Der Kampf gegen das Vergessen
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Der Kampf gegen das Vergessen
Der Kampf gegen das Vergessen Demenzforschung im Fokus Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unentgeltlich abgegeben. Sie ist nicht zum gewerblichen Vertrieb bestimmt. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerberinnen/Wahlwerbern oder Wahlhelferinnen/Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zweck der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen sowie für Wahlen zum Europäischen Parlament. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen und an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Unabhängig davon, wann, auf welchem Weg und in welcher Anzahl diese Schrift der Empfängerin/dem Empfänger zugegangen ist, darf sie auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme der Bundesregierung zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Der Kampf gegen das Vergessen Demenzforschung im Fokus Herausgeber Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Referat Publikationen; Internetredaktion 11055 Berlin Bestellungen schriftlich an den Herausgeber Postfach 30 02 35 53182 Bonn oder per Tel.: 01805-262 302 Fax: 01805-262 303 (0,12 Euro/Min.) E-Mail: [email protected] Internet: http://www.bmbf.de Redaktion Klartext, Stuttgart Autoren Roland Bischoff, Stuttgart Michael Simm, Offenburg Rolf Andreas Zell, Stuttgart Gestaltung teamkom, Stuttgart Horst Schüler Bildnachweis Titel : Kurt Henseler Innenseiten: akg-images: S. 12 o. und u., S. 13 (Erich Lessing) Argum: S. 47 l. Avenue Images: S. 57 S. Bosch: S. 76 l. Prof. Eckard und Eva- Maria Mandelkow: S. 44 u. l. und u. r. Agentur Focus/SPL: S. 8 u., S. 9 l. und r., S. 11 u., S. 16, S. 32 o., S. 33, S. 35 Agentur Focus: S. 74 o. (D. Courtinat / Rapho) Das Fotoarchiv: S. 48 l. und r. (F. Stark) S. 71 (T. Bauer), S. 72 Mitte (T. Bauer) , S. 77 (R. Falco) H. Gutzmann: S. 61 M. Haupt: S. 65 Prof. Dr. F. Hentschel / ZI Mannheim: S. 18 Hermann + Bosch, Freie Architekten, BDA Stuttgart: S. 74 Mitte P. Kanzia: S. 75 l. und r., S. 76 l. und r. laif: S. 8 o. (P. Granser), S. 47 r., S. 48 Mitte, S. 49 l. und r., S. 73 l. und r. F. Mädje/von Lingen: S. 68 Okapia: S. 17 o. und u., S. 34 r., S. 50, S. 51 u., S. 53 Picture alliance: S. 11 o., S. 28 l. und r., S. 29 r. Salk Institute for Biological Studies, La Jolla, California: S. 39 l. und r. G. Schiefer: S. 49 Mitte K. und M. Simons: S. 52 C. Thoelen: S. 26 l. und r., S. 27 o., S. 31, S. 63 o., S. 66 P. Thompson/UCLA School of Medicine, Los Angeles: S. 27 r. M. Tuszynski/University of California, San Diego: S. 54 alle übrigen Fotos: Kurt Henseler, Tübingen Druckerei FIBO Druck und Verlags GmbH, Neuried Illustrationen Ralf Bohde, Stuttgart Bonn, Berlin 2004 Gedruckt auf Recyclingpapier Bildredaktion Carola Reinmuth, Reutlingen ANHANG T W Tacrin 53 Wachstumsfaktoren Tageskliniken 10 Watson, James 32 Tagespflege 68 Wehner, Herbert 29 Tanz 58 Wein 37 Tanzi, Rudolf 35 Weyerer, Siegfried 26 33, 41f, 43f Wijsman, Ellen 35 – Diagnose 17 Willis, Thomas 13 Teilchenbeschleuniger 41 Wiltfang, Jens 17 Testament 67 Wilz, Gabriele 66 Therapie 10 Wohngemeinschaften 77 Tau Herausgeber Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Referat Publikationen; Internetredaktion 11055 Berlin Bestellungen schriftlich an den Herausgeber Postfach 30 02 35 53182 Bonn oder per Tel.: 01805-262 302 Fax: 01805-262 303 (0,12 Euro/Min.) E-Mail: [email protected] Internet: http://www.bmbf.de Redaktion Klartext, Stuttgart Autoren Roland Bischoff, Stuttgart Michael Simm, Offenburg Rolf Andreas Zell, Stuttgart Gestaltung teamkom, Stuttgart Horst Schüler Bildnachweis Titel : Kurt Henseler Innenseiten: akg-images: S. 12 o. und u., S. 13 (Erich Lessing) Argum: S. 47 l. Avenue Images: S. 57 S. Bosch: S. 76 l. Prof. Eckard und Eva- Maria Mandelkow: S. 44 u. l. und u. r. Agentur Focus/SPL: S. 8 u., S. 9 l. und r., S. 11 u., S. 16, S. 32 o., S. 33, S. 35 Agentur Focus: S. 74 o. (D. Courtinat / Rapho) Das Fotoarchiv: S. 48 l. und r. (F. Stark) S. 71 (T. Bauer), S. 72 Mitte (T. Bauer) , S. 77 (R. Falco) H. Gutzmann: S. 61 M. Haupt: S. 65 Prof. Dr. F. Hentschel / ZI Mannheim: S. 18 Hermann + Bosch, Freie Architekten, BDA Stuttgart: S. 74 Mitte P. Kanzia: S. 75 l. und r., S. 76 l. und r. laif: S. 8 o. (P. Granser), S. 47 r., S. 48 Mitte, S. 49 l. und r., S. 73 l. und r. F. Mädje/von Lingen: S. 68 Okapia: S. 17 o. und u., S. 34 r., S. 50, S. 51 u., S. 53 Picture alliance: S. 11 o., S. 28 l. und r., S. 29 r. Salk Institute for Biological Studies, La Jolla, California: S. 39 l. und r. G. Schiefer: S. 49 Mitte K. und M. Simons: S. 52 C. Thoelen: S. 26 l. und r., S. 27 o., S. 31, S. 63 o., S. 66 P. Thompson/UCLA School of Medicine, Los Angeles: S. 27 r. M. Tuszynski/University of California, San Diego: S. 54 alle übrigen Fotos: Kurt Henseler, Tübingen Druckerei FIBO Druck und Verlags GmbH, Neuried Illustrationen Ralf Bohde, Stuttgart – Alzheimer-Therapiezentrum Wohnumfeld siehe Bad Aibling 58 – experimentelle 52f – Grafik 53f 55 Lebensumfeld Z – Medikamente 50f Zacharias, Helmut – nicht-medikamentöse 56f Zahlenverbindungstest 16 65 Zandi, Peter 49 – Tiere 61 Zebrafische 34, 43 Thompson, Paul 40 Zeitgefühl 69 Tierversuche 34 Zelltransplantation 54 Training 48 Zentralinstitut für Transgene Tiere 34 Tuszynski, Mark 53 – Nutzen Seelische Gesundheit Zigaretten Zuckerkrankheit 29 74 35f 36 U Ubiquitin 44 Uhrenzeichentest 14, 16 Umwelteinflüsse 33, 39 V VAD siehe Demenz, vaskuläre Validations-Therapie vCJD Ventrikellehre 58, 60 15 12 Verhalten 25, 27 Verhaltensstörungen 61, 64 Verhaltenstherapie 59f Versuchstiere 34 Videomikroskopie 43 Vitamine 48 Vollmachten 67 Vorbeugung 22, 46f Bonn, Berlin 2004 Gedruckt auf Recyclingpapier Bildredaktion Carola Reinmuth, Reutlingen 83 VORWORT Seit der ersten Beschreibung des Krankheitsbildes durch den deutschen Arzt Alois Alzheimer im Jahr 1906 haben deutsche Ärzte und Forscher maßgeblich Anteil gehabt an der Aufklärung des Morbus Alzheimer. Darunter sind in den letzten Jahren insbesondere Beiträge zur Aufklärung der molekularen Mechanismen zu nennen, die die Grundlagen für die Erkenntnis des Krankheitsprozesses und seiner Auslöser gelegt haben. Die Erfolge der Aufklärung der molekularen Mechanismen eröffnen zugleich erstmals die Perspektive, kausal in das Krankheitsgeschehen eingreifen zu können. Zunehmend identifiziert die Forschung aber neben dem Morbus Alzheimer auch weitere, vor wenigen Jahren noch unbekannte Krankheitsbilder, die zu Demenzen führen können. Neben der Notwendigkeit der Entwicklung von wirksamen Therapieverfahren für alle diese Formen der Demenzerkrankungen sieht sich die Medizin damit zugleich auch vor weitere diagnostische Herausforderungen gestellt. Die vorliegende Broschüre will Betroffenen im Frühstadium und den Angehörigen der Erkrankten, aber auch allen anderen Interessierten, den Stand der Forschung nahe bringen und damit auch ein tieferes Verständnis für Demenzerkrankungen vermitteln. Damit soll auch ein Beitrag zur Aufklärung über eine Krankheit geleistet werden, deren Bedeutung in einer alternden Gesellschaft rasant zunimmt. Edelgard Bulmahn Bundesministerin für Bildung und Forschung 5 INHALT INHALT 2 Impressum 5 Vorwort 6 INHALT 8 EINFÜHRUNG Oma hat schon wieder den Schlüssel verlegt. Hat sie Alzheimer? Der Kampf gegen das Vergessen Demenzforschung im Fokus Der Name des deutschen Neurologen Alois Alzheimer (1864-1915) ist seit fast einhundert Jahren untrennbar mit der häufigsten Demenzform, der Alzheimer-Demenz verbunden. Sein Verdienst war es, diese Erkrankung mit einer in Gehirnschnitten sichtbaren Zerstörung von Nervenzellen in Verbindung zu bringen. Einführung Seite 8. Titelbild: Im Konfokalmikroskop betrachtet ein Forscher den Hirnschnitt einer gentechnisch veränderten Maus, die als Tiermodell für die AlzheimerDemenz dient. Auf dem Monitor (rechts im Bild) treten die einzelnen Nervenzellen leuchtend rot hervor. Zuwendung und Wissen um die völlig andere Welt, in der demente Menschen leben, sind die beiden wichtigsten Schlüssel im Umgang mit Erkrankten für pflegende Angehörige wie für professionelle Pflegekräfte. Alltagshilfen Seite 62. Pflegeheime Seite 74. Bildgebende Verfahren spielen eine wichtige Rolle beim Erkennen von Demenzen und beim Unterscheiden diverser Formen. Diagnose Seite 14. Eines der Schlüsselmoleküle bei der Entstehung von Demenzen ist das körpereigene Eiweiß APP (links). Molekularbiologen (rechts) kennen die Rolle solcher Moleküle inzwischen sehr genau. Genetik & Risikofaktoren Seite 32. Neurobiologie Seite 38. Hilfsangebote für Angehörige, die einen demenzkranken Menschen pflegen, unterstützen diese bei der Bewältigung ihrer schweren Aufgabe. Belastung für Angehörige Seite 66. 6 14 DIAGNOSTIK Wie erkennt der Arzt eine Demenz? Wie sicher ist die Diagnose? 19 ZEITLICHE TRENDS Warum nehmen Demenzkrankheiten zu? 24 VERLÄUFE VON DEMENZEN Verlaufen alle Demenzen gleich? 28 KRANKHEITSERLEBEN Wie erleben demente Menschen ihre Krankheit? 32 GENETIK & RISIKOFAKTOREN Gibt es eine Veranlagung für Demenz? Sind andere Risikofaktoren bekannt? 38 NEUROBIOLOGIE Was passiert bei Demenzen im Gehirn? 46 SCHUTZFAKTOREN & VORBEUGUNG Kann man sich vor einer Demenz schützen? 50 MEDIKAMENTE Welche Arzneimittel helfen bei Demenzen? 56 ANDERE THERAPIEN Was hilft außer Medikamenten? 62 ALLTAGSHILFEN Was erleichtert Demenzkranken den Alltag? 66 BELASTUNG FÜR ANGEHÖRIGE Wie können Angehörige die Belastungen der Pflege meistern? 71 KOSTEN Was kosten Demenzkrankheiten? 74 PFLEGEHEIME Welche Formen der Rund-um-die-Uhr-Betreuung gibt es? 78 ANHANG 78 Adressen 79 Literatur 80 Stichworte 7 EINFÜHRUNG EINFÜHRUNG ben. Die Pflege von Menschen mit Demen- ser Gruppe ist eine Demenz, die ihren An- zen erfordert nicht nur viel Zeit und Zuwen- fang in bestimmten Bereichen des Gehirns dung, personellen und finanziellen Einsatz, nimmt, nämlich dem Frontal- und Tempo- sondern sie erzeugt bei Pflegekräften wie rallappen. Sie wird daher als Frontotempo- bei pflegenden Angehörigen oft große rale Demenz (FTD) oder nach ihrem Ent- Frustrationen angesichts des sich ver- decker als Pick’sche Krankheit bezeichnet. schlechternden Zustands des Kranken. Die Vaskuläre Demenzen machen zehn bis drei Kapitel ab S. 62, 66 und 74 beschäftigen 20 Prozent aller Demenzen aus. Hierunter sich mit diesem Aspekt; das Kapitel ab S.71 fällt ein Bündel voneinander unterscheid- geht den Kosten nach und das Kapitel ab barer Krankheitsformen, etwa die Multi- S. 28 widmet sich dem Thema, wie demente Infarkt-Demenz. Rund weitere 20 Prozent Personen ihre eigene Situation erleben. aller Demenzen erweisen sich als Mischformen zwischen einer neurodegenerativen Unterschiedliche Demenzformen und einer vaskulären Erkrankung. Selten, aber für die Diagnostik sehr wichtig ist die Gesund – vergesslich – dement Ein erster Blick auf die Demenzen Die Alzheimer-Demenz (AD) ist für viele das dritte Gruppe der Demenzen, die mit ande- Synonym für Demenzen schlechthin. Tat- ren Erkrankungen einhergehen. sächlich ist die AD mit 50 bis 60 Prozent zwar die häufigste Demenzform, aber nicht die einzige. Nach der Art ihrer Entstehung lassen sich drei Gruppen unterscheiden: Demenzen, die ihren Anfang von sich Alois Alzheimer (links) gehörte zu den ersten Neurologen, die Demenzen mit der Zerstörung von Nervenzellen in Verbindung brachten. An zwei Hirnpräparaten (unten) wird der Schaden sichtbar: links im Bild das Hirn eines verstorbenen Patienten mit Alzheimer; rechts das Präparat eines nicht-dementen Toten. Ihren Beginn nimmt die Zerstörung durch Ablagerungen verschiedener Eiweiße in und an einzelnen Nervenzellen (rechts unten). Hinter dem Versuch, „Ordnung“ in die Viel- ausweitenden Schadensprozessen in und falt demenzieller Erkrankungen zu brin- an den Nervenzellen des Gehirns nehmen – gen, steckt mehr als medizinischer „Schub- sie heißen neurodegenerative Demenzen; ladisierungseifer“. So unterscheiden sich Demenzen, die sich als Folge von Gefäß- selbst innerhalb einer Gruppe die Krank- schädigungen im gesamten Körperkreis- heitsformen erheblich: An AD erkrankte lauf und damit auch im Gehirn entwickeln Menschen haben zunächst vor allem mit – sie werden als vaskuläre Demenzen (VAD) kognitiven Defiziten zu rechnen. Bei Men- bezeichnet; und schließlich schen mit LBD treten zudem Verwirrtheits- Demenzen, die als Begleiterscheinung zustände auf, und es kann zur Schüttellähmung kommen, wie sie auch für eine Par- „Wo habe ich nur die Schlüssel hingelegt?“ kinsonerkrankung typisch ist. Patienten mit Wer hat sich das nicht selbst schon einmal einer FTD fallen häufig zunächst durch Ver- gefragt und – eher belustigt als ernst – ge- haltensänderungen auf: Sie werden etwa dacht, jetzt gehe wohl „der Alzheimer“ los. unzuverlässig oder entwickeln ein auffäl- Kaum ein Witz, kein noch so platter liges Sozialverhalten. Um abschätzen zu können, mit welchen Kalauer rund um unsere Vergesslichkeit kommt ohne den Namen des deutschen Veränderungen und Ausfällen man bei ei- Neurologen Alois Alzheimer aus, nach dem nem dementen Menschen zu rechnen hat, seit rund 100 Jahren die häufigste Demenz- ist es wichtig, die Demenzform möglichst erkrankung benannt wird. exakt diagnostisch zu ermitteln (die Verfahren hierzu finden Sie ab S.14). Dies ist auch Die Realität ist das Gegenteil von spaßig: Zwischen 900 000 und 1,1 Millionen Men- wichtig, um den Verlauf einer Demenz be- schen in Deutschland leiden unter einer urteilen zu können. Neurodegenerative Demenzen wie die Form von Demenz; die Zahl der Neuerkrankungen pro Jahr liegt bei 120 000 und löschung der persönlichen Geschichte und anderer Erkrankungen – etwa einer Vergif- AD nehmen einen kontinuierlichen, schlei- nimmt jedes Jahr um weitere 20 000 Men- des individuellen Wissens. tung durch Alkoholmissbrauch oder einer chenden Verlauf. Oft lässt sich deren Be- Infektion des Gehirns mit Krankheitserre- ginn gar nicht präzise ermitteln, doch von schränkungen der Beweglichkeit, der Kon- gern – auftreten. Die Medizin kennt rund dem Moment an, wo sich eine AD ausge- nen weit mehr als „nur“ Gedächtnisein- trolle der Muskulatur oder der Wahrneh- hundert solcher Erkrankungen, in deren prägt hat, muss man mit einem stetigen bußen. Kognitive Störungen bilden nur ei- mungsfähigkeit – können in späteren Verlauf eine Demenz auftreten kann. Verlust von Hirnfunktionen rechnen. Bei nen Symptombereich demenzieller Erkran- Krankheitsstadien hinzutreten. Zudem kungen. Sie reichen von leichten Schwä- kann sich das Verhalten dementer Men- sten Gruppe. Die zweithäufigste Form der die Symptome im Vergleich zur AD gerade- chen bei der Suche nach dem geeigneten schen verändern, und zwar so dramatisch, neurodegenerativen Demenzen ist die Le- zu „schlagartig“ auftreten; dafür sind die Wort oder beim Orientierungs- und Erinne- dass Angehörige gar nicht glauben mögen, wy-Körperchen-Demenz (Englisch: Lewy Verluste teilweise reversibel – die Sympto- rungsvermögen bis zur kompletten Aus- tatsächlich dieselbe Person vor sich zu ha- Bodies, abgekürzt als LBD). Seltener in die- me des Patienten bessern sich also zeitwei- schen zu (mehr dazu finden Sie ab S. 19). Eine Demenz bedeutet für den Einzel- 8 Schubladendenken oder wertvolle Differenzierung? Körperliche Gebrechen – etwa Ein- Die Alzheimer-Demenz gehört zur er- vaskulären Demenzen wiederum können 9 EINFÜHRUNG EINFÜHRUNG FOKUS FORSCHUNG „Eine scharfe Grenze gibt es nicht“ Interview mit dem Münchner Demenzexperten Prof. Hans Förstl lig, um später erneut und dann meist gra- Diese Frage lässt sich mit einem klaren vierender aufzutreten. Über unterschied- „Ja und Nein“ beantworten. Schadenspro- liche Verlaufsformen und Ausprägungen zesse im Hirn, wie sie für Demenzen typisch informiert das Kapitel ab S.24. sind (siehe ab S. 38), lassen sich mit zuneh- Gerade bei der Entscheidung für eine mendem Alter bei einem größer werden- angemessene Therapie ist es bedeutsam, den Prozentsatz von Menschen feststellen, die Demenzform diagnostisch genau zu er- und auch das Schadensausmaß nimmt von fassen. So lässt sich inzwischen eine InfekGibt es eine klare Grenze zwischen dem altersbedingten Ver- über die nächsten fünf bis sie- lust von Hirnleistungen und dem Einsetzen einer Demenz? ben Jahre hinziehen. Ein weit- Förstl: Britische Kollegen arbeiten momentan an einer Studie mit gehender Erhalt der Lebens- vielen Hundert alter Menschen, um unter anderem auch diese Fra- qualität über fünf oder gar ge zu klären. Im Jahr 2001 haben sie die ersten Ergebnisse publiziert. zehn Jahre wäre also ein enor- Ihr Fazit lautet: Nicht nur die Gehirne dementer Menschen weisen mer Gewinn – viele würden das die für diese Krankheiten typischen Veränderungen auf, sondern voll entwickelte Krankheitsbild auch die der allermeisten nicht-dementen Personen. Daher glaube dann gar nicht mehr erleben. Wird zwangsläufig jeder Mensch dement, sofern er nur alt genug wird, um diese Krankheit noch zu erleben? Ja und Nein! tion mit dem AIDS verursachenden HIVirus, das zusätzlich eine Demenz hervorrufen kann, medikamentös gut behandeln. Verursacht ein unerkannter Hirntumor eine Demenz, so kann es für den Patienten lebensrettend sein, diese verborgene Ursache seiner Demenz zu erkennen und zu behandeln. Andererseits kann die Gabe be- ich, dass wir gewissermaßen alle ‚Alzheimer’ im Kopf haben. Ent- stimmter Psychopharmaka, die bei AD-Pa- scheidend dafür, ob wir eine Demenz erleben, sind das Lebensalter, Die meisten dementen Men- tienten psychische Symptome lindern, bei das wir erreichen werden, und die Geschwindigkeit, mit der die schen werden zu Hause von einer LBD sogar nachteilig wirken. Mit den Schädigungen im Hirn ablaufen. Eine scharfe Grenze oder Schwelle, Angehörigen versorgt. Viele heutigen Therapiemöglichkeiten sowie mit von der ab der normale Alterungsprozess hinsichtlich der Demenz- belastet die Pflege aufs Äu- neuen, experimentellen Behandlungsan- ßerste. Durch welche Ange- sätzen beschäftigen sich die beiden Kapitel bote könnte die Medizin die- ab S.50 und S.56. entwicklung zum krankhaften umkippt, gibt es nicht. Was bringt es, wenn ein Patient weiß, ob er an einer vaskulären Demenz (VAD) oder an einer Alzheimer-Demenz (AD) leidet? Prof. Hans Förstl ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums rechts der Isar, Technische Universität München. Jahrgang 1892: Lina Zimmer ist die älteste Deutsche und wahrscheinlich auch Alters-Weltrekordhalterin. sen Menschen helfen, mit der Nicht nur eine Frage des Alters Last besser klarzukommen? Altersstufe zu Altersstufe zu. Zudem zeigen Förstl: Sie zweifeln dort zu Recht, wo eine aufwändige Differenzial- Förstl: Die Tatsache, dass die meisten Demenzpatienten zu Hause diagnostik droht, zum Glasperlenspiel zu werden. Aber einige De- gepflegt werden, halte ich zunächst einmal für gar nicht so Das kognitive Leistungsvermögen eines 65. Lebensjahr das Risiko einer Demenz- menzen beruhen auf behandelbaren, zumindest aber beeinfluss- schlecht. Aber selbstverständlich muss man sehr genau hinschau- Menschen – beispielsweise die Fähigkeit, erkrankung im Fünfjahresabstand annä- baren Ursachen. Diese gilt es zu finden und etwaige Risikofaktoren en, wo die Last einfach zu groß wird. Aus meiner Sicht wäre es not- eine Fremdsprache zu erlernen – nimmt hernd verdoppelt. Beide Befunde sprechen gezielt zu minimieren. Außerdem ist die Differenzialdiagnostik für wendig, den Bereich der niederschwelligen Hilfsangebote auszu- mit dem Alter ab. Und das als „Altersver- also für ein klares „Ja“ als Antwort. die Wahl der Therapie wichtig. Wir müssen also die Demenzen in weiten, also beispielsweise Tageskliniken einzurichten, in denen ein gesslichkeit“ titulierte Phänomen beobach- Doch auch für ein „Nein“ gibt es fundier- unterschiedliche Schubladen stecken. Aber mit diesem brauchba- dementer Mensch stundenweise beaufsichtigt und beschäftigt ist, tet jeder nicht mehr jugendliche Mensch an te Argumente: So sind ja nicht alle Hundert- ren Konzept fahren wir an die Wand, wenn es dazu führt, dass zwar während die pflegende Person nebenan in der Bibliothek ein Buch sich. Wird also zwangsläufig jeder dement, jährigen dement. Der mit dem Alter einher- ein Patient mit AD ein Antidementivum von der Krankenkasse er- lesen kann. Ein anderes Beispiel der Entlastung wären Pflegekräfte sofern er nur alt genug wird, um die Krank- gehende Leistungsverlust mag allen Men- stattet bekommt, die gleiche Substanz aber einem Patienten mit zu- für die Nacht. Bei vielen dementen Personen ist der Tag-Nacht- heit noch zu erleben? schen zu eigen sein; doch die Geschwindig- sätzlichen Hirngefäßveränderungen aufgrund der derzeitigen Re- Rhythmus erheblich gestört. Die Folge kann sein, dass die Pflegen- keit, mit der Hirnfunktionen abnehmen, ist gularien vorenthalten wird. den dann buchstäblich kein Auge mehr zumachen können. individuell unterschiedlich, sodass auch für Warum ist eine möglichst frühzeitige Diagnose so wichtig? In unserer älter werdenden Gesellschaft wird die Zahl der Förstl: Die Abnahme der kognitiven Leistungen bei vielen Demen- Demenzkranken deutlich ansteigen. Welche Strategien be- zen und ganz sicher bei AD folgt – über die Zeit betrachtet – einem nötigen wir, um mit diesem Problem fertig zu werden? schung eine entscheidende Konsequenz: stetigen Verlauf. Mit den besten der heute verfügbaren Medika- Förstl: An dieser Aufgabe müssen wir alle gemeinsam mitarbeiten. Wenn die mit dem Alter einhergehende Ab- mente lässt sich dieser Verlauf etwa um ein Jahr parallel nach hin- Für mich steht außer Frage, dass wir in Zukunft eine längere Lebens- nahme von Hirnleistungen unterschiedlich ten verschieben. Je früher eine Demenz diagnostiziert wird, desto arbeitszeit haben werden. Auch die abrupte Zäsur vom Berufsleben rasch ablaufen kann, ist es wichtig, all jene mehr Fähigkeiten sind noch intakt und desto mehr Lebensqualität zum Ruhestand wird es in Zukunft hoffentlich nicht mehr geben. Faktoren auszumachen, die diesen Prozess zieht der Patient aus diesem Zeitgewinn. Die Prognosen für das Jahr 2050 gehen von 2,5 bis drei Millionen statistische Analysen, dass sich ab etwa dem einen sehr alten Menschen die Demenz kein unausweichliches Schicksal darstellt. Diese Befunde haben für die Demenzfor- beschleunigen oder verlangsamen. Erstere Demenzkranken in Deutschland aus. Ich kann mir beim besten Vaskuläre Demenzen (Grafik, links) sind Risikofaktoren, letztere Schutzfakto- Welchen Therapiefortschritt halten Sie für möglich? Willen nicht vorstellen, dass wir für all diese Menschen ausreichend breiten sich von Hirnarealen aus, in ren. Sind diese Faktoren etwa durch persön- Förstl: Ich habe die ‚Parallelverschiebung’ der Leistungseinbußen viele Pflegekräfte werden ausbilden können – ganz zu schweigen erwähnt, die sich medikamentös um etwa ein Jahr hinauszögern von den enormen Kosten einer überwiegend professionellen Pfle- lassen. Wir alle hoffen darauf, dass es Therapien geben wird, die das ge. Zudem wird das Modell der Pflege durch Angehörige in Zukunft Fortschreiten der Erkrankung nicht nur verschieben, sondern die- nicht für alle Patienten anwendbar sein – denken Sie nur an die vie- ses sogar bremsen. Solche neuroprotektiven Therapien sind ein len kinderlos gebliebenen und alleinlebenden Menschen. seitlich nach hinten voran. Die Zer- Patienten, die eine Demenz entwickelt ha- Fernziel, von dem wir vielleicht noch einige Jahre entfernt sind. Deshalb sehe ich die Notwendigkeit für ein anderes Modell: Gesun- störung im direkten Vergleich (Foto): ben, besser zu behandeln. Um Risikofakto- Doch auch bescheidenere Fortschritte würden den Demenzkran- de Alte werden kranke Alte pflegen. Dafür werden sie Anerkennung rechts die auf CT-Bildern beruhende ken enorm nützen. So handelt es sich ja um Krankheiten, die meist und auch Geld erhalten. Im Blick auf das eigene Schicksal muss sich erst im höheren oder ganz hohen Alter auftreten und sich dann eine neue Solidarität der Gleichaltrigen entwickeln. 10 denen Gefäßschäden auftraten. Die Alzheimer-Demenz (Grafik, Mitte) liche Lebensweise oder Medikamente be- beginnt meist in Hirnbereichen, in de- einflussbar, könnte es langfristig möglich nen das autobiographische Gedächtnis lokalisiert ist. Die Frontotemporale Demenz schreitet vom Stirnbereich Darstellung eines gesunden Gehirns, links ein vergleichbarer Schnitt durch das Hirn eines Patienten mit AD. werden, sich vor einer Demenz zu schützen – also ihren Beginn hinauszuzögern – und ren geht es ab S. 32 sowie im „Fokus Forschung“ ab S. 19; mit Schutzfaktoren beschäftigt sich das Kapitel ab S. 46. 11 EINFÜHRUNG EINBLICK Die Humoralpathologie des griechischen Arztes Hippokrates bildete das gedankliche Fundament der antiken Medizin. Demnach war auch für den „Altersblödsinn“ ein Ungleichgewicht der „Kardinalsäfte“ verantwortlich. nach Christus) verbindet psychische Störungen mit der Ventrikel- sische Neurologe Bewusstseinsstörungen nach der Art zu beschrei- lehre und meint so, den „Sitz“ dieser Störungen ausmachen zu kön- ben, wie sie bei organischen Hirnleiden zu beobachten sind. In der nen. Nach der Auffassung der mittelalterlichen Klostermedizin, de- Neurologie gewinnt die Vorstellung an Bedeutung, dass psychische ren bekannteste Vertreterin die Äbtissin Hildegard von Bingen Leiden eine Folge von „greifbaren“ Veränderungen im Gehirn sind. (1098-1179 nach Christus) ist, gelten Krankheiten als Teil des gött- Die vergessene Krankheit Demenz im Spiegel der Epochen Einer der Höhepunkte dieser hirnanatomischen Forschungsrich- lichen Plans, die entweder eine Strafe für begangene Sünden oder tung ist mit dem Namen des Nervenarztes Alois Alzheimer verbun- eine Prüfung Gottes darstellen. Zu heilen sind sie nur durch ein got- den. Dank der neuen Färbetechnik der Silberimprägnation ent- tesfürchtiges Leben. Unterstützend werden Heilkräuter eingesetzt, deckt Alzheimer im Gehirn der 1906 mit 54 Jahren verstorbenen Pa- die gemäß der antiken Humoralpathologie das Säftegleichgewicht tientin Auguste D. „argentophile intraneuronale Fibrillen“. Für sei- im Körper wiederherstellen sollen. nen Münchner Kollegen Emil Kraepelin ist dies ein wichtiger Auch der Humanismus und selbst die rationalistisch geprägte Befund, weil es Alzheimer gelungen war, diese Demenzerkrankung Aufklärung im 18. Jahrhundert brachen mit diesem Krankheitskon- mit Hirnschäden auf zellulärer Ebene in Verbindung zu bringen. In zept nicht völlig. In Anlehnung an das damalige, mechanistisch ge- Kraepelins Systematik der psychiatrischen Erkrankungen steht fort- prägte Bild vom „Menschen als Maschine“ entwickeln Mediziner so an die Alzheimersche Erkrankung für eine nicht-vaskuläre (arterio- genannte iatromechanische und iatrochemische Ideen einer De- sklerotische) präsenile Form der Demenz. menz: Demnach verursacht entweder eine herabgesetzte Schwin- Im Verlauf des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart schärft sich gungsfähigkeit der „Fasern“ im Gehirn Geisteskrankheiten, oder sie das Bild der Neurowissenschaften von den Demenzen. Es wird im- werden auf einen Mangel an Seelengeist (spiritus animalis) zurück- mer klarer, dass es keine scharfe Trennlinie zwischen präsenilen geführt, der die Nervenflüssigkeit „stocken“ lässt. So bleiben die ge- und senilen Demenzen gibt, also zwischen Demenzen, die bereits nannten Konzepte der antiken Humoralpathologie verhaftet. Demenzerkrankungen sind vermutlich so alt wie der Mensch selbst. Aristoteles (384-322 vor Christus), für den das Alter ebenfalls eine Revolutionäres Demenzkonzept Erste Beschreibungen reichen bis ins zweite vorchristliche Jahrtau- „natürliche Krankheit“ darstellt, greift die Idee der Kardinalsäfte send zurück. So schildert der Wesir Ptahhotep im Prolog zur alt- auf und verbindet diese mit seiner Vorstellung der vier Grundqua- ägyptischen Lebenslehre: „Der Mund ist schweigsam, er kann nicht litäten von Materie, nämlich kalt, warm, feucht und trocken. Das Trotzdem bringt diese Epoche einen ersten „Durchbruch“ in der De- mehr reden. Das Herz (nach altägyptischer Auffassung das Denk- Blut denkt er als feucht-warm, die Gelbe Galle als warm-trocken, die menzforschung. In Oxford bricht der Arzt Thomas Willis (1621-1675) organ) lässt nach, es kann nicht mehr des Gestern erinnern... Was Schwarze Galle als kalt-trocken und den Schleim als kalt-feucht. mit der mittelalterlichen Ventrikellehre. Stattdessen formuliert er das Alter den Menschen antut? Übles in jeder Hinsicht.“ Bis ins 17. Jahrhundert hinein werden Demenzen als „natürliche“ In seiner Schrift „Über das Gedächtnis und die Erinnerung“ ent- eine Theorie über die unterschiedlichen Funktionen einzelner Hirn- wickelt er eine Theorie über diese beiden Hirnleistungen. Erinne- abschnitte. Revolutionär ist sein Demenzkonzept, denn Willis Folge des Alterns beschrieben – unabwendbar, unheilbar. Die Medi- rungen stellt er sich als „Eindrücke“ (Engramme) in das Denkorgan grenzt unterschiedliche Formen von Demenz voneinander ab, etwa zin der alten Hochkulturen Kleinasiens, der römischen und griechi- vor, die durch äußere Reize das Gehirn via Sinnesorgane erreichen. eine angeborene Form von verschiedenen erworbenen Formen, die schen Antike wie der arabischen Welt schließt sich über Jahrtausen- Ist dieses Organ – bedingt durch einen Überschuss des „feucht-kal- durch äußere, das Gehirn vergiftende Einflüsse verursacht werden, de widerspruchslos dem Diktum des römischen Komödiendichters ten“ Schleims – zu feucht, kön- und schließlich Demenzen, die mit anderen Krankheiten wie Epi- Terenz (um 160 vor Christus) an: „Das Alter selbst ist die Krankheit“. nen die Reize keine bleibenden lepsie oder Schlaganfall einhergehen. Das Alter indes – nach der Gedächtnisspuren auf der Hirn- Humoralpathologie die entscheidende Ursache geistigen Verfalls – hinweg kaum mit Demenzen beschäftigt hat. Ein weiterer Grund oberfläche eingraben. Ist die- sieht Willis nur noch als eine von mehreren Demenzursachen an. liegt in der damaligen Seltenheit dieser tatsächlich altersassoziier- Oberfläche zu hart – bedingt ten Krankheiten. Bis zum 18. Jahrhundert war die durchschnittliche durch einen Überschuss der als rungen die weitere Entwicklung der Demenzforschung. So lassen Lebenserwartung der Menschen – in Deutschland lag sie zwischen „trocken-kalt“ gedachten die sich allmählich bessernden Wohn- und Hygieneverhältnisse die 1745 und 1865 bei unter 40 Jahren – einfach zu niedrig, als dass sich Schwarzen Galle – entsteht durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen steigen – De- Demenzerkrankungen in nennenswertem Umfang hätten ausprä- ebenfalls kein bleibender Ein- menzen werden häufiger. Neu auftretende Risikofaktoren erhöhen gen können. Schätzungen zufolge erreichten bis zum Jahr 1800 nur druck im Gehirn. die Zahl der Demenzen zusätzlich: die Neurosyphilis und der sich Dies ist ein Grund, weshalb sich die Medizin über so lange Zeit fünf Prozent der Bevölkerung das 60. Lebensjahr, drei Prozent das Im 19. Jahrhundert beeinflussen zwei gesellschaftliche VerändeDer Maler Jan Sanders van Hemessen (um 1500 – um 1557) hält auf dem Bild „Das Steinschneiden“ eine bis weit über das Mittelalter hinaus praktizierte Form der „Therapie“ von Geisteskrankheit fest: Ein Quacksalber entfernt den „Stein der Narrheit“. ausbreitende (Elends-)Alkoholismus. Zudem sinkt die Toleranz- relativ früh – zum Beispiel vor dem 60. Lebensjahr – auftreten, und 65. Lebensjahr. Erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stieg antike Konzept auch klingen schwelle der Bevölkerung gegenüber Menschen mit abweichen- solchen, die sich erst im hohen Alter ausprägen. Stattdessen zeigt die Lebenserwartung spürbar an. mag, in einem Punkt ist es gera- dem Verhalten – Irrenanstalten entstehen, in denen die Geistes- sich, dass es sich dabei um jahrzehntelange Schädigungen des Ge- dezu modern, denn es führt kranken zunächst lediglich weggesperrt, bald aber auch behandelt hirns handelt, deren Art, Umfang, Verteilung und Geschwindigkeit krankhafte psychische Zustän- werden. Es werden in der Folgezeit fast ausnahmslos Anstaltsärzte darüber entscheiden, wann es zu welcher Demenz kommt. de auf physische Veränderun- sein, die sich mit Demenzen beschäftigen. Vom Gleichgewicht der Körpersäfte Prägend für das Verständnis von Gesundheit und Krankheit in der So unwissenschaftlich dieses Ganz im Geist der Aufklärung forderte der Psychiater Philippe Pinel (1745-1826) während der Französischen Revolution die „Befreiung der Irren von ihren Ketten“. gen oder Schäden im Gehirn zu- Labortechnische Fortschritte – etwa neue Färbetechniken – ver- rück – eine Vorstellung, die erst Fortschritte in der Genetik – vor allem in der Molekulargenetik – machen deutlich, welche Rolle Erbfaktoren als Verursacher und als bessern die Möglichkeiten, Hirnschädigungen sichtbar zu machen, Risikofaktoren von Demenzen spielen. Moderne bildgebende Ver- lung der Humoralpathologie: Vier Kardinalsäfte (lateinisch: „humo- mehr als 2000 Jahre später die naturwissenschaftlich orientierten die mit bestimmten Formen der Demenz einhergehen. Ärzte wie Ar- fahren liefern ein immer präziseres Bild vom Ort, der Art und dem res“), so beschreibt es Hippokrates um 400 vor Christus in seiner Neurowissenschaften wieder aufgreifen werden. nold Pick, Otto Binswanger und Alois Alzheimer beschreiben an der Ausmaß der neurodegenerativen Prozesse. Molekularbiologische Die mittelalterliche Medizin vergräbt sich noch stärker in mysti- Wende zum 20. Jahrhundert unterschiedliche Demenzformen, die Methoden enthüllen schließlich ein detailliertes Bild von den Scha- die Gelbe und die Schwarze Galle sowie der Schleim. Befinden sich schen Vorstellungen. Um 400 nach Christus entwickelt der Bischof noch heute deren Namen tragen. Der Mediziner Emil Redlich stößt densabläufen bis auf die molekulare Ebene hinunter. diese Säfte im Gleichgewicht, ist der Mensch gesund. Ein Ungleich- Nemesius von Emesa in Phönizien die Ventrikellehre: Die verschie- in seinen Hirnpräparaten von dementen Patienten auf Plaques, die gewicht indes erzeugt Krankheiten. Aufgabe des Arztes ist es, die denen Hirnleistungen lokalisiert er in je einem von drei Hohlräu- außerhalb der Nervenzellen liegen – er beschreibt das Bild als „mili- es möglich werden, diese Vorgänge im Gehirn zu bremsen oder zu Natur durch entsprechend wirkende Eingriffe zu unterstützen, um men oder Ventrikeln des Denkorgans (heute unterscheidet die Me- are Sklerose“ bei seniler Demenz. In dem 1897 erschienenen Buch stoppen, sich vielleicht sogar davor zu schützen. Die so lange von das Gleichgewicht der Säfte wiederherzustellen. dizin vier Ventrikel). Der arabische Arzt Haly Abbas (gestorben 994 „Gehirnpathologie“ von Constantin von Monakow versucht der rus- der Medizin „vergessenen“ Demenzen sind also endgültig entdeckt. Antike wie auch in späteren Epochen ist die hippokratische Vorstel- Schrift „Über die Natur des Menschen“, wirken im Körper – das Blut, 12 Mit diesem Wissen gerüstet, so hoffen die Mediziner heute, sollte 13 DIAGNOSTIK Detektivarbeit in der Praxis Spurensuche mit Psychotests und Hirnscans Beim Uhrenzeichentest sollen Patienten eine Zeitangabe des Arztes umsetzen und in Form eines Zifferblatts mit Zeigern darstellen.Viele Demente scheitern an dieser vermeintlich einfachen Aufgabe. „Schlechtes Gedächtnis? Tja, da kann man extreme Fälle beschränken, dominieren in dem muss der Arzt wissen, womit er es zu stufige Schätzskala von 1 (nicht krank) bis 7 leider nichts machen. So ist das eben im Al- der Praxis mehr oder weniger „gemischte“ tun hat. So kann er den Patienten vor unsin- (schwer krank). Bewährt hat sich bei fort- ter“. Mit ähnlich frustrierenden Auskünften Formen der Demenz. Dennoch hat die nigen oder gar schädlichen Therapien schreitenden Demenzerkrankungen auch endeten noch vor wenigen Jahren viele „Schubladisierung“ dieser Leiden durchaus schützen und sich darauf konzentrieren, eine dreiteilige Unterscheidung in leichte, Arztbesuche. Selbst Mediziner, welche die ihre Berechtigung. dem Kranken die bestmögliche Lebensqua- mittlere und schwere Stadien. Dabei sind in lität zu sichern. Zudem kann er ihm die der untersten Stufe nur komplexe Alltags- Demenz nicht zu den natürlichen biologischen Prozessen zählten, fühlten sich oft zehnte Überarbeitung der Internationalen Möglichkeit eröffnen, an einer klinischen tätigkeiten betroffen; in fortgeschrittenen hilflos, da es kaum wirksame Therapien Krankheitsklassifikation ICD-10, fungieren Studie teilzunehmen, bei der unter stren- Stadien vergessen die Patienten die Namen gab. Schließlich hatte man den hippokrati- dabei als Checklisten. Sie erleichtern nicht gen Auflagen eine neuartige Therapie er- vertrauter Personen und verstummen im schen Eid geschworen – und der verpflich- nur den Informationsaustausch zwischen probt wird. schweren Stadium zunehmend. Diese Ein- tet die Heilkundigen auf den Grundsatz den Experten, sondern schaffen auch die Zu den vergleichsweise gut behandel- „primum non nocere“. Wenn schon keine Grundlage, um die Wirksamkeit verschie- baren Demenzen gehören die durch gestör- bestimmte Arzneimittel nur für leichte und Aussicht auf Erfolg besteht, sollte man den dener Behandlungen zu messen und mit- ten Blutfluss verursachten („vaskulären“) mittlere Stadien zugelassen sind oder aber Patienten wenigstens die Nebenwirkungen einander zu vergleichen. Gedächtnisleiden mit einem Anteil von 16 erst bei schweren Demenzen eingesetzt werden dürfen. nutzloser Arzneien ersparen. Unethisch ist Voraussetzung für die Diagnose eines Prozent. Drei Fünftel aller Patienten leiden es auch, die Kranken mit Diagnoseprozedu- Demenzsyndroms ist laut ICD-10, dass meh- unter einer reinen Alzheimer-Demenz, de- ren zu peinigen, deren Resultate auf das rere höhere Geistesfunktionen wie Ge- ren Verlauf Ärzte bislang nur verlangsamen weitere Vorgehen keinen Einfluss haben. dächtnis, Denkvermögen, Orientierung, können. Mischformen zwischen diesen bei- teilung ist auch deshalb bedeutsam, weil Fragebögen und Checklisten Sprache und Urteilsfähigkeit über mindes- den Erkrankungen finden sich in etwa acht „Alzheimer oder nicht?“ – Diese Frage be- und die Auffassung setzt sich durch, dass tens sechs Monate abnehmen, und dass die- Prozent aller Fälle. Ebenso viele Menschen wegt nicht nur Betroffene und Angehörige. eine möglichst frühzeitige Diagnose dem se Schwierigkeiten den Kranken in seinem sind gleichzeitig von Alzheimer-Demenz Allein schon wegen der Häufigkeit des Lei- Patienten nützt, weil sie Alltagsleben beeinträchtigen. Außerdem und der Parkinsonkrankheit betroffen, dens spielt dessen Unterscheidung von an- muss sich der Arzt vergewissern, dass die während nur jeweils jeder Hunderste Ge- deren Demenzformen in der Praxis eine dächtnispatient an „reinem“ Parkinson, der überragende Rolle. Mit Sicherheit lässt sich Frontotemporalen Demenz oder der Lewy- die Alzheimer-Demenz (AD) erst nach dem Körperchen-Demenz erkrankt ist. Schließ- Tod durch den Nachweis charakteristischer lich können auch infektiöse Partikel das Ablagerungen im Gehirn feststellen. Selbst Hirn oder die Hirnhäute schädigen – wie et- erfahrene Ärzte erreichen bei Patienten mit wa das AIDS-Virus HIV, Syphilis- und Borre- demenziellen Symptomen bestenfalls eine liosebakterien oder Prionen, wie bei der 90-prozentige Genauigkeit, indem sie der Inzwischen hat sich das Blatt gewendet, behandelbare Ursachen einer Demenz erkennen kann, eine möglichst frühzeitige Therapie erlaubt sowie Kranken und deren Angehörigen hilft, sich auf die Zukunft vorzubereiten. Mehr als 50 verschiedene Erkrankungen 14 Internationale Standardwerke, wie die Symptome schleichend beginnen und nicht etwa Folge sind von selteneren Ursachen, etwa einem Vitaminmangel, einer Hirnblutung, eines Tumors oder eines durch Alkohol ausgelösten Deliriums. Diese Unterscheidungen sind keines- Erst wenn die Ursache und das Stadium einer Demenz bekannt sind, kann der Arzt entscheiden, welche Behandlung die beste ist verbergen sich hinter dem Sammelbegriff wegs nur für Akademiker interessant. Man- Demenz, der sich vom lateinischen demen- che Demenzen lassen sich nämlich mit heu- Creutzfeld-Jakob-Krankheit (CJD) und der Reihe nach andere Ursachen einer Demenz tia – Unvernunft – herleitet. Je nachdem, te verfügbaren Medikamenten gut behan- damit eng verwandten „menschlichen“ ausschließen. Bei frühen Stadien der De- welche Hirnregionen die unterschiedlichen deln, andere bestenfalls für einen begrenz- Form der Rinderseuche BSE, vCJD. menz ist diese Trefferquote viel niedriger. Krankheitsprozesse zuerst beeinträchtigen, ten Zeitraum in Schach halten. Für einige variieren Art, Reihenfolge und Stärke der Arten des Gedächtnisschwunds gibt es mo- dung zwischen den Demenzformen ist auch chen teilen sich die Hausärzte die Arbeit Beschwerden. Während Lehrbücher sich mentan überhaupt noch keine wirksamen die Bestimmung des jeweiligen Schwere- mit den auf Hirnerkrankungen spezialisier- meist auf eindeutige und damit oftmals Behandlungsmöglichkeiten – und trotz- grads. Hier nutzen Ärzte meist eine sieben- ten Neurologen und Psychiatern. Zwar sind Fast genauso wichtig wie die Unterschei- Bei der Abklärung der Krankheitsursa- 15 DIAGNOSTIK DIAGNOSTIK FOKUS FORSCHUNG es die Hausärzte, die in Deutschland über einander unterscheidet. Dennoch gewin- sprünglich 1000 MCI-Patienten bei etwa 280 Demenzkranken eine 90 Prozent aller Demenzkranken betreuen nen erfahrene Ärzte aus den Testergebnis- vollständige Datenauswertung möglich ist, von denen etwa die und sich dabei pro Arztpraxis um durch- sen wichtige Hinweise, die zumindest die Hälfte an Alzheimer erkrankt sein wird. Mehrere Hundert Menschen haben ihr schnittlich gut zwei Dutzend Patienten Sicherheit der Diagnose erhöhen. So haben Gehirn in den vergangenen Jahren dem kümmern. Da aber Hausärzte per Defini- Alzheimer-Kranke nicht nur Schwierigkei- taten verschiedener neuropsychologischer Tests. Weder für die frü- Brain-Net gespendet. Dieses vom tion keine Spezialisten sind, beschränken ten, Begriffe aus einer Wortliste sofort oder hen Demenzformen noch für das MCI gibt es hierfür jedoch inter- Bundesministerium für Bildung und sie sich oft auf die Erhebung der Kranken- nach einer kurzen Zeitspanne wiederzuge- national verbindliche Kriterien. Diesem Missstand wollen die Pro- Forschung seit 1999 geförderte Projekt geschichte (Anamnese) und die Befragung ben, sondern auch zuvor gezeigte Wörter fessoren Alexander Kurz von der Technischen Universität München hat das Ziel, eine deutsche Hirngewebe- der Angehörigen hinsichtlich auffälliger wiederzuerkennen. Bei nicht-dementen bank zu etablieren. Qualifizierte Wis- Verhaltensänderungen. Erhärtet sich dabei Gleichaltrigen oder depressiven Menschen senschaftler können dort Proben anfor- der Verdacht auf eine Demenz, helfen funktioniert die Speicherung noch recht sität Berlin abhelfen. Durch Schulungen und mit einem Handbuch dern, wovon man sich unter anderem unterschiedliche Gedächtnistests, die Grö- gut, doch ist der Zugriff erschwert. Mit dem schufen sie an den 14 beteiligten Kliniken die Voraussetzung für eine verbesserte und standardisierte ße des Problems zu erfassen. Wiedererkennen bereits gesehener Worte einheitliche Befragungen und Bewertungen. Nur so lässt sich im haben diese Menschen jedoch weniger Pro- Rückblick feststellen, welche Eigenschaften beispielsweise jene bleme als Alzheimer-Kranke. MCI-Patienten gemeinsam hatten, die später an Alzheimer erkrank- DAS BRAIN-NET: EINE BANK DER BESONDEREN ART Diagnose von Hirnleiden verspricht. Zahlreiche psychologische Tests sind da- Gespeist werden die Datenbanken unter anderem mit den Resul- Einblicke ins lebende Gehirn: Mit dem Kernspintomographen lassen sich Veränderungen des Denkorgans millimetergenau dokumentieren. und Friedel M. Reischies von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité an der Humboldt-Univer- In Ländern wie Großbritannien, den für etabliert, bei denen mit standardisier- Niederlanden, Österreich, Frankreich ten Fragebögen das geistige Leistungsver- und den Vereinigten Staaten gibt es sol- mögen gemessen wird. Am weitesten ver- che „Brain Banken“ schon seit langem; breitet ist der „Mini-Mental-Test“ (MMT), bei auch ein grenzübergreifendes Projekt dem elf Fragen oder Aufgaben zu bewälti- Immer wieder geistern Meldungen durch der Europäischen Union ist inzwischen gen sind. Die maximal erreichbare Punkt- den Blätterwald, wonach es gelungen sei, geplant. zahl beträgt 30. Erreichen die Patienten nur ausschließlich mit „Hirnscans“ die Alzhei- „Früh- und Differenzialdiagnostik demenzieller Erkrankungen“ ter auch eine, mit der das Volumen des Hippocampus gemessen Acht Brain Bank-Zentren sind die 20 Punkte oder weniger, so spricht das für mer-Demenz noch vor dem Ausbruch zu heißt eines der drei Module des Kompetenznetzes Demenzen, das wird, einer für die Gedächtnisbildung entscheidenden Hirnregion. Haupteinheiten des Brain-Net, erklärt eine krankhaft verminderte Hirnleistung, entdecken oder gar zweifelsfrei von ande- vom Bundesforschungsministerium mit insgesamt 12,5 Millionen Dadurch wird man objektive Messwerte gewinnen und die Wir- dessen Sprecher Prof. Hans Kretz- was Ausdruck einer mittelschweren De- ren Demenzen zu unterscheiden. Bei nähe- Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren gefördert wird. „Unser kung der jeweils verordneten Arzneien in Zahlen fassen können. schmar, der diesen Verbund vom Insti- menz ist. Wiederholt man derartige Tests rer Betrachtung erweisen sich diese Aus- Ziel ist es, Demenzerkrankungen früher als bisher zu erkennen und tut für Neuropathologie der Münche- im Abstand mehrerer Monate oder Jahre, sagen jedoch als reines Wunschdenken. ebenso zuverlässig wie kostengünstig voneinander zu unterschei- sammlung sein, also der Nachweis ausgesuchter Biomoleküle im ner Ludwig-Maximilians-Universität zeigen abnehmende Punktwerte an, dass Dennoch sollte eine bildgebende Unter- den“, erklärt Prof. Jens Wiltfang von der Klinik mit Poliklinik für Blut und im Nervenwasser – der Flüssigkeit, die das Gehirn und das aus koordiniert. Jedes Zentrum ist zu- die Demenz fortschreitet. Konstante Ergeb- suchung mittels Computer- oder Magnet- Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Erlangen-Nürn- Rückenmark umgibt. Hier fahnden die Forscher nach Eiweißen und ständig für einen oder mehrere The- nisse im MMT sprechen dafür, dass der Pa- resonanz-Tomographie (abgekürzt CT und berg. Zusammen mit Prof. Johannes Kornhuber koordiniert Wilt- -bruchstücken, die in direktem Zusammenhang mit dem Krank- menschwerpunkte. Stirbt ein Spender, tient auf die verabreichten Medikamente MRT) bei jedem Patienten mit Verdacht auf fang von Erlangen aus das Projekt. heitsverlauf stehen. Aus deren Konzentrationsveränderungen und so organisiert die rund um die Uhr be- angesprochen hat oder von anderen Thera- eine Demenzerkrankung zumindest einmal setzte Zentrale in München die Über- pien – etwa einer Gedächtnissprechstunde Hinweisen zu durchsuchen, welche frühen Krankheitszeichen eine Art und den Umfang von Hirn- führung des Leichnams ins nächstgele- – profitiert hat. Fragebögen sind schließlich gute Vorhersage über das weitere Schicksal der Patienten ermög- schäden gewinnen. gene Zentrum, wo die Obduktion statt- auch hilfreich, um abzuklären, ob objektiv lichen. Gelänge es nämlich, den Zeitpunkt einer korrekten Diagno- findet. Da sich die Ursache vieler De- vorhandene Gedächtnisprobleme nicht se vorzuverlegen, könnte man die bereits heute verfügbaren Arz- niert, hat Wiltfang mit japani- menzen mit 100-prozentiger Sicherheit Ausdruck einer Depression sind. neien besser nutzen. „Zeit ist Hirn“, bringt Wiltfang die Denkweise schen und deutschen Kollegen der Experten auf den Punkt. bereits im Jahr 2001 für den Bio- Blick unter die Schädeldecke Früher – zuverlässiger – billiger Daten von insgesamt 2000 Patienten aus 14 Kliniken gilt es nach Zusammen mit dem Mini-Mental-Test stellen lässt, dient diese Untersuchung kommt meist auch der Uhrenzeichentest auch als Rückversicherung für die An- zum Einsatz, der besonders wenig Zeit be- hoher Sicherheit wüsste, dass der heute noch völlig unauffällige gehörigen, und sie hilft den Ärzten, in ansprucht. Hier kommt es darauf an, wie Herr Mustermann ein besonders hohes Risiko trägt, binnen weniger Zukunft immer genauere Diagnosen zu gut der Patient eine Uhrzeit, die ihm der stellen. Darüber hinaus sind viele Fort- Arzt als Aufgabe stellt, mit Zifferblatt und schritte im Verständnis von Krankhei- korrekter Zeigerstellung auf einem Blatt ten und viele neue Therapien den fein- Papier darstellen kann. Konzentration, Verarbeitungsgeschwin- vorherrschten, die von einer Demenz verschont blieben. Das zweite Standbein der Diagnose sind Bilder des Gehirns, die mit dem Kernspintomographen aufgenommen werden. Drei verschiedene Varianten dieser Methode kommen zum Einsatz; darun- meist erst bei solch einem Eingriff fest- geweblichen und biochemischen ten oder welche Charakteristika umgekehrt bei jenen Probanden Umfangreich wird die neurochemische Komponente der Daten- Mengenverhältnissen lassen sich beispielsweise Hinweise auf die Dass dieses Prinzip funktio- Sogar vorbeugende Maßnahmen wären möglich, wenn man mit Chromosomenanalyse unter dem Mikroskop: In den Körperzellen dieses Demenzpatienten liegen drei Kopien des Chromosoms Nr. 21 (weiße Punkte). Normal sind nur zwei Kopien. Jahre sein Gedächtnis einzubüßen. Bereits im Stadium einer leichten kognitiven Störung (im Englischen als „mild cognitive impairment“, MCI, bezeichnet) müsste dafür die Diagnose erfolgen. Zwar marker Phospo-Tau 199 berichtet. In einer Studie mit 570 Probanden war die durchschnittBlutproben enthalten zahlreiche Eiweiße, aus deren Konzentrationen Forscher Hinweise auf den Krankheitsverlauf gewinnen. weiß man, dass jährlich etwa ein Achtel der MCI-Patienten in das liche Konzentration dieses Moleküls in der Nervenflüssigkeit von Alzheimer-Patienten fast doppelt so hoch wie bei ande- eingesetzt werden. Bei unklaren Demenzen Stadium einer Demenz übertreten werden, doch ist diese Statistik ren Demenzformen und Gesunden. Mit 85-prozentiger Sicherheit unbrauchbar, um das Schicksal Einzelner vorherzusagen. konnten die Forscher an Phospho-Tau 199 ablesen, ob ein Proband Untersuchungsverfahren am Gewebe digkeit und psychomotorische Koordina- könnten auch mehrfache Aufnahmen sinn- Verstorbener zu verdanken. tion misst der Zahlenverbindungstest, bei voll sein. Beide Methoden können die „wei- Auch mehrere Patientenverbände dem die ungeordnet über ein Blatt Papier chen“, nicht-knöchernen Hirnstrukturen thode, welche die billigste und welche Untersuchungen liefern die unterstützen das Brain-Net. So konnten verteilten Zahlen 1 bis 16 durch eine Linie zu sichtbar machen, wobei die weiter verbrei- zuverlässigsten Prognosen? Die Antworten, davon sind Wiltfang laufenen Studie des Kompetenznetzes Demenzen zwei weitere bis Anfang 2004 etwa 35 wissenschaft- verbinden sind. Eine relativ neue Untersu- tete CT mit Röntgenstrahlen arbeitet, die und Kornhuber überzeugt, kann nur ein umfangreicher Vergleich Spielarten des Tau-Proteins sowie unterschiedlich lange Formen liche Untersuchungen auf Gewebepro- chung ist der DemTect®, der acht bis zehn MRT dagegen mit starken Magnetfeldern. mit einer hohen Zahl von Patienten bringen. Binnen zwei Jahren von Aß (gesprochen „A beta“). Ein „Demenzchip“ soll die biochemi- ben des Brain-Net zurückgreifen. Den- Minuten beansprucht. Hier haben erfahre- Tatsächlich kann ein erfahrener Radiologe sollen deshalb 1000 Versuchsteilnehmer gewonnen werden, die be- sche Rasterfahndung weiter vereinheitlichen und automatisieren. noch übersteigt der Bedarf bei weitem ne Psychologen die Fragen so ausgewählt, aus Hirnscans bestimmte Demenzursachen reits im Stadium der frühen Demenz sind. Dazu kommen weitere das Angebot. „Wir brauchen dringend dass man besonders gut zwischen Gesun- auf einen Blick erkennen, wenn sie – wie et- 1000, die sich noch im Stadium des MCI befinden. Beobachtungen gel zu durchforsten und daraus neue Therapievorschläge zu erar- mehr Gehirne“, lautet deshalb Kretz- den und Kranken unterscheiden kann. wa ein Schlaganfall oder ein Tumor – zu anderer Arbeitsgruppen aus den vergangenen Jahrzehnten erlau- beiten. „Wenn unser Projekt eindeutige Daten hervorbringt, sollten charakteristischen Veränderungen der Ge- ben es den Wissenschaftlern im Kompetenznetz vorherzusagen, sich aber auch die Fachgesellschaften von diesen Vorschlägen über- webestruktur führen. dass am Ende des dreijährigen Beobachtungszeitraums von den ur- zeugen lassen“, gibt sich Kornhuber optimistisch. schmars Appell an die Bürger. Noch gibt es keinen Test, der die verschiedenen Demenzformen eindeutig von- 16 Welche Tests sind dafür geeignet? Welche ist die sicherste Me- an Alzheimer litt oder nicht. Um diese Quote weiter zu erhöhen, sucht man in der nun ange- Viele Jahre wird es dauern, den selbst erzeugten Datendschun- 17 ZEITLICHE TRENDS DIAGNOSTIK Zwei horizontale Schnittbilder des Gehirns, die ohne Strahlenbelastung mit einem Magnetresonanztomographen gewonnen wurden, zeigen Anzeichen einer Alzheimer-Demenz (links) und einer Lewy-Körperchen-Demenz (unten). Variationen dieser Technik erlauben es, Hirnstrukturen und Durchblutungsstörungen hervorzuheben. Neben den lehrbuchmäßigen Extrem- Mechanismus neuer Wirkstoffe darstellen beispielen spielen jedoch die gemischten und zusätzlich Veränderungen bei demenz- Formen im Praxisalltag eine große Rolle. spezifischen Ablagerungen direkt sichtbar Wer sich allzu sehr auf CT und MRT verlässt, machen. Viel schneller als mit den heute läuft außerdem Gefahr, sich durch augen- noch üblichen psychometrischen Verfah- fällige Strukturveränderungen von subtile- ren könnte der Arzt dann den Krankheits- ren Krankheitszeichen ablenken zu lassen verlauf beurteilen und seine Maßnahmen und stellt deshalb womöglich die falsche entsprechend optimieren. Diagnose. Die gestörte Durchblutung des Hirngewebes (links, helle Areale) ist typisch für eine vaskuläre Demenz. Bei der Frontotemporalen Demenz (oben) zeigt sich eine Lücke zwischen den Stirnlappen. Weil einzelne Aufnahmen nicht genug Informationen enthalten, fertigen Ärzte in einer 20-minütigen Untersuchung mehrere Sequenzen von jeweils etwa 20 Bildern an. Demenzen in einer alternden Gesellschaft Der demographische Wandel prägt das Bild Routinemäßig entnehmen Ärzte bei Patienten mit Gedächtnisstörungen auch Vor einer „Epidemie der Demenzen“ wäh- krankungen mit dem Alter assoziiert – je be- Positronen-Emissions-Tomographie (PET), Blut. Laboruntersuchungen zum Nachweis nen die Pessimisten unter den Gesundheits- tagter die betrachtete Bevölkerungsgruppe kann den Energieumsatz des Gehirns und bestimmter Enzyme und Stoffwechselpro- forschern die älter werdende Bevölkerung ist, desto größer wird darin der Anteil de- damit den Umfang der Hirnaktivität dar- dukte können nämlich auf Teilursachen Deutschlands. Optimisten zeichnen freund- menter Menschen. Statistiker bezeichnen stellen. Die PET misst die Zerfallssignale oder Begleiterkrankungen wie Diabetes lichere Zukunftsbilder. Demnach dürften diese wichtige Maßzahl als Prävalenz oder schwach radioaktiver Zuckermoleküle, die oder erhöhte Blutfettwerte hinweisen, für die Menschen hierzulande nicht nur mit Erkrankungsrate. Sie gibt an, welcher Pro- in die Blutbahn gespritzt werden und sich die es wirksame Behandlungen gibt. Aller- einem längeren Leben rechnen, sondern zentsatz der gesamten Bevölkerung – oder im Gehirn bevorzugt in den aktiven Regio- dings bezweifeln viele Kliniker, dass die im- auch mit einer längeren Lebensspanne, die einer bestimmten Bevölkerungsgruppe – nen anreichern. Die PET dient bisher noch mer wieder angekündigten Labortests auf sie bei guter Gesundheit genießen könnten. an der betrachteten Krankheit leidet. überwiegend Forschungszwecken und so genannte Biomarker im Blut oder Ner- Wie auf allen Gebieten, deren Zukunft nicht der Diagnosestellung im Routinebe- venwasser jemals die Treffsicherheit einer man vorhersehen möchte, so steckt auch trieb. Binnen weniger Jahre aber werde die gründlichen ärztlichen Untersuchung er- bei den Prognosen zur Zahl der Demenzer- PET es ermöglichen, die typischen Ablage- reichen werden. krankungen der Teufel im Detail. Die De- Der an der Klinik und Poliklinik für Psychia- tails betreffen dabei nicht die Arithmetik trie und Psychotherapie der Technischen der Berechnungen, sondern die Annah- Universität München tätige Epidemiologe men, auf denen sie beruhen. Mark Twains Horst Bickel hat vor einigen Jahren die Kommentar zum Geschäft der wissen- Daten zur Prävalenz der Demenzen in schaftlichen „Hellseher“ gilt auch im Zeital- Deutschland zusammengetragen. Dabei ter der Prognostik mittels Supercomputer, ergab sich folgendes Bild: Bei den 40-64- Simulation und Szenariotechnik: „Progno- Jährigen sind Demenzen sehr selten; die sen sind immer dann besonders schwer, Erkrankungsrate liegt hier bei weniger als wenn sie sich auf die Zukunft beziehen.“ 0,1 Prozent, das entspricht rund 20 000 Eine weitere bildgebende Methode, die rungen im Gehirn von Alzheimer-Patienten Bei einem Teil der Patienten wird man in sichtbar zu machen und deren Menge zu er- Zukunft wohl auch das erbliche Risiko für rechnen, so die Vorhersage eines Experten- eine Demenz bestimmen oder den weiteren treffens im Mai 2003. Erste Vorversuche mit Krankheitsverlauf vorhersagen können. speziell für diesen Zweck entwickelten Mar- Allerdings setzen diese Analysen die Zu- kermolekülen sind bereits erfolgreich ver- stimmung der Patienten beziehungsweise laufen. Vermutlich werden weitere Marker der Angehörigen voraus, und sie erfordern folgen, die Stoffwechselprodukte bei ande- wegen der möglichen psychischen Belas- ren Demenzen erkennen. tung eine ausführliche Beratung über die Noch steht die Diagnose der Demenzen im Vordergrund. Biomarker und Genanalysen könnten jedoch bald auch die Prognose verbessern Altersabhängige Häufigkeit Derartige Einblicke ins Gehirn könnten Aussagekraft und die möglichen Konse- nicht nur bei der Diagnose die Treffsicher- quenzen der Testergebnisse. Angesichts daher ein Blick auf Vergangenheit und heit deutlich erhöhen, sondern auch die dieser Belastungen und der beschränkten Gegenwart sehr hilfreich. So lieferte eine rate steil an. Als Faustregel kann gelten: Alle Entwicklung von Arzneien beschleunigen. Aussagekraft haben sich Fachgesellschaf- Fülle von Studien zur Häufigkeit von De- fünf Lebensjahre verdoppelt sich die Präva- Schließlich könnten derart maßgeschnei- ten wie auch Selbsthilfegruppen eindeutig menzen in der Bevölkerung ein überein- lenz in den folgenden Altersklassen; sie derte Markermoleküle den Wirkort und gegen solche Tests ausgesprochen. stimmendes Bild. Demnach sind diese Er- liegt bei den 65-69-Jährigen bei rund einem 18 Um sicheren Grund zu bekommen, ist Menschen in Deutschland. Ab diesem Alter steigt die Erkrankungs- 19 ZEITLICHE TRENDS ZEITLICHE TRENDS Lebenserwartung (Jahre) stützen sich auf eine plausible Annahme: schen Frauen und Männern nicht. Aufgrund des zu erwartenden medizini- Zwei weitere Informationen lassen sich 85 80 Mädchen 75 unterscheiden sich nach vielen Studien zwi- Jungen 70 aus den statistischen Befunden ablesen: Die Herz-Kreislauf- und Krebsleiden – sie stellen für Deutschland ermittelten Prävalenz- und heute bei alten Menschen die häufigsten Inzidenzraten stimmen sehr gut mit den in Todesursachen dar – werden die Überle- anderen westlichen Industriestaaten er- bensraten und -dauer von Menschen mit mittelten Werten überein. Und über die diesen Erkrankungen spürbar ansteigen. Zeit hinweg betrachtet bleiben die alters65 60 55 schen Fortschritts bei der Behandlung von Im Sommer des Jahrs 2003 legte das Sta- spezifischen Inzidenzraten konstant. Die tistische Bundesamt mit der „10. koordinier- Tatsache, dass Demenzen häufiger werden, ten Bevölkerungsvorausberechnung“ die beruht daher ganz entscheidend auf der derzeit aktuellste Prognose über die Ent- Zunahme der Lebenserwartung. wicklung der Bevölkerung bis zum Jahr 2050 vor. Das Dilemma der Prognostiker, 50 Die Lebenserwartung steigt an 45 dass sich bereits eine geringe Änderung in den Grundannahmen – etwa zur weiteren 40 1901 1924 1932 1949 1960 1965 1970 1975 1980 1991 1996 1998 2020 2035 2050 -10 -26 -34 -51 -62 -68 -72 -77 -82 -93 -98 -2000 Geburtsjahrgänge Innerhalb eines Jahrhunderts stieg die Lebenserwartung in Deutschland um rund 30 Jahre an. Nach der Vorausberechnung des Statistischen Bundesamts wird dieser Trend weiter anhalten. Der „Trichter“ der prognostizierten Entwicklung spiegelt drei mögliche Verläufe wider. Wie enorm sich diese Zeitspanne verändert Zunahme der Lebenserwartung – über ei- hat, zeigt ein Blick auf die Entwicklung in nen jahrzehntelangen Zeitraum betrachtet Deutschland während des 20. Jahrhun- massiv auf das Ergebnis der Vorausberech- derts. So hatten Jungen der Geburtsjahr- nung auswirkt, umschifften die Statistiker gänge 1901 bis 1910 nach der damals gülti- durch einen Kunstgriff: Anstelle einer einzi- gen Sterbetafel eine durchschnittliche Le- gen Prognose, in der sie sich hinsichtlich benserwartung von 44,8 Jahren, Mädchen der Lebenserwartung und anderer Einfluss- Lebensalter (Jahre) 100 95 90 85 80 75 70 65 60 55 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 Männer Frauen Männer Frauen 2001 1910 800 600 400 200 0 200 400 600 800 600 400 200 0 200 400 600 Männer Frauen 2050 600 400 200 0 200 400 600 Bevölkerung (x 1000 Menschen) Von einer typischen Pyramidenform hat sich die Altersstruktur der Bevölkerung in Deutschland bereits heute deutlich entfernt. Die prognostizierte Altersstruktur für das Jahr 2050 zeigt eine weitere Verschiebung zu einer älter werdenden Gesellschaft an. Prozent und klettert bei den über 90-Jähri- der Bevölkerung – oder innerhalb einer be- von 48,3 Jahren. Die zwischen 1998 und faktoren hätten festlegen müssen, berech- Horst Bickel hat auf der Basis dieser macht dies deutlich. So wird nach den Be- gen – je nach Studie – auf 28 bis 40 Prozent. stimmten Bevölkerungsgruppe – während 2000 geborenen Kinder können bei der der- neten sie die Bevölkerungsentwicklung in Prognose und unter Annahme konstanter rechnungen des Statistischen Bundesamts Demnach litten Mitte der 1990er-Jahre in eines Jahrs an der betrachteten Krankheit zeitigen Sterblichkeit hoffen, im Durch- mehreren Varianten oder Szenarios. Erkrankungsraten die Zahl der Demenz- zwar die Einwohnerzahl bis zum Jahr 2050 – Deutschland zwischen 800 000 und 1,1 Milli- neu erkrankt sind. schnitt 74,8 Jahre (Jungen) beziehungs- kranken in Deutschland für das Jahr 2050 je nach Variante unterschiedlich stark – schiedlich steile Verläufe der bis 2050 stei- hochgerechnet. Demnach steigt sie nach von derzeit 82,4 Millionen bis hinunter auf genden Lebenserwartung zugrunde. Da sie der mittleren Variante der Prognose von 67,0 Millionen Menschen sinken. Die Zahl alter Menschen wird indes spürbar steigen. onen Menschen an Demenzen. Für das Jahr Für eine Reihe westlicher Industriestaa- weise 80,8 Jahre (Mädchen) alt zu werden. Diesen Szenarios legten sie drei unter- 2000 berechnete Horst Bickel die Zahl der ten liegen die Demenz-Inzidenzraten vor. Demenzkranken in Deutschland auf der Ba- Demnach steigen sie ähnlich wie die Präva- die durchschnittliche Lebensdauer der auch für die Wanderungsbewegung der Be- heute knapp einer Million auf 2,29 Millio- sis der durchschnittlichen altersklassenspe- lenz mit dem Alter steil an: Die Neuerkran- Menschen in Deutschland um 30 Jahre bei völkerung – also dem zukünftigen Zustrom nen im Jahr 2050 an. Im „ungünstigsten“ zifischen Erkrankungsraten sowie der kungsrate für präsenile Demenzen in der Männern und 32,5 Jahre bei Frauen erhöht. von Menschen nach Deutschland sowie der Fall – dem raschesten Anstieg der Lebens- schen in Deutschland sind heute mindes- gegenwärtigen Einwohnerzahl und Alters- Bevölkerung bis zum 54. Lebensjahr liegt Die Demenzzunahme beruht daher nicht Abwanderung aus Deutschland – drei mög- erwartung – könnten bis zu drei Millionen tens 65 Jahre alt. Ihre Zahl wird – je nach struktur auf 934 000 Menschen. bei 0,01 Prozent pro Jahr. In der Altersgrup- auf einer Epidemie, also nicht auf einer sich liche Entwicklungen unterstellten, umfasst demente Menschen in Deutschland leben. Variante – auf 20,3 bis 23,9 Millionen anstei- Das Gros davon, nämlich 60 Prozent, ist pe der 55-64-Jährigen steigt dieser Wert auf „grippeartig“ ausbreitenden Krankheit, die 10. Vorausberechnung neun Varianten. 80 Jahre oder älter. Ob sich indes der annä- nahezu 0,05 Prozent pro Jahr an. Sie nimmt sondern ist eine Folge davon, dass die Men- Mittels dieser Szenariotechnik gibt man hernd exponentielle Anstieg der Prävalenz- dann bei den 65-69-Jährigen auf etwa 0,4 schen immer länger leben. zwar den Anspruch auf, die zukünftige Ent- rate in den höchsten Altersstufen weiter Prozent pro Jahr zu und klettert bei den fortsetzt, ist ungeklärt. Zum einen werden über 90-Jährigen auf mehr als zehn Prozent selbst bei umfangreichen Untersuchungen Innerhalb eines Jahrhunderts hat sich Rund 17 Prozent oder 14 Millionen Men- gen. Da im selben Zeitraum die Zahl der un- Umsturz der Alterspyramide ter 65-jährigen Menschen in allen Varianten sinken wird, wird sich der Bevölke- wicklung „exakt“ zu erfassen, dafür eröffnet Diese Verzweieinhalb- bis Verdreifachung rungsanteil der alten Menschen bis zum der Trend zum längeren Leben in Zukunft sich ein Spektrum möglicher „Zukünfte“, der Demenzkranken beruht auf einem Ef- Jahr 2050 auf rund 30 Prozent nahezu ver- pro Jahr. Obwohl sich der Anstieg in den Al- weiter fortsetzen wird. Gestritten wird in- innerhalb dessen sich die Bevölkerungsent- fekt, den Statistiker als demographischen doppeln. Bei den höchsten Altersklassen von mehreren Tausend Menschen die Fall- tersklassen über 85 Jahre etwas abflacht, des darüber, wie schnell dies geschehen wicklung bis in 50 Jahren mit hoher Wahr- Wandel bezeichnen. Ein Blick auf den Al- der über 80-Jährigen rechnen die Statistiker zahlen in diesen Altersklassen naturgemäß stützen auch diese Zahlen Horst Bickels we- wird. Manche rechnen mit einer Verlangsa- scheinlichkeit bewegen wird. tersaufbau der Gesellschaft in Deutschland gar mit einer Verdreifachung. sehr klein, zum andern sind Untersuchun- nig tröstliche Einschätzung, wonach ver- mung. Ihr Argument: Die Säuglingssterb- gen an hochbetagten Menschen außeror- mutlich jeder eine Demenz entwickelt, so- lichkeit, deren Rückgang in der Vergangen- dentlich schwierig und erfordern ein hohes fern er nur alt genug wird. heit für einen Teil der steigenden Lebenser- Einig sind sich Statistiker darin, dass sich Maß an Vorsicht und Verantwortung. Aus Schaut man sich das Geschlechterver- dem vorliegenden Datenmaterial folgert hältnis an, so scheinen zunächst Frauen mit dass sie in Zukunft nicht mehr nennenswert Horst Bickel dennoch: „Wahrscheinlich er- einem Anteil von 70 Prozent gegenüber 30 zu einem längeren Leben beitragen wird. krankt fast jeder Mensch an einer Demenz, Prozent Männern ein höheres Demenzrisi- Andere Experten argumentieren, dass wenn er nur alt genug wird.“ ko zu tragen. Tatsächlich beruht das unglei- viele Prognosen in der Vergangenheit die che Verhältnis darauf, dass Frauen eine hö- Zunahme der Lebenserwartung unter- here Lebenserwartung als Männer haben. schätzt haben. Daher plädieren sie dafür, Ihr Bevölkerungsanteil steigt daher von Al- die beobachteten Steigerungsraten einfach Das statistische Risiko, an einer Demenz zu tersklasse zu Altersklasse immer stärker an. fortzuschreiben. Und eine dritte Gruppe erkranken, beschreibt eine zweite Kenngrö- Dass Frauen nicht per se ein höheres Er- von Experten hält für die nächsten Jahr- ße, die Inzidenz- oder Neuerkrankungsrate krankungsrisiko tragen, zeigt der Vergleich zehnte sogar einen rascheren Anstieg der pro Jahr. Sie gibt an, wieviele Menschen in der altersspezifischen Inzidenzraten: Sie Lebenserwartung für möglich. Auch sie Ein Maß für das Risiko 20 Eine typische Alterspyramide mit vielen 100 wartung sorgte, ist inzwischen so gering, 10 jungen Menschen an der Basis und mit klei- Anzahl Menschen mit Demenz Anteil Betroffener (Prozent) ner werdenden Altersklassen darüber wies Prävalenz (Anteil Betroffener in der Altersgruppe) Inzidenz (Zahl der Neuerkrankungen pro Jahr in der Altersgruppe) die Bevölkerung in Deutschland noch im 2 000 000 Jahr 1910 auf. Die beiden Weltkriege und die demographische Entwicklung bis heute sorgten dafür, dass aus der Pyramide heute 1,0 1 000 000 0,1 0 eine „zerzauste Wettertanne“ geworden ist. In den nächsten 50 Jahren wird sich der Altersaufbau in Deutschland zu einer „bau- 40-64 65-69 70-74 75-79 80-84 85-89 90+ chigen Vase“ verformen, deren größter Um2000 2010 2020 2030 2040 2050 Jahr Lebensalter (Jahre) Sowohl die Prävalenz als auch die Inzidenz der Demenz steigt mit zunehmendem Alter der Bevölkerung exponentiell an. fang bei den dann 60-Jährigen liegen wird. Offen ist, ob sich die länger lebenden Bis zum Jahr 2050 wird sich die Zahl der Demenzen in Deutschland mehr als verdoppelt haben. Menschen auch länger an guter Gesundheit erfreuen können oder ob sie die zusätz- 21 ZEITLICHE TRENDS ZEITLICHE TRENDS FOKUS FORSCHUNG Prävention auf dem Prüfstand Lassen sich Demenzen durch das Ausschalten von Risikofaktoren verhindern? Landkreis Dachau Landkreis Ebersberg Eine Voruntersuchung zeigte: In beiden Landkreisen treten Demenzen vergleichbar häufig auf, und auch die Pflegebedürftigkeit ist vergleichbar. Anteil Pflegefälle Häufigkeit Demenzen Alter Alter Lässt sich die Häufigkeit von Schlaganfällen und Demenzen verrin- fall- und Demenzrate unter den Ebersberger Bürgern gegenüber lichen Jahre mit längerer Krankheit und gern, wenn man die Risikofaktoren für das Auftreten dieser Erkran- ihren oberbayerischen Nachbarn nur auf den Erfolg der konsequen- Pflegebedürftigkeit „bezahlen“ müssen. kungen konsequent aufspürt und die betroffenen Menschen adä- ten Erfassung und Behandlung von Risikofaktoren zurückzuführen. Letztere Annahme bezeichnet man als die quat behandelt? Seit März 2001 gehen Forscher mehrerer Kliniken Zu Beginn des Jahrs 2001 informierte die AOK ihre rund 10 500 der Technischen Universität München, niedergelassene Haus- und Versicherten im Landkreis Ebersberg, die damals mindestens 55 Nervenärzte im oberbayerischen Landkreis Ebersberg sowie Mitar- Jahre alt waren, über das spezielle Vorsorgeangebot. Ab März 2001 beiter der AOK Bayern dieser scheinbar simplen Frage nach. Auf konnte sich dieser Personenkreis beim nächsten Hausarztbesuch acht Jahre ist das Kooperationsprojekt INVADE angelegt; die letzten dafür entscheiden, an dem INVADE-Projekt teilzunehmen. Über die Untersuchungen dafür werden im Jahr 2009 stattfinden, und die folgenden zwei Jahre hinweg taten dies insgesamt 3860 Menschen . Endauswertung dürfte dann ein Datum von 2010 tragen. Sie bilden nun die „Interventions-Gruppe“, die über die nächsten Der lange Atem könnte sich lohnen. INVADE („Interventionsprojekt zerebrovaskuläre Erkrankungen und Demenz im Landkreis Ebersberg“) wird diese Frage auf der Basis von mehr als 3800 freiwil- In der Eingangsuntersuchung werden die Teilnehmer gebeten, nen. Das Studiendesign – Fachleute nennen es prospektiv oder „in soll, wie sie ihren Gesundheitszustand subjektiv einschätzen und ob die Zukunft gerichtet“ – gilt als das methodisch strengste Konzept, sie an sich Gedächtnisprobleme oder depressive Verstimmungen um den Nutzen medizinischer Maßnahmen zu prüfen. bemerkt haben. Zudem nimmt der Arzt eine mehrteilige Aufnahsum, dokumentiert Vorerkrankungen, ermittelt, ob bei den Teilneh- bestimmter Erkrankungen erhöhen. INVADE prüft daher folgende mern eine familiäre Belastung für eine der beiden Erkrankungen Hypothese: Wenn es gelingt, beeinflussbare Risikofaktoren durch besteht, misst Blutdruck, Körpergröße und Gewicht, fertigt ein EKG geeignete Behandlungen zu minimieren, dann sollten am Ende die sowie eine Ultraschalluntersuchung der Hirngefäße an, und er behandelten Patienten seltener an den in Frage kommenden Lei- prüft die kognitive Leistung seiner Patienten mit einem Test. gleich großen Zuwachs gesunder Lebensjahre einhergeht, nennt man die Hypothese Länger leben oder länger leiden? Für das „Scheitern des Erfolgs“spricht, dass Frauen mehr Demenzen entwickeln und weil sie im Durchschnitt älter werden als Jeder Teilnehmer in Ebersberg wurde auf das Vorhandensein von neun Risikofaktoren untersucht. Im Ergebnis entstand so ein persönliches Risikoprofil für jeden Teilnehmer. Männer. Andererseits ist der Gesundheitszustand älterer Menschen nicht unveränderbar. So gibt es Länder, in denen die Lebenserwartung verglichen mit der in Deutschland geringer ist, wo die Menschen aber mit längerer Pflegebedürftigkeit rech- Nach den Vorgaben des INVADE-Projektteams bot man jedem Teilnehmer daraufhin eine „maßgeschneiderte“ Behandlung an, die das Erkrankungsrisiko langfristig senken soll. Insgesamt neun beeinflussbare Risikofaktoren werden auf diese nen müssen als hierzulande. Dass zunehmende Lebenserwartung handelte Kontrollgruppe von Weise individuell erfasst, sodass sich für jeden Teilnehmer ein per- Menschen. Der Nutzen vorbeu- sönliches Risikoprofil erstellen lässt. Dieses wiederum dient dazu, gender Maßnahmen zur Risiko- dem Patienten ein für ihn „maßgeschneidertes“ Konzept zur Vor- Untersuchungen zum Aufgeben des Rau- minderung wäre damit belegt. beugung anzubieten, um sein persönliches Risiko zu mindern. Alle chens und zum Effekt des Sporttreibens. Zu- Im Landkreis Ebersberg wer- Laborbefunde sollen helfen, für die Teilnehmer des Projekts im Landkreis Ebersberg ein persönliches Risikoprofil zu erstellen. Lebenserwartung mit einem mindestens länger pflegebedürftig sind als Männer, meuntersuchung vor. Er fragt etwa nach Alkohol- und Nikotinkon- Bluthochdruck – die Wahrscheinlichkeit für das spätere Auftreten den erkranken als eine unbe- 3860 Teilnehmer in Ebersberg erklärten sich bereit, an dem Projekt teilzunehmen. Hausärzte ermittelten per Eingangsuntersuchung und Fragebogen deren Gesundheitszustand. untersucht, betreut und behandelt wird. einen Fragebogen auszufüllen, der etwa Auskunft darüber geben erfreulichere Annahme, wonach die höhere von der „komprimierten Morbidität“. acht Jahre nach den spezifischen Vorgaben des INVADE-Projekts ligen Teilnehmern und anhand klarer Zielpunkte beantworten kön- Aus der Fachliteratur ist bekannt, dass Risikofaktoren – etwa Hypothese vom „Scheitern des Erfolgs“. Die Die über 55-Jährigen in Dachau bilden die Kontrollgruppe im INVADE-Projekt. Den rund 10 500 Versicherten aus dieser Altersgruppe in Ebersberg bot man die Teilnahme an dem Projekt an. zwei Jahre wird die Untersuchung wiederholt, um zu prüfen, ob die den daher die niedergelasse- Teilnehmer auf die Behandlung ansprechen – die Risikofaktoren nen Haus- und Nervenärzte, die also kleiner werden – und um zu dokumentieren, wie sich der Ge- an dem Projekt mitarbeiten, ei- sundheitszustand in der Folgezeit verändert hat. ne Reihe von Risikofaktoren für In Folgeuntersuchungen wird bei jedem Teilnehmer im Abstand von zwei Jahren geprüft, ob die Behandlung zur Risikominderung erfolgreich ist. Ebenfalls im Zweijahresabstand werden die Daten der Kranken- durchaus mit abnehmender Morbiditätsdauer einhergehen kann, zeigen etwa dem wird die Richtung, die der medizinische Fortschritt nehmen wird, die Entwicklung beeinflussen: So bewirkten neue Therapien in der Vergangenheit häufig eine Lebensverlängerung. In Zukunft wird es Schlaganfälle und Demenzen und Pflegekasse sowie des Medizinischen Dienstes aus beiden Land- darauf ankommen, Behandlungsfortschrit- bei ihren Patienten über acht kreisen anonym erhoben. Vor Studienbeginn haben die Koordina- te vor allem bei chronischen Krankheiten Jahre hinweg regelmäßig erfassen und den Teilnehmern die Mög- tionspartner überprüft, dass in beiden Landkreisen gleiche Aus- zu erzielen. Diese sind zwar nicht unbe- lichkeit geben, erkannte Risikofaktoren durch entsprechende Medi- gangsbedingungen herrschen: Eine Vorstudie aus dem Jahr 1998 er- kamente und andere therapeutische Mittel zu minimieren. gab, dass die Neuerkrankungsraten für Schlaganfälle in Ebersberg Der springende Punkt von INVADE ist indes der abschließende und in Dachau identisch hoch lagen und dass auch die Zahl der Pfle- Vergleich der Häufigkeit, mit der Schlaganfälle und Demenzen im gebedürftigen sowie der Grad der Pflegebedürftigkeit in beiden Projektlandkreis Ebersberg gegenüber einem vergleichbaren Land- Landkreisen vergleichbar waren. kreis in Oberbayern während der Studienphase aufgetreten sind. mit den Jahren in Ebersberg zu deutlich weniger Demenzen und ende weniger Menschen wegen einer Demenz oder eines Schlagan- Schlaganfällen kommen als in Dachau. Ein solches Ergebnis brächte falls pflegebedürftig wurden als im Kreis Dachau. zwei Gewinner: Für jeden Einzelnen würde sich ein Weg auftun, etwas gegen diese Krankheiten zu unternehmen, und für die Gemein- Kreisen. Zeigen sich dabei bedeutsame Unterschiede zugunsten schaft der Versicherten würde sich zeigen, dass Vorbeugen nicht von Ebersberg, lässt sich die Eingangsfrage mit einem wissenschaft- nur besser ist als heilen, sondern dass Prävention auch ein probates lich fundierten „Ja“ beantworten. Dann ist die geringere Schlagan- Mittel ist, um Kosten für die Pflege und Behandlung zu sparen. 22 Anteil Pflegefälle Häufigkeit Demenzen Die Prognose bei diesem „in die Zukunft gerichteten“ Konzept lautet: Die Häufigkeit von Demenzen und die Zahl der Pflegefälle sinken unter den Bürgern in Ebersberg gegenüber jenen in Dachau statistisch nachprüfbar ab. Stimmt die Hypothese des INVADE-Projektteams, dann sollte es Ein zweiter Vergleich soll zeigen, ob im Kreis Ebersberg bei Studien- Diese Daten erfasst die AOK unter ihren Versicherten in beiden PROGNOSE dingt tödlich, sie erhöhen aber die Morbiditätsdauer sowie die Dauer und Intensität der Pflegebedürftigkeit. Neue Therapien für solche Krankheiten könnten daher die Dauer und Intensität von Krankheit und Pflegebedürftigkeit senken. Alter Alter Für Horst Bickel steht in diesem Disput zumindest eines fest: „Lebenserwartung ? Im Jahr 2009 wird Bilanz gezogen. Anhand der Versichertendaten in beiden Landkreisen lässt sich dann klären, ob die konsequente Minderung der Risikofaktoren in Ebersberg tätsächlich einen vorbeugenden Effekt gehabt hat. und Dauer der Behinderung oder Pflegebedürftigkeit sind beeinflussbar, und zwar durch Änderungen unseres Gesundheitsverhaltens und durch die gesundheitspolitischen Prioritäten, die gesetzt werden.“ 23 VERLÄUFE VON DEMENZEN VERLÄUFE VON DEMENZEN nen können Ausfälle immer weniger kom- dächtnisses, Probleme bei der räumlich- pensieren. Zu fortschreitenden Einbußen in zeitlichen Orientierung, die Unfähigkeit, einem Bereich – etwa dem Erinnerungsver- Wahrgenommenes korrekt zu verarbeiten mögen – kommen Störungen in anderen (Agnosie) oder Schwierigkeiten, Objekte Bereichen – etwa eine Gangunsicherheit richtig zu benennen (Aphasie). Ein zweites Symptombündel umfasst oder eine Inkontinenz – hinzu. Der Abbau beschleunigt sich und erfasst im Endsta- den affektiven Bereich, also die Gefühlslage dium schließlich alle Symptombereiche. der Erkrankten, und das Verhalten. Die häufigsten affektiven Störungen sind depressi- Bei der VAD hingegen verschlimmern sich die Symptome oft stufenweise. Eine ve Verstimmungen sowie Angst und Unru- plötzlich auftretende Störung – etwa im he (Agitiertheit). Affektive Störungen treten Sprachvermögen – bleibt über Monate oder meist nur vorübergehend auf. Verhaltensstörungen prägen sich hinge- Jahre unverändert bestehen oder bessert sich sogar ein wenig. Danach – auch dies gen oft dauerhaft aus und sind meist der meist in zeitlicher Nähe zu einer weiteren Hauptgrund dafür, weshalb Angehörige Gefäßschädigung – erlebt der Betroffene den Umgang mit Dementen und ihre Pflege eine erneute, plötzlich einsetzende Ver- als belastend, verletzend und häufig auch schlechterung im bereits vorhandenen als frustrierend oder beschämend empfin- oder in einem anderen Symptombereich. den. Diese Verhaltensstörungen können Falsche Handlungsketten – hier zum Beispiel beim Ankleiden – können Ausdruck einer Demenzerkrankung sein. den Demenzkranken so stark in seiner Per- Der dritte Symptombereich umfasst Schweregrade bei Demenzen, nämlich sönlichkeit verändern, dass selbst nahe An- Probleme der Beweglichkeit und der moto- Vielfältige Krankheitsbilder leichtes, mittelgradiges und schweres Sta- gehörige kaum glauben mögen, noch ein rischen Steuerung. Manche Demenzkranke dium. Jede dieser drei Phasen dauert bei der und dieselbe Person vor sich zu haben. entwickeln ähnliche Bewegungsstörungen Es gibt mehr als 50 Formen von Demenz Generell unterscheiden Mediziner drei Die Krankheitsbilder der Demenz – ein Die meisten Demenzen beginnen für die Demenzkranke können etwa leicht reiz- AD in der Regel zirka drei Jahre. Allerdings wie Menschen mit einer Parkinsonerkran- gibt es selbst innerhalb dieser häufigsten bar, aggressiv oder „zänkisch“ werden; im kung. Es kann zu Gangunsicherheiten bis Demenzform beträchtliche individuelle Extremfall brüskieren sie andere durch un- hin zu häufigen Stürzen kommen. Eine Unterschiede. Auch bei LBD, VAD und FTD angemessenes Verhalten, etwa einer se- Inkontinenz kann ein Ausdruck dafür sein, schwankt die Krankheitsdauer beträcht- xuellen Enthemmung oder einer extrem dass die Muskelkontrolle durch den Scha- lich: Manche Erkrankte sterben bereits derben Sexualsprache. In manchen Fällen densprozess im Hirn gestört ist. nach zwei Jahren, andere überleben zehn beschuldigen sie Angehörige und Pfleger Jahre. Die CJD führt hingegen sehr rasch des Diebstahls, beschmieren das Bett mit zum Tod; die meisten Erkrankten sterben Kot, entwickeln einen Zwang, eigene wie nach sechs bis zwölf Monaten. fremde Gegenstände anzufassen oder neu Nicht bei jeder Demenz zeigen sich all die zu arrangieren (bis hin zum Ladendieb- genannten Symptome, und nicht alle Symp- stahl). Wieder andere Erkrankte erkunden tome einer Demenz entwickeln sich gleich- essbare wie nicht essbare Gegenstände mit zeitig. Zwischen den einzelnen Demenzfor- Jede Demenz ist anders Oberbegriff, unter dem Mediziner mehr als Erkrankten wie für die Menschen ihrer Um- 50 Formen zusammenfassen – sind ausge- gebung kaum merklich. Dies trifft etwa für sprochen vielfältig. Selbst innerhalb einer die AD, für die Lewy-Körperchen-Demenz Form, etwa der Alzheimer-Demenz (AD), (LBD), die Frontotemporale Demenz (FTD) Demenzkranke müssen nicht nur mit Stö- dem Mund, sodass es vorkommen kann, men bestehen indes beobachtbare „Ver- entwickelt und äußert sich die Krankheit und die Demenz nach einer Creutzfeld-Ja- rungen im kognitiven Bereich rechnen. dass sie statt Tee einen Haushaltsreiniger schiebungen“ im Gesamtbild der Sympto- von Person zu Person sehr unterschiedlich. kob-Erkrankung (CJD) zu. Da die Betroffe- Hierzu zählen Beeinträchtigungen des Ge- ins Glas gießen und probieren. me aus allen drei Bereichen, sodass deren Diese Streubreite ist einer der Gründe dafür, nen auftretende Defizite zu Beginn der Er- weshalb es so schwierig ist, eine Demenz im krankung meist noch „ausbügeln“ können, Frühstadium zu diagnostizieren, vor allem fällt die Veränderung weder ihnen noch ih- aber zu entscheiden, welche Form der De- rer Umwelt auf. Anders äußern sich ledig- menz vorliegt und mit welchem Verlauf lich vaskuläre Demenzen (VAD): Ihnen lie- man zu rechnen hat (siehe auch ab S. 14). gen Gefäßschädigungen zugrunde, die Jeder Versuch, die einzelnen Demenz- meist plötzlich auftreten. Daher äußern formen anhand der beobachtbaren Symp- sich bei VAD auch die Demenzsymptome tome voneinander abzugrenzen, beruht häufig schlagartig. Drei Symptombereiche Kognitive Leistung (Prozent) Beeinträchtigung einzelner Funktionen im Krankheitsverlauf 100 Alzheimer-Demenz Vaskuläre Demenz Demenz bei CreutzfeldJakob-Erkrankung 75 max. Kognition Stimmung Verhalten Mobilität 50 daher auf Aussagen, dass diese bei einer bestimmten Demenzform „eher selten“, Schleichend oder stufenweise 25 „meist erst später“ oder „häufig als erste“ im 24 Krankheitsverlauf auftreten. Es handelt sich Wie beim Beginn unterscheiden sich auch also um statistische Aussagen, die zwar „in hier AD, LBD, FTD und CJD von den vaskulä- der Regel“ – also für die Mehrzahl der Men- ren Demenzformen. Bei ersteren verschlim- schen mit einer bestimmten Demenz – zu- mern sich die Symptome in der Regel schlei- treffen, nicht aber notwendigerweise für chend aber kontinuierlich. Allmählich wer- den einzelnen, konkreten Fall. den die Verluste offenbar und die Betroffe- 0 min. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Erkrankungsdauer (Jahre) Der Abbau kognitiver Leistungen verläuft bei unterschiedlichen Demenzformen verschieden rasch und auch nicht immer stetig – so etwa bei den vaskulären Demenzen. leicht mittelschwer schwer Grad der Demenz Im Verlauf der Erkrankung – hier gezeigt am Beispiel der Alzheimer-Demenz – können jeweils andere Symptombereiche in den Vordergrund treten. 25 VERLÄUFE VON DEMENZEN VERLÄUFE VON DEMENZEN FOKUS FORSCHUNG Testfall „Hamburger Modell“ Der Einfluss der Betreuung auf den Demenzverlauf Gerade letztere Frage wirft ein Problem auf: Die oft Schwerst- Reihenfolge und Ausprägung zumindest kranken direkt zu befragen, scheidet mangels Kommunikations- ein Indiz dafür liefern, um welche Demenz- fähigkeit zwar aus, aber dieses Merkmal durch eine andere Person form es sich handeln könnte. beurteilen zu lassen, scheint dem persönlichen Gutdünken unter- So betreffen die ersten Symptome einer worfen und somit wissenschaftlich wenig aussagekräftig. Doch AD in der Regel den kognitiven Bereich; der Martina Schäufele relativiert diese Bedenken: „In den letzten Jahren Kranke entwickelt Lücken im Kurzzeit- haben Gerontologen Befragungsinstrumente entwickelt, die be- gedächtnis oder bekommt Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Bei einer beginnenden LBD ist hingegen das Kurzzeitgedächtnis oft noch intakt. Dafür macht sie sich zuerst vor allem durch optische Halluzinationen – meist beim Aufwachen – bemerkbar. Bei Menschen mit einer beginnenden FTD äußert sich dies häufig zuerst an Persönlichkeitsveränderungen: Sie brüskieren ihre Mitmenschen durch unangemessenes Verhalten oder kleiden sich bizarr; sie verlieren das Interesse an sozialen Kontakten und werden apathisch. Das Erinnerungsvermögen, die Fähigkeit zum Rechnen oder das Wahrnehmungs- und Orientierungs- Dank eines verbesserten Personalschlüssels beim „Hamburger Modell“ haben die Pflegekräfte mehr Zeit, sich über die notwendige Pflege hinaus den Demenzkranken zu widmen. Die Sprachkommunikation von Demenzkranken ist häufig zuerst gestört. Geeignetere Kommunikationskanäle bieten ihnen hingegen Gerüche, Bilder, Töne, Musik oder Berührungen. Durch das gezielte Aufgreifen von früheren Alltagsroutinen – etwa das Backen eines Kuchens – kann man einem Demenzkranken oft eine befriedigende Beschäftigung anbieten. vermögen bleiben dagegen deutlich länger „Sie dürfen keine Wunder erwarten, aber die Art der Betreuung falls das Sozialamt aufkommen müssen. Die Pflegeheime, die bis zu stimmte Aspekte der Lebensqualität auf der Ebene beobachtbaren nungsbild sind vaskuläre Demenzen. Je sorgt für deutliche Unterschiede im täglichen Leben eines Demenz- 750 Demenzkranke im Rahmen des „Hamburger Modells“ betreu- Verhaltens erfassen.“ So wird etwa danach gefragt, wie häufig die nachdem, welches Hirnareal durch einen kranken.“ Prof. Siegfried Weyerer, Leiter der Psychogeriatrischen en, sollen über die gesamte Woche hinweg den dementen Bewoh- Demenzkranken in den beiden zurückliegenden Wochen durch Gefäßschaden betroffen ist, treten Sprach- Arbeitsgruppe am Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Ge- nern spezielle Aktivierungs- und Betreuungsprogramme anbieten. Mimik, Gestik oder Sprache Gefühle wie Freude, Wut oder Angst probleme, Halluzinationen, Stürze oder zeigten; wie häufig sie Interesse an Dingen oder Personen zeigten, auch eine Inkontinenz auf. Erinnerungs- erhalten als bei Patienten mit AD. Ausgesprochen variabel im Erschei- sundheit (ZI) warnt vor überzogenen Hoffnungen. Sein Team enga- Die nach dem „Hamburger Modell“ betreuten Menschen mit De- giert sich in einem Forschungsprojekt, in dem es darum geht, den menz wurden nun mit Mannheimer Pflegeheimbewohnern ver- sich anderen Heimbewohnern zuwandten und den Kontakt mit ih- schwächen betreffen bei Menschen mit Einfluss verschiedener Betreuungskonzepte auf das Wohlbefinden glichen, die ein ähnliches Krankheitsstadium aufweisen. Dabei nen suchten. In Kontrolluntersuchungen haben die Mannheimer VAD häufiger das so genannte deklarative und das Verhalten von Menschen mit Demenzen zu erfassen. zeigte sich: Die demenzkranken Bewohner in Hamburg wurden im Forscher zeigen können, dass Pflegepersonen beobachtbares Ver- Vergleich zu der Gruppe in Mannheimer Pflegeeinrichtungen halten zuverlässig beurteilen können. Schließlich zählen die Betreu- Weyerer und seine Mitarbeiterin am ZI in Mannheim, Martina Schäufele, sind Projektleiter der Studie „Evaluation der besonderen Dementenbetreuung in Hamburg“. Eine wesentliche Komponente dieses vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützten Forschungsprojekts ist ein Vergleich zwischen Demenzkranken, die in speziellen Pflegeeinrichtungen in Hamburg leben, mit Demenzkranken, die in Mannheimer Pflegeheimen stationär untergebracht sind. Letztere werden – wie in häufiger gerontopsychiatrisch versorgt und sachgerecht medikamentös behandelt; sie nahmen häufiger an psychosozialen und kompetenzerhaltenden Aktivitäten teil und in Hamburg wurden freiheitseinschränkende Maßnahmen wesentlich seltener angewendet als in Mannheim. Diese Unterschiede, so Weyerer, dürften dazu beigetragen ha- er für die Demenzkranken zu den wichtigsten Ansprechpartnern und Bezugspersonen. Schaut man sich den insgesamt 18-seitigen Fragebogen genauer an, so fällt auf, dass dieses Prinzip der Informationsbeschaffung auch beim Erfassen schwieriger Fragen wie des Medikamentengebrauchs beachtet wurde. So wird nicht etwa danach gefragt, ob der Heimbewohner viel oder eher weniger an Schlafmitteln oder Deutschland üblich – integrativ betreut; das heißt, sie leben ge- ben, dass die Hamburger Bewohner im Vergleich zu Mannheim Psychopharmaka erhalten hat, sondern die Pflegekräfte sollen mit meinsam mit nicht-dementen Menschen in Pflegeheimen, in denen häufiger positive Affekte wie Freude und Interesse zeigten. Unterstützung der Pflegedokumentation präzise notieren, welche es kaum spezielle Angebote für Menschen mit Demenz gibt. In der Hansestadt Hamburg dagegen haben 1999 der Senat, die „Gemessen“ wurden diese Parameter mit Hilfe eines von den Mannheimer Forschern zusammengestellten Fragebogens, den die Medikamente ein Bewohner wie oft, in welcher Dosis und über welchen Zeitraum erhalten hat. Träger der Kranken- sowie Pflegeversicherung und die Träger der qualifizierten Pflegekräfte für jede demente Person ausfüllten, die dortigen Altenpflegeeinrichtungen eine „Vereinbarung über die an der Studie teilnahm. In diesem Fragebogen geht es um soziode- eindeutige Angaben werden die Pflegekräfte auch zum Auftreten besondere stationäre Dementenbetreuung“ getroffen. Das „Ham- mographische Merkmale der Heimbewohner, um Informationen zu definierter psychischer Störungen oder Verhaltensauffälligkeiten burger Modell“ ist für eine exakt umrissene Zielgruppe unter den ihrer medizinischen Versorgung, zu Art und Umfang von Alltags- befragt. Siegfried Weyerer formuliert es so: „Je verhaltensnäher Sie Demenzkranken gedacht, nämlich solchen, die zwar nicht bett- aktivitäten und speziellen Betreuungsangeboten, die ein Heimbe- fragen, desto zuverlässiger sind die Antworten.“ Verhaltensnah Gedächtnis – sie vergessen etwa Namen von lägrig aber aufgrund ihrer Demenz nach den Kriterien der Pflege- wohner noch ausführen kann beziehungsweise an denen er teil- heißt dabei zum Beispiel auch, dass man fragt, wie viele Meter der ihnen nahestehenden Personen. Bei Men- versicherung der Pflegestufe 2 oder 3 zuzuordnen sind und die nimmt. Es gibt Fragen dazu, welche psychischen Störungen und Erkrankte selbstständig gehen kann, und nicht, ob er sich noch gut, schen mit einer AD ist indes häufiger das besonders starke Verhaltensauffälligkeiten entwickelt haben. Verhaltensauffälligkeiten wie häufig auftreten, wie häufig es zu mäßig oder schlecht fortbewegen kann. prozedurale Gedächtnis betroffen – sie Für diese Menschen bieten 30 Hamburger Pflegeheime eine Stürzen kommt, wie häufig Sicherheitsvorkehrungen sowie frei- Nach konkreten Situationen und mit der Bitte um quantitativ So umschiffen die Forscher das Problem, dass für den einen Be- Die Computergrafik zeigt die von der Alzheimer-Demenz betroffenen Hirnareale im Abstand von jeweils sechs Monaten. schaffen es nicht mehr, Alltagsroutinen zu Betreuung an, die speziell auf die Bedürfnisse von Menschen mit heitseinschränkende Maßnahmen angewendet werden, welche so- fragten „das Glas halb leer“ und für den anderen dasselbe aber bewältigen und sie in der richtigen Reihen- Demenz zugeschnitten ist. Für dieses „Plus“ an Leistung dürfen sie zialen Kontakte die Erkrankten haben und wie das Pflegepersonal „halb voll“ ist. Die Angaben der befragten Personen werden damit folge zu organisieren. Beispielsweise ziehen dann einen um zirka 500 Euro pro Monat höheren Pflegesatz be- bestimmte Merkmale der Lebensqualität – etwa positive Gefühls- besser vergleichbar. Und dieses Vorgehen trägt dazu bei, die Versor- sie sich beim Ankleiden zuerst Rock oder rechnen, für den der Erkrankte, seine Angehörigen und gegebenen- äußerungen und Aktivitäten der Heimbewohner – einschätzt. gungssituation Demenzkranker möglichst realitätsnah abzubilden. Hose an, bevor sie zur Unterwäsche greifen. 26 27 KRANKHEITSERLEBEN KRANKHEITSERLEBEN Der Abenddämmerung entgegen Die Demenz aus der Sicht der Erkrankten Mit einem offenen Brief über seine beginnende Demenzerkrankung trug Ronald Reagan das Thema Alzheimer in die Öffentlichkeit. Sonst gibt es nur wenige Zeugnisse, in denen Demenzkranke ihre Situation schildern. Ronald Reagan Rita Hayworth Es war wohl eine der schwierigsten Ent- Nancy.“ Doch auch solche Episoden waren durch das Schicksal der amerikanischen sie damit umgehen können. Viele von ih- meiner Seele, / die Bitternis zu schlucken, / scheidungen des ehemaligen US-Präsiden- bald Geschichte. Im Dezember 2003 berich- Schauspielerin Rita Hayworth, die unter nen reagieren gereizt und aggressiv oder ein gebrochenes, schon schales Leben. / ten Ronald Reagan, als er am 5. November teten amerikanische Medien, der nun 92- dem Beinamen „Love Goddess“ in den entwickeln Depressionen. Die Zeitspanne, 1994 einen offenen Brief an seine Landsleu- Jährige könne nicht mehr alleine essen und 1940er-Jahren das Sexsymbol der Filmindus- in der sie geistig noch in der Lage sind, über te schrieb. „Man hat mir vor kurzem gesagt, nicht mehr sprechen. Nur „die Zähigkeit trie war. 1981 erkrankte sie an Alzheimer ihr Schicksal zu reflektieren, verkürzt sich dass ich einer von Millionen Amerikanern seiner Seele“ lasse ihren Vater weiterleben, und geriet dadurch nochmals ins Visier der von Tag zu Tag – und deshalb ist es nicht ver- in einem Menschen vorgehen kann, der mit mit der Alzheimer-Krankheit bin“, teilte der wurde Reagans Tochter Patti Davis zitiert. Ich suche Ruhe und Frieden, / eine Erfüllung, / doch nirgendwo komme ich an.“ Diese wenigen Zeilen lassen ahnen, was Boulevardjournalisten – als eine Verwirrte, wunderlich, wenn es nur wenige Selbster- einer solchen Krankheit konfrontiert wird. Nach zehnjähriger Krankheit starb die leere Ginflaschen in Nachbars Garten fahrungsberichte Demenzkranker gibt. Fischer selbst findet in der Düsternis, die Reagan der Öffentlichkeit mit, nachdem die Ronald Reagan Anfang Juni 2004 in seiner warf und verwahrlost durch Beverly Hills Eines der wenigen schriftlichen Zeug- unheilvolle Diagnose bei einer Gesund- kalifornischen Heimat und wurde seinem irrte. Nach mehrjährigem Leiden war die nisse stammt von dem evangelischen Theo- Rückhalt im Glauben. In seinem Text heitsuntersuchung gestellt worden war. Wunsch entsprechend bei Sonnenunter- einstige Filmdiva geistig völlig umnachtet logen Manfred Fischer. Er hat 1998 unter „Wenn die Stunde naht“ beschreibt er seine gang beigesetzt. und starb im Frühjahr 1987. dem Titel „Lied eines Tages – Psalmen für kleiner werdende irdische Welt, aber auch Durch das Schicksal von Ronald Reagan das Leben“ ein bemerkenswertes Buch ver- seine persönliche Hoffnung und Gewissheit und Rita Hayworth, aber auch von anderen öffentlicht. In diesem hat er nicht nur eine auf ein Dasein danach: Prominenten wie dem Musiker Helmut Za- Reihe biblischer Psalmen und Verse in heu- „Herr bleibe bei mir, / denn ich spüre, / seit sechs Jahren im Ruhestand lebende Er und seine Frau Nancy, so der ehemalige Schauspieler, Gouverneur und Präsident, hätten sich gründlich überlegt, ob sie mit Die Krankheit öffentlich gemacht dem Befund an die Öffentlichkeit gehen ihn mehr und mehr umgibt, Kraft und sollten. „Indem wir unsere Herzen öffnen, Aus heutiger Sicht kann der Abschiedsbrief charias, dem früheren Fußballbundestrai- tiger Sprache neu gefasst, sondern auch ei- meine Zeit geht zu Ende, / Krankheit durch- hoffen wir, dass dies ein größeres Bewusst- Ronald Reagans an die Bevölkerung der ner Helmut Schön, dem Politiker Herbert gene kurze Texte zu „tiefsten menschlichen dringt / meinen Leib, / verkrümmt und verun- sein für diese Krankheit schafft... Vielleicht Vereinigten Staaten als eine seiner größten Wehner, dem Regisseur Otto Preminger Erfahrungen“ niedergeschrieben. staltet mich. / Meine Welt ist zusammenge- verbessert es das Verständnis für die Betrof- Leistungen bezeichnet werden. Denn mit oder dem Maler Willem de Konning hat die fenen und ihre Familien“, notierte der einst- ihm hat es der 40. US-Präsident, dessen poli- Alzheimer-Demenz zunehmend Aufmerk- mals mächtigste Mann der Welt. Sein Brief tischer Kampf gegen das „Böse“ nicht un- samkeit erlangt. Trotzdem wird die Krank- endet mit den Worten: „Ich beginne jetzt umstritten war, geschafft, das Thema Alz- eine Reise, die mich in die Abenddämmerung meines Lebens führt.“ Auf dieser Reise verlor der einst begna- schrumpft / auf ein paar Schritte (tappende) / Psalmen für das Leben zwischen Bett und Tisch und Gang. / ... heit auch heute noch häufig hinter Begrif- Zu dieser Zeit wusste der im Ruhestand le- wenn es zu Ende geht. / Ich sehe Riesenschat- heimer auf die Tagesordnung zu setzen und fen wie etwa Cerebralsklerose (Verkalkung bende Pfarrer bereits um seine beginnende ten / in mein Zimmer stürzen, / die Last ver- ein Stück weit zu enttabuisieren. Demenz- der Hirnblutgefäße) versteckt. Demenzerkrankung und hat seine Gefühle geudeter Tage. / Noch höre ich Stimmen / in und Empfindungen dazu schriftlich festge- meiner Einsamkeit, / Menschen, die ich liebe, / erkrankungen waren (und sind) etwas, was Dies liegt zum einen daran, dass nicht Herr bleibe bei mir, / umfange mich, / dete Selbstdarsteller nach und nach seine Betroffene und ihre Angehörigen nur un- alle Ärzte die Diagnoseverfahren ausrei- halten. In den ersten Zeilen seines „Klage- die ich ersehne, / phantasiere ich auf den Sprache, sein Gedächtnis und auch die gern in die Öffentlichkeit tragen, auch chend beherrschen oder sich scheuen, den Psalms“ heißt es: Stuhl / an meinem Bett – eine Hand sollte Fähigkeit, Freunde und Familienmitglieder wenn das Krankheitsbild schon seit knapp Angehörigen oder gar Patienten die Di- zu erkennen. Im Januar 2002 schrieb ein einem Jahrhundert bekannt ist. agnose mitzuteilen. Doch auch Angehörige verhangenen Stunden / schweige ich gen vermeiden es oft lange Zeit, die Krankheit Himmel / und bleibe stumm. / Mir hat es wenn die Stunde da ist, / fortzugehen. / Ich Wirtschaftsmagazin: „Stundenlang angelt 28 Helmut Schön Der Psychiater Alois Alzheimer hat 1906 „Versunken im einsamen Dunkel, / in den mich halten. Herr bleibe bei mir, / lass mich nicht los, / Ronald Reagan Blätter aus dem Pool seines auf der „37. Tagung Südwestdeutscher beim Namen zu nennen, weil sie eine Isolie- meine Sprache verschlagen, / mein Gedächt- weiß, du wirst / meinen nichtigen Leib / ver- Hauses in Los Angeles – ohne zu merken, Irrenärzte“ in Tübingen den klinischen und rung in der Gesellschaft befürchten. nis schwindet / verloren bin ich in einem / wandeln und verklären.“ dass die Agenten des Secret Service sie hin- pathologischen Befund der geistig verwirr- ter dem Rücken des ehemaligen US-Präsi- ten Auguste D. beschrieben und wurde so den Diagnose den Betroffenen selbst be- denten wieder ins Wasser fegen. Das einzi- zum Namensgeber der Alzheimer-Demenz. ge Gesicht, das der an Alzheimer erkrankte Doch so richtig ins Bewusstsein der breiten 90-Jährige noch erkennt, ist das seiner Frau Bevölkerung rückte die Krankheit erst Und dass es nach der niederschmettern- Getto des Schweigens. / Das Pendeln zwischen Hoffnung und Ich kann mich nicht mehr äußern. / Im Niedergeschlagenheit im frühen Stadium sonders schwer fällt, über ihre Krankheit zu Dunkel des Gedächtnisses der Wortlosigkeit / der Alzheimer-Demenz beschreibt auch die reden, ist verständlich. Sie wissen zwar um suche ich meine Erinnerung und Sprache. / Amerikanerin Diana Friel McGowin, bei der deren Unabänderlichkeit, aber nicht, wie Doch bleibt das Eine – / das Aufbegehren die Krankheit bereits im Alter von 45 Jahren 29 KRANKHEITSERLEBEN KRANKHEITSERLEBEN EINBLICK festgestellt wurde. Ihr 1994 erschienenes sen, mein Schicksal wieder in die eigene meinen Nerven. ... In mein Benehmen hatte Buch „Wie in einem Labyrinth“ ist wohl die Hand zu nehmen“, hält sie dazu in ihrem sich ein gewisser Zwang geschlichen, der einzige ausführliche (und zugleich aber Selbstbericht fest. dazu führte, dass ich mich mehrmals täg- auch untypische) Selbstbeschreibung einer Auf der Suche nach einem Neurologen stößt sie im Branchentelefonbuch von Tageszeit wir hatten und wo sich meine Schilderung endet, als bei der Patientin das Orlando auf eine Anzeige der Alzheimer- Handtasche und andere Habseligkeiten be- mittlere Stadium der Krankheit beginnt. Gesellschaft, die ihr einen Spezialisten emp- fanden.“ „An guten Tagen“, so heißt es gegen Schluss ihres Buchs, „bin ich voller Hoff- Die Geschichte von Herrn B. Jede Demenzerkrankung verläuft unterschiedlich, sowohl von der zeitlichen Dauer her gesehen als auch vom persönlichen Krank- lich vergewisserte, welches Datum, welche Alzheimer-Kranken. Die beeindruckende fiehlt. „Der früheste Termin, den ich bekom- „Obwohl ich seit Jahrzehnten keine Schneeflocken mehr gesehen habe, spüre ich sie jetzt auf meiner Zunge“ Während sich der Aktionskreis und die men konnte, lag im nächsten Monat. ... sozialen Kontakte allmählich verringern, Optimistisch kehrte ich an meine Arbeit im wächst die extreme psychische Belastung. Büro zurück, doch schon nach wenigen Als Jugendliche hat Diana McGowin eine Tagen ließ meine positive Einstellung merk- klassische Pianistenausbildung erhalten, lich nach. Mir unterliefen Fehler, und da ich und das Klavierspielen diente ihr „als beru- eine Perfektionistin war, wurde ich wütend higende Therapie und als unterhaltsames habe, wie in Floridas Lotterie zu gewinnen: auf mich selbst. Ich vergaß doch tatsächlich Hobby“. Doch auch dies geht nun verloren. nämlich eins zu fünfzehn Millionen. zwei wichtige Termine in den Kalender des Sie bemerkt, wie es ihr immer schwerer Anwalts einzutragen... Auch anderen war fällt, Noten zu lesen oder sich an ihre Lieb- nung und Entschlossenheit, mein gegenwärtiges Niveau zu halten, bis die medizinische Forschung ihren großen Durchbruch gelandet hat. An schlechten Tagen wird mir klar, dass ich ungefähr dieselbe Chance Das sind die Zeiten, in denen ich mich heitsverlauf. Trotzdem treten in den meisten Fällen typische Symp- besonders allein und entsetzlich wertlos mein Zustand mittlerweile aufgefallen, und lingsstücke und -komponisten der Klassik tome und Verhaltensweisen auf, wie das Beispiel des an Alzheimer fühle. ... Ich empfinde meinen mangelnden man sprach mich auf meine Zerstreutheit zu erinnern. Sie versucht es mit Pop und erkrankten Herrn B. zeigt. Selbstwert immer dann am stärksten, wenn an. Schritt für Schritt verschlimmerte sich Country-Music, „aber auch das nützte ich in größeren Gruppen bin. Es macht mein Zustand.“ nichts mehr. Meine musikalischen Fähig- 1983 kommt es bei Herrn B. erstmals zu Störungen der Merkfähigkeit und des Kurzzeitgedächtnisses. Er verlegt immer häufiger mich völlig fertig, mich in einer Menschen- alltägliche Gegenstände; oft beschuldigt er seine Frau, dies getan menge oder selbst auf einer geschäftigen innern, auf welchem Stockwerk ihr Büro zu haben. Der 70-Jährige hat zunehmend Schwierigkeiten mit Auf- Durchgangsstraße zu bewegen. Alle diese liegt oder wo sie ihr Auto geparkt hat. In Statt selbst zu musizieren, bleibt ihr nur gaben, die geistige Umsicht und Planung erfordern. Er wirkt öfter ‚verdienstvollen’ Menschen, die ein Ziel dieser Phase entwickelt sie eine Vermei- noch das Musikhören. Auch sonst muss sie interesselos, mürrisch und unausgeglichen. haben – die wissen, wohin sie gehen. dungsstrategie, um den ihr bewussten früher selbstverständliche Aktivitäten ein- Problemen und Schwierigkeiten aus dem schränken und plagt sich deswegen mit ei- 1986 wird die Erkrankung immer deutlicher; die räumliche und Sie kann sich eines Tages nicht mehr er- Trotzdem hocke ich immer noch freiwil- keiten waren mir bereits völlig abhanden gekommen“. die zeitliche Desorientierung sind auch für Außenstehende nicht lig allein zu Hause und leide schrecklich un- Weg zu gehen. Sie kündigt ihre feste nem schlechten Gewissen herum: „Schuld- mehr zu übersehen. Herr B. verirrt sich auf dem Nachhauseweg von ter meiner Einsamkeit. Das Radio und der Arbeitsstelle und beginnt bei einer Zeit- gefühle umstellten mich wie eine Horde der Bushaltestelle, er kann kein Geld mehr zählen und sich kaum Fernsehapparat schweigen. Ich befinde arbeitsagentur. „Ich dachte mir, dass von ei- Feinde, als ich schließlich damit anfing, Si- etwas merken. Die Tageszeiten und Wochentage bringt er ständig mich in der Schwebe. Irgendwo in der Nähe ner nur kurzfristig angestellten Assistentin tuationen zu vermeiden, bei denen ich von durcheinander. liegt meine immer präsente Liste, die mich niemand erwarten würde, dass sie sich in je- vornherein zum Scheitern verurteilt war.“ daran erinnern soll, was ich heute erledi- dem Gebäude oder Büro genau auskannte bemerkbar. Herrn B. fallen häufig die richtigen Worte nicht ein, gen muss. Aber ich kann sie nicht finden. oder jeden Angestellten vom Sehen kennen entgleitet, findet sie – wie viele Demenz- beim Sprechen verliert er oft den Faden. Er kann nur noch in Beglei- Ich beschließe, die Wäsche zu waschen, und müsste. Sollten mir hier Fehler unterlaufen, kranke – zunehmend Trost in Erinnerungen tung fortgehen, um sich nicht zu verirren. Seine handwerklichen finde mich draußen im Garten hinter dem würde das nur natürlich erscheinen.“ Eine an Vergangenes. „Meine Kindheit ist mir so Hobbies gibt er auf, komplexe Bewegungsabläufe mit der Hand Haus wieder, schmutzige Wäschestücke in Zeit lang geht dies gut, und sie findet auch präsent, dass ich tatsächlich noch den Ge- fallen ihm schwer. Sein Selbstwertgefühl und seine Selbstständig- der Hand. Wie bin ich dort hingekommen? Lösungen für ihre zunehmenden Orientie- ruch der kleinen Stadtbücherei in der Nase keit leiden zunehmend. Bei Schwierigkeiten gerät er in Wut, ist de- Wie komme ich wieder zurück?“ rungsprobleme. Auf dem Heimweg gibt sie habe, in der ich damals so viele Stunden ver- sich an Tankstellen als Touristin aus und brachte. ... Obwohl ich seit Jahrzehnten kei- lässt sich den Weg nach Hause zeigen. ne Schneeflocken mehr gesehen habe, spü- 1987 macht sich die Alzheimer-Erkrankung auch in der Sprache primiert oder beschuldigt zu Unrecht andere Menschen. 1988 kann Herr B. keine Rolltreppen mehr benutzen, weil seine Wütend auf sich selbst Neben diesen erfolgreichen Phasen Fähigkeit, Bewegungen zu koordinieren stark eingeschränkt ist. 1989 schreitet der Sprachverfall voran. Herr B. vergisst, Sätze zu beenden, und kann sich kaum mehr ausdrücken. In dem Maß, in dem ihr die Gegenwart re ich sie jetzt auf meiner Zunge.“ Im Gegensatz zu den meisten Patienten er- schildert sie immer wieder Perioden von Ohne ihre aktive, extrovertierte Lebens- lebt McGowin die diagnostische Klärung Trauer und Verzweiflung, aber auch Wut grundhaltung und ihr vergleichsweise jun- ihrer Krankheit als einen selbstbestimmten auf sich selbst. Geprägt sind diese Abschnit- ges Alter wäre es Diana McGowin sicherlich nieren und hat Probleme, aus der Badewanne zu steigen. Wenn er Prozess. Nachdem sie wegen Gleichge- te vor allem von Angst, Unsicherheit und nicht möglich gewesen, das lang andauern- Hilfeleistungen nicht richtig einordnen kann, reagiert er aggressiv. wichtsstörungen und einiger Gedächtnis- der ungeheuren Anstrengung, den Alltag de Frühstadium ihrer Alzheimer-Demenz Er erkennt Alltagsgegenstände nicht mehr oder benutzt sie falsch, aussetzer untersucht worden war, emp- zu meistern. „Ich litt oft unter vielen unbe- zu schildern und der Krankheit so viel Paroli so bemalt er mit einem Lippenstift die Wände. Sein Verhalten fiehlt der Arzt Beruhigungsmittel, Antide- gründeten Ängsten und ließ mich von Hor- zu bieten. „Mittlerweile“, schreibt sie im nimmt immer mehr kindliche Züge an. Frau B. leidet inzwischen er- pressiva und eine psychologische Beratung. rorgeschichten in den Medien unmäßig aus Epilog ihres Buchs, „bin ich an einem Punkt dem Gleichgewicht werfen. ... Oft passierte angelangt, an dem auch ich wieder das Ge- und klugen Anwaltsgehilfin, die ursprüng- es mir, dass ich das ganze Haus abrannte fühl habe, etwas wert zu sein. Es erscheint lich einen hohen Intelligenzquotienten von auf der verzweifelten Suche nach meinem mir wieder gerechtfertigt, einen gewissen Rollstuhl verbracht hat. Seine körperlichen und geistigen Funktio- 135 hatte, als keine geeignete Therapie. Sie ‚abwesenden’ Mann, der aber entweder in Raum zu beanspruchen. Da ich klein bin, nen lassen immer mehr nach. Nach weiteren vier Monaten stirbt er. fordert vom Arzt deshalb die Herausgabe seiner Werkstatt oder im Garten arbeitete. brauche ich nicht viel Platz. Vielleicht wird Bis zu seinem Tod reagiert Herr B. auf körperliche Zuwendung und der Krankenberichte. „Zufrieden fuhr ich ... Einschlafstörungen und eine generelle eines Tages jemand froh darüber sein, dass ein freundliches Lächeln. anschließend nach Hause, fest entschlos- Schlaflosigkeit zerrten mehr und mehr an ich es getan habe.“ 1990 kann er seine Bewegungen zunehmend schlechter koordi- heblich unter der täglichen Belastung, deshalb kommt stundenweise ein Pflegedienst. 1991 wird Herr B. bettlägerig, nachdem er zuvor sechs Monate im 30 Doch dies erscheint der erfolgreichen In der Abenddämmerung des Lebens entgleitet Demenzkranken die Gegenwart; kognitive Fähigkeiten gehen verloren. Erinnerungen an Vergangenes tauchen auf; Gefühle und Zuneigung gewinnen zunehmend an Bedeutung. 31 GENETIK & RISIKOFAKTOREN GENETIK & RISIKOFAKTOREN kleinen Prozentsatz der Fälle eine überra- Alzheimer-Demenz, sondern zu einer deut- gende Rolle. Am besten untersucht ist dies lich anderen Form der Demenz, der so ge- für die Alzheimer-Demenz. Hier treten we- nannten frontotemporalen Degeneration niger als 20 Prozent aller Fälle gehäuft in Fa- mit Parkinsonismus. milien auf. Genetiker vermuten, dass bei Demenzen entstehen in einem komplizierten Wechselspiel von Erbgut, Umwelt und Lebensweise Bei der in vielen Fällen mit einer De- diesen Familien jeweils mehrere ungünsti- menz verbundenen Parkinsonkrankheit ge Varianten der rund 30 000 mensch- gibt es ebenfalls starke Hinweise auf eine lichen Gene zusammenwirken, von denen erbliche Komponente. Neben anderen For- jede einzelne das Krankheitsrisiko nur ge- schern hat eine Arbeitsgruppe um Prof. ringfügig vergrößert. Umgekehrt gibt es Wolfgang Maier an der Psychiatrischen auch viele Familien, in denen Alzheimer sel- Universitätsklinik Bonn bei einer kleinen tener auftritt, als man aufgrund statisti- Zahl deutscher, griechischer und italieni- scher Berechnungen erwarten würde. Den scher Familien einen Gendefekt gefunden, genetischen Risikofaktoren stehen offen- der zur vermehrten Bildung des Eiweißes sichtlich auch schützende Genvarianten Alpha-Synuklein führt. Ähnlich wie zahlrei- gegenüber. Auch diese leisten jeweils nur che der bekannten Mutationen innerhalb einen kleinen Beitrag, und sie machen sich der Gene APP, PS1 und PS2 führen auch die- nur dann bemerkbar, wenn mehrere von ih- se Erbdefekte zu charakteristischen Ablage- nen zusammen in einer Familie auftreten. rungen im Gehirn, welche die Zusammenarbeit der Nervenzellen behindern und da- Extreme Gene sind extrem selten mit auch Gedächtnisprobleme begünstigen. Eine Handvoll weiterer, sehr seltener Vertrackte Verhältnisse Solche subtilen Einflüsse sind für Genetiker Mutationen scheint ähnliche Effekte her- indes nur schwer zu erforschen. Am leich- vorzurufen. Hier sind offenbar die Bauanlei- testen können sie krankheitsrelevante Erb- tungen verschiedener Eiweiße geschädigt, anlagen identifizieren, wenn diese deut- die normalerweise den Abtransport von Al- liche Auswirkungen haben. Drei solcher Ge- pha-Synuklein regeln. ne kennt man bei der Alzheimer-Demenz. Sie heißen nach ihren englischen Abkür- Der Spielraum der Gene zungen APP, PS1 und PS2. Die meisten Risikogene sind noch nicht entdeckt Wenn diese Gene geschädigt werden, kann die AD bereits im mittleren Alter auf- Für den weitaus größten Teil aller Demenz- „Unser Schicksal liegt nicht in den Sternen, treten – in Extremfällen sogar schon vor fälle, die so genannten „sporadischen“ Er- es liegt in den Genen“ – mit diesem Satz hat dem 30sten Lebensjahr. Kinder von Trägern krankungen, konnten die Forscher bisher der Nobelpreisträger James Watson viel dieser Genvarianten erben diese Gene mit keine Genschäden dingfest machen. Aller- Verwirrung gestiftet. Zusammen mit Fran- einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent. dings hat man – wiederum bei AD – schon cis Crick und Rosalind Franklin hatte Wat- Ebenso groß ist ihr Risiko, an Alzheimer zu in den 1980er-Jahren ein Gen namens ApoE son in den 1950er-Jahren die Struktur und sterben, wenn sie lange genug leben. Muta- entdeckt, das in drei Varianten vorkommt. Funktion der Erbsubstanz DNS aufgeklärt tionen von APP, PS1 und PS2 stehen einer Welche dieser Varianten ein Mensch in den und damit nach Meinung von Wissen- französischen Erhebung zufolge jedoch Zellen seines Körpers trägt, hat einen star- schaftshistorikern das Zeitalter der moder- höchstens hinter jedem 200sten AD-Fall ken Einfluss auf den Zeitpunkt des Aus- nen Biologie eingeläutet. Obwohl Watson und hinter maximal sieben Prozent der Fäl- bruchs und die Geschwindigkeit, mit der seine Äußerungen längst relativiert hat und le vor dem Rentenalter. die Alzheimer-Demenz im Alter verläuft. immer wieder auf die komplexen Wechsel- Wer in seinem doppelten Satz an Genen wirkungen zwischen Umwelt, Erziehung, dest bei AD – der Schlüssel, um den Ablauf auch nur ein Exemplar der Variante ApoE4 Hirnentwicklung und den Erbanlagen hin- der Erkrankung bis ins Detail aufzuklären. trägt, hat ein 30-prozentiges Risiko, im Lauf (siehe Kapitel ab S. 38). Diese Gene erklären seines Lebens an Alzheimer zu erkranken – jedoch nur etwa zwei Drittel der frühen fa- gegenüber einer Wahrscheinlichkeit von 15 miliären Erkrankungen; es muss also noch Prozent für die Bevölkerung insgesamt. weitere Gene geben, deren Beschädigung Wer statt der Variante ApoE4 verschiedene zur Alzheimer-Demenz führen kann. Kombinationen von dessen „Geschwistern“ weist, hält sich bis heute das Klischee von troffenen mag dies ein schwacher Trost den „Genen, die krank machen“ oder die sein. Von sehr seltenen Ausnahmen abge- „verantwortlich sind für...“. sehen, markieren Erbanlagen jedoch ledig- Dreidimensionales Computermodell des Moleküls APP, dessen fehlerhafte Verarbeitung zu giftigen Ablagerungen zwischen den Nervenzellen führen kann. Die präzise Kenntnis der räumlichen Struktur solcher Moleküle erleichtert Chemikern die Auswahl von Arzneimittelkandidaten und sie verringert die Gefahr von Nebenwirkungen. Die Wahrheit ist komplizierter. Weil die lich die Grenzen des Möglichen. Sie bilden Gene als Träger der Erbinformationen in ei- keine festgefügten Gleise und führen auch nem Jahrmillionen langen Prozess der Evo- nicht in Einbahnstraßen. Gene schaffen lution anhand ihres Nutzens für deren Be- vielmehr ein Spielfeld, auf dem die Akteure nannte Tau-Protein – es spielt eine wichtige hat dagegen ein um 40 Prozent kleineres sitzer ausgewählt werden, bleiben „schäd- ihre jeweiligen Stärken nutzen und ihre Rolle im Krankheitsgeschehen von AD – Risiko als der Bevölkerungsdurchschnitt. liche“ Varianten eher selten und können Schwachstellen schützen können. kommen ebenfalls in einigen wenigen Fa- sich nicht auf Dauer durchsetzen. Für die von solchen „Experimenten“ der Natur Be- 32 Die Kenntnis dieser Gene war – zumin- Fehler in der Bauanleitung für das so ge- ApoE2 oder ApoE3 in seinem Erbgut trägt, Solche statistischen Aussagen eignen Auch bei den Demenzerkrankungen milien vor. Dennoch führt dessen Verände- sich indes nicht dazu, das Schicksal einzel- spielen einzelne Erbanlagen nur in einem rung bei den betroffenen Familien nicht zur ner Personen vorherzusagen. Wer mit 33 GENETIK & RISIKOFAKTOREN GENETIK & RISIKOFAKTOREN FOKUS FORSCHUNG ApoE4 zur Welt kommt, ist ebenso wenig man aufspüren, die das Risiko für Alzhei- zum „Alzheimer“ verurteilt, wie sich dieje- mer ähnlich deutlich beeinflussen wie nigen ohne ApoE4 vor der Krankheit sicher ApoE, schätzt die US-amerikanische For- wähnen dürfen. In den verfügbaren Gen- scherin Ellen Wijsman von der University of tests auf ApoE sehen Patientenvertreter Washington in Seattle. und Fachverbände deshalb lediglich ein Hilfsmittel, mit dem Ärzte die Treffsicherheit ihrer Diagnose verbessern können. Gefahren erkennen und vermeiden „Für mich geht die Jagd auf die Gene Von der Hefezelle bis zum Rhesusaffen – Unsere Stellvertreter in der Demenzforschung Hefezellen, Zebrafische und Fadenwürmer (von links) – an diesen Organismen forschen Genetiker und Entwicklungsbiologen. Die Vorkenntnisse über diese unterschiedlichen Lebewesen helfen, Demenzen besser zu verstehen. jetzt erst richtig los“, sagt einer der bekann- Vorbeugen ist besser als Heilen. Unter die- testen Alzheimer-Forscher, Rudolf Tanzi von sem Motto suchen Wissenschaftler gezielt der Harvard Medical School im amerikani- nach jenen Faktoren, die das Risiko für De- schen Boston. Die besten Voraussetzungen menzen erhöhen können. Wie muss man dafür hat ein internationales Konsortium sich verhalten? Welche Nahrungsmittel soll von Wissenschaftlern geschaffen, das un- man meiden? Können Alkohol und Zigaret- längst die Reihenfolge aller drei Milliarden ten neben Leber und Lunge auch das Ge- Genbausteine des Menschen ermittelt hat. hirn schädigen? Zu solchen Fragen gibt es Wertvolle Informationen liefert auch ein mittlerweile zwar Tausende von Untersu- anderes Großprojekt der modernen Biolo- chungen und Studien. Einen perfekten Wegweiser, mit dem man sämtlichen De- Vor Gedächtnislücken und Lernschwierigkeiten bleiben zwar auch durch die schnelllebigen Nager und die vergleichsweise niedrigen menzrisiken ausweichen kann, werden Ärz- Mäuse und Ratten im Alter nicht verschont, an Alzheimer erkran- Kosten für deren Aufzucht und Haltung sind die Hauptgründe te und Apotheker aber niemals anbieten ken sie jedoch von Natur aus nicht. Lediglich bei hochbetagten dafür, dass Demenzforscher nur äußerst selten mit höheren Tieren können. Auch wenn die Verhaltensweisen Bären fand man bislang jene Ablagerungen im Gehirn, wie sie für wie Rhesusaffen arbeiten. und Gewohnheiten der Menschen leichter zu ändern sind als deren Erbanlagen, so Alzheimer-Patienten typisch sind. Um die Krankheit dennoch an Versuchstieren erforschen zu kön- Auf den Wurm gekommen werden Aufklärungs- und Erziehungsmaßnahmen doch immer nur dort wirken kön- nen, mussten sich die Wissenschaftler einiger Tricks der Gentechnik bedienen: Sie isolierten zunächst aus den Zellen menschlicher Pa- Wichtige Hinweise liefern den Wissenschaftlern aber nicht nur Säu- nen, wo auch eine hinreichende Bereit- tienten jene Erbanlagen, deren Beschädigung zum frühen Aus- getiere, sondern auch Organismen, die auf den ersten Blick noch schaft zur Umsetzung vorhanden ist. bruch der Krankheit führen kann. Diese Alzheimer-Gene schleusten viel weniger mit dem Menschen gemeinsam haben. Besonders be- sie dann in Eizellen von Versuchstieren ein, implantierten die Ei- liebt sind dabei Zebrafische, Fadenwürmer (Nematoden) und sogar tiell ansteigenden Erkrankungsraten (siehe zellen in (Mäuse-)Leihmütter und testeten den Nachwuchs auf die Hefezellen, wobei jeder Modellorganismus unterschiedliche Stär- ab S. 19) könnten jedoch auch Teilerfolge Anwesenheit menschlicher Gene. ken und Schwächen aufweist. So ist die Embryonalentwicklung der bei der Vorbeugung maßgeblich dazu bei- Zebrafische sehr gut erforscht. Daher kann man einzelne Erbinfor- tragen, den Krankheitsbeginn hinauszuzö- kreuzte man dann untereinander, um schließlich mehrere Linien mationen oder Arzneimittelkandidaten in die Eier injizieren und gern. Diese Strategie erklärt der Münchener reinrassiger „Alzheimer-Mäuse“ zu erhalten, die jeweils unter- möglicherweise resultierende Schäden oft schon mit bloßem Auge Demenzexperte Hans Förstl so: „Schon ver- schiedliche Menschengene tragen. Wie im Zeitraffer lassen sich ein- an den durchsichtigen Larven erkennen, statt wie bei Mäusen die gleichsweise kurze Verzögerungen des zelne Aspekte des Krankheitsgeschehens mit solchen „transgenen“ Tiere sezieren zu müssen. Die wenigen Tiere, bei denen dieser Eingriff erfolgreich war, Tieren untersuchen. Pharmakonzerne füttern diese Tiere mit Arz- Auch bei dem durchsichtigen Fadenwurm Caenorhabditis ele- neimittelkandidaten und können – anders als beim Menschen – bin- gans nutzen Demenzforscher die Vorarbeit ihrer Kollegen. Hier nen Wochen an Hirnschnitten überprüfen, ob und wo die Hoff- kann man nämlich das Schicksal jeder einzelnen Zelle des Wurms nungsträger gewirkt haben. unter natürlichen Wachstumsbedingungen vorhersagen. Jegliche Genetiker haben auch gelernt, einzelne Abschnitte aus dem Erb- Abweichung von diesem Entwicklungsplan unter dem Einfluss ein- gut herauszuoperieren. Mit solchen „Knock-out“-Tieren kann man geschleuster menschlicher Erbanlagen dient daher als Hinweis, ebenfalls testen, wie wichtig bestimmte Erbanlagen sind, – und welche Prozesse die untersuchten Menschengene beeinflussen. muss dabei nicht selten auch liebgewonnene eigene Hypothesen Sogar die einzelligen Hefepilze, denen wir unser Brot, Bier und Angesichts der mit dem Alter exponen- Automatisierung im Forschungslabor: Dass ein einzelner Wissenschaftler wie hier mehrere hundert Proteine gleichzeitig untersucht, ist heute fast schon Routine. Ohne den Einsatz von Robotern und vorgefertigen, standardisierten Komponenten wären die komplexen Wechselwirkungen der unzähligen Zellbestandteile kaum zu erfassen. Krankheitsbeginns führen zu einer merkgie, das nach Zusammenhängen zwischen lichen Reduktion der Krankenzahl, da in den Unterschieden in den Gensequenzen vielen Fällen der Aufschub des Krankheits- einzelner Menschen und deren individuel- beginns die verbleibende Lebenserwartung len Krankengeschichten sucht. übersteigen kann.“ Anders formuliert: Viele Mit diesen Werkzeugen haben Tanzi Menschen würden den Beginn ihrer De- und andere Arbeitsgruppen eine Region menz nicht mehr erleben, weil sie zuvor an auf dem zehnten Chromosom identifiziert, Herzkrankheiten, Krebs oder anderen Lei- deren Ausprägung das Risiko für eine spo- den verstorben wären. Am günstigsten erscheinen Förstl die beerdigen. Obwohl beispielsweise fehlerhafte Formen des Eiweißes andere Köstlichkeiten verdanken, bieten für viele Experimente ide- radische Alzheimer-Demenz im hohen Al- Tau das Zellskelett menschlicher Nervenzellen zerstören können, ale Voraussetzungen. Eben weil diese Organismen sehr einfach ter beeinflusst. Obwohl die Position des Chancen vorbeugender Strategien bei den entwickelten sich 1994 die ersten Knock-out-Mäuse ohne Tau fast sind, kann man bei Hefen das Zusammenwirken menschlicher Ei- hierfür verantwortlichen Gens auf dem vaskulären Demenzen. Hier kennt man genauso wie ihre unveränderten Artgenossen, und ihr Nervensys- weiße ideal beobachten. Wie bei einem Bausteinkasten können Chromosom noch nicht exakt bekannt ist, nämlich schon die beeinflussbaren Risiko- tem unterschied sich nicht von dem der Kontrolltiere. Fünf Jahre Wissenschaftler prüfen, welche menschlichen Proteine sich zu spekulieren viele Forscher auf ein Gen na- faktoren relativ gut : Menschen, die im mitt- später allerdings schleusten belgische und US-amerikanische Wis- funktionierenden Komplexen vereinen, ohne dass Hefeproteine mens IDE. Es enthält die Bauanleitung für leren Alter einen normalem Blutdruck und senschaftler Erbinformationen für menschliches Tau in Labormäuse sich dazu gesellen und die Ergebnisse verfälschen. ein Enzym, das ein Eiweißbruchstück mit normales Gewicht hatten, die regelmäßig dem Kürzel Aß aus dem Hirn eskortiert und Sport trieben, die sich eher fettarm ernähr- ein und erhöhten dessen Produktion durch einen gentechnischen Geld, das heute in die scheinbar praxisferne Erforschung niedri- Kunstgriff um ein Vielfaches. Prompt bildeten sich im Hirn der Tiere ger Organismen gesteckt wird, kann also durchaus helfen, Demenz- so die Verklumpung von Aß zu gefährlichen ten und sich auch geistig betätigten, die Ablagerungen des Tau-Proteins und die Nervenzellfortsätze im erkrankungen besser zu verstehen und die Entwicklung neuer The- Ablagerungen verhindert. Mindestens maßvoll Alkohol tranken und nicht rauch- Hirnstamm und im Rückenmark verkümmerten. Der Zeitvorteil rapien zu beschleunigen. noch sechs bis sieben weitere Gene werde ten, erkranken im Alter seltener. Ein aus 34 35 GENETIK & RISIKOFAKTOREN GENETIK & RISIKOFAKTOREN damit, dass die Zuckerkrankheit die Blut- der Art der Getränke war der Anteil De- das Risiko für eine Demenz“ ließe sich bei- gefäße schädigt und gefährliche Stoffwech- menzkranker unter den Weintrinkern am spielsweise erhärten, wenn Menschen, die selprodukte vermehrt, die den Verlauf von kleinsten; bei den Konsumenten von Bier Blutfett senkende Arzneien nehmen, selte- Demenzerkrankungen beschleunigen. und Spirituosen war der Effekt weniger aus- ner an einer Demenz erkranken als andere. geprägt. In der Tat konnten Epidemiologen einen Wie beim Bluthochdruck fehlen indes auch in diesem Fall harte Beweise, dass die zwischen fettreicher Ernährung und späte- Reihe von klinischen Studien mit bestimm- kung Diabetes mellitus das Demenzrisiko rer Demenz. So wurden die Teilnehmer der ten Blutfett senkenden Medikamenten (den bereits erwähnten „Rotterdam-Studie“ Statinen) hatte die erfreuliche Nebenwir- nicht nur nach ihrem Alkoholkonsum be- kung, dass die Patienten nur noch ein Vier- fragt, sondern auch nach ihrer Ernährung. tel so häufig Demenzen erlitten wie unbe- Diejenigen, die überdurchschnittlich viel handelte Vergleichsgruppen. Rauchen, Trinken, fettes Essen Ähnlich vertrackt ist die Situation beim an gesättigten Fetten und Cholesterin zu Ein Mangel an bestimmten Vitaminen sich genommen hatten, erlitten später fast gilt manchen Wissenschaftlern ebenfalls blickend der Zigarettenkonsum von De- doppelt so häufig eine Demenz wie Alters- als Risikofaktor. Einer der „Hauptverdächti- diesen Fakten abgeleitetes Demenz-Vorsor- menzkranken mit Gesunden verglichen genossen, die sich „gesund“ ernährt hatten. gen“ ist hier die Folsäure. Diese Substanz geprogramm wäre fast identisch mit den wurde, schrieben den Glimmstängeln sogar Fischesser – sie nehmen besonders viel an kommt in rohem Gemüse, frischem Obst Verhaltensmaßregeln zur Verhütung von eine schützende Wirkung zu. Erst später ka- ungesättigten Fettsäuren zu sich – hatten und Fleisch vor, wird aber beim Kochen zer- Herzerkrankungen, Schlaganfällen und men aussagekräftigere, so genannte pros- ein um 60 bis 70 Prozent geringeres Risiko stört. Da ein Folsäuremangel bei Schwange- häufigen Krebsleiden. pektive Studien zu dem Schluss, dass Rau- für Demenzen vaskulären Ursprungs und ren für die Neugeborenen das Risiko von cher tendenziell öfter demenzkrank wer- für AD. In einer anderen Untersuchung be- Geburts- und Entwicklungsdefekten des den als Nichtraucher. Nikotinabhängige zifferten französische Forscher die Risiko- Nervensystems beträchtlich erhöht, nimmt können sich also nicht länger damit trösten, minderung durch wöchentlichen Fischver- man an, dass auch das erwachsene Nerven- zehr auf 35 Prozent, konnten aber nicht aus- system durch Folsäuremangel geschädigt schließen, dass die bessere Schulbildung – werden könnte. Widersprüchliche Studien erschweren die Interpretation Der Teufel aber steckt im Detail, denn im- den sterben, dafür aber seltener an der Alz- mer wieder liefern einzelne Studien auch heimer-Demenz erkranken werden. widersprüchliche Ergebnisse. Beispiel Blut- Die Beziehung zwischen Alkoholkon- hochdruck: In einer Untersuchung an 3703 sum und Demenzrisiko lässt sich am besten amerikanischen Männern war das Risiko, mit dem so genannten „J-Kurven-Konzept“ im Alter an einer Demenz zu erkranken, um beschreiben: Danach erkranken Abstinente das Vierfache erhöht, wenn der untere geringfügig häufiger als Menschen mit (diastolische) Blutdruckwert im sechsten Welche Stoffe können vor Demenzen schützen? In vielen Labors versucht man diese Frage mithilfe von Zellkulturen (links) zu klären. Für biochemische und genetische Analysen genügen meist wenige Tropfen Extrakt aus diesen Zellen (Mitte). Gekühlt in flüssigem Stickstoff (rechts) bleiben die Extrakte praktisch unbegrenzt haltbar; ebenso wie die Blut- und Gewebeproben von Demenzkranken und gesunden Vergleichspersonen. dieser Faktor scheint ebenfalls das Demenz- Zumindest indirekt ist es gelungen, ei- risiko zu verringern – der „Fischesser“ das nen Zusammenhang zwischen Folsäure- Ergebnis beeinflusste. mangel und Herzerkrankungen nachzuweisen, neuerdings aber auch für Demen- Soziale Faktoren prägen das Risikoverhalten Lebensjahrzehnt 89 Millimeter Quecksilber- Mit diesem Problem müssen Epidemiolo- säule überschritt. Ein ganz ähnliches Ergeb- gen sich immer wieder auseinandersetzen. nis brachte eine Studie aus Finnland mit Zu eng sind eine gute Ausbildung und ein 1449 Personen. höheres soziales Niveau verknüpft mit einer Vergleicht man dagegen in einer Mo- zen. Folsäuremangel führt nämlich zu einem Anstieg von Homozystein, und die gesundheitsbewussten Lebensweise und mentaufnahme Demenzpatienten und mit einem höheren Einkommen. Diese Menschen ohne Gedächtnisprobleme, so Menschen können sich nicht nur die gesün- hat die zweite Gruppe durchschnittlich ei- deren Lebensmittel und die besseren Ärzte nen höheren Blutdruck und nicht, wie zu leisten. Sie verfügen einer weithin akzep- erwarten wäre, niedrigere Werte. Auch tierten Theorie zufolge auch über die grö- mangelt es bisher an Beweisen, dass Blut- ßeren geistigen Reserven. Im Alltagsleben druck senkende Arzneien die Erkrankungs- kompensieren sie Schwierigkeiten mit dem wahrscheinlichkeit beeinflussen können. Gedächtnis deshalb besser als weniger Ge- Dies könnte bedeuten, dass hoher Blut- 36 Beobachtungsstudien führten zu der Überlegung, Demenzen mit Arzneien oder Folsäure zu verhindern Rauchen. Frühere Studien, bei denen rück- dass sie zwar häufiger an Krebs und Herzlei- Ob Blutdruck oder Bildung: Stets suchen Epidemiologen nach dem Zusammenhang mit dem Demenzrisiko solchen Zusammenhang bestätigen: Eine erfolgreiche Behandlung der Grunderkransenken kann. Die Analyse von Stammbäumen zählt zu den ältesten Methoden der Genetik. Sie hilft, die Weitergabe bestimmter Erbmerkmale in Familien zu erklären. Traditionell wird das älteste Elternpaar nach oben gestellt, die folgenden Generationen auf die Ebenen darunter. Frauen sind durch einen Kreis mit Kreuz gekennzeichnet, Männer durch einen Kreis mit Pfeil. In diesem Stammbaum sind an Alzheimer-Demenz erkrankte Personen dunkel markiert. Sehr gut belegt ist der Zusammenhang bildete. Auch überspielen sie geschickter ih- druck lediglich die häufige Begleiterschei- einem sehr moderaten Alkoholkonsum. Mit re Defizite und entgehen damit den groben Konzentration dieser Substanz im Blut von nung eines bislang unbekannten Risikofak- zunehmender Trinkmenge wächst dann Tests, mit denen Ärzte Demenzen aufspü- Alzheimer-Patienten ist gegenüber Gesun- tors für Demenzen ist. wieder das Risiko, an einer Demenz zu er- ren (siehe ab S. 14). den nahezu verdoppelt. Je mehr Homozys- Auf das gleiche Problem stoßen Epidemiologen bei der Zuckerkrankheit, dem Di- kranken, und übertrifft bei starken Trinkern deutlich dasjenige von Abstinenzlern. Um die Bedeutung mutmaßlicher tein, umso schlechter war in einer groß an- Schutz- und Risikofaktoren zu überprüfen, gelegten amerikanischen Ernährungsstu- entwerfen Wissenschaftler Hypothesen die das Gedächtnis bei Gesunden. Sollten abetes mellitus. Die Betroffenen erleiden im Die aussagekräftigsten Studien hierzu Alter zwei bis drei Mal so häufig eine vasku- stammen aus dem niederländischen Rotter- über den Zusammenhang zwischen diesen sich diese Ergebnisse in weiteren Untersu- läre Demenz wie der Bevölkerungsdurch- dam und aus Kanada. Dort reduzierte der Faktoren und der Krankheit. Diese Hypo- chungen bestätigen, böte die Ergänzung schnitt, und auch das Risiko für AD steigt mäßige Konsum von alkoholischen Geträn- thesen erlauben Vorhersagen, die mit Expe- der Nahrung mit Folsäure eine einfache um ein Drittel bis um das Doppelte. Mole- ken jedweder Art das Demenzrisiko um an- rimenten überprüft werden können. Die und sehr billige Möglichkeit, das Demenz- kularbiologen erklären dies unter anderem nähernd 30 Prozent. Aufgeschlüsselt nach Hypothese „Hohe Blutfettwerte erhöhen risiko im Alter zu verringern. 37 NEUROBIOLOGIE NEUROBIOLOGIE die häufigsten der mehr als 50 verschiede- verästeln. Vieles deutet darauf hin, dass in nen Demenzformen zumindest in groben den Gefäßwänden eine Entzündungsreak- Zügen nachvollziehen. Die Forscher ken- tion abläuft, bei der bestimmte Immunzel- nen die wichtigsten Auslöser und zahlrei- len, die Makrophagen, sich über Fettabla- che, eng miteinander verzahnte biochemi- gerungen hermachen und diese mit ihren sche Kettenreaktionen, die im „Normalbe- Stoffwechselprodukten zu so genannten trieb“ das Lernvermögen, das Gedächtnis arteriosklerotischen Plaques umformen. Es und die enorme Anpassungsfähigkeit des entstehen dabei Verengungen (Stenosen). Gehirns bis ins hohe Alter gewährleisten. Um Demenzen besser zu behandeln, muss man das Gehirn verstehen, die komplexeste bekannte Struktur im Universum Demenzen lassen sich nach ihren Ursa- Erstickungstod der Nervenzellen chen und dem Verlauf der Krankheit in drei Gruppen einteilen (siehe Grafik S. 41): Unspezifische Schädigungen des Gehirns Dort fließt das Blut gegen einen wachsenden Widerstand an. Ständig zerren Strö- als Folge einer gestörten Blutversorgung mungswirbel an den Plaques, die dann ab- sind das Kennzeichen für die verschiedenen reißen und weiter „stromabwärts“ gelege- Arten vaskulärer Demenzen. ne Kapillare verstopfen können. Die umlie- Spezifische Ablagerungen von Eiweißen genden Zellen sind damit abgeschnitten und deren Bruchstücken stören das Zu- von den Nährstoffen des Blutes und sie „er- sammenspiel der Nervenzellen und bewir- sticken“, weil ohne rote Blutkörperchen ken langfristig deren Untergang. Diese Pro- auch kein Sauerstoff mehr ankommt. Dieser zesse können in seltenen Fällen durch Gen- „ischämischen“ Variante des Schlaganfalls defekte ausgelöst werden, sind aber nach steht der „hämorrhagische“ Hirninfarkt Meinung vieler Forscher meistens eine Be- gegenüber, bei dem die vorgeschädigten gleiterscheinung des Alterns. Blutgefäße aufreißen oder platzen. Auch Unfälle mit Hirnverletzungen, Infektio- hier kommt es stromabwärts zum Ersti- nen, Vergiftungen – etwa bedingt durch ckungstod der Nervenzellen. Zusätzlich chronischen Alkoholmissbrauch – und an- scheinen manche Blutinhaltsstoffe und die Wissensexplosion im Forschungslabor dere äußere Ereignisse können für sich al- an der Wunde entstehenden Gerinnsel lein Demenzen verursachen. Solche Um- auch direkt als Gift auf die benachbarten welteinflüsse können aber auch bereits vor- Neuronen zu wirken. Den Ursachen der Demenzerkrankungen auf der Spur handene, unmerkliche Schäden verschlim- Wie eine Lawine verbreitet sich dieser mern und langsame Krankheitsprozesse Schaden im Gewebe. In vielen Zellen, die beschleunigen, sodass sich das Gedächtnis zwar angeschlagen sind, aber noch über- verschlechtert und andere Hirnfunktionen lebensfähig wären, läuft nun ein „Selbst- beeinträchtigt werden. mordprogramm“ ab. Manche Experten In der klinischen Praxis sind diese Verlaufsformen des Demenzdramas mitunter sehen darin einen Schutzmechanismus des Gehirns. Um nicht die Funktion ganzer Schaltkreise zu gefährden, werden sämt- Dass Autos Pannen haben, Küchengeräte gen sie über eine vollständige Liste der Ein- liche mangelhaften Komponenten radikal ihren Dienst verweigern oder Computer- zelteile, geschweige denn ihrer Wechsel- beseitigt. Damit nicht genug: Eine zweite programme abstürzen, sind Erfahrungen, wirkungen. Etwa eine Milliarde Hirnzellen Welle der Zerstörung schwappt durch das die jeder schon einmal gemacht hat. Nicht (Neuronen) stecken in den drei Pfund Gehirn, wenn aus den zerfallenden Neuro- selten aber weicht Ärger der Bewunderung, schwammigen Gewebes unter der Schädel- nen schlagartig große Mengen an Reiz- und wenn Kfz-Mechaniker oder Servicefach- decke; sie tauschen elektrische und chemi- Botenstoffen wie Superoxid und Glutamat leute das komplexe Innenleben der Geräte sche Signale mit jeweils bis zu tausend austreten. offenlegen, mit geübtem Blick Verbindun- Nachbarn aus. Das menschliche Gehirn ist gen zwischen Komponenten prüfen, deren die komplexeste Struktur des bekannten Funktion man nicht einmal erahnt, und Universums. Es verstehen zu wollen sei „fast schließlich triumphierend auf ein un- schon frivol“, sagte etwa der Bewusstseins- scheinbares Kleinteil deuten oder auf die forscher Prof. Wolf Singer von der Univer- fehlerhafte Konfiguration der Netzwerkein- sität Frankfurt noch vor 15 Jahren. stellungen am PC. Dennoch verblassen diese Leistungen 38 Doch die Fortschritte der Wissenschaftler sind atemberaubend. In den vergange- gegenüber dem Versuch, die Ursachen nen zwei Dekaden haben sie vermutlich menschlicher Gedächtnisstörungen aufzu- mehr über das Gehirn gelernt als sämtliche spüren: Weder kennen Wissenschaftler den Gelehrten in den Jahrtausenden zuvor. genauen Bauplan des Gehirns, noch verfü- Heute kann man den Krankheitsverlauf für Je nach Umfang und Ort dieser Katastrophen können mehr oder weniger große In manchen Teilen des Gehirns bilden sich ständig neue Nervenzellen (rot). Dass dieser Prozess der Neurogenese auch bei erwachsenen Menschen stattfindet, ist eine der wichtigsten Entdeckungen der Neurobiologie in den letzten Jahren. Zahlreiche Forschergruppen arbeiten daran, die natürliche Neurogenese zu fördern, um durch Krankheiten ausgefallene oder zerstörte Nervenzellen zu ersetzen. Hirnregionen zerstört werden und die dort nur schwer auseinanderzuhalten, weil sie lokalisierten Funktionen ganz oder teil- sich wechselseitig beeinflussen können. weise verloren gehen. Gedächtnisstörun- Wenigstens bei den vaskulären Demen- gen können eine Folge solcher Hirninfarkte zen herrscht Einigkeit über den Ablauf der sein, aber auch Lähmungen oder Sprach- Ereignisse: Die Bühne bereiten krankhafte und Sehstörungen. Nicht selten bilden die- Veränderungen der Blutgefäße, die sich, se Defizite sich wieder zurück, weil die ver- ausgehend von vergleichsweise dicken bliebenen intakten Hirnregionen teilweise „Hauptleitungen“, den Herzkranzgefäßen, bis ins hohe Alter verlorene Fähigkeiten zu immer feineren Kapillaren im Körper kompensieren können. 39 NEUROBIOLOGIE NEUROBIOLOGIE nannte amyloide Plaques. Deren Haupt- hat Prof. Christian Haass enthüllt. Der Schü- bestandteil – das Eiweißfragment mit dem ler von Konrad Beyreuther ist heute Inhaber Namen Aß – setzt sich zudem in den Wän- des Lehrstuhls für Stoffwechselbiochemie den der Blutgefäße des Gehirns fest und am Adolf-Butenandt-Institut der Münche- scheint deren Funktion zu beeinträchtigen. ner Ludwig-Maximilians-Universität (siehe Fokus Forschung in diesem Kapitel). Als Verklumpte Eiweiße im Gehirn gemeinsamen Nenner für die Bildung amyloider Plaques konnten Haass und andere Als zweites Merkmal der AD finden sich in Forscher die vermehrte Bildung einer be- den Neuronen „neurofibrilläre Bündel“. stimmten Variante von Aß dingfest machen Die fadenförmigen Gebilde bestehen zum – sie heißt Aß42. Großteil aus dem Eiweiß Tau, und sie treten Eines der Schlüsselmoleküle bei der Entstehung der Alzheimer-Demenz heißt APP (rosa). Es steckt in der Hülle von Nervenzellen und ist womöglich an der Signalleitung beteiligt. Verschiedene Enzyme, die wie Scheren arbeiten, zerlegen APP. Fehler bei dieser Reaktion können zu klebrigen Bruchstücken führen (rot), aus denen steinharte Ablagerungen entstehen. Im Labor ist es möglich, diese Reaktionen an Hefezellen in Kulturschalen zu untersuchen (rechts). nicht nur direkt giftig auf Nervenzellen, sie Zerfall besonders betroffen sind. Sowohl sind auch besonders „klebrig“, sodass sich amyloide Plaques als auch neurofibrilläre jeweils zahlreiche Aß42-Moleküle in einer Bündel unterbrechen die Kommunikation regelmäßigen Struktur zusammenlagern. und behindern den Stoffwechsel sowie die Wie Kondensationskeime ziehen diese Ag- Reparaturmechanismen von Nervenzellen. gregate andere Moleküle sowie Nervenund Stützzellen an, um letztlich die unter dem Mikroskop sichtbaren Plaques zu bil- Außer den „großen“, auffälligen Schlag- Besonders stark betroffen ist davon die den. Am Abtransport von Aß ist das so ge- anfällen sehen Neurologen auf Röntgenbil- Hirnregion des Hippocampus. Sie ist die nannte Apolipoprotein E (ApoE) beteiligt. dern oftmals auch viele kleine zerstörte Steuereinheit sowohl für das Abspeichern Dies erklärt, warum Menschen mit unter- Areale. Sie sind typisch für die Multi-Infarkt- als auch für das Abrufen von Gedächtnis- schiedlichen Erbanlagen für ApoE ein ver- Demenz, bei der eine Reihe kleinerer Ereig- inhalten. Außerdem ist der Hippocampus schieden hohes Risiko tragen, im Lauf ihres nisse im Lauf der Zeit schrittweise und oft an der Kontrolle der Sprache und der Denk- Lebens an AD zu erkranken. unbemerkt die geistigen Leistungen bein- fähigkeit beteiligt. So verwundert es nicht, Auch einen Entzündungsprozess hat trächtigt, bis die Defekte schließlich offen dass als erstes Anzeichen für eine AD meist man beobachtet, an dem bestimmte Im- zutage treten. Eine weitere, noch subtilere ein schleichender, langsam einsetzender munzellen des Gehirns (Mikroglia) beteiligt und schleichend sich entwickelnde Form Gedächtnisverlust beobachtet wird, gefolgt sind. Noch ist aber umstritten, ob diese Ent- der vaskulären Demenz ist die Binswanger- von einer über mehrere Jahre fortschreiten- zündung das Anzeichen eines nützlichen Krankheit. Man sieht sie häufig bei Patien- den Demenz. Aber nicht nur der kleine Hip- Reparaturprozesses ist oder ob sie schadet. ten mit langwährendem Bluthochdruck pocampus verliert in diesem Zeitraum und/oder schwerer Arterienverkalkung. deutlich an Masse, sondern auch die Groß- Wie die Binswanger-Krankheit entsteht, ha- hirnrinde – jener Bereich des Denkorgans, ben Wissenschaftler noch nicht herausge- in dem die höheren geistigen Fähigkeiten funden. Aufnahmen mit einem Kernspin- angesiedelt sind. 2 1 den der Nervenbahnen in tiefer gelegenen den Verlauf der AD beeinflusst, hat das For3 Der Flächenbrand im Gehirn 40 beitsgruppe für Strukturelle Molekularbio- ses Leiden klar von anderen vaskulären De- Diesen zerstörerischen Prozess haben Paul menzen unterscheidet. Thompson von der University of California in Los Angeles und seine Kollegen mit der scher zur häufigsten Form der Demenz zu- Magnetresonanztomographie bei lebenden sammengetragen, zur Alzheimer-Demenz Patienten eindrucksvoll sichtbar gemacht. (AD). Hier kann man Entstehungsgeschich- Sie kombinierten dazu zahlreiche Moment- te (Ätiologie) und Verlauf (Pathogenese) be- aufnahmen, die zeigen, dass sich der Gewe- reits bis in den submikroskopischen Bereich beverlust wie ein Flächenbrand ausbreitet. nachvollziehen. Die Forscher kennen die Jährlich verlieren die Patienten gut fünf Interaktionen der beteiligten Biomoleküle sehr genau. Sie wissen auch, wie ein Gendefekt die fein austarierten Wechselwirkungen einzelner Moleküle aus der Balance scherehepaar Prof. Eckard und Prof. EvaMaria Mandelkow von der Max-Planck-Ar- Hirnregionen – eine Charakteristik, die die- Das umfangreichste Wissen haben For- Entgleisung im Transportsystem Wie das Protein Tau die Entstehung und tomographen zeigen jedoch diffuse Schä- Die Entstehung einiger Krankheiten können Forscher mit gestörten Wechselwirkungen zwischen den Biomolekülen erklären Diese kleinen Proteinfragmente wirken massiv in jenen Hirnregionen auf, die vom Trotz der Vielfalt der Demenz-Krankheiten können diese Leiden in nur drei Kategorien unterschieden werden: Entweder gehen die Schäden auf verletzte Blutgefäße zurück (links), oder es bilden sich Ablagerungen verschiedener Proteine in und zwischen den Nervenzellen (rechts. 1, 2 und 3). Neben diesen „inneren“ Ursachen können äußere Einflüsse wie Vergiftungen, Unfälle oder Infektionen Demenzprozesse auslösen oder verstärken (Mitte). Deutsche Wissenschaftler waren und sind logie in Hamburg untersucht. Viele ihrer maßgeblich daran beteiligt, die natürliche Einblicke verdanken die Mandelkows einer Funktion von Aß und Tau im Gehirn zu ent- einzigartigen Arbeitsumgebung. Sie kön- rätseln. So hat Prof. Konrad Beyreuther vom nen nämlich quasi im Keller ihres Instituts Zentrum für Molekulare Biologie in Heidel- hochintensive Röntgenstrahlung nutzen, berg mit Kollegen vom Europäischen Labo- die der Teilchenbeschleuniger DESY (Deut- ratorium für Molekularbiologie (EMBL) und sches Elektronen-Synchrotron) produziert. mit dem australischen Wissenschaftler Col- Das physikalische Messinstrument lässt lin Masters herausgefunden, dass Aß das sich auch als eine Art Molekularmikroskop Prozent ihrer Hirnmasse, in den für das Ge- Abbauprodukt eines größeren Moleküls ist, benutzen. Eckard Mandelkow setzte es da- dächtnis relevanten Regionen sind es sogar des Amyloid-Vorläuferproteins APP. Dieses zu ein, Proteinkomplexe von wenigen Milli- zehn Prozent pro Jahr. steckt wiederum in der Zellhülle von onstel Millimeter Größe bei der Arbeit zu Nervenendigungen, wo es vermutlich an zeigen, die den Materialtransport im Inne- Könnte der Arzt zu diesem Zeitpunkt das bringt und zu schädlichen Ablagerungen Gewebe unter dem Mikroskop betrachten, der Übertragung von Signalen beteiligt ist ren der Nervenzellausläufer (Axone) er- führt. Diese wiederum ziehen den Tod von würde er mit bestimmten Färbetechniken (siehe Grafik S. 40). möglichen. „Wie eine Lokomotive zieht das Nervenzellen und massive anatomische zwei verschiedene Arten von Ablagerungen Veränderungen nach sich. sehen: Zwischen den Zellen liegen so ge- Viele Details, wie APP zu Aß verarbeitet wird und was dabei alles schief gehen kann, Eiweiß Kinesin Lasten entlang der ‚Gleise’ im Inneren der Axone“, erläutert der For- 41 NEUROBIOLOGIE NEUROBIOLOGIE FOKUS FORSCHUNG scher anhand einer Computersimulation. Zwar mit geringerer Auflösung, dafür aber in Echtzeit, hat Eva-Maria Mandelkow diesen Vorgang mithilfe der Videomikroskopie gefilmt. Tau stabilisiert das zelluläre Transportsystem, indem es dessen „Gleise“ (Mikrotubuli) zusammenhält. Bei der AD scheint Tau chemisch verändert zu sein, sodass einzelne längliche Tau-Moleküle sich umeinanderwickeln und dabei faserförmige „Fibrillen“ bilden. Der exakt austarierte Materialfluss im zellulären Transportsystem kann dadurch aus dem Gleichgewicht geraten. Es kommt zu Staus, Unterversorgung und zu „Entgleisungen“, wenn die Mikrotubuli „Wir forschen, weil es Spaß macht“ – mit dieser Devise war Prof. Christian Haass bislang sehr erfolgreich. Der Inhaber des Lehrstuhls Aus dem Gehirn einer Maus (links) können Forscher gezielt einzelne Eiweiße isolieren und deren Menge mit einem so genannten Immunassay (Mitte) bestimmen. Durch den Vergleich der Proteinausstattung gentechnisch veränderter Tiere mit normalen Artgenossen (rechts) können Wissenschaftler überprüfen, ob ihre Eingriffe ins Erbgut erfolgreich waren. auseinanderfallen. Die immer weiter wachsenden Aggregate aus Tau unterbrechen letztlich auch die Kontakte zwischen den netzartig miteinander verknüpften NerMolekül („Aph-1“) einschleusten, bis die Schere endlich komplett war und funktionierte. „Mit dem Erreichen unseres Traumziels hat- venzellen. Um die entscheidenden Schritte zu er- ten wir die Gamma-Sekretase totgeforscht“, sagt Haass im Rück- mitteln, mit denen diese Katastrophe be- blick. Was Haass „totforschen“ nennt, bedeutet tatsächlich, dass es ginnt, haben Eva-Maria und Eckard Man- ihm und seinen Kollegen gelungen war, einen grundlegenden Pro- delkow den Einfluss der sechs verschiede- zess bei Demenzerkrankungen bis hinunter zu den molekularen nen Varianten und mehr als 20 Modifikatio- genen 15 Jahren mehrfach gelungen, wichtige Entdeckungen in Bestandteilen nachzuvollziehen und so Angriffspunkte für neue nen des Tau-Proteins auf den axonalen den angesehensten Wissenschaftsjournalen zu veröffentlichen. Im Heilmittel zu definieren. Transport genauestens studiert. Dabei stie- für Stoffwechselbiochemie am Adolf-Butenandt-Institut der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität zählt auch international zu den renommiertesten Alzheimer-Forschern. Trotz seines jungen Alters ist es dem Mittvierziger in den vergan- Mittelpunkt dieser Arbeiten standen zwei Gene – genannt Präseni- Die Arbeit geht ihm dennoch nicht aus. Neue Ideen reifen, wäh- ßen sie auch auf Wechselwirkungen zwi- lin 1 (PS1) und Präsenilin 2 (PS2). Deren Beschädigung führte bei rend er vom achten und obersten Stockwerk seines Instituts in Rich- schen Tau und einer ganzen Proteinfamilie, mehreren Familien zum Ausbruch der Alzheimer-Demenz noch vor tung Alpen schaut. Zum Beispiel gibt es da noch das zweite Scheren- den Kinasen. Manche dieser Kinasen verän- dem 40sten Lebensjahr. Heute weiß man, dass beide Gene nötig sind, um jene klebrigen Proteinfragmente (Aß) zu bilden, die sich zu den steinharten Ablagerungen („amyloide Plaques“) im Gehirn von Alzheimer-Patienten vereinen und so die Zellen abtöten. PS1 und PS2 sind Bauanleitungen für Bestandteile einer „molekularen Schere“, der Gamma-Sekretase. Eine weitere Schere, die Beta-Sekretase, schneidet zusammen mit der Gamma-Sekretase das Eiweißbruch- dern spezifisch die Aktivität von Tau und Das Klappern der Molekülscheren könnten ein lohnendes Ziel sein für die Entwicklung neuer Arzneien, glauben viele Forscher. In Hamburg setzen die Mandelkows jedoch auf eine andere Strategie: Sie wollen die Verklumpung einzelner Tau-Mo- Der Alzheimer-Forscher Christian Haass löste das Rätsel der Gamma-Sekretase leküle zu Bündeln verhindern, ein Vorgang, der sich mit einem von der Arbeitsgruppe stück Aß aus einem Vorläufermolekül heraus. entwickelten Test genau messen lässt. „Mit der Entdeckung der beiden PS-Gene war man an den Kern Dies ist die Grundlage für die Zu- der Alzheimer-Erkrankung und ihrer grundlegenden Mechanismen vorgedrungen“, erklärt Haass. Ein weiteres Detail enthüllte der Leibnizpreisträger im Jahr 2002 mit seinen Kollegen Dieter Edbauer Wichtige Fragen zu den Schlüsselmolekülen der Alzheimer-Demenz hat Christian Haass mit Mäusen und Hefezellen geklärt. Jetzt sollen Zebrafische weitere Antworten liefern. sammenarbeit mit mehreren Pharmafirmen, bei der man bereits 200 000 Substanzen auf ihren Nutzen als „Aggrega- und Harald Steiner: Ein Protein namens Nicastrin ist nötig, damit die Gamma-Sekretase funktionieren kann. „Wie eine Schraube hält molekül, die Beta-Sekretase. Deren Funktion will Haass jetzt an Ze- tionshemmer“ überprüft hat. Immerhin 60 Nicastrin die beiden Hälften der Schere zusammen“, so Haass. Des- brafischen genau aufklären. Dann ließen sich mögliche Hemmstof- Kandidaten zeigten die gewünschte Eigen- halb sei Nicastrin auch ein wichtiges Zielmolekül für die Entwick- fe für dieses Molekül erproben und ungeeignete Kandidaten vor ei- schaft, die krankhafte Verklumpung des lung von Anti-Alzheimer-Medikamenten. ner Erprobung am Menschen aussortieren, weil man Nebenwirkun- Tau-Proteins zu verhindern, wie Eckard Längst hat Haass ein enges Netz von Kontakten geknüpft. Nur so gen frühzeitig erkennen würde. „Ein tolles Modell“, begeistert er Mandelkow zufrieden meldet. Jetzt sucht behält der Hobby-Ornithologe den Überblick über all die Versuche, sich über seine neue Versuchstierart. Noch ist diese Abteilung im man nach Partnern aus der Industrie, die die Entstehung und den Verlauf der Alzheimer-Demenz zu beein- Aufbau, doch werde man am Ende 800 Becken für die Zebrafische helfen könnten, die Substanzen zu Medika- flussen. „Seine“ Präseniline wären dafür keine geeigneten Angriffs- im Keller haben. „Ein gigantisches Projekt, das nur mit Hilfe des menten weiterzuentwickeln. punkte, fürchtet er. PS1 und PS2 sind nämlich auch an der Embryo- Leibnizpreises und eines Sonderforschungsbereichs der Deutschen nalentwicklung beteiligt, wie Haass in Zusammenarbeit mit Ralf Forschungsgemeinschaft möglich war“, bedankt sich Haass bei Alzheimer-Forscher mehr oder weniger ge- Baumeister vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried seinen Förderern. Dann sprudeln weitere Ideen hervor. Die Zebra- spalten in zwei „feindliche“ Lager, die je- zeigen konnte. Das Puzzle vervollständigten die Forscher im Jahr fische, ahnt der Besucher, werden bestimmt nicht das letzte Projekt weils Tau oder Aß als den einzig wahren 2003, als sie in Hefezellen PS1, Nicastrin und schließlich ein weiteres sein, mit dem dieser Forscher „einfach total viel Spaß hat“. Grund allen Übels bei der AD ansahen. In- 42 Noch vor fünf Jahren war das Lager der 43 NEUROBIOLOGIE NEUROBIOLOGIE zwischen haben sich die mitunter scherz- Bild bestimmen, sind die Multiple System- haft als Tau-isten und Bap-tisten (nach dem Atrophie sowie die Demenz vom diffusen Beta-Amyloid-Protein) bezeichneten An- Lewy-Körperchen Typ. hänger beider Glaubensrichtungen ver- Eva-Maria und Eckart Mandelkow (links) erforschen seit vielen Jahren gemeinsam Transportvorgänge in Nervenzellen. Dazu beschießen sie Proteinkristalle mit hochintensiven Röntgenstrahlen (Mitte links). Es entstehen Beugungsmuster, aus denen man die Struktur der Proteine in atomarer Auflösung (oben) errechnen kann. Mit gentechnischen Methoden können die Forscher außerdem zahlreiche Proteinvarianten herstellen und im Elektronenmikroskop betrachten (rechts). Letztere gilt als Variante der Alzheimer- söhnt. Auch hat man mehrere Berührungs- Krankheit, doch leiden die Patienten auch punkte gefunden, an denen sich die beiden unter Parkinson-ähnlichen Bewegungsstö- Krankheitsprozesse wechselseitig beein- rungen. Beim Morbus Pick, der nach dem flussen und verstärken. Ort der Ablagerungen auch als Frontotem- heben können. Kryptokokken, Borrelien, BSE, die „fatale familiäre Schlaflosigkeit“ so- Meningokokken und Tuberkulosebazillen wie das Gerstmann-Sträussler-Scheinker- sind weitere Erreger, die ebenfalls das Ge- Syndrom (GSS). Bei all diesen Leiden ist der hirn befallen und bleibende Gedächtnis- Verlust der Denkfähigkeit und des Gedächt- schäden verursachen können, wenn sie nisses der gemeinsame Nenner. nicht rechtzeitig erkannt und behandelt werden. Prion-Proteine können Demenzen übertragen porale Demenz bezeichnet wird, liegen die Proteinablagerungen als gemeinsames Motiv menschliche Variante der Rinderseuche Schläge auf den Kopf oder Stürze können ebenfalls Auslöser einer Demenz sein. Das wohl bekannteste Beispiel dafür ist die Aggregate aus Tau und einem weiteren EiKrankheitserregende Prion-Proteine sind Boxer-Krankheit Dementia pugilistica. Die die einzigen bislang bekannten infektiösen Schwere des Syndroms hängt unmittelbar Die AD ist nicht die einzige „Ablagerungs- Eiweiße. Sie vermehren sich, indem sie sich von der Dauer der Boxerkarriere und der krankheit“. Auch bei der zweithäufigsten an natürlich vorkommende, harmlose Zahl der Faustkämpfe ab. neurodegenerativen Erkrankung, dem Prion-Proteine anlagern, die in Hirnzellen Morbus Parkinson, bilden sich Ablagerun- von Säugetieren vermutlich eine Schlüssel- und Größe die Art der Ausfallerscheinun- gen im Gehirn. Sie bestehen aus dem Pro- rolle bei der Gedächtnisbildung spielen. Die gen beim Patienten. Oft kommt es zu tein Alpha-Synuklein, das aus bisher nicht infektiösen Prionen erzwingen bei ihren Krämpfen, doch können auch Gedächtnis- verstandenen Gründen plötzlich seine Bindungspartnern eine Strukturänderung. probleme auftreten – vor allem wenn die Struktur verändert und von einem leicht Diese Abwandlung der räumlichen Mole- Geschwüre im Stirn- oder Schläfenlappen löslichen Zustand übergeht in sich schnell külstruktur macht die Partner ebenso wachsen. verklumpende Eiweißteilchen. Diese sind „klebrig“ wie etwa die krankmachenden weiß, Ubiquitin, im Stirnhirn. Dessen Be- die wichtigsten Bestandteile von Aggrega- schädigung führt zu gravierenden Persön- ten, die nach ihrem Entdecker auch als Le- lichkeitsstörungen. Die geistigen Fähigkei- wy-Körperchen bezeichnet werden und die ten bleiben zunächst weitgehend erhalten, sich sowohl in der Zellflüssigkeit (dem Zyto- erst im Spätstadium zeigt auch der Morbus plasma) als auch den kurzen „Ärmchen“ der Pick die typischen Symptome einer De- Neuronen ablagern. menz. Das Leiden wird häufig als Alzhei- Bewegungsstörungen sind zwar meist die ersten und für die Diagnose des Morbus mer-Demenz fehldiagnostiziert, mitunter auch als Depression oder Schizophrenie. Das Eiweiß Tau – links in Kristallform unter dem Polarisationsmikroskop – kommt in Dutzenden verschiedener Varianten vor. Sie stabilisieren und organisieren die Mikrotubuli, eine Art Transportsystem in den Fortsätzen der Nervenzellen. Manche Formen von Tau können sich aber auch zu fadenförmigen Fibrillen zusammenlagern (oben). Die Folge ist ein „Verkehrsstau“ in den Fortsätzen. Es bilden sich massive Verklumpungen, die zum Untergang der Nervenzellen führen. AIDS und Alkohol, Boxkämpfe und BSE-Erreger schädigen auf verschiedene Weise das Gedächtnis und das Denkvermögen Bei Hirntumoren bestimmt deren Lage Als Folge einer Vergiftung interpretie- Varianten der Proteine Aß und Tau bei der ren Wissenschaftler solche Demenzen, die Alzheimer-Demenz. nach lang anhaltendem Alkoholmiss- Auch AIDS ist eine Infektionskrankheit, brauch auftreten. Dabei spielt wohl auch die das Gehirn befallen und Demenzen ver- die Fehlernährung der Betroffenen eine ursachen kann. Die genauen Mechanismen Rolle, insbesondere ein Mangel an B-Vita- sind noch nicht bekannt, doch scheint der minen. Zu wenig Vitamin B1 verursacht die Schaden entweder von Stoffwechselpro- Wernicke-Enzephalopathie, die nicht nur dukten der HI-Viren oder von Signalmole- bei Alkoholikern auftritt. Hier scheint der külen der infizierten Immunzellen verur- Gedächtnisverlust Folge einer Schädigung Parkinson ausschlaggebenden Krankheits- Wie ein roter Faden wird das Leitmotiv zeichen; früher oder später erleiden jedoch der verklumpenden Eiweiße auch bei weite- sacht zu werden. Die gute Nachricht ist, des Zwischenhirns zu sein. Wird sie recht- auch diese Patienten eine Demenz. Misch- ren neurodegenerativen Erkrankungen wie dass mittlerweile – zumindest für AIDS-Pa- zeitig mit Infusionen oder Spritzen des feh- formen zwischen AD und Parkinson sind in der Huntington-Krankheit (dem „erblichen tienten in der westlichen Welt – hochwirk- lenden Vitamins B1 bekämpft, ist diese De- der Praxis annähernd so häufig wie die vas- Veitstanz“) und den sehr seltenen „Prionen- same Arzneimittelkombinationen verfüg- menz umkehrbar; unbehandelt führt sie kulären Demenzen. Weitere Demenzen, bei Krankheiten“ sichtbar. Dazu gehören die bar sind, die das Virus in Schach halten und aber zum Korsakoff-Syndrom, das tödlich denen Alpha-Synuklein-Ablagerungen das Creutzfeld-Jakob-Krankheit (CJD), die die kognitiven Ausfälle der Betroffenen be- sein kann. 44 45 SCUTZFAKTOREN & VORBEUGUNG SCHUTZFAKTOREN & VORBEUGUNG Ein Wall gegen das Vergessen Strategien, die das Gehirn vor Schäden bewahren Mithilfe einer Untersuchung an Ordensschwestern geht der Münchener Epidemiologe Horst Bickel dem Zusammenhang nach zwischen dem Bildungsgrad und der Wahrscheinlichkeit für eine Person, im höheren Alter an einer Demenz zu erkranken. Gehirnjogging und Gedächtnistraining, Vi- stimmen viele Untersuchungen darin über- dungen zwischen den Nervenzellen bilden. mogen ist. Der ansonsten naheliegende tamine und Hormonersatz, körperliche Fit- ein, dass Menschen mit höheren Bildungs- Geht eine einzelne Nervenzelle oder ein Einwand, wonach verdeckte, aber mit dem ness und soziales Engagement – die Ange- abschlüssen ein geringeres Erkrankungs- Zellverband zu Grunde, bleiben dennoch Bildungsgrad parallel laufende Faktoren ei- botspalette von „Tipps und Tricks“ gegen risiko tragen als ansonsten vergleichbare – genügend Zellkontakte über andere Ner- nen kausalen Zusammenhang zwischen Bil- das Vergessen, von „leistungsfördernden“ etwa gleichaltrige – Menschen, die nur venzellen bestehen, sodass mit dem Abster- dung und Demenz nur vorgaukeln, greift Diäten und Dragees ist riesengroß. Tatsache über einen Hauptschulabschluss verfügen. ben einer bestimmten Zahl von Nervenzel- daher bei dieser sehr gleichartig lebenden Gruppe von Frauen nicht. ist, dass keine einzige Strategie in der Lage Dieses Phänomen tritt bei vielen Erkran- len nicht unbedingt die von diesen Zellen ist, einen Menschen hundertprozentig vor kungen auf und fast immer wird dann über erbrachte geistige Leistung – etwa ein be- einer Demenz zu schützen. Eine dem Impf- die entscheidende Frage gestritten, ob ein stimmter Gedächtnisinhalt – verloren geht. um den Psychiater Alexander Kurz und den schutz gegen Infektionen vergleichbar zu- höherer Bildungsstand ursächlich vor die- Neurowissenschaftler sprechen in diesem Epidemiologen Horst Bickel von der Techni- verlässig wirkende Methode zur Vorbeu- ser Krankheit schützt oder ob nicht viel- Fall von der höheren Reservekapazität, schen Universität in München einen ähn- gung gibt es bei Demenzen nicht. mehr Personen mit höherer Bildung gesün- über die ein Mensch mit einem „trainier- lichen Ansatz gewählt und kürzlich eine der leben oder sich einen besseren Gesund- ten“, aktiveren Gehirn verfügt. Studie an fast 450 älteren Ordensmitglie- Das heißt nun umgekehrt nicht, diesen Erkrankungen schicksalhaft ausgeliefert zu sein. Im Gegenteil, Forscher haben mehrere heitsschutz leisten können. Für letzteres spricht, dass eine Reihe von Dieses Phänomen beweist nun keines- Ein „trainiertes“ Gehirn besitzt eine größere Reservekapazität. Schäden an Nervenzellen könnten sich dadurch erst später auswirken In Deutschland hat eine Forschergruppe dern der Armen Schulschwestern von unse- wegs einen ursächlichen Zusammenhang rer Lieben Frau begonnen. Noch ist diese zwischen Bildung und dem Auftreten einer Arbeit nicht abgeschlossen, doch auch das Demenz, doch es zeigt zumindest, dass es Münchener Team stieß auf einen deut- neuronale Unterschiede in Gehirnen gibt, lichen Zusammenhang zwischen Bildungs- die demenzbedingte Ausfälle der Hirnleis- grad sowie beruflicher Tätigkeit der Or- tung im einen Fall früher und im anderen densschwestern mit ihrem Risiko, an einer Fall erst später deutlich werden lassen. Demenz zu erkranken. Antworten aus dem Kloster ten und Schulen. Daher verfügen viele Frau- beeinflussbare Risikofaktoren dingfest ge- Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder zu macht, die die Wahrscheinlichkeit erhö- hohe Blutfettwerte – mithin Faktoren, die hen, im späteren Lebensalter eine Demenz durch die Lebens- und Ernährungsweise zu entwickeln (siehe ab S. 32). Es liegen zu- mitbestimmt werden – das Erkrankungsrisi- dem Untersuchungen darüber vor, welche ko vor allem für vaskuläre Demenzen er- Faktoren und Lebensumstände mit einem höht. Und viele epidemiologische Untersu- unterdurchschnittlich geringen Erkran- chungen ergaben, dass sich besser gebilde- kungsrisiko für Demenzen einhergehen. Ob te Menschen (zumindest im Durchschnitt) diese ursächlich als „Schutzfaktoren“ wir- gesünder ernähren und gesundheitsbewus- ken und so einer Demenz vorbeugen oder ster leben. Der höhere Bildungsgrad wirkt Findige Wissenschaftler haben darüber geschlossene Lehrerausbildung. Daneben ob sie lediglich mit einem noch nicht er- also nicht direkt schützend, sondern er hinaus versucht, dem Zusammenhang von gibt es Kindergärtnerinnen, Heimerziehe- kannten ursächlichen Schutzprozess paral- sorgt nur dafür, dass krankheitsbegünsti- Bildung und geistiger Aktivität mit dem De- rinnen und Schwestern mit einer hand- lel einhergehen, ist oft nicht klar. Trotzdem gende Risiken gemieden werden. menzrisiko auf andere Weise auf die Spur werklichen Ausbildung. Und es gibt zu kommen. So haben vor kurzem US-ame- Schwestern, die vor allem mit hauswirt- mehren sich die Hinweise, dass jeder sein Bei der Suche nach dem Zusammen- Der Orden unterhält Heime, Kindergären dieses Ordens über Abitur und eine ab- persönliches Risiko für ein späteres Auftre- hang zwischen Demenzrisiko und Bildungs- rikanische Epidemiologen eine Studie an schaftlichen Aufgaben betraut sind. Diese ten einer Demenz beeinflussen kann. grad fanden Forscher allerdings auch Hin- Ordensschwestern vorgelegt und darin Frauen haben, wie die überwiegende Mehr- weise dafür, dass es über die vermittelten ebenfalls einen spürbaren Einfluss des Bil- heit in dieser Generation, lediglich die Effekte hinaus einen ursächlichen Zu- dungsgrads dieser Frauen auf deren Erkran- Volksschule besucht und zumeist keine for- sammenhang gibt. Höhere Bildung und ein kungsrisiko für Demenzen festgestellt. Sie male Berufsausbildung durchlaufen. Einer der Faktoren, denen seit langer Zeit höheres geistiges Leistungspotenzial füh- wählten hierfür Ordensschwestern aus, eine Schutzwirkung vor Demenzen zuge- ren zu mehr intellektuellen Aktivitäten, so weil die Lebensführung und Ernährungs- menzkranken bei allen Ordensschwestern sprochen wird, ist der Bildungsgrad. So dass sich im Gehirn deutlich mehr Verbin- weise in dieser Gruppe ausgesprochen ho- mit dem Alter steil an. Doch betrachtet man Bildung und Demenz 46 Die Freizeit im Rentenalter lustvoll erleben, mit Beschäftigungen ausfüllen, die man selbst als sinnvoll betrachtet und die einem Befriedigung verschaffen – dies bekommt einem besser als stures Gehirnjogging. Wie erwartet stieg der Anteil der De- 47 SCHUTZFAKTOREN & VORBEUGUNG SCHUTZFAKTOREN & VORBEUGUNG Ältere Menschen verfügen heute in der Regel über eine deutlich höhere körperliche wie geistige Fitness als Gleichaltrige, die vor 40 oder 50 Jahren gelebt haben. Dieses Potenzial gilt es rechtzeitig zu nutzen. Seniorensportgruppen bieten inzwischen fast die gesamte Palette an körperlichen Betätigungen an. Selbst Trendsportarten wie das Inline-Skating dürfen da nicht fehlen. Dinge tun, die Spaß machen, anstatt zwanghaft ein geistiges Übungsprogramm zu absolvieren, ist die bessere Strategie, um auch im Alter geistig rege zu bleiben. Ob nun Schnelligkeit und taktisches Gespür oder der Mut zum Umgang mit neuen Technologien gefragt ist, die Beschäftigungsangebote für ältere Menschen sind nahezu unbegrenzt. das relative Risiko, eine Demenz zu ent- funktionalen Unterschieden im Gehirn der kussion um die Rolle der Ernährung. In dem sätzlichen Schutz vor der zerstörerischen Hopkins Bloomberg School of Public Health NSAR das Auftreten von Demenzen verzö- wickeln, so zeigt sich, dass in den einzelnen Frauen zu suchen, die das spätere Erkran- Kapitel ab S. 32 wird der Folsäuremangel Arbeit der freien Radikale bieten. bringt den Wirrwarr auf den Punkt: „Der gern oder verhindern können. Die meisten Altersklassen Schwestern mit Volksschulab- kungsrisiko für eine Demenz beeinflussen. und damit einhergehend der Überschuss an Gebrauch von Antioxidantien könnte eine Wirkstoffe dieser Gruppe greifen nämlich schluss häufiger erkrankt sind als Schwestern mit Abitur. Gruppiert man die Schwes- Aktiv sein lohnt sich in jedem Fall tern nach ihrer Berufstätigkeit, so ergeben In der auf S. 36/37 angesprochenen „Rot- körpereigenem Homozystein als ein mög- terdam-Studie“, in der Forscher die Rolle attraktive Strategie sein, um Alzheimer vor- an einer bestimmten Stelle der Entzün- licher Risikofaktor diskutiert, der sich durch verschiedener Schutz- und Risikofaktoren zubeugen. Bevor wir das mit Sicherheit sa- dungskaskade ein. Und – so dachte man – eine entsprechende Beimengung von Fol- bei fast 7000 Teilnehmern im Alter von min- gen können, brauchen wir jedoch weitere dieser Effekt bremse auch den Nervenzell- säure zu Lebensmitteln verringern ließe. destens 55 Jahren unter die Lupe nahmen, groß angelegte Untersuchungen.“ untergang durch die diversen Ablagerun- sich zwei Befunde: Lehrerinnen im Orden Unabhängig davon, ob, wann und wie sich tragen altersabhängig ein vergleichbares ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Erkrankungsrisiko wie Schwestern, die als Demenzrisiko und Faktoren wie Bildungs- rungsweise auf das Risiko, Herz-Kreislauf- höchsten Vitamin E-Einnahme unter den Kindergärtnerinnen, Pflegerinnen oder grad oder geistiger Regsamkeit beweisen erkrankungen zu erleiden. Bluthochdruck Studienteilnehmern unterlagen dem ge- Handwerksmeisterinnen arbeiten. Haus- lässt, sind sich Neurowissenschaftler darü- und zu hohe Blutfettwerte sind denn auch ringsten Alzheimer-Risiko; vor allem Rau- Eine Gruppe entzündungshemmender Me- tionen beobachtbar, die für Entzündungs- wirtschaftlich tätige Schwestern ohne for- ber einig, dass sich das möglichst lebens- neben bestimmten genetischen Ausprä- cher schienen von der Einnahme von Vita- dikamente, die als nichtsteroidale Anti- vorgänge typisch sind. Die dabei auftreten- male Berufsausbildung unterliegen indes lang anhaltende Bemühen um „intellek- gungen diejenigen Risikofaktoren, die am min C, Beta-Karotin und so genannten Fla- rheumatika (NSAR) bezeichnet werden, den schädigenden Prozesse – so die Theorie einem erheblich höheren Demenzrisiko als tuelle Fitness“ im Alter genauso „auszahlt“ überzeugendsten mit dem Erkrankungsrisi- vonoiden zu profitieren. könnten vor einer Demenz im höheren weiter – würden durch NSAR unterbunden ihre ausgebildeten Mitschwestern. wie ein regelmäßiges körperliches Training. ko für Demenzen in Verbindung gebracht Alter schützen. Es handelt sich dabei um oder zumindest gebremst. Der Münchener Demenz-Experte Hans werden konnten. Kurz und Bickel vertieften diese Analyse um einen Schritt: Sie unterschieden bei den Förstl warnt indes davor, sich selbst ein spe- Schwestern ohne Berufsabschluss solche, zielles „Anti-Alzheimer-Programm“ zu ver- die niemals während ihrer Berufstätigkeit ordnen: „Es wäre vollkommen falsch, sich eine leitende Funktion – etwa als Hausobe- auf bestimmte geistige Übungen zu verstei- rin – ausgeübt hatten, von solchen, die von Sicher belegt ist der Einfluss der Ernäh- Hilfe aus dem Einkaufskorb gen, die bei Demenzen auftreten. So sind zeigte sich folgendes Bild: Personen mit der Zuvor veröffentlichten indes finnische Schutz aus der Hausapotheke derem auch immunologische Abwehrreak- Forscher ein entgegengesetztes Ergebnis: Schmerzmittel mit Wirkstoffen wie Ibupro- In ihrer Studie erhöhten hoch dosiert verab- fen oder Acetylsalicylsäure. reichte Vitamine C und E die Gesamtsterb- bei Menschen mit einer Demenz unter an- Aufmerksam auf diese chemisch sehr Nur, wenn dies tatsächlich der Wirkhebel der NSAR bei Demenzen ist, dann sollten alle Medikamente mit diesem Wirk- lichkeit von Rauchern. Zwischen diesen sich heterogene Arzneimittelgruppe wurden mechanismus auch denselben Schutz bie- Die Frage ist nur, ob man über die kluge Zu- widersprechenden Ergebnispolen ordnet Demenzforscher zu Beginn der 1990er-Jah- ten. Das ist aber nicht der Fall. Neuere fen, die einem gar keinen Spaß machen. Gut sammenstellung des Speiseplans hinaus sich der Befund der britischen „Heart Pro- re. Damals ergab sich als „Nebenprodukt“ Untersuchungen deuten auf einen anderen der Ordensgemeinschaft in diese Funktio- ist hingegen alles, was die geistige Leistung „Gesundheit essen“ kann. Glaubt man den tection Study“ ein. In dieser Untersuchung einer Studie an Rheumapatienten, dass die- Mechanismus bestimmter NSAR hin: Einige nen gewählt worden waren. Erneut zeigten auf angenehme, interessante und lustvolle Werbeversprechen vieler Vitaminherstel- erhielten mehr als 20 000 Teilnehmer über se dann auffallend selten an einer Alzhei- bremsen offenbar die Bildung des an der sich Unterschiede: Das Ausüben einer lei- Art anregt.“ ler, so sollten hoch dosierte Vitaminpräpa- fünf Jahre hinweg antioxidativ wirkende Vi- mer-Demenz litten, wenn sie ihre entzünd- Plaqueentstehung bei vielen Demenzen be- rate wahre Wunder vollbringen. Die meis- tamine. Auf die Häufigkeit von Demenzen liche und chronische Erkrankung mit NSAR- teiligten Eiweißes Aß. Andere NSAR-Medi- ten Wissenschaftler sind indes skeptisch. wirkte sich dies jedoch nicht aus. Medikamenten linderten. In den Folgejah- kamente haben diesen Effekt nicht. tenden Funktion im mittleren Lebensalter Für den einen kann das etwa bedeuten, war mit einem geringeren Erkrankungsrisi- die neu gewonnene Freizeit im Rentenalter ko im höheren Alter verknüpft. zu nutzen, um endlich die Sprache des Lieb- Unbestritten ist folgender Zusammen- Noch vertrackter wird die Beurteilung ren berücksichtigten Epidemiologen bei Dieses Beispiel zeigt, wie vorsichtig For- lingsreiselands zu erlernen, die andere hang: Bestimmte Vitamine – es handelt sich der „Radikalenfänger“, wenn man berück- der Datenerhebung zu Studien, in denen sie scher zu Werk gehen müssen, um nicht fal- Vorhandensein solcher Verknüpfungen – schafft sich dagegen einen PC an, um mit vor allem um die Vitamine C, E und Beta- sichtigt, dass man diese Vitamine entweder die Rolle möglicher Risiko- und Schutzfak- sche Schlüsse zu ziehen. Auch wenn es loh- statistisch gesprochen handelt es sich um Gleichgesinnten zu chatten und den Enkeln Karotin – wirken als „Radikalenfänger“. über entsprechende Nahrungsmittel oder toren untersuchten, auch den Gebrauch nend erscheint, die „NSAR-Spur“ weiter zu Korrelationen – als Beweis für eine ursäch- E-Mails zu schicken. Hans Förstls Fazit: Freie Radikale – ein Begriff aus der Chemie – als hoch dosiertes Präparat zu sich nehmen dieser Entzündungshemmer. Dabei ergab verfolgen, ist es noch zu früh, gesunden lich schützende Funktion von Bildung und „Heute haben alte Menschen – egal, ob mit sind besonders reaktionsfreudige Moleküle. kann. So kamen die Autoren einer Studie sich folgendes Bild: In der Mehrzahl der Stu- Menschen eine „Demenz-Prophylaxe“ mit beruflicher Aktivität zu interpretieren. 65 oder 85 Jahren – eine ganz andere kör- Im Körper erhöhen sie den so genannten aus Chicago zu dem Schluss, dass nur die dien reduzierte die Einnahme dieser Medi- NSAR zu empfehlen. Nicht nur viele Fragen Doch die besonderen, sehr homogenen Le- perliche und geistige Ausstattung als die- oxidativen Stress und richten dadurch viele „natürlichen“ Vitamine in der Nahrung vor kamente das spätere Demenzrisiko. zum Wirkmechanismus, dem Einnahme- bensverhältnisse dieser Frauen erlauben es, jenigen, die vor 50 Jahren dieses Alter er- Schäden an und in den Zellen an. Vor allem einer Demenz schützen, nicht aber die syn- den neuronalen Prozessen, die diesen Un- reichten. Ihnen stehen neue Bildungs- und Raucher erzeugen in ihrem Körper be- thetisch hergestellten Ergänzungspräpara- ten“ ans Licht, die sich mit dieser Hypothese terschieden zu Grunde liegen, näher zu Vergnügungsmöglichkeiten offen. Diese sonders viele Stoffwechselprodukte, die als te. In einer vergleichbaren Untersuchung nicht so leicht in Einklang bringen ließen. kommen. In einem Folgeprojekt wollen die gilt es zu nutzen, und zwar bevor man erste freie Radikale wirken. an mehr als 3000 Personen im Alter von So zeigte sich etwa, dass nicht alle Entzün- Kalkül ziehen, dass die meisten Medika- Wissenschaftler daher auch jüngere Vorzeichen einer Demenz an sich verspürt.“ Beide Forscher hüten sich davor, das Schwestern in die Untersuchung mit auf- Ähnlich vehement wie die Diskussion zeitpunkt, der Einnahmedauer und der geeignetsten Dosierung gilt es zu klären. Eine solche Empfehlung muss auch ins Gerade für diese Gruppe von Menschen, mindestens 65 Jahren in dem kleinen US- dungshemmer aus dieser Gruppe gleicher- mente dieser Gruppe bei langanhaltendem so das Argument der Vitaminproduzenten, amerikanischen Landkreis Cache County maßen das Demenzrisiko verringern. Gebrauch und hoher Dosierung schwere nehmen, um etwa mit geeigneten Bild- um die Rolle der Bildung für das Erkran- müsste die Einnahme ausreichend dosier- waren die Verhältnisse gerade umgekehrt. gebungsverfahren nach strukturellen oder kungsrisiko bei Demenzen verläuft die Dis- ter Vitamine als „Antioxidantien“ einen zu- Studienleiter Peter P. Zandi von der Johns 48 Allerdings kamen auch „Ungereimthei- Damit kam die zunächst favorisierte Erklärung der Mediziner ins Wanken, wonach Nebenwirkungen bis hin zum tödlichen Nierenversagen verursachen können. 49 MEDIKAMENTE MEDIKAMENTE Hilfe von drei Generationen INDUSTRIE IM WETTSTREIT Heutige und zukünftige Therapieansätze Roche und Novartis, Bristol-Myers Squibb und GlaxoSmithKline, Lilly und Merck, Amgen und Elan – die Liste der Unternehmen, die neue Wirkstoffe gegen Demenzerkrankungen entwickeln, liest sich wie ein „Who is Who“ der Das Arzneimittelangebot zur Behandlung die chemische Signalübertragung zwischen Pharmaindustrie. Weil viel Geld auf von Demenzen (Antidementiva) ist inzwi- Nervenzellen. Ihre Wirkweise ist daher spe- dem Spiel steht, fließen die Informatio- schen breit gefächert, und eine Reihe ak- zifischer auf die einer Demenz zu Grunde nen indes langsamer als bei öffent- tueller Forschungsansätze bietet gute liegenden Schadensabläufe gerichtet, als lichen Forschungsprojekten. Wer in Chancen, die Therapiemöglichkeiten zu- dies bei Nootropika der Fall ist. diesem Rennen die Nase vorn hat, ist künftig zu verbessern. Dennoch darf man Die dritte Generation stellen die Hoff- selbst für Profis schwer zu beurteilen. eines nicht verkennen: Gegenwärtig gibt es nungsträger für zukünftige Behandlungs- kein Arzneimittel, das eine Demenz heilen strategien dar. Hierbei handelt es sich ent- gegen Alzheimer“ entwickeln. Zwar er- kann. Es ist bestenfalls möglich, Symptome weder um Medikamente, die für andere An- litten bei ersten Versuchen des irischen zu lindern und die Geschwindigkeit der wendungsfelder zwar bereits zugelassen Unternehmens Elan 18 von 300 freiwil- kognitiven Verluste zu bremsen. sind, deren vermuteter Nutzen bei der Be- ligen Probanden eine Hirnhautentzün- handlung von Demenzen aber noch nicht dung. Die Alzheimer-Demenz der übri- aber man sollte sie deshalb nicht zu gering bewiesen ist. Oder es handelt sich um Sub- gen Impfstoffempfänger aber schritt einschätzen: Rechtzeitig und mit Bedacht stanzen und Ansätze, die völlig neu sind. langsamer fort als bei unbehandelten eingesetzt verschaffen die heute verfügba- Das Interesse der Demenzforscher weckten Patienten. Während Elan nun eine ren Antidementiva den Erkrankten einen diese Ansätze, weil sie exakt an einer be- „entschärfte“ Version der ursprüng- wertvollen „Zeitgewinn“ von ein bis zwei stimmten Stelle im neurodegenerativen Ge- lichen Vakzine AN-1792 entwickelt, er- Jahren, in denen sie trotz ihrer Erkrankung schehen angreifen und daher – zumindest probt die US-Firma Eli Lilly einen so ge- ohne wesentlichen Verlust an Selbststän- in der Theorie – Schäden im Gehirn „zielge- nannten passiven Impfstoff. Hierbei digkeit leben können. Da sich Demenzen nau“ verhindern oder beheben könnten. Ob vertraut man nicht auf die Immunreak- oftmals erst im ganz hohen Alter ausprä- sich diese anspruchsvollen Ziele tatsächlich tion des Körpers, sondern spritzt den gen, kann dies auch bedeuten, dass ein erreichen lassen, wird allerdings erst ihre Patienten biotechnisch hergestellte Hochbetagter die besonders schwere, letzte klinische Erprobung zeigen. Antikörper in die Blutbahn. Die Möglichkeiten sind also begrenzt, Viele Firmen wollen eine „Impfung Partner statt Konkurrenten sind Eli Phase einer Demenz gar nicht mehr erlebt. Die Wirkweisen dieser Substanzen sind Lilly und Elan bei der Entwicklung von trum drei Generationen von Arzneimitteln im Einzelnen oft nicht geklärt. Eine spezifi- Gamma-Sekretase-Hemmern. Die syn- zuordnen, die auch den jeweiligen Kennt- sche Wirkung an bestimmten Stellen in der thetisch hergestellten Moleküle behin- nisstand über die bei Demenzen wichtigen „Maschinerie“ des Gehirns üben diese Sub- dern „molekulare Scheren“ bei der Ar- Schädigungen widerspiegeln: stanzen jedoch wahrscheinlich nicht aus. beit, die aus einem Membranmolekül Vielmehr bewirken Nootropika eher eine von Nervenzellen ein Fragment (Aß) genannter Nootropika. So bezeichnen Me- unspezifische „Normalisierung“ von zellu- herausschneiden, das wiederum bei der diziner Substanzen, die eine „leistungsför- lären oder molekularen Schadenskaskaden, Alzheimer-Demenz zu steinharten Ab- dernde“ Wirkung auf diverse Hirnfunktio- indem sie etwa Nervenzellmembranen po- lagerungen verklumpen kann. Historisch gesehen lässt sich das Spek- Zur ersten Generation zählt eine Reihe so nen haben sollen. Diese Substanzen kamen im Wesentlichen in den beiden Dekaden zwischen 1970 und 1990 auf den Markt. Bei Aus den Blättern des Ginkgobaums wird ein Extrakt gewonnen, der auch bei Demenzen eingesetzt wird. Das Substanzgemisch mindert den „oxidativen Stress“ von Nervenzellen. Die Substanz Galantamin, ein Wirkstoff der natürlicherweise im Schneeglöckchen vorkommt, verzögert den Abbau kognitiver Leistungen bei Demenzkranken um zirka ein Jahr. Merck und Amgen setzen auf solche res scheint etwa beim Extrakt aus Blättern Moleküle. Bristol-Myers Squibb hat be- des Ginkgobaumes der Fall zu sein. Das Sub- reits einen Gamma-Sekretase-Hemmer rungen an die Arzneimittelprüfung nicht stanzgemisch in diesem Nootropikum wirkt an Patienten überprüft, doch sind die bis heute nicht oder nur in Ansätzen geklärt Beipackzettel unter der Rubrik „Anwen- mehr genügen. Oder es handelt sich um als „Radikalenfänger“ und reduziert so den Ergebnisse dieser Studie noch nicht be- sind. Dennoch werden sie von vielen erfah- dungsgebiete“ Angaben wie „Hirnleis- Prüfungen, die an Patienten mit unter- „oxidativen Stress“, dem geschädigte Ner- kannt. Ein anderes Scherenmolekül, die renen Ärzten auch bei Menschen mit De- tungsstörungen“. Solche Medikamente schiedlichen Erkrankungen – etwa einer venzellen ausgesetzt sind (siehe ab S. 46). Beta-Sekretase, ist Ziel spezifischer menzen durchaus mit Erfolg eingesetzt. wurden und werden auch bei Personen mit „altersbezogenen kognitiven Verschlechte- Demenzen eingesetzt, doch ihr Gebrauch rung“ – vorgenommen wurden. Oder es va umfasst Medikamente, die erst in den geht weit über diese Erkrankungen hinaus. existieren mehrere, sich widersprechende 1990er-Jahren entwickelt wurden, teilweise Ihr Nutzen speziell bei Demenzerkrankun- Studienergebnisse zu einer Substanz. Aus Wenig Informationen liegen darüber vor, als sicher und wirksam erweisen, könn- also erst wenige Jahre in der Behandlung gen ist nicht unumstritten. Gerade für die heutiger Sicht ist daher nicht immer klar, welcher Patient von welchem Nootropikum ten sie bereits in wenigen Jahren ver- von Demenzen eingesetzt werden. Bei allen älteren Wirkstoffe aus dieser Gruppe exis- welchen Nutzen ein bestimmtes Nootropi- am ehesten profitiert. Nicht möglich ist es fügbar sein“, so Franz Hefti von den strukturellen Unterschieden ist ihnen eine tieren oft nur klinische Studienergebnisse, kum einem Patienten mit einer bestimmten zudem, eine „Hitliste“ zu erstellen, in der Merck Research Laboratories. Wirkstrategie gemeinsam: Sie verbessern die den heutigen, viel strengeren Anforde- Form von Demenz tatsächlich bietet. die Substanzen nach dem Grad der Wirk- Die zweite Generation der Antidementi- 50 Bei einigen Nootropika findet man im Auch die Firmen Glaxo SmithKline, selprodukte im Gehirn „entgiften“. Letzte- aller chemischer Unterschiedlichkeit ist ihnen zu eigen, dass ihre Wirkmechanismen sitiv verändern oder schädliche Stoffwech- Hemmstoffe, die Elan, Pharmacia und Fingerspitzengefühl ist gefragt weitere Firmen anstreben. „Wenn diese Substanzen sich in klinischen Studien 51 MEDIKAMENTE MEDIKAMENTE FOKUS FORSCHUNG Blutfettsenker gegen Alzheimer-Demenz samkeit bei Demenzen in eine Rangfolge und schwerer Formen der Alzheimer-De- satz von Acetylcholinesterase-Hemmern gebracht wurden. Zu unterschiedlich sind menz in Europa zugelassen. bei Demenzen. Doch mit dem gerade in den Nur wenig früher entwickelten Pharma- letzten Jahren gewonnenen Wissen über getestet wurden, zu verschieden die Patien- hersteller vier Wirkstoffe zur Marktreife, die die vielfältigen Schädigungsprozesse bei ten, ihre Krankheiten und Krankheitssta- als so genannte Acetylcholinesterase-Hem- diesen Erkrankungen (siehe ab S. 38) kom- dien, die Eingang in die diversen Studien mer oder -Inhibitoren fungieren. Es handelt men Zweifel auf, dass diese Hypothese der Den Forschergeist bekam Mikael Simons schon in die Wiege gelegt. gefunden haben. Daher bleibt es dem Arzt sich um die Substanzen Donepezil, Rivastig- Komplexität der demenziellen Veränderun- Sein Vater Kai Simons hat sich als Zellbiologe am European Molecu- wie dem Patienten nicht erspart, den Nut- min, Galantamin und Tacrin. Da sich im gen gerecht wird. Andererseits rückten lar Biology Laboratory in Heidelberg einen Namen gemacht und ist zen eines Nootropikums im Einzelfall aus- Rahmen mehrerer klinischer Studien zeig- durch dieses Wissen neue „Hebel“ in den heute Direktor am Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie zutesten. Fingerspitzengefühl, Vorsicht te, dass Tacrin in höherer Dosierung die Le- Blickpunkt der Forscher, an denen sie zu- und Genetik in Dresden. Der Sohn forscht an der Neurologischen und Erfahrung sind dabei unerlässlich. ber schädigen kann, spielt dieses Medika- künftig ansetzen wollen, um wirksamer als ment in der Behandlung von Demenzen dies heute möglich ist, in den zerstöreri- heute praktisch keine Rolle mehr. Die drei schen Prozess bei Demenzen einzugreifen. die Einsatzfelder, in denen die Substanzen Klinik der Universität Tübingen und freut sich, dass er trotz der gewachsenen räumlichen Distanz so manchen Tipp bekommt, wenn Erfolgreiche Hemmung anderen Substanzen wurden in Europa zwi- Experimente fehlschlagen, oder wenn es gilt, vertrackte Fragen mit möglichst einfachen Untersuchungen eindeutig zu beantworten. Schon als Doktorand in der Arbeitsgruppe von Konrad Beyreu- Sicherer lässt sich der Nutzen der zweiten schen den Jahren 1993 und 2002 zur Be- Generation von Antidementiva beurteilen. handlung leichter bis mittelschwerer For- ther am Zentrum für Molekulare Biologie in Heidelberg interessier- Hierzu gehören vier Wirkstoffe, die als Ace- te sich Simons junior für den Zusammenhang zwischen bestimmten tylcholinesterase-Hemmer bezeichnet wer- blutfettsenkenden Arzneien – den Statinen – und der AD. Simons den, und der Wirkstoff Memantin, ein so war nämlich auf zwei klinische Studien aufmerksam geworden, die genannter NMDA-Rezeptorantagonist. im Rückblick ergeben hatten, dass Herzpatienten seltener an einer Der NMDA-Rezeptor ist eine Andockstel- Der enorme Zuwachs an Wissen über die Schäden im Gehirn, die Demenzen verursachen, erlaubt es der Pharmaindustrie inzwischen, zielgerichtet neue Medikamente gegen das Vergessen zu entwickeln. Der Markt dafür ist ausgesprochen lukrativ: Die Zahl der Demenzkranken wächst dank steigender Lebenserwartung weltweit an. Wachstumsfaktoren gegen schrumpfende Hirnzellen men der Alzheimer-Demenz zugelassen. Für kein anderes Antidementivum ist Das ehrgeizigste Ziel der Forscher ist es, De- der klinische Nutzen bei der Behandlung menzen nicht nur aufzuhalten, sondern be- von Demenzen so gut belegt wie für die reits vorhandene Schäden zu reparieren. Gruppe der Acetylcholinesterase-Hemmer. Manche glauben sogar, ausgefallene Hirn- Auch sie können eine Demenz nicht heilen, zellen durch neue ersetzen zu können. aber sie verlangsamen den Abbau kogniti- Schließlich kennt man eine ganze Reihe von AD erkrankten, wenn sie über mehrere Jahre hinweg mit choleste- le für einen der mengenmäßig wichtigsten rinsenkenden Statinen behandelt worden waren. Um 70 Prozent Botenstoffe zwischen Nervenzellen über- war das Risiko in beiden Studien reduziert, und auch in Tierexperi- haupt, nämlich für die Aminosäure L-Gluta- ver Leistungen sowie den fortschreitenden Wachstumsfaktoren, die Nervenzellen am menten zeigte sich ein Zusammenhang zwischen dem Cholesterin- mat. Rund zwei Drittel aller errregenden Verlust beim Ausüben von Alltagsaktivitä- Leben erhalten und diese vielleicht sogar stoffwechsel und der Demenzentwicklung. Verbindungen zwischen Nervenzellen nut- ten. Zudem helfen sie, neuropsychiatrische zur Teilung anregen können. Einer davon, zen L-Glutamat als chemisches Signal zur Krankheitssymptome zu lindern. Den Zeit- nämlich NGF (für englisch „Nerve Growth ab, wenn sie fettreiche Nahrung erhielten. Meerschweinchen, de- Reizweiterleitung. Bei vielen neurodegene- gewinn beziffern Experten auf sechs bis Factor“), lässt die Ärmchen eben jener Neu- nen man Statine ins Futter mischte, hatten dagegen weniger Aß im rativen und auch gefäßschädigenden Pro- zwölf Monate, manche Neurologen spre- ronen sprießen, die ihre Botschaften mit Gehirn und im Nervenwasser als unbehandelte Kontrolltiere. Eine zessen kommt es zur Überproduktion an L- chen gar von ein bis zwei Jahren. Acetylcholin austauschen. von vielen Forschern bevorzugte Erklärung dafür ist, dass Statine Glutamat und zu einer Überaktivierung der Beispielsweise lagerten Kaninchen in ihren Gehirnen mehr Aß Die Zugabe von NGF zu den bereits er- die Zusammensetzung der NMDA-Rezeptoren. Diese Überaktivierung weise dieser Hemmstoffe konzentriert sich wähnten Acetylcholinesterase-Hemmern Nervenzellhüllen verän- kann Nervenzellen töten (siehe ab S. 38). auf ein bestimmtes Signalsystem zwischen hat im Tierversuch das altersabhängige Nervenzellen; Fachleute sprechen vom cho- Schrumpfen von Nervenzellen weitgehend dern, weil sie den Nach- Der Wirkstoff Memantin verhindert die schub eines wichtigen chronische Überstimulation der NMDA-Re- linergen System. Der entscheidende Boten- rückgängig machen können. In einer Membranbestandteils dros- zeptoren, indem er diese Andockstelle be- stoff dieser Signalkette ist das Acetylcholin. schwedischen Studie wollten Wissenschaft- seln – des Cholesterins. setzt. L-Glutamat kann den so „blockierten“ Neurophysiologische Befunde zeigten nun, ler klären, ob NGF auch bei Alzheimer-Pa- NMDA-Rezeptor für die Dauer dieser Bin- dass es einen Zusammenhang zwischen tienten wirksam ist. Tatsächlich besserte dung nicht mehr stimulieren. kognitiver Beeinträchtigung und Fehlfunk- sich der Hirnstoffwechsel bei den ersten tionen im cholinergen System gibt. drei Patienten merklich, und die Nerven Das aber macht die Membran fester, sodass da- Einig in der Berufswahl: Vater Kai Simons und Sohn Mikael Simons arbeiten als Forscher. Die im Übrigen nicht identische Wirk- rin eingebettete molekula- In mehreren klinischen Studien mit ei- re Scheren, die das Vorläu- ner Vielzahl von Patienten erwies sich Me- fermolekül von Aß zer- mantin sowohl bei Alzheimer-Demenz wie einer Alzheimer-Demenz Schäden in cho- Trotzdem musste die Studie abgebrochen schneiden, weniger beweg- bei vaskulären Demenzen in mehrfacher linergen Hirnarealen. Den Grund dafür sah werden, denn die Probanden erlitten lich sind und folglich auch Weise als wirksam: Bei Demenzpatienten, man in einer ungenügenden Versorgung Rückenschmerzen und verloren stark an der Nervenzellen mit Acetylcholin, sodass Gewicht. weniger Aß anfällt. Einer der wichtigsten Fachartikel, der diese Zu- die über sechs bis 28 Wochen mit dieser sammenhänge offengelegt hat, nennt übrigens Mikael Simons als Substanz behandelt wurden, verschlechter- Erstautor und als Seniorautor dessen Vater Kai Simons. ten sich die kognitive Leistungsfähigkeit so- Trotzdem plädiert Mikael Simons vorerst nicht dafür, Statine bei wie die Fähigkeit zur Bewältigung von All- So finden sich bereits früh im Verlauf Das ehrgeizigste Ziel der Forscher ist es, Demenzen nicht nur aufzuhalten, sondern bereits vorhandene Schäden zu reparieren die Signalübertragung zwischen ihnen ge- reagierten empfindlicher auf Acetylcholin. Weil in diesem Experiment das NGF auf stört wird. Acetylcholin selbst wird unter einen Schlag in die flüssigkeitsgefüllten anderem durch das Enzym Acetylcholines- Hohlräume des Gehirns eingespritzt wurde, terase abgebaut, damit ein einmal in den ersann Mark Tuszynski von der University of synaptischen Spalt ausgeschütteter Boten- California San Diego (UCSD) ein sanfteres, Gesunden einzusetzen. Wie alle Medikamente haben auch sie tagsaktivitäten und das Antriebsverhalten Nebenwirkungen. Gesunde sollten diese Nebenwirkungen erst deutlich langsamer als bei vergleichbaren dann in Kauf nehmen, wenn damit ein handfester Vorteil verbun- Patienten, die lediglich wirkstofffreie Place- stoff nicht unablässig benachbarte Synap- kontinuierlicheres Nachschubverfahren für den ist. Der Beweis dafür steht aber noch aus. Und obwohl die Arz- bo-Tabletten erhielten. Der „bremsende“ Ef- sen erregt. Die Acetylcholinesterase-Inhibi- NGF, das – wie die meisten Wachstumsfak- nei Simvastatin sich in einer frühen Studie als wirksam bei frühen fekt auf das Fortschreiten der Krankheit er- toren blockieren nun die Funktion dieser toren – zu groß ist, um vom Blutkreislauf Stadien der AD erwiesen hat, müsse dieser Befund noch in weiteren, scheint dabei um so deutlicher, je schwerer abbauenden Enzyme, sodass der Botenstoff direkt ins Gehirn zu gelangen: Der Direktor größeren Untersuchugen bestätigt werden, sagt Simons. Um eine die Demenz zu Beginn der Erkrankung aus- längere Zeit aktiv bleibt. des Zentrums für Nervenreparatur (Center Therapie zu etablieren, die das Fortschreiten der Krankheit verlang- geprägt war. Seit wenigen Jahren ist Me- Mit der Hypothese vom „cholinergen for Neural Repair) verpackte die Erbinfor- samen kann, habe man inzwischen eine weltweite Studie gestartet. mantin zur Behandlung mittelschwerer Defizit“ rechtfertigte man bislang den Ein- mation für NGF in Bindegewebszellen, die 52 53 MEDIKAMENTE jeweils einen Schnitt in das Vorläufermole- fernen. Im Gegensatz zum klassischen kül von Aß, dem APP. Schneidet nur eine der Impfstoff, der vor einer Infektion schützen 3 beiden Sekretasen, so entstehen Bruch- soll, ist dieser therapeutische Impfstoff für stücke, die im Gegensatz zu Aß nicht „kle- bereits Erkrankte gedacht. brig“ sind und deshalb auch nicht zu Abla- Ein Impfstoff gegen die Alzheimer-Demenz? gerungen verklumpen. Im Reagenzglas funktioniert dies hervorragend, doch hat der scheinbar elegante Ansatz, die Molekülscheren zu beeinflussen, einen entscheidenden Haken: Sekretasen erfüllen im Kör- 2 4 chen erprobte die irische Firma Elan diese 9 per zahlreiche Funktionen, unter anderem Strategie an 300 Alzheimer-Patienten. Von spielen manche von ihnen bei der Embryo- diesen erlitten allerdings 18 eine Hirnhaut- nalentwicklung eine wichtige Rolle. entzündung, was die Prüfärzte zum Stu- 1 Mäuse, deren Gamma-Sekretaseaktivität dienabbruch zwang. Obwohl sich die Hirn- durch gentechnische Eingriffe blockiert hautentzündung in allen Fällen durch die wurde, verstarben noch im Mutterleib an In Zusammenarbeit mit einem Neurochirurgen transplantierte Mark Tuszynski von der University of California in San Diego gentechnisch veränderte Bindegewebszellen in das Gehirn von Alzheimer-Patienten. Die Zellen fungieren dort als Minifabriken für den Nervenwachstumsfaktor NGF, der die Schrumpfung der Zellen verhindert. Sekretase rief in ersten Studien beim Men- 6 Patienten neurologische und kognitive Defizite zurück. Die Mehrzahl der AlzheimerForscher bleibt dennoch optimistisch, und er aus Hautproben seiner Patienten gewon- und besorgniserregende Verschiebungen zahlreiche Unternehmen arbeiten nun an nen hatte. Die gentechnisch aufgerüsteten in der Balance der Abwehrzellen hervor. Die einer verträglicheren Vakzine. Bindegewebszellen implantierte Tuszynski Versuche wurden deshalb eingestellt. dann in Zusammenarbeit mit einem Neuro- Mäuse ohne Beta-Sekretase sind äußer- chirurgen ins Vorderhirn, wo sie ständig ge- lich unauffällig; doch auch hier ist unklar, ringe Mengen NGF absondern. ob dieses Biomolekül außer APP nicht noch weitere Proteine bearbeitet. Bei den Mäu- jedoch einer kurz nach dem Eingriff an ei- sen müsste dies nicht unbedingt auffallen, ner Hirnblutung; ob die anderen von der schließlich haben die Tiere im Vergleich Operation profitierten, war zunächst nicht zum Menschen nur eine sehr kurze Lebens- zu entscheiden. Da es annähernd 100 ver- spanne. „Ich wette, dass es auch hier Proble- schiedene Wachstumsfaktoren im Zentra- me geben wird“, warnt der Münchener Alz- len Nervensystem gibt und Gentherapeu- heimer-Experte Christian Haass (siehe auch ten eine Vielzahl verschiedener Techniken Fokus Forschung S. 42). entwickelt haben, um die jeweiligen Erb- Manche Forscher haben deshalb nicht informationen in das gewünschte Gewebe Aß selbst im Auge, sondern die Metalle Zink zu schleusen, darf man in näherer Zukunft und Kupfer, weil sie den Verklumpungspro- noch zahlreiche Varianten von Tuszynskis zess fördern. Schon vor mehreren Jahren Transplantationstechnik erwarten. hat Ashley Bush von der Harvard Medical School entdeckt, dass Aß-Aggregate (Ver- Ablagerungen geraten ins Visier der Mediziner klumpungen) nach der Gabe eines so genannten Kupferchelators auseinanderfallen. Chelatoren ziehen Metallatome an sich, Das Gros der innovativen Therapieverfah- und der als Antibiotikum schon lange ge- ren konzentriert sich auf die Alzheimer-De- nutzte Kupferchelator Clioquinol bot sich menz. Dort nehmen Wissenschaftler bevor- deshalb auch als Antidementivum an. zugt die Ablagerungen im Gehirn ins Visier, Tatsächlich verbesserte die Substanz in und sie versuchen, diese auf verschiedene einer ersten klinischen Studie das Erinne- Weise aufzulösen, „abzusaugen“ oder zu- rungsvermögen von Alzheimer-Patienten. mindest deren Bildung zu verlangsamen. Mit Colin Masters von der australischen Da man die Herkunft der Ablagerungen aus Universität in Melbourne ließ Bush das Me- dem Aß-Protein genau kennt (siehe ab S. 38) dikament an 18 Patienten verabreichen. Sie und an diesem Prozess zwei Eiweiße unmit- alle schnitten nach 36 Wochen besser ab als telbar beteiligt sind, lag es auf der Hand, die Patienten einer Kontrollgruppe, die nur diese Eiweiße zu stören. ein Scheinmedikament erhalten hatten. Beide Moleküle – sowohl die Beta-Sekretase als auch die Gamma-Sekretase – setzen 54 8 neien kontrollieren ließ, blieben bei sechs schen Störungen des Magen-Darmtrakts Von den ersten acht Patienten verstarb Mit einer Reihe von Substanzen und sogar einem Impfstoff wollen Forscher die schädlichen Ablagerungen im Gehirn auflösen Gabe von entzündungshemmenden Arz5 schweren Störungen der Organentwicklung. Die leichte Hemmung der Gamma- Nach spektakulären Erfolgen in Tierversu- Auch mit einem Impfstoff versuchen Wissenschaftler, Aß-Ablagerungen zu ent- Nicht nur bei der Alzheimer-Demenz, sondern auch bei anderen Ablagerungs7 Angriffspunkte für zukünftige Medikamente krankheiten könnten Wirkstoffe nützlich sein, um die Strukturveränderungen der beteiligten Eiweiße zu verhindern. Diese 1. Wissenschaftler erproben zahlreiche Strategien gegen Demenzerkrankungen. Der wichtigste Angriffspunkt ist dabei das Gehirn, wo jeweils unterschiedliche Schadensprozesse die Signalleitung zwischen den Nervenzellen unterbrechen können. Auch der Blutkreislauf und die Gefäße sind Ziel der Forschung, weil diese für die Energieversorgung der Neuronen maßgeblich sind und weil Blutungen ganze Hirnregionen lahmlegen können. „Beta-Faltblattbrecher“ lagern sich an Aß, 2. An den Verbindungsstellen zwischen den Nervenzellen - den Synapsen - werden elektrische Impulse in chemische Botschaften umgewandelt. Hemmt man den Abbau des chemischen Botenstoffs Acetylcholin, so kann dieser länger wirken und die Signalleitung wird verstärkt. Nach diesem Prinzip funktionieren die Acetylcholinesterasehemmer, eine Gruppe von Arzneimitteln, die den geistigen Zerfall bei der Alzheimer-Demenz um bis zu zwei Jahre verzögern können. lich, also ungefährlich, sind. Zudem können 3. Ein Überschuss des Botenstoffes Glutamat wirkt giftig und kann zum Untergang von Nervenzellen führen. Mit der Arznei Memantin können Ärzte die Empfangsstationen für Glutamat blockieren und die schädliche Übererregung dämpfen. Memantin ist bislang das einzige Medikament, dessen Nutzen bei fortgeschrittener Alzheimer-Demenz erwiesen ist. ist dies Claudio Soto von der Schweizer Fir- 4. Die Scherenmoleküle Beta- und Gamma-Sekretase zerschneiden das Molekül APP in der Hülle von Nervenzellen. Aus dem mittleren Bruchstück Aß (rot) entstehen dann Ablagerungen (Plaques), die womöglich die Hauptursache sind für den Tod der Nervenzellen bei der Alzheimer-Demenz. Hemmstoffe gegen die Scherenmoleküle sollen diesen Prozess verlangsamen. 5. Eine Impfung soll den Körper anregen, das Aß als fremd zu erkennen und dagegen Antikörper zu bilden. Die Ypsilon-förmigen Antikörper binden dann Aß und werden womöglich zusammen mit ihrer gefährlichen Fracht von Fresszellen (weiss) vernichtet. Für eine „passive Impfung“ lassen sich Antikörper auch im Labor herstellen. 6. Aß-Moleküle, die bereits feste Ablagerungen (Plaques) gebildet haben, lassen sich mit bestimmten chemischen Verbindungen wieder auflösen. Eine dieser Verbindungen, der Metallchelator Clioquinol, ist bereits als Medikament zugelassen und wird als Antibiotikum benutzt. Neben den Metallchelatoren sind für die Demenztherapie auch Substanzen interessant, welche die Verklumpung von Aß und ähnlichen Substanzen verhindern. 7. Radikalenfänger sind Stoffe, die besonders reaktionsfreudige Sauerstoffverbindungen in Blut und Gewebe unschädlich machen können. Man hofft, damit Gift- und Schadstoffe zu neutralisieren und den Alterungsprozess zu verlangsamen. Viele Vitamine, Nahrungsmittelzusätze und Pflanzenextrakte werden als Radikalenfänger beworben. Ihr Nutzen gegen Demenzerkrankungen ist jedoch unter Fachleuten umstritten. 8. Annähernd 100 Wachstumsfaktoren sind bekannt, die die Entwicklung von Nervenzellen fördern können. Erste Versuche, damit den Schadensprozess bei der Alzheimer-Demenz zu bremsen, sind im Gange. Noch suchen Forscher jedoch nach einer effizienten und unkomplizierten Methode, zusätzliche Wachstumsfaktoren ins Gehirn zu bringen. 9. Viele Demenzen sind die Folge von Blutungen im Gehirn. Das Risiko für derartige Mini-Schlaganfälle kann durch Blutdruck senkende Arzneien verringert werden und vermutlich auch mit Medikamenten aus der Gruppe der Statine. Statine vermindern die Menge an schädlichen Blutfetten; ihr Nutzen zur Vorbeugung und Behandlung von Demenzerkrankungen wird derzeit intensiv erforscht. Tau oder auch Prionproteine an und stabilisieren jene Strukturvarianten, die gut lösmanche Beta-Faltblattbrecher die Verklumpung teilweise rückgängig machen – zumindest in Zellkulturen und im Tierversuch ma Serono als Erstem gelungen. Generell behindert das Interesse der pharmazeutischen Industrie, eigene Entwicklungen vor der Konkurrenz geheim zu halten, den freien Wissensaustausch. Selbst Spezialisten sind oft auf Gerüchte angewiesen, wenn sie die Erfolgsaussichten der unterschiedlichen Therapieansätze gegen Demenzen abschätzen sollen (siehe Kasten Seite 51). So ärgerlich diese Situation auch sein mag, sie markiert doch einen erfreulichen Paradigmenwandel: Die Phase der Grundlagenforschung haben die Wissenschaftler inzwischen abgeschlossen. Statt auf zufälligen Entdeckungen beruht die Entwicklung neuer Therapien jetzt auf Wissen. Dass die Pharmaindustrie die mit Steuergeldern aufgezeigten Therapieansätze mit eigenem Kapital weiterverfolgt, ist auch ein Zeichen dafür, wie hoch selbst kühle Rechner die Erfolgschancen im Kampf gegen Demenzen einschätzen. 55 ANDERE THERAPIEN ANDERE THERAPIEN in hartnäckigen Fällen mit Arzneimitteln erfolgen sollte. Zum anderen sollte ein Gesamtbehandlungsplan darauf abzielen, dass Ärzte und Angehörige, Therapeuten und Pflegerinnen versuchen, gewohnte Alltagsaktivitäten zu erhalten, störende Verhaltensauffälligkeiten günstig zu beeinflussen und alles zu unterstützen, was die Lebensqualität und das physische und psychische Wohlbefinden des Kranken fördert. Für die sehr unterschiedlichen nichtmedikamentösen Therapien gibt es noch längst nicht so viele Wirksamkeitsstudien wie bei Arzneimitteln, doch für ihren Einsatz sprechen vor allem die vielen praktischen Erfahrungen in der stationären oder ambulanten Versorgung Demenzkranker. Für die Behandlung von Demenzpatien- Tiere als Therapeuten: „Hundebesuchsprogramme“ können nicht-medikamentöse Therapien wirksam unterstützen. ten, die ja für jeden Kranken maßgeschneidert sein sollte, können Ärzte und Fachpersonal heute neben Medikamenten auch auf des Kranken beansprucht und damit auch ein breites Therapiespektrum aus kogniti- mehr Hirnregionen trainiert. ven Verfahren, identitätsstützenden Strate- Computergestütztes Gedächtnistraining gien und psychosozialen Interventionen bieten fast nur stationäre Reha-Einrichtun- Alles außer Pillen zurückgreifen. gen an. Der Schwierigkeitsgrad dieser The- Nicht-medikamentöse Therapien sind für die Behandlung Demenzkranker unerlässlich Die Übergänge zwischen den einzelnen rapieprogramme wird individuell abge- Therapien sind zum Teil fließend. Auch die stimmt. Erfolge verspricht man sich für das Einschätzung über den Schweregrad einer frühe bis mittlere Stadium einer Demenz. Demenz ist bei den einzelnen Konzepten Voraussetzung ist jedoch, dass der Kranke unterschiedlich und unterliegt der Inter- mit einem PC umgehen kann, was bei der pretation der jeweiligen Therapeuten. Mehrzahl der heutigen Demenzpatienten Viele Fachleute und Pflegeheime wie sicherlich nicht der Fall ist. zum Beispiel das Gradmann Haus in Stuttgart verfolgen deshalb beim ZusammenVorerst bleibt es eine bittere Wahrheit: zu erhalten sowie das mit der Demenz ein- Demenzerkrankungen lassen sich nicht hei- hergehende Leid der Patienten und ihrer len, sondern nur lindern. Zwar gibt es seit Angehörigen zu lindern. wenigen Jahren Medikamente, die den Ver- Realitäts-Orientierungs-Training stellen eines Therapiekonzepts einen sehr pragmatischen Ansatz. „Wir arbeiten mit Bei Kranken mit einer leichten Demenz, die einem weit gefassten Therapieverständnis“, in Pflegeheimen leben, wird häufig das erläutert etwa Günther Schwarz von der Realitäts-Orientierungs-Training (ROT) ein- Evangelischen Gesellschaft, die das Grad- gesetzt. Ziel ist es, dem Patienten bei jeder mann Haus betreibt. „Als therapeutisch möglichen Gelegenheit „Realitätsanker“ betrachten wir alles, was die Krankheitsaus- anzubieten – und zwar sowohl im Gespräch lust der kognitiven Leistungen etwas ab- te nicht als Alternative zu einer Arzneimit- bremsen und um einige Monate hinaus- teltherapie verstanden werden; vielmehr zögern können (siehe ab S. 50). Doch dies sollten sich beide Formen ergänzen – ein stellt keine ausreichende Behandlung für „Entweder-Oder“ wäre der völlig falsche wirkungen lindert und sich förderlich auf als auch durch optische oder akustische Demenzpatienten dar. Weg. Der Düsseldorfer Demenzspezialist die erkrankte Person auswirkt.“ Orientierungshilfen. Die Spanne der An- Um den Kranken möglichst lange ein Martin Haupt zum Beispiel plädiert ent- knüpfungspunkte reicht dabei bis zum Trai- Kognitives Training weitgehend normales Leben zu ermög- schieden dafür, die Chancen der neuen Be- lichen, ist vielmehr ein integratives Gesamt- handlungsmöglichkeiten zu nutzen: „Der konzept notwendig, das aus allen verfüg- Einsatz nicht-medikamentöser Strategien Die kognitiven Therapieverfahren ver- Verhalten des Demenzkranken aus; die baren Behandlungsmöglichkeiten einen in der heutigen Behandlung von Demenz- suchen, kognitive Leistungen wie zum Bei- kognitiven Effekte sind allerdings gering individuell geeigneten Therapieplan zu- kranken ist ein notwendiger Bestandteil des spiel das Erinnerungsvermögen zu verbes- und auf den Behandlungszeitraum be- sammenstellt. Gesamtbehandlungsplans.“ sern und so den Gesamtzustand des Kran- grenzt. In diesem Zusammenhang besitzen so 56 Natürlich dürfen diese Therapiekonzep- Für den Einsatz der nichtmedikamentösen Therapien sprechen viele praktische Erfahrungen bei der Behandlung Demenzkranker Ein solcher „Gesamtbehandlungsplan“ ning des Tast- oder Geschmackssinns. Das ROT wirkt sich günstig auf Stimmung und ken positiv zu beeinflussen. Erinnerungstherapie genannte nicht-medikamentöse Therapien muss mehrere Ziele verfolgen. Zum einen Kognitives Training kommt fast nur bei einen hohen Stellenwert in der Behandlung geht es darum, die kognitiven Verluste ab- leichtgradig dementen Kranken zum Ein- von Demenzerkrankungen. Bei der „Be- zubremsen – hier können Medikamente satz. Gut durchführen lässt es sich durch Sie zielt vor allem auf eine höhere Lebens- handlung ohne Pillen“ geht es vor allem da- hilfreich sein – und psychische Symptome „spielerisches Lernen“ in Therapiegruppen. zufriedenheit durch gezieltes Wiederauf- rum, die Selbstständigkeit und Erlebnis- wie Wahnvorstellungen zu lindern, wobei Je alltagsnäher die Aktivitäten dort sind, rufen positiver Erinnerungen des Patienten. fähigkeit der Erkrankten möglichst lange dies zunächst nicht-medikamentös und erst desto wahrscheinlicher werden alle Sinne Als Anknüpfungspunkte können Fotos aus 57 ANDERE THERAPIEN ANDERE THERAPIEN früheren Lebensabschnitten ebenso dienen für ihn persönlich wichtiges und noch er- wie Musikstücke oder Gedichte und Sprich- haltenes Wissen erinnert wird. wörter, an die sich der Kranke erinnert. Die Erinnerungstherapie hat günstige Auswir- Validations-Therapie kungen auf die Stimmung des Demenz- Das Alzheimer-Therapiezentrum im bayerischen Bad Aibling betreut demente Menschen und deren Angehörige während eines mehrwöchigen Aufenthalts gemeinsam. Psychosoziale Programme helfen den Kranken und vermitteln den Familien Unterstützung. Zu den Angeboten gehören Bewegungstherapien wie zum Beispiel der gemeinsame Tanz eines älteren Ehepaars (links außen) oder das Tanzen in der Gruppe (Mitte links, rechts außen). Auch Erinnerungsarbeit, zum Beispiel das gemeinsame Betrachten alter Fotos (Mitte rechts) ist Teil des Therapiekonzepts. vorhandene Kenntnisse über den Patienten langfristig das subjektive Wohlbefinden. und die Erfahrungen des Betreuungsteams Für die Demenzkranken lässt sich in der Re- bewusst eingebunden werden. gel eine Verbesserung ihres Alltagsverhaltens nachweisen, selbst wenn sie nicht im Verhaltenstherapien Mittelpunkt der therapeutischen Arbeit stehen (siehe ab S. 66). kranken. Wie andere kognitive Trainings- Bei der meist in Pflegeheimen eingesetzten verfahren erweist sie sich nur dann als er- Validation handelt es sich eher um ein Bün- folgreich und nützlich, wenn sie individuell del von Umgangsprinzipien als um ein The- alltags- oder biografierelevantes Wissen zu rapieverfahren im engeren Sinn. Sie besteht reaktivieren sucht. im Kern in der Akzeptanz des Kranken und Stimmung, den Antrieb und das psychische Sie stellt ein übergreifendes Rahmenkon- dem Verstehen seiner Welt. Die in den Wohlbefinden zu fördern. zept zur Gestaltung des Milieus – also des Selbst-Erhaltungs-Therapie Verhaltenstherapeutische Konzepte werden im Bereich der psychosozialen Inter- Milieutherapie ventionen vor allem eingesetzt, um die 1960er-Jahren in den USA von Naomi Feil Für Patienten mit einer beginnenden gesamten Wohn- und Lebensbereichs des entwickelte Validation basiert auf Einfüh- Alzheimer-Demenz ist das Verhaltensthera- Kranken – dar, um ansonsten brachliegen- Die von Barbara Romero am Alzheimer- lungsfähigkeit und versucht, dem Kranken peutische Kompetenztraining (VKT) ge- de Fähigkeiten zu fördern. Ein Ziel ist etwa Therapiezentrum Bad Aibling entwickelte durch ein Validieren – also „für gültig Erklä- dacht . Eines seiner Ziele ist es, Patienten, die bessere „Ablesbarkeit“ der Umgebung, Selbst-Erhaltungs-Therapie (SET) zielt vor ren“ – seiner Äußerungen, seines Verhal- die gerade die belastende Diagnose Alzhei- was dem Patienten eine leichtere Orientie- allem auf die Alzheimer-Krankheit ab und tens und seiner Persönlichkeit zu helfen. mer erfahren haben, seelisch zu unterstüt- rung ermöglichen kann. Die Milieutherapie zen und auf Fragen nach ihrer zukünftigen hat großen Einfluss auf das Verhalten und Integrative Validation Lebensperspektive einzugehen. die Wahrnehmung von Demenzkranken eine Art Trainingsverfahren, das die Persön- Die Integrative Validation (IVA) nach Nicole Psychoedukative Strategien lichkeit des Patienten so lang wie möglich Richard ist eine deutsche Weiterentwick- erhalten will. Dazu knüpft es gezielt an die lung der Validation nach Feil. Sie geht von am wenigsten beeinträchtigten Fähigkei- der hirnorganischen Erkrankung aus und ten an und ermöglicht dem Kranken so Er- vermeidet psychotherapeutische Rück- folgserlebnisse. Die positiven Effekte liegen schlüsse wie auch Fragetechniken, die den vor allem in einer Verbesserung der Verhal- verwirrten Menschen nur belasten. versucht bei Personen mit leicht- bis mittelgradiger Demenz dem Verlust der persona- (siehe ab S. 74). len Identität entgegenzuwirken. SET ist also Kinästhetik Psychoedukation bedeutet, die Angehö- Die unterschiedlichen Therapien für Demenzkranke sollten sich vor allem an der Optimierung der Lebensqualität orientieren rigen – und bei leichterem Grad einer De- Kinästhetik ist eine Bewegungslehre, die menz auch die Patienten – über Symptome, darauf abzielt, Bewegungsempfindungen Ursachen, Verlauf und Therapiemöglich- im Alltag einzusetzen. Besonders für De- keiten einer Demenzerkrankung zu infor- menzkranke, die nur noch eingeschränkt mieren und aufzuklären. Psychoedukation durch Sprache kommunizieren können, hat wird bisher vor allem in Form von Gruppen- die Art und Weise, wie man sich ihnen arbeit mit Angehörigen, nur selten mit An- durch Bewegung und Berührung nähert, tensweisen des Kranken und einer verstärk- Die IVA konzentriert sich auf die persön- ten sozialen Einbindung, während die kog- liche Erfahrungswelt und die noch vorhan- nitive Leistungsfähigkeit nicht wesentlich denen Möglichkeiten des Dementen. Beob- zunimmt. achten lassen sich dabei vor allem eine Ver- gehörigen und Demenzkranken gemein- eine wesentliche Bedeutung. Eine Bewe- SET wird in Einzel- und in Familiensit- besserung von Verhaltensweisen der Kran- sam, realisiert. gung kann zum Beispiel einladend wirken, zungen durchgeführt, wobei der Angehöri- ken und eine verstärkte soziale Einbindung. ge zum Fortsetzen des gemeinsam erarbei- Die Methode gilt als klar nachvollzieh- Verschiedene Studien zeigen unabhän- einen natürlichen Bewegungsablauf unter- gig von ihrem jeweiligen methodischen Zu- stützen oder gewohnte Bewegungsmuster teten Beschäftigungsprogramms angeleitet bar und erlernbar und kann in andere gang, dass Angehörige und Patienten von anstoßen. Kinästhetik bietet sich damit als wird. Dazu gehört auch ein Übungspro- nicht-medikamentöse Therapiekonzepte diesen Behandlungsformen profitieren. Bei Therapie bei Menschen an, die bei der Fort- gramm, in dem der Kranke systematisch an integriert werden. Von Vorteil ist auch, dass Angehörigen verbessert sich kurz- und bewegung Unterstützung brauchen. 58 59 ANDERE THERAPIEN ANDERE THERAPIEN EINBLICK „Die Lebensqualität der Demenzkranken verbessern“ Interview mit Privatdozent Dr. Hans Gutzmann, über die Einsatzmöglichkeiten und Grenzen nicht-medikamentöser Therapien Diagnostisch spezifischer als die bisher genannten Verfahren ist nis, droht rasch eine Überforderung. Gegen einen demenziellen die Selbst-Erhaltungs-Therapie (SET). Sie orientiert sich an den Aus- Prozess „anzutrainieren“ ist nicht Erfolg versprechend. Solche Trai- fallsmustern von Alzheimer-Patienten und kann als neuropsycho- ningsversuche können beim Patienten in der ständigen Konfronta- logisches Trainingsverfahren aufgefasst werden, das ein längeres tion mit seinen Defiziten schwerste depressive Reaktionen auslösen. Erhaltenbleiben der personalen Identität anstrebt. Gedächtnistraining ist keine angemessene Therapieform für De- Das Stichwort Trainingsverfahren wird übrigens sehr kontrovers menzkranke. Wird dagegen der Alltag mit all seinen Anforderun- diskutiert. Unstrittig ist aber, dass ein spielerischer Umgang mit gen thematisiert, können beim spielerischen Lernen gleichzeitig Problemen des Lernerwerbs aus keiner Gruppenaktivität wegzu- mehrere Kanäle – zum Beispiel verbale, sensorische und motorische denken ist. Auch Demenzkranke können mit Aussicht auf Erfolg – angesprochen und mit Aussicht auf Erfolg trainiert werden. trainieren; allerdings sollte das Üben im Alltag stattfinden und sich auf die Bedürfnisse und Notwendigkeiten des Alltags beziehen. Auf Gedächtnistraining und Gehirnjogging funktionieren vor kognitives Training im engeren Sinn sollte dagegen mit zunehmen- allem über sprachliche Kommunikation, doch dieser Kanal der Demenz verzichtet werden. geht meist als erster verloren. Gibt es andere Möglichkeiten, Mit Medikamenten lassen sich Demenzerkrankungen bisher die kognitiven Leistungen positiv zu beeinflussen? nicht heilen. Welche Rolle spielen die nicht-medikamentösen Therapeuten und Pflegeheime arbeiten oft mit Validation, Gutzmann: Unstrittig ist, dass demente Menschen mit kognitiven Therapien bei der Behandlung eines Demenzpatienten; wann dem Anerkennen des Kranken und seiner Situation. Wo liegt Lerntechniken deutlich weniger Lernerfolge erzielen als nicht-de- und wo können sie helfen? der Nutzen der Validation? Kann ein Dementer überhaupt er- mente Personen. Je mehr beim Training aber motorische Elemente Gutzmann: Nicht-medikamentöse Therapieansätze bei Demenz- kennen, dass er so sein darf, wie er ist? angesprochen und geübt werden, desto eher ist ein Trainingserfolg kranken haben das Ziel, den Patienten zu helfen, sich an äußere Gutzmann: Es handelt sich dabei eher um ein Bündel von Umgangs- zu erwarten. Ein Aussetzen des Trainings verschlechtert darüber oder innere Anforderungen besser anzupassen und auf diesem prinzipien als um ein Therapie- hinaus die Leistung der Patienten oft rapide. Am empfehlenswertes- Weg die Lebensqualität zu steigern. Dabei muss man berücksich- verfahren im engeren Sinn. Die ten sind Interventionen, die zum Beispiel durch das Einbeziehen tigen, dass sich eine Änderung der Umgebungsbedingungen sehr Validation basiert auf der Em- von Angehörigen die Motivation erhöhen und die zugleich Verän- Eine grundlegende Ebene soll mit dem Kon- unterschiedlich auswirken kann. Sie kann einerseits einen erheb- pathiefähigkeit des Therapeu- derungen im Lebensraum mit einbeziehen. zept der basalen Stimulation angesprochen lichen Fortschritt bedeuten, wenn sich durch die Behandlung neue ten und des Betreuungsperso- Individuell adaptierte externe Hilfen, die eindeutig auf das werden, bei dem Eindrücke etwa des Lage-, Erlebens- oder auch Leistungswelten erschließen. Sie kann sich aber nals gegenüber dem Erkrank- „Was, Wann, Wo und Wie“ von Gegenständen oder Vorhaben ver- Tast-, Geruchs- oder Geschmackssinns als auch demotivierend auswirken, wenn sie etwa Ziele setzt, die von ten. Den Kern bildet dabei der weisen, können für eine begrenzte Zeit den eingetretenen Verlust Quelle von Lebensqualität wiederentdeckt vornherein unerreichbar sind. Versuch, dem Patienten durch kompensieren. Der Umgang mit diesen Gedächtnishilfen muss Wir dürfen bei allen Bemühungen nicht aus den Augen verlie- Validieren – das heißt, durch ständig geübt werden. Der Lernstoff muss alltagsrelevant und für nen anregend oder beruhigend wirken und ren, dass die „therapeutische Breite“ aller Behandlungsformen bei „für gültig erklären“ – seiner den Patienten ansprechend sein. Nur durch permanentes Wieder- psychisch stabilisieren. Dementen sehr gering ist. Stabilität und Verlässlichkeit sind wichti- Äußerungen oder Verhaltens- holen und möglichst häufiges motorisches Einüben kann er präsent ger als das Ausschöpfen aller theoretisch noch mobilisierbaren Leis- weisen und durch das Respek- gehalten werden. Die möglichen Erfolge eines solchen Trainings tieren seiner Individualität zu nehmen aber mit zunehmender Ausprägung der Demenz ab. Wenn die Sprache als Kommunikationsmittel zunehmend versagt, kann gemeinsames Musizieren Brücken schlagen. Basale Stimulation werden. Solche sinnlichen Erlebnisse kön- Basale Stimulation kann im Rahmen pflegerischer Tätigkeiten wie etwa dem tungsreserven. Der Respekt gegenüber den demenzkranken Men- Waschen oder Baden stattfinden. Auch bei schen gebietet es, sich primär an der Optimierung der Lebensqua- schwerst beeinträchtigten Alzheimer-Kran- lität zu orientieren. Um einen Therapieerfolg zu stabilisieren, müs- ken sind über richtig eingesetzte Sinnesein- sen auch die Betreuenden in das therapeutische Geschehen gezielt tensauffälligkeiten durch Reaktivierung von biografischem Wissen. drücke spürbare Verbesserungen im Be- einbezogen werden. Dies ist oft ein kritischer Punkt, und deshalb ist Eine wissenschaftliche Überprüfung der Validation steht weit- reich der Stimmung und des Alltagsverhal- das gezielte Training von Betreuenden – um zum Beispiel Selbst- gehend aus. Demenzpatienten nehmen aber wahr, ob sie von ihrem Gutzmann: Die Vorstellung, jedes problematische Verhalten sei the- tens zu erzielen. ständigkeit zu fördern oder Aggressionen abzubauen – ein wichti- Gegenüber akzeptiert werden oder nicht. Diese Wahrnehmung rapeutisch verlässlich und dauerhaft veränderbar, ist unrealistisch. ger und eigenständiger Teil des gesamten Therapiekonzepts. stützt sich immer weniger auf kognitive Elemente, viel wichtiger Oft handelt es sich außerdem um aufwändige Therapieverfahren, wird dagegen das Gefühl der Akzeptanz. Es ist eine oftmals bestätig- die hohe Anforderungen an die Therapeuten stellen. Zu den Verfah- Welches sind die wichtigsten Formen einer nicht-medikamen- te Erfahrung, dass im Krankheitsverlauf zunehmend der Affekt die ren, die sich bewusst und gezielt auf Emotionalität und Kreativität Diese beiden Verfahren zielen sehr bewusst tösen Therapie? Kognition dominiert. Dies kann eine therapeutische Chance sein, der dementen Patienten beziehen, zählen Musik- und Kunstthera- auf die Gefühle und die Kreativität Demenz- Gutzmann: Verhaltenstherapeutische Techniken sind die in diesem aber auch eine Quelle nachhaltigen Missbehagens darstellen. pie. Sie lassen sich auch bei Unruhe und aggressivem Verhalten ein- kranker, die die bisher wichtigen Kommu- Bereich erprobtesten Verfahren. Mit ihnen lassen sich störende Ver- nikationswege Sprache und Schrift immer haltensweisen wie Aggressionen und Schreien abbauen, aber auch Gibt es nicht-medikamentöse Therapieformen, die bei „sundowning“, und bei Schlafstörungen eine Lichttherapie erfolg- weniger nutzen können. Das Malen und eine größere Selbstständigkeit etwa beim Baden oder Anziehen er- bestimmten Demenzen besonders geeignet sind? reich. Diese versucht, den Tagesrhythmus zu restrukturieren. Modellieren oder das Musizieren mit einfa- reichen. Nach anfänglicher professioneller Anleitung können ver- Gutzmann: Es gibt derzeit keinen verlässlichen Hinweis, nach dem chen Instrumenten wie Rasseln, Trommeln haltenstherapeutische Interventionen auch von angelerntem Pfle- eine nicht-medikamentöse Therapie an spezifischen Demenzursa- sich bei problematischen Verhaltensweisen bewährt. Demente oder Flöten, aber auch das Anhören von gepersonal oder von Angehörigen zu Hause umgesetzt werden. chen ausgerichtet werden könnte. Anders sieht es mit dem Schwe- Menschen mit Unruhezuständen oder depressiven Verstimmungen Musikstücken oder das gemeinsame Be- Die Realitätsorientierungstherapie in ihrer strikten Form be- regrad aus. Je schwerer die Demenz ausgeprägt ist, desto eher kom- sprechen häufig auf Massage oder Aromatherapie an. Auch Tiere Musik- und Kunsttherapie Dr. Hans Gutzmann, Chefarzt der Psychiatrie am Krankenhaus Hedwigshöhe in Berlin. helfen. Hierzu gehört auch das Entschlüsseln seiner Verhal- Neben kognitiven Defiziten äußern sich Demenzen auch in Verhaltensauffälligkeiten. Mit welchen nicht-medikamentösen Therapien lassen sie sich wirksam beeinflussen? setzen. Gelegentlich ist bei abendlich verstärkter Unruhe, dem Auch Aktivitäten wie Wandern oder Fitnessprogramme haben trachten von Kunstwerken lösen oft emo- müht sich, die Orientierung Demenzkranker durch stets wiederhol- men integrative sozialtherapeutische Konzepte zum Einsatz, die können eine Therapie mit Gewinn unterstützen, zum Beispiel tionale Reaktionen aus, die sich therapeu- te Informationen – zum Beispiel zur Person, zum Ort oder zur Tages- sich milieu- und verhaltenstherapeutischer Ansätze bedienen. durch „Streichelzoos“ oder ein „Hundebesuchsprogramm“. tisch nutzen lassen. zeit – zu verbessern. Sie findet entweder in Lerngruppen oder individualisiert und über den Tag verteilt statt. Im Alltag lassen sich viele Welche Formen von Gedächtnistraining gibt es? Wann ist ein man biografische Hinweise auf frühere Vorlieben der einzelnen welt sehr lange erhalten bleibt, können realitätsorientierende Interventionen durchführen, die von der in- Gedächtnistraining überhaupt sinnvoll? Patienten gezielt zusammenträgt. Nur auf diese Weise kann es ge- Musik- und Kunsttherapie auch in späten dividuellen biografischen Orientierung bis hin zum Training senso- Gutzmann: Wenn nur das trainiert wird, was aufgrund der Demenz lingen, in jüngeren Jahren erprobte Strategien auch für die Situa- Krankheitsphasen eingesetzt werden. rischer Qualitäten reichen. zunehmend beeinträchtigt ist, besonders also das verbale Gedächt- tion der Krankheit gezielt zu nutzen. Da bei Demenzpatienten die Gefühls- 60 Bei allen Therapieverfahren ist man zudem gut beraten, wenn 61 ALLTAGSHILFEN ALLTAGSHILFEN Emotionale Zugänge schaffen Barrieren im Lebensumfeld und im Kopf abbauen Alltagshilfen – das klingt zunächst nach be- chend große Badezimmer und WCs. Diese ges an Geduld. Doch diese Verhaltensweise währten Rezepten, nach „Tipps und Tricks“. müssen dem Erkrankten selbst genügend ist typischer Ausdruck jener chaotischen Doch Patentlösungen, dank derer ein Platz bieten, aber auch dem Helfer, falls sich Welt, in der sich der Erkrankte befindet. In Mensch mit Demenz den Alltag möglichst das Duschen, Waschen oder der Gang zur ihr schafft nur die betreuende Person einen gut bewältigt, dank derer auch der Um- Toilette irgendwann einmal nicht mehr Fixpunkt. Der Erkrankte muss sich dabei gang mit einem solchen Menschen und des- selbstständig erledigen lassen. ständig rückversichern, dass dieser „Anker“ sen Pflege möglichst stress- und konflikt- Genauso wichtig ist es, „kognitive Bar- noch existiert und „fest im Boden haftet“. arm laufen, die gibt es nicht. Zu unter- rieren“ zu beseitigen. Kognitive Defizite wie schiedlich sind die Einschränkungen und der Verlust der räumlich-zeitlichen Orien- vermögen müssen betreuende Personen Verhaltensweisen der Erkrankten, zu varia- tierung, Wahrnehmungsstörungen oder aufbringen. Sie müssen lernen, die oft „un- bel deren Reaktionen auf das Wohnumfeld ein enorm verschobenes Realitätsempfin- angemessenen“, zum Teil grotesken und und auf die Menschen, mit denen sie zu- den lassen für einen dementen Menschen manchmal brüskierenden Verhaltenswei- sammenleben, und zu stark ändert sich die eine Wohnung völlig anders aussehen als sen eines dementen Menschen zu verste- Lage, wenn die Demenz voranschreitet. für einen nicht-dementen Betrachter. hen. Diese basieren auf häufig anzutreffen- Zuwendung und emotionale Nähe, Fle- Doch nicht nur Geduld und Einfühlungs- So erzeugen dunkle Ecken oft Angst. Ein den „Bewältigungsstrategien“: Der Er- xibilität und Einfallsreichtum, Sensibilität „blinder“ Gang, der als Sackgasse endet, krankte versucht zum Beispiel, Defizite zu beim Reagieren auf und Beobachten von kann eine Panikattacke auslösen – der Er- bagatellisieren. Er vermeidet Situationen, Verhaltensweisen sowie eine umfassende krankte wähnt sich buchstäblich in einer Kenntnis über die Krankheit sind die ausweglosen Situation. Streifenmuster an Grundvoraussetzungen im täglichen Um- Gardinen und Tapeten können als Gitter gang mit einem an Demenz erkrankten interpretiert werden und rufen so das Ge- Menschen. Da es zu diesen Themen eine fühl hervor, eingesperrt zu sein. Spiegelun- umfangreiche Ratgeberliteratur (siehe An- gen an glänzenden Oberflächen vermi- hang ab S. 78) gibt, beschränkt sich dieser die sich für ihn als schwierig oder unangenehm erwiesen haben – auch wenn sie le- Für demente Menschen wird es immer schwerer, Alltagsroutinen zu bewältigen. Planloses Einkaufen von Lebensmitteln (links unten) kann die Folge sein. Ein Babylicht am Nachttisch (unten) verhindert die Angst beim nächtlichen Aufwachen. Beitrag auf eher grundsätzliche Aspekte. bensnotwendig sind wie der Toilettengang oder das Speisen. Ein andermal projiziert er „Fehler“ auf die Umwelt – die von ihm verlegte Geldbörse muss ganz eindeutig jemand entwendet haben. nicht zu hinterfragendes Erfahrungswissen sprachlich zu kommunizieren, gewinnen kranke auf Umgebungsmerkmale reagie- emotionale Äußerungen wie Wut, Aggres- ren, was sie stört oder was sie beruhigt, be- sivität und Unruhe, aber auch Freude und Ein „barrierefreies“ Wohnumfeld ist für je- ruhen fast ausnahmslos auf unbewiesenen Zuneigung an Bedeutung. Sie stellen den älteren Menschen empfehlenswert; für Annahmen. So gibt es sowohl Theoretiker gleichsam den einzigen Mitteilungskanal mobile, aber pflegebedürftige Menschen ist als auch Praktiker, die zum Beispiel behaup- dar, der dem Erkrankten geblieben ist. es unabdingbar. Bei einer Gehbehinderung ten, kräftige Farben förderten das Wohlbe- oder Gangunsicherheit können bereits we- finden besser als Pastellfarben.“ Wohnen frei von Hindernissen Im Januar 2002 wurde dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend der „Vierte Bericht zur Lage der äl- nige Treppenstufen zum unüberwindbaren Menschen mit Demenz verstehen lernen Hindernis werden. Aber selbst bei guter Mobilität erhöhen Treppen ebenso wie Schwel- teren Generation“ übergeben, der sich speziell mit der Situation älterer Menschen mit Demenz beschäftigte. Darin urteilen die len, Absätze oder „Stolperstellen“ in der Wohnung die Sturzgefahr. Mit fortschreitender Demenz schwindet die Autoren : „Der Schlüssel für die Bewälti- Gerade Menschen mit Demenzerkran- schen sich mit der realen Szenerie, die der unterscheiden. Bilder an der Wand, zu de- Fähigkeit des Erkrankten, die eigene Situa- gung der kognitiven Defizite bei Demenz- kungen laufen gerne ausgiebig in der Woh- Erkrankte im Blick hat. Reizüberflutung – nen der Erkrankte einen Bezug hat, oder Fo- tion zu beeinflussen. In dem Chaos, als das kranken liegt in der Präsenz von Hilfsperso- nung, auf der Station, im angrenzenden verursacht durch laute Musik, grelle Farben tografien von ihm und seinen Angehörigen er sein Inneres und seine Umgebung erlebt, nen, die einen emotionalen Zugang zu dem Hof oder Garten umher. Für viele ist dies oder strenge Gerüche – irritiert viele Men- sowie persönliche Möbelstücke helfen bei schafft nur die Nähe zu vertrauten Men- Erkrankten haben.“ eine der wenigen Aktivitäten, die sie ohne schen mit Demenz, sie reagieren darauf ag- der Erinnerungsarbeit und dienen zugleich schen einen Haltepunkt. Nur sie sorgen in Hilfe bewältigen und die ihnen Befriedi- gressiv, mit Angst, oder sie werden unruhig. als „Landmarken“, um sich besser im der zunehmend entfremdeten Welt des Er- le zu bedenken: „Es existieren noch kaum Wohnumfeld zu orientieren. krankten für Empathie und Sicherheit. methodisch akzeptable Studien zu der Fra- gung verschafft. Deshalb ist ein „barrierefreies Wohnen“ für sie besonders wichtig. Umgekehrt hilft ein durchdachtes Wohnumfeld dem Erkrankten, sich zu Martina Schäufele vom Zentralinstitut Doch auch hierbei gibt Martina Schäufe- Dabei wird den Betreuern oft sehr viel ge, wie sich bestimmte Umgangs-, Kommu- orientieren: Durch unterschiedliche Farb- für Seelische Gesundheit in Mannheim abverlangt. Wer zum siebten Mal innerhalb nikations- und Betreuungsformen auf Men- ebenerdiges, auf jeden Fall aber stufen- gebung lassen sich einzelne Zimmer oder warnt indes davor, die in der Ratgeberlite- von 15 Minuten gefragt wird, wann es denn schen mit Demenz auswirken. Vielmehr be- freies Wohnumfeld, sondern auch ausrei- Funktionsbereiche besser voneinander ratur anzutreffenden Empfehlungen als Mittagessen gäbe, braucht zweifellos eini- steht ein erheblicher Forschungsbedarf.“ Hierzu zählen nicht nur ein möglichst 62 In dem Maß, wie die Fähigkeit abnimmt, zu nehmen: „Die Ansichten, wie Demenz- 63 ALLTAGSHILFEN ALLTAGSHILFEN FOKUS FORSCHUNG „Die meisten nehmen sehr genau wahr, was mit ihnen los ist“ Interview mit dem Alzheimer-Spezialisten Privatdozent Dr. Martin Haupt Beim Betrachten von Demenzen stehen oft kognitive Verluste nehmen und auf die sie verständlicherweise mit Traurigkeit reagie- Viele Laien, aber auch eine Reihe von Ärzten meinen, bei einer im Vordergrund – etwa Einschränkungen des Erinnerungs- ren. Hier, denke ich, ist die Depression eine Reaktion des Betroffe- Demenz könne man „ohnehin nichts machen“. Was halten Sie oder des Orientierungsvermögens. Besonders belastend sind nen auf die Demenzerkrankung. von diesem Fatalismus? Haupt: Richtig ist, dass heute niemand eine Demenz heilen oder das für pflegende Angehörige hingegen meist Stimmungsänderungen und Verhaltensauffälligkeiten der Erkrankten. Welche Kann man dementen Menschen helfen, ihre depressiven Ver- Leben dementer Menschen verlängern kann. Letzteres wäre auch Symptome treten dabei auf? stimmungen zu überwinden? unethisch, wenn es die späten, besonders leidvollen Phasen der Haupt: Bei den affektiven Störungen, also krankhaft veränderten Haupt: Eindeutig ja. Besonders hilfreich sind psychotherapeutische Krankheit beträfe. Stimmungslagen, ist die Depression an erster Stelle zu nennen, die und psychoedukatorische Hilfen. Es ist wichtig, dem Patienten Wis- bei rund 40 Prozent der Alzheimer-Patienten auftritt. In schweren sen über seine Krankheit und deren Auswirkung auf das eigene Er- Erkrankten nichts tun. Im Gegenteil, durch optimale Betreuung Fällen sind die depressiven Verstimmungen so stark, dass bei den leben zu vermitteln. Man muss versuchen, frühere Aktivitäten zu und Therapie lässt sich ein ganz wichtiges Ziel erreichen, nämlich Betroffenen Suizidgefahr besteht. fördern, die der Erkrankte als freudvoll erlebt hat und die er noch den Autonomieverlust und verbunden damit die schweren Ein- ausüben kann. Hilfreich ist es auch, wenn es gelingt, den früheren griffe in die Autonomie dementer Menschen auf eine kürzere Phase Angst- und Unruhezustände treten ebenfalls häufig auf, meist dann, wenn die Erkrankten erleben, dass sie selbst Standardsituationen des Alltags, wie das selbstständige An- und Auskleiden oder die Körperpflege, nicht mehr allein bewältigen können. Grundsätzlich falsch ist es jedoch zu sagen, man könne für den ganz am Ende des Krankheitsverlaufs zu verkürzen. Tagesrhythmus erneut zu etablieren. Erst wenn dies alles nicht wirkt und die Depressionen sehr stark sind, kommt eine medikamentöse Behandlung in Betracht. Als Privatdozent Dr. Martin Haupt arbeitet als niedergelassenener Psychiater und Psychotherapeut in Düsseldorf. Der Schwerpunkt seiner Praxis liegt auf Hirnleistungsstörungen. Könnten Sie dies an einem Beispiel verdeutlichen? Haupt: Nehmen wir zwei 80-jährige Damen, bei denen nach rund wirksam haben sich dabei so genannte seratonerge Antidepressiva Treten Depressionen bei allen Demenzformen gleichermaßen und MAO-Hemmer erwiesen, und zwar bei Patienten mit Alzhei- lich ist, den Patienten zu befragen, wie es ihm geht, was ihm drei Jahren aufgrund der aufgetretenen Symptome eine leichte auf, und sind sie ebenfalls ein Ausdruck der Schadensprozesse mer-Demenz und – wie die ärztliche Praxis zeigt – auch bei solchen gut tut oder was ihm fehlt. Was wissen wir heute darüber, wie Form der Alzheimer-Demenz diagnostiziert wird. Die verbleibende im erkrankten Gehirn? mit vaskulären Demenzen. So genannte trizyklische Antidepressiva demente Menschen ihre eigene Situation erleben? Lebensspanne beider Frauen nehme ich einmal mit fünf Jahren an. Haupt: Es gibt deutliche Unterschiede. Depressive Verstimmungen schaden dagegen mehr, als dass sie helfen. Sie verstärken nämlich Haupt: Untersuchungen haben gezeigt, dass die meisten der leicht- Der Unterschied spielt sich nun darin ab, wie diese beiden Frauen in treten bei Alzheimer-Patienten und solchen mit einer Lewy-Körper- den Mangel an dem Gehirnbotenstoff Acetylcholin, der schließlich und mittelgradig Erkrankten ihre Situation sehr präzise wahrneh- diesen fünf Jahren leben. chen-Demenz meist in den ersten Jahren der Erkrankung auf, und bei Dementen ein Grund für die organischen Schadensprozesse ist. men und sich große Sorgen sowohl darüber machen, dass sie zu- zwar diskontinuierlich. Anhaltende Formen der Depression sind Im „unbehandelten“ Fall wird die Patientin nach ein bis zwei Jah- nehmend an Autonomie verlieren, als auch darüber, was sie mit ih- ren selbst simple Alltagsaktivitäten nicht mehr selbstständig bewäl- rer Erkrankung den pflegenden Angehörigen aufbürden. tigen können. Sie wird zunehmend auf Fremdhilfe angewiesen sein hingegen selten. Bei vaskulären Demenzen stehen depressive Ver- Es wird immer wieder die Kritik laut, demente Menschen, die in stimmungen meist im zeitlichen Zusammenhang mit weiteren Ge- Pflegeheimen leben, erhielten zu viele Beruhigungsmittel und fäßschädigungen – etwa einem erneuten Gefäßverschluss. Bei Per- andere Neuroleptika, um sie „ruhig zu stellen“, also ihre Verhal- dies anders. Sie versinken gleichsam in einer Gemütsverflachung haben. Nach vier Jahren wird sie nicht mehr selbstständig gehen sonen mit einer Frontotemporalen Demenz beobachten wir hinge- tensauffälligkeiten zu dämpfen, die den Pflegeablauf stören. und nehmen weder die Auswirkungen ihrer Erkrankung wahr, können; vielleicht ist sie dann sogar bereits bettlägrig. Außerdem gen kaum Depressionen. Bei diesen Menschen stehen aufgrund der Ist das auch Ihr Eindruck, und welche Gefahr droht dadurch noch merken sie, welche Last sie etwa anderen Menschen damit ist sie ab diesem Stadium kaum noch zu sprachlichen Äußerungen vorwiegend geschädigten Hirnregionen eine Gemütsverflachung, speziell dementen Menschen? aufbürden. Ihnen ist schlechterdings die Fähigkeit zur Empathie ab- und Wahrnehmungsempfindungen fähig. Nach fünf Jahren wird ein Antriebsverlust und das Auftreten stereotyper Handlungen im Haupt: Ich teile diese Kritik, beobachte aber auch, dass sich die Situ- handen gekommen. sie – nun lange schon als Schwerstpflegefall – zum Beispiel an einer Vordergrund der affektiven Störungen. ation allmählich bessert. Sowohl Ärzte als auch Pflegekräfte und die Lediglich bei Menschen mit einer Frontotemporalen Demenz ist und immer wieder mit Unruhe und Schlafstörungen zu kämpfen Lungeninfektion sterben. Letzteres wird in diesem fiktiven Beispiel auch mit der zweiten Heimleitungen fragen heute kritischer, ob eine bestimmte Medika- Auch wenn die Kommunikation mit dem Kranken immer ein- chungen an Gehirnen verstorbener Demenzpatienten haben ge- tion wirklich notwendig ist. Zudem gibt es inzwischen eine Reihe geschränkter wird, gibt es trotzdem Anhaltspunkte dafür, dass Dame passieren, aber ihr Krankheitsverlauf weicht erheblich vom zeigt, dass diejenigen, die während ihrer Demenz Depressionen neuer Neuroleptika, mit denen sich anhaltende Verhaltensstörun- auch schwerkranke Demente Gefühle erleben? ersten Fall ab. Sie wird von einem Facharzt Medikamente erhalten, entwickelt hatten, deutlich stärkere Schäden in bestimmten Hirn- gen gut behandeln lassen. Aber ein Problem bleibt: Wir haben es Haupt: Dafür gibt es durchaus beobachtbare Zeichen. Selbst die dafür sorgen, dass sich während der ersten zwei bis drei Jahre regionen – und zwar in den so genannten aminergen Kernen – auf- bei Demenzkranken mit einer Gruppe von Menschen zu tun, die schwerstkranke Patienten zeigen ein Lächeln, wenn man freundlich die Symptome nicht wesentlich verschlechtern; auch nicht-kogniti- wiesen. Das ist ein Indiz dafür, dass auch die Depressionen – ebenso kaum für sich selbst sprechen kann. mit ihnen umgeht; sie werden dadurch ruhiger und entspannter. ve Störungen treten seltener, schwächer und nur vorübergehend Sie reagieren auf freundliche Ansprache, auf Musik, die sie als ange- auf. Nach zwei Jahren kann sie die grundlegenden Alltagsaktivitä- ten besonders fatal, denn alle Neuroleptika sind ZNS-gängig, wir- nehm empfinden. Sie suchen auch gezielt die Gemeinschaft ande- ten noch selbstständig erledigen; bei komplexeren Vorgängen – et- ken also auch im Gehirn. Dadurch lösen sie bei Dementen, deren rer Menschen auf. Der affektive Bereich ist also keineswegs erlo- wa Schriftverkehr oder Bankangelegenheiten – wird sie die Mithilfe gen vor allem die Gehirne von solchen verstorbenen dementen Gehirn massiv geschädigt ist, eine besonders gravierende Neben- schen, wir wissen nur nicht, wie weit das bei einem schwer demen- von Angehörigen benötigen. Menschen zu Gesicht bekommen, die längst das schwerste Krank- wirkungskaskade aus; es kommt zu Versteifungen und Gang- ten Menschen im Bewusstsein verankert ist. heitsstadium erreicht hatten. Ob demente Menschen auch in dieser unsicherheiten, die Sturzneigung ist erhöht. Dabei sind Stürze der Phase noch Depressionen erleben, wissen wir einfach nicht. Wir ha- häufigste Grund für Immobilität und Bettlägrigkeit. Schluck- Welche Gefühlsäußerungen bleiben bei einem demenzkran- in dieser Phase geringer als im ersten Fall. Sie ist beispielsweise er- ben schließlich keine Möglichkeit, den Patienten nach seiner Stim- beschwerden können auftreten, was die ohnehin nicht einfache ken Menschen am längsten sichtbar? heblich länger mobil und kann auch weiterhin an Betreuungs- mungslage zu befragen. Nahrungsversorgung bei diesen Patienten zusätzlich erschwert. Haupt: Das sind Dinge wie freudvolles Empfinden, das Gefühl von angeboten teilnehmen. Erst in den letzten Monaten vor ihrem Tod Geborgenheit, Höflichkeit und gute Umgangsformen – jedenfalls wird sich ihr Zustand so weit verschlechtern, dass auch sie schließ- Der zweite Teil der Frage ist schwerer zu beantworten. Untersu- wie die kognitiven Verluste – Ausdruck der organischen Schadensprozesse sein könnten. Allerdings muss man sich klar machen, dass die Neuropatholo- Ein unkritischer Umgang mit Neuroleptika ist bei diesen Patien- Untersucht man die depressiven Verstimmungen bei leicht- und Erst danach wird es zu einer generellen Abnahme der Leistungsfähigkeit kommen. Der Grad ihrer Behinderung bleibt jedoch auch mittelgradig Dementen genauer, so wird klar, dass diese meist eine Sie haben bereits das Problem angesprochen, dass es mit zu- bei Alzheimer-Patienten. Bei Menschen mit Frontotemporaler De- lich bettlägrig und immobil wird und nach einer kurzen Phase der Reaktion auf die Einbußen sind, die die Kranken sehr deutlich wahr- nehmendem Schweregrad der Demenz immer weniger mög- menz trifft dies, wie gesagt, nicht zu. Schwerstpflegebedürftigkeit stirbt. 64 65 BELASTUNG FÜR ANGEHÖRIGE BELASTUNG FÜR ANGEHÖRIGE Entlastung erfahren pflegende Angehörige vor allem durch zwei Dinge: sachliche Information und Erfahrungsaustausch logie und Medizinische Soziologie der Uni- nicht nur zusätzliche Aufgaben und Verant- versität Leipzig durchgeführt haben. wortung übernehmen, sondern muss vor Mit ihrer Einschätzung stehen die drei allem damit klarkommen, dass der kranke nicht allein. Praktisch alle Untersuchungen Partner nicht mehr die Persönlichkeit ist, zur gesundheitlichen Belastung pflegender die er liebt und mit der er viele Jahre zu- Angehöriger kommen zu diesem Befund. sammengelebt hat. Die in den Studien angestellten Vergleiche Auch erwachsene Kinder, die einen von pflegenden Angehörigen mit gleichal- kranken Elternteil pflegen, haben oft Prob- trigen Menschen aus der Allgemeinbevöl- leme, in ihre neue Rolle hineinzuwachsen, kerung zeigen, dass gesundheitliche Ein- weil sich die alten „Machtverhältnisse“ total bußen und psychosomatische Beschwerden umkehren und sich die Mutter oder der Va- bei den pflegenden Angehörigen verstärkt ter zu einem „Kind“ zurückentwickeln. auftreten. Oft leiden sie unter chronischen fahren Angehörige vor allem durch zwei Schlafstörungen, Erschöpfungszuständen Dinge: Informationen über die Krankheit oder Appetitlosigkeit. Als Folge davon grei- und Erfahrungsaustausch mit Angehörigen fen die Betroffenen häufiger zu Schlaf- und eines anderen Demenzkranken. Beruhigungsmitteln als die entsprechende Eine Krankheit für Zwei Gruppe aus der Allgemeinbevölkerung. Medizinisch belegen lassen sich weiter- Pflegende Angehörige sind extrem gefordert und brauchen Entlastung Entlastung, auch das zeigen Studien, er- Rücken- und Gliederbeschwerden sowie Eine wichtige Rolle dabei kommt dem Hausarzt zu – vor allem zu Beginn der Demenzerkrankung. Schließlich suchen ein hin Herzbeschwerden und ein erhöhter möglicherweise erkrankter Patient oder Puls, aber auch Bluthochdruck und ein ge- dessen Angehörige meist zuerst ihren Haus- schwächtes Immunsystem, bei dem die An- arzt auf, wenn Symptome wie Vergesslich- fälligkeit für Infektionen deutlich ansteigt. keit oder Verkennen der Realität gehäuft Auch eine pessimistische Grundstimmung, auftreten. Für die genaue Diagnose wird Resignation und Reizbarkeit sowie das Ge- dieser bei Bedarf einen Neurologen oder fühl des Ausgebrannt-Seins treten häufiger Psychiater hinzuziehen; auch die medika- auf als beim Durchschnitt der Bevölkerung. mentöse Behandlung liegt in seinen Hän- Besonders alarmierend ist, dass viele den. Zugleich sollte er aber auch über die pflegende Angehörige unter Depressionen Krankheit aufklären, Behandlungsmöglich- leiden. Verstärkt werden die psychosomati- keiten erläutern und Konsequenzen wie das schen Beschwerden, weil sich die sozialen „Wie lange hältst Du es noch aus? Bald schungsprojekte zur Angehörigenberatung Kontakte in vielen Fällen fast nur noch auf muss etwas geändert werden. Unendliche bei Demenz geführt wurden. den zunehmend verwirrten Familienange- Hoffnungslosigkeit, Trauer und Kränkung.“ gen Situation am schlimmsten sei, nannten zu Freunden, Verwandten und Nachbarn Leben weitergehen soll. Ich tue alles, um die Angehörigen etwa folgende Probleme: mehr und mehr verlorengehen. keinen Ärger zu haben – doch umsonst. Ich Inkontinenz („Er hat mich angekackt“), denke zu oft an Selbstmord.“ Aggressivität („Wutanfälle, Schlagen und aber nicht nur von der aktuellen Situation „Ich mache mir große Sorgen, wie mein Die Belastung der Angehörigen hängt Kneifen“), fehlende Einsichtsfähigkeit („Sie und dem Zustand des Kranken ab. Geprägt demenzkranken Ehepartner pflegen und ist keinen Vernunftgründen zugänglich“), wird sie auch von der emotionalen Bindung darüber selbst zu hilfsbedürftigen Personen Desorientiertheit („Sie möchte immer nach und den Beziehungskonflikten, die – unab- geworden sind. Gewiss: Nicht alle, die sich Hause, obwohl sie doch da ist“), aber auch hängig von der Erkrankung – die gemein- um einen demenzkranken Angehörigen den Verlust der Kommunikationsfähigkeit same Lebensgeschichte der pflegenden kümmern, erleben dies so negativ, dass sie („Mutter ist kein Ansprechpartner mehr“), schließlich sogar an Suizid denken. Doch die Einschränkung eigener Freiräume („Ich dass die Versorgung einer dementen Per- bin festgenagelt“) oder das Gefühl der Re- son die pflegenden Angehörigen extrem signation („Ich bin mitgestorben“). Zwei Zitate von Angehörigen, die ihren und dauerhaft belastet, ist unumstritten. Der ständige Stress wirkt sich nicht nur 66 hörigen beschränken und die Beziehungen Auf die Frage, was an ihrer gegenwärti- „Pflegende Angehörige von Demenzpatienten müssen als Risikopopulation für und der erkrankten Person ausmachen. Der Haushaltsreiniger im Glas und der Schlüsselbund im Kühlschrank: Mit Szenen dieser Art kommen pflegende Angehörige besser klar, wenn sie viel über den Krankheitsverlauf wissen und auffälliges Verhalten des Dementen deshalb nicht als bösen Willen deuten. Demenz ist immer auch eine Familienkrankheit. Nicht nur, weil der Erkrankte Abfassen von Testamenten und Vorsorge- und seine Angehörigen eine gemeinsame vollmachten zur Sprache bringen. Schließ- Vorgeschichte haben, sondern auch, weil lich wird ein guter Arzt die Angehörigen die Krankheit die partnerschaftlichen und auch über Entlastungsangebote wie Betreu- familiären Beziehungen radikal verändert ungs- und Angehörigengruppen informieren (siehe ab S. 78). auf die körperliche und psychische Gesund- physische und psychische Erkrankungen heit der Pflegenden aus, auch die sozialen betrachtet werden“, konstatieren die bei- und weil sie eine neue Rollenverteilung er- Beziehungen innerhalb und außerhalb der den Psychologinnen Gabriele Wilz und fordert, was häufig nicht ohne Konflikte Familie leiden ernorm. Dies belegen bei- Corinne Adler sowie ihr Kollege Thomas und psychische Belastungen abgeht. spielhaft einige Zitate aus Interviews und Gunzelmann, die die vom Bundesfor- Beratungsgesprächen, die an der Univer- schungsministerium geförderten Studien de Partner oft überfordert, ohne dies sich dienste bieten solche Gesprächsgruppen sität Leipzig im Rahmen verschiedener For- an der Abteilung für Medizinische Psycho- und seiner Umwelt einzugestehen. Er muss an, in denen Erfahrungen ausgetauscht Bei Ehepaaren etwa fühlt sich der gesun- Die regionalen Alzheimer Gesellschaften, aber auch Seniorentreffpunkte und die Beratungsstellen der Kirchen und Sozial- 67 BELASTUNG FÜR ANGEHÖRIGE BELASTUNG FÜR ANGEHÖRIGE EINBLICK Zehn lange Jahre werden können und deren Leitung meist in den Händen geschulter Fachkräfte liegt. Entlastend können auch Angebote sein, Erfahrungen einer pflegenden Angehörigen die sich an pflegende Angehörige und Erkrankte gemeinsam richten, wie etwa regelmäßige Treffen zur Erinnerungspflege oder Ausflüge und Spaziergänge, die an die Möglichkeiten der Erkrankten angepasst sind. In solchen Gruppen können Angehörige nicht nur Tipps für die Gestaltung des Mit dem Überreichen des Bundesverdienstkreuzes hat Bundespräsident Johannes Rau das große ehrenamtliche Engagement von Anneliese Heyde gewürdigt. Welcher Briefkasten ist meiner? Was schon für Gesunde nicht immer einfach ist, stellt für Demenzkranke ein unlösbares Problem dar. Alltags zu Hause erhalten, sondern zugleich soziale Kontakte pflegen, die auch dem Erkrankten zugute kommen. Eine sehr große Hilfe sind die so genannten Betreuungsgruppen, die Demenzkran- Zeitgefühl verloren ke ein- bis zweimal in der Woche für zwei Anneliese Heyde hat ihren demenzkranken Mann von 1979 bis 1989 „Einmal bringt der Briefträger die Post. Ich bitte meinen Mann, den bis drei Stunden betreuen und ihren Fähig- zehn Jahre lang betreut und gepflegt. Nach seinem Tod gründete Briefkasten zu leeren, aber er kommt ohne Post. ‚Nichts drin’ ist keiten entsprechend beschäftigen. Ein wei- die Stuttgarterin 1991 die bundesweit erste Betreuungsgruppe für seine knappe Antwort. Ich hole die Briefe selbst und bin verärgert. „Der Kranke verliert immer deutlicher jegliches Zeitgefühl. Wir teres regelmäßiges Entlastungsangebot Demenzkranke und engagierte sich in der Deutschen Alzheimer Heute weiß ich, dass er Probleme hatte, unseren Briefkasten von sind bei einem Vetter zum Geburtstag eingeladen. Alle Gäste sind stellt die Tagespflege in einem Heim dar. Gesellschaft. Für ihre ehrenamtliche Arbeit erhielt sie im Jahr 2001 denen der anderen Hausbewohner zu unterscheiden.“ meinem Mann bekannt und angenehm. Nach einer knappen Stun- Eine längere Verschnaufpause für pflegende Angehörige bietet die Kurzzeitpflege, bei der die Demenzkranken für eine bis von Bundespräsident Johannes Rau persönlich das Bundesverdienstkreuz überreicht. de erklärt er, dass wir jetzt nach Hause gehen. Niemand wollte das Scheine bevorzugt In vielen Vorträgen hat sie über ihre schweren, aber auch erfreu- zur Kenntnis nehmen, da das Fest erst losging, aber ich wusste, dass mir keine andere Wahl blieb. Er war müde, ich brachte ihn zu Bett, mehrere Wochen stationär in einem Pflege- lichen Erlebnisse als pflegende Angehörige berichtet und so ande- „In dieser Phase der Krankheit sind wir noch regelmäßig in Urlaub und als ich am nächsten Morgen über den Vorfall reden wollte, heim untergebracht sind. Da gerade De- ren Angehörigen im Umgang mit einer Demenzerkrankung Mut gefahren. Auffallend war, dass mein Mann im Urlaubsort die Devi- spürte ich sofort, dass dies zwecklos war. Sowohl die Einladung als mente auf örtliche Veränderungen oft ver- gemacht. Die folgenden Auszüge aus ihren Aufzeichnungen und sen nicht mehr selbst umtauschte, sondern unter einem Vorwand auch der plötzliche Aufbruch waren vergessen.“ stört reagieren, ermöglichen viele Anbieter Berichten schildern die Herausforderungen und Erfahrungen beim mich damit beauftragte, und dass er beispielsweise im Lokal sagte: Probetage, um abzuklären, wie der Kranke schwierigen Zusammenleben mit einem dementen Menschen. ‚Heute zahlt meine Frau.’ Wenn er gelegentlich Kleinigkeiten ein- mit der neuen Umgebung klarkommt. Manche Einrichtungen bieten inzwi- Besuche abgesagt schen auch „betreuten Urlaub“ für Angehörige und Erkrankte an, bei dem es neben „Viele Merkwürdigkeiten, die man zunächst nicht als Krankheit er- gemeinsamen Aktivitäten auch Zeiten zur kennt, werden erst im Nachhinein verständlich. Bevor das Verges- freien Gestaltung für die Pflegenden gibt. sen und Verlieren begann, war bei meinem Mann die Wesensverän- mehr wusste, wie viel das Geld wert war. Er hat mir dann daheim das „Der Übergang von dieser Phase, in der man noch etwas unterneh- Kleingeld abgeliefert und nach großen Scheinen gefragt. Damals men konnte, in die Zeit des körperlichen Zerfalls war schleichend, habe ich ihn vergeblich um eine Erklärung gebeten.“ aber stetig. Ganz ausgeprägt wurden die Ängste. Bei Dunkelheit mussten in der Wohnung alle Lichter brennen. Die Türen ließ er im- Ausrede gefunden mer hinter sich offen. Er musste hören und fühlen, nicht allein zu sein. Zu den Ängsten in der Dunkelheit kam in jener Zeit auch die derung auffällig und für mich schwer zu verstehen. Er war ein offe- Das Heim als bessere Lösung Dunkelheit gefürchtet gekauft hat, zahlte er immer mit großen Scheinen, weil er nicht ner und geselliger Mensch, hatte gern Freunde um sich, erzählte „Solche Beispiele werden in der ersten Phase alltäglich. Immer häu- Angst vor dem Rasieren, vor Wasser. Gespräche in einer größeren interessant und fühlte sich bei häuslichen Einladungen besonders figer wird verloren, vergessen, verlegt – und immer haben andere Runde waren nicht mehr möglich, und selbst der Besuch guter Wenn in der Endphase einer Demenzer- wohl. Plötzlich stellte ich fest, dass er Besuche ohne Grund absagte die Schuld. In dieser Anfangsphase empfindet der Demente seine Freunde bereitete ihm Unbehagen. Dazu kam natürlich, dass krankung die Pflegebedürftigkeit noch- und Einladungen nach zu Hause hinausschob. Er fand immer einen Defizite kaum und das Zusammenleben ist noch nicht schwierig. Außenstehende nicht wussten, wie sie mit der Krankheit umgehen mals stark zunimmt, stößt die häusliche Grund, warum dies oder jenes hinausgeschoben werden musste, Oft gibt es sogar Anlass zum Schmunzeln oder gar zum gemein- sollten. Mit fortschreitender Krankheit haben die Aggressionen Pflege oft an ihre Grenzen. Die Angehöri- und es ging lange, bis ich seine Ausflüchte bemerkte.“ samen Lachen. Der Kranke findet für jedes Missgeschick eine pas- nachgelassen, sie wurden abgelöst von depressiven Verstimmun- sende Ausrede.“ gen. Musik war in dieser Zeit hilfreich und wohltuend.“ Einladung vergessen Friedlich gestorben gen sind meist über Gebühr belastet – und scheuen sich trotzdem, den Kranken in ein Ehefrau angeschwindelt Pflegeheim zu geben. Viele haben das Gefühl, dadurch den Ehepartner oder das El- „Mein Mann ging nach der Pensionierung regelmäßig zum Stamm- ternteil zu verraten und abzuschieben. tisch mit früheren Kollegen. Mir fiel auf, dass er die Termine ver- „Sehr viel schwieriger wird es in der zweiten Phase. Die Wesensver- „Die Sterbephase begann damit, dass mein Mann nicht mehr auf- streichen ließ. Auf meine Frage, warum er nicht mehr hingehe, änderung schreitet fort. Der Demente empfindet seine Defizite und stehen konnte. Der Weg ins Bad war nicht mehr möglich und nach – und doch ist oft das Pflegeheim jetzt für erhielt ich die Antwort, der Stammtisch sei aufgelöst. Als nach wird aggressiv oder depressiv. In dieser Phase muss sich der gesun- wenigen Tagen konnte er auch nicht mehr auf der Bettkante sitzen. beide Seiten die bessere Lösung. Denn ohne Wochen eine Rückfrage von Kollegen kam, erklärte mein Mann: de Partner mit dem Verlauf der Krankheit befasst haben, damit die Das Herz wurde immer schwächer und die Kräfte schwanden zu- das tägliche pflegerische „Muss“ des Wa- ‚Da gehe ich nicht mehr hin, die sind alle schwerhörig.’ Bei älteren Bewältigung des Alltags erträglich bleibt. Ein Beispiel dafür: Am sehends.“ schens, Fütterns und Windelns sind Ange- Herren war das ja möglich, aber heute weiß ich, dass mein Mann der Vormittag kaufen wir einen Strauß, denn wir sind eingeladen. Mein „In der letzten Phase war meine Nähe besonders wichtig. Ich ver- hörige von einer schweren Last befreit. Unterhaltung nicht mehr folgen konnte und dies als sehr unange- Mann sucht die Blumen selbst aus. Nach dem Mittagsschlaf wird er legte alle Tätigkeiten ins Krankenzimmer, das Bügeln, das Lesen, nehm empfand. böse, weil er von diesem Besuch und den Blumen nichts mehr weiß. das Fernsehen und Radio hören. Das Haus habe ich dann nur kurz sich intensiver und freier dem Kranken wid- Damals habe ich resigniert, seine Unaufrichtigkeit verletzte mich Auch das Vorzeigen des Straußes weckt keine Erinnerung. Ich bin verlassen, wenn eine liebevolle Hilfe für mich eingesprungen ist. men, ihm unter Umständen mehr Zuwen- tief. Heute würde ich die Kollegen von der Krankheit unterrichten, wieder einmal verzweifelt. In diesem Fall ist es am besten, seine Nach neun Wochen Krankenlager erlosch das Lebenslicht ganz dung geben als zuvor und auf diese Weise sie bitten, meinen Mann abzuholen und so lange wie möglich in die Defizite einfach zur Kenntnis zu nehmen, sonst bricht ein Streit aus friedlich und ohne Todeskampf. Ich bin dankbar dafür, dass meine auch sich selbst entlasten. Unterhaltung mit einzubeziehen.“ und die Nachmittagseinladung platzt.“ Kraft ausreichte, meinen Mann in den Tod zu begleitet zu haben.“ Solche Gewissensbisse sind verständlich Bei regelmäßigen Besuchen können sie 68 69 KOSTEN BELASTUNG FÜR ANGEHÖRIGE FOKUS FORSCHUNG Doppelter Nutzen, weniger Angst der Gruppensitzungen aufgelistet waren. Die Themenbereiche umfassten alle wichtigen Aspekte der Demenzerkrankung. Jede Sitzung begann mit einer Rückmelderunde, bei der die Teilnehmer über ihre Pflegetätigkeit der vorangegangenen Woche berichteten. Anschließend befassten sie sich mit den einzelnen Gruppenarbeit mit pflegenden Angehörigen hilft auch den Demenzkranken Schwerpunktthemen, die anhand alltagsrelevanter Beispiele besprochen wurden. Neben der reinen Wissensvermittlung ging es auch um die besondere emotionale Belastung der Pflegenden sowie um Problemlösungsstrategien für das oftmals angespannte Verhältnis zwischen Angehörigen und Demenzkranken. Die Situation der Erkrankten, die an den Gruppensitzungen ja nicht teilnahmen, erfassten Karger und Haupt mit Hilfe von drei Erhebungen, bei denen sie die Angehörigen eingehend befragten und deren Angaben in spezielle Werteskalen eintrugen. So wurden die Verhaltensauffälligkeiten der Demenzkranken mit der „Behavioural Abnormalities in Alzheimer’s Disease Assessment Scale“ (BEHAVE-AD) registriert, wobei besonders nach Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Unruhezuständen, Aggressivität, Depressivität und Angstzuständen gefragt wurde. Die Alltagsbeeinträchtigungen der Erkrankten erfassten die Düsseldorfer Spezialisten dagegen mit einem anderen standardi- Bei der Pflege Demenzkranker unerlässlich: der Gedanken- und Erfahrungsaustausch mit anderen Angehörigen wie hier im Haus der Diakonie in Stuttgart. sierten Beobachtungsbogen, der „Nurse’s Observation Scale for Geriatric Patients“ (NOSGER). Dabei untersuchten sie Gedächtnisleistung, Alltagsaktivität, Körperpflege, Stimmung, soziales Verhalten sowie störendes Verhalten der Dementen. Dass Angehörigengruppen, in denen pflegende Familienmitglieder Zusätzlich zu BEHAVE-AD und NOSGER entwickelte das Team psychologisch betreut und über Demenzen informiert werden, für um Karger und Haupt mit der Skala zur Erfassung von „Verhaltens- die Angehörigen hilfreich sind, ist unter Fachleuten unumstritten. auffälligkeiten von Demenzkranken zu Hause“ (VAD) ein weiteres Der Erfahrungsaustausch mit anderen Angehörigen, ein breites Fremdbeurteilungsinstrument, um jene vier Verhaltensauffällig- Wissen über Demenzerkrankungen sowie das Erlernen von Prob- keiten zu erheben, die Angehörige besonders belasten, nämlich Un- lemlösestrategien oder Entspannungstechniken erleichtern den ruhe, Aggressivität, Angst und Apathie des Erkrankten. Umgang mit dem Erkrankten. Teure Pflege Ein Blick in die Portemonnaies aller Beteiligten Die erste Befragung der Angehörigen fand vor, die zweite nach der dreimonatigen Periode der Gruppensitzungen statt. Die statisti- Gesundheit ist uns allen lieb – und auch teu- ation der Demenzkranken verbessern, war lange Zeit nicht er- sche Auswertung aller gewonnenen Daten ergab, dass sich Grup- er. So berechnete das Statistische Bundes- allein schon aufgrund des demographi- forscht worden. Eine der wenigen Studien dazu entstand 2001 am penarbeit mit Angehörigen in der Tat auch auf die Kranken positiv amt für die Gesamtausgaben aller Kosten- schen Wandels erheblich wachsen. Universitätsklinikum Düsseldorf, wo eine Arbeitsgruppe um Martin auswirkt. Karger: „Die NOSGER-Werte zeigen, dass sich die Demenz- träger im Jahr 2001 in Deutschland eine Haupt und André Karger dieser Frage in einer mehrmonatigen kranken nach Einschätzung der pflegenden Angehörigen im Be- Summe von 225,9 Milliarden Euro. Das ent- Bild der Kosten von Demenzerkrankungen Untersuchung gezielt nachging. Teilnehmer der Untersuchung wa- reich gedächtnisassoziierter Alltagsleistungen messbar verbessert spricht einem Anteil von 10,9 Prozent des zu erhalten, liegt vor allem darin begrün- ren 14 Patienten und ihre pflegenden Angehörigen, die in die haben.“ Diese Alltagsleistungen betreffen fünf unterschiedliche Bruttoinlandsprodukts. det, dass Familien einen Großteil des Pflege- Sprechstunde der Psychiatrischen Klinik der Heinrich-Heine-Uni- Fähigkeiten: eine unterbrochene Unterhaltung richtig fortzuset- versität gekommen waren. zen; im Gespräch nicht immer wieder den gleichen Punkt zu und Betreuung Demenzkranker aufgewen- ke unentgeltlich erbringen. Die Familien wiederholen; sich an die Namen enger Freunde zu erinnern; sich zu det werden muss, darüber gibt es unter- opfern Zeit und Mühe, was beispielsweise in deutschen Landesbank geförderten Studie wurden die Angehöri- erinnern, wo Kleider und andere Gegenstände liegen; Personen schiedliche Berechnungen. Diese sind die Gesamtrechnung des Statistischen Bun- gen – in zehn der insgesamt 14 Fälle waren dies die Ehegatten – drei nicht zu verwechseln. abhängig davon, welche Kosten man be- desamts überhaupt nicht als Kostenfaktor Neben der besseren Gedächtnisleistung wies die Studie in zwei rücksichtigt und wie man die einzelnen eingeht. Die amtliche Statistik erfasst ledig- und am Ende der Studie erfassten die Ärzte und Psychologen den weiteren Bereichen der VAD-Skala deutliche Verbesserungen auf. Kostenarten bewertet. Die vorliegenden lich die so genannten direkten Kosten, also Zustand und das Verhalten der Demenzkranken und Angehörigen So zeigten die Demenzkranken nach Ende der Gesprächsgruppen Kostenschätzungen unterschiedlicher Wis- das Geld, das Privatpersonen oder Institu- und verglichen dann diese „Vorher-Nachher-Werte“ miteinander. mit den Angehörigen deutlich weniger Angst und Unruhe. senschaftler schwanken für die Situation in tionen tatsächlich ausgegeben haben. Indi- Deutschland zwischen knapp zehn Milliar- rekte Kosten – wie die für freiwillig geleistete Pflegearbeit – bleiben außen vor. Ob solche „psychotherapeutischen Gruppen“ aber auch die Situ- In der von der Anton-Betz-Stiftung und der Stiftung der West- Monate lang einmal wöchentlich in Gruppensitzungen betreut. Vor „Es war zu erwarten, dass sich eine durch die Gruppenarbeit bewirk- Über die genauen Ursachen der besseren Gedächtnisleistung Wieviel Geld davon für die Behandlung te Einstellungs- und Verhaltensänderung der pflegenden Angehöri- und der verringerten Ängste können die Forscher bisher nur mut- den Euro und mehr als 25 Milliarden Euro gen günstig auf die häusliche Interaktion zwischen Pflegendem maßen. Die bessere Gedächtnisleistung lässt sich wohl nicht als Aus- pro Jahr. und Krankem auswirkt“, erläutert Karger den Forschungsansatz. druck einer spezifisch gedächtnisfördernden Wirkung der Ange- Jeweils sieben pflegende Familienmitglieder nahmen an einer hörigengruppen interpretieren. „Vielmehr“, so Karger, „hat ver- der beiden „psychoedukativen Angehörigengruppen“ teil. Leiter mutlich die kompetentere Führung und Begleitung durch den An- dieser Gruppen waren zwei Ärzte mit einer speziellen gerontopsy- gehörigen zu einer allgemein verbesserten Befindlichkeit des chiatrischen und psychotherapeutischen Ausbildung. Zu Beginn Betroffenen geführt und damit auch zu einer erhöhten Verfügbar- erhielt jeder Angehörige eine Art Stundenplan, in dem die Themen keit seiner noch vorhandenen Leistungsreserven.“ 70 Unstrittig sind unter Gesundheitsökonomen drei Aussagen: Demenzerkrankungen gehören zu den teuersten Krankheiten überhaupt. Sie sind die teuerste Krankheitsgruppe bei Menschen im höheren Alter. Die Ausgaben hierfür werden in Zukunft Die Schwierigkeit, ein „realistisches“ und Betreuungsaufwands für Demenzkran- Eine Gruppe um den Gesundheitssystemforscher Johannes Hallauer von der Berliner Charité hat vor wenigen Jahren mit Hilfe einer Studie versucht, auch diese indirekten Kosten in Geldwerten zu erfassen. Die Forscher befragten dazu Ärzte, Pflegeeinrichtungen und Angehörige nach den 71 KOSTEN KOSTEN FOKUS FORSCHUNG Die Hilfe zum Helfen auf dem Prüfstand direkten Kosten sowie die Angehörigen Was bringt die intensive Beratung pflegender Angehöriger? suchten auch, wofür die ermittelten Zusatz- Pflege und Betreuung von Kranken mit ei- kosten ausgegeben wurden. Auf die Lang- ner Alzheimer-Demenz. Diesen Zeitauf- zeitpflege entfiel mit 75 Prozent der Haupt- wand ließen die Berliner Forscher mit ei- anteil. Demgegenüber verursachten die Di- nem „Stundensatz“ von 12,78 Euro in die Be- agnose der Krankheit (0,35 Prozent) und die rechnung einfließen. medikamentöse Behandlung der Patienten Wie zu erwarten, zeigte sich, dass diese Entlastende Angebote für Angehörige – hier eine Maltherapie für Betreuer von Demenzkranken – können dazu beitragen, die Heimunterbringung der Erkrankten hinauszuzögern. Johannes Hallauer nennt dafür triftige Gründe: „Aus Studien in nötigen und je länger dies erforderlich ist, desto höhere Kosten wer- Kanada, Australien und in den USA wissen wir, dass sich durch die den die Demenzerkrankungen der Solidargemeinschaft aller Kran- dort erprobten Beratungsangebote die Zahl der Heimeinweisungen ken- und Pflegeversicherten aufbürden. Pflegen dagegen Angehö- im Beobachtungszeitraum auf die Hälfte senken ließ. Wir wollen rige einen Demenzkranken zu Hause, so erhalten zwar auch sie nun prüfen, ob sich dieses positive Ergebnis auch unter den Bedin- Sach- und/oder Geldleistungen für diese Tätigkeit, doch diese Zu- gungen unseres Gesundheitssystems erreichen lässt.“ wendungen erreichen bei weitem nicht die Kosten einer Heim- Für die auf zwei Jahre geplante Studie konnten die Forscher 17 Rechnet man die indirekten Kosten hinzu, so schultern pflegende Angehörige die Hauptlast bei der Betreuung von Demenzkranken (1,6 Prozent) nur marginale Zusatzkosten. „Bruttokosten“ stark abhängig vom Schwe- Für die stationäre Behandlung im Kranken- regrad der Erkrankung sind und mit diesem haus fielen gegenüber der Vergleichsgrup- steil ansteigen. Im Mittel verursachte dem- pe gar keine zusätzlichen Kosten an. zufolge ein Alzheimer-Patient pro Jahr Kos- Je mehr Demenzkranke eine stationäre Vollzeitpflege im Heim be- Die kanadischen Wissenschaftler unter- nach dem Zeitaufwand für die Behandlung, So unterschiedlich die Ergebnisse dieser ten von 43 746 Euro. Zwei Drittel davon, beiden beispielhaft herausgegriffenen Kos- nämlich 29 706 Euro, trugen die Familien tenanalysen auch ausfallen, sie zeigen eines oder pflegenden Partner. Allerdings muss- ganz deutlich: Es sind vor allem die Pflege- ten sie diese Summe nur zu einem kleinen leistungen, die Demenzerkrankungen so Teil tatsächlich aufbringen – ihre Ausgaben teuer machen. Welche finanzielle Last auf lagen bei 2045 Euro; den Löwenanteil die Solidargemeinschaft zukommt, hängt machte der erhebliche Zeitaufwand aus, dabei gleich doppelt vom demographi- den sie freiwillig erbrachten. schen Wandel ab (siehe ab S. 19). Zum einen Knapp 30 Prozent der durchschnitt- steigt die Zahl der alten Menschen und be- lichen jährlichen Kosten, nämlich 12 961 Eu- sonders die der Hochbetagten in den kom- unterbringung. Die Bereitschaft, die Fähigkeit und die ganz prakti- Alzheimer-Zentren gewinnen – davon 14 Zentren in Deutschland, ro, trug die gesetzliche Pflegeversichung menden Jahren. Zum anderen sinkt die sche Möglichkeit der Angehörigen, einen dementen Partner oder zwei in Österreich und eines in der Schweiz. Teilnehmen werden und nur 2,5 Prozent oder 1099 Euro muss- Zahl der jüngeren, erwerbstätigen Men- Angehörigen möglichst lange zu pflegen, entscheiden letztlich da- insgesamt 248 mittelgradig erkrankte AD-Patienten und deren An- ten die gesetzlichen Krankenkassen zu die- schen. Verändern könnte sich zudem die rüber, wie stark die Kosten für die Betreuung Demenzkranker in Zu- gehörige. Alle teilnehmenden AD-Patienten müssen zu Studien- sem Gesamtkostenpaket beisteuern. Bereitschaft oder die Möglichkeit der Fami- kunft steigen werden. beginn mit einem pflegenden Angehörigen zu Hause wohnen, sie Ein wichtiges gesundheitspolitisches Ziel ist es daher, Angehörige in die Lage zu versetzen und darin zu bestärken, die Pflege eines dementen Menschen möglichst lange zu übernehmen. Ein im Herbst 2003 begonnenes gemeinsames Projekt des Alzheimer-Spe- Durch das „Hineinrechnen“ der indirek- dürfen nicht akut körperlich erkrankt sein, und eine Heimunter- ten Kosten wandelt sich das Bild also be- bringung darf nicht unmittelbar geplant sein. trächtlich. Die direkten Ausgaben, so die Experten gehen davon aus, dass gegenwärtig die Mehrheit der in Deutschland le- zum Abschluss der Studie die kognitive Leistungsfähigkeit, die Art 15 850 Euro oder 37 Prozent der Bruttokos- benden dementen Menschen vom Lebens- und Schwere der nicht-kognitiven Symptome, ihre Fähigkeit zur Be- ten von 43 746 Euro zu Buch. Die gesetz- wältigung von Alltagstätigkeiten sowie den Medikamentenkonsum liche Pflegeversicherung trägt davon rund und die Höhe der in Anspruch genommenen Gesundheitsleistun- 80 Prozent, den Rest teilen sich die Familien gen. Bei den pflegenden Angehörigen erfassen die Mediziner und die gesetzlichen Krankenkassen im mittels Fragebogen die Lebensqualität, den Zeitaufwand für die Verhältnis 2 zu 1. Rechnet man jedoch die Pflege und deren Belastung sowie den Medikamentenkonsum. Die- indirekten Kosten mit hinein, so schultern se Daten werden insgesamt dreimal erfragt, und zwar zu Beginn der die Familien bei weitem die Hauptlast. Kanadische Wissenschaftler schlugen vor einigen Jahren einen anderen Weg der Nach dem Zufallsprinzip wird den Angehörigen der 248 Patienten entweder ein einmaliges Beratungsgespräch mit einem Sozial- Kostenrechnung ein. Sie untersuchten in pädagogen angeboten oder ein umfangreiches „Training“, das auf einer für Kanada repräsentativen Studie, der Schulungsreihe „Hilfe beim Helfen“ der Deutschen Alzheimer welche zusätzlichen Krankheitskosten Gesellschaft beruht. Dieses umfasst sechs bis sieben jeweils etwa Demenzkranke gegenüber einer nichtdementen, aber gleichaltrigen Kontroll- zweistündige Gruppensitzungen, in denen die Angehörigen von erfahrenen Pflegekräften auf die möglichen Probleme, Krisen und Konflikte vorbereitet werden. Dieser im zweiwöchigen Abstand stattfindende „Grundkurs“ wird ergänzt durch sechs Wiederhozialisten Alexander Kurz von der Technischen Universität München lungsabende im Abstand von je zwei Monaten. An diesen können und des Gesundheitssystemforschers Johannes Hallauer von der die Angehörigen jene Situationen und Probleme zur Sprache brin- Berliner Charité sowie der Deutschen Alzheimer Gesellschaft soll gen, die bei ihnen in der Zwischenzeit aufgetreten sind. nun die Frage klären, ob eine systematische und ausführliche Schu- Menschen zu Hause zu pflegen. Berliner Wissenschaftler, schlagen mit Für alle 248 AD-Patienten ermitteln die Mediziner zu Beginn und Studie sowie ein beziehungsweise zwei Jahre später. Ambulante Pflegedienste können mit gezielt vereinbarten Dienstleistungen und Betreuungsangeboten helfen, der drohenden Überlastung pflegender Angehöriger entgegenzuwirken. lien und Angehörigen, einen dementen Nach einem Jahr soll „Bilanz“ gezogen werden: Wieviele AD-Pa- Rund 40 Prozent aller mittelgradig oder schwer erkrankten Menschen mit Demenz leben in Pflegeheimen. Die vollstationäre Betreuung und Versorgung verursacht den Löwenanteil der Kosten bei diesen Erkrankungen. gruppe von Menschen verursachen. Auf der Preisbasis von 1991 ergab sich hierfür im partner oder den Familien der Kinder ge- Durchschnitt ein jährlicher Zusatzaufwand pflegt wird. Nur rund 40 Prozent der Patien- von umgerechnet 10 380 Euro. Bei Kranken, ten mit mittelschweren oder schweren De- die in der Familie gepflegt wurden, lag die- menzen leben in Langzeitpflegeheimen. ser Wert bei 7414 Euro; direkte und indirek- Steigt dieser Anteil, so würde dies die Kos- te Zusatzkosten verteilten sich dabei hälf- tenträger – vor allem die gesetzliche Pflege- lung der Angehörigen von Patienten mit Alzheimer-Demenz (AD) tienten wurden inzwischen in ein Heim eingewiesen? Unterschei- tig. Waren die Demenzkranken in Pflege- versicherung und die Sozialhilfe – erheblich geeignet ist, den Einweisungszeitpunkt der erkrankten Menschen det sich dieser Prozentsatz zwischen beiden Gruppen? Unterschei- heimen untergebracht, so lagen die Netto- stärker belasten. in ein Pflegeheim hinauszuzögern. Zudem soll diese vom Bundes- den sich die Lebensqualität und das Einnahmeverhalten von Medi- Zusatzkosten bei 14 161 Euro pro Patient und ministerium für Bildung und Forschung geförderte Studie klären, kamenten der pflegenden Angehörigen in beiden Gruppen? Dies Jahr. Alle Summen beziehen sich dabei Angehörige von Demenzkranken bei ihrer ob ein solches Angebot die Angehörigen spürbar entlastet. sind die Fragen, auf die sich die Forscher dann Antworten erhoffen. wohlgemerkt auf das Erhebungsjahr 1991. Pflegearbeit maximal zu unterstützen. 72 Schon aus diesem Grund ist es wichtig, 73 PFLEGEHEIME PFLEGEHEIME einzelnen Heimbewohner hatten. Dieser ren Krankheitssymptome und Auffälligkei- können. Zudem muss das Personal einer zeitliche Anteil ging im Untersuchungszeit- ten nachhaltig beeinflusst. Ziel ist es, den solchen stationären Einrichtung auch in raum von 12 auf 6,7 Prozent zurück – das äußeren Rahmen und die Art der Begeg- der Lage sein, den Tagesablauf sehr flexibel heißt, während eines Acht-Stunden-Tags nung an den Krankheitsprozess anzupassen zu gestalten. Nicht ein starrer Zeit- und blieben den Pflegekräften gerade einmal 32 und nicht den kranken Menschen an die Be- Therapieplan sollte darüber entscheiden, Minuten für die Betreuung. dingungen einer stationären Einrichtung. was mit einem Patienten geschieht, son- Die Situation dürfte überall ähnlich sein, emotionale, kognitive und physische Ein- lichkeit. Oftmals spielt es ja keine Rolle, ob Demenzkranken im stationären Bereich schränkungen ausgleichen und dem Kran- pflegerische und therapeutische Maßnah- schwer abschätzen lässt. Experten rechnen ken ein ungestörtes, seiner Persönlichkeit men wie zum Beispiel Haare waschen oder in Zukunft jedoch mit einer größeren Zahl angepasstes Leben ermöglichen. Bewegungsübungen eine Stunde früher Die räumliche Umgebung zum Beispiel oder später stattfinden. grund niedriger Geburtenraten – weniger wird so gestaltet, dass sie auch für Demente potenziellen Pflegepersonen. Selbst wenn übersichtlich bleibt und diese sich orientie- es den Einrichtungen der Altenpflege ge- ren und ihren Bewegungsdrang ausleben lingt, den Personalbestand gleich zu halten, können. Zugleich wird versucht, gezielt „Vom Personal erfordert dies alles ein Um- wird wegen der wachsenden Anzahl de- Sinnesreize zu vermitteln, indem zum Bei- denken. Die Arbeit mit Demenzkranken ist menter Heimbewohner die Belastung für spiel Material zum „Begreifen“ angeboten prozesshaft, auf deren situatives Wohlbe- das Pflegepersonal zunehmen. wird wie etwa Körbe mit Wäsche zum Zu- finden ausgerichtet und darf nicht wie die sammenlegen. Eine solche Aktivität kann herkömmliche Pflege am funktionalen Er- folgen immer mehr Heime inzwischen the- dem Kranken genauso Anknüpfungspunk- gebnis orientiert sein“, betont zum Beispiel rapeutische Ansätze, die in einem Demenz- te an sein früheres Leben bieten wie der Christina Kuhn von Demenz Support in kranken nicht mehr wie früher nur einen Geruch aus dem Backofen, Schlagermusik Stuttgart, einer Einrichtung, die sich dem medizinischen Pflegefall sehen. Stattdessen aus seiner Jugend oder die Einrichtung des Wissenstransfer von der Demenzforschung versuchen die dortigen Fachkräfte und Mit- Zimmers mit vertrauten Möbeln und Bil- in die Praxis verschrieben hat. „Wer meint, arbeiterinnen, die Würde eines dementen dern aus der früheren Wohnung. morgens um acht Uhr müsste die Station fix Trotz dieser schwierigen Situation ver- Menschen zu wahren, indem sie akzeptie- Stationäre Einrichtungen für Demenzkranke erfordern ein Umdenken des Pflegepersonals und der Architekten dern dessen aktuelle Stimmung und Befind- auch wenn sich die genaue Zunahme der an alleinstehenden Kranken und – auf- Das Milieu im Mittelpunkt Ein milieutherapeutisches Vorgehen soll Auch die Gestaltung des Tagesablaufs Neues Denken in der Pflege und fertig aufgeräumt sein, wird sich mit ren, dass dieser in einer eigenen Realität orientiert sich bei diesem Konzept an den dieser Einstellung schwer tun. Ein demen- lebt. Wenn Pflegende diese andere Realität individuellen Fähigkeiten, Vorlieben, Be- tengerechtes Milieu setzt eine besondere akzeptieren, so die Überzeugung, stärkt dürfnissen und Gewohnheiten des demenz- Haltung bei den Mitarbeiterinnen voraus.“ dies das Selbstwertgefühl und die Fähigkei- kranken Menschen. So müssen die Bewoh- Die Lebensqualität in einem Heim für Demenzkranke erfordert ein bauliches, be- amtlichen Statistik noch durch wissen- triebliches und soziales Milieu, das – soweit schaftliche Untersuchungen differenziert möglich – krankheitsbedingte Defizite und flächendeckend erfasst. kompensiert und deren Folgen therapeu- Eine Abschätzung der Situation von de- tisch auffängt, sodass in einem beschützten menzkranken Menschen in stationären Ein- Rahmen eine weitgehend normale Lebens- richtungen erlauben aber zwei detaillierte gestaltung möglich ist. Neben der bau- Studien, die das Zentralinstitut für Seelische lichen Dimension und dem dadurch fest- Gesundheit in Mannheim in 15 Alten- und gelegten unmittelbaren Umfeld spielt die Pflegeheimen mit insgesamt mehr als 1300 konkrete Gestaltung betrieblicher und or- Bewohnern durchgeführt hat. ganisatorischer Abläufe und deren Anpas- Danach nimmt der Anteil dementer Be- sung an die Bedürfnisse der Bewohner eine wohner zu; im Untersuchungszeitraum der maßgebliche Rolle. Studien stieg er zwischen 1995 und 1998 von 54 auf knapp 59 Prozent. Zudem zeigte therapeutische Orientierung in der Pflege In Deutschland gibt es derzeit rund 8500 sich, dass drei Viertel der Demenzkranken Einrichtungen der Altenhilfe mit ungefähr schwerpflegebedürftig waren und knapp 717 000 Bewohnern. Dies bedeutet, dass gut die Hälfte von ihnen Verhaltensauffällig- ten der Kranken. Zum Ausdruck kommt die ner nicht unbedingt alle zur selben Zeit auf- derlanden (De Bleerinck, Emmen; Hogewey fünf Prozent der rund 14 Millionen Bundes- keiten zeigte. neue Sichtweise zum Beispiel in der von vie- stehen und frühstücken, sondern können Verpleeghuis, Weesp) und in der Schweiz len Fachleuten propagierten Milieuthera- dies nach ihrem eigenen Rhythmus tun. (Krankenheim Sonnweid, Wetzikon). bürger über 65 Jahre in einem Heim leben. Auf der anderen Seite wurden im selben gibt es seit längerem in Dänemark (Zentrum für Demente, Haderslev), in den Nie- Zeitraum 13 Prozent der Personalstellen pie, die einen übergreifenden Rahmen für chungen, dass 50 bis 60 Prozent der Heim- gestrichen. Dadurch nahm für das übrige das therapeutische Handeln darstellt. bewohner unter einer Demenzkrankheit Personal der Anteil der reinen Pflegetätig- leiden und deshalb eine besondere Betreu- keit an der Arbeitszeit zu, sodass die Pflege- davon aus, dass die Gestaltung des Milieus ung brauchen. Wie gut sie in den Heimen kräfte weniger Zeit für die persönliche An- jeweils versorgt werden, ist weder von der sprache und individuelle Betreuung der Ferner zeigen verschiedene Untersu- 74 Erfolgreiche Beispiele für eine milieuDas Gradmann Haus in Stuttgart: Der Grundriss (linke Seite) verdeutlicht das „Dorfstraßenprinzip“, nach dem die stationären Wohngruppen und die Tagespflege verbunden sind. Die Fotos zeigen eine Außenansicht und einen Blick in die Wandelhalle. Das bedeutet allerdings, dass die Betreu- Aber auch in Deutschland findet sich in- erinnen möglichst viel über die Lebensläufe zwischen eine Reihe positiver Beispiele von und Lebensgeschichten ihrer Schützlinge Pflegeheimen für demenzkranke Men- wissen sollten und es wenig Wechsel beim schen. Eines der beeindruckendsten ist das oder Umfelds eine große Wirkung auf das Personal geben darf, um ein kontinuier- von der „Erich und Liselotte Gradmann Stif- Verhalten dementer Menschen hat und de- liches Vertrauensverhältnis aufbauen zu tung“ erbaute Gradmann Haus im Stuttgar- Der milieutherapeutische Ansatz geht 75 PFLEGEHEIME PFLEGEHEIME FOKUS FORSCHUNG ter Stadtteil Kaltental. Das als Modellprojekt dem von der Deutschen Alzheimer Gesell- kombiniert einen Stadtteiltreffpunkt und schaft herausgegebenen Leitfaden ,Statio- betreute Altenwohnungen mit teilstationä- näre Versorgung von Alzheimer-Patienten’, ren und stationären Plätzen für Demente. „stellen die verwundbarste Gruppe unter Das Gradmann Haus ist vor allem auf die Seiner Aufgabe als Modellzentrum für demenzkranke ältere Menschen ist das Gradmann Haus vollauf gerecht geworden „Demenzkranke“, betont Sibylle Heeg in konzipierte Zentrum für Demenzkranke den Heimbewohnern dar. Nach Experteneinschätzung werden viele der beobachte- nerinnen ausgerichtet, die mittel- und ten emotionalen Störungen und Verhal- schwergradig dement sind und in her- tensprobleme wie Angst und Unruhe, aber „Es geht um die Einbindung der Bewohnerinnen und Bewohner in ner mischten, um solche Interaktionen zu erfassen, die in der Pfle- kömmlichen Pflegeeinrichtungen ohne be- auch das Umherwandern sowie Depressi- den Tagesablauf, es geht um das Leben und Gestalten von Beziehun- gedokumentation nicht enthalten sind. Dabei zeigte sich, dass die sondere Betreuung auffällig wirken. Träger vität und Aggressivität durch Umgebungs- gen, und es geht schließlich um die Achtung verbliebener Identitä- Demenzkranken auf Aktionen, die von Mitarbeiterinnen angesto- des im Jahr 2001 eingeweihten Hauses ist einflüsse mitverursacht, also durch ein ten und Fähigkeiten dieser Menschen.“ ßen werden, dann positiv reagieren, wenn sie damit einen Bezug zu die Evangelische Gesellschaft Stuttgart e.V., soziales und physisches Milieu, das nicht die fachlich von der Alzheimer Gesellschaft krankheitsangemessen gestaltet ist.“ So beschreibt die zum St. Elisabeth Verein Marburg gehörige ihrem früheren Alltag herstellen können. So fällt es ihnen ver- „Altenhilfe Wetter“ die Ziele, die sie mit einer Hausgemeinschaft gleichsweise leicht, sich am Geschirrabwasch zu beteiligen, wäh- Baden-Württemberg unterstützt wird. Bei- Nach nahezu dreijähriger Erfahrung für sechs demenzkranke Menschen verfolgt. Mit der 1999 ins Leben rend sie krankengymnastische Übungen mit einem Holzstab sofort de Organisationen messen dem milieuthe- fällt das Resümee aller Beteiligten sehr zu- gerufenen Wohngemeinschaft soll unter wissenschaftlicher Beglei- beenden, sobald ihnen diese nicht mehr vorgemacht werden. rapeutischen Ansatz große Bedeutung zu. friedenstellend aus. Thomas Peter und tung „eine neue Lebens- und Versorgungsform“ erprobt werden, Günther Schwarz von der Evangelischen die den Bewohnern ein möglichst „normales“ Leben erlaubt. Als dritte Methode führte das Team um Margret Müller so genannte leitfadengestützte Interviews durch. Die Wissenschaftler Plätze für demenzkranke ältere Menschen Gesellschaft Stuttgart, dem Trägerverein – darunter auch einen Kurzzeitpflegeplatz – des Gradmann Hauses, ziehen eine erste Mehrfamilienhaus in der Gemeinde Wetter bei Marburg. Zentrum einer solchen Wohngemeinschaft haben sollten, da Berufsbilder sowie zwölf teilstationäre Plätze in der ge- Zwischenbilanz: „Bei fast allen Bewohnerin- ist eine Wohnküche, um die sich neben sechs Einzelzimmern auch wie Kranken-, Altenpflegerin oder Hauswirtschaftsmeisterin nur rontopsychiatrischen Tagespflege. Hinzu nen und Bewohnern können wir – wie auch zwei Bäder, ein Wirtschaftsraum, eine Gästetoilette sowie ein klei- bedingt auf die besonderen Anforderungen bei der Betreuung de- kommen 18 betreute Wohnungen für ältere die Angehörigen – entsprechend dem nes Dienstzimmer für das Pflegepersonal gruppieren. menzkranker Menschen in einer Hausgemeinschaft vorbereiten. Menschen und für Angehörige der vollsta- Krankheitsverlauf positive Entwicklungen tionär betreuten Kranken. Abgerundet feststellen. In manchen Fällen ergaben sich und ihr Mitarbeiter Norbert Seidl vom Fachbereich 4 der Fachhoch- ßen sich verschiedene Aspekte herausarbeiten, die zum Kompe- wird das Angebot durch Betreuungsgrup- sogar erstaunliche Veränderungen, etwa in schule Frankfurt am Main. Ziel ihrer Ende 2003 veröffentlichten Stu- tenzprofil der Mitarbeiterinnen gehören. So ist etwa eine „genera- pen für zu Hause lebende Demenzkranke, Bezug auf die allgemeine Aktivität, Kon- die war es, einen fundierten Beitrag über neue Versorgungsformen listische Kompetenz“ zu nennen; das heißt, alle Mitarbeiterinnen die sich im Veranstaltungsraum des Grad- taktfreudigkeit oder auch die Mobilität.“ für demenzkranke Menschen zu liefern. „Die bisher bekannten Ein- sind zunächst gleichermaßen für alle Arbeiten zuständig. mann Hauses treffen können. Die von einer Architektengemeinschaft um Sibylle Heeg geplante Anlage ist nach Die 223 Quadratmeter große Wohnung befindet sich in einem Wissenschaftlich betreut haben das Projekt Prof. Margret Müller wollten herausfinden, welche Kompetenzen die Mitarbeiterinnen Durch die mit sechs Mitarbeiterinnen geführten Interviews lie- Zurückzuführen ist diese erfreuliche schätzungen zu Wohn- und Hausgemeinschaften für demenziell Entwicklung nach Einschätzung des Träger- Erkrankte sind überwiegend positiv, aber sie beruhen wesentlich sich aber immer wieder Situationen, in denen eine besondere pfle- vereins sowohl auf das Engagement der auf Erfahrungsberichten“, erläutert Margret Müller. „Ein Nachweis, gerische Fachkompetenz erforderlich ist, etwa beim Anlegen einer Mitarbeiterinnen und das Einbeziehen der der diese Einschätzung methodisch abgesichert stützt oder wider- Angehörigen als auch auf die baulich- legt, lag bisher noch nicht vor.“ räumliche Situation mit der Wohnküche als für seine Untersuchung drei Fragenkomplexe formuliert: Was sind vorgesehene Einbindung der Heimbewoh- typische Strukturen einer heimverbundenen Hausgemeinschaft ner in hauswirtschaftliche Tätigkeiten war und wie wird dort der Alltag gestaltet? Welche Auswirkungen ha- und ist wegen des fortgeschrittenen Krank- ben diese Strukturen auf den psychosozialen Zustand und auf das heitsstadiums nur eingeschränkt möglich. Verhältnis der Bewohner untereinander? Welche Kompetenzen seiner Aufgabe als Modellzentrum für De- müssen die Mitarbeiterinnen für ihre Tätigkeit haben? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, wurden drei unter- menzkranke vollauf gerecht geworden. schiedliche methodische Zugänge gewählt: eine systematische Aus- Sylvia Kern, die Geschäftsführerin der Alz- wertung der Pflegeberichte, eine teilnehmende Beobachtung und heimer Gesellschaft Baden-Württemberg Interviews mit den Betreuerinnen. e.V., fasst es so zusammen: „Die Ergebnisse Bedingt durch die Besonderheit der Hausgemeinschaft ergeben Nach eingehender Diskussion mit allen Beteiligten hat das Team sozialer Mitte. Lediglich die ursprünglich Unterm Strich ist das Gradmann Haus 76 Das Modellprojekt „Heimverbundene Hausgemeinschaft“ im hessischen Wetter Bedürfnisse mobiler Bewohner und Bewoh- Das Angebot umfasst 24 vollstationäre Gradmann Haus Stuttgart: Die ebenerdigen Zimmer der beiden stationären Wohngruppen für demenzkranke ältere Menschen liegen jeweils um einen Innenhof mit Garten. Im dreigeschossigen Trakt im Hintergrund befinden sich über der Wandelhalle die betreuten Wohnungen für Senioren. Das Foto rechts zeigt ein Zimmer einer stationären Wohngruppe. Möbel aus dem früheren Leben des Demenzkranken schaffen ein vertrautes Umfeld. Die etwas andere Wohngemeinschaft „Um die typischen Strukturen und Interaktionsmuster der Haus- können sich sehen lassen. Zwar wird auch gemeinschaft herauszufiltern, haben wir auf vorhandene Berichts- dem „Dorfstraßenprinzip“ konzipiert; die im Gradmann Haus ‚nur mit Wasser ge- blätter zurückgegriffen und eine Dokumentationsanalyse über 16 einzelnen Einheiten sind für die Bewohner kocht’ – wie überall sonst muss man auch Monate vorgenommen“, erläutert Norbert Seidl. Durch dieses Vor- deshalb leicht „ablesbar“. dort mit knapp bemessenen Personal- gehen konnten die Sozialwissenschaftler zwei Paradigmen zur Infusion. Trotzdem kommt es in Wetter nicht zu einer grundsätz- schlüsseln zurechtkommen. Die hohe Ak- „Normalität im Alltag“ entwickeln, die für die Hausgemeinschaft lichen Trennung von Aufgabenfeldern. Vielmehr nutzt die ange- halle liegen die beiden eingeschossigen zeptanz und die begrenzte Zahl der Plätze Wetter kennzeichnend ist. Danach bedeutet „Normalität im Alltag“ stellte Fachpflegekraft ihre besondere Qualifikation, um die Kolle- Wohngruppen für die stationäre Pflege in der Tagespflege und in den beiden einerseits „vertraute Abläufe beizubehalten, die Zufriedenheit und ginnen anzuleiten. Dies entspricht der Idee der Hausgemeinschaft, und die Räume der Tagespflege wie Häuser Wohngruppen weisen auf die Aufgaben Wohlbefinden ermöglichen“. Andererseits gehört dazu auch, „dass wonach alle Mitarbeiterinnen in die Organisation und Gestaltung entlang einer Straße. Zwischen den „Häu- der Zukunft hin: Wir brauchen noch viele sich Beziehungen entwickeln können und daraus personale Nähe des alltäglichen Lebens mit eingebunden sind. „Damit das Konzept sern“ der Wohngruppen befindet sich der ‚Gradmann Häuser’, wenn wir den beste- und Gemeinschaftsgefühl entstehen“. der heimverbundenen Hausgemeinschaft aufgehen kann“, so beschützte Garten, der ebenfalls von der henden und künftigen Versorgungs- Wandelhalle aus zugänglich ist. engpässen adäquat begegnen wollen.“ An der ebenerdigen, verglasten Wandel- Ergänzt wurde die Analyse durch eine teilnehmende Beobachtung, bei der sich die Wissenschaftler mehrmals unter die Bewoh- Das Zusammenleben in einer Hausgemeinschaft kann Demenzkranken Vorteile bieten, stellt aber hohe Anforderungen an die Teamfähigkeit der betreuenden Mitarbeiterinnen. Margret Müller, „müssen Pflegekräfte ihre Rolle neu definieren und akzeptieren, dass sie keine Sonderstellung im Team einnehmen.“ 77 ANHANG ANHANG Adressen Anlaufstellen Literatur Internet Fachbücher Ratgeber Wo ist denn meine Brille? Anne Biegel, Heleen Swildens Alzheimer Angehörigen-Initiative e.V. www.alzheimerforum.de Antidementiva Alzheimer – Was tun, wenn Reinickendorfer Str. 61 Sehr umfangreiche Website der Alzheimer Hrsg. Hans Förstl die Krankheit beginnt? 13347 Berlin Angehörigen-Initiative (Adresse siehe links) Urban & Fischer Verlag, München/Jena, Mechthild Niemann-Mirmehdi, Eine empfehlenswerte, kommentierte Bü- Tel. 030 / 47 37 89 95 mit Informationen zu den unterschied- 2003 Richard Mahlberg cherliste zusammengestellt hat die Alzhei- Fax 030 / 47 37 89 97 lichsten Aspekten demenzieller Erkrankun- Trias Verlag, Stuttgart, 2003 mer-Beratungsstelle der Evangelischen Ge- E-Mail: [email protected] gen und kommentierter Literaturliste. Internet: www.alzheimerforum.de/aai/aai.html sellschaft Stuttgart e.V., Büchsenstr. 34/36, Konrad Beyreuther, K.M. Einhäupl, Hans Alzheimer-Kranke betreuen www.deutsche-alzheimer.de Förstl, Alexander Kurz Günter Krämer Website der Deutschen Alzheimer Gesell- Thieme Verlag, Stuttgart, 2002 Trias Verlag, Stuttgart 2001 70174 Stuttgart, Tel. 0711 / 20 54-374. Broschüren Demenz Support Stuttgart schaft (Adresse siehe links) , dem Bundes- Zentrum für Informationstransfer verband von Alzheimer Landesverbänden Gruppenarbeit mit Angehörigen Angehörigengruppen für Demenz- Gradmann Haus Hölderlinstr. 4 sowie von regionalen und örtlichen Gesell- von Demenzkranken kranke aus der Sicht der Gruppen- Zentrum für Demenzkranke und Betreutes 70174 Stuttgart schaften. Informationsblätter, Adressver- Gabriele Wilz, Corinne Adler, teilnehmerinnen und -teilnehmer Seniorenwohnen Tel. 0711 / 9 97 87-10 zeichnisse, Telefon- und Onlineberatung. Thomas Gunzelmann Elmar Gräßel, Daniela Erdmann, Hrsg. Erich und Liselotte Gradmann- Hogrefe-Verlag, Göttingen, 2001 Sabine Jansen, Sabine Tschainer Stiftung, Stuttgart Fax 0711 / 9 97 97-29 E-Mail: [email protected] www.netdoktor.de/topic/Alzheimer/ Internet: www.demenz-support.de index_alzheimer.shtml Innovativer Umgang mit Dementen – Für einen ersten Überblick ist diese Seite des Strategien, Konzepte und Einrichtungen Richtig helfen bei Demenz Hrsg. Alzheimer Gesellschaft Baden- Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V. Online-Gesundheitsdienstes Netdoktor gut in Europa Elmar Gräßel, Daniela Erdmann, Württemberg e.V. Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V. geeignet. (Fachbuch und Videofilm) Sabine Jansen, Sabine Tschainer 3. Auflage, Stuttgart, 2003 Hrsg. Hans Sträßer, Marcello Cofone Vless-Verlag, Ebersberg, 2002 hat mehr als 70 regionale Mitgliedsgesell- 78 Demenzen – Grundlagen und Klinik dtv, München, 1995 Vless-Verlag, Ebersberg, 2002 Leben im Anderland schaften, deren Adressen über die Zentrale www.nlm.nih.gov/medlineplus/ in Berlin erfragt werden können. alzheimersdisease und Demenz-Verein Saarlouis e.V., 2003 Schriften der Deutschen Friedrichstr. 236 www.nlm.nih.gov/medlineplus/ Lebenswelt für demenzkranke 10969 Berlin dementia Menschen – Modellprojekt heim- Der 36-Stunden-Tag demenzieller Erkrankungen Broschüren, Tel. 030 / 2 59 37 95-0 MedlinePlus, die englischsprachige Web- verbundene Hausgemeinschaft Wetter Nancy L. Mace, Peter V. Rabins Ratgeber, Schulungsmaterialien und Fax 030 / 2 59 37 95-29 site der nationalen Medizinbibliothek der Margret Müller, Norbert Seidl Huber Verlag, Bern, 2001 Tagungsbände (teilweise kostenlos) an. E-Mail: [email protected] USA behandelt alle Aspekte von Alzheimer- Fachhochschulverlag, Internet: www.deutsche-alzheimer.de und anderen Demenzerkrankungen. Frankfurt a.M., 2003 Manfred Fischer Verwirrt, verschroben, abgeschoben – Deutsche Expertengruppe www.alzforum.org Stationäre Versorgung von Alzheimer- Hännsler-Verlag, Neuhausen-Stuttgart, Ein kleiner Ratgeber für Angehörige von Dementenbetreuung e.V. Englischsprachige Informationssammlung, Patienten – Leitfaden für den Umgang 1998 Demenz-Patienten Rakower Weg 1 die vorwiegend für Forscher bestimmt ist. mit demenzkranken Menschen Sonstige Bücher Alzheimer Gesellschaft e.V. Die Gesellschaft bietet zu vielen Aspekten Bezug siehe Adressen. Lied eines Tages – Psalmen für das Leben Deutsches Grünes Kreuz e.V. 24354 Rieseby Hrsg. Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V., Meinen Namen weiß Oma Marburg, 2003 Tel. 04355 / 181 125 Berlin, 4. aktualisierte Auflage, 2003 schon lange nicht mehr (auch im Internet) Fax 04355 / 181 299 www.kompetenznetz-demenzen.de E-Mail: [email protected] Dieser vom Bundesforschungsminis- Vierter Bericht zur Lage der Elefantenpress bei Bertelsmann, Wenn alte Menschen schwierig werden – Internet: www.demenz-ded.de terium geförderte Forschungsverbund älteren Generation Gütersloh, 1999 Demenz: Krankheitzeichen unterhält seit April 2004 eine umfang- Hrsg. Bundesministerium für Familie, Deutsches Grünes Kreuz e.V. reiche deutschsprachige Website für Senioren, Frauen und Jugend Small World Deutsches Grünes Kreuz e.V. Sektion „Altern in Würde“ (fachlich vorinformierte) Laien und Berlin, 2002 Martin Sutter Marburg, 2003 Im Kilian, Schuhmarkt 4 Ärzte. Hier findet man Informationen Bezug: BMFSFJ Tel. 0180/5329329 oder Diogenes, Zürich, 2000 (auch im Internet) 35037 Marburg zu den Zielen und dem Stand der For- www.bmfsfj.de Telefon: 0 64 21/ 293-0 schungsprojekte im Verbund. Hilfreich Telefax: 0 64 21/ 229-10 sind Linklisten zu relevanten Literatur- Weißbuch Demenz Diana Friel McGowin E-Mail: [email protected] datenbanken sowie zu Organisationen Hrsg. Johannes F. Hallauer, Alexander Kurz Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Internet: www.altern-in-wuerde.de im Bereich demenzieller Erkrankungen. Thieme Verlag, Stuttgart, 2002 Nachf., München, 1994 Almut T. Schmidt und medikamentöse Therapie Wie in einem Labyrinth 79 ANHANG ANHANG Stichwortregister B A Acetylcholinesterase-Hemmer 52f Barrierefreies Wohnen 62 D Erfahrungsberichte Demenz Erich und Liselotte Gradmann- 28f Syndrom (GSS) 62 INVADE 22 Erinnerungsarbeit 58 Gesamtbehandlungsplan 56 Inzidenz 20 Erinnerungstherapie 57 Gesundheitsökonomie 71 19 Ginkgo 51 K GlaxoSmithKline 51 Kardinalsäfte 12 Glutamat 39, 52 Karger, André 70 Gradmann Haus 57, 75 Kern, Sylvia 76 Barrieren 62f – Einteilung Adler, Corinne 66 Basale Stimulation 60 – Epidemiologie Aggregationshemmer 43 Baumeister, Ralf 42 – Formen Aggressionen 69 Behandlungsplan 56 – Geschichte 12f Agitiertheit 25 BEHAVE-AD 70 – Häufigkeit 14 Ernährung Agnosie 25 Belastung, Messmethoden 70 – Konzepte 13 Evangelische Gesellschaft 11, 15. 45 Beratung, Nutzen 72 – Kosten 35, 36 Beratungsstellen 67 – Mischformen 9 F Beruhigungsmittel 64 – Neuerkrankungen 8 Fadenwürmer 34 Beta-Faltblattbrecher 55 – neurodegenerative 9 Familiäre Erkrankungen 33 Beta-Sekretase 43 – präsenile Farben 62 H Färbetechniken 13 Haass, Christian AIDS Alkohol Alkoholmissbrauch Alltagshilfen Alpha-Synuklein Altenhilfe Wetter 9, 13 62f 33, 44 77 Betreuung 26f, 63f 9, 39, 41 Erkrankungsrate 35f, 45, 48 57, 76 26, 71f 13 – Risiko 11, 46 Gunzelmann, Thomas Gutzman, Hans 66 Kernspintomograph siehe Magnetresonanz-Tomographie 60f Kinästhetik 41, 42f, 54 41 Knock-out Tiere 34 25 – Schweregrad 15 Fatale familiäre Schlaflosigkeit 45 Hallauer, Johannes 71f Kognition 21 – Gruppen 68 – senile 13 Feil, Naomi 58 Halluzinationen 27 Kognitives Training Altersvergesslichkeit 11 – Konzept 26 – soziale Faktoren 36f Fett 37 Hamburger Modell 26 Kommunikation Bevölkerungsentwicklung 21 – Stadien 15 Fisch 37 Haupt, Martin Bewältigungsstrategien 63 – Statistik 19f Fischer, Manfred 29 Hausärzte 25 – Symptome Alzheimer Gesellschaften Alzheimer, Alois Alzheimer-Demenz 11, 12, 47 67 8,13, 28 9 – Modelle Bewegungsstörungen – Bildgebung 27 Beyreuther, Konrad – Entstehung 40f Beziehungskonflikte 74f, 77 Hausgemeinschaft 77 Konning, Willem de 37 Hayworth, Rita 29 Kornhuber, Johannes 17 67 – Ursachen 45 Förstl, Hans Heart Protection Study 49 Korrelationen 48 19f – vaskuläre 9, 39, 70 Fragebögen 15 Heeg, Sybille 76 Kosten Freie Radikale 48 Hefezellen 34 Kraepelin, Emil 13 9 Hefti, Franz 51 Krankenkassen 73 Heyde, Anneliese 68 Krankheitsdauer 25 Hildegard von Bingen 13 Krankheitswahrnehmung 64 Bildgebung Amgen 51 – Diagnose Angehörige 10 Bildung – Belastung 67 Binswanger, Otto 13 Binswanger-Krankheit 40 Demographischer Wandel Angst Antidementiva 13, 40 16 36f, 46f 28f 8 – Verläufe 9, 24f – Zahlen 19f Frontotemporale Demenz (FTD) Demenz Support 75 Frühdiagnostik Demenzchip 17 FTD siehe Demtect 64, 67 Hippokratischer Eid G Biomarker 18 Depression 39 Desorientierung 30 Galantamin Bluthochdruck 36 Deutsche Alzheimer Gesellschaft 72 Gamma-Sekretase Borreliose 15 Deutsches Elektronen-Synchrotron 41 Gamma-Sekretase-Hemmer 64 Hippocampus Hippokrates Blutgefäße 48f 17 16 50f Antioxidantien 10, 35f, 48 Frontotemporale Demenz 19f, 71f 31, 62, 64 Antidepressiva 29 48 Bickel, Horst Biographien 59 Folsäure 51 59, 70 17 Kompetenztraining 64f, 70 Fitness 40 – Gruppenarbeit Kompetenznetz Demenzen 15f, 22, 67 16 – Magnetresonanz-Tomographie 66f 51, 53 42f 51 Hirnforschung Hirninfarkt 16 12 Kuhn, Christina 75 14 Kunsttherapie 38f Kurz, Alexander 39 Kurzzeitpflege Botenstoffe 39 Diabetes mellitus 36 Gedächtnis 25 Brain-Net 16 Diagnose 14f Gedächtnistests Bristol-Myers Squibb 51 Diagnostik 14f Gedächtnistraining Diäten 46 Gefühlsleben 65 Gehbehinderung 62 Homozystein 37 38f APP Aristoteles Arzneien – Entwicklung – Nebenwirkungen Arzneiforschung Aß 39 33, 40f 12 BSE 15, 44 Bundesforschungsministerium 16, 17, 66 Differentialdiagnostik Bush, Ashley Donepezil 54 10, 17 53 50f 18, 43 64 Cerebralsklerose 51 Cholesterin 35, 40, 42 E C 29 37, 52 Ebersberg Edbauer, Dieter Clioquinol 54 Elan 12, 20 Lebensqualität 10, 60 33 – Gewebebank 16 Huntington-Krankheit 44 Leichte kognitive Störung (MCI) 17 32f Lewy-Körperchen-Demenz I 49 Lewy-Körperchen ICD-10 14 Lewy-Körperchen-Demenz (LBD) 34 IDE 35 Lilly Gentests 18 Impfstoff Gentherapie 53 Infektionskrankheiten 34 Genetik Aufklärung 13 Computer-Tomographie (CT) 16 Enthemmung 25 Genmanipulation Auguste D. 13 Creutzfeld-Jakob-Krankheit (CJD) Automatisierung 35 33 32f 62f Lewy Bodies siehe 46, 61 Ibuprofen – Varianten Embryonalentwicklung 80 Lebenserwartung Lebensumfeld Gene 67 Lewy-Körperchen-Demenz AIDS Lebensweise 43 Erfahrungsaustausch LBD siehe 12 42 18, 32f HI-Virus siehe 13 Gehirnjogging 39, 41, 49 46, 61 11, 45 Humoralpathologie Computersimulation Erbanlagen Hirntumoren Humanismus 17 Entzündung 16 17 – Diagnose 15, 44 12, 25, 40 – Bildgebung Gehirn 22 51, 55 68 L Bildgebung 70 Apoptose 60 17, 47, 72 Hirnscans siehe Aphasie 33, 35, 41 10, 71f Kretzschmar, Hans 17, 40 Anton-Betz-Stiftung ApoE 57 63, 65 – Tests 41, 52 – Impfung – Erfahrungen 59 Kinesin Alterspyramide Alter 22 Gerüche 49 39, 41 vaskuläre Erkrankungen 45 75 Stiftung Acetylsalicylsäure 19f Interventionsprojekt zerebro- Gerstmann-Sträussler-Schenker- Integrative Validation 44 9 51 51, 54f 11, 15, 45 58 81 ANHANG ANHANG Stichwortregister M Nootropika Magnetresonanz-Tomographie NOSGER 70 Rauchen Novartis 51 Reagan, Ronald (MRT) 16,17 Maier, Wolfgang 33 Makrophagen 39 Mandelkow, Eckard und Eva-Maria 41f Masters, Collin McGowin, Diana Friel 41, 54 29f MCI siehe 50f NSAR siehe Nichtsteroidale Antirheumatika O 32 Tagespflege 68 Wehner, Herbert 29 Redlich, Emil 13 Tanz 58 Wein 37 Reischies, Friedel 17 Tanzi, Rudolf 35 Weyerer, Siegfried 26 Reizüberflutung 62 Tau 33, 41f, 43f Wijsman, Ellen 35 13 Ordensschwestern 46 Richard, Nicole 58 Teilchenbeschleuniger 41 Wiltfang, Jens 17 25, 31 Risikofaktoren 11, 32f Testament 67 Wilz, Gabriele 66 10 Wohngemeinschaften 77 48 Panik Metalle 54 Parkinson-Krankheit Mikroglia 41 Patientenverbände 16 Mikrotubuli 43 Persönlichkeitsveränderungen 27 Mild Cognitive Impairment 17 PET siehe 62 33, 44 33 Therapie Risikoprofil 22 – Alzheimer-Therapiezentrum Rivastigmin 53 Bad Aibling 58 Roche 51 – experimentelle 52f 58 – Grafik Romero, Barbara Rotterdam-Studie 36f, 49 S Positronen-Emissions-Tomographie Peter, Thomas Risikogene Zacharias, Helmut – nicht-medikamentöse 56f Zahlenverbindungstest 16 65 Zandi, Peter 49 34, 43 – Tiere 61 Zebrafische Thompson, Paul 40 Zeitgefühl 69 22, 39 Tierversuche 34 Zelltransplantation 54 29 Training 48 Zentralinstitut für 10, 62f Schlaganfall – Erfahrungen 68, 69 Schön, Helmut 70 Schuldgefühle 31 Transgene Tiere 34 – Kosten 71f Schutzfaktoren 11, 46f Tuszynski, Mark 53 Monakow, Constantin von 13 – Modelle 26f Schwarz, Günther 57, 76 Morbus Pick 44 – Ratschläge 66f Seelengeist 13 U Motorik 61 Pflegeheim 68, 26f, 74f Seidl, Norbert 77 Ubiquitin Müller, Margret 77 Pflegekräfte 10 Sekretase 42 Uhrenzeichentest 14, 16 Umwelteinflüsse 33, 39 25 Pflegeversicherung 73 Selbst-Erhaltungs-Therapie Pharmaindustrie 51 Selbstmordprogramm 39 Musiktherapie 60 Pick, Arnold 13 Seniorensportgruppen 48 V Mutationen 33 Plaques Seniorentreff 67 VAD siehe Simons, Kai 52 Demenz, vaskuläre Simons, Mikael 52 Validations-Therapie Singer, Wolf 38 vCJD Sozialamt 26 Ventrikellehre Spiritus animalis 13 Verhalten 25, 27 36 Verhaltensstörungen 61, 64 39f Positronen-EmissionsTomographie (PET) N 18 Nematoden 34 Präsenilin 33, 42 Nemesius von Emesa 12 Prävalenz 19 Nerve Growth Factor (NGF) 53 Prävention Nervenzellen Neuerkrankungsrate Neurobiologie 39f 20 38f Preminger, Otto 22, 46f 29 Stammbäume Prionen 15, 44f Statine Prognosen 10, 19f Statistisches Bundesamt Neurofibrilläre Bündel 41 Prominente Kranke Neurogenese 39 Neuroleptika 58, 60 37, 52 21, 71 Verhaltenstherapie 15 12 59f Versuchstiere 34 Steiner, Harald 42 Videomikroskopie 43 PS1 33 Steinschneiden 13 Vitamine 48 64 PS2 33 Stiftung der Neuroprotektion 10 Psychoedukation 59, 64 Neurosyphilis 13 Psychopharmaka 11, 27 NGF siehe Nerve Growth Factor Stimmung 70 Vollmachten 67 Vorbeugung 22, 46f 25 Psychotherapie 64 Sturzgefahr 62 Ptahhotep 12 Symptome 24f Nichtsteroidale Antirheumatika 49 Syphilis 15 NMDA-Rezeptor 52 Szenarios 21 82 36 58, 60 28f Westdeutschen Landesbank 74 35f 44 62 9, 40 Seelische Gesundheit Zigaretten Zuckerkrankheit Musik Multi-Infarkt-Demenz 29 26, 63 – Gruppenarbeit Molekularbiologie Z 50f Schäufele, Martina Pflege 13 55 Lebensumfeld – Medikamente – Nutzen Sanders, Jan 76 Wohnumfeld siehe 38f Mobilität 53f Willis, Thomas P Mini-Mental-Test Watson, James 17 51 MMT siehe 10 – Diagnose 52 16 Wachstumsfaktoren Tageskliniken 47 Merck 59, 74f 57, 60 53 Reservekapazität Memantin Mini-Mental-Test (MMT) 28 W Tacrin 16 Arzneien Milieutherapie 35f, 48 Obduktion Oxidativer Stress Medikamente siehe T Realitäts-Orientierungs-Training Orientierung Mild Cognitive Impairment R 83