemand ist, der die Mission des Propheten erfüllt, d. h. dass er Barmherzigkeit
und Mitgefühl verbreitet und Gottes Liebe mit der gesamten Schöpfung teilt.
~ Jalaluddin Rakhmat, indonesischer muslimischer Gelehrter
Grab von Mohammeds Enkel, Sayyidina Hussein
Kairo, Ägypten
Die hauptsächliche und wesentliche Tätigkeit des Propheten war es, seinem Volk von einer
gesellschaftlichen Gegebenheit zur nächsten zu verhelfen; von einem primitiven zu einem besseren,
fortschrittlicheren Zustand als vor der göttlichen Botschaft. Das ist die Bedeutung von „rahmat“ oder
Barmherzigkeit, wie es im koranischen Vers 21:107 angekündigt wird.
~ Dr. Ali Mabrook, Experte für koranische Studien, Universität Kairo, Ägypten
Koranrezitation:
Im Namen Gottes, dem Barmherzigen, dem Mitfühlenden: „Eine Botschaft für die, die Gott verehren: Wir
(Gott) entsandten dich (Mohammed) nur, um der gesamten Schöpfung Barmherzigkeit zu erweisen.“
(Koran, al-Anbiya, 21:107)
Episode 1: ISLAM UND GLAUBE
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Dieser Vers zeigt, dass der Prophet Mohammed die Vollkommenheit göttlicher Realität verkörperte.
Durch ihn wird zudem die These vertreten, dass das Prophetentum das Wesen der Barmherzigkeit Gottes
gegenüber der Menscheit darstellt - gesandt aus unendlicher Liebe und Mitgefühl - wodurch deutlich
wird, dass Gott tatsächlich der Allbarmherzige und Mitfühlende ist. Dies ist die Beziehung zwischen der
Liebe Gottes und der des Propheten.
~ Maryam Ishaq al-Khalifa Sharief, Shadili Tariqa Figur aus Khartoum, Sudan
Viele behaupten, dass sie vollkommen sind, und sie präsentieren sich selbst als die „besten“ Muslime,
obwohl viele andere Menschen weitaus vollkommener oder besser sind als sie. In Wirklichkeit gibt es nur
einen vollkommenen Muslim, und das ist der Prophet Mohammed.
~ Kyai Haji M. Tolchah Hasan, Berater der Nahdlatul Ulama
ABSCHLUSS
Verehrte Zuschauer, Sie haben soeben die Beiträge vieler Experten und Gelehrter gehört. In Wirklichkeit
sind die Islamwissenschaft und der Islam selbst sehr umfassend, wie der Ozean der hinter mir liegt. Wir
müssen unsere Religion weitaus intensiver studieren, um zu verstehen, inwieweit der Islam wahrhaftig
zum Segen für die gesamte Schöpfung werden kann.
Natürlich bedarf es zur Praktizierung des Islam der Aufrichtigkeit, Selbsttranszendenz und vollständigen
Unterwerfung gegenüber dem Willen des Höchsten statt gegenüber unserer eigenen individuellen
Begehren. Gott der Größte wünscht, dass wir friedlich miteinander leben und das Leben in dieser Welt
schützen und verbessern. Es wurde uns als demütige Diener Gottes geboten, seine Vertreter hier auf
Erden zu werden. Daher ist es nur richtig und angemessen, dass wir ein liebevolles, positives und
konstruktives Verhalten an den Tag legen, damit diese Welt, die Gott geschaffen und uns anvertraut hat,
ein wahrhaftig wunderbarer Ort wird. Nicht verflucht von (der) erstickenden Hitze (egoistischer
Leidenschaften).
Ich hoffe und vertraue darauf, dass diese Videoserie es uns allen ermöglicht, unseren Gedankenhorizont
zu erweitern und unsere Spiritualität zu bereichern.
Bis zum nächsten Mal bei einer weiteren Folge zu einem anderen Thema.
Mögen der Friede, die Liebe und der Segen Gottes mit Ihnen sein.
Episode 1: ISLAM UND GLAUBE
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Episode 2:
ISLAM & ECHTE HINGABE
EINLEITUNG
Verehrte Zuschauer, hier sind wir wieder bei Ozean der Offenbarungen.
Dieses Mal lade ich Sie ein, sich die Beiträge zahlreicher Gelehrter zur spirituellen Vollkommenheit
anzuhören. Ist „liebevolle Dankbarkeit“ zum Beispiel etwas, das wir Gott allein schuldig sind oder (ein
Teil einer weitaus größeren menschlichen Verpflichtung)? Sie werden später die Meinungen zu diesem
und anderen Themen hören.
Ich hoffe, dass dies zu unser aller Verständnis von Religion beitragen wird und Ihnen die Sendung gefällt.
ABSCHNITT 1
DANKBARKEIT
Moschee der Neun Heiligen
Demak, Zentral-Java, Indonesien
Gott sagt im Koran: „Wer Gott dankbar ist, ist in Wirklichkeit sich selbst dankbar.“ Denn wer Gott stets
dankbar ist, vergisst niemals sich selbst (d. h. seine eigene wahre Natur als ein Funken des Göttlichen).
Vergisst ein Mensch, Gott dankbar zu sein, so vergisst er sich selbst.
~ Prof. Dr. Kyai Haji Said Agil Siraj, stellvertretender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Dankbarkeit nimmt die Form konkreter Handlungen an sowie einen Lebensstil, in dem Gottes Segen im
Dienste für die Menschlichkeit zum Wohlergehen vieler Menschen einen Platz findet; denn das ist das
Gebot Gottes.
~ Prof. Dr. A. Syafii Maarif, ehemaliger Vorsitzender der Muhamadiyah (1998-2005)
Koranrezitation:
„Und erinnert euch daran, als euer Herr verkündete: ‚Wenn ihr dankbar seid, werde ich euch noch
größeren (spirituellen bzw. materiellen) Segen zukommen lassen; wenn ihr aber ungläubig seid (d. h. von
Gott durch eure Egos entfremdet), ist meine Strafe streng.‛“ (Koran 14:7)
Episode 2: ISLAM UND ECHTE HINGABE
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Wer dankbar ist und stets an Gott denkt, führt ein glückliches Leben. Wem Dankbarkeit aber fremd ist,
der leidet an vielen Krankheiten.
~ Dr. Amin Abdullah, Rektor der islamischen staatlichen Universität Sunan Kalijaga, Indonesien
Menschen, die dankbar sind, erkennen den Segen Gottes und nutzen diesen weise - sei es in Form von
Wohlstand oder eines anderen göttlichen Geschenks - für ihr eigenes Wohlergehen, dem Wohlergehen
ihrer Familie und dem vieler Menschen.
~ Dr. Haedar Nashir, stellvertretender Vorsitzender der Muhammadiyah
Gott gegenüber dankbar zu sein heißt, all unsere Fähigkeiten und alles, was Gott uns vermacht hat, in
einer Weise zu nutzen, die im Einklang mit dem Wesen dieser Gaben liegt. Zum Beispiel wurden uns
Hände geschenkt. Wie werden sie gebührend genutzt? Indem man Leben zerstört oder verbessert? Denn
wie der Prophet sagte, müssen wir unsere Hände, Füße und Augen nutzen, um eine hohe Moral zu
entwickeln. Anderen Gutes zu tun und unserem Umfeld gegenüber gütig zu handeln; darin liegt der
wesentliche Ausdruck der Dankbarkeit gegenüber Gott.
~ Kyai Haji Abdul A’la, Mitglied, Nationales Kommittee für die Verhinderung von Gewalt gegen Frauen,
Sumenep, Indonesien
Das Gleiche gilt, wenn wir Gott dafür danken, dass er uns eine einflussreiche oder mächtige Position in
dieser Welt gegeben hat. Wenn wir von der Öffentlichkeit beauftragt werden, handeln wir so bescheiden
und dankbar, dass es den Menschen insgesamt zugute kommt, statt ihr Vertrauen zu missbrauchen.
~ Kyai Haji A. Washil Syarbini, Leiter des islamischen Internats Sumberweringin in Jember, Indonesien
Grab von Mohammeds Enkel, Sayyidina Hussein
Kairo, Ägypten
Gedicht
O mein Mohammed, wie ich mich nach dir sehne
von Ahmad Mustofa Bisri
vorgetragen von Ratih Sang
O mein Mohammed, wie ich mich nach dir sehne!
Entlang der Straße (des Lebens) sehe ich niedergeschlagene Gesichter,
die sich meinem machtlosen Blick zeigen,
während die, die Stärke besitzen, die Schwäche anderer ausnutzen.
air mataku pun mengalir mengikuti panjang jalan
Episode 2: ISLAM UND ECHTE HINGABE
11
Tränen strömen aus meinen Augen, während ich über den langen Weg (menschlichen Leidens) nachsinne
und die charismatische Kraft deiner sanften Berührung suche.
Ich höre unaufhörliches Klagen aus dünnen, schwachen Brüsten,
die Stimme fortwährenden Leidens und stetiger Pein,
während Arroganz, Selbstgerechtigkeit und Grausamkeit wuchern.
Meine Ohren strengen sich an in der Hoffnung, nur einmal
deine friedliche, wohlklingende und beruhigende Stimme zu hören.
Ich sehne mich nach dir
O mein Mohammed, wie ich mich nach dir sehne!
Tausende gierig ausgetreckter Hände
suchen überall nach neuen Opfern, die sie verschlingen können.
Ich blicke auf die Erde, und die Hoffnung zwingt mich, meinen letzten Atemzug zu nehmen
und ich rufe dich, ich rufe dich
O mein Mohammed
O mein Mohammed
Überall sehe ich Brüder, die sich gegenseitig verletzen und ein jeder behauptet, im Recht zu sein,
während sie weiterhin Unrecht begehen
Selbstsüchtig manipulieren sie den Koran und deine Botschaften, um ihre eigenen Interessen zu
befriedigen
Ich lasse sie zurück und versuche, dich in der Ruhe meiner Sehnsucht zu finden
O mein Mohammed, wie ich mich nach dir sehne!
Wie ich mich nach dir sehne...
So viele Abu Jahals und Abu Lahabs (grausame, selbstgerechte und böse Männer) verkörpern sich in
deinen selbsternannten Anhängern
O mein Mohammed... Friede und Segen seien mit dir!
Wie können wir die gewaltigen Wellen von Ignoranz und Arroganz (die Muslime heimsuchen)
bekämpfen?
Wie können wir die ignoranten und arroganten Menschen unseres eigenen Volkes angreifen?
Episode 2: ISLAM UND ECHTE HINGABE
12
O mein Mohammed
Ich sehne mich nach dir... Ich sehne mich so sehr nach dir
O mein Mohammed
Ich sehne mich nach dir
Ich sehne mich so sehr nach dir
O mein Mohammed, wie ich mich nach dir sehne!
ABSCHNITT 2
Eine notwendige Form der Dankbarkeit ist die mündliche Form. Wann immer wir etwas erhalten, drückt
unsere Zunge Dankbarkeit aus, indem wir ausrufen „Dank sei Gott!“ Das ist mündliche Dankbarkeit.
~ Kyai Haji M. Yusuf Chudlori, Leiter des islamischen Internats Asrama Perguruan Tinggi in Tegalrejo,
Indonesien
Der Prophet Mohammed sagte einmal, dass Gott am Jüngsten Tag die Menschen, die vor ihn treten,
fragen wird, ob sie anderen dankbar waren. Viele werden antworten: „Aber wir waren dir dankbar, mein
Herr!“ Und Gott wird sagen: „Ihr wart mir nicht dankbar, wenn ihr nicht auch denen dankbar wart, durch
die ich euch meine Gnade gesandt habe.“ Diese prophetische Überlieferung wird normalerweise so
zusammengefasst, dass es jemandem, der anderen fühlenden Wesen gegenüber undankbar ist, insgesamt
an Dankbarkeit mangelt. Dankbarkeit gegenüber Gott ist von der Dankbarkeit gegenüber seinen
Geschöpfen untrennbar; und die, die anderen undankbar sind, gelten als undankbar gegenüber Gott.
~ Jalaluddin Rakhmat, indonesischer muslimischer Gelehrter
Dankbarkeit ist ein wesentliches Element aller Religionen und begrenzt sich nicht nur auf den Islam. In
Amerika feiert man sogar jedes Jahr ein besonderes Fest der Danksagung (Thanksgiving Day), um Gott
gegenüber Dankbarkeit auszudrücken.
~ Dr. M. Amin Abdullah, Rektor der islamischen staatlichen Universität Sunan Kalijaga, Indonesien
Was bedeutet es, aus tiefstem Herzen dankbar zu sein? Es bedeutet, dass absolut kein Konflikt besteht
zwischen dem, was wir sagen und dem, was wir fühlen. Wenn unsere Zunge „A“ sagt, fühlt unser Herz
auch „A“. Und wenn unsere Zunge „weiß“ sagt, fühlt unser Herz genau das Gleiche.
~ Kyai Haji M. Yusuf Chudlori, Leiter des islamischen Internats Asrama Perguruan Tinggi in Tegalrejo,
Indonesien
Episode 2: ISLAM UND ECHTE HINGABE
13
Ein Verhalten, das auf Dankbarkeit beruht, bringt Ruhe und Harmonie in unser Leben und verhindert
viele Übel.
~ Dr. Haedar Nashir, stellvertretender Vorsitzender der Muhammadiyah
Gott sagt im Koran: „Allah wird dich nicht peinigen, wenn du treu und dankbar bist [d. h. wenn du dich in
einem Zustand dankbarer Hingabe an Gott befindest].“
~ Kyai Haji A. Washil Syarbini, Leiter des islamischen Internats Sumberweringin in Jember, Indonesien
Ein Mann namens Bilal fragte den Propheten einmal: „Wenn Gott dir all deine Sünden vergeben und dir
den Zugang zum Paradies zugesichert hat, warum betest du dann weiterhin Tag und Nacht?“ Der Prophet
antwortete: „Ist es nicht angemessen, dass ich Gott gegenüber meine Dankbarkeit ausdrücke?“ Das zeigt,
dass der Prophet die Anbetung als eine Form der Dankbarkeit gegenüber dem Göttlichen ansah.
~ Kyai Haji M. Tolchah Hasan, Berater der Nahdlatul Ulama
ABSCHNITT 3
DER VOLLKOMMENE MENSCH
Sasak-Dorf
Insel Lombok, Indonesien
Zur Praktizierung eines guten religiösen Glaubens müssen zwei wichtige Bedingungen erfüllt werden:
erstens muss man von der transzendentalen Gewissheit überzeugt sein und sich an die Lehren des
Glaubens halten, den man angenommen hat; und zweitens, die Bedeutung eines liebevollen und
menschlichen Verhaltens vollends verstehen. Durch die Erfüllung dieser beiden Bedingungen wird man
einen starken religiösen Glauben praktizieren können und trotzdem nur sehr zögerlich andere kritisieren
oder verurteilen.
~ Kyai Haji Abdurrahman Wahid, ehemaliger indonesischer Präsident und Vorsitzender der Nahdlatul
Ulama (1984-1999)
Ein vollkommener Mensch ist jemand, der die besondere Gabe hat, seinen Pflichten im Leben
entsprechend seiner hohen Berufung als menschliches Wesen nachzukommen.
~ Kyai Haji M. Tolchah Hasan, Berater der Nahdlatul Ulama
Episode 2: ISLAM UND ECHTE HINGABE
14
Meiner Ansicht nach ist der vollkommene Mensch jemand, der in der Lage ist, Gott vollends zu verehren
und sich ihm vollständig zu unterwerfen und die Funktionen als Gottes stellvertretender Herrscher (Kalif)
hier auf Erden zu erfüllen.
~ Dr. Haedar Nashir, stellvertretender Vorsitzender der Muhammadiyah
Ein Mensch kann als vollkommen bezeichnet werden, wenn er über gute vertikale und horizontale
Beziehungen verfügt. Vertikal meint, eine gute Beziehung zu Gott zu unterhalten, d. h. dass man an den
Herrn glaubt, sich ihm vollständig unterwirft und ihn verehrt. Horizontal meint eine Person, die anderen
hilft und allen fühlenden Wesen, insbesondere ihren Mitmenschen, Liebe und Frieden bringt.
~ Kyai Haji Muhammad Zuhri Zaini, Leiter des islamischen Internats Nurul Jadid in Probolinggo,
Indonesien
Ein vollkommener Mensch ist jemand, der stets bestrebt ist, sich selbst so gut es geht weiterzuentwickeln,
um die ihm gegebenen Fähigkeiten, einschließlich seiner emotionalen, spirituellen und intellektuellen
Fähigkeiten, zu perfektionieren. Ein solcher Mensch ist stets bemüht, dem Göttlichen näher zu kommen.
~ Kyai Haji Abdul A’la, Mitglied, Nationales Kommittee für die Verhinderung von Gewalt gegen Frauen,
Sumenep, Indonesien
Koranrezitation:
„Ihr könnt keine Rechtschaffenheit erlangen, wenn ihr nicht etwas von euren geliebten Besitztümern
spendet. Was immer ihr spendet, Gott ist sich dessen vollstens bewusst.“ (Koran 3:92)
Um als „vollkommener“ Mensch bezeichnet zu werden, muss man einen starken Glauben haben und der
Selbsttranszendenz fähig sein. Doch der konkrete Beweis liegt in der Verrichtung guter Taten. Aus
diesem Grund stellen ganze 50 Verse im Koran eine Verbindung zwischen dem Glauben und
tugendhaften Taten her. Bei einem Glauben ohne gute Taten fehlt die konkrete Realisierung in der
materiellen Welt, und er mag aus einer bloßen Behauptung oder einem „Gefühl“ bestehen. Deswegen
sollte der Glaube die Form guter Taten gegenüber unseren Mitgeschöpfen annehmen. Diese tugendhaften
Taten sind nicht das Produkt egoistischer Kalkulation - „Ich tue etwas Gutes, damit andere mir etwas
Gutes tun“ -, sondern vielmehr tue ich nur deshalb etwas Gutes, weil es Gottes Gebot für die Menschheit
ist (sowie die Frucht unserer Hingabe gegenüber Gott).
~ Kyai Haji Masdar Mas’udi, stellvertretender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Al-Azhar-Moschee
Kairo, Ägypten
Episode 2: ISLAM UND ECHTE HINGABE
15
Gemäß diesem Vers sollte ein Muslim, der sich Gott wahrhaftig unterwirft, ohne Zweifel erkennen, dass
die Barmherzigkeit Gottes, die auf dem Wege des Islam gesandt wird, meint, Bedürftigen zu helfen, die
Jungen, Schwachen und Gepeinigten zu lieben und es als eine Priorität anzusehen, all denen zu helfen, die
dringend Unterstützung benötigen.
~ Muhammad Sayyid Tantawi, Großscheich von al-Azhar in Kairo, Ägypten
Die menschliche Vollkommenheit ist im Wesentlichen ein Prozess; ein Prozess, der ununterbrochen auf
dem Wege der Menschheit voranschreitet. Sie ist die fortwährende Berichtigung unseres Verhaltens, so
dass wir nicht gegen die Prinzipien menschenwürdigen Verhaltens verstoßen.
~ Moeslim Abdurrahman, indonesischer muslimischer Gelehrter
In Wahrheit ist kein Mensch vollkommen im Sinne der Vollkommenheit Gottes. Aus diesem Grund sollte
ein „vollkommener“ Mensch über einen ausgezeichneten moralischen Charakter und höchste moralische
Werte verfügen. Er ist nicht vollkommen in dem Sinne, dass er keine Schwächen hat, sondern vielmehr in
dem Sinne, dass er bescheiden ist und stets bestrebt ist sich zu verbessern.
~ Kyai Haji Abdul A’la, Mitglied, Nationales Kommittee zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen,
Sumenep, Indonesien
Die Menschen wurden von Gott mit nur einem einzigen Auftrag geschaffen: der Pflicht, Gott bestens zu
dienen und alle Lebensformen auf der Erde zu hegen und zu pflegen. Mit anderen Worten, die Pflichten
der Verehrung und der stellvertretenden Herrschaft auszuüben. Die Pflicht, als Gottes stellvertretender
Herrscher (Kalif) zu handeln, erfordert, dass wir das menschliche Leben erheben und stärken, um so
größtmöglichen spirituellen und materiellen Wohlstand zu erzielen.
~ Kyai Haji M. Tolchah Hasan, Berater der Nahdlatul Ulama
Die menschliche Vollkommenheit ist nicht etwas, was in Predigten dargestellt wird, sondern sich
vielmehr in unseren Handlungen im Alltag zeigt, welche andere inspirieren, dem Beispiel (des Heiligen)
zu folgen, weil sie die erleuchtende Wirkung in ihrem täglichen Leben sehen können.
~ Mohamad Sobary, indonesische Kulturfigur
Der islamische Begriff menschlicher Vollkommenheit oder insan kamil bezieht sich auf die Ansammlung
tugendhafter Qualitäten, ist in der Tat allerdings ein fortwährender Prozess, um einen besseren Zustand zu
erzielen. Folglich ist die „menschliche Vollkommenheit“ ein anhaltender Prozess, in dem man bestrebt
ist, Vollkommenheit zu erreichen. Ich persönlich hinterfrage jeden, der behauptet, den Zustand der
Vollkommenheit erreicht zu haben, denn alles ist ein fortlaufender Prozess.
~ Dr. Amin Abdullah, Rektor der islamischen staatlichen Universität Sunan Kalijaga, Indonesien
„Niemand, außer anderen Heiligen, weiß, wer wirklich ein Heiliger ist.“ Um also darüber (die
menschliche Vollkommenheit) Bescheid zu wissen, müssen wir Heilige werden. Es ist eine stark
Episode 2: ISLAM UND ECHTE HINGABE
16
vetretene Ansicht im Islam, dass man andere Menschen nicht ohne weiteres als Heilige bezeichnen oder
betrachten sollte. Doch ebenso sollen wir diejenigen, denen offensichtliche „göttliche Gaben“ fehlen,
nicht als Unheilige ablehnen.
~ Kyai Haji Abdurrahman Wahid, ehemaliger indonesischer Präsident und Vorsitzender der Nahdlatul
Ulama (1984-1999)
Ein berühmter muslimischer Philosoph sagte einmal, dass wir in Wirklichkeit keine physischen Wesen
sind, die eine spirituelle Erfahrung machen, sondern dass wir spirituelle Wesen sind, die eine physische
Erfahrung hier auf Erden machen. Der Prophet war zum Beispiel ein spirituelles Wesen, das sein
physisches Leben der Erreichung großer spiritueller Ziele widmete. Aus diesem Grund wurde seine
Hingabe zu Gott nicht lediglich durch allabendliche (zusätzliche) Gebete bewiesen, sondern vielmehr
durch seine Verpflichtung gegenüber dem Wohl der Menschheit. Meiner Ansicht nach ist der
vollkommene Mensch jemand, der, wie der Prophet, in sich selbst zwei wesentliche Lehren verbindet,
und zwar nicht nur die des Islam, sondern die einer jeden Religion: nämlich Gott zu verehren und der
Menschheit zu dienen. Er liebt Gott und seine Mitmenschen. Diese Qualitäten zeigten sich in der
Persönlichkeit und dem Leben des Propheten, der in seiner Anbetung die göttliche Gegenwart direkt
erfuhr, bis zu dem Punkt, an dem er während des Gebets Tränen der Hingabe weinte. Aber zusätzlich
widmete er sein ganzes Leben dem Kampf gegen menschliche Grausamkeit und Ungerechtigkeit.
~ Jalaluddin Rakhmat, indonesischer muslimischer Gelehrter
ABSCHLUSS
Sie haben soeben die Meinungen zahlreicher Gelehrter zur spirituellen Vollkommenheit gehört. Einige
untersuchten dieses Thema vor dem Hintergrund der Dankbarkeit eines bescheidenen Dieners gegenüber
Gott. Andere sprachen über unsere Rolle als Menschen, denn - wie wir wissen - sind wir Menschen in der
Tat Diener Gottes, denen das Gebot und die Pflicht auferlegt wurde, seine Kalifen bzw. Vertreter auf
Erden zu sein. Aus diesem Grund hat Gott uns Fähigkeiten gegeben, die andere Geschöpfe nicht besitzen.
Wir haben einen Verstand, die Fähigkeit, Vernunft walten zu lassen und ein Gewissen, so dass wir danach
streben können, die göttlichen Qualitäten aufzunehmen, die erforderlich sind, um wahrhaftig Gottes
stellvertretende Herrscher auf Erden zu werden (und nicht nur zu behaupten oder vorzugeben, es zu sein).
Die Menschen sind dafür gedacht, die Erde zu beherrschen, aber dafür müssen wir die Charakteristiken
von Gott dem Beschützer (aller Lebewesen), dem Barmherzigen, dem Mitfühlenden, der voller Liebe und
Gerechtigkeit ist, verkörpern und in der Lage sein, andere (bis zum Ende) zu führen.
Wir sollten niemals vergessen, dass bevor wir auf den Status als Gottes stellvertretende Herrscher
(Kalifen) angehoben werden, wir seine wahren Diener werden müssen, nicht nur dem Namen nach,
sondern in Wirklichkeit. Als seine Diener müssen wir Gott unsere größte Dankbarkeit für all das, was er
uns geschenkt hat, erweisen. Unsere Herzen müssen sich zudem auf das Göttliche konzentrieren, und wir
müssen wirklich bescheiden sein, so dass wir, wenn Gott uns zur Herrschaft erhebt, nicht egoistische und
selbstsüchtige Tyrannen werden, die sich ihrem (angenommenen) Status als Kalifen übermäßig bewusst
sind, und uns unsere Stellung als göttliche Diener vergessen lassen, denn dies führt zu Grausamkeit und
Despotismus zum einen gegenüber der Natur und zum anderen gegenüber unseren Mitmenschen.
Episode 2: ISLAM UND ECHTE HINGABE
17
Zum Beispiel verhalten sich diejenigen, die politische oder eine anderweitige weltliche Macht besitzen,
wie Pharaonen und ernennen sich selbst zu Gott, wobei sie ihre religiösen Lehren vergessen. Andere
fühlen sich so überlegen aufgrund ihres angenommenen Verständnisses der Religion, dass sie als religiöse
Autoritäten (anstelle von Gott) handeln; als könnten sie (und nicht Gott) bestimmen, dass jemand im
Unrecht ist, ein weiterer die Dinge falsch sieht, der eine für die Hölle und der andere für den Himmel
bestimmt ist.
Warum geschieht dies? Weil sie sich selbst schon als Gottes stellvertretende Herrscher auf Erden sehen
und ihre Pflicht vergessen, ihr Ego und ihre Leidenschaft zu überwinden, um Gott zu dienen. Deshalb
müssen wir stets wachsam sein (in einem Zustand spiritualen Bewusstseins), damit wir in einem Zustand
fortwährenden Dienstes für Gott leben und gleichzeitig als seine Stellvertreter bzw. Kalifen auf Erden
handeln können. Durch die Realisierung dieses hohen Bestrebens wird unser Leben in dieser Welt eine
Darstellung von Liebe, Frieden und Mitgefühl, nicht nur gegenüber unseren Mitmenschen, sondern
gegenüber allen Geschöpfen.
Ich hoffe, verehrte Zuschauer, dass all dies von Wert für Sie ist und wir uns bei einer weiteren Folge zu
einem anderen Thema wiedersehen werden. Bis dahin möge der Friede mit Ihnen sein.
Episode 2: ISLAM UND ECHTE HINGABE
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Episode 3:
GLAUBENSGEMEINSCHAFTEN
EINLEITUNG
Möge Gottes Frieden, Segen und Barmherzigkeit mit Ihnen sein.
Ich freue mich, Sie wieder begrüßen zu dürfen, verehrte Zuschauer. Dieses Mal untersucht
Ozean der Offenbarungen einen Begriff, der trotz seiner großen Verbreitung eine Quelle großer
Verwirrung ist: nämlich „Umma“ oder Glaubensgemeinschaft.
Ich lade Sie ein, sich die Sichtweisen bedeutender muslimischer Intellektueller und religiöser
Gelehrter hinsichtlich dieses Begriffs anzuhören. Schließen wir uns ihnen an!
ABSCHNITT 1
Eine „Umma“ ist eine Gemeinschaft von Menschen, die das gleiche Glaubenssystem teilen und
sich versammeln. In anderen Worten repräsentiert „Umma“ eine soziologische Komponente der
Religion. Im Islam nennen wir eine derartige Gemeinschaft „Umma“, während sie im
Christentum als Gemeinde bezeichnet wird.
~ Dr. Amin Abdullah, Rektor der islamischen staatlichen Universität Sunan Kalijaga, Indonesien
Dem Islam zufolge gibt es nicht lediglich „eine“ Glaubensgemeinschaft. Zum Beispiel heißt es
im Koran: „Du hast deine Religion, ich habe meine Religion“. Wir sehen also, dass Gott bereits
ganz zu Anfang des Islams die Menschen dazu bestimmt hat, unterschiedlich, statt gleich zu sein.
~ Kyai Haji Abdurrahman Wahid, ehemaliger indonesischer Präsident und Vorsitzender der
Nahdlatul Ulama (1984-1999)
Episode 3: GLAUBENSGEMEINSCHAFTEN
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Eine „Umma“ ist eine Gruppe von Menschen, die während einer bestimmten Zeit in der
Geschichte im Kreise einer bestimmten Kultur und Zivilisation zusammen leben und arbeiten,
wobei sie gemeinsame Interessen verbindet. Diese gemeinsamen Interessen sind eine
Grundvoraussetzung für die Gründung einer wahren Umma. Und sie sind bedeutender als reine
politische Interessen; man könnte sagen, dass es sich um Interessen in einem weitreichenden,
zivilisatorischen Sinne des Begriffs handelt.
~ Dr. Ali Mabrook, Experte für Koranstudien, Universität Kairo, Ägypten
Eine „Umma“ ist eine Gruppe von Menschen, die durch ein bestimmtes Glaubenssystem
miteinander verbunden sind, welches im Allgemeinen im Zusammenhang mit der
transzendentalen Sicherheit der Religion steht. Folglich gibt es die muslimische Umma, die
christliche Umma, die buddhistische Umma. Aber der Begriff wird nicht im Zusammenhang mit
ideologischen Glaubenssystemen verwendet, wie beispielsweise die kommunistische Umma oder
die kapitalistische Umma; diese Begriffe existieren nicht.
~ Kyai Haji Masdar Mas’udi, stellvertretender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Für mich ist die „Umma“ kein politisches, sondern eher ein theologisches Konzept. Die Umma
repräsentiert im Wesentlichen das kollektive Bewusstsein darüber, dass wir in dieser Welt mit
anderen Menschen leben. Eine Religionsgemeinschaft repräsentiert folglich ein kollektives
Bewusstsein, dass vielmehr durch menschliche und spirituelle, als wie durch politische
Beweggründe verbindet.
~ Dr. Moeslim Abdurrahman, indonesischer muslimischer Gelehrter
Vor dem Hintergrund der islamischen Geschichte aus betrachtet ist der Begriff „Umma“ äußerst
flexibel. Die Umma in Medina zum Beispiel umfasste sämtliche Einwohner dieser Stadt zur Zeit
des Propheten. Die jüdische Gemeinschaft, die muslimische Gemeinschaft und andere. Das
wurde zu dieser Zeit als „Umma“ bezeichnet.
~ Kyai Haji Abdul A’la, Leiter des islamischen Internats Annuqayah in Sumenep, Indonesien
Der Islam räumt die Existenz anderer Religionsgemeinschaften ein. Zur Zeit der koranischen
Offenbarung gab es bereits eine Reihe von Religionen auf der Welt, die alle ihre eigenen
Anhänger hatten. Der Koran bezieht sich auf die Nachkommen von Abraham - d. h. die Juden,
Christen und Muslime - als „Menschen des Buches“. Aber es gab auch andere
Religionsgemeinschaften, die in der koranischen Offenbarung nicht genannt wurden, zum
Beispiel Zoroastrier, Konfuzianer etc. Daher heißt es im Koran: „Ich habe dir von einigen
Gesandten berichtet, O Mohammed, aber es gibt noch andere, von denen nicht berichtet wird.“
~ Kyai Haji M. Tolchah Hasan, Berater der Nahdlatul Ulama
Episode 3: GLAUBENSGEMEINSCHAFTEN
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Es gibt sehr viele Glaubensgemeinschaften in der Welt, einschließlich derer, die an unsere
Religion (Islam) glauben. Das ist eine soziologische Realität; ein unbestreitbarer Fakt des
täglichen Lebens, der uns zwingt, umsichtig interreligiöse Beziehungen aufzubauen, die alle
glücklich machen.
~ Mohammad Sobary, indonesische Kulturfigur
Im Koran heißt es eindeutig, dass Gott verschiedene Religionsgemeinschaften, verschiedene
Nationen und verschiedene Nomadenstämme schuf; nicht, um Konflikte hervorzurufen, sondern
vielmehr, um Wissen und Arbeit miteinander zu teilen. Dies ist für die Menschen die einfachste
Erklärung des koranischen Konzepts ta’aruf (gegenseitiges Kennen). Ta’aruf kann nicht durch
eine Partei allein erfolgen, sondern es sind zwei Parteien erforderlich.
~ Kyai Haji M. Tolchah Hasan, Berater der Nahdlatul Ulama
Auf den Islam wird häufig als rahmatan lil ‘alamin bzw. „ein Segen für die gesamte Schöpfung“
Bezug genommen. Exklusivismus ist ein Verrat dieses Prinzips, und wenn eine
Religionsgemeinschaft zu Exklusivismus führt, wäre es besser, wenn sie die Welt einfach
verließe. - Geh ruhig! Ein Glück, dass wir dich los sind! Verschwinde auf einen anderen
Planeten! Denn Exklusivismus stellt einen Verrat religiöser Prinzipien, und insbesondere des
Islams, dar und kann nicht geduldet werden.
~ Prof. Dr. A. Syafi’i Ma’arif, ehemaliger Vorsitzender der Muhamadiyah (1998-2005)
ABSCHNITT 2
In gewissen (extremistischen) muslimischen Kreisen besteht die Tendenz, eine binäre Opposition
zwischen dem Islam und Ungläubigen zu postulieren. Ihrer Ansicht nach sind nur diejenigen, die
die formale Religion des Islams anerkennen, „Muslime“ (wörtlich „jemand, der sich Gott
unterwirft“), während Menschen anderen Glaubens allesamt Ungläubige sind. Gegenwärtig ist
diese Tendenz steigend.
~ Kyai Haji Abdul A’la, Leiter des islamischen Internats Annuqayah in Sumenep, Indonesien
Episode 3: GLAUBENSGEMEINSCHAFTEN
21
Des Weiteren gibt es Menschen, die den Glauben in einer monopolistischen Weise verstehen, so
dass ein jeder, dessen Verständnis von dem ihrigen abweicht, als Ungläubiger betrachtet wird. In
Wirklichkeit handelt es sich dabei um ein altes Phänomen, dass nicht erst in der heutigen Zeit
auftritt. Zur Zeit von Sayadina Ali (Mohammeds Schwiegersohn) gab es eine Gruppe namens
Khawarij, deren Mitglieder alle außerhalb ihrer begrenzten Sekte als Ungläubige verurteilten.
Dieses Phänomen ist nun in dem Maße wiedergeboren, wo jemand wie (der Terrorist) Azahri
nach Indonesien kommt, hier Bombenanschläge verübt und glaubt, dass er dafür im Himmel
belohnt wird.
~ Kyai Haji Hasyim Muzadi, Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Wenn wir die Ursprünge dieser radikalen Gruppen zurückverfolgen, sehen wir, dass sie alle von
einer arabischen Mentalität abstammen. Das ist offensichtlich! Warum müssen sie uns bis nach
Java verfolgen? Nehmt den Islam selbst an, nicht seine radikalen Interpretationen! Arabismus ist
nicht identisch mit Islam; das Gleiche gilt für arabische Kleidung. Meiner Meinung nach haben
die beiden Begriffe absolut nichts miteinander zu tun. Wir nehmen allmählich eine fremde
Kultur bzw. Subkultur auf äußerst törichte Weise an. Der Koran (d. h. Gottes Rede) übt Geduld
nur mit Menschen des Glaubens, die über wahre Weisheit verfügen.
~ Prof. Dr. A. Syafi’i Ma’arif, ehemaliger Vorsitzender der Muhamadiyah (1998-2005)
Derartige Reden über Ungläubige schüren nicht nur religiösen Fundamentalismus, sondern auch
Extremismus und letztendlich die Übel des Terrorismus und der sozialen Zerstörung.
~ Kyai Haji Hasyim Muzadi, Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Der Begriff „Ungläubiger“ bezieht sich eigentlich auf jemanden, der göttliche Werte, oder gar
Werte der Menschlichkeit, in Abrede stellt oder ihnen den Rücken zukehrt. Im Islam hat der
Begriff des Ungläubigen genau diese Bedeutung: d. h. es ist jemand, der die wesentlichen
moralischen Werte, deren Erhalt Gott allen Menschen vorschreibt, wie zum Beispiel die
Fürsorge gegenüber anderen, der Aufbau von Solidarität etc., missachtet oder verwirft. Die
Ablehnung dieser Werte begründet die Untreue gegenüber Gott, unabhängig davon, welcher
Religion man angehört.
~ Kyai Haji Abdul A’la, Leiter des islamischen Internats Annuqayah in Sumenep, Indonesien
Soweit ich weiß, definiert der Koran einen „Ungläubigen“ als das Gegenstück von jemandem,
der Gott dankbar ist. Allah hat die Menschen in lediglich zwei Gruppen eingeteilt: diejenigen,
die sich in einem wahren Zustand der Hingabe und Dankbarkeit gegenüber Gott befinden, und
die Ungläubigen. Ein Ungläubiger ist jemand, der Gott gegenüber undankbar ist. „Wenn du
dankbar bist, überschütten wir dich mit Gnade; aber wenn du undankbar bist [d. h. gefangen im
egoistischen Widerstand gegenüber Gottes Vorschriften], wird die Pein groß sein.“ Oder wie der
Prophet Solomon im Koran sagt: „Gottes Gaben sind nur eine Prüfung, um zu sehen, ob ich dem
Episode 3: GLAUBENSGEMEINSCHAFTEN
22
Göttlichen gegenüber wahrhaftig dankbar [und vollkommen darin eingetaucht] oder ob ich ein
Ungläubiger bin.“ Laut dem Koran sind es nicht immer Nicht-Muslime, die Ungläubige sind. Ein
Muslim kann ebenfalls ein Ungläubiger sein, wenn er Gott gegenüber undankbar ist oder sich
seinen Mitmenschen gegenüber lieblos und undankbar zeigt. Oder wenn er ermahnt wird und
dem keine Beachtung schenkt, auch dann wird er als Ungläubiger bezeichnet.
~ Jalaluddin Rakhmat, indonesischer muslimischer Gelehrter
Ein Ungläubiger ist jemand, dessen Herz tot ist. Etymologisch bedeutet das Wort Ungläubiger
„geschlossen“ im Sinne von abstreiten oder verleugnen. Daher meint ungläubig, die Wahrheit zu
verleugnen und ihr gegenüber sein Herz zu verschließen und zu behaupten, dass man Recht hat
und die Wahrheit bei einem selbst liegt. Wenn also jemand die Wahrheit abstreitet und ihr
gegenüber sein Herz verschließt, ist er ein Ungläubiger. Zu lügen heißt, das zu verleugnen, von
dem wir wissen, dass es existiert, d. h. die Realität abzustreiten. Deshalb ist es nicht korrekt, die
meisten Menschen, die den Islam nicht annehmen, als „Ungläubige“ zu bezeichnen; denn
Ungläubigkeit meint das Abstreiten von etwas, was bekannt ist, und sich selbst bewusst davor zu
verschließen, es zuzugeben. Sünde, Arroganz und Eigenschaften, die verhindern, dass die
Menschen etwas Anderes als sich selbst sehen, verdecken laut dem Koran die Wahrheit.
~ Maryam Ishaq al-Khalifa Sharief, Shadili Tariqa Figur aus Khartoum, Sudan
Ich werde an den koranischen Vers erinnert, in dem es heißt, dass ein Mensch sich bisweilen am
Morgen Gott hingibt, aber im Laufe des Tages zum Ungläubigen wird. Dies bezieht sich auf
jemanden, der auf dem Weg der Wahrheit unbeständig ist.
~ Moeslim Abdurrahman, indonesischer muslimischer Gelehrter
Ungläubige sind eher jene Menschen, die sich Gott widersetzen, als solche, die seine Existenz
nicht bestätigen wollen; jene, die sich absichtlich Gottes Willen und Gebote widersetzen. Satan
glaubt an Gott, warum wird er also ein Ungläubiger genannt? Nicht, weil er ein Atheist ist. Gott
hat ihn verflucht, und doch bestätigt der Teufel Gottes Existenz und spricht zu ihm. „Oh Herr,
verlängere mein Leben bis die Menschheit wieder [von den Toten] aufersteht!“ Folglich bestätigt
Satan, dass nur Gott und nicht er die Macht hat, Leben zu verlängern. Der Teufel ist gelegentlich
auch äußerst höflich und verabschiedet sich von Gott, um auszugehen und Menschen zu
verführen. „Herr, weil du mich in einen verfluchten Geist verwandelt hast, werde ich die
Nachkommen Adams in Versuchung führen.“
~ Kyai Haji M. Tolchah Hasan, Berater der Nahdlatul Ulama
Ironischerweise ist es genau dann, wenn „Islam“ und „Ungläubige“ gegenübergestellt werden,
dass sich die problematische Tendenz abzeichnet, Nicht-Muslime zu betrachten - seien es
Christen, Juden oder Atheisten und sei es, dass sie gute Taten vollbringen oder nicht - und davon
auszugehen, dass sie Ungläubige sind, die es zu bekämpfen gilt, da sie Gott nicht anerkennen.
Episode 3: GLAUBENSGEMEINSCHAFTEN
23
Diese überaus grobe Vereinfachung des Themas „Islam und Ungläubige“ quält gewisse Gruppen
[d. h. muslimische Extremisten], während die wahre Bedeutung des Ungläubigen sich auf
jemanden bezieht, der die göttliche und menschliche Realität ablehnt.
~ Kyai Haji Abdul A’la, Leiter des islamischen Internats Annuqayah in Sumenep, Indonesien
Ich habe bislang keinen einzigen Satz im Koran entdeckt, der „Ungläubige“ als „Nicht-Muslime“
definert, wie es in der heutzutage allzu vorherrschenden falschen Definition heißt. Fragt man die
Leute, so sagen sie, dass ein Ungläubiger ein Nicht-Muslim ist.
~ Jalaluddin Rakhmat, indonesischer muslimischer Gelehrter
ABSCHNITT 3
Unser Verständnis der einzigen oder einheitlichen Umma hängt davon ab, ob wir sie als ein bestimmtes
oder ein allgemeines Muster betrachten. Wenn man sie als ein bestimmtes Muster betrachtet, kann sie in
der Weise verstanden werden, als dass sie auf die islamische Weltgemeinschaft beschränkt ist. Doch
über die „eine Umma“ hinaus existiert ein universaler Humanismus, so dass wir, wie auch immer
unsere Auffassung zu der einen Umma aussehen mag, nun ein Bewusstsein entwickeln müssen,
das auch Teil einer universalen Menschheit ist. Für mich persönlich und für die islamische
Umma ist der Islam die beste Religion. Aber das, von dem wir überzeugt sind, dass es gut ist;
das, von dem wir glauben, dass es absolut perfekt ist, ist vielleicht für andere so noch nicht oder
nicht in ähnlicher Weise ersichtlich. Und wir haben nicht das Recht, sie als fehlerhaft anzusehen.
Wir haben kein Recht, andere als Ungläubige oder Sonstiges zu verurteilen oder zu bezeichnen.
Denn in Wirklichkeit hat nur Gott das Recht, darüber zu urteilen, was richtig und falsch ist. Was
für uns entscheidend ist, ist die Art und Weise, in der wir unsere eigenen religiösen
Überzeugungen erhalten können. Aber noch einmal, wir haben kein Recht, unsere
Überzeugungen oder „Wahrheit“ anderen aufzuzwingen oder auch nur zu behaupten, dass andere
mit ihrem Glauben Unrecht haben.
~ Dr. M. Amin Abdullah, Rektor der islamischen staatlichen Universität Sunan Kalijaga,
Indonesien
Wenn wir über Religion nachsinnen, sollten wir an Indonesien denken; und wenn wir über
Indonesien nachsinnen, sollten wir an Religion denken [statt Religion über Patriotismus zu
stellen oder umgekehrt].
~ Kyai Haji Abdurrahman Wahid, ehemaliger indonesischer Präsident und Vorsitzender der
Nahdlatul Ulama (1984-1999)
Episode 3: GLAUBENSGEMEINSCHAFTEN
24
Ich persönlich, sowie andere Muslime, betrachte den Islam als die für uns beste Religion. Doch
was wir als Bestes und als absolut perfekt ansehen, mag für andere nicht so sein, und wir haben
kein Recht, zu denken, dass sie im Unrecht sind oder sie zu verurteilen und sie als Ungläubige
oder Sonstiges anzuprangern. Denn in Wirklichkeit hat nur Gott das letztendliche Recht, über
richtig und falsch zu urteilen. Was wichtig ist, ist, dass wir unseren eigenen Glauben bewahren,
da wir ihn für uns als den besten Glauben ansehen. Aber noch einmal, wir haben kein Recht,
unsere Überzeugungen oder „Wahrheit“ anderen aufzuwingen oder auch nur zu behaupten, dass
andere im Unrecht sind und ihr Glaube falsch ist.
~ Kyai Haji Yusuf Chudlori, Leiter des islamischen Internats A.P.I in Tegalrejo, Indonesien
Im täglichen Leben ist es uns natürlich bewusst, dass Menschen zu unserer Linken und Rechten
existieren: die sogenannten „Anderen“. Ich und einige meiner Freunde haben bereits einen
bestimmten Glauben [Islam], und uns ist natürlich bewusst, dass andere Menschen nicht den
gleichen Glauben haben wie wir. Und doch ist die Wertschätzung anderer genau das, was eine
Weltbürgerschaft ausmacht. Wenn wir keinen Platz für Nuancen haben, kann die
Weltbürgerschaft in einen Konflikt zwischen Zivilisationen abgleiten, und dies stellt heutzutage
eine Bedrohung dar. Deshalb muss der Begriff „Umma“ mit einem weitergehenden und
grundsätzlicheren Konzept in Verbindung gebracht werden: dem der universalen Menschheit.
~ Dr. M. Amin Abdullah, Rektor der islamischen staatlichen Universität Sunan Kalijaga,
Indonesien
Noch gefährlicher als die Transformation der „Umma“ in ein politisches Bewusstsein, ist, wenn
sie zum soziologischen Bewusstsein wird. Eigengruppe, Fremdgruppe und die daraus
resultierende
Behauptung,
dass
die
Menschheit
aufgrund
unterschiedlicher
Glaubensauffassungen in verschiedene Gruppen eingeteilt werden muss. Meiner Meinung nach
ist das äußerst gefährlich. Wann immer sich ein soziologisches Bewusstsein im Zusammenhang
mit einer Eigengruppe und einer Fremdgruppe ausprägt, nehmen Religionsgemeinschaften
soziologische und politische Identitäten an, statt ein Aushängeschild des Glaubens oder eines
höheren Zustands menschlichen Bewusstseins zu sein.
~ Moeslim Abdurrahman, indonesischer muslimischer Gelehrter
Im Islam ist es niemandem gestattet, Nicht-Muslime zu zwingen, Muslime zu werden, denn das
liegt nicht im menschlichen Zuständigkeitsbereich [zu bestimmen, welcher Religion andere
angehören sollten]. Sobald jemand glaubt, dass er alle Menschen zum Islam überreden muss, ist
der Keim des Konflikts schon gepflanzt. Es ist ein gänzliches Missverständnis, den Islam
außerhalb des Islams zu positionieren, was der Fall ist, wenn jemand den Islam (die
vollkommene Hingabe gegenüber Gott) mit der muslimischen Gemeinschaft identifiziert.
~ Kyai Haji Hasyim Muzadi, Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Episode 3: GLAUBENSGEMEINSCHAFTEN
25
Um einen jeden religiösen Glauben zu schützen, verkündete der Prophet einmal Folgendes: „Ein
jeder, der einen einzigen Christen verletzt, ein jeder, der einen einzigen Juden verletzt, ein jeder,
der einen einzigen Nicht-Muslim verletzt, der friedlich lebt, verletzt auch mich.“ Dies ist das
Versprechen [über die Sicherheit von Nicht-Muslimen] des Propheten. Ein Angriff auf eine
Kirche ist demnach wie ein Angriff auf das Haus des Propheten, Friede und Segen sei mit ihm.
„Die Zerstörung eines buddhistischen Klosters oder eines Andachtsorts einer anderen
Religionsgemeinschaft ist wie die Zerstörung meines Hauses“, sagte der Prophet. So deutlich
und streng weist uns der Prophet an, mit anderen hier auf Erden in Frieden zu leben.
~ Kyai Haji Yusuf Chudlori, Leiter des islamischen Internats A.P.I in Tegalrejo, Indonesien
Eine Botschaft, die ich der muslimischen „Umma“ und den christlichen Gemeinden in Amerika
und Europa übersenden möchte, ist, nicht zu vergessen, dass wir alle Bürger dieser Welt sind.
Die globale Bürgerschaft geht über die Grenzen religiöser Zugehörigkeit hinaus. Neben der
Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions-gemeinschaft müssen wir zutiest fühlen und
realisieren, dass wir alle Bürger dieser Welt sind. Schwierigkeiten entstehen oftmals, wenn wir
das vergessen.
~ Dr. M. Amin Abdullah, Rektor der islamischen staatlichen Universität Sunan Kalijaga,
Indonesien
ABSCHLUSS
Was denken Sie, liebe Zuschauer, über die Erklärungen dieser Gelehrten hinsichtlich der
Glaubensgemeinschaften und dem Begriff „Ungläubiger“, der in gewissen Kreisen Wut erzeugt?
Im Koran heißt es: Am Anfang gründete die Menschheit eine einzige Gemeinschaft, von einer
gemeinsamen Mutter abstammend. Im Laufe der Zeit vervielfachte sich die Anzahl der
Menschen und Gemeinschaften in hohem Maße, und Gott sandte ihnen verschiedene Propheten.
Muslimen sind rund 25 dieser Propheten bekannt, die Gott beauftragte, die guten Nachrichten zu
verbreiten und die Menschheit an die Wahrheit zu erinnern.
Laut dem Koran sandte Gott diese Propheten als Botschafter, deren Pflicht es war, die freudigen
Nachrichten zu verbreiten und die Menschen an Gott zu erinnern. Mittels dieser Propheten
offenbarte Allah zudem viele heilige Schriften, nicht nur diejenigen, die wir kennen, wie den
Koran, das Neue Testament, die Tora und Psalme, sondern auch viele andere Schriften, deren
Namen uns nicht bekannt sind. In der Tat hat Gott uns von einigen, aber nicht von allen dieser
Schriften erzählt. Aber es gibt viele.
Ungeachtet der großen Anzahl religiöser Gemeinschaften; wenn Gott wollte, hätte er die gesamte
Menschheit als eine einzige Glaubensgemeinschaft formen können. Gott selbst sagt im Koran
„angenommen, es wäre Allahs Wille“, was bedeutet, er ist es nicht. „Angenommen, ich hätte
eine Millarde Rupiah.“ Das ist nicht möglich, da ich, Mustofa Bisri, natürlich nicht soviel Geld
Episode 3: GLAUBENSGEMEINSCHAFTEN
26
habe. „Angenommen, ich würde Leiter der Vereinten Nationen...“ Aber auch das ist für Mustofa
Bisri unmöglich. Allerdings „angenommen, es wäre Allahs Wille, dass ihr eine einzige
Glaubensgemeinschaft werdet“ heißt eindeutig, dass dies NICHT Gottes Wille ist. Wir sind nicht
in der Lage zu wissen, warum, aber die Vorteile liegen auf der Hand. Aufgrund der
Verschiedenheit ist das Leben bunt. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, in einen Garten zu gehen,
in dem es nur gelbe Blumen gibt, alles haargenau die gleichen. Nach einiger Zeit würden wir es
satt sein, sie uns anzuschauen. Wenn wir dagegen rote, gelbe, grüne, blaue, violette und
fliederfarbene Blumen in allen Formen und Größen sehen - oh, wie schön!
Diese Instrumente um mich herum stammen von einem javanischen Gamelan-Orchester.
Angenommen, es gäbe nur diese Trommel und wir würden nichts hören als unaufhörliches
Trommeln. Wir könnten es vielleicht leid werden. Wenn wir aber den Klang von Xylophonen,
sorgfältig gestimmten Bronzetrommeln und Gongs in allen Größen hinzufügen, die allesamt
harmonisch aufeinander abgestimmt gespielt werden... Wie schön diese Symphonie ist, die aus
den vielen verschiedenen Instrumenten entsteht!
Leider liegt es in der Natur der Menschen, dass sie ihre Meinung oftmals als die absolute
Meinung betrachten. Wenn jemand etwas für gut befindet, dann betrachtet er alles Andere
automatisch als schlecht. Wir können diese Neigung aber beschränken, indem wir zum Beispiel
erkennen, dass religiöse Verschiedenheit auf Gottes Wille zurückzuführen ist. Es reicht aus,
wenn eine jede Religionsgemeinschaft mit ihrem eigenen Glauben zufrieden ist und diesen
lobpreist. Genauso wie es ausreicht und angemessen ist, dass ein Mann seine eigene Frau
lobpreist. Oh, meine Geliebte ist so schön! Ihre Augen sind wie der Abendstern; ihre dunkelroten
Lippen voll und reif wie ein Granatapfel; ihre dünnen Augenbrauen pechschwarz; ihre Wangen
wie zwei Mangohälften; ihr Kinn wie eine baumelnde Honigwabe. Bitte, sprechen Sie nur diese
Lobpreisungen aus. Aber fügen Sie nicht hinzu „und soviel besser als deine Frau!“ Das ist es,
was zu so vielen Problemen im Leben führt. Uns reicht es nicht, uns selbst (und unsere eigene
Religion) zu loben, sondern wir müssen gleichzeitig andere herabsetzen und beleidigen.
Wir haben auch die Ansichten verschiedener Gelehrter zum Thema Ungläubiger gehört. Meiner
Meinung nach unterscheidet der Islam zwischen zwei Sorten von Menschen: es gibt diejenigen,
die sich Gott bedingungslos hingeben und solche, die dies nicht tun. Das ist alles. Diejenigen, die
sich wahrhaftig unterwerfen und solche, die es nicht tun. Die, die sich nicht unterwerfen, sind
Ungläubige. Diese Definition hat nichts mit dem irregeführten Glauben zu tun, dass „ein jeder,
der anders ist als ich, ein Ungläubiger ist, und Ungläubige müssen ausgepeitscht werden“. Das
ist Ignoranz, die zu noch größerer Ignoranz führt. Es ist ein Fehler, der zu weiteren Fehlern führt.
Warum? Dem Glauben, dass Menschen, die nicht genauso denken wir wir, Ungläubige sind, die
es zu bekämpfen gilt, fehlt ein jeder Bereich oder Bezugspunkt basierend auf ein wahres
Verständnis des Korans oder der Führung Mohammeds. Zum Beispiel geht dieser Glaube davon
aus, dass wir selbst immer perfekt sind in unserer Unterwerfung unter Gott und dass wir niemals
untreu sind. In den Anfängen des Islams war der Prophet Mohammed selbst der einzige Muslim;
alle anderen waren Ungläubige. Wenn der Prophet Mohammed alle Ungläubigen getötet hätte,
hätte es niemals Muslime gegeben. Ein Begleiter bat den Boten Gottes einmal, all diejenigen zu
verfluchen oder zu verdammen, die Polytheisten oder Ungläubige sind. Der Bote erwiderte: „Ich
Episode 3: GLAUBENSGEMEINSCHAFTEN
27
wurde von Gott gesandt, meine Mitmenschen zu lieben, nicht um sie zu verfluchen oder für Ihr
Leid zu beten.“ „Ich wurde gesandt, um Segen und nicht Fluch zu bringen.“
Ich hoffe, liebe Zuschauer, dass diese Episode Ihnen neue Erkenntnisse der Gelehrten näher
gebracht hat. Wenn sie weitgehend verstanden werden, können diese Erkenntnisse dazu
beitragen, die Probleme zu bewältigen, die, ganz offen gesagt, auf ein schlechtes Verständniss
des Begriffs Religion zurückzuführen sind, das weiter verbessert werden muss. Beim nächsten
Mal werden wir ein weiteres Thema diskutieren, das nicht weniger interessant ist als das heutige.
Es wird für uns alle hoffentlich von Wert sein.
In der nächsten Episode werden wir ein Thema erforschen, das mit unserem Alltag in
Verbindung steht und uns bereits vertraut ist, das wir aber gerne noch besser verstehen möchten.
Bis dahin möge der Friede und Segen Gottes mit Ihnen sein.
Episode 3: GLAUBENSGEMEINSCHAFTEN
28
Episode 4:
MENSCHEN DES GLAUBENS
EINLEITUNG
Mögen der Friede, die Liebe und der Segen Gottes mit Ihnen sein.
Verehrte Zuschauer, ich freue mich, Sie wieder begrüßen zu dürfen. Dieses Mal lade ich Sie ein, sich die
Beiträge zahlreicher großartiger Gelehrter und religiöser Persönlichkeiten zu den Menschen des Glaubens
anzuhören. Vielleicht werden sie die Bezeichnung „Menschen des Buches“ erörtern, was derzeit wieder
einmal ein angesagtes Gesprächsthema ist, sowie Polytheismus, Polytheisten und andere derartige
Themen.
Nun gut, hören wir uns an, was sie über all dies zu sagen haben. Viel Spaß bei der Sendung!
ABSCHNITT 1
Der Koran beschreibt im zweiten Kapitel, al-Baqara, das wesentliche Merkmal derer, die sich Gott
hingeben: „Die streng Gläubigen sind diejenigen, die auf die dir offenbarte Schrift vertrauen, o
Mohammed, und auf die vor deiner Zeit offenbarten Schriften.“ Das heißt, dass wir als Muslime die
Pflicht haben, nicht nur an den Koran, sondern auch an die vor ihm offenbarten Schriften zu glauben.
~ Jalaluddin Rakhmat, indonesischer muslimischer Gelehrter
Der Koran beschränkt die Heiligen Schriften nicht auf die Tora und das Neue Testament, sondern schließt
auch die Schriftrollen Abrahams und die Psalme des Propheten David ein. Und in der Tat wurden
Gesandte zu allen Völkern der Erde geschickt, und es gibt nicht ein einziges Volk oder eine einzige
Region, dem bzw. der kein Bote Gottes gesandt wurde (Koran 35:24). In diesem Zusammenhang gibt es
einen Hadith (ein Spruch des Propheten Mohammed), der lautet: „Gott hat der Menschheit mehr als
124.000 Propheten und Boten gesandt.“
~ Maryam Ishaq al-Khalifa Sharief, Shadili Tariqa Figur aus Khartoum, Sudan
Die Tora, Psalme, Evangelien und Bibel wurden alle vor der Zeit des Propheten Mohammed offenbart,
und es ist offensichtlich, dass der Koran und der Islam eine Verknüpfung zu allen vorangegangenen
Religionen herstellen wollen.
~ Kyai Haji Abdul A’la, Mitglied, Nationales Kommittee für die Verhinderung von Gewalt gegen Frauen,
Sumenep, Indonesien
Episode 4: MENSCHEN DES GLAUBENS
29
Der Koran ist keine unabhängige Schrift, sondern führt vielmehr all das, was vor ihm bestand, weiter;
denn alle Offenbarungen stellen eine einzige dar. Der Koran schließt den Kreis der Offenbarung; er steht
in Eintracht mit den Schriften, die der Welt zuvor übersandt worden waren, und macht sie vollkommen.
Über die Schriften lässt sich Folgendes sagen: Menschen des Glaubens bestätigen sie, während
Ungläubige dies nicht tun, wozu sie berechtigt sind. Im Koran heißt es also: „Bestätige alles, was dir
offenbart wurde, o Mohammed, und das, was den Propheten und Gesandten vor dir offenbart wurde.“ Der
Koran ist hierbei äußerst klar und deutlich.
~ Prof. Dr. A. Syafii Maarif, ehemaliger Vorsitzender der Muhamadiyah (1998-2005)
Der Koran macht die Lehren aller vorhergehenden Gesandten zu ewigen Lehren und passt die Lehren des
Propheten Mohammed sogar denen anderer Gesandter an. Das deutlichste Beispiel ist der Hadsch (die
Pilgerfahrt nach Mekka), der auf den Propheten Abraham zurückgeht. Der Islam betrachtet den Hadsch
als den Gipfelpunkt und die höchste Handlung religiöser Hingabe, wodurch die Lehren Abrahams
fortgeführt und bewahrt werden. Dies zeigt uns, dass der Koran und die Lehren des Propheten die Lehren
vor der Zeit Mohammeds wertschätzen und pflegen.
~ Dr. Komaruddin Hidayat, Rektor der islamischen staatlichen Universität Syarif Hidayatullah,
Indonesien
Der Islam hat eine ergänzende Funktion und ist eine Bereicherung für andere (religiöse) Anschauungen.
Einige betrachten ihn als eine Alternative, aber das ist falsch. Der Islam ist keine Alternative, sondern
eine Ergänzung.
~ Kyai Haji Abdurrahman Wahid, ehemaliger indonesischer Präsident und Vorsitzender der Nahdlatul
Ulama (1984-1999)
Der Prophet befand sich im häufigen Dialog mit Anhängern von Religionen, die vor dem Islam
existierten, wie beispielsweise Christen und Juden. Sie waren während der Entstehungszeit des Islam die
Dialogpartner des Propheten, was auf ihre Anerkennung hinweist.
~ Dr. Amin Abdullah, Rektor der islamischen staatlichen Universität Sunan Kalijaga, Indonesien
Das Konzept der Liebe ist innerhalb der Evangelien von großer Bedeutung und auch im Islam
gegenwärtig, wobei jedoch im Koran nicht von Liebe gesprochen wird, sondern von Barmherzigkeit und
Segen für die gesamte Schöpfung.
~ Kyai Haji Abdul A’la, Mitglied, Nationales Kommittee für die Verhinderung von Gewalt gegen Frauen,
Sumenep, Indonesien
Koranrezitation:
„Wir (Gott) entsandten dich (Mohammed) nur als Segen für die gesamte Schöpfung.“ (Koran, 21:107)
Episode 4: MENSCHEN DES GLAUBENS
30
Alle Religionen teilen einen gemeinsamen Grundgedanken. Das Wesentliche der islamischen Lehre ist,
sich Gott hinzugeben und seine Barmherzigkeit und sein Mitgefühl auch unseren Mitmenschen zuteil
werden zu lassen. Die gleiche Lehre ist im Neuen Bund enthalten, wo in den Evangelien beschrieben
wird, wie Jesus zum Wesen der Religion und zu Gottes Gesetz befragt wurde. Jesus erwiderte, dass das
erste Gebot vorschreibt, Gott mit deinem ganzen Herzen, deinem ganzen Verstand und deiner ganzen
Seele zu lieben; und dass das zweite Gebot vorschreibt, andere mehr zu lieben als sich selbst. Nun, sollten
wir nicht Vertrauen haben und an Lehren wie diese glauben?
~ Jalaluddin Rakhmat, indonesischer muslimischer Gelehrter
Im koranischen Kapitel al-Ankabut, weist Gott uns an, den Menschen des Buches Folgendes zu sagen:
„Wir glauben an die uns offenbarte Schrift und an die Schriften, die euch offenbart wurden. Unser Gott
und euer Gott ist derselbe.“ Und uns wird geboten, nach unseren Gemeinsamkeiten und nicht den
Unterschieden zu suchen.
~ Kyai Haji A. Washil Syarbini, Leiter des islamischen Internats Sumberweringin in Jember, Indonesien
Wie der Prophet sagte, bestätigt der Koran die grundsätzlichen Lehren der Tora und der Evangelien und
erkennt sie an.
~ Kyai Haji M. Tolchah Hasan, Berater der Nahdlatul Ulama
Die innere, esoterische Bedeutung der Heiligen Schrift ist in der Tat sehr groß: genauso unermesslich wie
das menschliche Bewusstsein selbst. Wenn aber das menschliche Bewusstsein das eines Barbaren ist,
kann die Heilige Schrift missverstanden und missbraucht werden, um genau die Dinge, die gegen ihre
Lehren hinsichtlich der Bestrebungen der Menschheit verstoßen, zu rechtfertigen. Wenn die Schrift
lediglich gelesen wird, ohne ihre innere Bedeutung zu verstehen, und ganz geschweige davon, genutzt
wird, um Konflikte zu rechtfertigen und zu fördern, dann geht die wesentliche Botschaft der Schrift
verloren.
~ Moeslim Abdurrahman, indonesischer muslimischer Gelehrter
ABSCHNITT 2
Koranrezitation:
Zwischen den Gläubigen, den Anhängern jüdischer (Schriften) und den Sabäern, den Christen, den
Magiern und den Polytheisten wird Allah am Jüngsten Tag richten; denn Allah ist Zeuge aller Dinge. ~
(Koran 22:17)
Episode 4: MENSCHEN DES GLAUBENS
31
Mit Hinblick auf seine Grundvorstellungen, Überzeugungen und der Struktur der Frömmigkeit ist der
Koran eigentlich genau (wie andere Glaubensformen); zum Beispiel im Hinblick auf die Dankbarkeit
gegenüber Gott, die Selbsttranszendenz und Anbetung. Alle Religionen beinhalten diese Elemente. Ihre
Anwendung variiert lediglich zwischen den Kulturen. Aber die grundlegenden Werte nimmt der Islam
alle an.
~ Dr. Amin Abdullah, Rektor der islamischen staatlichen Universität Sunan Kalijaga, Indonesien
Viele Koranverse drücken große Wertschätzung aus für die Wahrheit, die von den Menschen des Buches
anerkannt wird; die Wahrheit, die von anderen Glaubensgemeinschaften anerkannt wird. In der Tat
erwähnt der Koran die Menschen des Buches in verschiedenen Abschnitten insgesamt 31 Mal.
~ Dr. Haedar Nashir, stellvertrender Vorsitzender der Muhammadiyah
Die Menschen des Buches sind diejenigen, die an die früheren himmlischen Schriften glauben, wie die
Tora und die Evangelien. Sie sind damit zufrieden und glauben nicht an die Geschichte des Propheten
Mohammed, Friede und Segen seien mit ihm. Die Menschen des Buches zur Zeit des Propheten sind die
gleichen Menschen des Buches wie heute.
~ Muhammad Sayyid Tantawi, Großscheich von al-Azhar in Kairo, Ägypten
Die Menschen des Buches sind unsere Brüder und Schwestern und Mitgläubigen. Nicht ein einziges Mal
bezeichnet der Koran sie als eine Gruppe Ungläubiger. Sie sind vielmehr Gemeinschaften von Gläubigen,
die Gottes Offenbarung empfangen haben; Glaubensgemeinschaften, die der göttlichen Offenbarung
vertrauen; und sie haben Propheten, Lehren und Regeln, wofür wir sie respektieren müssen.
~ Prof. Dr. Kyai Haji Said Agil Siraj, stellvertretender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Im Koran heißt es nicht: „Wir haben Muslime verehrt.“ Es heißt: „Wir haben die Kinder Adams verehrt.“
Demnach ist die Erhebung nicht auf Muslime beschränkt, es sei denn man verleiht dem Wort „Muslime“
eine weitreichendere Bedeutung, die alle Gläubige umfasst. Im Koran gibt es im Übrigen zwei Verse, die
sehr wichtig sind. Einer lautet: „Zwischen den Gläubigen, den Juden, den Christen und den Sabäern wird
der Allmächtige richten und entscheiden, wer im Recht und wer im Unrecht ist.“ (Koran 22:17). Ein
anderer Vers sagt fast das Gleiche: „Muslime (diejenigen, die an Mohammed glauben), Christen, Juden
und Sabäer... wenn sie diesem richtigen Weg folgen und Gutes tun, werden Sie keine Sorgen haben und
ihnen wird im Jenseits kein Schaden zugefügt werden.“ (Koran 2:62)
~ Dr. Ahmad Kamal Aboul Magd, stellvertretender Vorsitzender
Nationalrat für Menschenrechte, Ägypten
Episode 4: MENSCHEN DES GLAUBENS
32
Es gibt in der Tat drei Arten von Menschen des Buches auf der Welt. Erstens, die Menschen, die im
Koran als „die Gruppe, die den Islam am meisten liebt“ bezeichnet werden, d. h. nicht-muslimische
Heilige und wohltätige Menschen. Zweitens, eine Gruppe, die sich tatsächlich durch Islamophobie
auszeichnet. Und drittens, eine Kategorie von Menschen, die sich nicht weiter für zwischenreligiöse
Probleme interessieren, da sie sich mehr auf professionelle Themen konzentrieren, z. B. Geschäftsleute,
Politiker und so weiter.
~ Kyai Haji Hasyim Muzadi, Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Ich bezweifle ernsthaft, dass Muslime, Christen oder Juden, die anderen Leuten kein Lächeln schenken
und ihre Arme nicht öffnen, ihren Weg in den Himmel finden werden.
~ Dr. Ahmad Kamal Aboul Magd, stellvertretender Vorsitzender
Nationalrat für Menschenrechte
ABSCHNITT 3
POLYTHEISMUS UND POLYTHEISTEN
Koranrezitation:
„Gedenke, als Luqman zu seinem Sohn sagte, indem er ihn ermahnte: ‚O mein Sohn! Geselle Allah keine
Götter zur Seite, denn Götzendienst ist wahrlich eine gewaltige Sünde‛“ (Koran 31:13)
Polytheismus heißt, andere mit Gott zu assoziieren. Und ein Polytheist ist jemand, der weltliche
Phänomena oder Begehren mit Gott, der absoluten Quelle der Wahrheit, verbindet.
~ Kyai Haji Masdar Mas’udi, stellvertretender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Meiner Ansicht nach findet Polytheismus in dem Moment statt, wo ich denke, dass ich besser bin als
andere. Wenn ich als Muslim also Nicht-Muslime mir gegenüber als minderwertig betrachte, obwohl sie
unter Umständen tugendhaft sind und große Taten vollbringen, dann habe ich tatsächlich die Welt des
Polytheismus bereits betreten.
~ Kyai Haji Abdul A’la, Mitglied, Nationales Kommittee für die Verhinderung von Gewalt gegen Frauen,
Sumenep, Indonesia
Experten für die Auslegung des Korans zufolge ist ein Polytheist jemand, der ein Anbetungsritual ausübt
oder wohltätig ist aus anderen Gründen als der Hingabe zu Gott. Wenn jemand beispielsweise behauptet,
dass er für den Islam kämpft, sein wahres Motiv jedoch selbstsüchtig und egoistisch ist, dann hat er sich
(selbst) bereits mit Gott assoziiert.
~ Jalaluddin Rakhmat, indonesischer muslimischer Gelehrter
Episode 4: MENSCHEN DES GLAUBENS
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Die Begriffe Polytheismus und Polytheist beziehen sich auf den Verstoß gegen die Grundsätze göttlicher
Einheit im weitest möglichen Sinne.
~ Dr. Haedar Nashir, stellvertretender Vorsitzender der Muhammadiyah
Meiner Ansicht nach ist die Einheit (tauhid) die Definition wahrer Freiheit. Aufgrund der Einheit dürfen
wir uns nicht erlauben, uns in einer menschenentwürdigenden Situation zu verfangen, wie zum Beispiel
der Sklaverei. Die Sklaverei, auf die ich mich beziehe, kann die sein, über die wir in Geschichtsbüchern
lesen; allerdings gibt es auch moderne Formen der Sklaverei.
~ Moeslim Abdurrahman, indonesischer muslimischer Gelehrter
Die Einheit bringt zudem Konsequenzen für das Leben in dieser Welt mit sich. Der Grund, warum Gott
Pharao in Ungnade fallen ließ, war nicht die Behauptung Pharaos „Ich bin euer Herr, Gott, der Höchste“,
sondern weil Pharao sich gleichzeitig selbstsüchtig verhielt und ein brutaler und unterdrückender Tyrann
war, der die Menschheit ausbeutete und andere Menschen durch sein Handeln verunglimpfte und
verarmen ließ.
~ Dr. Haedar Nashir, stellvertretender Vorsitzender der Muhammadiyah
Wenn Menschen alles dafür tun, um Wohlstand, eine bestimmte Stellung oder andere Formen weltlichen
Status zu erreichen, ist das eindeutig Polytheismus. Er zerstört das friedliche Leben und verstößt gegen
die göttlichen Lehren.
~ Kyai Haji Abdul Muqiet Arief, Leiter des islamischen Internats Bahrul Ulum in Jember, Indonesien
Gesellschaftlicher Polytheismus ist heutzutage weit verbreitet.
~ Moeslim Abdurrahman, indonesischer muslimischer Gelehrter
Ein religiöser Mensch sollte wirklich reif sein im Sinne des Aufstiegs zu spiritueller Größe. Was den
Polytheismus betrifft, so verstehen einige Muslime diesen Begriff in einer übermäßig simplifizierten
Weise. Für sie trifft Polytheismus nur auf Menschen zu, die Gott andere Götter beigesellen. Sie erkennen
noch nicht einmal, dass es den Monotheismus ganz klar auch in anderen Religionen gibt. Diese Menschen
sind in ihrem begrenzten Verständnis gefangen. Wenn wir jedoch die wahre Bedeutung von Polytheismus
untersuchen, so ist diese äußerst weitläufig.
~ Kyai Haji Abdul A’la, Mitglied, Nationales Kommittee für die Verhinderung von Gewalt gegen Frauen,
Sumenep, Indonesien
„O ihr Menschen! Siehe da! Die Verheißung Allahs ist wahr. Darum lasset euch nicht vom diesseitigen
Leben betören und von Satan hinsichtlich Allah täuschen“ (Koran 35:5). O Menschheit, geratet nicht in
die Falle weltlicher Versuchungen. Das ist oberflächlich ganz einfach zu verstehen: Lasst euch nicht von
dem Glanz materiellen Daseins in die Falle locken; wie beispielsweise der Schmeichelei von Frauen.
Episode 4: MENSCHEN DES GLAUBENS
34
Lasst euch nicht von einer weltlichen Stellung in Versuchung führen oder werdet arrogant und vergesst
euch selbst. Einfach, oder? Einfach zu verstehen.
Im zweiten Teil heißt es: „Erlaubt Satan nicht, euch hinsichtlich Allah zu täuschen.“ Mit anderen Worten,
lasst euch nicht in die Falle locken von dem Anschein der Hingabe zu Gott, zur Menschheit oder zum
Jihad, wenn es in Wahrheit keine Hingabe ist. Dies ist eine Falle, die uns wahrlich festhält (in der
Achtlosigkeit gegenüber Gott) und uns (zur Trennung von Gott) verdammt. Zum Beispiel kann jemand
arrogant werden, nachdem er eine führende Stellung eingenommen hat und seine endlosen Predigten auf
großen Applaus stoßen und er überall respektiert wird. Die Fallen des Egos und der Selbstherrlichkeit
halten uns fest (in der Achtlosigkeit gegenüber Gott). Diejenigen, die Opfer dieser Fallen werden, werden
im Arabischen versteckte Polytheisten genannt.
~ Prof. Dr. Kyai Haji Said Agil Siraj, stellvertretender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
In der Tat sagte der Prophet Mohammed, dass wir bereits Polytheismus ausüben, wenn wir uns nach
Anerkennung sehnen.
~ Dr. Komaruddin Hidayat, Rektor der islamischen staatlichen Universität Syarif Hidayatullah,
Indonesien
Das Gegenmittel zu Polytheismus ist die Selbsttranszendenz. Ein Polytheist ist jemand, der nicht
selbsttranszendent ist; jemand, der von seinem Ego und seiner Selbstherrlichkeit oder den Interessen
seiner Gruppe motiviert wird, anstatt immerdar (geleitet durch und) bloß um des Göttlichen willen zu
handeln.
~ Jalaluddin Rakhmat, indonesischer muslimischer Gelehrter
Deshalb gibt es in der Unterwerfung den Dualismus.
~ Kyai Haji Masdar Mas’udi, stellvertretender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Es ist jetzt absolut unerlässlich, dass Muslimen weltweit ein umfassendes Verständnis des Islam in seiner
Beziehung zu anderen Religionen und Glaubensgemeinschaften vermittelt wird. In der Tat müssen auch
die Anhänger anderer Religionen ein besseres Verständnis (ihres eigenen Glaubens und des Islam)
erlangen, bis letztendlich eine gegenseitige Verständigung zwischen den Religionsgemeinschaften
herrscht, ein umfassendes Verständnis und gegenseitige Toleranz, was schließlich das Gefühl hervorruft,
gewährleisten zu wollen, dass ihre jeweilige Religion das Wohlergehen aller Menschen auf Erden und für
alle Ewigkeit im Sinn hat.
~ Dr. Haedar Nashir, stellvertretender Vorsitzender der Muhammadiyah
Es ist wichtig, dass Muslime erkennen, dass nicht alles, was aus dem Westen kommt, christlich ist. Zum
Beispiel veröffentlichte eine dänische Zeitung Karikaturen des Boten Gottes, die eine Beleidigung für den
Islam darstellten. Viele Muslime gehen davon aus, das dies das Werk von Christen ist, wenn es in
Wirklichkeit das Werk von Atheisten ist, die schon seit langem auch Jesus verunglimpfen.
~ Kyai Haji Hasyim Muzadi, Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Episode 4: MENSCHEN DES GLAUBENS
35
Im letzten Vers der Koransure al-Kahfi verkündet Gott: „Sag: ‚Ich bin nur ein Mensch wie ihr, (aber) mir
ist eingegeben worden, dass euer Gott ein einziger Gott ist; wer die Begegnung mit seinem Herrn
erwartet, der soll gute Werke tun und bei der Anbetung seines Herrn ihm niemanden beigesellen.‛“
Folglich darf ein jeder, der die Begegnung mit Gott wünscht, nicht im geringsten Polytheismus betreiben
(d. h. man muss das Ego und die Schöpfung überwinden, um Gott zu kennen).
~ Jalaluddin Rakhmat, indonesischer muslimischerGelehrter.
Gott ist der Einzige. Gott ist die absolute einzige Existenz. Das transzendentale Absolute. Der Einzige.
Wenn wir das anerkennen, dann wird alles andere neben Gott als seine Schöpfung betrachtet.
~ Prof. Dr. Kyai Haji Said Agil Siraj, stellvertretender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Es ist wahr, dass der Islam kam, um andere Religionen zu stärken und um einige ihrer Prämissen zu
bestätigen. Das heißt aber nicht, dass der Islam sich wesentlich von den Religionen, die vor ihm
existierten, unterscheidet. Es ist in der Tat das genaue Gegenteil der Fall. Der Prophet sagte immer: „Ich
bin ein integrales Glied in der Kette der Gesandten. Wir Gesandten sind die Kinder von ‘allat.“ ‘Allat
bezieht sich auf eine Gruppe von Frauen, die mit einem einzigen Mann verheiratet sind. Als Kinder von
‘allat „haben wir einen Vater und eine Religion, die Religion des tauhid, d. h. der Einheit. Und wir haben
viele Mütter.“ „Mütter“ bezieht sich auf die zahlreichen unterschiedlichen Wege zu Gott. Im Islam spricht
man von verschiedenen Gesetzen, aber nicht von (wesentlichen) Unterschieden in den Religionen.
Religiöse Wege unterscheiden sich, nicht aber das Wesen der Religion selbst; von der Zeit Adams bis
zum Jüngsten Tag.
~ Maryam Ishaq al-Khalifa Sharief, Shadili Tariqa Figur aus Khartoum, Sudan
ABSCHLUSS
Verehrte Zuschauer, Sie haben nun über die Menschen des Glaubens gehört und wer die Menschen des
Buches sind. Wir in Indonesien haben großes Glück, in einem multireligiösen Land zu leben, beruhend
auf dem Grundsatz „Einheit inmitten von Diversität.“ In Indonesien findet man nahezu jede einzelne
Glaubensgemeinschaft, die alle ihre jeweiligen Überzeugungen begrüßen. Ich war heute zum Beispiel
zufällig in einem Andachtsort, der von einigen unserer Brüder errichtet wurde, die keine Muslime,
Protestanten oder Katholiken sind. Und zufällig ist heute der Abend des chinesischen Neujahrs.
Es ist äußerst bedauerlich, dass die Spannungen zwischen den verschiedenen Glaubensgemeinschaften in
diesem Land, das auf dem Grundsatz der Einheit inmitten von Diversität erbaut wurde, in den letzten
Jahren zugenommen haben. Unsere Experten sprachen zuvor über die Menschen des Buches und über die
Überzeugungen derjenigen, die die Religion anderer als falsch betrachten und von sich selbst glauben,
dass sie die einzigen sind, die die Wahrheit kennen. In einem Koranvers heißt es: „Am Anfang gründete
die Menschheit eine einzige Gemeinschaft.“ Später entstanden daraus verschiedene Anschauungen. Gott
sandte ihnen Propheten und Schriften, die die Wahrheit enthielten. Wir kennen zwar den Koran, die
Evangelien, die Tora, die Psalme und die Schriftrollen Abrahams, allerdings gibt es unter Umständen
noch viele andere Schriften; denn Gott sandte weit mehr als einhunderttausend Propheten. Im Koran heißt
Episode 4: MENSCHEN DES GLAUBENS
36
es, dass es das gibt, von dem Gott uns erzählt und das, von dem Gott uns nicht erzählt. Deshalb gibt es
Propheten und Schriften, die wir kennen und andere, die wir nicht kennen. Dies führte dazu, dass die
Menschen unterschiedliche Glauben praktizieren, alle natürlich in Übereinstimmung mit ihren jeweiligen
Überzeugungen.
Abgesehen davon glaube ich persönlich, dass nicht die Religion selbst der Grund für die Probleme, wie
Feindseligkeit, Hass und Krieg, ist. Denn alle Religionen lehren Güte. Sie alle lehren Liebe und
Mitgefühl.
Im Islam gibt es einen äußerst interessanten Koranvers, an den sich Muslime in letzter Zeit leider nur zu
selten erinnern. Sie vergessen den achten Vers, al-Maidah, in dem Gott zu den Menschen des Glaubens
spricht: „O ihr, die ihr glaubt! Seid Zeugen der Gerechtigkeit um Gottes willen...“ Und weiter heißt es:
„Lasst niemals den Hass gegen eine Gruppe von Menschen euch dazu verleiten, ungerecht zu sein.
Behandelt andere gerecht, denn das kommt der Frömmigkeit am nächsten. Erfüllt eure Pflicht gegenüber
Gott, Denn wahrlich! Gott hat Kenntnis von allem, was ihr tut.“
O Menschen des Glaubens, haltet um Gottes willen an der Wahrheit fest. Lasst euch nicht von
Leidenschaft, Gruppenmeinungen oder Fanatismus beeinflussen, sondern handelt allein um Gottes willen.
Haltet um Gottes willen an der Wahrheit fest. Denn Gott ist die Quelle der absoluten Wahrheit. Seid
Zeugen der Gerechtigkeit. Aufgrund religiösen Empfindens oder Gruppenfanatismus sind wir manchmal
nicht in der Lage, gerechte Worte zu sprechen oder uns gerecht zu verhalten. Deswegen fuhr Gott fort:
„Lasst niemals den Hass gegen eine Gruppe von Menschen euch dazu verleiten, ungerecht zu sein.“ Nur
weil jemand beispielsweise einem anderen Glauben angehört, finden wir an allem, was er sagt, etwas
auszusetzen. Bis hin zu dem Punkt, wo selbst wenn er sagte „zwei mal zwei ist vier“, wir antworten
würden: „Du hast Unrecht!“ - einfach, weil wir ihn nicht mögen.
Ich möchte darauf eingehen, woher dieser Hass stammt. Die Religion an sich ist sicherlich nicht die
Ursache, sei es dass wir über Ausdrucksformen von Hass in unserem oder in einem anderen Land
sprechen. Meiner Meinung nach ist Hass eher auf die Unfähigkeit, sich Ungerechtigkeiten zu widersetzen,
zurückzuführen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel von einer Familie, in der die Eltern und älteren Kinder das
jüngste Kind ungerecht behandeln. Das Kind kann sich nicht gegen seine Eltern oder älteren Geschwister
wehren; es wird wütend und schmeißt einen Stein gegen die Dachpfannen des Hauses. Es hört nicht auf,
um darüber nachzudenken, dass es auch für sich selbst Konsequenzen hat, wenn die Dachpfannen brechen
und undicht werden. Ich denke, das ist genau das, was schwache und unterdrückte Gruppen oftmals tun.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Die Palästinenser können sich gegen ein großes Land wie Amerika natürlich
nicht wehren. Sie denken, dass es ungerecht ist, dass Amerika Israel ständig verteidigt, egal, ob Israel im
Recht ist oder nicht. Nur wird die Situation noch schlimmer, wenn der Kleine, der den Großen nicht
bekämpfen kann, sich entscheidet, etwas einzusetzen, wovon er glaubt, dass es noch größer ist - nämlich
Gott und Religion. Sie manipulieren Religion für einen Zweck, der in Wirklichkeit nichts mit Religion zu
tun hat. Es mag eine Frage politischer Interessen oder sonst was sein. Deswegen ist der zuvor zitierte
Koranvers so wichtig: „Lasst niemals den Hass gegen eine Gruppe von Menschen euch dazu verleiten,
ungerecht zu sein.“
Episode 4: MENSCHEN DES GLAUBENS
37
Terroristen zum Beispiel denken nicht über diesen Koranvers nach, genau wie das kleine Kind, von dem
ich zuvor gesprochen habe, nicht daran denkt, welche Konsequenzen das Werfen des Steins hat. Es gibt
wahrscheinlich ganze 8 Millionen Muslime in Amerika, und nicht alle Amerikaner sind wie George Bush.
Aber Terroristen machen keinen Unterschied zwischen der Regierung und den Menschen in Amerika. Sie
wissen nicht, dass es auch in Israel viele Menschen gibt, die sich ihrer Regierung widersetzen und nicht
mit der Art und Weise einverstanden sind, wie sie das Problem (mit den Palästinensern) handhabt. Aber
sie (muslimische Terroristen) sind bereits mit Hass erfüllt (und können das Gesamtbild nicht sehen). Aus
diesem Grund lehrte der Prophet Mohammed, Friede und Segen seien mit ihm, (seinen Anhängern)
ausdrücklich, zu lieben anstatt zu hassen. Diese Welt kann nur mit Liebe und Mitgefühl geheilt werden.
Liebe und Mitgefühl. Ich sage immer, dass man Feuer nicht mit Feuer löschen kann. Hass muss mit Liebe
bekämpft werden.
Wenn Sie andere Religionen erforschen, werden Sie feststellen, dass die Liebe die wesentliche Lehre aller
Religionen ist. Sowohl die Liebe zu Gott als auch die Liebe zu unseren Mitdienern von Gott (d. h. die
Menschheit).
Ich denke, dass ist soweit alles für heute. Hoffentlich kann uns das, was wir gehört haben, helfen, neue
Denkweisen zu unser aller Besten zu entwickeln, so dass wir ein angenehmes, ruhiges und spirituell
erfrischendes Leben inmitten religiöser und ethnischer Gemeinschaften leben können, die sich in der Tat
voneinander unterscheiden müssen, denn es ist nicht Gottes Wille, dass alles gleich ist.
Verehrte Zuschauer, Sie haben die Sendung Ozean der Offenbarungen gesehen. Bis zum nächsten Mal,
vielen Dank und möge Gottes Friede, Liebe und Segen mit Ihnen sein.
Episode 4: MENSCHEN DES GLAUBENS
38
Episode 5:
PROSELYTISIERUNG
EINLEITUNG
(Gus Mus) Friede sei mit dir.
(Dorfbewohner) Und mit dir.
(Gus Mus) Bist du in guter Gesundheit und in Gottes Gnade?
(Dorfbewohner) In Gottes Gnade!
(Gus Mus) Was machst du?
(Dorfbewohner) Ich mache ein Fischnetz.
Gott sei gelobt!
(Dorfbewohner) Gut.
Möge Gottes Frieden, Liebe und Segen mit dir sein.
Verehrte Zuschauer, hier sind wir wieder bei Ozean der Offenbarungen. Dieses Mal laden wir
Sie ein, sich die Ansichten vieler muslimischer Gelehrter und Intellektueller zur Da’wa
(Proselytisierung) und ihre Verbindung zum „Gebot des Guten und Verbot des Bösen“
anzuhören. Es mag erscheinen, dass viele Menschen bereits ein gutes Verständnis dieser beiden
Begriffe haben, da sie äußerst verbreitet sind. Aber hören Sie sich an, was die Gelehrten über die
Da’wa und das „Gebot des Guten und Verbot des Bösen“ zu sagen haben. Viel Spaß beim
Anschauen!
ABSCHNITT 1
Proselytisierung, oder di’ayah auf Arabisch, stammt von der Wortwurzel da’a yad’u.“
~ Prof. Dr. Kyai Haji Said Agil Siraj, stellvertretender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Das Wort Da’wa oder Proselytisierung meint wörtlich „einladen“.
~ Kyai Haji Masdar Mas’udi, stellvertretender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Episode 5: PROSELYTISIERUNG
39
Die Pflicht und Mission des Propheten Mohammed war es, den Menschen göttliche Einheit, die
Religion des Islams und einen großmütigen Charakter (bzw. einen Weg zur Entwicklung eines
großmütigen Charakters) anzubieten. Das ist die wesentliche Bedeutung von Da’wa oder
islamischer Proselytisierung. „Der alleinige Zweck, zu dem Gott mich sandte, war die
Verbesserung der Moral.“
~ Prof. Dr. Kyai Haji Said Agil Siraj, stellvertretender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
[Da’wa] ist die Fürsprache für islamische Verhaltensweisen oder gute Moral und zeigt, wie wir
unter Umständen für Gerechtigkeit und Gleichheit kämpfen. Sie ist der Ruf der Humanisierung
und bedeutet die Einladung anderer, so dass wir ein kollektives Bewusst-sein entwickeln können,
das sich Unterdrückung, menschlichem Leiden, Hunger und Armut wirklich bewusst ist... das ist
die wesentliche Bedeutung von Da’wa.
~ Dr. Moeslim Abdurrahman, indonesischer muslimischer Gelehrter
Sie bedeutet nicht, zu drohen oder zu verunglimpfen. Diese abweichende Auffassung von Da’wa
ist heutzutage nur allzu verbreitet. Viele der Da’wa-Foren, wie zum Beispiel die
Freitagspredigten, sind voller Kritik, Beschimpfungen und sogar Gewaltandrohungen gegenüber
anderen. Dies steht im Widerspruch zur wahren Bedeutung von Da’wa, was im alltäglichen
Sprachgebrauch heißt, andere dazu zu bewegen, ein gutes und rechtschaffenes Verhalten an den
Tag zu legen. Folglich ist eine wesentliche Bedingung der Da’wa, dass niemand dabei verletzt
wird.
~ Kyai Haji Masdar Mas’udi, stellvertretender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Ein wesentliches Prinzip der Da’wa ist die Verdeutlichung des Islams mittels Diskussionen und
Erörterungen; d. h. Koranverse weise zu zitieren, um Führung und Rat anzubieten. Menschen
soll geholfen werden, ihre persönlichen Probleme im Leben zu bewältigen, und erst anschließend
sollten sie eingeladen werden, den Glauben anzunehmen; ganz im Einklang mit der
Redewendung „Perfektion und gutes Verhalten kommen vor Erklärungen.“ Erst kommen Gottes
Taten; die Erklärung folgt später.
~ Kyai Haji Hasyim Muzadi, Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Episode 5: PROSELYTISIERUNG
40
Vers 125, Kapitel 16 des Koran, al-Nahl (Die Biene), lautet: „Oh Mohammed! Lade (die
Menschen) ein zum Weg deines Herrn mit Weisheit und schöner Ermahnung.“ Dieser Punkt ist
sehr wichtig. Wenn dein Gegenüber in seiner Wortwahl unhöflich und aggressiv ist, antworte
ruhig und freundlich. Lasse dich auf eine ehrliche Diskussion ein, die Gefühl und Verstand
vielleicht zusammenführen kann. Man sagt, dass jemand, der sich so verhält, einen Feind in
einen Freund verwandeln kann.
~ Prof. Dr. A. Syafi’i Ma’arif, ehemaliger Vorsitzender der Muhamadiyah (1998-2005)
Die Frage ist, wie bringen wir Frieden und Ruhe in das Leben der Menschen und verhindern jede
Form von Da’wa, vor der sie sich fürchten? Nehmen wir zum Beispiel den Boten Gottes und
viele seiner Anhänger und die neun Heiligen, die den Islam nach Java brachten: ihre Da’wa war
äußerst sensibel gegenüber den Bedürfnissen und Umständen anderer. Dies ist die Art von
islamischer Proselytisierung, die wir praktizieren müssen.
~ Kyai Haji Abdul Muqiet Arief, Leiter des islamischen Internats Bahrul Ulum in Jember,
Indonesia
Die Da’wa wird (von denen, die sie praktizieren) in der Weise missverstanden, dass sie glauben,
andere verurteilen oder sie als Häretiker oder Ungläubige brandmarken zu müssen, ohne sich
darüber bewusst zu sein, dass die Da’wa selbst von kultureller Natur ist. Die Da’wa ist etwas
Reines und Natürliches. Man lädt Menschen nicht zur Wahrheit ein, indem man sie zwingt,
sondern indem man ein inneres, von Herzen kommendes Bewusstsein, ein intellektuelles
Bewusstsein, sowie die Freude, die Barmherzigkeit und stumme Gebete mit sich bringen, teilt.
~ Dr. Haedar Nashir, stellvertretender Vorsitzender der Muhammadiyah
Meiner Meinung nach ist die wahre Da’wa die, die erleuchtet, aufklärt, den Intellekt erhöht und
den Menschen Hoffnung gibt... das ist die wahre Da’wa.
~ Prof. Dr. A. Syafi’i Ma’arif, ehemaliger Vorsitzender der Muhamadiyah (1998-2005)
Und jede Da’wa, die von dieser göttlichen Orientierung abweicht, ist eine falsche Da’wa.
~ Muhammad Sayyid Tantawi, Großscheich von al-Azhar in Kairo, Ägypten
ABSCHNITT 2
Laut dem Koran hat die Da’wa zwei Ziele: Menschen zu Gott einzuladen und Menschen zu
Satan einzuladen. Wenn wir andere also einladen, einer Organisation beizutreten, praktizieren
wir nicht die Da’wa, die Menschen zu Gott einlädt. Wenn ich andere auffordere, sich um mich
herum zu versammeln, ist auch dies keine Einladung zu Gott. Die andere Da’wa lädt Menschen
Episode 5: PROSELYTISIERUNG
41
ein, auf den Weg Gottes zurückzukehren und ihr Leben nach seinen Regeln, wie wir sie
verstehen, zu leben.
~ Jalaluddin Rakhmat, indonesischer muslimischer Gelehrter
Die Da’wa richtet sich nach den unterschiedlichen Bedürfnissen der Öffentlichkeit. Dies sind
eine Reihe von lokalen Bedürfnissen, die jedoch weitergehende zusätzliche globale Bedürfnisse
nicht ausschließen sollten. Zum Beispiel kann die Da’wa die Beseitigung von Armut oder die
Eliminierung von Korruption, Kollusion und anderen Übeln mittels einer neuen Terminologie
oder eines neuen Managementmodells beinhalten. Die Da’wa muss nicht unbedingt durch das
gesprochene Wort erfolgen. Die Organisationen Parliament Watch und Corruption Watch sind
neue Formen der Da’wa. Es sind in der Tat zeitgemäße Da’wa-Bewegungen.
~ Dr. Amin Abdullah, Rektor der islamischen staatlichen Universität Sunan Kalijaga, Indonesien
Bei unserer Proselytisierung im Namen Gottes und der Aufforderung der Menschen zum
Glauben vergessen wir oftmals, dass wahre Großmütigkeit in unserem Leben fehlt und wir uns
auf der Arbeit korrupt verhalten. Und doch stolzieren wir umher, als hätten wir durchaus Lob
verdient. Die Da’wa, die von anderen „gehört“ wird, kommt tief aus dem Herzen und zeigt sich
in aufrichtigen und von Herzen kommenden Handlungen, die einen wahrhaft großmütigen
Charakter zeigen und nicht von Scheinheiligkeit geprägt sind. Vor allem aber darf die Da’wa
niemals zu etwas führen, was als Gewalt interpretiert werden kann.
~ Mohamad Sobary, indonesische Kulturfigur
Die islamische Da’wa bringt anderen eine wahre spirituelle Stärkung. Ob sie den Islam
annehmen oder nicht, ist Gottes Sache, nicht unsere.
~ Kyai Haji Abdul A’la, Leiter des islamischen Internats Annuqayah in Sumenep, Indonesien
Wir müssen zu der Da’wa zurückkehren, die die Wali Songo praktizierten, die neun Heiligen, die
erfolgreich und ohne Krieg, Konflikte oder Gewalt 90% der indonesischen Bevölkerung zum
Islam konvertierten. Die Menschen von Klaten wurden Muslime, ließen den hinduistischen
Prambanan-Tempel aber unberührt. Die Menschen von Yogya nahmen den Islam an und störten
den Borobudur-Tempel trotzdem nicht im geringsten. In diesem schrittweisen Prozess der
Akkulturisierung ist eine bemerkenswerte Weisheit zu sehen, und wir müssen zu den Werten
dieser Vorgehensweise zurückkehren.
~ Kyai Haji Hasyim Muzadi, Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
„Wäre es der Wille deines Herrn gewesen, wären sie alle Gläubige - ein jeder, der auf Erden
lebt! Würdest du also die Menschheit gegen ihren Willen zum Glauben zwingen?“ Gott
ermahnte Mohammed und erklärte, dass wenn es sein Wille wäre, würde es keine Atheisten oder
Episode 5: PROSELYTISIERUNG
42
Verbrecher geben, sondern nur Menschen des Glaubens. Warum also hasst du Menschen, wenn
sie nicht gläubig sind (wie du)? Dieser Vers zeigt, dass Gott allein über das Thema Glauben
urteilt. Unsere Pflicht ist es, anderen das Gute zu übermitteln und nicht Menschen mit
schwingendem Schwert zum Islam „einzuladen“.
~ Kyai Haji Abdul A’la, Leiter des islamischen Internats Annuqayah in Sumenep, Indonesien
Die Religion wird durch Moscheen, Schulen und anderen Orten, an denen man Bücher studieren
kann, bewahrt. Die Vertiefung des religiösen Wissens und die Ausübung der Religion erfolgen
anderswo. Lokale religiöse Führer, die die Moral der Öffentlichkeit wahren und
weiterentwickeln, sind in diesem Prozess entscheidend, da sie das gleiche Dorfleben leben.
~ Kyai Haji Abdurrahman Wahid, ehemaliger indonesischer Präsident und Vorsitzender der
Nahdlatul Ulama (1984-1999)
Ich sollte den Film Fitna (von dem niederländischen Politiker Geer Wilders) erwähnen.
Ungeachtet seines Motivs werden in dem Film koranische Verse zitiert, die aus dem
Zusammenhang gerissen wurden. Aber noch ironischer ist die Art und Weise, in der einige
Muslime auf Fitna reagiert haben. Menschen, die behaupten, Muslime zu sein, sollten sich weise
verhalten und einen Dialog anstrengen (anstatt Gewalt auszuüben). Wir sollten durch unsere
Handlungen zeigen, dass Fitna den Islam falsch darstellt. Zu diesem Zweck müssen wir anderen
mit Sanftmütigkeit und Wärme begegnen, denn dies ist das Wesentliche islamischer Lehren.
~ Kyai Haji Abdul A’la, Leiter des islamischen Internats Annuqayah in Sumenep, Indonesien
In den mündlichen Überlieferungen, die wir von unseren frühen muslimischen Heiligen in Java,
und insbesondere von Sunan Kalijogo, übernommen haben, wurde die Da’wa durch Kunst und
Gesang praktiziert. Dies ist in den Muhammadiyah- und Nahdlatul-Ulama-Gemeinschaften noch
immer der Fall, wo die Menschen die Ideale religiöser Lehren mittels Gesang bis spät in die
Nacht übermitteln. Dies ist ein wertvolles Erbe der damaligen Heiligen. Ich selbst bin mit dieser
Tradition groß geworden und übe sie noch immer aus. Ich liebe die alten Lieder und genieße das
Dorfleben in Jakarta, denn diese Lieder erhöhen die Sensibilität, bringen eine spirituelle und
emotionale Reinigung und schaffen eine angenehmere und freundlichere Atmosphäre.
~ Mohamad Sobary, indonesische Kulturfigur
Ich bin mir sicher, dass wenn die islamische Proselytisierung in Indonesien sich an den
koranischen Grundsätzen orientierte, der Islam für alle Menschen dieser Erde ein wahrer Segen
wäre.
~ Dr. Haedar Nashir, stellvertretender Vorsitzender der Muhammadiyah
Episode 5: PROSELYTISIERUNG
43
ABSCHNITT 3
Gebot des Guten und Verbot des Bösen
Das Gebot des Guten und Verbot des Bösen ist ein Teil der Da’wa. Proselytisierung meint die
Einladung anderer Menschen, die ihnen angebotene Wahrheit anzunehmen und ihr zu folgen.
Amar ma’ruf nahi mungkar ist ein Element dieses Konzepts, nämlich das zu gebieten, was wahr
ist und das zu verbieten, was falsch ist.
~ Kyai Haji M. Tolchah Hasan, Berater der Nahdlatul Ulama
Die Regierung trägt die Verantwortung für amar ma’ruf nahi mungkar, d. h. für das Verbot des
Bösen (mittels Anwendung von Gewalt) und das Gebot des Guten. Aber wenn dies nicht
möglich ist, weil Nationen und Menschen äußerst hemmend sind, wie in Indonesien, bilden sich
spontan Gruppen, die meinen, dass sie die Autoriät besitzen, Gutes vorzuschreiben und all das zu
verbieten, was sie als böse betrachten, als wäre dies eine Art religiöse Pflicht.
~ Kyai Haji Abdurrahman Wahid, ehemaliger indonesischer Präsident und Vorsitzender der
Nahdlatul Ulama (1984-1999)
„Ma’ruf“ ist etwas, von dem die Menschen wissen, dass es gut ist; es kommt von dem Ausdruck
ta’arafa ya’rifu. Etymologisch stammt das Wort von dem Begriff „Wahrheit“. „Mungkar“ ist
etwas, das unser Bewusstsein als fremd abweist, so wie es die Lehren unseres religiösen
Glaubens tun. Das ist das Böse. Den Regeln der islamischen Rechtsprechung zufolge ist das
Unrechte, was notfalls mit Gewalt verhindert werden muss, das, was alle Mitglieder der
Gesellschaft einstimmig als böse ansehen. Die Regeln der islamischen Rechtsprechung sagen
dazu: „das, was mit dem Begriff ‚böse‛ bezeichnet wird, was notfalls mit Gewalt verhindert
werden muss, ist etwas, worüber sich die Gesellschaft einig ist, dass es böse ist.“ Für die
Menschen in Indonesien ist das Böse in diesem Sinne etwas Korruptes und Übelgesinntes, das
durch unsere Nation kriminalisiert und nicht lediglich von einer Gruppe von Leuten verurteilt
wurde. Betrachtet eine Gruppe etwas als korrupt, während andere es als legitim ansehen, so kann
es nicht als etwas Böses eingestuft werden, das notfalls durch Zwang und Gewalt verboten
werden muss. Daher müssen wir eine öffentliche Meinung und Einigung dahingehend finden,
was mit dem Begriff „böse“ bezeichnet wird und was nicht. Wenn nicht, werden wir weiterhin
Zeuge sein von ....
~ Kyai Haji Masdar Mas’udi, stellvertretender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
... Banden selbsternannter Mitglieder von Selbstschutzgruppen, die mit Stöcken umher
marschieren und Menschen schlagen. Im Ergebnis erschreckt diese Art von Islam andere nur.
~ Kyai Haji Hasyim Muzadi, Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Episode 5: PROSELYTISIERUNG
44
Durch Zwang Gewalt ausüben. Dieses und jenes verbieten, alles unter dem Vorwand des
„Verbots des Bösen“.
~ Kyai Haji Masdar Mas’udi, stellvertrender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Das einzige Mitglied der Gesellschaft, das ein legitimes Recht hat, Gewalt gegenüber anderen
Bürgern anzuwenden, ist der Machtinhaber. In diesem Fall ist der Machtinhaber die Regierung.
Viele von uns sind äußerst besorgt über Salafi-Bewegungen, die in all ihren Kampagnen Gewalt
anwenden, um „das Böse zu verbieten“.
~ Kyai Haji M. Tolchah Hasan, Berater der Nahdlatul Ulama
Ich würde mich schämen, ein „Verteidiger“ (des Islams) genannt zu werden, denn Gottes Lehren
bedürfen keiner Verteidigung. Im Gegenteil, der Islam verteidigt mich und sorgt für mein
Wohlergehen und bringt mir Erlösung. Indem ich die Lehren des Islams verstehe und praktiziere,
hoffe und bete ich, dass mein Leben nützlicher und gesegneter sein wird. Und mit den Lehren
des Islams, die mir zur Verbesserung meiner selbst verhelfen, kann ich Gott sei Dank meiner
Familie helfen. Und Gott sei Dank kann ich zur Gesellschaft beitragen; denn ein jeder, dem ich
helfe, ist ein Mitgeschöpf und ein Diener Gottes. Aber ich wäre beschämt und fühle mich
unwürdig, von mir selbst zu glauben, dass ich dem Islam immer dar „helfe“. Meine eigenen
Glaubensstudien sind so oberflächlich! Wie kann ich seine Lehren fördern oder verbessern, wenn
mein eigenes Verständnis des Islams so oberflächlich ist? Ich glaube - oder besser - ich bin mir
sicher, dass der Islam ohne mich nicht zugrunde gehen wird oder dass seine Lehren nicht
aufgrund meiner Existenz noch großartiger werden. Ich brauche die Religion, um mein Leben zu
ergänzen. Alles, was ich tun kann, ist Lob und Dank für dieses Leben auszusprechen und meinen
Glauben zu praktizieren und Barmherzigkeit zu üben, und dafür brauche ich andere Menschen.
Vielleicht braucht die Gesellschaft mich nicht, aber ich brauche die Gesellschaft, um mein Leben
auszufüllen und zu ergänzen.
~ Dr. Komaruddin Hidayat, Rektor, islamische staatliche Universität Syarif Hidayatullah,
Jakarta, Indonesien
Ich behaupte, dass der Islam in unserer heutigen Zeit in die Hände einer Bande ignoranter
Fanatiker geraten ist, die ihn zu einem einzigen Zweck manipulieren: nämlich um dem Islam
seines wahren Geistes zu berauben. Und weil sich der Islam derzeit in ihren Händen befindet,
haben wir alle eine religiöse Pflicht, ihn aus ihrem lasterhaften Griff zu befreien und ihn, der von
Menschen wie Osama bin Laden gefangen und in Fesseln gehalten wird, aus dem Würgegriff der
Fanatiker zu befreien. Sie haben viele Anhänger, wie solche, die anderen Muslimen sagen: „Euer
Islam ist falsch; folgt mir und werdet wahre Muslime.“ Diesen Muslimen antworten wir, dass es
in der islamischen wissenschaftlichen Überlieferung eine Regel gibt: „Suche in deinem eigenen
Herzen nach Rat, auch wenn ich dir Rat geben kann.“ Angenommen, zum Beispiel, ein Mufti
erstellt dir eine Fatwa. Nachdem du ihn angehört hast, solltest du deinem eigenen Herzen folgen.
Bestätigt dein Herz, was der Mufti gesagt hat und weist dich an, die Fatwa zu befolgen oder
Episode 5: PROSELYTISIERUNG
45
nicht? Und wir übermitteln diese Botschaft: Wir haben eine heilige Pflicht, diese
Vorgehensweise zu befolgen und das Zentrum des religiösen Verständnisses von außen nach
innen zu verlagern. Wir müssen stets auf unsere Intuition und unser Gewissen hören, um zu
entscheiden, ob das, was wir von anderen hören, wahr ist oder nicht.
~ Dr. Ali Mabrook, Experte für koranische Studien, Ägypten
In der Tat wird in Wahhabi-Kreisen behauptet, dass das Prinzip des „Gebot des Guten und
Verbot des Bösen“ mittels physischer Handlungen durchgesetzt werden muss. Aber Muslime,
die keine Wahhabi-Anhänger sind, erkennen, dass das „Gebot des Guten und Verbot des Bösen“
nicht immer derartige Taktiken erfordert. Im Gegensatz zu denen, die Zwang anwenden, gibt es
eine Redewendung des Propheten, die lautet: „Wenn du etwas siehst, was nicht richtig ist,
solltest du im Rahmen deiner Macht handeln.“ Einige legen diesen Hadith in der Weise aus, dass
er sich auf Machtinhaber bezieht, die die Autorität zur Anwendung von Gewalt besitzen. Aber
wir, die wir über Wissen oder eine andere Art von Einfluss verfügen, können sprechen,
diskutieren, Predigten halten, an Ratssitzungen teilnehmen oder schreiben (und das besagte Böse
ablehnen). Und diejenigen, die nicht in der Lage sind, etwas Falsches zu verbieten, haben ihr
Herz, dass das Böse ablehnt.
~ Kyai Haji M. Tolchah Hasan, Berater der Nahdlatul Ulama
Die Da’wa bedroht folglich niemanden, schüchtert niemanden ein und demütigt auch niemanden.
Vielmehr berührt sie die Herzen auf sanfte Weise.
~ Kyai Haji Masdar Mas’udi, stellvertretender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Mit Hinblick auf die Geschichte der islamischen Zivilistion ist es sehr wohl bekannt, dass die
Wahhabi-Anhänger in den letzten Jahrhunderten hinter Bewegungen gestanden haben, die unter
Gewaltanwendung „das Gute gebieten und das Böse verbieten“. Als die Wahhabis die Kontrolle
über Arabien übernahmen, zerstörten sie alle Gebäude und Bauten, die sie als böse betrachteten.
Deshalb ist das gesamte islamische Erbe Saudi-Arabiens restlos vernichtet worden. Das Haus, in
dem der Prophet mit seiner Frau Khadijah lebte, gibt es nicht mehr. Die Geburtsstätte des
Propheten wurde ebenfalls zerstört, und es sind davon heute keine Spuren mehr übrig. Aber das
Seltsame ist, dass die Paläste und Wohnanlagen des Königs Abdul Aziz (der Gründer des
modernen Saudi-Arabiens) noch immer in Riyadh in all ihrer Schönheit erhalten sind.
~ Kyai Haji M. Tolchah Hasan, Berater der Nahdlatul Ulama
Episode 5: PROSELYTISIERUNG
46
„Es ist die angemessene Rolle der Regierung im Hinblick auf die Da’wa (und der von den
Extremisten angewandten Gewalt, die sie Da’wa nennen), die Ulama und Gelehrten anzuhalten,
Rat zu erteilen und diejenigen, die sich falsch verhalten, zu korrigieren. Wenn (die Extremisten)
den Rat nicht unmittelbar annehmen, muss die Regierung das Recht durchsetzen, indem sie sie
verhaftet und entsprechend ihrer Rechtsverletzung mit Gefängnis bestraft.“
~ Muhammad Sayyid Tantawi, Großscheich von al-Azhar in Kairo, Ägypten
ABSCHLUSS
(Gus Mus) Friede sei mit dir.
(Dorfbewohner) Und mit dir.
(Gus Mus) Gelobt sei Gott! Wie geht´s?
(Dorfbewohner) Gut.
(Gus Mus) Wie heißt du?
(Dorfbewohner) Ich heiße Pak Man, mein Herr.
(Gus Mus) Gelobt sei Gott, Pak Man. Der Name dieses Dorfes ist Banggi Market, nicht wahr?
(Dorfbewohner) Ja, das Dorf Banggi Market im Regierungsbezirk und in der Stadt Rembang,
mein Herr.
(Gus Mus) So ist es, Pak Man. Ich würde gerne wissen, ob Du mit dem Begriff Da’wa vertraut
bist.
(Dorfbewohner) Ich als gewöhnlicher Mann denke, dass Da’wa meint, dass jemand ein
moralisch gutes Wissen oder ein moralisch gutes Gebot teilt. Das verstehe ich unter Da’wa.
Wissen zu teilen; oder manchmal gibt es in verschiedenen Versammlungen auch ein Da’waProgramm. Abhängig von der Da’wa-Mission mögen die Leute andere Definitionen geben. Aber
meine Definition der Da’wa ist, wahres und moralisch nützliches Wissen zu teilen.
(Gus Mus) Okay, danke. Ich wende mich nun an unsere Zuschauer.
Verehrte Zuschauer, ich befinde mich in Banggi Market. Es ist ein Fischerdorf, und ich, Pak
Man und die Dorfbewohner sind alle Zielobjekte der Da’wa. Die Menschen vergessen oftmals,
dass Da’wa bedeutet, jemanden einzuladen. Einzuladen. Jemanden einzuladen heißt nicht,
jemandem etwas zu befehlen. Es heißt nicht anordnen, verbieten oder zwingen. Wenn im Koran
von einem göttlichen Gebot zur Einladung die Rede ist, ist es gleichzeitig erforderlich, zunächst
Episode 5: PROSELYTISIERUNG
47
mit gutem Beispiel voranzugehen und dann „mit Weisheit einzuladen“ (bil hikmah)... Wenn wir
also jemanden einladen, z. B. unsere Frau und sicherlich auch jede andere Person, so müssen wir
sanfte, anziehende und verführerische Worte wählen, damit ihre Herzen von unserer Einladung
angesprochen werden. Wenn wir Menschen auf grobe und barsche Weise „einladen“, wie
können sich da ihre Herzen angesprochen fühlen?
Gehen Sie also nicht so vor. Lassen Sie uns nun zwischen zwei koranischen Begriffen
unterscheiden, wobei der eine „einladen“ (Da’wa) bedeutet und der andere „Gutes gebieten und
Böses verbieten“ (amar ma’ruf nahi mungkar). Dies sind zwei sehr verschiedene Dinge. Jemand,
der eine Einladung ausspricht, gebietet nicht. Der koranische Vers Ut Ummana ist in diesem
Zusammenhang interessant: „Lade zum Weg Gottes ein, indem du (anderen) zunächst mit gutem
Beispiel vorangehst und sie dann mit Weisheit einlädst.“ Der Koran macht keine Angaben dazu,
wer einzuladen ist. Es heißt nicht „Lade Fulan ein“ oder „Lade diese oder jene Person ein“.
Einfach nur, lade zum Weg Gottes ein. Wenn wir uns die von der Religionsabteilung angefertigte
Übersetzung des Korans ansehen, sehen wir, dass sie Ausdrücke in Klammern enthält: „Lade
(Menschen) zum Weg Gottes ein.“ Diese Erklärung ist eigentlich nicht nötig, denn zum Weg
Gottes einzuladen meint automatisch, Menschen einzuladen, die sich noch nicht auf dem Weg
Gottes befinden.
Mit amar ma’ruf (Gutes gebieten) ist es anders. Ma’ruf ist etwas, von dem jeder weiß, dass es
gut ist, und dies sollten wir gebieten. Und wem sollten wir es gebieten? Menschen, die wir
kennen. Viele sprechen vom „Gebot des Guten und dem Verbot des Bösen“ und behaupten
sogar, dass sie dieses Prinzip praktizieren. Doch übersehen sie die Tatsache, dass „das Gebot des
Guten und das Verbot des Bösen“ in Wirklichkeit eine Bekundung der Liebe ist. Folglich muss
es eine innere und aufrichtig liebevolle Verbindung geben zwischen den Menschen, die „Gutes
gebieten und Böses verbieten“ und den Menschen, denen sie es gebieten oder verbieten. Es ist
nicht möglich, auf der Grundlage von Hass „Gutes zu gebieten und Böses zu verbieten“. Das ist
reiner Unsinn.
Eine Einladung auszusprechen ähnelt, wie das Lehren, einer Werbung für etwas. Ich bin oft
verwirrt und frage mich: „Wer ist die Person, die die Einladung ausspricht und wozu lädt sie
ein?“ Warum ich verwirrt bin? Aufgrund der Art und Weise, wie sich Menschen benehmen,
während sie praktizieren, was sie „Da’wa“ nennen. Sie schimpfen und toben, beleidigen andere
und basieren ihre Handlungen niemals auf dem Beispiel ihres großen Führers, den Boten Gottes.
Wenn der Bote Gottes zum Beispiel wusste, dass sich jemand falsch verhielt, nannte er niemals
seinen Namen. Er sagte lediglich: „Jemand verhält sich in dieser Weise gegenüber seinem
eigenen Bruder.“ Obwohl er wusste, dass die Person, die sich falsch verhielt, zum Beispiel Pak
Man war, sagte er nicht „Pak Man behandelt seinen Bruder auf diese Weise“, sondern nur
„Jemand verhält sich auf diese Weise.“
Aber Sie können es selbst sehen, wie viele Praktizierer der Proselytisierung Predigten halten und
die „Da’wa“ durchführen und dabei Personen beim Namen nennen und ihre Zuhörer sogar dazu
anstiften, böse Handlungen vorzunehmen. Und doch behaupten sie, dass sie „das Gute gebieten
Episode 5: PROSELYTISIERUNG
48
und das Böse verbieten“. Sämtliche Referenzbücher für Muslime besagen, dass „das Gebot des
Guten und das Verbot des Bösen“ auf rechtschaffene Weise erfolgen muss. Wenn wir anderen
gebieten wollen, gut zu sein, müssen wir dies auf entsprechend gute und angemessene Weise tun.
Wenn Sie oft zum Busbahnhof gehen, wissen Sie, dass die Kartenverkäufer sanfte,
verführerische Worte wählen, um Kunden anzulocken. Zum Beispiel „Bitte steigen Sie ein, mein
Herr. Der Bus ist klimatisiert, und wir bieten Karaoke an!“ Wenn wir möchten, dass jemand
unseren Bus nimmt, ihn aber packen und rufen „Wenn du nicht in meinen Bus einsteigen willst,
werde ich dir den Kopf einschlagen!“, dann rennt er einfach weg.
Also noch einmal: Da’wa ist eine Einladung. Das Wesentliche einer Einladung anderer liegt in
der Verführung und Überzeugung, weshalb der koranische Begriff bil hikmati (mit Weisheit)
angewandt wird... Wenn eine Situation eine Debatte erfordert, so ist das besser als die
Vorgehensweise anderer Leute. Auch wenn sie schimpfen und toben und andere beleidigen,
brauchen wir es Ihnen nicht nachzutun. Wenn andere uns bloßstellen, brauchen wir sie im
Gegenzug nicht bloßzustellen. Bil hikmah (mit Weisheit)...
Manchmal möchte ich den Personen, die die Art Da’wa ausüben, welche den Lehren des Boten
Gottes widerspricht, Fragen stellen. Ich möchte sie fragen: „Was wollt ihr wirklich?“ Wir
müssen sehr vorsichtig sein und zwischen der Einladung anderer zum Weg Gottes und der
bloßen Auslebung unseres eigenen Egos und unserer Leidenschaft unterscheiden. Unser Ego und
religiöser Enthusiasmus liegen sehr nah beieinander. Manchmal geraten Menschen aufgrund
ihres exzessiven Enthusiasmus für Religion in die Falle und vergessen, dass ihr persönliches Ego
und ihre Leidenschaft sich genau hier einbringen können. Als Folge verschmelzen wir eine
Organisation oder politische Partei manchmal mit unserer Religion. Egoistisches Verlangen hält
uns von unserem wichtigsten Ziel ab, nämlich der eine und wahrhaftige Gott.
Das war’s für heute, liebe Zuschauer. Wir sehen uns bei einer weiteren Episode zu einem
anderen Thema wieder. Hoffentlich wird uns allen das, was wir heute gehört haben, von Nutzen
sein.
Friede sei mit Ihnen.
Episode 5: PROSELYTISIERUNG
49
Episode 6:
JIHAD
EINLEITUNG
von Kyai Haji Mustofa Bisri
Friede und Segen seien mit Ihnen, meine verehrten Zuschauer. Wir sind wieder bei Ozean der
Offenbarungen.
Dieses Mal laden wir Sie ein, sich die Beiträge führender islamischer Persönlichkeiten
hinsichtlich eines Begriffs anzuhören, der in letzter Zeit sehr oft verwendet wurde, wobei er
weitgehend unterschiedlich ausgelegt wird. Es handelt sich um den Begriff Jihad.
Sehen wir es uns zusammen an.
ABSCHNITT 1
Der Begriff Jihad stammt aus dem Arabischen. Welche Bedeutung hat er? Er meint „optimale
oder maximale Anstrengung“ zur Aufrechterhaltung der Wahrheit, höchster Werte und
großmütiger Prinzipien wie Gerechtigkeit, Gleichheit, Schutz der Schwachen, Verteidigung der
Menschenrechte, Ausräumung von Gewalt, Appell an andere zur Zivilisation und Moral,
Anhebung des Bildungsstandards und Hilfeleistung für die Armen zur Erreichung eines größeren
Wohlstands, so dass wir alle in Ruhe und Frieden miteinander leben können. Dafür steht Jihad.
~ Prof. Dr. Kyai Haji Said Agil Siraj, stellvertretender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Der Jihad ist eine jede ernsthafte Anstrengung zur Einhaltung der Gebote Gottes. Aus diesem
Grund sagt Gott in einem koranischen Vers: „Gott hat für jede Religion eigene Gesetze und
Regelwerke etabliert.“ Wenn Gott wollte, hätte er euch alle zu Anhängern einer einzigen
Religion gemacht. Aber Gottes Wille ist ein anderer. Er will euch durch die Religion, der ihr
angehört, prüfen. Wie sieht diese Prüfung aus? Gott will, dass ihr bei der Verbreitung des Guten
gegen die Anhänger eines anderen Glaubens antretet. Deshalb meint Jihad „wirkliche und
ernsthafte Anstrengung“ zur Verbreitung des Guten weit und breit.
~ Jalaluddin Rakhmat, indonesischer muslemischer Gelehrter
Episode 6: JIHAD
50
Der Jihad ist ein vom religiösen Glauben inspirierter Beweggrund und Ethos. Ich meine damit,
dass die Inspiration des Jihad in Selbsterhabenheit, Aufrichtigkeit und unermüdlicher
Anstrengung zur Aufrechterhaltung der Wahrheit liegt, einschließlich der höchsten Ideale der
Menschheit.
~ Dr. Moeslim Abdurrahman, indonesischer muslimischer Gelehrter
Der Nil
Kairo, Ägypten
Mein Verständnis der Bedeutung des Jihad im Islam ist, dass er keine Verpflichtung darstellt, mit
Ausnahme von zwei grundlegenden Umständen. Erstens, die Verteidigung von Religion,
Wohlstand, Ehre und der eigenen Nation. Wir sind zu deren Verteidigung verpflichtet. Und
zweitens, die Erbringung von Hilfe für die Unterdrückten.
~ Muhammad Sayyid Tantawi, Großscheich von al-Azhar in Kairo, Ägypten
Wenn wir danach streben, unser Leben lang all unser Potential, unser Wissen und unsere Kraft
anzuwenden, um Gott - und somit seinen Geschöpfen - zu dienen... ist das für mich Jihad auf
dem Wege Gottes.
~ Dr. Komaruddin Hidayat, Rektor der islamischen staatlichen Universität Syarif Hidayatullah ,
Indonesien
Im Islam meint Jihad nicht lediglich eine physische Anstrengung. Vielmehr ist der größte Jihad
der, den wir gegen uns selbst führen, zur Überwältigung unserer grundlegenden und egoistischen
Natur.
~ Kyai Haji Muhammad Zuhri Zaini, Leiter des islamischen Internats Nurul Jadid in
Probolinggo, Indonesien
Der „große Jihad“ ist ein innerer Kampf zur Zügelung des Egos, die Bekämpfung aller
Neigungen, die im Widerspruch zur (Anerkennung der) Wahrheit stehen, wie zum Beispiel
Egoismus und Begierde. Das ist der große Jihad.
~ Kyai Haji Masdar Mas’udi, stellvertretender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Von einer noch größeren Perspektive aus meint „Jihad“ den Kampf des Lebens. Als die
Gefährten des Propheten von Badr zurückkehrten, der bedeutendsten Schlacht in der islamischen
Geschichte, sagte der Prophet: „Wir sind soeben von einem kleineren Jihad zum größeren Jihad
zurückgekehrt.“ Was ist der größere Jihad? Der Kampf gegen Begierde, Armut, Ignoranz, Zwang
und jegliche Formen von Korruption in der Welt.
Episode 6: JIHAD
51
~ Dr. Haedar Nashir, stellvertretender Vorsitzender der Muhammadiyah
„Jihad“ meint grundsätzlich die Unternehmung großer und ernsthafter Anstrengungen zur
Erreichung eines großmütigen Zwecks. Das ist Jihad. Der Koran sieht kein Konzept des
„Heiligen Krieges“ vor. Es gibt keinen Krieg, der heilig ist, auch wenn die Selbstverteidigung
erlaubt ist. „Heiliger Krieg“ ist kein Begriff des Korans. Meiner Ansicht nach meint Jihad „die
Ausübung großer Anstrengungen zur Erreichung eines großmütigen Ziels“, wie es durch die
Religion und einem gesunden Verstand geboten wird. Er steht in Beziehung zum Ijtihad bzw. zur
individuellen Interpretation und Beurteilung. Der Ijtihad steht für Fähigkeit, eine Art freien
Denkens zur Lösung von Problemen, basierend auf den göttlichen Willen und die Offenbarung.
Die menschliche Vernunft spielt bei der Interpretation der Offenbarung eine entscheidende
Rolle. Denn obwohl der Mensch ein relatives Geschöpf ist (im Gegensatz zu Gott, der absolut
ist), wurden wir mit Vernunft ausgestattet, was uns die Anwendung des intellektuellen Jihad
(d.h. des Ijtihad) ermöglicht. Jihad und Ijtihad haben die gleiche Wurzel, nämlich das arabische
Wort Jahadah: ernsthaft für das Gute arbeiten. Nicht das Sprengen von Bomben. Das ist kein
Jihad. Das ist ignorantes und jugendliches Abenteuertum.
~ Prof. Dr. A. Syafi’i Ma’arif, ehemaliger Vorsitzender der Muhamadiyah (1998-2005)
Jihad hat nur eine Bedeutung und die ist das „Große“. Wir müssen sehen, dass die Massen ihren
Traum von Gerechtigkeit und Wohlstand im Leben realisieren. Auf diese Weise üben wir
wahrhaftig den Jihad aus.
~ Kyai Haji Abdurrahman Wahid, ehemaliger indonesischer Präsident und Vorsitzender der
Nahdlatul Ulama (1984-1999)
ABSCHNITT 2
Der Begriff Jihad ist extrem verzerrt worden. Das Wort ist praktisch in Blut gebadet, und ich
glaube, wir müssen dies korrigieren.
~ Kyai Haji Masdar Mas’udi, stellvertrender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Der Jihad, der so häufig als zentrales Thema (in extremistischen Reden) dargestellt wird, ist stets
der kleine Jihad. Der äußere Jihad.
~ Kyai Haji Masdar Mas’udi, stellvertretender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Wenn Jihad zur Bezeichnung von Krieg und bloßer Gewalt verwendet wird, drückt dies nicht nur
ein teilweises Verständnis des Begriffs aus, sondern es degradiert letztendlich die Bedeutung und
den Zweck des Jihad selbst.
~ Dr. Haedar Nashir, stellvertretender Vorsitzender der Muhammadiyah
Episode 6: JIHAD
52
Im Ausnahmefall ist der Jihad Selbstverteidigung, wenn man sich an dich vergriffen hat und du
sämtliche friedlichen Mittel angewandt hast, um dich zu schützen und du damit keinen Erfolg
hattest. Der Jihad ist niemals eine Initiative. Er ist eine Reaktion auf eine Handlung: die letzte
Reaktion nach Ausschöpfung aller friedlichen Mittel.
~ Dr. Hassan Hanafi, ägyptischer muslemischer Gelehrter
Der Koran unterscheidet den Begriff „Jihad“ eindeutig von dem Begriff „Qital“. Qital meint
Krieg führen, während Jihad im Arabischen wörtlich meint, etwas mit ganzem Herzen tun.
~ Jalaluddin Rakhmat, indonesischer muslimischer Gelehrter
Im Islam ist Krieg lediglich defensiv und nicht aggressiv. Muslimen ist es nicht gestattet,
rücksichtslos Krieg zu führen, insbesondere nicht um eines selbst oder einer Gruppe willen.
~ Kyai Haji Hasyim Muzadi, Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Sobald wir eine Ordnung im Sinne des sozialen und politischen Phänomens, welches wir Staat
nennen, etabliert haben, ist das staatliche System für den physischen Jihad und die Konfrontation
von Feinden verantwortlich. Deshalb können einzelne Personen nicht einfach losziehen und
einen physischen Jihad führen. Zum Beispiel stehen wir als Bürger Indonesiens unter der Gewalt
und dem Schutz des Staates. Die einzelnen Menschen können nicht die Initiative ergreifen und
einen physischen Jihad führen. Das Verletzen oder Töten anderer sowie das Einsperren von
Menschen in Gefängnissen unterliegen der alleinigen Verantwortung des Staatssystems.
~ Kyai Haji Masdar Mas’udi, stellvertrender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Wir können nicht einfach unseren eigenen Krieg führen! Plötzlich verübte Amrozi einen
Bombenanschlag und rechtfertigte ihn damit, dass Krieg herrschte. Aber wer um alles in der
Welt erklärte den Krieg in Bali? Es herrschte dort vor seiner Ankunft keine Gewalt. Er wurde
von absolut niemandem bedroht.
~ Kyai Haji Hasyim Muzadi, Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Wenn „Jihad“ lediglich harte Arbeit und törichte Handlungen bedeutet, dann wird er nicht nur
darin fehlschlagen, Probleme zu lösen, sondern er wird noch weitaus mehr Probleme schaffen.
~ Prof. Dr. Komaruddin Hidayat, Rektor der islamischen staatlichen Universität Syarif
Hidayatullah, Indonesien
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Atheisten berufen sich nicht auf den Namen Gottes, um Gewalt zu rechtfertigen, während
Terroristen sich auf die Religion stützen, um Böses zu verüben und ihre Mitmenschen und die
Natur zu peinigen. Es ist gleich, wie man die Sache betrachtet; was sie tun, verstößt gegen die
Lehre einer jeden Religion.
~ Kyai Haji Abdul A’la, Leiter des islamischen Internats Annuqayah in Sumenep, Indonesien
Der Bombenanschlag vom 12. Oktober 2002 störte die Harmonie zwischen Hindus und
Muslimen in Bali. Warum? Weil die Täter selbst stolz erklärten, dass ihre Handlungen von
islamischer Natur waren. Sie töteten im Namen des Islam.
~ Haji Bambang, muslimische Kulturfigur aus Bali, Indonesien
Auch wenn man es mit goldener Tinte in großen fettgedruckten Buchstaben schreibt: Jihad fi
Sabilillah (Jihad auf dem Wege Gottes), wenn diese Worte die Absicht ausdrücken, andere zu
töten, zu terrorisieren, einzuschüchtern, zu bedrohen oder ihren Tod zu verursachen, dann hat
dies absolut nichts mit Jihad zu tun.
~ Mohamad Sobary, indonesische Kulturfigur
Denkmal für die Opfer des Bombenanschlags vom 12. Oktober 2002
Kuta, Bali, Indonesien
Nach dem Bombenanschlag fragten unsere Hindu-Freunde: „Sind die Worte ‘Allahu Akbar’
(Gott ist groß!) für das Töten von Menschen gedacht? Denn jedes Mal, bevor sie Selbstmord
begehen und eine Bombe in die Luft sprengen, rufen die Terroristen ‘Allahu Akbar!’“ Nein,
unsere Hindu-Brüder trifft keine Schuld, wenn sie fragen, ob „Allahu Akbar“ als Auftakt zum
Töten gemeint ist. Ich habe immer folgende Antwort gegeben: „Nein! Nein, die Terroristen sind
im Unrecht, sie mißverstehen und verdrehen den Islam.“
~ Haji Bambang, muslimische Kulturfigur aus Bali, Indonesien
Es gibt noch immer einige von uns, die die Bedeutung von Jihad in diesem beschränkten Sinn
verstehen und diesen Jihad sogar „ausüben“, indem sie anderen gegenüber Gewalt anwenden.
Und sie begehen diese Gewalttaten im Namen Gottes, im Namen des Islam.
~ Dr. Haedar Nashir, stellvertretender Vorsitzender der Muhammadiyah
Ich war beschämt zu sehen, wie buddhistische Mönche friedlich die Warheit in Myanmar
aufrecht erhielten und in einer höflichen, geordneten Weise demonstrierten, während unsere
(muslimischen) Brüder in Tasikmalaya zur Verteidigung des Islam Amok liefen und kleine
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Restaurants zerstörten, die tagsüber während des Ramadan geöffnet hatten. Ein derartiges
Verhalten ist gemäß dem Islam falsch und ist das genaue Gegenteil von Weisheit. „Wer andere
zu Rechtschaffenheit aufruft, muss dies auf rechtschaffene Weise tun.“ Der Zweck kann niemals
die Mittel heiligen.
~ Prof. Dr. Kyai Haji Said Agil Siraj, stellvertretender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Die Religion existiert, um Menschen zur Reife zu verhelfen. Wenn ihr einziger Zweck die
Zerstörung ist, warum sollten wir uns dann überhaupt mit Religion beschäftigen? Nicht einmal
Tiere richten willkürliche Zerstörung an. Meiner Ansicht nach sind diejenigen, die ihren
Emotionen freien Lauf lassen und auf physische Stärke setzen minderwertiger als Tiere. Sie sind
sicherlich keine „Menschen des Glaubens“.
~ Kyai Haji Abdul A’la, Leiter des islamischen Internats Annuqayah in Sumenep, Indonesien
Um Jihad wirklich zu verstehen, bedarf es eines größeren Bewusstseins, insbesondere vonseiten
unserer Mitmuslime, die noch nicht verstehen, dass der größte Kampf und die größte
Herausforderung im Leben darin besteht, ein Leben aufzubauen, das wahrlich für alle Geschöpfe
ein Segen ist.
~ Dr. Haedar Nashir, stellvertretender Vorsitzender der Muhammadiyah
Noch einmal müssen wir Jihad von dem Begriff Qital unterscheiden, der Krieg bedeutet. Nach
Jihad folgt immer der Ausdruck „fi sabilillah“, auf dem Wege Allahs.
~ Jalaluddin Rakhmat, indonesischer muslimischer Gelehrter
ABSCHNITT 3
Gedicht
(Gott ist groß)
Von Kyai Haji A. Mustofa Bisri
„Gott ist groß!”
schreit und wettert ihr
und lasst kleine Geschöpfe erschaudern und zittern
„Allahu Akbar!“
Die Venen in euren Hälsen schwellen an,
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wenn ihr schreit „Gott ist groß!“
und den Jihad mit blinder Leidenschaft kämpft.
Euer Hass äschert alles ein,
was ihr als „böse“ betrachtet.
Allahu Akbar
Gott ist in der Tat der Größte
Wenn alle Bewohner dieser Erde,
die nicht größer ist als ein Staubkörnchen,
blasphemisch wären... oder fromm...,
würde dies nicht die geringste Auswirkung auf seine Größe haben.
Wenn ich eure wilde Grausamkeit sehe,
bin ich mir sicher, dass ihr niemals
den liebevollsten, barmherzigsten und mitfühlendsten einen getroffen habt,
dessen Liebe der gesamten Schöpfung zuteil wird.
Wie könnt ihr es wagen, seinen Namen zu benutzen,
wenn ihr die, die den Weg zu ihm suchen,
auf arrogante Weise verflucht und zerstört?
Wenn sie wirklich für die Hölle bestimmt sind,
warum überlasst ihr sie dann nicht dem Zorn Gottes,
der sie peinigen wird?
Wann habt ihr den göttlichen Auftrag erhalten,
andere zu quälen und zu verdammen?
Allahu Akbar!
Die Anbetung falscher Götter ist die größte Sünde,
und die schlimmste Form der Götzenanbetung
ist die Beigesellung anderer zu Gott,
indem ihr euch selbst vergöttert
und eurer eigenes (primitives) Verständnis
als die absolute Wahrheit verkündet.
Gott ist groß!
Der unmittelbarste Jihad, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen, besteht darin, Wege zu
finden, wir wir unsere Umwelt retten, für Gerechtigkeit kämpfen und uns selbst von den in
unserem Bewusstsein gelagerten Klischees befreien, die zu einer Form des „falschen
Bewusstseins“ führen, welches menschliche Konflikte auf allen Ebenen hervorruft - seien es
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politische Konflikte oder übertriebene Forderungen nach Selbstrechtschaffenheit - die
humanitäre Arbeiten und die Entstehung eines neuen erweiterten Bewusstseins zum Kampf für
Rechtschaffenheit verhindern. Meiner Ansicht nach ist dies der „große Jihad“ unser Gegenwart.
~ Moeslim Abdurrahman, indonesischer muslimischer Gelehrter
Das Streben nach Wissen wird ebenfalls als Jihad angesehen, da dies die Ignoranz vertreibt. Die
Beseitigung oder Überwindung der Ignoranz ist eine Form der Rechtschaffenheit, wie sie durch
die Religion gefordert wird. Auch das ist Jihad. Deshalb gilt die Bezahlung für die Ausbildung
einer Person ebenfalls als Jihad.
~ Kyai Haji M. Tolchah Hasan, Berater der Nahdlatul Ulama
Die Schüler islamischer Internate, die ernsthaft eine Ausbildung anstreben, üben ebenfalls den
Jihad aus.
~ Kyai Haji Abdul Muqiet Arief, Leiter des islamischen Internats Bahrul Ulum in Jember,
Indonesien
Ein überall vorherrschendes Missverständnis hinsichtlich des Jihad hat dieses Verhalten
verursacht, richtig? In der Tat ist es auf einen einzigen Grund zurückzuführen: Ignoranz. Daher
müssen wir daraus schließen, dass Ignoranz und Dummheit den Hauptgrund für Konflikte in
muslimischen Gesellschaften von heute darstellen. Wenn wir Konflikte wirklich vermeiden
wollen, dann lasst uns unsere Religion ausführlich studieren, so dass wir wissen, was wir im Fall
von Unterschieden und Ähnlichkeiten zu tun haben. So wie ich die Dinge sehe, ist es weitaus
besser, wenn wir unterschiedlich sind, aber ein gemeinsames (aufgeklärtes) Verständnis teilen,
als gleich zu sein und zusammen in Ignoranz zu verfallen.
~ Kyai Haji M. Tolchah Hasan, Berater der Nahdlatul Ulama
Der Prophet Mohammed sagte, dass jemandem, der kämpft, um die Armen und Unterdrückten zu
verteidigen, das gleiche Schicksal wiederfährt wie jemandem, der dafür kämpft, Gottes Religion
zu verteidigen und jemandem, der unaufhörlich jeden Abend betet und tagsüber fastet.
~ Kyai Haji A. Washil Syarbini, Leiter des islamischen Internats Sumberweringin in Jember,
Indonesien
Mereka seperti seorang istri di dalam rumah tangganya, mereka bersungguh-sungguh mendidik
putranya dan sebagainya, itu semuanya adalah jihad.
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Wann immer ich mich also selbst oder andere gegenüber Diebstahl, Korruption, Tyrannei,
Feindseligkeit, Einschüchterung oder anderen derartigen abscheulichen Taten verteidige, handelt
es sich auch um Jihad, und Gott wird die, die ihn ausüben, reichlich segnen.
~ Muhammad Sayyid Tantawi, Großscheich von al-Azhar in Kairo, Ägypten
Die Wandlung der sozialen Ordnung von Ungerechtigkeit und Despotismus in eine gerechte
Ordnung ist eine entscheidende Form des Jihad.
~ Kyai Haji Masdar Mas’udi, stellvertretender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Gemäß dem Islam ist die schwierigste Form des Jihad, wenn ein tapferer Mann einem grausamen
und tyrannischen Herrscher gegenüber die Wahrheit spricht.
~ Kyai Haji M. Tolchah Hasan, Berater der Nahdlatul Ulama
Noch einmal: Einzelne Personen sind nicht zur Ausübung des physischen Jihad, der sich zu einer
solchen Sensation entwickelt hat, befugt. In einer organisierten Gesellschaft, die seit der Zeit des
Propheten besteht, obliegt der physische Jihad der Verantwortung des Staates und wird heute
professionell durch die repressiven Regierungsbehörden ausgeübt, einschließlich des
Rechtssystems zur Bestrafung von Personen, z.B. durch Bußgelder oder Gefängnis. All dies sind
Aspekte des physischen Jihad, der in der Autoriät des Staates und seiner jeweiligen Behörden
begründet liegt, beispielsweise der Truppen zur Tötung eines Feindes.
~ Kyai Haji Masdar Mas’udi, stellvertretender Vorsitzender der Nahdlatul Ulama
Unser größter Feind ist das egoistische Verlangen, und dieser Feind liegt in unserem Inneren.
Wenn wir unseren eigenen Egotismus und unsere Begierde erfolgreich bewältigt haben, können
wir unsere Aufmerksamkeit auf andere Dinge lenken.
~ Kyai Haji M. Yusuf Chudlori, Leiter ders islamischen Internats Asrama Perguruan Tinggi in
Tegalrejo, Indonesien
Menschen, die in der Lage sind, den größeren Jihad zu führen, werden auch den kleineren Jihad
meistern. Sie werden in der Lage sein, ihr Arbeitsumfeld erfolgreich zu organisieren und gut
funktionierende politische Parteien, ein funktionierendes Parlament und Regierungskabinett und
eine Führung zu formen, die der Nation mit gutem Beispiel vorangeht. Aber wenn wir die
kleineren Jihads ausüben, bevor wir unser eigenes Ego und unsere Begierde überwunden und
folglich den größeren Jihad gemeistert haben, werden wir ledglich zum Chaos und Leiden der
Menschheit beitragen.
~ Mohamad Sobary, indonesische Kulturfigur
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Ich muss daran erinnern, dass Muslime eine Haltung der Vergebung annehmen müssen. Der
Mangel an Vergebung ist kein Merkmal (derer, die sich wahrlich Gott untergeben). Vergib und
sei stets bestrebt, Gutes zu tun. Im Koran heißt es, welch Übel dich auch befällt, es wurde von
deinen eigenen Händen vorausgesandt. Aber Gott hat weitaus mehr vergeben, als die Sünden, die
du begangen hast.
~ Kyai Haji Abdurrahman Wahid, ehemaliger indonesischer Präsident und Vorsitzender der
Nahdlatul Ulama (1984-1999)
ABSCHLUSS
Verehrte Zuschauer, nachdem wir die ausgereifte Beurteilung dieser muslimischen Gelehrten und
Geistlichen hinsichtlich des Jihad gehört haben, stellen wir fest, dass nicht ein einziger von ihnen der
gegenwärtigen, weit verbreiteten falschen Auffassung zustimmt, dass Jihad zu töten oder zu zerstören
bedeutet.
Jihad kommt aus dem Arabischen. Der Ausdruck jahada beschreibt eine bestimmte Qualität eines
Gedankens, einer physischen Handlung oder eines spirituellen Bestrebens. Mit Hinblick auf den
Gedanken sprechen die Araber von ijtihad, was bedeutet, unsere gesamte intellektuelle Fähigkeit ernsthaft
daranzusetzen, etwas Nützliches im Bereich des Wissens zu erreichen. Das wird als ijtihad bezeichnet.
Wenn wir wirklich und ernsthaft bestrebt sind, die Vereinigung mit Gott zu erreichen, wird das im
Arabischen als mujahaddah bezeichnet. Das ernsthafte Bestreben, alle Boshaftigkeit und Eifersucht aus
unseren Herzen zu verbannen und sich Gott zu nähern, indem man jeden letzten Tropfen seiner Energie
und Fähigkeit verbraucht... das ist mujahaddah.
Der physische Jihad - den die Menschen häufig mit Qital bzw. Krieg verwechseln - ist der Kampf, die
Wahrheit zu verteidigen und andere vor Unterdrückung zu schützen. Selbst wenn diese Form des Jihad
eine Form des Krieges annimmt, kann dieser nicht nach Belieben zwischen einzelnen Personen oder
Organisationen geführt werden, denn das führt zur Anarchie. Die Regierung ist die einzige Autorität, die
den Jihad in Form von Krieg erklären und führen kann.
Regierungen rufen selten sorglos die Form des Jihad aus, die Krieg involviert. Und selbst wenn wir das
Thema Krieg betrachten, bezeichnen wir diese und andere Formen des Jihad als Jihad fisabililla oder
Jihad auf dem Wege Gottes. Und natürlich ist es unmöglich, Krieg auf dem Wege Gottes zu führen und
Mittel einzusetzen, die mit dem Wege Gottes völlig unvereinbar sind.
Wir können nicht einfach tun, was uns beliebt. Das ist absolut unmöglich! Nehmen wir zum Beispiel
diejenigen, die Leiden und Chaos verursachen oder wie man üblicherweise sagt, terroristische
Gewalttaten begehen. Das ist kein Krieg, das ist nicht Qital, und es ist ganz sicher kein Jihad. Es ist nichts
als die reine Verwüstung. Wenn jemand von Jihad im Sinne von Krieg spricht, gibt es präzise Regeln, die
eingehalten werden müssen; zum Beispiel dahingehend, wer bekämpft und getötet werden darf. Einzelne
Personen, Organisationen und Gruppen haben absolut kein Recht dazu, Krieg zu erklären, und vor allem
haben sie nicht das Recht, eine brutale Kampagne der Zerstörung ohne jegliche Regeln zu führen.
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Als die mekkanischen Polytheisten den Islam angriffen, verbat unser Prophet Mohammed, Friede und
Segen seien mit ihm, Muslimen, Frauen oder Kinder zu töten, Bäume niederzubrennen oder zu fällen oder
gegen sonstige Kriegsregeln, die er einführte, zu verstoßen. Diejenigen, die Chaos und Zerstörung in
Form von Terrorismus säen, sind taub gegenüber dem Leiden von Frauen, Kindern und allen Lebewesen.
Sie zerstören einfach alles, was ihnen im Weg steht. Das lässt sich in keinster Weise rechtfertigen. Was
sie tun, ist kein Jihad, weder im Sinne des Kampfes auf dem Wege Gottes noch im Sinne von Krieg, wie
er im Islam verstanden wird.
Verehrte Zuschauer, wir sehen uns bald wieder, um ein weiteres Thema zu behandeln. Bis dahin sei
Friede mit Ihnen.
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