Der Kampf gegen das Vergessen

Transcrição

Der Kampf gegen das Vergessen
Der Kampf gegen das Vergessen
Demenzforschung im Fokus
Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung unentgeltlich
abgegeben. Sie ist nicht zum gewerblichen Vertrieb bestimmt. Sie
darf weder von Parteien noch von Wahlwerberinnen/Wahlwerbern
oder Wahlhelferinnen/Wahlhelfern während eines Wahlkampfes
zum Zweck der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für
Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen sowie für Wahlen
zum Europäischen Parlament.
Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen und an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen
oder Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte
zum Zwecke der Wahlwerbung.
Unabhängig davon, wann, auf welchem Weg und in welcher Anzahl diese Schrift der Empfängerin/dem Empfänger zugegangen ist,
darf sie auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl
nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme der
Bundesregierung zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte.
Der Kampf gegen das Vergessen
Demenzforschung im Fokus
Herausgeber
Bundesministerium
für Bildung und Forschung (BMBF)
Referat Publikationen; Internetredaktion
11055 Berlin
Bestellungen
schriftlich an den Herausgeber
Postfach 30 02 35
53182 Bonn
oder per
Tel.: 01805-262 302
Fax: 01805-262 303
(0,12 Euro/Min.)
E-Mail: [email protected]
Internet: http://www.bmbf.de
Redaktion
Klartext, Stuttgart
Autoren
Roland Bischoff, Stuttgart
Michael Simm, Offenburg
Rolf Andreas Zell, Stuttgart
Gestaltung
teamkom, Stuttgart
Horst Schüler
Bildnachweis
Titel :
Kurt Henseler
Innenseiten:
akg-images: S. 12 o. und u., S. 13 (Erich Lessing)
Argum: S. 47 l.
Avenue Images: S. 57
S. Bosch: S. 76 l.
Prof. Eckard und Eva- Maria Mandelkow: S. 44 u. l. und u. r.
Agentur Focus/SPL: S. 8 u., S. 9 l. und r., S. 11 u., S. 16, S. 32 o., S. 33, S. 35
Agentur Focus: S. 74 o. (D. Courtinat / Rapho)
Das Fotoarchiv: S. 48 l. und r. (F. Stark) S. 71 (T. Bauer), S. 72 Mitte
(T. Bauer) , S. 77 (R. Falco)
H. Gutzmann: S. 61
M. Haupt: S. 65
Prof. Dr. F. Hentschel / ZI Mannheim: S. 18
Hermann + Bosch, Freie Architekten, BDA Stuttgart: S. 74 Mitte
P. Kanzia: S. 75 l. und r., S. 76 l. und r.
laif: S. 8 o. (P. Granser), S. 47 r., S. 48 Mitte, S. 49 l. und r., S. 73 l. und r.
F. Mädje/von Lingen: S. 68
Okapia: S. 17 o. und u., S. 34 r., S. 50, S. 51 u., S. 53
Picture alliance: S. 11 o., S. 28 l. und r., S. 29 r.
Salk Institute for Biological Studies, La Jolla, California: S. 39 l. und r.
G. Schiefer: S. 49 Mitte
K. und M. Simons: S. 52
C. Thoelen: S. 26 l. und r., S. 27 o., S. 31, S. 63 o., S. 66
P. Thompson/UCLA School of Medicine, Los Angeles: S. 27 r.
M. Tuszynski/University of California, San Diego: S. 54
alle übrigen Fotos: Kurt Henseler, Tübingen
Druckerei
FIBO Druck und Verlags GmbH, Neuried
Illustrationen
Ralf Bohde, Stuttgart
Bonn, Berlin 2004
Gedruckt auf Recyclingpapier
Bildredaktion
Carola Reinmuth, Reutlingen
ANHANG
T
W
Tacrin
53
Wachstumsfaktoren
Tageskliniken
10
Watson, James
32
Tagespflege
68
Wehner, Herbert
29
Tanz
58
Wein
37
Tanzi, Rudolf
35
Weyerer, Siegfried
26
33, 41f, 43f
Wijsman, Ellen
35
– Diagnose
17
Willis, Thomas
13
Teilchenbeschleuniger
41
Wiltfang, Jens
17
Testament
67
Wilz, Gabriele
66
Therapie
10
Wohngemeinschaften
77
Tau
Herausgeber
Bundesministerium
für Bildung und Forschung (BMBF)
Referat Publikationen; Internetredaktion
11055 Berlin
Bestellungen
schriftlich an den Herausgeber
Postfach 30 02 35
53182 Bonn
oder per
Tel.: 01805-262 302
Fax: 01805-262 303
(0,12 Euro/Min.)
E-Mail: [email protected]
Internet: http://www.bmbf.de
Redaktion
Klartext, Stuttgart
Autoren
Roland Bischoff, Stuttgart
Michael Simm, Offenburg
Rolf Andreas Zell, Stuttgart
Gestaltung
teamkom, Stuttgart
Horst Schüler
Bildnachweis
Titel :
Kurt Henseler
Innenseiten:
akg-images: S. 12 o. und u., S. 13 (Erich Lessing)
Argum: S. 47 l.
Avenue Images: S. 57
S. Bosch: S. 76 l.
Prof. Eckard und Eva- Maria Mandelkow: S. 44 u. l. und u. r.
Agentur Focus/SPL: S. 8 u., S. 9 l. und r., S. 11 u., S. 16, S. 32 o., S. 33, S. 35
Agentur Focus: S. 74 o. (D. Courtinat / Rapho)
Das Fotoarchiv: S. 48 l. und r. (F. Stark) S. 71 (T. Bauer), S. 72 Mitte
(T. Bauer) , S. 77 (R. Falco)
H. Gutzmann: S. 61
M. Haupt: S. 65
Prof. Dr. F. Hentschel / ZI Mannheim: S. 18
Hermann + Bosch, Freie Architekten, BDA Stuttgart: S. 74 Mitte
P. Kanzia: S. 75 l. und r., S. 76 l. und r.
laif: S. 8 o. (P. Granser), S. 47 r., S. 48 Mitte, S. 49 l. und r., S. 73 l. und r.
F. Mädje/von Lingen: S. 68
Okapia: S. 17 o. und u., S. 34 r., S. 50, S. 51 u., S. 53
Picture alliance: S. 11 o., S. 28 l. und r., S. 29 r.
Salk Institute for Biological Studies, La Jolla, California: S. 39 l. und r.
G. Schiefer: S. 49 Mitte
K. und M. Simons: S. 52
C. Thoelen: S. 26 l. und r., S. 27 o., S. 31, S. 63 o., S. 66
P. Thompson/UCLA School of Medicine, Los Angeles: S. 27 r.
M. Tuszynski/University of California, San Diego: S. 54
alle übrigen Fotos: Kurt Henseler, Tübingen
Druckerei
FIBO Druck und Verlags GmbH, Neuried
Illustrationen
Ralf Bohde, Stuttgart
– Alzheimer-Therapiezentrum
Wohnumfeld siehe
Bad Aibling
58
– experimentelle
52f
– Grafik
53f
55
Lebensumfeld
Z
– Medikamente
50f
Zacharias, Helmut
– nicht-medikamentöse
56f
Zahlenverbindungstest
16
65
Zandi, Peter
49
– Tiere
61
Zebrafische
34, 43
Thompson, Paul
40
Zeitgefühl
69
Tierversuche
34
Zelltransplantation
54
Training
48
Zentralinstitut für
Transgene Tiere
34
Tuszynski, Mark
53
– Nutzen
Seelische Gesundheit
Zigaretten
Zuckerkrankheit
29
74
35f
36
U
Ubiquitin
44
Uhrenzeichentest
14, 16
Umwelteinflüsse
33, 39
V
VAD siehe
Demenz, vaskuläre
Validations-Therapie
vCJD
Ventrikellehre
58, 60
15
12
Verhalten
25, 27
Verhaltensstörungen
61, 64
Verhaltenstherapie
59f
Versuchstiere
34
Videomikroskopie
43
Vitamine
48
Vollmachten
67
Vorbeugung
22, 46f
Bonn, Berlin 2004
Gedruckt auf Recyclingpapier
Bildredaktion
Carola Reinmuth, Reutlingen
83
VORWORT
Seit der ersten Beschreibung des Krankheitsbildes durch den
deutschen Arzt Alois Alzheimer im Jahr 1906 haben deutsche
Ärzte und Forscher maßgeblich Anteil gehabt an der Aufklärung des Morbus Alzheimer. Darunter sind in den letzten Jahren
insbesondere Beiträge zur Aufklärung der molekularen Mechanismen zu nennen, die die Grundlagen für die Erkenntnis des
Krankheitsprozesses und seiner Auslöser gelegt haben. Die Erfolge der Aufklärung der molekularen Mechanismen eröffnen
zugleich erstmals die Perspektive, kausal in das Krankheitsgeschehen eingreifen zu können.
Zunehmend identifiziert die Forschung aber neben dem Morbus Alzheimer auch weitere, vor wenigen Jahren noch unbekannte Krankheitsbilder, die zu Demenzen führen können. Neben der Notwendigkeit der Entwicklung von wirksamen Therapieverfahren für alle
diese Formen der Demenzerkrankungen sieht sich die Medizin damit zugleich auch
vor weitere diagnostische Herausforderungen gestellt.
Die vorliegende Broschüre will Betroffenen im Frühstadium und den Angehörigen
der Erkrankten, aber auch allen anderen Interessierten, den Stand der Forschung
nahe bringen und damit auch ein tieferes Verständnis für Demenzerkrankungen
vermitteln. Damit soll auch ein Beitrag zur Aufklärung über eine Krankheit geleistet
werden, deren Bedeutung in einer alternden Gesellschaft rasant zunimmt.
Edelgard Bulmahn
Bundesministerin für Bildung und Forschung
5
INHALT
INHALT
2
Impressum
5
Vorwort
6
INHALT
8
EINFÜHRUNG
Oma hat schon wieder den Schlüssel verlegt.
Hat sie Alzheimer?
Der Kampf gegen das Vergessen
Demenzforschung im Fokus
Der Name des deutschen Neurologen
Alois Alzheimer (1864-1915) ist seit fast
einhundert Jahren untrennbar mit der
häufigsten Demenzform, der Alzheimer-Demenz verbunden. Sein Verdienst war es, diese Erkrankung mit
einer in Gehirnschnitten sichtbaren
Zerstörung von Nervenzellen in Verbindung zu bringen. Einführung Seite 8.
Titelbild: Im Konfokalmikroskop betrachtet ein Forscher den Hirnschnitt
einer gentechnisch veränderten Maus,
die als Tiermodell für die AlzheimerDemenz dient. Auf dem Monitor
(rechts im Bild) treten die einzelnen
Nervenzellen leuchtend rot hervor.
Zuwendung und Wissen um die völlig
andere Welt, in der demente Menschen
leben, sind die beiden wichtigsten
Schlüssel im Umgang mit Erkrankten
für pflegende Angehörige wie für professionelle Pflegekräfte. Alltagshilfen
Seite 62. Pflegeheime Seite 74.
Bildgebende Verfahren spielen eine
wichtige Rolle beim Erkennen von
Demenzen und beim Unterscheiden
diverser Formen. Diagnose Seite 14.
Eines der Schlüsselmoleküle bei der
Entstehung von Demenzen ist das
körpereigene Eiweiß APP (links). Molekularbiologen (rechts) kennen die Rolle
solcher Moleküle inzwischen sehr
genau. Genetik & Risikofaktoren
Seite 32. Neurobiologie Seite 38.
Hilfsangebote für Angehörige, die
einen demenzkranken Menschen pflegen, unterstützen diese bei der
Bewältigung ihrer schweren Aufgabe.
Belastung für Angehörige Seite 66.
6
14
DIAGNOSTIK
Wie erkennt der Arzt eine Demenz? Wie sicher ist die Diagnose?
19
ZEITLICHE TRENDS
Warum nehmen Demenzkrankheiten zu?
24
VERLÄUFE VON DEMENZEN
Verlaufen alle Demenzen gleich?
28
KRANKHEITSERLEBEN
Wie erleben demente Menschen ihre Krankheit?
32
GENETIK & RISIKOFAKTOREN
Gibt es eine Veranlagung für Demenz?
Sind andere Risikofaktoren bekannt?
38
NEUROBIOLOGIE
Was passiert bei Demenzen im Gehirn?
46
SCHUTZFAKTOREN & VORBEUGUNG
Kann man sich vor einer Demenz schützen?
50
MEDIKAMENTE
Welche Arzneimittel helfen bei Demenzen?
56
ANDERE THERAPIEN
Was hilft außer Medikamenten?
62
ALLTAGSHILFEN
Was erleichtert Demenzkranken den Alltag?
66
BELASTUNG FÜR ANGEHÖRIGE
Wie können Angehörige die Belastungen
der Pflege meistern?
71
KOSTEN
Was kosten Demenzkrankheiten?
74
PFLEGEHEIME
Welche Formen der Rund-um-die-Uhr-Betreuung gibt es?
78
ANHANG
78
Adressen
79
Literatur
80
Stichworte
7
EINFÜHRUNG
EINFÜHRUNG
ben. Die Pflege von Menschen mit Demen-
ser Gruppe ist eine Demenz, die ihren An-
zen erfordert nicht nur viel Zeit und Zuwen-
fang in bestimmten Bereichen des Gehirns
dung, personellen und finanziellen Einsatz,
nimmt, nämlich dem Frontal- und Tempo-
sondern sie erzeugt bei Pflegekräften wie
rallappen. Sie wird daher als Frontotempo-
bei pflegenden Angehörigen oft große
rale Demenz (FTD) oder nach ihrem Ent-
Frustrationen angesichts des sich ver-
decker als Pick’sche Krankheit bezeichnet.
schlechternden Zustands des Kranken. Die
Vaskuläre Demenzen machen zehn bis
drei Kapitel ab S. 62, 66 und 74 beschäftigen
20 Prozent aller Demenzen aus. Hierunter
sich mit diesem Aspekt; das Kapitel ab S.71
fällt ein Bündel voneinander unterscheid-
geht den Kosten nach und das Kapitel ab
barer Krankheitsformen, etwa die Multi-
S. 28 widmet sich dem Thema, wie demente
Infarkt-Demenz. Rund weitere 20 Prozent
Personen ihre eigene Situation erleben.
aller Demenzen erweisen sich als Mischformen zwischen einer neurodegenerativen
Unterschiedliche Demenzformen
und einer vaskulären Erkrankung. Selten,
aber für die Diagnostik sehr wichtig ist die
Gesund –
vergesslich – dement
Ein erster Blick auf die Demenzen
Die Alzheimer-Demenz (AD) ist für viele das
dritte Gruppe der Demenzen, die mit ande-
Synonym für Demenzen schlechthin. Tat-
ren Erkrankungen einhergehen.
sächlich ist die AD mit 50 bis 60 Prozent
zwar die häufigste Demenzform, aber nicht
die einzige. Nach der Art ihrer Entstehung
lassen sich drei Gruppen unterscheiden:
Demenzen, die ihren Anfang von sich
Alois Alzheimer (links) gehörte zu den
ersten Neurologen, die Demenzen mit
der Zerstörung von Nervenzellen in
Verbindung brachten. An zwei Hirnpräparaten (unten) wird der Schaden
sichtbar: links im Bild das Hirn eines
verstorbenen Patienten mit Alzheimer;
rechts das Präparat eines nicht-dementen Toten. Ihren Beginn nimmt die
Zerstörung durch Ablagerungen verschiedener Eiweiße in und an einzelnen Nervenzellen (rechts unten).
Hinter dem Versuch, „Ordnung“ in die Viel-
ausweitenden Schadensprozessen in und
falt demenzieller Erkrankungen zu brin-
an den Nervenzellen des Gehirns nehmen –
gen, steckt mehr als medizinischer „Schub-
sie heißen neurodegenerative Demenzen;
ladisierungseifer“. So unterscheiden sich
Demenzen, die sich als Folge von Gefäß-
selbst innerhalb einer Gruppe die Krank-
schädigungen im gesamten Körperkreis-
heitsformen erheblich: An AD erkrankte
lauf und damit auch im Gehirn entwickeln
Menschen haben zunächst vor allem mit
– sie werden als vaskuläre Demenzen (VAD)
kognitiven Defiziten zu rechnen. Bei Men-
bezeichnet; und schließlich
schen mit LBD treten zudem Verwirrtheits-
Demenzen, die als Begleiterscheinung
zustände auf, und es kann zur Schüttellähmung kommen, wie sie auch für eine Par-
„Wo habe ich nur die Schlüssel hingelegt?“
kinsonerkrankung typisch ist. Patienten mit
Wer hat sich das nicht selbst schon einmal
einer FTD fallen häufig zunächst durch Ver-
gefragt und – eher belustigt als ernst – ge-
haltensänderungen auf: Sie werden etwa
dacht, jetzt gehe wohl „der Alzheimer“ los.
unzuverlässig oder entwickeln ein auffäl-
Kaum ein Witz, kein noch so platter
liges Sozialverhalten.
Um abschätzen zu können, mit welchen
Kalauer rund um unsere Vergesslichkeit
kommt ohne den Namen des deutschen
Veränderungen und Ausfällen man bei ei-
Neurologen Alois Alzheimer aus, nach dem
nem dementen Menschen zu rechnen hat,
seit rund 100 Jahren die häufigste Demenz-
ist es wichtig, die Demenzform möglichst
erkrankung benannt wird.
exakt diagnostisch zu ermitteln (die Verfahren hierzu finden Sie ab S.14). Dies ist auch
Die Realität ist das Gegenteil von spaßig:
Zwischen 900 000 und 1,1 Millionen Men-
wichtig, um den Verlauf einer Demenz be-
schen in Deutschland leiden unter einer
urteilen zu können.
Neurodegenerative Demenzen wie die
Form von Demenz; die Zahl der Neuerkrankungen pro Jahr liegt bei 120 000 und
löschung der persönlichen Geschichte und
anderer Erkrankungen – etwa einer Vergif-
AD nehmen einen kontinuierlichen, schlei-
nimmt jedes Jahr um weitere 20 000 Men-
des individuellen Wissens.
tung durch Alkoholmissbrauch oder einer
chenden Verlauf. Oft lässt sich deren Be-
Infektion des Gehirns mit Krankheitserre-
ginn gar nicht präzise ermitteln, doch von
schränkungen der Beweglichkeit, der Kon-
gern – auftreten. Die Medizin kennt rund
dem Moment an, wo sich eine AD ausge-
nen weit mehr als „nur“ Gedächtnisein-
trolle der Muskulatur oder der Wahrneh-
hundert solcher Erkrankungen, in deren
prägt hat, muss man mit einem stetigen
bußen. Kognitive Störungen bilden nur ei-
mungsfähigkeit – können in späteren
Verlauf eine Demenz auftreten kann.
Verlust von Hirnfunktionen rechnen. Bei
nen Symptombereich demenzieller Erkran-
Krankheitsstadien hinzutreten. Zudem
kungen. Sie reichen von leichten Schwä-
kann sich das Verhalten dementer Men-
sten Gruppe. Die zweithäufigste Form der
die Symptome im Vergleich zur AD gerade-
chen bei der Suche nach dem geeigneten
schen verändern, und zwar so dramatisch,
neurodegenerativen Demenzen ist die Le-
zu „schlagartig“ auftreten; dafür sind die
Wort oder beim Orientierungs- und Erinne-
dass Angehörige gar nicht glauben mögen,
wy-Körperchen-Demenz (Englisch: Lewy
Verluste teilweise reversibel – die Sympto-
rungsvermögen bis zur kompletten Aus-
tatsächlich dieselbe Person vor sich zu ha-
Bodies, abgekürzt als LBD). Seltener in die-
me des Patienten bessern sich also zeitwei-
schen zu (mehr dazu finden Sie ab S. 19).
Eine Demenz bedeutet für den Einzel-
8
Schubladendenken oder
wertvolle Differenzierung?
Körperliche Gebrechen – etwa Ein-
Die Alzheimer-Demenz gehört zur er-
vaskulären Demenzen wiederum können
9
EINFÜHRUNG
EINFÜHRUNG
FOKUS FORSCHUNG
„Eine scharfe Grenze gibt es nicht“
Interview mit dem Münchner Demenzexperten Prof. Hans Förstl
lig, um später erneut und dann meist gra-
Diese Frage lässt sich mit einem klaren
vierender aufzutreten. Über unterschied-
„Ja und Nein“ beantworten. Schadenspro-
liche Verlaufsformen und Ausprägungen
zesse im Hirn, wie sie für Demenzen typisch
informiert das Kapitel ab S.24.
sind (siehe ab S. 38), lassen sich mit zuneh-
Gerade bei der Entscheidung für eine
mendem Alter bei einem größer werden-
angemessene Therapie ist es bedeutsam,
den Prozentsatz von Menschen feststellen,
die Demenzform diagnostisch genau zu er-
und auch das Schadensausmaß nimmt von
fassen. So lässt sich inzwischen eine InfekGibt es eine klare Grenze zwischen dem altersbedingten Ver-
über die nächsten fünf bis sie-
lust von Hirnleistungen und dem Einsetzen einer Demenz?
ben Jahre hinziehen. Ein weit-
Förstl: Britische Kollegen arbeiten momentan an einer Studie mit
gehender Erhalt der Lebens-
vielen Hundert alter Menschen, um unter anderem auch diese Fra-
qualität über fünf oder gar
ge zu klären. Im Jahr 2001 haben sie die ersten Ergebnisse publiziert.
zehn Jahre wäre also ein enor-
Ihr Fazit lautet: Nicht nur die Gehirne dementer Menschen weisen
mer Gewinn – viele würden das
die für diese Krankheiten typischen Veränderungen auf, sondern
voll entwickelte Krankheitsbild
auch die der allermeisten nicht-dementen Personen. Daher glaube
dann gar nicht mehr erleben.
Wird zwangsläufig
jeder Mensch dement, sofern
er nur alt genug wird, um
diese Krankheit noch
zu erleben? Ja und Nein!
tion mit dem AIDS verursachenden HIVirus, das zusätzlich eine Demenz hervorrufen kann, medikamentös gut behandeln.
Verursacht ein unerkannter Hirntumor
eine Demenz, so kann es für den Patienten
lebensrettend sein, diese verborgene Ursache seiner Demenz zu erkennen und zu behandeln. Andererseits kann die Gabe be-
ich, dass wir gewissermaßen alle ‚Alzheimer’ im Kopf haben. Ent-
stimmter Psychopharmaka, die bei AD-Pa-
scheidend dafür, ob wir eine Demenz erleben, sind das Lebensalter,
Die meisten dementen Men-
tienten psychische Symptome lindern, bei
das wir erreichen werden, und die Geschwindigkeit, mit der die
schen werden zu Hause von
einer LBD sogar nachteilig wirken. Mit den
Schädigungen im Hirn ablaufen. Eine scharfe Grenze oder Schwelle,
Angehörigen versorgt. Viele
heutigen Therapiemöglichkeiten sowie mit
von der ab der normale Alterungsprozess hinsichtlich der Demenz-
belastet die Pflege aufs Äu-
neuen, experimentellen Behandlungsan-
ßerste. Durch welche Ange-
sätzen beschäftigen sich die beiden Kapitel
bote könnte die Medizin die-
ab S.50 und S.56.
entwicklung zum krankhaften umkippt, gibt es nicht.
Was bringt es, wenn ein Patient weiß, ob er an einer vaskulären
Demenz (VAD) oder an einer Alzheimer-Demenz (AD) leidet?
Prof. Hans Förstl ist Direktor der Klinik und
Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums rechts der Isar,
Technische Universität München.
Jahrgang 1892: Lina Zimmer ist die älteste Deutsche und
wahrscheinlich auch Alters-Weltrekordhalterin.
sen Menschen helfen, mit der
Nicht nur eine Frage des Alters
Last besser klarzukommen?
Altersstufe zu Altersstufe zu. Zudem zeigen
Förstl: Sie zweifeln dort zu Recht, wo eine aufwändige Differenzial-
Förstl: Die Tatsache, dass die meisten Demenzpatienten zu Hause
diagnostik droht, zum Glasperlenspiel zu werden. Aber einige De-
gepflegt werden, halte ich zunächst einmal für gar nicht so
Das kognitive Leistungsvermögen eines
65. Lebensjahr das Risiko einer Demenz-
menzen beruhen auf behandelbaren, zumindest aber beeinfluss-
schlecht. Aber selbstverständlich muss man sehr genau hinschau-
Menschen – beispielsweise die Fähigkeit,
erkrankung im Fünfjahresabstand annä-
baren Ursachen. Diese gilt es zu finden und etwaige Risikofaktoren
en, wo die Last einfach zu groß wird. Aus meiner Sicht wäre es not-
eine Fremdsprache zu erlernen – nimmt
hernd verdoppelt. Beide Befunde sprechen
gezielt zu minimieren. Außerdem ist die Differenzialdiagnostik für
wendig, den Bereich der niederschwelligen Hilfsangebote auszu-
mit dem Alter ab. Und das als „Altersver-
also für ein klares „Ja“ als Antwort.
die Wahl der Therapie wichtig. Wir müssen also die Demenzen in
weiten, also beispielsweise Tageskliniken einzurichten, in denen ein
gesslichkeit“ titulierte Phänomen beobach-
Doch auch für ein „Nein“ gibt es fundier-
unterschiedliche Schubladen stecken. Aber mit diesem brauchba-
dementer Mensch stundenweise beaufsichtigt und beschäftigt ist,
tet jeder nicht mehr jugendliche Mensch an
te Argumente: So sind ja nicht alle Hundert-
ren Konzept fahren wir an die Wand, wenn es dazu führt, dass zwar
während die pflegende Person nebenan in der Bibliothek ein Buch
sich. Wird also zwangsläufig jeder dement,
jährigen dement. Der mit dem Alter einher-
ein Patient mit AD ein Antidementivum von der Krankenkasse er-
lesen kann. Ein anderes Beispiel der Entlastung wären Pflegekräfte
sofern er nur alt genug wird, um die Krank-
gehende Leistungsverlust mag allen Men-
stattet bekommt, die gleiche Substanz aber einem Patienten mit zu-
für die Nacht. Bei vielen dementen Personen ist der Tag-Nacht-
heit noch zu erleben?
schen zu eigen sein; doch die Geschwindig-
sätzlichen Hirngefäßveränderungen aufgrund der derzeitigen Re-
Rhythmus erheblich gestört. Die Folge kann sein, dass die Pflegen-
keit, mit der Hirnfunktionen abnehmen, ist
gularien vorenthalten wird.
den dann buchstäblich kein Auge mehr zumachen können.
individuell unterschiedlich, sodass auch für
Warum ist eine möglichst frühzeitige Diagnose so wichtig?
In unserer älter werdenden Gesellschaft wird die Zahl der
Förstl: Die Abnahme der kognitiven Leistungen bei vielen Demen-
Demenzkranken deutlich ansteigen. Welche Strategien be-
zen und ganz sicher bei AD folgt – über die Zeit betrachtet – einem
nötigen wir, um mit diesem Problem fertig zu werden?
schung eine entscheidende Konsequenz:
stetigen Verlauf. Mit den besten der heute verfügbaren Medika-
Förstl: An dieser Aufgabe müssen wir alle gemeinsam mitarbeiten.
Wenn die mit dem Alter einhergehende Ab-
mente lässt sich dieser Verlauf etwa um ein Jahr parallel nach hin-
Für mich steht außer Frage, dass wir in Zukunft eine längere Lebens-
nahme von Hirnleistungen unterschiedlich
ten verschieben. Je früher eine Demenz diagnostiziert wird, desto
arbeitszeit haben werden. Auch die abrupte Zäsur vom Berufsleben
rasch ablaufen kann, ist es wichtig, all jene
mehr Fähigkeiten sind noch intakt und desto mehr Lebensqualität
zum Ruhestand wird es in Zukunft hoffentlich nicht mehr geben.
Faktoren auszumachen, die diesen Prozess
zieht der Patient aus diesem Zeitgewinn.
Die Prognosen für das Jahr 2050 gehen von 2,5 bis drei Millionen
statistische Analysen, dass sich ab etwa dem
einen sehr alten Menschen die Demenz
kein unausweichliches Schicksal darstellt.
Diese Befunde haben für die Demenzfor-
beschleunigen oder verlangsamen. Erstere
Demenzkranken in Deutschland aus. Ich kann mir beim besten
Vaskuläre Demenzen (Grafik, links)
sind Risikofaktoren, letztere Schutzfakto-
Welchen Therapiefortschritt halten Sie für möglich?
Willen nicht vorstellen, dass wir für all diese Menschen ausreichend
breiten sich von Hirnarealen aus, in
ren. Sind diese Faktoren etwa durch persön-
Förstl: Ich habe die ‚Parallelverschiebung’ der Leistungseinbußen
viele Pflegekräfte werden ausbilden können – ganz zu schweigen
erwähnt, die sich medikamentös um etwa ein Jahr hinauszögern
von den enormen Kosten einer überwiegend professionellen Pfle-
lassen. Wir alle hoffen darauf, dass es Therapien geben wird, die das
ge. Zudem wird das Modell der Pflege durch Angehörige in Zukunft
Fortschreiten der Erkrankung nicht nur verschieben, sondern die-
nicht für alle Patienten anwendbar sein – denken Sie nur an die vie-
ses sogar bremsen. Solche neuroprotektiven Therapien sind ein
len kinderlos gebliebenen und alleinlebenden Menschen.
seitlich nach hinten voran. Die Zer-
Patienten, die eine Demenz entwickelt ha-
Fernziel, von dem wir vielleicht noch einige Jahre entfernt sind.
Deshalb sehe ich die Notwendigkeit für ein anderes Modell: Gesun-
störung im direkten Vergleich (Foto):
ben, besser zu behandeln. Um Risikofakto-
Doch auch bescheidenere Fortschritte würden den Demenzkran-
de Alte werden kranke Alte pflegen. Dafür werden sie Anerkennung
rechts die auf CT-Bildern beruhende
ken enorm nützen. So handelt es sich ja um Krankheiten, die meist
und auch Geld erhalten. Im Blick auf das eigene Schicksal muss sich
erst im höheren oder ganz hohen Alter auftreten und sich dann
eine neue Solidarität der Gleichaltrigen entwickeln.
10
denen Gefäßschäden auftraten. Die
Alzheimer-Demenz (Grafik, Mitte)
liche Lebensweise oder Medikamente be-
beginnt meist in Hirnbereichen, in de-
einflussbar, könnte es langfristig möglich
nen das autobiographische Gedächtnis
lokalisiert ist. Die Frontotemporale
Demenz schreitet vom Stirnbereich
Darstellung eines gesunden Gehirns,
links ein vergleichbarer Schnitt durch
das Hirn eines Patienten mit AD.
werden, sich vor einer Demenz zu schützen
– also ihren Beginn hinauszuzögern – und
ren geht es ab S. 32 sowie im „Fokus Forschung“ ab S. 19; mit Schutzfaktoren beschäftigt sich das Kapitel ab S. 46.
11
EINFÜHRUNG
EINBLICK
Die Humoralpathologie des griechischen Arztes Hippokrates bildete das
gedankliche Fundament der antiken
Medizin. Demnach war auch für den
„Altersblödsinn“ ein Ungleichgewicht
der „Kardinalsäfte“ verantwortlich.
nach Christus) verbindet psychische Störungen mit der Ventrikel-
sische Neurologe Bewusstseinsstörungen nach der Art zu beschrei-
lehre und meint so, den „Sitz“ dieser Störungen ausmachen zu kön-
ben, wie sie bei organischen Hirnleiden zu beobachten sind. In der
nen. Nach der Auffassung der mittelalterlichen Klostermedizin, de-
Neurologie gewinnt die Vorstellung an Bedeutung, dass psychische
ren bekannteste Vertreterin die Äbtissin Hildegard von Bingen
Leiden eine Folge von „greifbaren“ Veränderungen im Gehirn sind.
(1098-1179 nach Christus) ist, gelten Krankheiten als Teil des gött-
Die vergessene
Krankheit
Demenz im Spiegel der Epochen
Einer der Höhepunkte dieser hirnanatomischen Forschungsrich-
lichen Plans, die entweder eine Strafe für begangene Sünden oder
tung ist mit dem Namen des Nervenarztes Alois Alzheimer verbun-
eine Prüfung Gottes darstellen. Zu heilen sind sie nur durch ein got-
den. Dank der neuen Färbetechnik der Silberimprägnation ent-
tesfürchtiges Leben. Unterstützend werden Heilkräuter eingesetzt,
deckt Alzheimer im Gehirn der 1906 mit 54 Jahren verstorbenen Pa-
die gemäß der antiken Humoralpathologie das Säftegleichgewicht
tientin Auguste D. „argentophile intraneuronale Fibrillen“. Für sei-
im Körper wiederherstellen sollen.
nen Münchner Kollegen Emil Kraepelin ist dies ein wichtiger
Auch der Humanismus und selbst die rationalistisch geprägte
Befund, weil es Alzheimer gelungen war, diese Demenzerkrankung
Aufklärung im 18. Jahrhundert brachen mit diesem Krankheitskon-
mit Hirnschäden auf zellulärer Ebene in Verbindung zu bringen. In
zept nicht völlig. In Anlehnung an das damalige, mechanistisch ge-
Kraepelins Systematik der psychiatrischen Erkrankungen steht fort-
prägte Bild vom „Menschen als Maschine“ entwickeln Mediziner so
an die Alzheimersche Erkrankung für eine nicht-vaskuläre (arterio-
genannte iatromechanische und iatrochemische Ideen einer De-
sklerotische) präsenile Form der Demenz.
menz: Demnach verursacht entweder eine herabgesetzte Schwin-
Im Verlauf des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart schärft sich
gungsfähigkeit der „Fasern“ im Gehirn Geisteskrankheiten, oder sie
das Bild der Neurowissenschaften von den Demenzen. Es wird im-
werden auf einen Mangel an Seelengeist (spiritus animalis) zurück-
mer klarer, dass es keine scharfe Trennlinie zwischen präsenilen
geführt, der die Nervenflüssigkeit „stocken“ lässt. So bleiben die ge-
und senilen Demenzen gibt, also zwischen Demenzen, die bereits
nannten Konzepte der antiken Humoralpathologie verhaftet.
Demenzerkrankungen sind vermutlich so alt wie der Mensch selbst.
Aristoteles (384-322 vor Christus), für den das Alter ebenfalls eine
Revolutionäres Demenzkonzept
Erste Beschreibungen reichen bis ins zweite vorchristliche Jahrtau-
„natürliche Krankheit“ darstellt, greift die Idee der Kardinalsäfte
send zurück. So schildert der Wesir Ptahhotep im Prolog zur alt-
auf und verbindet diese mit seiner Vorstellung der vier Grundqua-
ägyptischen Lebenslehre: „Der Mund ist schweigsam, er kann nicht
litäten von Materie, nämlich kalt, warm, feucht und trocken. Das
Trotzdem bringt diese Epoche einen ersten „Durchbruch“ in der De-
mehr reden. Das Herz (nach altägyptischer Auffassung das Denk-
Blut denkt er als feucht-warm, die Gelbe Galle als warm-trocken, die
menzforschung. In Oxford bricht der Arzt Thomas Willis (1621-1675)
organ) lässt nach, es kann nicht mehr des Gestern erinnern... Was
Schwarze Galle als kalt-trocken und den Schleim als kalt-feucht.
mit der mittelalterlichen Ventrikellehre. Stattdessen formuliert er
das Alter den Menschen antut? Übles in jeder Hinsicht.“
Bis ins 17. Jahrhundert hinein werden Demenzen als „natürliche“
In seiner Schrift „Über das Gedächtnis und die Erinnerung“ ent-
eine Theorie über die unterschiedlichen Funktionen einzelner Hirn-
wickelt er eine Theorie über diese beiden Hirnleistungen. Erinne-
abschnitte. Revolutionär ist sein Demenzkonzept, denn Willis
Folge des Alterns beschrieben – unabwendbar, unheilbar. Die Medi-
rungen stellt er sich als „Eindrücke“ (Engramme) in das Denkorgan
grenzt unterschiedliche Formen von Demenz voneinander ab, etwa
zin der alten Hochkulturen Kleinasiens, der römischen und griechi-
vor, die durch äußere Reize das Gehirn via Sinnesorgane erreichen.
eine angeborene Form von verschiedenen erworbenen Formen, die
schen Antike wie der arabischen Welt schließt sich über Jahrtausen-
Ist dieses Organ – bedingt durch einen Überschuss des „feucht-kal-
durch äußere, das Gehirn vergiftende Einflüsse verursacht werden,
de widerspruchslos dem Diktum des römischen Komödiendichters
ten“ Schleims – zu feucht, kön-
und schließlich Demenzen, die mit anderen Krankheiten wie Epi-
Terenz (um 160 vor Christus) an: „Das Alter selbst ist die Krankheit“.
nen die Reize keine bleibenden
lepsie oder Schlaganfall einhergehen. Das Alter indes – nach der
Gedächtnisspuren auf der Hirn-
Humoralpathologie die entscheidende Ursache geistigen Verfalls –
hinweg kaum mit Demenzen beschäftigt hat. Ein weiterer Grund
oberfläche eingraben. Ist die-
sieht Willis nur noch als eine von mehreren Demenzursachen an.
liegt in der damaligen Seltenheit dieser tatsächlich altersassoziier-
Oberfläche zu hart – bedingt
ten Krankheiten. Bis zum 18. Jahrhundert war die durchschnittliche
durch einen Überschuss der als
rungen die weitere Entwicklung der Demenzforschung. So lassen
Lebenserwartung der Menschen – in Deutschland lag sie zwischen
„trocken-kalt“ gedachten
die sich allmählich bessernden Wohn- und Hygieneverhältnisse die
1745 und 1865 bei unter 40 Jahren – einfach zu niedrig, als dass sich
Schwarzen Galle – entsteht
durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen steigen – De-
Demenzerkrankungen in nennenswertem Umfang hätten ausprä-
ebenfalls kein bleibender Ein-
menzen werden häufiger. Neu auftretende Risikofaktoren erhöhen
gen können. Schätzungen zufolge erreichten bis zum Jahr 1800 nur
druck im Gehirn.
die Zahl der Demenzen zusätzlich: die Neurosyphilis und der sich
Dies ist ein Grund, weshalb sich die Medizin über so lange Zeit
fünf Prozent der Bevölkerung das 60. Lebensjahr, drei Prozent das
Im 19. Jahrhundert beeinflussen zwei gesellschaftliche VerändeDer Maler Jan Sanders van Hemessen (um 1500 – um 1557) hält auf dem Bild „Das Steinschneiden“ eine bis weit über das Mittelalter hinaus praktizierte Form der „Therapie“ von Geisteskrankheit fest: Ein Quacksalber entfernt den „Stein der Narrheit“.
ausbreitende (Elends-)Alkoholismus. Zudem sinkt die Toleranz-
relativ früh – zum Beispiel vor dem 60. Lebensjahr – auftreten, und
65. Lebensjahr. Erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stieg
antike Konzept auch klingen
schwelle der Bevölkerung gegenüber Menschen mit abweichen-
solchen, die sich erst im hohen Alter ausprägen. Stattdessen zeigt
die Lebenserwartung spürbar an.
mag, in einem Punkt ist es gera-
dem Verhalten – Irrenanstalten entstehen, in denen die Geistes-
sich, dass es sich dabei um jahrzehntelange Schädigungen des Ge-
dezu modern, denn es führt
kranken zunächst lediglich weggesperrt, bald aber auch behandelt
hirns handelt, deren Art, Umfang, Verteilung und Geschwindigkeit
krankhafte psychische Zustän-
werden. Es werden in der Folgezeit fast ausnahmslos Anstaltsärzte
darüber entscheiden, wann es zu welcher Demenz kommt.
de auf physische Veränderun-
sein, die sich mit Demenzen beschäftigen.
Vom Gleichgewicht der Körpersäfte
Prägend für das Verständnis von Gesundheit und Krankheit in der
So unwissenschaftlich dieses
Ganz im Geist der Aufklärung forderte der
Psychiater Philippe Pinel (1745-1826)
während der Französischen Revolution die
„Befreiung der Irren von ihren Ketten“.
gen oder Schäden im Gehirn zu-
Labortechnische Fortschritte – etwa neue Färbetechniken – ver-
rück – eine Vorstellung, die erst
Fortschritte in der Genetik – vor allem in der Molekulargenetik –
machen deutlich, welche Rolle Erbfaktoren als Verursacher und als
bessern die Möglichkeiten, Hirnschädigungen sichtbar zu machen,
Risikofaktoren von Demenzen spielen. Moderne bildgebende Ver-
lung der Humoralpathologie: Vier Kardinalsäfte (lateinisch: „humo-
mehr als 2000 Jahre später die naturwissenschaftlich orientierten
die mit bestimmten Formen der Demenz einhergehen. Ärzte wie Ar-
fahren liefern ein immer präziseres Bild vom Ort, der Art und dem
res“), so beschreibt es Hippokrates um 400 vor Christus in seiner
Neurowissenschaften wieder aufgreifen werden.
nold Pick, Otto Binswanger und Alois Alzheimer beschreiben an der
Ausmaß der neurodegenerativen Prozesse. Molekularbiologische
Die mittelalterliche Medizin vergräbt sich noch stärker in mysti-
Wende zum 20. Jahrhundert unterschiedliche Demenzformen, die
Methoden enthüllen schließlich ein detailliertes Bild von den Scha-
die Gelbe und die Schwarze Galle sowie der Schleim. Befinden sich
schen Vorstellungen. Um 400 nach Christus entwickelt der Bischof
noch heute deren Namen tragen. Der Mediziner Emil Redlich stößt
densabläufen bis auf die molekulare Ebene hinunter.
diese Säfte im Gleichgewicht, ist der Mensch gesund. Ein Ungleich-
Nemesius von Emesa in Phönizien die Ventrikellehre: Die verschie-
in seinen Hirnpräparaten von dementen Patienten auf Plaques, die
gewicht indes erzeugt Krankheiten. Aufgabe des Arztes ist es, die
denen Hirnleistungen lokalisiert er in je einem von drei Hohlräu-
außerhalb der Nervenzellen liegen – er beschreibt das Bild als „mili-
es möglich werden, diese Vorgänge im Gehirn zu bremsen oder zu
Natur durch entsprechend wirkende Eingriffe zu unterstützen, um
men oder Ventrikeln des Denkorgans (heute unterscheidet die Me-
are Sklerose“ bei seniler Demenz. In dem 1897 erschienenen Buch
stoppen, sich vielleicht sogar davor zu schützen. Die so lange von
das Gleichgewicht der Säfte wiederherzustellen.
dizin vier Ventrikel). Der arabische Arzt Haly Abbas (gestorben 994
„Gehirnpathologie“ von Constantin von Monakow versucht der rus-
der Medizin „vergessenen“ Demenzen sind also endgültig entdeckt.
Antike wie auch in späteren Epochen ist die hippokratische Vorstel-
Schrift „Über die Natur des Menschen“, wirken im Körper – das Blut,
12
Mit diesem Wissen gerüstet, so hoffen die Mediziner heute, sollte
13
DIAGNOSTIK
Detektivarbeit
in der Praxis
Spurensuche mit Psychotests und Hirnscans
Beim Uhrenzeichentest sollen Patienten eine Zeitangabe des Arztes umsetzen und in Form eines Zifferblatts
mit Zeigern darstellen.Viele Demente
scheitern an dieser vermeintlich einfachen Aufgabe.
„Schlechtes Gedächtnis? Tja, da kann man
extreme Fälle beschränken, dominieren in
dem muss der Arzt wissen, womit er es zu
stufige Schätzskala von 1 (nicht krank) bis 7
leider nichts machen. So ist das eben im Al-
der Praxis mehr oder weniger „gemischte“
tun hat. So kann er den Patienten vor unsin-
(schwer krank). Bewährt hat sich bei fort-
ter“. Mit ähnlich frustrierenden Auskünften
Formen der Demenz. Dennoch hat die
nigen oder gar schädlichen Therapien
schreitenden Demenzerkrankungen auch
endeten noch vor wenigen Jahren viele
„Schubladisierung“ dieser Leiden durchaus
schützen und sich darauf konzentrieren,
eine dreiteilige Unterscheidung in leichte,
Arztbesuche. Selbst Mediziner, welche die
ihre Berechtigung.
dem Kranken die bestmögliche Lebensqua-
mittlere und schwere Stadien. Dabei sind in
lität zu sichern. Zudem kann er ihm die
der untersten Stufe nur komplexe Alltags-
Demenz nicht zu den natürlichen biologischen Prozessen zählten, fühlten sich oft
zehnte Überarbeitung der Internationalen
Möglichkeit eröffnen, an einer klinischen
tätigkeiten betroffen; in fortgeschrittenen
hilflos, da es kaum wirksame Therapien
Krankheitsklassifikation ICD-10, fungieren
Studie teilzunehmen, bei der unter stren-
Stadien vergessen die Patienten die Namen
gab. Schließlich hatte man den hippokrati-
dabei als Checklisten. Sie erleichtern nicht
gen Auflagen eine neuartige Therapie er-
vertrauter Personen und verstummen im
schen Eid geschworen – und der verpflich-
nur den Informationsaustausch zwischen
probt wird.
schweren Stadium zunehmend. Diese Ein-
tet die Heilkundigen auf den Grundsatz
den Experten, sondern schaffen auch die
Zu den vergleichsweise gut behandel-
„primum non nocere“. Wenn schon keine
Grundlage, um die Wirksamkeit verschie-
baren Demenzen gehören die durch gestör-
bestimmte Arzneimittel nur für leichte und
Aussicht auf Erfolg besteht, sollte man den
dener Behandlungen zu messen und mit-
ten Blutfluss verursachten („vaskulären“)
mittlere Stadien zugelassen sind oder aber
Patienten wenigstens die Nebenwirkungen
einander zu vergleichen.
Gedächtnisleiden mit einem Anteil von 16
erst bei schweren Demenzen eingesetzt
werden dürfen.
nutzloser Arzneien ersparen. Unethisch ist
Voraussetzung für die Diagnose eines
Prozent. Drei Fünftel aller Patienten leiden
es auch, die Kranken mit Diagnoseprozedu-
Demenzsyndroms ist laut ICD-10, dass meh-
unter einer reinen Alzheimer-Demenz, de-
ren zu peinigen, deren Resultate auf das
rere höhere Geistesfunktionen wie Ge-
ren Verlauf Ärzte bislang nur verlangsamen
weitere Vorgehen keinen Einfluss haben.
dächtnis, Denkvermögen, Orientierung,
können. Mischformen zwischen diesen bei-
teilung ist auch deshalb bedeutsam, weil
Fragebögen und Checklisten
Sprache und Urteilsfähigkeit über mindes-
den Erkrankungen finden sich in etwa acht
„Alzheimer oder nicht?“ – Diese Frage be-
und die Auffassung setzt sich durch, dass
tens sechs Monate abnehmen, und dass die-
Prozent aller Fälle. Ebenso viele Menschen
wegt nicht nur Betroffene und Angehörige.
eine möglichst frühzeitige Diagnose dem
se Schwierigkeiten den Kranken in seinem
sind gleichzeitig von Alzheimer-Demenz
Allein schon wegen der Häufigkeit des Lei-
Patienten nützt, weil sie
Alltagsleben beeinträchtigen. Außerdem
und der Parkinsonkrankheit betroffen,
dens spielt dessen Unterscheidung von an-
muss sich der Arzt vergewissern, dass die
während nur jeweils jeder Hunderste Ge-
deren Demenzformen in der Praxis eine
dächtnispatient an „reinem“ Parkinson, der
überragende Rolle. Mit Sicherheit lässt sich
Frontotemporalen Demenz oder der Lewy-
die Alzheimer-Demenz (AD) erst nach dem
Körperchen-Demenz erkrankt ist. Schließ-
Tod durch den Nachweis charakteristischer
lich können auch infektiöse Partikel das
Ablagerungen im Gehirn feststellen. Selbst
Hirn oder die Hirnhäute schädigen – wie et-
erfahrene Ärzte erreichen bei Patienten mit
wa das AIDS-Virus HIV, Syphilis- und Borre-
demenziellen Symptomen bestenfalls eine
liosebakterien oder Prionen, wie bei der
90-prozentige Genauigkeit, indem sie der
Inzwischen hat sich das Blatt gewendet,
behandelbare Ursachen einer Demenz
erkennen kann,
eine möglichst frühzeitige Therapie erlaubt sowie
Kranken und deren Angehörigen hilft,
sich auf die Zukunft vorzubereiten.
Mehr als 50 verschiedene Erkrankungen
14
Internationale Standardwerke, wie die
Symptome schleichend beginnen und nicht
etwa Folge sind von selteneren Ursachen,
etwa einem Vitaminmangel, einer Hirnblutung, eines Tumors oder eines durch Alkohol ausgelösten Deliriums.
Diese Unterscheidungen sind keines-
Erst wenn die Ursache und das
Stadium einer Demenz
bekannt sind, kann der Arzt
entscheiden, welche
Behandlung die beste ist
verbergen sich hinter dem Sammelbegriff
wegs nur für Akademiker interessant. Man-
Demenz, der sich vom lateinischen demen-
che Demenzen lassen sich nämlich mit heu-
Creutzfeld-Jakob-Krankheit (CJD) und der
Reihe nach andere Ursachen einer Demenz
tia – Unvernunft – herleitet. Je nachdem,
te verfügbaren Medikamenten gut behan-
damit eng verwandten „menschlichen“
ausschließen. Bei frühen Stadien der De-
welche Hirnregionen die unterschiedlichen
deln, andere bestenfalls für einen begrenz-
Form der Rinderseuche BSE, vCJD.
menz ist diese Trefferquote viel niedriger.
Krankheitsprozesse zuerst beeinträchtigen,
ten Zeitraum in Schach halten. Für einige
variieren Art, Reihenfolge und Stärke der
Arten des Gedächtnisschwunds gibt es mo-
dung zwischen den Demenzformen ist auch
chen teilen sich die Hausärzte die Arbeit
Beschwerden. Während Lehrbücher sich
mentan überhaupt noch keine wirksamen
die Bestimmung des jeweiligen Schwere-
mit den auf Hirnerkrankungen spezialisier-
meist auf eindeutige und damit oftmals
Behandlungsmöglichkeiten – und trotz-
grads. Hier nutzen Ärzte meist eine sieben-
ten Neurologen und Psychiatern. Zwar sind
Fast genauso wichtig wie die Unterschei-
Bei der Abklärung der Krankheitsursa-
15
DIAGNOSTIK
DIAGNOSTIK
FOKUS FORSCHUNG
es die Hausärzte, die in Deutschland über
einander unterscheidet. Dennoch gewin-
sprünglich 1000 MCI-Patienten bei etwa 280 Demenzkranken eine
90 Prozent aller Demenzkranken betreuen
nen erfahrene Ärzte aus den Testergebnis-
vollständige Datenauswertung möglich ist, von denen etwa die
und sich dabei pro Arztpraxis um durch-
sen wichtige Hinweise, die zumindest die
Hälfte an Alzheimer erkrankt sein wird.
Mehrere Hundert Menschen haben ihr
schnittlich gut zwei Dutzend Patienten
Sicherheit der Diagnose erhöhen. So haben
Gehirn in den vergangenen Jahren dem
kümmern. Da aber Hausärzte per Defini-
Alzheimer-Kranke nicht nur Schwierigkei-
taten verschiedener neuropsychologischer Tests. Weder für die frü-
Brain-Net gespendet. Dieses vom
tion keine Spezialisten sind, beschränken
ten, Begriffe aus einer Wortliste sofort oder
hen Demenzformen noch für das MCI gibt es hierfür jedoch inter-
Bundesministerium für Bildung und
sie sich oft auf die Erhebung der Kranken-
nach einer kurzen Zeitspanne wiederzuge-
national verbindliche Kriterien. Diesem Missstand wollen die Pro-
Forschung seit 1999 geförderte Projekt
geschichte (Anamnese) und die Befragung
ben, sondern auch zuvor gezeigte Wörter
fessoren Alexander Kurz von der Technischen Universität München
hat das Ziel, eine deutsche Hirngewebe-
der Angehörigen hinsichtlich auffälliger
wiederzuerkennen. Bei nicht-dementen
bank zu etablieren. Qualifizierte Wis-
Verhaltensänderungen. Erhärtet sich dabei
Gleichaltrigen oder depressiven Menschen
senschaftler können dort Proben anfor-
der Verdacht auf eine Demenz, helfen
funktioniert die Speicherung noch recht
sität Berlin abhelfen. Durch Schulungen und mit einem Handbuch
dern, wovon man sich unter anderem
unterschiedliche Gedächtnistests, die Grö-
gut, doch ist der Zugriff erschwert. Mit dem
schufen sie an den 14 beteiligten Kliniken die Voraussetzung für
eine verbesserte und standardisierte
ße des Problems zu erfassen.
Wiedererkennen bereits gesehener Worte
einheitliche Befragungen und Bewertungen. Nur so lässt sich im
haben diese Menschen jedoch weniger Pro-
Rückblick feststellen, welche Eigenschaften beispielsweise jene
bleme als Alzheimer-Kranke.
MCI-Patienten gemeinsam hatten, die später an Alzheimer erkrank-
DAS BRAIN-NET: EINE BANK
DER BESONDEREN ART
Diagnose von Hirnleiden verspricht.
Zahlreiche psychologische Tests sind da-
Gespeist werden die Datenbanken unter anderem mit den Resul-
Einblicke ins lebende Gehirn: Mit dem Kernspintomographen lassen sich Veränderungen des
Denkorgans millimetergenau dokumentieren.
und Friedel M. Reischies von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie
und Psychotherapie der Berliner Charité an der Humboldt-Univer-
In Ländern wie Großbritannien, den
für etabliert, bei denen mit standardisier-
Niederlanden, Österreich, Frankreich
ten Fragebögen das geistige Leistungsver-
und den Vereinigten Staaten gibt es sol-
mögen gemessen wird. Am weitesten ver-
che „Brain Banken“ schon seit langem;
breitet ist der „Mini-Mental-Test“ (MMT), bei
auch ein grenzübergreifendes Projekt
dem elf Fragen oder Aufgaben zu bewälti-
Immer wieder geistern Meldungen durch
der Europäischen Union ist inzwischen
gen sind. Die maximal erreichbare Punkt-
den Blätterwald, wonach es gelungen sei,
geplant.
zahl beträgt 30. Erreichen die Patienten nur
ausschließlich mit „Hirnscans“ die Alzhei-
„Früh- und Differenzialdiagnostik demenzieller Erkrankungen“
ter auch eine, mit der das Volumen des Hippocampus gemessen
Acht Brain Bank-Zentren sind die
20 Punkte oder weniger, so spricht das für
mer-Demenz noch vor dem Ausbruch zu
heißt eines der drei Module des Kompetenznetzes Demenzen, das
wird, einer für die Gedächtnisbildung entscheidenden Hirnregion.
Haupteinheiten des Brain-Net, erklärt
eine krankhaft verminderte Hirnleistung,
entdecken oder gar zweifelsfrei von ande-
vom Bundesforschungsministerium mit insgesamt 12,5 Millionen
Dadurch wird man objektive Messwerte gewinnen und die Wir-
dessen Sprecher Prof. Hans Kretz-
was Ausdruck einer mittelschweren De-
ren Demenzen zu unterscheiden. Bei nähe-
Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren gefördert wird. „Unser
kung der jeweils verordneten Arzneien in Zahlen fassen können.
schmar, der diesen Verbund vom Insti-
menz ist. Wiederholt man derartige Tests
rer Betrachtung erweisen sich diese Aus-
Ziel ist es, Demenzerkrankungen früher als bisher zu erkennen und
tut für Neuropathologie der Münche-
im Abstand mehrerer Monate oder Jahre,
sagen jedoch als reines Wunschdenken.
ebenso zuverlässig wie kostengünstig voneinander zu unterschei-
sammlung sein, also der Nachweis ausgesuchter Biomoleküle im
ner Ludwig-Maximilians-Universität
zeigen abnehmende Punktwerte an, dass
Dennoch sollte eine bildgebende Unter-
den“, erklärt Prof. Jens Wiltfang von der Klinik mit Poliklinik für
Blut und im Nervenwasser – der Flüssigkeit, die das Gehirn und das
aus koordiniert. Jedes Zentrum ist zu-
die Demenz fortschreitet. Konstante Ergeb-
suchung mittels Computer- oder Magnet-
Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Erlangen-Nürn-
Rückenmark umgibt. Hier fahnden die Forscher nach Eiweißen und
ständig für einen oder mehrere The-
nisse im MMT sprechen dafür, dass der Pa-
resonanz-Tomographie (abgekürzt CT und
berg. Zusammen mit Prof. Johannes Kornhuber koordiniert Wilt-
-bruchstücken, die in direktem Zusammenhang mit dem Krank-
menschwerpunkte. Stirbt ein Spender,
tient auf die verabreichten Medikamente
MRT) bei jedem Patienten mit Verdacht auf
fang von Erlangen aus das Projekt.
heitsverlauf stehen. Aus deren Konzentrationsveränderungen und
so organisiert die rund um die Uhr be-
angesprochen hat oder von anderen Thera-
eine Demenzerkrankung zumindest einmal
setzte Zentrale in München die Über-
pien – etwa einer Gedächtnissprechstunde
Hinweisen zu durchsuchen, welche frühen Krankheitszeichen eine
Art und den Umfang von Hirn-
führung des Leichnams ins nächstgele-
– profitiert hat. Fragebögen sind schließlich
gute Vorhersage über das weitere Schicksal der Patienten ermög-
schäden gewinnen.
gene Zentrum, wo die Obduktion statt-
auch hilfreich, um abzuklären, ob objektiv
lichen. Gelänge es nämlich, den Zeitpunkt einer korrekten Diagno-
findet. Da sich die Ursache vieler De-
vorhandene Gedächtnisprobleme nicht
se vorzuverlegen, könnte man die bereits heute verfügbaren Arz-
niert, hat Wiltfang mit japani-
menzen mit 100-prozentiger Sicherheit
Ausdruck einer Depression sind.
neien besser nutzen. „Zeit ist Hirn“, bringt Wiltfang die Denkweise
schen und deutschen Kollegen
der Experten auf den Punkt.
bereits im Jahr 2001 für den Bio-
Blick unter die Schädeldecke
Früher – zuverlässiger
– billiger
Daten von insgesamt 2000 Patienten aus 14 Kliniken gilt es nach
Zusammen mit dem Mini-Mental-Test
stellen lässt, dient diese Untersuchung
kommt meist auch der Uhrenzeichentest
auch als Rückversicherung für die An-
zum Einsatz, der besonders wenig Zeit be-
hoher Sicherheit wüsste, dass der heute noch völlig unauffällige
gehörigen, und sie hilft den Ärzten, in
ansprucht. Hier kommt es darauf an, wie
Herr Mustermann ein besonders hohes Risiko trägt, binnen weniger
Zukunft immer genauere Diagnosen zu
gut der Patient eine Uhrzeit, die ihm der
stellen. Darüber hinaus sind viele Fort-
Arzt als Aufgabe stellt, mit Zifferblatt und
schritte im Verständnis von Krankhei-
korrekter Zeigerstellung auf einem Blatt
ten und viele neue Therapien den fein-
Papier darstellen kann.
Konzentration, Verarbeitungsgeschwin-
vorherrschten, die von einer Demenz verschont blieben.
Das zweite Standbein der Diagnose sind Bilder des Gehirns, die
mit dem Kernspintomographen aufgenommen werden. Drei verschiedene Varianten dieser Methode kommen zum Einsatz; darun-
meist erst bei solch einem Eingriff fest-
geweblichen und biochemischen
ten oder welche Charakteristika umgekehrt bei jenen Probanden
Umfangreich wird die neurochemische Komponente der Daten-
Mengenverhältnissen lassen sich beispielsweise Hinweise auf die
Dass dieses Prinzip funktio-
Sogar vorbeugende Maßnahmen wären möglich, wenn man mit
Chromosomenanalyse unter dem Mikroskop: In den Körperzellen dieses Demenzpatienten liegen drei Kopien des Chromosoms Nr. 21 (weiße Punkte). Normal sind nur zwei Kopien.
Jahre sein Gedächtnis einzubüßen. Bereits im Stadium einer leichten kognitiven Störung (im Englischen als „mild cognitive impairment“, MCI, bezeichnet) müsste dafür die Diagnose erfolgen. Zwar
marker Phospo-Tau 199 berichtet. In einer Studie mit 570 Probanden war die durchschnittBlutproben enthalten zahlreiche Eiweiße,
aus deren Konzentrationen Forscher Hinweise auf den Krankheitsverlauf gewinnen.
weiß man, dass jährlich etwa ein Achtel der MCI-Patienten in das
liche Konzentration dieses Moleküls in der Nervenflüssigkeit
von Alzheimer-Patienten fast
doppelt so hoch wie bei ande-
eingesetzt werden. Bei unklaren Demenzen
Stadium einer Demenz übertreten werden, doch ist diese Statistik
ren Demenzformen und Gesunden. Mit 85-prozentiger Sicherheit
unbrauchbar, um das Schicksal Einzelner vorherzusagen.
konnten die Forscher an Phospho-Tau 199 ablesen, ob ein Proband
Untersuchungsverfahren am Gewebe
digkeit und psychomotorische Koordina-
könnten auch mehrfache Aufnahmen sinn-
Verstorbener zu verdanken.
tion misst der Zahlenverbindungstest, bei
voll sein. Beide Methoden können die „wei-
Auch mehrere Patientenverbände
dem die ungeordnet über ein Blatt Papier
chen“, nicht-knöchernen Hirnstrukturen
thode, welche die billigste und welche Untersuchungen liefern die
unterstützen das Brain-Net. So konnten
verteilten Zahlen 1 bis 16 durch eine Linie zu
sichtbar machen, wobei die weiter verbrei-
zuverlässigsten Prognosen? Die Antworten, davon sind Wiltfang
laufenen Studie des Kompetenznetzes Demenzen zwei weitere
bis Anfang 2004 etwa 35 wissenschaft-
verbinden sind. Eine relativ neue Untersu-
tete CT mit Röntgenstrahlen arbeitet, die
und Kornhuber überzeugt, kann nur ein umfangreicher Vergleich
Spielarten des Tau-Proteins sowie unterschiedlich lange Formen
liche Untersuchungen auf Gewebepro-
chung ist der DemTect®, der acht bis zehn
MRT dagegen mit starken Magnetfeldern.
mit einer hohen Zahl von Patienten bringen. Binnen zwei Jahren
von Aß (gesprochen „A beta“). Ein „Demenzchip“ soll die biochemi-
ben des Brain-Net zurückgreifen. Den-
Minuten beansprucht. Hier haben erfahre-
Tatsächlich kann ein erfahrener Radiologe
sollen deshalb 1000 Versuchsteilnehmer gewonnen werden, die be-
sche Rasterfahndung weiter vereinheitlichen und automatisieren.
noch übersteigt der Bedarf bei weitem
ne Psychologen die Fragen so ausgewählt,
aus Hirnscans bestimmte Demenzursachen
reits im Stadium der frühen Demenz sind. Dazu kommen weitere
das Angebot. „Wir brauchen dringend
dass man besonders gut zwischen Gesun-
auf einen Blick erkennen, wenn sie – wie et-
1000, die sich noch im Stadium des MCI befinden. Beobachtungen
gel zu durchforsten und daraus neue Therapievorschläge zu erar-
mehr Gehirne“, lautet deshalb Kretz-
den und Kranken unterscheiden kann.
wa ein Schlaganfall oder ein Tumor – zu
anderer Arbeitsgruppen aus den vergangenen Jahrzehnten erlau-
beiten. „Wenn unser Projekt eindeutige Daten hervorbringt, sollten
charakteristischen Veränderungen der Ge-
ben es den Wissenschaftlern im Kompetenznetz vorherzusagen,
sich aber auch die Fachgesellschaften von diesen Vorschlägen über-
webestruktur führen.
dass am Ende des dreijährigen Beobachtungszeitraums von den ur-
zeugen lassen“, gibt sich Kornhuber optimistisch.
schmars Appell an die Bürger.
Noch gibt es keinen Test, der die verschiedenen Demenzformen eindeutig von-
16
Welche Tests sind dafür geeignet? Welche ist die sicherste Me-
an Alzheimer litt oder nicht.
Um diese Quote weiter zu erhöhen, sucht man in der nun ange-
Viele Jahre wird es dauern, den selbst erzeugten Datendschun-
17
ZEITLICHE TRENDS
DIAGNOSTIK
Zwei horizontale Schnittbilder des Gehirns, die ohne Strahlenbelastung mit
einem Magnetresonanztomographen
gewonnen wurden, zeigen Anzeichen
einer Alzheimer-Demenz (links) und
einer Lewy-Körperchen-Demenz (unten). Variationen dieser Technik erlauben es, Hirnstrukturen und Durchblutungsstörungen hervorzuheben.
Neben den lehrbuchmäßigen Extrem-
Mechanismus neuer Wirkstoffe darstellen
beispielen spielen jedoch die gemischten
und zusätzlich Veränderungen bei demenz-
Formen im Praxisalltag eine große Rolle.
spezifischen Ablagerungen direkt sichtbar
Wer sich allzu sehr auf CT und MRT verlässt,
machen. Viel schneller als mit den heute
läuft außerdem Gefahr, sich durch augen-
noch üblichen psychometrischen Verfah-
fällige Strukturveränderungen von subtile-
ren könnte der Arzt dann den Krankheits-
ren Krankheitszeichen ablenken zu lassen
verlauf beurteilen und seine Maßnahmen
und stellt deshalb womöglich die falsche
entsprechend optimieren.
Diagnose.
Die gestörte Durchblutung des Hirngewebes (links, helle Areale) ist typisch
für eine vaskuläre Demenz. Bei der
Frontotemporalen Demenz (oben)
zeigt sich eine Lücke zwischen den
Stirnlappen. Weil einzelne Aufnahmen
nicht genug Informationen enthalten,
fertigen Ärzte in einer 20-minütigen
Untersuchung mehrere Sequenzen von
jeweils etwa 20 Bildern an.
Demenzen in einer
alternden Gesellschaft
Der demographische Wandel prägt das Bild
Routinemäßig entnehmen Ärzte bei Patienten mit Gedächtnisstörungen auch
Vor einer „Epidemie der Demenzen“ wäh-
krankungen mit dem Alter assoziiert – je be-
Positronen-Emissions-Tomographie (PET),
Blut. Laboruntersuchungen zum Nachweis
nen die Pessimisten unter den Gesundheits-
tagter die betrachtete Bevölkerungsgruppe
kann den Energieumsatz des Gehirns und
bestimmter Enzyme und Stoffwechselpro-
forschern die älter werdende Bevölkerung
ist, desto größer wird darin der Anteil de-
damit den Umfang der Hirnaktivität dar-
dukte können nämlich auf Teilursachen
Deutschlands. Optimisten zeichnen freund-
menter Menschen. Statistiker bezeichnen
stellen. Die PET misst die Zerfallssignale
oder Begleiterkrankungen wie Diabetes
lichere Zukunftsbilder. Demnach dürften
diese wichtige Maßzahl als Prävalenz oder
schwach radioaktiver Zuckermoleküle, die
oder erhöhte Blutfettwerte hinweisen, für
die Menschen hierzulande nicht nur mit
Erkrankungsrate. Sie gibt an, welcher Pro-
in die Blutbahn gespritzt werden und sich
die es wirksame Behandlungen gibt. Aller-
einem längeren Leben rechnen, sondern
zentsatz der gesamten Bevölkerung – oder
im Gehirn bevorzugt in den aktiven Regio-
dings bezweifeln viele Kliniker, dass die im-
auch mit einer längeren Lebensspanne, die
einer bestimmten Bevölkerungsgruppe –
nen anreichern. Die PET dient bisher noch
mer wieder angekündigten Labortests auf
sie bei guter Gesundheit genießen könnten.
an der betrachteten Krankheit leidet.
überwiegend Forschungszwecken und
so genannte Biomarker im Blut oder Ner-
Wie auf allen Gebieten, deren Zukunft
nicht der Diagnosestellung im Routinebe-
venwasser jemals die Treffsicherheit einer
man vorhersehen möchte, so steckt auch
trieb. Binnen weniger Jahre aber werde die
gründlichen ärztlichen Untersuchung er-
bei den Prognosen zur Zahl der Demenzer-
PET es ermöglichen, die typischen Ablage-
reichen werden.
krankungen der Teufel im Detail. Die De-
Der an der Klinik und Poliklinik für Psychia-
tails betreffen dabei nicht die Arithmetik
trie und Psychotherapie der Technischen
der Berechnungen, sondern die Annah-
Universität München tätige Epidemiologe
men, auf denen sie beruhen. Mark Twains
Horst Bickel hat vor einigen Jahren die
Kommentar zum Geschäft der wissen-
Daten zur Prävalenz der Demenzen in
schaftlichen „Hellseher“ gilt auch im Zeital-
Deutschland zusammengetragen. Dabei
ter der Prognostik mittels Supercomputer,
ergab sich folgendes Bild: Bei den 40-64-
Simulation und Szenariotechnik: „Progno-
Jährigen sind Demenzen sehr selten; die
sen sind immer dann besonders schwer,
Erkrankungsrate liegt hier bei weniger als
wenn sie sich auf die Zukunft beziehen.“
0,1 Prozent, das entspricht rund 20 000
Eine weitere bildgebende Methode, die
rungen im Gehirn von Alzheimer-Patienten
Bei einem Teil der Patienten wird man in
sichtbar zu machen und deren Menge zu er-
Zukunft wohl auch das erbliche Risiko für
rechnen, so die Vorhersage eines Experten-
eine Demenz bestimmen oder den weiteren
treffens im Mai 2003. Erste Vorversuche mit
Krankheitsverlauf vorhersagen können.
speziell für diesen Zweck entwickelten Mar-
Allerdings setzen diese Analysen die Zu-
kermolekülen sind bereits erfolgreich ver-
stimmung der Patienten beziehungsweise
laufen. Vermutlich werden weitere Marker
der Angehörigen voraus, und sie erfordern
folgen, die Stoffwechselprodukte bei ande-
wegen der möglichen psychischen Belas-
ren Demenzen erkennen.
tung eine ausführliche Beratung über die
Noch steht die Diagnose der
Demenzen im Vordergrund.
Biomarker und Genanalysen
könnten jedoch bald auch die
Prognose verbessern
Altersabhängige Häufigkeit
Derartige Einblicke ins Gehirn könnten
Aussagekraft und die möglichen Konse-
nicht nur bei der Diagnose die Treffsicher-
quenzen der Testergebnisse. Angesichts
daher ein Blick auf Vergangenheit und
heit deutlich erhöhen, sondern auch die
dieser Belastungen und der beschränkten
Gegenwart sehr hilfreich. So lieferte eine
rate steil an. Als Faustregel kann gelten: Alle
Entwicklung von Arzneien beschleunigen.
Aussagekraft haben sich Fachgesellschaf-
Fülle von Studien zur Häufigkeit von De-
fünf Lebensjahre verdoppelt sich die Präva-
Schließlich könnten derart maßgeschnei-
ten wie auch Selbsthilfegruppen eindeutig
menzen in der Bevölkerung ein überein-
lenz in den folgenden Altersklassen; sie
derte Markermoleküle den Wirkort und
gegen solche Tests ausgesprochen.
stimmendes Bild. Demnach sind diese Er-
liegt bei den 65-69-Jährigen bei rund einem
18
Um sicheren Grund zu bekommen, ist
Menschen in Deutschland.
Ab diesem Alter steigt die Erkrankungs-
19
ZEITLICHE TRENDS
ZEITLICHE TRENDS
Lebenserwartung (Jahre)
stützen sich auf eine plausible Annahme:
schen Frauen und Männern nicht.
Aufgrund des zu erwartenden medizini-
Zwei weitere Informationen lassen sich
85
80
Mädchen
75
unterscheiden sich nach vielen Studien zwi-
Jungen
70
aus den statistischen Befunden ablesen: Die
Herz-Kreislauf- und Krebsleiden – sie stellen
für Deutschland ermittelten Prävalenz- und
heute bei alten Menschen die häufigsten
Inzidenzraten stimmen sehr gut mit den in
Todesursachen dar – werden die Überle-
anderen westlichen Industriestaaten er-
bensraten und -dauer von Menschen mit
mittelten Werten überein. Und über die
diesen Erkrankungen spürbar ansteigen.
Zeit hinweg betrachtet bleiben die alters65
60
55
schen Fortschritts bei der Behandlung von
Im Sommer des Jahrs 2003 legte das Sta-
spezifischen Inzidenzraten konstant. Die
tistische Bundesamt mit der „10. koordinier-
Tatsache, dass Demenzen häufiger werden,
ten Bevölkerungsvorausberechnung“ die
beruht daher ganz entscheidend auf der
derzeit aktuellste Prognose über die Ent-
Zunahme der Lebenserwartung.
wicklung der Bevölkerung bis zum Jahr
2050 vor. Das Dilemma der Prognostiker,
50
Die Lebenserwartung steigt an
45
dass sich bereits eine geringe Änderung in
den Grundannahmen – etwa zur weiteren
40
1901 1924 1932 1949 1960 1965 1970 1975 1980 1991 1996 1998 2020 2035 2050
-10 -26 -34
-51
-62 -68
-72
-77
-82 -93
-98 -2000 Geburtsjahrgänge
Innerhalb eines Jahrhunderts stieg die Lebenserwartung in Deutschland um rund 30 Jahre an.
Nach der Vorausberechnung des Statistischen Bundesamts wird dieser Trend weiter anhalten.
Der „Trichter“ der prognostizierten Entwicklung spiegelt drei mögliche Verläufe wider.
Wie enorm sich diese Zeitspanne verändert
Zunahme der Lebenserwartung – über ei-
hat, zeigt ein Blick auf die Entwicklung in
nen jahrzehntelangen Zeitraum betrachtet
Deutschland während des 20. Jahrhun-
massiv auf das Ergebnis der Vorausberech-
derts. So hatten Jungen der Geburtsjahr-
nung auswirkt, umschifften die Statistiker
gänge 1901 bis 1910 nach der damals gülti-
durch einen Kunstgriff: Anstelle einer einzi-
gen Sterbetafel eine durchschnittliche Le-
gen Prognose, in der sie sich hinsichtlich
benserwartung von 44,8 Jahren, Mädchen
der Lebenserwartung und anderer Einfluss-
Lebensalter (Jahre)
100
95
90
85
80
75
70
65
60
55
50
45
40
35
30
25
20
15
10
5
0
Männer
Frauen
Männer
Frauen
2001
1910
800 600 400 200 0 200 400 600 800 600 400 200 0 200 400 600
Männer
Frauen
2050
600 400 200 0 200 400 600
Bevölkerung (x 1000 Menschen)
Von einer typischen Pyramidenform hat sich die Altersstruktur der Bevölkerung in Deutschland bereits heute deutlich entfernt.
Die prognostizierte Altersstruktur für das Jahr 2050 zeigt eine weitere Verschiebung zu einer älter werdenden Gesellschaft an.
Prozent und klettert bei den über 90-Jähri-
der Bevölkerung – oder innerhalb einer be-
von 48,3 Jahren. Die zwischen 1998 und
faktoren hätten festlegen müssen, berech-
Horst Bickel hat auf der Basis dieser
macht dies deutlich. So wird nach den Be-
gen – je nach Studie – auf 28 bis 40 Prozent.
stimmten Bevölkerungsgruppe – während
2000 geborenen Kinder können bei der der-
neten sie die Bevölkerungsentwicklung in
Prognose und unter Annahme konstanter
rechnungen des Statistischen Bundesamts
Demnach litten Mitte der 1990er-Jahre in
eines Jahrs an der betrachteten Krankheit
zeitigen Sterblichkeit hoffen, im Durch-
mehreren Varianten oder Szenarios.
Erkrankungsraten die Zahl der Demenz-
zwar die Einwohnerzahl bis zum Jahr 2050 –
Deutschland zwischen 800 000 und 1,1 Milli-
neu erkrankt sind.
schnitt 74,8 Jahre (Jungen) beziehungs-
kranken in Deutschland für das Jahr 2050
je nach Variante unterschiedlich stark –
schiedlich steile Verläufe der bis 2050 stei-
hochgerechnet. Demnach steigt sie nach
von derzeit 82,4 Millionen bis hinunter auf
genden Lebenserwartung zugrunde. Da sie
der mittleren Variante der Prognose von
67,0 Millionen Menschen sinken. Die Zahl
alter Menschen wird indes spürbar steigen.
onen Menschen an Demenzen. Für das Jahr
Für eine Reihe westlicher Industriestaa-
weise 80,8 Jahre (Mädchen) alt zu werden.
Diesen Szenarios legten sie drei unter-
2000 berechnete Horst Bickel die Zahl der
ten liegen die Demenz-Inzidenzraten vor.
Demenzkranken in Deutschland auf der Ba-
Demnach steigen sie ähnlich wie die Präva-
die durchschnittliche Lebensdauer der
auch für die Wanderungsbewegung der Be-
heute knapp einer Million auf 2,29 Millio-
sis der durchschnittlichen altersklassenspe-
lenz mit dem Alter steil an: Die Neuerkran-
Menschen in Deutschland um 30 Jahre bei
völkerung – also dem zukünftigen Zustrom
nen im Jahr 2050 an. Im „ungünstigsten“
zifischen Erkrankungsraten sowie der
kungsrate für präsenile Demenzen in der
Männern und 32,5 Jahre bei Frauen erhöht.
von Menschen nach Deutschland sowie der
Fall – dem raschesten Anstieg der Lebens-
schen in Deutschland sind heute mindes-
gegenwärtigen Einwohnerzahl und Alters-
Bevölkerung bis zum 54. Lebensjahr liegt
Die Demenzzunahme beruht daher nicht
Abwanderung aus Deutschland – drei mög-
erwartung – könnten bis zu drei Millionen
tens 65 Jahre alt. Ihre Zahl wird – je nach
struktur auf 934 000 Menschen.
bei 0,01 Prozent pro Jahr. In der Altersgrup-
auf einer Epidemie, also nicht auf einer sich
liche Entwicklungen unterstellten, umfasst
demente Menschen in Deutschland leben.
Variante – auf 20,3 bis 23,9 Millionen anstei-
Das Gros davon, nämlich 60 Prozent, ist
pe der 55-64-Jährigen steigt dieser Wert auf
„grippeartig“ ausbreitenden Krankheit,
die 10. Vorausberechnung neun Varianten.
80 Jahre oder älter. Ob sich indes der annä-
nahezu 0,05 Prozent pro Jahr an. Sie nimmt
sondern ist eine Folge davon, dass die Men-
Mittels dieser Szenariotechnik gibt man
hernd exponentielle Anstieg der Prävalenz-
dann bei den 65-69-Jährigen auf etwa 0,4
schen immer länger leben.
zwar den Anspruch auf, die zukünftige Ent-
rate in den höchsten Altersstufen weiter
Prozent pro Jahr zu und klettert bei den
fortsetzt, ist ungeklärt. Zum einen werden
über 90-Jährigen auf mehr als zehn Prozent
selbst bei umfangreichen Untersuchungen
Innerhalb eines Jahrhunderts hat sich
Rund 17 Prozent oder 14 Millionen Men-
gen. Da im selben Zeitraum die Zahl der un-
Umsturz der Alterspyramide
ter 65-jährigen Menschen in allen Varianten sinken wird, wird sich der Bevölke-
wicklung „exakt“ zu erfassen, dafür eröffnet
Diese Verzweieinhalb- bis Verdreifachung
rungsanteil der alten Menschen bis zum
der Trend zum längeren Leben in Zukunft
sich ein Spektrum möglicher „Zukünfte“,
der Demenzkranken beruht auf einem Ef-
Jahr 2050 auf rund 30 Prozent nahezu ver-
pro Jahr. Obwohl sich der Anstieg in den Al-
weiter fortsetzen wird. Gestritten wird in-
innerhalb dessen sich die Bevölkerungsent-
fekt, den Statistiker als demographischen
doppeln. Bei den höchsten Altersklassen
von mehreren Tausend Menschen die Fall-
tersklassen über 85 Jahre etwas abflacht,
des darüber, wie schnell dies geschehen
wicklung bis in 50 Jahren mit hoher Wahr-
Wandel bezeichnen. Ein Blick auf den Al-
der über 80-Jährigen rechnen die Statistiker
zahlen in diesen Altersklassen naturgemäß
stützen auch diese Zahlen Horst Bickels we-
wird. Manche rechnen mit einer Verlangsa-
scheinlichkeit bewegen wird.
tersaufbau der Gesellschaft in Deutschland
gar mit einer Verdreifachung.
sehr klein, zum andern sind Untersuchun-
nig tröstliche Einschätzung, wonach ver-
mung. Ihr Argument: Die Säuglingssterb-
gen an hochbetagten Menschen außeror-
mutlich jeder eine Demenz entwickelt, so-
lichkeit, deren Rückgang in der Vergangen-
dentlich schwierig und erfordern ein hohes
fern er nur alt genug wird.
heit für einen Teil der steigenden Lebenser-
Einig sind sich Statistiker darin, dass sich
Maß an Vorsicht und Verantwortung. Aus
Schaut man sich das Geschlechterver-
dem vorliegenden Datenmaterial folgert
hältnis an, so scheinen zunächst Frauen mit
dass sie in Zukunft nicht mehr nennenswert
Horst Bickel dennoch: „Wahrscheinlich er-
einem Anteil von 70 Prozent gegenüber 30
zu einem längeren Leben beitragen wird.
krankt fast jeder Mensch an einer Demenz,
Prozent Männern ein höheres Demenzrisi-
Andere Experten argumentieren, dass
wenn er nur alt genug wird.“
ko zu tragen. Tatsächlich beruht das unglei-
viele Prognosen in der Vergangenheit die
che Verhältnis darauf, dass Frauen eine hö-
Zunahme der Lebenserwartung unter-
here Lebenserwartung als Männer haben.
schätzt haben. Daher plädieren sie dafür,
Ihr Bevölkerungsanteil steigt daher von Al-
die beobachteten Steigerungsraten einfach
Das statistische Risiko, an einer Demenz zu
tersklasse zu Altersklasse immer stärker an.
fortzuschreiben. Und eine dritte Gruppe
erkranken, beschreibt eine zweite Kenngrö-
Dass Frauen nicht per se ein höheres Er-
von Experten hält für die nächsten Jahr-
ße, die Inzidenz- oder Neuerkrankungsrate
krankungsrisiko tragen, zeigt der Vergleich
zehnte sogar einen rascheren Anstieg der
pro Jahr. Sie gibt an, wieviele Menschen in
der altersspezifischen Inzidenzraten: Sie
Lebenserwartung für möglich. Auch sie
Ein Maß für das Risiko
20
Eine typische Alterspyramide mit vielen
100
wartung sorgte, ist inzwischen so gering,
10
jungen Menschen an der Basis und mit klei-
Anzahl Menschen mit Demenz
Anteil Betroffener (Prozent)
ner werdenden Altersklassen darüber wies
Prävalenz (Anteil Betroffener
in der Altersgruppe)
Inzidenz (Zahl der Neuerkrankungen pro Jahr in der
Altersgruppe)
die Bevölkerung in Deutschland noch im
2 000 000
Jahr 1910 auf. Die beiden Weltkriege und
die demographische Entwicklung bis heute
sorgten dafür, dass aus der Pyramide heute
1,0
1 000 000
0,1
0
eine „zerzauste Wettertanne“ geworden ist.
In den nächsten 50 Jahren wird sich der Altersaufbau in Deutschland zu einer „bau-
40-64 65-69 70-74 75-79 80-84 85-89 90+
chigen Vase“ verformen, deren größter Um2000 2010
2020 2030
2040 2050
Jahr
Lebensalter (Jahre)
Sowohl die Prävalenz als auch die Inzidenz der Demenz steigt
mit zunehmendem Alter der Bevölkerung exponentiell an.
fang bei den dann 60-Jährigen liegen wird.
Offen ist, ob sich die länger lebenden
Bis zum Jahr 2050 wird sich die Zahl der Demenzen in
Deutschland mehr als verdoppelt haben.
Menschen auch länger an guter Gesundheit
erfreuen können oder ob sie die zusätz-
21
ZEITLICHE TRENDS
ZEITLICHE TRENDS
FOKUS FORSCHUNG
Prävention auf dem Prüfstand
Lassen sich Demenzen durch das
Ausschalten von Risikofaktoren verhindern?
Landkreis Dachau
Landkreis Ebersberg
Eine Voruntersuchung zeigte: In beiden Landkreisen treten Demenzen vergleichbar häufig auf, und auch die
Pflegebedürftigkeit ist vergleichbar.
Anteil
Pflegefälle
Häufigkeit
Demenzen
Alter
Alter
Lässt sich die Häufigkeit von Schlaganfällen und Demenzen verrin-
fall- und Demenzrate unter den Ebersberger Bürgern gegenüber
lichen Jahre mit längerer Krankheit und
gern, wenn man die Risikofaktoren für das Auftreten dieser Erkran-
ihren oberbayerischen Nachbarn nur auf den Erfolg der konsequen-
Pflegebedürftigkeit „bezahlen“ müssen.
kungen konsequent aufspürt und die betroffenen Menschen adä-
ten Erfassung und Behandlung von Risikofaktoren zurückzuführen.
Letztere Annahme bezeichnet man als die
quat behandelt? Seit März 2001 gehen Forscher mehrerer Kliniken
Zu Beginn des Jahrs 2001 informierte die AOK ihre rund 10 500
der Technischen Universität München, niedergelassene Haus- und
Versicherten im Landkreis Ebersberg, die damals mindestens 55
Nervenärzte im oberbayerischen Landkreis Ebersberg sowie Mitar-
Jahre alt waren, über das spezielle Vorsorgeangebot. Ab März 2001
beiter der AOK Bayern dieser scheinbar simplen Frage nach. Auf
konnte sich dieser Personenkreis beim nächsten Hausarztbesuch
acht Jahre ist das Kooperationsprojekt INVADE angelegt; die letzten
dafür entscheiden, an dem INVADE-Projekt teilzunehmen. Über die
Untersuchungen dafür werden im Jahr 2009 stattfinden, und die
folgenden zwei Jahre hinweg taten dies insgesamt 3860 Menschen .
Endauswertung dürfte dann ein Datum von 2010 tragen.
Sie bilden nun die „Interventions-Gruppe“, die über die nächsten
Der lange Atem könnte sich lohnen. INVADE („Interventionsprojekt zerebrovaskuläre Erkrankungen und Demenz im Landkreis
Ebersberg“) wird diese Frage auf der Basis von mehr als 3800 freiwil-
In der Eingangsuntersuchung werden die Teilnehmer gebeten,
nen. Das Studiendesign – Fachleute nennen es prospektiv oder „in
soll, wie sie ihren Gesundheitszustand subjektiv einschätzen und ob
die Zukunft gerichtet“ – gilt als das methodisch strengste Konzept,
sie an sich Gedächtnisprobleme oder depressive Verstimmungen
um den Nutzen medizinischer Maßnahmen zu prüfen.
bemerkt haben. Zudem nimmt der Arzt eine mehrteilige Aufnahsum, dokumentiert Vorerkrankungen, ermittelt, ob bei den Teilneh-
bestimmter Erkrankungen erhöhen. INVADE prüft daher folgende
mern eine familiäre Belastung für eine der beiden Erkrankungen
Hypothese: Wenn es gelingt, beeinflussbare Risikofaktoren durch
besteht, misst Blutdruck, Körpergröße und Gewicht, fertigt ein EKG
geeignete Behandlungen zu minimieren, dann sollten am Ende die
sowie eine Ultraschalluntersuchung der Hirngefäße an, und er
behandelten Patienten seltener an den in Frage kommenden Lei-
prüft die kognitive Leistung seiner Patienten mit einem Test.
gleich großen Zuwachs gesunder Lebensjahre einhergeht, nennt man die Hypothese
Länger leben oder länger leiden?
Für das „Scheitern des Erfolgs“spricht, dass
Frauen mehr Demenzen entwickeln und
weil sie im Durchschnitt älter werden als
Jeder Teilnehmer in Ebersberg wurde
auf das Vorhandensein von neun
Risikofaktoren untersucht. Im Ergebnis entstand so ein persönliches
Risikoprofil für jeden Teilnehmer.
Männer. Andererseits ist der Gesundheitszustand älterer Menschen nicht unveränderbar. So gibt es Länder, in denen die Lebenserwartung verglichen mit der in
Deutschland geringer ist, wo die Menschen
aber mit längerer Pflegebedürftigkeit rech-
Nach den Vorgaben des INVADE-Projektteams bot man jedem Teilnehmer
daraufhin eine „maßgeschneiderte“
Behandlung an, die das Erkrankungsrisiko langfristig senken soll.
Insgesamt neun beeinflussbare Risikofaktoren werden auf diese
nen müssen als hierzulande.
Dass zunehmende Lebenserwartung
handelte Kontrollgruppe von
Weise individuell erfasst, sodass sich für jeden Teilnehmer ein per-
Menschen. Der Nutzen vorbeu-
sönliches Risikoprofil erstellen lässt. Dieses wiederum dient dazu,
gender Maßnahmen zur Risiko-
dem Patienten ein für ihn „maßgeschneidertes“ Konzept zur Vor-
Untersuchungen zum Aufgeben des Rau-
minderung wäre damit belegt.
beugung anzubieten, um sein persönliches Risiko zu mindern. Alle
chens und zum Effekt des Sporttreibens. Zu-
Im Landkreis Ebersberg wer-
Laborbefunde sollen helfen, für die Teilnehmer des Projekts im Landkreis Ebersberg ein
persönliches Risikoprofil zu erstellen.
Lebenserwartung mit einem mindestens
länger pflegebedürftig sind als Männer,
meuntersuchung vor. Er fragt etwa nach Alkohol- und Nikotinkon-
Bluthochdruck – die Wahrscheinlichkeit für das spätere Auftreten
den erkranken als eine unbe-
3860 Teilnehmer in Ebersberg erklärten sich bereit, an dem Projekt teilzunehmen. Hausärzte ermittelten per
Eingangsuntersuchung und Fragebogen deren Gesundheitszustand.
untersucht, betreut und behandelt wird.
einen Fragebogen auszufüllen, der etwa Auskunft darüber geben
erfreulichere Annahme, wonach die höhere
von der „komprimierten Morbidität“.
acht Jahre nach den spezifischen Vorgaben des INVADE-Projekts
ligen Teilnehmern und anhand klarer Zielpunkte beantworten kön-
Aus der Fachliteratur ist bekannt, dass Risikofaktoren – etwa
Hypothese vom „Scheitern des Erfolgs“. Die
Die über 55-Jährigen in Dachau bilden
die Kontrollgruppe im INVADE-Projekt.
Den rund 10 500 Versicherten aus dieser Altersgruppe in Ebersberg bot man
die Teilnahme an dem Projekt an.
zwei Jahre wird die Untersuchung wiederholt, um zu prüfen, ob die
den daher die niedergelasse-
Teilnehmer auf die Behandlung ansprechen – die Risikofaktoren
nen Haus- und Nervenärzte, die
also kleiner werden – und um zu dokumentieren, wie sich der Ge-
an dem Projekt mitarbeiten, ei-
sundheitszustand in der Folgezeit verändert hat.
ne Reihe von Risikofaktoren für
In Folgeuntersuchungen wird bei jedem Teilnehmer im Abstand von zwei
Jahren geprüft, ob die Behandlung zur
Risikominderung erfolgreich ist.
Ebenfalls im Zweijahresabstand werden die Daten der Kranken-
durchaus mit abnehmender Morbiditätsdauer einhergehen kann, zeigen etwa
dem wird die Richtung, die der medizinische Fortschritt nehmen wird, die Entwicklung beeinflussen: So bewirkten neue Therapien in der Vergangenheit häufig eine
Lebensverlängerung. In Zukunft wird es
Schlaganfälle und Demenzen
und Pflegekasse sowie des Medizinischen Dienstes aus beiden Land-
darauf ankommen, Behandlungsfortschrit-
bei ihren Patienten über acht
kreisen anonym erhoben. Vor Studienbeginn haben die Koordina-
te vor allem bei chronischen Krankheiten
Jahre hinweg regelmäßig erfassen und den Teilnehmern die Mög-
tionspartner überprüft, dass in beiden Landkreisen gleiche Aus-
zu erzielen. Diese sind zwar nicht unbe-
lichkeit geben, erkannte Risikofaktoren durch entsprechende Medi-
gangsbedingungen herrschen: Eine Vorstudie aus dem Jahr 1998 er-
kamente und andere therapeutische Mittel zu minimieren.
gab, dass die Neuerkrankungsraten für Schlaganfälle in Ebersberg
Der springende Punkt von INVADE ist indes der abschließende
und in Dachau identisch hoch lagen und dass auch die Zahl der Pfle-
Vergleich der Häufigkeit, mit der Schlaganfälle und Demenzen im
gebedürftigen sowie der Grad der Pflegebedürftigkeit in beiden
Projektlandkreis Ebersberg gegenüber einem vergleichbaren Land-
Landkreisen vergleichbar waren.
kreis in Oberbayern während der Studienphase aufgetreten sind.
mit den Jahren in Ebersberg zu deutlich weniger Demenzen und
ende weniger Menschen wegen einer Demenz oder eines Schlagan-
Schlaganfällen kommen als in Dachau. Ein solches Ergebnis brächte
falls pflegebedürftig wurden als im Kreis Dachau.
zwei Gewinner: Für jeden Einzelnen würde sich ein Weg auftun, etwas gegen diese Krankheiten zu unternehmen, und für die Gemein-
Kreisen. Zeigen sich dabei bedeutsame Unterschiede zugunsten
schaft der Versicherten würde sich zeigen, dass Vorbeugen nicht
von Ebersberg, lässt sich die Eingangsfrage mit einem wissenschaft-
nur besser ist als heilen, sondern dass Prävention auch ein probates
lich fundierten „Ja“ beantworten. Dann ist die geringere Schlagan-
Mittel ist, um Kosten für die Pflege und Behandlung zu sparen.
22
Anteil
Pflegefälle
Häufigkeit
Demenzen
Die Prognose bei diesem „in die Zukunft gerichteten“ Konzept lautet: Die
Häufigkeit von Demenzen und die Zahl
der Pflegefälle sinken unter den Bürgern in Ebersberg gegenüber jenen in
Dachau statistisch nachprüfbar ab.
Stimmt die Hypothese des INVADE-Projektteams, dann sollte es
Ein zweiter Vergleich soll zeigen, ob im Kreis Ebersberg bei Studien-
Diese Daten erfasst die AOK unter ihren Versicherten in beiden
PROGNOSE
dingt tödlich, sie erhöhen aber die Morbiditätsdauer sowie die Dauer und Intensität
der Pflegebedürftigkeit. Neue Therapien
für solche Krankheiten könnten daher die
Dauer und Intensität von Krankheit und
Pflegebedürftigkeit senken.
Alter
Alter
Für Horst Bickel steht in diesem Disput
zumindest eines fest: „Lebenserwartung
?
Im Jahr 2009 wird Bilanz gezogen. Anhand der Versichertendaten in beiden
Landkreisen lässt sich dann klären, ob
die konsequente Minderung der Risikofaktoren in Ebersberg tätsächlich einen
vorbeugenden Effekt gehabt hat.
und Dauer der Behinderung oder Pflegebedürftigkeit sind beeinflussbar, und zwar
durch Änderungen unseres Gesundheitsverhaltens und durch die gesundheitspolitischen Prioritäten, die gesetzt werden.“
23
VERLÄUFE VON DEMENZEN
VERLÄUFE VON DEMENZEN
nen können Ausfälle immer weniger kom-
dächtnisses, Probleme bei der räumlich-
pensieren. Zu fortschreitenden Einbußen in
zeitlichen Orientierung, die Unfähigkeit,
einem Bereich – etwa dem Erinnerungsver-
Wahrgenommenes korrekt zu verarbeiten
mögen – kommen Störungen in anderen
(Agnosie) oder Schwierigkeiten, Objekte
Bereichen – etwa eine Gangunsicherheit
richtig zu benennen (Aphasie).
Ein zweites Symptombündel umfasst
oder eine Inkontinenz – hinzu. Der Abbau
beschleunigt sich und erfasst im Endsta-
den affektiven Bereich, also die Gefühlslage
dium schließlich alle Symptombereiche.
der Erkrankten, und das Verhalten. Die häufigsten affektiven Störungen sind depressi-
Bei der VAD hingegen verschlimmern
sich die Symptome oft stufenweise. Eine
ve Verstimmungen sowie Angst und Unru-
plötzlich auftretende Störung – etwa im
he (Agitiertheit). Affektive Störungen treten
Sprachvermögen – bleibt über Monate oder
meist nur vorübergehend auf.
Verhaltensstörungen prägen sich hinge-
Jahre unverändert bestehen oder bessert
sich sogar ein wenig. Danach – auch dies
gen oft dauerhaft aus und sind meist der
meist in zeitlicher Nähe zu einer weiteren
Hauptgrund dafür, weshalb Angehörige
Gefäßschädigung – erlebt der Betroffene
den Umgang mit Dementen und ihre Pflege
eine erneute, plötzlich einsetzende Ver-
als belastend, verletzend und häufig auch
schlechterung im bereits vorhandenen
als frustrierend oder beschämend empfin-
oder in einem anderen Symptombereich.
den. Diese Verhaltensstörungen können
Falsche Handlungsketten – hier zum Beispiel beim Ankleiden
– können Ausdruck einer Demenzerkrankung sein.
den Demenzkranken so stark in seiner Per-
Der dritte Symptombereich umfasst
Schweregrade bei Demenzen, nämlich
sönlichkeit verändern, dass selbst nahe An-
Probleme der Beweglichkeit und der moto-
Vielfältige
Krankheitsbilder
leichtes, mittelgradiges und schweres Sta-
gehörige kaum glauben mögen, noch ein
rischen Steuerung. Manche Demenzkranke
dium. Jede dieser drei Phasen dauert bei der
und dieselbe Person vor sich zu haben.
entwickeln ähnliche Bewegungsstörungen
Es gibt mehr als 50 Formen von Demenz
Generell unterscheiden Mediziner drei
Die Krankheitsbilder der Demenz – ein
Die meisten Demenzen beginnen für die
Demenzkranke können etwa leicht reiz-
AD in der Regel zirka drei Jahre. Allerdings
wie Menschen mit einer Parkinsonerkran-
gibt es selbst innerhalb dieser häufigsten
bar, aggressiv oder „zänkisch“ werden; im
kung. Es kann zu Gangunsicherheiten bis
Demenzform beträchtliche individuelle
Extremfall brüskieren sie andere durch un-
hin zu häufigen Stürzen kommen. Eine
Unterschiede. Auch bei LBD, VAD und FTD
angemessenes Verhalten, etwa einer se-
Inkontinenz kann ein Ausdruck dafür sein,
schwankt die Krankheitsdauer beträcht-
xuellen Enthemmung oder einer extrem
dass die Muskelkontrolle durch den Scha-
lich: Manche Erkrankte sterben bereits
derben Sexualsprache. In manchen Fällen
densprozess im Hirn gestört ist.
nach zwei Jahren, andere überleben zehn
beschuldigen sie Angehörige und Pfleger
Jahre. Die CJD führt hingegen sehr rasch
des Diebstahls, beschmieren das Bett mit
zum Tod; die meisten Erkrankten sterben
Kot, entwickeln einen Zwang, eigene wie
nach sechs bis zwölf Monaten.
fremde Gegenstände anzufassen oder neu
Nicht bei jeder Demenz zeigen sich all die
zu arrangieren (bis hin zum Ladendieb-
genannten Symptome, und nicht alle Symp-
stahl). Wieder andere Erkrankte erkunden
tome einer Demenz entwickeln sich gleich-
essbare wie nicht essbare Gegenstände mit
zeitig. Zwischen den einzelnen Demenzfor-
Jede Demenz ist anders
Oberbegriff, unter dem Mediziner mehr als
Erkrankten wie für die Menschen ihrer Um-
50 Formen zusammenfassen – sind ausge-
gebung kaum merklich. Dies trifft etwa für
sprochen vielfältig. Selbst innerhalb einer
die AD, für die Lewy-Körperchen-Demenz
Form, etwa der Alzheimer-Demenz (AD),
(LBD), die Frontotemporale Demenz (FTD)
Demenzkranke müssen nicht nur mit Stö-
dem Mund, sodass es vorkommen kann,
men bestehen indes beobachtbare „Ver-
entwickelt und äußert sich die Krankheit
und die Demenz nach einer Creutzfeld-Ja-
rungen im kognitiven Bereich rechnen.
dass sie statt Tee einen Haushaltsreiniger
schiebungen“ im Gesamtbild der Sympto-
von Person zu Person sehr unterschiedlich.
kob-Erkrankung (CJD) zu. Da die Betroffe-
Hierzu zählen Beeinträchtigungen des Ge-
ins Glas gießen und probieren.
me aus allen drei Bereichen, sodass deren
Diese Streubreite ist einer der Gründe dafür,
nen auftretende Defizite zu Beginn der Er-
weshalb es so schwierig ist, eine Demenz im
krankung meist noch „ausbügeln“ können,
Frühstadium zu diagnostizieren, vor allem
fällt die Veränderung weder ihnen noch ih-
aber zu entscheiden, welche Form der De-
rer Umwelt auf. Anders äußern sich ledig-
menz vorliegt und mit welchem Verlauf
lich vaskuläre Demenzen (VAD): Ihnen lie-
man zu rechnen hat (siehe auch ab S. 14).
gen Gefäßschädigungen zugrunde, die
Jeder Versuch, die einzelnen Demenz-
meist plötzlich auftreten. Daher äußern
formen anhand der beobachtbaren Symp-
sich bei VAD auch die Demenzsymptome
tome voneinander abzugrenzen, beruht
häufig schlagartig.
Drei Symptombereiche
Kognitive Leistung (Prozent)
Beeinträchtigung einzelner Funktionen im Krankheitsverlauf
100
Alzheimer-Demenz
Vaskuläre Demenz
Demenz bei CreutzfeldJakob-Erkrankung
75
max.
Kognition
Stimmung
Verhalten
Mobilität
50
daher auf Aussagen, dass diese bei einer
bestimmten Demenzform „eher selten“,
Schleichend oder stufenweise
25
„meist erst später“ oder „häufig als erste“ im
24
Krankheitsverlauf auftreten. Es handelt sich
Wie beim Beginn unterscheiden sich auch
also um statistische Aussagen, die zwar „in
hier AD, LBD, FTD und CJD von den vaskulä-
der Regel“ – also für die Mehrzahl der Men-
ren Demenzformen. Bei ersteren verschlim-
schen mit einer bestimmten Demenz – zu-
mern sich die Symptome in der Regel schlei-
treffen, nicht aber notwendigerweise für
chend aber kontinuierlich. Allmählich wer-
den einzelnen, konkreten Fall.
den die Verluste offenbar und die Betroffe-
0
min.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Erkrankungsdauer (Jahre)
Der Abbau kognitiver Leistungen verläuft bei unterschiedlichen Demenzformen verschieden
rasch und auch nicht immer stetig – so etwa bei den vaskulären Demenzen.
leicht
mittelschwer
schwer
Grad der Demenz
Im Verlauf der Erkrankung – hier gezeigt am Beispiel der Alzheimer-Demenz – können jeweils
andere Symptombereiche in den Vordergrund treten.
25
VERLÄUFE VON DEMENZEN
VERLÄUFE VON DEMENZEN
FOKUS FORSCHUNG
Testfall „Hamburger Modell“
Der Einfluss der Betreuung auf den Demenzverlauf
Gerade letztere Frage wirft ein Problem auf: Die oft Schwerst-
Reihenfolge und Ausprägung zumindest
kranken direkt zu befragen, scheidet mangels Kommunikations-
ein Indiz dafür liefern, um welche Demenz-
fähigkeit zwar aus, aber dieses Merkmal durch eine andere Person
form es sich handeln könnte.
beurteilen zu lassen, scheint dem persönlichen Gutdünken unter-
So betreffen die ersten Symptome einer
worfen und somit wissenschaftlich wenig aussagekräftig. Doch
AD in der Regel den kognitiven Bereich; der
Martina Schäufele relativiert diese Bedenken: „In den letzten Jahren
Kranke entwickelt Lücken im Kurzzeit-
haben Gerontologen Befragungsinstrumente entwickelt, die be-
gedächtnis oder bekommt Schwierigkeiten,
sich zu orientieren. Bei einer beginnenden
LBD ist hingegen das Kurzzeitgedächtnis
oft noch intakt. Dafür macht sie sich zuerst
vor allem durch optische Halluzinationen –
meist beim Aufwachen – bemerkbar.
Bei Menschen mit einer beginnenden
FTD äußert sich dies häufig zuerst an Persönlichkeitsveränderungen: Sie brüskieren
ihre Mitmenschen durch unangemessenes
Verhalten oder kleiden sich bizarr; sie verlieren das Interesse an sozialen Kontakten
und werden apathisch. Das Erinnerungsvermögen, die Fähigkeit zum Rechnen oder
das Wahrnehmungs- und Orientierungs-
Dank eines verbesserten Personalschlüssels beim „Hamburger Modell“ haben die Pflegekräfte
mehr Zeit, sich über die notwendige Pflege hinaus den Demenzkranken zu widmen.
Die Sprachkommunikation von Demenzkranken ist häufig zuerst gestört. Geeignetere Kommunikationskanäle bieten ihnen hingegen Gerüche, Bilder, Töne, Musik oder Berührungen.
Durch das gezielte Aufgreifen von früheren Alltagsroutinen – etwa das Backen eines Kuchens –
kann man einem Demenzkranken oft eine befriedigende Beschäftigung anbieten.
vermögen bleiben dagegen deutlich länger
„Sie dürfen keine Wunder erwarten, aber die Art der Betreuung
falls das Sozialamt aufkommen müssen. Die Pflegeheime, die bis zu
stimmte Aspekte der Lebensqualität auf der Ebene beobachtbaren
nungsbild sind vaskuläre Demenzen. Je
sorgt für deutliche Unterschiede im täglichen Leben eines Demenz-
750 Demenzkranke im Rahmen des „Hamburger Modells“ betreu-
Verhaltens erfassen.“ So wird etwa danach gefragt, wie häufig die
nachdem, welches Hirnareal durch einen
kranken.“ Prof. Siegfried Weyerer, Leiter der Psychogeriatrischen
en, sollen über die gesamte Woche hinweg den dementen Bewoh-
Demenzkranken in den beiden zurückliegenden Wochen durch
Gefäßschaden betroffen ist, treten Sprach-
Arbeitsgruppe am Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Ge-
nern spezielle Aktivierungs- und Betreuungsprogramme anbieten.
Mimik, Gestik oder Sprache Gefühle wie Freude, Wut oder Angst
probleme, Halluzinationen, Stürze oder
zeigten; wie häufig sie Interesse an Dingen oder Personen zeigten,
auch eine Inkontinenz auf. Erinnerungs-
erhalten als bei Patienten mit AD.
Ausgesprochen variabel im Erschei-
sundheit (ZI) warnt vor überzogenen Hoffnungen. Sein Team enga-
Die nach dem „Hamburger Modell“ betreuten Menschen mit De-
giert sich in einem Forschungsprojekt, in dem es darum geht, den
menz wurden nun mit Mannheimer Pflegeheimbewohnern ver-
sich anderen Heimbewohnern zuwandten und den Kontakt mit ih-
schwächen betreffen bei Menschen mit
Einfluss verschiedener Betreuungskonzepte auf das Wohlbefinden
glichen, die ein ähnliches Krankheitsstadium aufweisen. Dabei
nen suchten. In Kontrolluntersuchungen haben die Mannheimer
VAD häufiger das so genannte deklarative
und das Verhalten von Menschen mit Demenzen zu erfassen.
zeigte sich: Die demenzkranken Bewohner in Hamburg wurden im
Forscher zeigen können, dass Pflegepersonen beobachtbares Ver-
Vergleich zu der Gruppe in Mannheimer Pflegeeinrichtungen
halten zuverlässig beurteilen können. Schließlich zählen die Betreu-
Weyerer und seine Mitarbeiterin am ZI in Mannheim, Martina
Schäufele, sind Projektleiter der Studie „Evaluation der besonderen
Dementenbetreuung in Hamburg“. Eine wesentliche Komponente
dieses vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend unterstützten Forschungsprojekts ist ein Vergleich zwischen Demenzkranken, die in speziellen Pflegeeinrichtungen in
Hamburg leben, mit Demenzkranken, die in Mannheimer Pflegeheimen stationär untergebracht sind. Letztere werden – wie in
häufiger gerontopsychiatrisch versorgt und sachgerecht medikamentös behandelt;
sie nahmen häufiger an psychosozialen und kompetenzerhaltenden Aktivitäten teil und
in Hamburg wurden freiheitseinschränkende Maßnahmen wesentlich seltener angewendet als in Mannheim.
Diese Unterschiede, so Weyerer, dürften dazu beigetragen ha-
er für die Demenzkranken zu den wichtigsten Ansprechpartnern
und Bezugspersonen.
Schaut man sich den insgesamt 18-seitigen Fragebogen genauer
an, so fällt auf, dass dieses Prinzip der Informationsbeschaffung
auch beim Erfassen schwieriger Fragen wie des Medikamentengebrauchs beachtet wurde. So wird nicht etwa danach gefragt, ob
der Heimbewohner viel oder eher weniger an Schlafmitteln oder
Deutschland üblich – integrativ betreut; das heißt, sie leben ge-
ben, dass die Hamburger Bewohner im Vergleich zu Mannheim
Psychopharmaka erhalten hat, sondern die Pflegekräfte sollen mit
meinsam mit nicht-dementen Menschen in Pflegeheimen, in denen
häufiger positive Affekte wie Freude und Interesse zeigten.
Unterstützung der Pflegedokumentation präzise notieren, welche
es kaum spezielle Angebote für Menschen mit Demenz gibt.
In der Hansestadt Hamburg dagegen haben 1999 der Senat, die
„Gemessen“ wurden diese Parameter mit Hilfe eines von den
Mannheimer Forschern zusammengestellten Fragebogens, den die
Medikamente ein Bewohner wie oft, in welcher Dosis und über welchen Zeitraum erhalten hat.
Träger der Kranken- sowie Pflegeversicherung und die Träger der
qualifizierten Pflegekräfte für jede demente Person ausfüllten, die
dortigen Altenpflegeeinrichtungen eine „Vereinbarung über die
an der Studie teilnahm. In diesem Fragebogen geht es um soziode-
eindeutige Angaben werden die Pflegekräfte auch zum Auftreten
besondere stationäre Dementenbetreuung“ getroffen. Das „Ham-
mographische Merkmale der Heimbewohner, um Informationen zu
definierter psychischer Störungen oder Verhaltensauffälligkeiten
burger Modell“ ist für eine exakt umrissene Zielgruppe unter den
ihrer medizinischen Versorgung, zu Art und Umfang von Alltags-
befragt. Siegfried Weyerer formuliert es so: „Je verhaltensnäher Sie
Demenzkranken gedacht, nämlich solchen, die zwar nicht bett-
aktivitäten und speziellen Betreuungsangeboten, die ein Heimbe-
fragen, desto zuverlässiger sind die Antworten.“ Verhaltensnah
Gedächtnis – sie vergessen etwa Namen von
lägrig aber aufgrund ihrer Demenz nach den Kriterien der Pflege-
wohner noch ausführen kann beziehungsweise an denen er teil-
heißt dabei zum Beispiel auch, dass man fragt, wie viele Meter der
ihnen nahestehenden Personen. Bei Men-
versicherung der Pflegestufe 2 oder 3 zuzuordnen sind und die
nimmt. Es gibt Fragen dazu, welche psychischen Störungen und
Erkrankte selbstständig gehen kann, und nicht, ob er sich noch gut,
schen mit einer AD ist indes häufiger das
besonders starke Verhaltensauffälligkeiten entwickelt haben.
Verhaltensauffälligkeiten wie häufig auftreten, wie häufig es zu
mäßig oder schlecht fortbewegen kann.
prozedurale Gedächtnis betroffen – sie
Für diese Menschen bieten 30 Hamburger Pflegeheime eine
Stürzen kommt, wie häufig Sicherheitsvorkehrungen sowie frei-
Nach konkreten Situationen und mit der Bitte um quantitativ
So umschiffen die Forscher das Problem, dass für den einen Be-
Die Computergrafik zeigt die von der Alzheimer-Demenz betroffenen Hirnareale im Abstand von jeweils sechs Monaten.
schaffen es nicht mehr, Alltagsroutinen zu
Betreuung an, die speziell auf die Bedürfnisse von Menschen mit
heitseinschränkende Maßnahmen angewendet werden, welche so-
fragten „das Glas halb leer“ und für den anderen dasselbe aber
bewältigen und sie in der richtigen Reihen-
Demenz zugeschnitten ist. Für dieses „Plus“ an Leistung dürfen sie
zialen Kontakte die Erkrankten haben und wie das Pflegepersonal
„halb voll“ ist. Die Angaben der befragten Personen werden damit
folge zu organisieren. Beispielsweise ziehen
dann einen um zirka 500 Euro pro Monat höheren Pflegesatz be-
bestimmte Merkmale der Lebensqualität – etwa positive Gefühls-
besser vergleichbar. Und dieses Vorgehen trägt dazu bei, die Versor-
sie sich beim Ankleiden zuerst Rock oder
rechnen, für den der Erkrankte, seine Angehörigen und gegebenen-
äußerungen und Aktivitäten der Heimbewohner – einschätzt.
gungssituation Demenzkranker möglichst realitätsnah abzubilden.
Hose an, bevor sie zur Unterwäsche greifen.
26
27
KRANKHEITSERLEBEN
KRANKHEITSERLEBEN
Der Abenddämmerung
entgegen
Die Demenz aus der Sicht der Erkrankten
Mit einem offenen Brief über seine
beginnende Demenzerkrankung trug
Ronald Reagan das Thema Alzheimer
in die Öffentlichkeit. Sonst gibt es nur
wenige Zeugnisse, in denen Demenzkranke ihre Situation schildern.
Ronald Reagan
Rita Hayworth
Es war wohl eine der schwierigsten Ent-
Nancy.“ Doch auch solche Episoden waren
durch das Schicksal der amerikanischen
sie damit umgehen können. Viele von ih-
meiner Seele, / die Bitternis zu schlucken, /
scheidungen des ehemaligen US-Präsiden-
bald Geschichte. Im Dezember 2003 berich-
Schauspielerin Rita Hayworth, die unter
nen reagieren gereizt und aggressiv oder
ein gebrochenes, schon schales Leben. /
ten Ronald Reagan, als er am 5. November
teten amerikanische Medien, der nun 92-
dem Beinamen „Love Goddess“ in den
entwickeln Depressionen. Die Zeitspanne,
1994 einen offenen Brief an seine Landsleu-
Jährige könne nicht mehr alleine essen und
1940er-Jahren das Sexsymbol der Filmindus-
in der sie geistig noch in der Lage sind, über
te schrieb. „Man hat mir vor kurzem gesagt,
nicht mehr sprechen. Nur „die Zähigkeit
trie war. 1981 erkrankte sie an Alzheimer
ihr Schicksal zu reflektieren, verkürzt sich
dass ich einer von Millionen Amerikanern
seiner Seele“ lasse ihren Vater weiterleben,
und geriet dadurch nochmals ins Visier der
von Tag zu Tag – und deshalb ist es nicht ver-
in einem Menschen vorgehen kann, der mit
mit der Alzheimer-Krankheit bin“, teilte der
wurde Reagans Tochter Patti Davis zitiert.
Ich suche Ruhe und Frieden, / eine Erfüllung, / doch nirgendwo komme ich an.“
Diese wenigen Zeilen lassen ahnen, was
Boulevardjournalisten – als eine Verwirrte,
wunderlich, wenn es nur wenige Selbster-
einer solchen Krankheit konfrontiert wird.
Nach zehnjähriger Krankheit starb
die leere Ginflaschen in Nachbars Garten
fahrungsberichte Demenzkranker gibt.
Fischer selbst findet in der Düsternis, die
Reagan der Öffentlichkeit mit, nachdem die
Ronald Reagan Anfang Juni 2004 in seiner
warf und verwahrlost durch Beverly Hills
Eines der wenigen schriftlichen Zeug-
unheilvolle Diagnose bei einer Gesund-
kalifornischen Heimat und wurde seinem
irrte. Nach mehrjährigem Leiden war die
nisse stammt von dem evangelischen Theo-
Rückhalt im Glauben. In seinem Text
heitsuntersuchung gestellt worden war.
Wunsch entsprechend bei Sonnenunter-
einstige Filmdiva geistig völlig umnachtet
logen Manfred Fischer. Er hat 1998 unter
„Wenn die Stunde naht“ beschreibt er seine
gang beigesetzt.
und starb im Frühjahr 1987.
dem Titel „Lied eines Tages – Psalmen für
kleiner werdende irdische Welt, aber auch
Durch das Schicksal von Ronald Reagan
das Leben“ ein bemerkenswertes Buch ver-
seine persönliche Hoffnung und Gewissheit
und Rita Hayworth, aber auch von anderen
öffentlicht. In diesem hat er nicht nur eine
auf ein Dasein danach:
Prominenten wie dem Musiker Helmut Za-
Reihe biblischer Psalmen und Verse in heu-
„Herr bleibe bei mir, / denn ich spüre, /
seit sechs Jahren im Ruhestand lebende
Er und seine Frau Nancy, so der ehemalige Schauspieler, Gouverneur und Präsident,
hätten sich gründlich überlegt, ob sie mit
Die Krankheit öffentlich gemacht
dem Befund an die Öffentlichkeit gehen
ihn mehr und mehr umgibt, Kraft und
sollten. „Indem wir unsere Herzen öffnen,
Aus heutiger Sicht kann der Abschiedsbrief
charias, dem früheren Fußballbundestrai-
tiger Sprache neu gefasst, sondern auch ei-
meine Zeit geht zu Ende, / Krankheit durch-
hoffen wir, dass dies ein größeres Bewusst-
Ronald Reagans an die Bevölkerung der
ner Helmut Schön, dem Politiker Herbert
gene kurze Texte zu „tiefsten menschlichen
dringt / meinen Leib, / verkrümmt und verun-
sein für diese Krankheit schafft... Vielleicht
Vereinigten Staaten als eine seiner größten
Wehner, dem Regisseur Otto Preminger
Erfahrungen“ niedergeschrieben.
staltet mich. / Meine Welt ist zusammenge-
verbessert es das Verständnis für die Betrof-
Leistungen bezeichnet werden. Denn mit
oder dem Maler Willem de Konning hat die
fenen und ihre Familien“, notierte der einst-
ihm hat es der 40. US-Präsident, dessen poli-
Alzheimer-Demenz zunehmend Aufmerk-
mals mächtigste Mann der Welt. Sein Brief
tischer Kampf gegen das „Böse“ nicht un-
samkeit erlangt. Trotzdem wird die Krank-
endet mit den Worten: „Ich beginne jetzt
umstritten war, geschafft, das Thema Alz-
eine Reise, die mich in die Abenddämmerung meines Lebens führt.“
Auf dieser Reise verlor der einst begna-
schrumpft / auf ein paar Schritte (tappende) /
Psalmen für das Leben
zwischen Bett und Tisch und Gang. / ...
heit auch heute noch häufig hinter Begrif-
Zu dieser Zeit wusste der im Ruhestand le-
wenn es zu Ende geht. / Ich sehe Riesenschat-
heimer auf die Tagesordnung zu setzen und
fen wie etwa Cerebralsklerose (Verkalkung
bende Pfarrer bereits um seine beginnende
ten / in mein Zimmer stürzen, / die Last ver-
ein Stück weit zu enttabuisieren. Demenz-
der Hirnblutgefäße) versteckt.
Demenzerkrankung und hat seine Gefühle
geudeter Tage. / Noch höre ich Stimmen / in
und Empfindungen dazu schriftlich festge-
meiner Einsamkeit, / Menschen, die ich liebe, /
erkrankungen waren (und sind) etwas, was
Dies liegt zum einen daran, dass nicht
Herr bleibe bei mir, / umfange mich, /
dete Selbstdarsteller nach und nach seine
Betroffene und ihre Angehörigen nur un-
alle Ärzte die Diagnoseverfahren ausrei-
halten. In den ersten Zeilen seines „Klage-
die ich ersehne, / phantasiere ich auf den
Sprache, sein Gedächtnis und auch die
gern in die Öffentlichkeit tragen, auch
chend beherrschen oder sich scheuen, den
Psalms“ heißt es:
Stuhl / an meinem Bett – eine Hand sollte
Fähigkeit, Freunde und Familienmitglieder
wenn das Krankheitsbild schon seit knapp
Angehörigen oder gar Patienten die Di-
zu erkennen. Im Januar 2002 schrieb ein
einem Jahrhundert bekannt ist.
agnose mitzuteilen. Doch auch Angehörige
verhangenen Stunden / schweige ich gen
vermeiden es oft lange Zeit, die Krankheit
Himmel / und bleibe stumm. / Mir hat es
wenn die Stunde da ist, / fortzugehen. / Ich
Wirtschaftsmagazin: „Stundenlang angelt
28
Helmut Schön
Der Psychiater Alois Alzheimer hat 1906
„Versunken im einsamen Dunkel, / in den
mich halten.
Herr bleibe bei mir, / lass mich nicht los, /
Ronald Reagan Blätter aus dem Pool seines
auf der „37. Tagung Südwestdeutscher
beim Namen zu nennen, weil sie eine Isolie-
meine Sprache verschlagen, / mein Gedächt-
weiß, du wirst / meinen nichtigen Leib / ver-
Hauses in Los Angeles – ohne zu merken,
Irrenärzte“ in Tübingen den klinischen und
rung in der Gesellschaft befürchten.
nis schwindet / verloren bin ich in einem /
wandeln und verklären.“
dass die Agenten des Secret Service sie hin-
pathologischen Befund der geistig verwirr-
ter dem Rücken des ehemaligen US-Präsi-
ten Auguste D. beschrieben und wurde so
den Diagnose den Betroffenen selbst be-
denten wieder ins Wasser fegen. Das einzi-
zum Namensgeber der Alzheimer-Demenz.
ge Gesicht, das der an Alzheimer erkrankte
Doch so richtig ins Bewusstsein der breiten
90-Jährige noch erkennt, ist das seiner Frau
Bevölkerung rückte die Krankheit erst
Und dass es nach der niederschmettern-
Getto des Schweigens. /
Das Pendeln zwischen Hoffnung und
Ich kann mich nicht mehr äußern. / Im
Niedergeschlagenheit im frühen Stadium
sonders schwer fällt, über ihre Krankheit zu
Dunkel des Gedächtnisses der Wortlosigkeit /
der Alzheimer-Demenz beschreibt auch die
reden, ist verständlich. Sie wissen zwar um
suche ich meine Erinnerung und Sprache. /
Amerikanerin Diana Friel McGowin, bei der
deren Unabänderlichkeit, aber nicht, wie
Doch bleibt das Eine – / das Aufbegehren
die Krankheit bereits im Alter von 45 Jahren
29
KRANKHEITSERLEBEN
KRANKHEITSERLEBEN
EINBLICK
festgestellt wurde. Ihr 1994 erschienenes
sen, mein Schicksal wieder in die eigene
meinen Nerven. ... In mein Benehmen hatte
Buch „Wie in einem Labyrinth“ ist wohl die
Hand zu nehmen“, hält sie dazu in ihrem
sich ein gewisser Zwang geschlichen, der
einzige ausführliche (und zugleich aber
Selbstbericht fest.
dazu führte, dass ich mich mehrmals täg-
auch untypische) Selbstbeschreibung einer
Auf der Suche nach einem Neurologen
stößt sie im Branchentelefonbuch von
Tageszeit wir hatten und wo sich meine
Schilderung endet, als bei der Patientin das
Orlando auf eine Anzeige der Alzheimer-
Handtasche und andere Habseligkeiten be-
mittlere Stadium der Krankheit beginnt.
Gesellschaft, die ihr einen Spezialisten emp-
fanden.“
„An guten Tagen“, so heißt es gegen
Schluss ihres Buchs, „bin ich voller Hoff-
Die Geschichte
von Herrn B.
Jede Demenzerkrankung verläuft unterschiedlich, sowohl von der
zeitlichen Dauer her gesehen als auch vom persönlichen Krank-
lich vergewisserte, welches Datum, welche
Alzheimer-Kranken. Die beeindruckende
fiehlt. „Der früheste Termin, den ich bekom-
„Obwohl ich seit Jahrzehnten
keine Schneeflocken
mehr gesehen habe, spüre ich
sie jetzt auf meiner Zunge“
Während sich der Aktionskreis und die
men konnte, lag im nächsten Monat. ...
sozialen Kontakte allmählich verringern,
Optimistisch kehrte ich an meine Arbeit im
wächst die extreme psychische Belastung.
Büro zurück, doch schon nach wenigen
Als Jugendliche hat Diana McGowin eine
Tagen ließ meine positive Einstellung merk-
klassische Pianistenausbildung erhalten,
lich nach. Mir unterliefen Fehler, und da ich
und das Klavierspielen diente ihr „als beru-
eine Perfektionistin war, wurde ich wütend
higende Therapie und als unterhaltsames
habe, wie in Floridas Lotterie zu gewinnen:
auf mich selbst. Ich vergaß doch tatsächlich
Hobby“. Doch auch dies geht nun verloren.
nämlich eins zu fünfzehn Millionen.
zwei wichtige Termine in den Kalender des
Sie bemerkt, wie es ihr immer schwerer
Anwalts einzutragen... Auch anderen war
fällt, Noten zu lesen oder sich an ihre Lieb-
nung und Entschlossenheit, mein gegenwärtiges Niveau zu halten, bis die medizinische Forschung ihren großen Durchbruch
gelandet hat. An schlechten Tagen wird mir
klar, dass ich ungefähr dieselbe Chance
Das sind die Zeiten, in denen ich mich
heitsverlauf. Trotzdem treten in den meisten Fällen typische Symp-
besonders allein und entsetzlich wertlos
mein Zustand mittlerweile aufgefallen, und
lingsstücke und -komponisten der Klassik
tome und Verhaltensweisen auf, wie das Beispiel des an Alzheimer
fühle. ... Ich empfinde meinen mangelnden
man sprach mich auf meine Zerstreutheit
zu erinnern. Sie versucht es mit Pop und
erkrankten Herrn B. zeigt.
Selbstwert immer dann am stärksten, wenn
an. Schritt für Schritt verschlimmerte sich
Country-Music, „aber auch das nützte
ich in größeren Gruppen bin. Es macht
mein Zustand.“
nichts mehr. Meine musikalischen Fähig-
1983 kommt es bei Herrn B. erstmals zu Störungen der Merkfähigkeit und des Kurzzeitgedächtnisses. Er verlegt immer häufiger
mich völlig fertig, mich in einer Menschen-
alltägliche Gegenstände; oft beschuldigt er seine Frau, dies getan
menge oder selbst auf einer geschäftigen
innern, auf welchem Stockwerk ihr Büro
zu haben. Der 70-Jährige hat zunehmend Schwierigkeiten mit Auf-
Durchgangsstraße zu bewegen. Alle diese
liegt oder wo sie ihr Auto geparkt hat. In
Statt selbst zu musizieren, bleibt ihr nur
gaben, die geistige Umsicht und Planung erfordern. Er wirkt öfter
‚verdienstvollen’ Menschen, die ein Ziel
dieser Phase entwickelt sie eine Vermei-
noch das Musikhören. Auch sonst muss sie
interesselos, mürrisch und unausgeglichen.
haben – die wissen, wohin sie gehen.
dungsstrategie, um den ihr bewussten
früher selbstverständliche Aktivitäten ein-
Problemen und Schwierigkeiten aus dem
schränken und plagt sich deswegen mit ei-
1986 wird die Erkrankung immer deutlicher; die räumliche und
Sie kann sich eines Tages nicht mehr er-
Trotzdem hocke ich immer noch freiwil-
keiten waren mir bereits völlig abhanden
gekommen“.
die zeitliche Desorientierung sind auch für Außenstehende nicht
lig allein zu Hause und leide schrecklich un-
Weg zu gehen. Sie kündigt ihre feste
nem schlechten Gewissen herum: „Schuld-
mehr zu übersehen. Herr B. verirrt sich auf dem Nachhauseweg von
ter meiner Einsamkeit. Das Radio und der
Arbeitsstelle und beginnt bei einer Zeit-
gefühle umstellten mich wie eine Horde
der Bushaltestelle, er kann kein Geld mehr zählen und sich kaum
Fernsehapparat schweigen. Ich befinde
arbeitsagentur. „Ich dachte mir, dass von ei-
Feinde, als ich schließlich damit anfing, Si-
etwas merken. Die Tageszeiten und Wochentage bringt er ständig
mich in der Schwebe. Irgendwo in der Nähe
ner nur kurzfristig angestellten Assistentin
tuationen zu vermeiden, bei denen ich von
durcheinander.
liegt meine immer präsente Liste, die mich
niemand erwarten würde, dass sie sich in je-
vornherein zum Scheitern verurteilt war.“
daran erinnern soll, was ich heute erledi-
dem Gebäude oder Büro genau auskannte
bemerkbar. Herrn B. fallen häufig die richtigen Worte nicht ein,
gen muss. Aber ich kann sie nicht finden.
oder jeden Angestellten vom Sehen kennen
entgleitet, findet sie – wie viele Demenz-
beim Sprechen verliert er oft den Faden. Er kann nur noch in Beglei-
Ich beschließe, die Wäsche zu waschen, und
müsste. Sollten mir hier Fehler unterlaufen,
kranke – zunehmend Trost in Erinnerungen
tung fortgehen, um sich nicht zu verirren. Seine handwerklichen
finde mich draußen im Garten hinter dem
würde das nur natürlich erscheinen.“ Eine
an Vergangenes. „Meine Kindheit ist mir so
Hobbies gibt er auf, komplexe Bewegungsabläufe mit der Hand
Haus wieder, schmutzige Wäschestücke in
Zeit lang geht dies gut, und sie findet auch
präsent, dass ich tatsächlich noch den Ge-
fallen ihm schwer. Sein Selbstwertgefühl und seine Selbstständig-
der Hand. Wie bin ich dort hingekommen?
Lösungen für ihre zunehmenden Orientie-
ruch der kleinen Stadtbücherei in der Nase
keit leiden zunehmend. Bei Schwierigkeiten gerät er in Wut, ist de-
Wie komme ich wieder zurück?“
rungsprobleme. Auf dem Heimweg gibt sie
habe, in der ich damals so viele Stunden ver-
sich an Tankstellen als Touristin aus und
brachte. ... Obwohl ich seit Jahrzehnten kei-
lässt sich den Weg nach Hause zeigen.
ne Schneeflocken mehr gesehen habe, spü-
1987 macht sich die Alzheimer-Erkrankung auch in der Sprache
primiert oder beschuldigt zu Unrecht andere Menschen.
1988 kann Herr B. keine Rolltreppen mehr benutzen, weil seine
Wütend auf sich selbst
Neben diesen erfolgreichen Phasen
Fähigkeit, Bewegungen zu koordinieren stark eingeschränkt ist.
1989 schreitet der Sprachverfall voran. Herr B. vergisst, Sätze zu
beenden, und kann sich kaum mehr ausdrücken.
In dem Maß, in dem ihr die Gegenwart
re ich sie jetzt auf meiner Zunge.“
Im Gegensatz zu den meisten Patienten er-
schildert sie immer wieder Perioden von
Ohne ihre aktive, extrovertierte Lebens-
lebt McGowin die diagnostische Klärung
Trauer und Verzweiflung, aber auch Wut
grundhaltung und ihr vergleichsweise jun-
ihrer Krankheit als einen selbstbestimmten
auf sich selbst. Geprägt sind diese Abschnit-
ges Alter wäre es Diana McGowin sicherlich
nieren und hat Probleme, aus der Badewanne zu steigen. Wenn er
Prozess. Nachdem sie wegen Gleichge-
te vor allem von Angst, Unsicherheit und
nicht möglich gewesen, das lang andauern-
Hilfeleistungen nicht richtig einordnen kann, reagiert er aggressiv.
wichtsstörungen und einiger Gedächtnis-
der ungeheuren Anstrengung, den Alltag
de Frühstadium ihrer Alzheimer-Demenz
Er erkennt Alltagsgegenstände nicht mehr oder benutzt sie falsch,
aussetzer untersucht worden war, emp-
zu meistern. „Ich litt oft unter vielen unbe-
zu schildern und der Krankheit so viel Paroli
so bemalt er mit einem Lippenstift die Wände. Sein Verhalten
fiehlt der Arzt Beruhigungsmittel, Antide-
gründeten Ängsten und ließ mich von Hor-
zu bieten. „Mittlerweile“, schreibt sie im
nimmt immer mehr kindliche Züge an. Frau B. leidet inzwischen er-
pressiva und eine psychologische Beratung.
rorgeschichten in den Medien unmäßig aus
Epilog ihres Buchs, „bin ich an einem Punkt
dem Gleichgewicht werfen. ... Oft passierte
angelangt, an dem auch ich wieder das Ge-
und klugen Anwaltsgehilfin, die ursprüng-
es mir, dass ich das ganze Haus abrannte
fühl habe, etwas wert zu sein. Es erscheint
lich einen hohen Intelligenzquotienten von
auf der verzweifelten Suche nach meinem
mir wieder gerechtfertigt, einen gewissen
Rollstuhl verbracht hat. Seine körperlichen und geistigen Funktio-
135 hatte, als keine geeignete Therapie. Sie
‚abwesenden’ Mann, der aber entweder in
Raum zu beanspruchen. Da ich klein bin,
nen lassen immer mehr nach. Nach weiteren vier Monaten stirbt er.
fordert vom Arzt deshalb die Herausgabe
seiner Werkstatt oder im Garten arbeitete.
brauche ich nicht viel Platz. Vielleicht wird
Bis zu seinem Tod reagiert Herr B. auf körperliche Zuwendung und
der Krankenberichte. „Zufrieden fuhr ich
... Einschlafstörungen und eine generelle
eines Tages jemand froh darüber sein, dass
ein freundliches Lächeln.
anschließend nach Hause, fest entschlos-
Schlaflosigkeit zerrten mehr und mehr an
ich es getan habe.“
1990 kann er seine Bewegungen zunehmend schlechter koordi-
heblich unter der täglichen Belastung, deshalb kommt stundenweise ein Pflegedienst.
1991 wird Herr B. bettlägerig, nachdem er zuvor sechs Monate im
30
Doch dies erscheint der erfolgreichen
In der Abenddämmerung des Lebens
entgleitet Demenzkranken die Gegenwart; kognitive Fähigkeiten gehen verloren. Erinnerungen an Vergangenes
tauchen auf; Gefühle und Zuneigung
gewinnen zunehmend an Bedeutung.
31
GENETIK & RISIKOFAKTOREN
GENETIK & RISIKOFAKTOREN
kleinen Prozentsatz der Fälle eine überra-
Alzheimer-Demenz, sondern zu einer deut-
gende Rolle. Am besten untersucht ist dies
lich anderen Form der Demenz, der so ge-
für die Alzheimer-Demenz. Hier treten we-
nannten frontotemporalen Degeneration
niger als 20 Prozent aller Fälle gehäuft in Fa-
mit Parkinsonismus.
milien auf. Genetiker vermuten, dass bei
Demenzen entstehen in
einem komplizierten
Wechselspiel von Erbgut,
Umwelt und Lebensweise
Bei der in vielen Fällen mit einer De-
diesen Familien jeweils mehrere ungünsti-
menz verbundenen Parkinsonkrankheit
ge Varianten der rund 30 000 mensch-
gibt es ebenfalls starke Hinweise auf eine
lichen Gene zusammenwirken, von denen
erbliche Komponente. Neben anderen For-
jede einzelne das Krankheitsrisiko nur ge-
schern hat eine Arbeitsgruppe um Prof.
ringfügig vergrößert. Umgekehrt gibt es
Wolfgang Maier an der Psychiatrischen
auch viele Familien, in denen Alzheimer sel-
Universitätsklinik Bonn bei einer kleinen
tener auftritt, als man aufgrund statisti-
Zahl deutscher, griechischer und italieni-
scher Berechnungen erwarten würde. Den
scher Familien einen Gendefekt gefunden,
genetischen Risikofaktoren stehen offen-
der zur vermehrten Bildung des Eiweißes
sichtlich auch schützende Genvarianten
Alpha-Synuklein führt. Ähnlich wie zahlrei-
gegenüber. Auch diese leisten jeweils nur
che der bekannten Mutationen innerhalb
einen kleinen Beitrag, und sie machen sich
der Gene APP, PS1 und PS2 führen auch die-
nur dann bemerkbar, wenn mehrere von ih-
se Erbdefekte zu charakteristischen Ablage-
nen zusammen in einer Familie auftreten.
rungen im Gehirn, welche die Zusammenarbeit der Nervenzellen behindern und da-
Extreme Gene sind extrem selten
mit auch Gedächtnisprobleme begünstigen. Eine Handvoll weiterer, sehr seltener
Vertrackte
Verhältnisse
Solche subtilen Einflüsse sind für Genetiker
Mutationen scheint ähnliche Effekte her-
indes nur schwer zu erforschen. Am leich-
vorzurufen. Hier sind offenbar die Bauanlei-
testen können sie krankheitsrelevante Erb-
tungen verschiedener Eiweiße geschädigt,
anlagen identifizieren, wenn diese deut-
die normalerweise den Abtransport von Al-
liche Auswirkungen haben. Drei solcher Ge-
pha-Synuklein regeln.
ne kennt man bei der Alzheimer-Demenz.
Sie heißen nach ihren englischen Abkür-
Der Spielraum der Gene
zungen APP, PS1 und PS2.
Die meisten Risikogene sind
noch nicht entdeckt
Wenn diese Gene geschädigt werden,
kann die AD bereits im mittleren Alter auf-
Für den weitaus größten Teil aller Demenz-
„Unser Schicksal liegt nicht in den Sternen,
treten – in Extremfällen sogar schon vor
fälle, die so genannten „sporadischen“ Er-
es liegt in den Genen“ – mit diesem Satz hat
dem 30sten Lebensjahr. Kinder von Trägern
krankungen, konnten die Forscher bisher
der Nobelpreisträger James Watson viel
dieser Genvarianten erben diese Gene mit
keine Genschäden dingfest machen. Aller-
Verwirrung gestiftet. Zusammen mit Fran-
einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent.
dings hat man – wiederum bei AD – schon
cis Crick und Rosalind Franklin hatte Wat-
Ebenso groß ist ihr Risiko, an Alzheimer zu
in den 1980er-Jahren ein Gen namens ApoE
son in den 1950er-Jahren die Struktur und
sterben, wenn sie lange genug leben. Muta-
entdeckt, das in drei Varianten vorkommt.
Funktion der Erbsubstanz DNS aufgeklärt
tionen von APP, PS1 und PS2 stehen einer
Welche dieser Varianten ein Mensch in den
und damit nach Meinung von Wissen-
französischen Erhebung zufolge jedoch
Zellen seines Körpers trägt, hat einen star-
schaftshistorikern das Zeitalter der moder-
höchstens hinter jedem 200sten AD-Fall
ken Einfluss auf den Zeitpunkt des Aus-
nen Biologie eingeläutet. Obwohl Watson
und hinter maximal sieben Prozent der Fäl-
bruchs und die Geschwindigkeit, mit der
seine Äußerungen längst relativiert hat und
le vor dem Rentenalter.
die Alzheimer-Demenz im Alter verläuft.
immer wieder auf die komplexen Wechsel-
Wer in seinem doppelten Satz an Genen
wirkungen zwischen Umwelt, Erziehung,
dest bei AD – der Schlüssel, um den Ablauf
auch nur ein Exemplar der Variante ApoE4
Hirnentwicklung und den Erbanlagen hin-
der Erkrankung bis ins Detail aufzuklären.
trägt, hat ein 30-prozentiges Risiko, im Lauf
(siehe Kapitel ab S. 38). Diese Gene erklären
seines Lebens an Alzheimer zu erkranken –
jedoch nur etwa zwei Drittel der frühen fa-
gegenüber einer Wahrscheinlichkeit von 15
miliären Erkrankungen; es muss also noch
Prozent für die Bevölkerung insgesamt.
weitere Gene geben, deren Beschädigung
Wer statt der Variante ApoE4 verschiedene
zur Alzheimer-Demenz führen kann.
Kombinationen von dessen „Geschwistern“
weist, hält sich bis heute das Klischee von
troffenen mag dies ein schwacher Trost
den „Genen, die krank machen“ oder die
sein. Von sehr seltenen Ausnahmen abge-
„verantwortlich sind für...“.
sehen, markieren Erbanlagen jedoch ledig-
Dreidimensionales Computermodell
des Moleküls APP, dessen fehlerhafte
Verarbeitung zu giftigen Ablagerungen
zwischen den Nervenzellen führen
kann. Die präzise Kenntnis der räumlichen Struktur solcher Moleküle erleichtert Chemikern die Auswahl von
Arzneimittelkandidaten und sie verringert die Gefahr von Nebenwirkungen.
Die Wahrheit ist komplizierter. Weil die
lich die Grenzen des Möglichen. Sie bilden
Gene als Träger der Erbinformationen in ei-
keine festgefügten Gleise und führen auch
nem Jahrmillionen langen Prozess der Evo-
nicht in Einbahnstraßen. Gene schaffen
lution anhand ihres Nutzens für deren Be-
vielmehr ein Spielfeld, auf dem die Akteure
nannte Tau-Protein – es spielt eine wichtige
hat dagegen ein um 40 Prozent kleineres
sitzer ausgewählt werden, bleiben „schäd-
ihre jeweiligen Stärken nutzen und ihre
Rolle im Krankheitsgeschehen von AD –
Risiko als der Bevölkerungsdurchschnitt.
liche“ Varianten eher selten und können
Schwachstellen schützen können.
kommen ebenfalls in einigen wenigen Fa-
sich nicht auf Dauer durchsetzen. Für die
von solchen „Experimenten“ der Natur Be-
32
Die Kenntnis dieser Gene war – zumin-
Fehler in der Bauanleitung für das so ge-
ApoE2 oder ApoE3 in seinem Erbgut trägt,
Solche statistischen Aussagen eignen
Auch bei den Demenzerkrankungen
milien vor. Dennoch führt dessen Verände-
sich indes nicht dazu, das Schicksal einzel-
spielen einzelne Erbanlagen nur in einem
rung bei den betroffenen Familien nicht zur
ner Personen vorherzusagen. Wer mit
33
GENETIK & RISIKOFAKTOREN
GENETIK & RISIKOFAKTOREN
FOKUS FORSCHUNG
ApoE4 zur Welt kommt, ist ebenso wenig
man aufspüren, die das Risiko für Alzhei-
zum „Alzheimer“ verurteilt, wie sich dieje-
mer ähnlich deutlich beeinflussen wie
nigen ohne ApoE4 vor der Krankheit sicher
ApoE, schätzt die US-amerikanische For-
wähnen dürfen. In den verfügbaren Gen-
scherin Ellen Wijsman von der University of
tests auf ApoE sehen Patientenvertreter
Washington in Seattle.
und Fachverbände deshalb lediglich ein
Hilfsmittel, mit dem Ärzte die Treffsicherheit ihrer Diagnose verbessern können.
Gefahren erkennen und
vermeiden
„Für mich geht die Jagd auf die Gene
Von der Hefezelle bis
zum Rhesusaffen –
Unsere Stellvertreter in der
Demenzforschung
Hefezellen, Zebrafische und Fadenwürmer (von
links) – an diesen Organismen forschen Genetiker
und Entwicklungsbiologen. Die Vorkenntnisse
über diese unterschiedlichen Lebewesen helfen,
Demenzen besser zu verstehen.
jetzt erst richtig los“, sagt einer der bekann-
Vorbeugen ist besser als Heilen. Unter die-
testen Alzheimer-Forscher, Rudolf Tanzi von
sem Motto suchen Wissenschaftler gezielt
der Harvard Medical School im amerikani-
nach jenen Faktoren, die das Risiko für De-
schen Boston. Die besten Voraussetzungen
menzen erhöhen können. Wie muss man
dafür hat ein internationales Konsortium
sich verhalten? Welche Nahrungsmittel soll
von Wissenschaftlern geschaffen, das un-
man meiden? Können Alkohol und Zigaret-
längst die Reihenfolge aller drei Milliarden
ten neben Leber und Lunge auch das Ge-
Genbausteine des Menschen ermittelt hat.
hirn schädigen? Zu solchen Fragen gibt es
Wertvolle Informationen liefert auch ein
mittlerweile zwar Tausende von Untersu-
anderes Großprojekt der modernen Biolo-
chungen und Studien. Einen perfekten
Wegweiser, mit dem man sämtlichen De-
Vor Gedächtnislücken und Lernschwierigkeiten bleiben zwar auch
durch die schnelllebigen Nager und die vergleichsweise niedrigen
menzrisiken ausweichen kann, werden Ärz-
Mäuse und Ratten im Alter nicht verschont, an Alzheimer erkran-
Kosten für deren Aufzucht und Haltung sind die Hauptgründe
te und Apotheker aber niemals anbieten
ken sie jedoch von Natur aus nicht. Lediglich bei hochbetagten
dafür, dass Demenzforscher nur äußerst selten mit höheren Tieren
können. Auch wenn die Verhaltensweisen
Bären fand man bislang jene Ablagerungen im Gehirn, wie sie für
wie Rhesusaffen arbeiten.
und Gewohnheiten der Menschen leichter
zu ändern sind als deren Erbanlagen, so
Alzheimer-Patienten typisch sind.
Um die Krankheit dennoch an Versuchstieren erforschen zu kön-
Auf den Wurm gekommen
werden Aufklärungs- und Erziehungsmaßnahmen doch immer nur dort wirken kön-
nen, mussten sich die Wissenschaftler einiger Tricks der Gentechnik
bedienen: Sie isolierten zunächst aus den Zellen menschlicher Pa-
Wichtige Hinweise liefern den Wissenschaftlern aber nicht nur Säu-
nen, wo auch eine hinreichende Bereit-
tienten jene Erbanlagen, deren Beschädigung zum frühen Aus-
getiere, sondern auch Organismen, die auf den ersten Blick noch
schaft zur Umsetzung vorhanden ist.
bruch der Krankheit führen kann. Diese Alzheimer-Gene schleusten
viel weniger mit dem Menschen gemeinsam haben. Besonders be-
sie dann in Eizellen von Versuchstieren ein, implantierten die Ei-
liebt sind dabei Zebrafische, Fadenwürmer (Nematoden) und sogar
tiell ansteigenden Erkrankungsraten (siehe
zellen in (Mäuse-)Leihmütter und testeten den Nachwuchs auf die
Hefezellen, wobei jeder Modellorganismus unterschiedliche Stär-
ab S. 19) könnten jedoch auch Teilerfolge
Anwesenheit menschlicher Gene.
ken und Schwächen aufweist. So ist die Embryonalentwicklung der
bei der Vorbeugung maßgeblich dazu bei-
Zebrafische sehr gut erforscht. Daher kann man einzelne Erbinfor-
tragen, den Krankheitsbeginn hinauszuzö-
kreuzte man dann untereinander, um schließlich mehrere Linien
mationen oder Arzneimittelkandidaten in die Eier injizieren und
gern. Diese Strategie erklärt der Münchener
reinrassiger „Alzheimer-Mäuse“ zu erhalten, die jeweils unter-
möglicherweise resultierende Schäden oft schon mit bloßem Auge
Demenzexperte Hans Förstl so: „Schon ver-
schiedliche Menschengene tragen. Wie im Zeitraffer lassen sich ein-
an den durchsichtigen Larven erkennen, statt wie bei Mäusen die
gleichsweise kurze Verzögerungen des
zelne Aspekte des Krankheitsgeschehens mit solchen „transgenen“
Tiere sezieren zu müssen.
Die wenigen Tiere, bei denen dieser Eingriff erfolgreich war,
Tieren untersuchen. Pharmakonzerne füttern diese Tiere mit Arz-
Auch bei dem durchsichtigen Fadenwurm Caenorhabditis ele-
neimittelkandidaten und können – anders als beim Menschen – bin-
gans nutzen Demenzforscher die Vorarbeit ihrer Kollegen. Hier
nen Wochen an Hirnschnitten überprüfen, ob und wo die Hoff-
kann man nämlich das Schicksal jeder einzelnen Zelle des Wurms
nungsträger gewirkt haben.
unter natürlichen Wachstumsbedingungen vorhersagen. Jegliche
Genetiker haben auch gelernt, einzelne Abschnitte aus dem Erb-
Abweichung von diesem Entwicklungsplan unter dem Einfluss ein-
gut herauszuoperieren. Mit solchen „Knock-out“-Tieren kann man
geschleuster menschlicher Erbanlagen dient daher als Hinweis,
ebenfalls testen, wie wichtig bestimmte Erbanlagen sind, – und
welche Prozesse die untersuchten Menschengene beeinflussen.
muss dabei nicht selten auch liebgewonnene eigene Hypothesen
Sogar die einzelligen Hefepilze, denen wir unser Brot, Bier und
Angesichts der mit dem Alter exponen-
Automatisierung im Forschungslabor:
Dass ein einzelner Wissenschaftler wie
hier mehrere hundert Proteine gleichzeitig untersucht, ist heute fast schon
Routine. Ohne den Einsatz von Robotern und vorgefertigen, standardisierten Komponenten wären die komplexen Wechselwirkungen der unzähligen
Zellbestandteile kaum zu erfassen.
Krankheitsbeginns führen zu einer merkgie, das nach Zusammenhängen zwischen
lichen Reduktion der Krankenzahl, da in
den Unterschieden in den Gensequenzen
vielen Fällen der Aufschub des Krankheits-
einzelner Menschen und deren individuel-
beginns die verbleibende Lebenserwartung
len Krankengeschichten sucht.
übersteigen kann.“ Anders formuliert: Viele
Mit diesen Werkzeugen haben Tanzi
Menschen würden den Beginn ihrer De-
und andere Arbeitsgruppen eine Region
menz nicht mehr erleben, weil sie zuvor an
auf dem zehnten Chromosom identifiziert,
Herzkrankheiten, Krebs oder anderen Lei-
deren Ausprägung das Risiko für eine spo-
den verstorben wären.
Am günstigsten erscheinen Förstl die
beerdigen. Obwohl beispielsweise fehlerhafte Formen des Eiweißes
andere Köstlichkeiten verdanken, bieten für viele Experimente ide-
radische Alzheimer-Demenz im hohen Al-
Tau das Zellskelett menschlicher Nervenzellen zerstören können,
ale Voraussetzungen. Eben weil diese Organismen sehr einfach
ter beeinflusst. Obwohl die Position des
Chancen vorbeugender Strategien bei den
entwickelten sich 1994 die ersten Knock-out-Mäuse ohne Tau fast
sind, kann man bei Hefen das Zusammenwirken menschlicher Ei-
hierfür verantwortlichen Gens auf dem
vaskulären Demenzen. Hier kennt man
genauso wie ihre unveränderten Artgenossen, und ihr Nervensys-
weiße ideal beobachten. Wie bei einem Bausteinkasten können
Chromosom noch nicht exakt bekannt ist,
nämlich schon die beeinflussbaren Risiko-
tem unterschied sich nicht von dem der Kontrolltiere. Fünf Jahre
Wissenschaftler prüfen, welche menschlichen Proteine sich zu
spekulieren viele Forscher auf ein Gen na-
faktoren relativ gut : Menschen, die im mitt-
später allerdings schleusten belgische und US-amerikanische Wis-
funktionierenden Komplexen vereinen, ohne dass Hefeproteine
mens IDE. Es enthält die Bauanleitung für
leren Alter einen normalem Blutdruck und
senschaftler Erbinformationen für menschliches Tau in Labormäuse
sich dazu gesellen und die Ergebnisse verfälschen.
ein Enzym, das ein Eiweißbruchstück mit
normales Gewicht hatten, die regelmäßig
dem Kürzel Aß aus dem Hirn eskortiert und
Sport trieben, die sich eher fettarm ernähr-
ein und erhöhten dessen Produktion durch einen gentechnischen
Geld, das heute in die scheinbar praxisferne Erforschung niedri-
Kunstgriff um ein Vielfaches. Prompt bildeten sich im Hirn der Tiere
ger Organismen gesteckt wird, kann also durchaus helfen, Demenz-
so die Verklumpung von Aß zu gefährlichen
ten und sich auch geistig betätigten, die
Ablagerungen des Tau-Proteins und die Nervenzellfortsätze im
erkrankungen besser zu verstehen und die Entwicklung neuer The-
Ablagerungen verhindert. Mindestens
maßvoll Alkohol tranken und nicht rauch-
Hirnstamm und im Rückenmark verkümmerten. Der Zeitvorteil
rapien zu beschleunigen.
noch sechs bis sieben weitere Gene werde
ten, erkranken im Alter seltener. Ein aus
34
35
GENETIK & RISIKOFAKTOREN
GENETIK & RISIKOFAKTOREN
damit, dass die Zuckerkrankheit die Blut-
der Art der Getränke war der Anteil De-
das Risiko für eine Demenz“ ließe sich bei-
gefäße schädigt und gefährliche Stoffwech-
menzkranker unter den Weintrinkern am
spielsweise erhärten, wenn Menschen, die
selprodukte vermehrt, die den Verlauf von
kleinsten; bei den Konsumenten von Bier
Blutfett senkende Arzneien nehmen, selte-
Demenzerkrankungen beschleunigen.
und Spirituosen war der Effekt weniger aus-
ner an einer Demenz erkranken als andere.
geprägt.
In der Tat konnten Epidemiologen einen
Wie beim Bluthochdruck fehlen indes
auch in diesem Fall harte Beweise, dass die
zwischen fettreicher Ernährung und späte-
Reihe von klinischen Studien mit bestimm-
kung Diabetes mellitus das Demenzrisiko
rer Demenz. So wurden die Teilnehmer der
ten Blutfett senkenden Medikamenten (den
bereits erwähnten „Rotterdam-Studie“
Statinen) hatte die erfreuliche Nebenwir-
nicht nur nach ihrem Alkoholkonsum be-
kung, dass die Patienten nur noch ein Vier-
fragt, sondern auch nach ihrer Ernährung.
tel so häufig Demenzen erlitten wie unbe-
Diejenigen, die überdurchschnittlich viel
handelte Vergleichsgruppen.
Rauchen, Trinken, fettes Essen
Ähnlich vertrackt ist die Situation beim
an gesättigten Fetten und Cholesterin zu
Ein Mangel an bestimmten Vitaminen
sich genommen hatten, erlitten später fast
gilt manchen Wissenschaftlern ebenfalls
blickend der Zigarettenkonsum von De-
doppelt so häufig eine Demenz wie Alters-
als Risikofaktor. Einer der „Hauptverdächti-
diesen Fakten abgeleitetes Demenz-Vorsor-
menzkranken mit Gesunden verglichen
genossen, die sich „gesund“ ernährt hatten.
gen“ ist hier die Folsäure. Diese Substanz
geprogramm wäre fast identisch mit den
wurde, schrieben den Glimmstängeln sogar
Fischesser – sie nehmen besonders viel an
kommt in rohem Gemüse, frischem Obst
Verhaltensmaßregeln zur Verhütung von
eine schützende Wirkung zu. Erst später ka-
ungesättigten Fettsäuren zu sich – hatten
und Fleisch vor, wird aber beim Kochen zer-
Herzerkrankungen, Schlaganfällen und
men aussagekräftigere, so genannte pros-
ein um 60 bis 70 Prozent geringeres Risiko
stört. Da ein Folsäuremangel bei Schwange-
häufigen Krebsleiden.
pektive Studien zu dem Schluss, dass Rau-
für Demenzen vaskulären Ursprungs und
ren für die Neugeborenen das Risiko von
cher tendenziell öfter demenzkrank wer-
für AD. In einer anderen Untersuchung be-
Geburts- und Entwicklungsdefekten des
den als Nichtraucher. Nikotinabhängige
zifferten französische Forscher die Risiko-
Nervensystems beträchtlich erhöht, nimmt
können sich also nicht länger damit trösten,
minderung durch wöchentlichen Fischver-
man an, dass auch das erwachsene Nerven-
zehr auf 35 Prozent, konnten aber nicht aus-
system durch Folsäuremangel geschädigt
schließen, dass die bessere Schulbildung –
werden könnte.
Widersprüchliche Studien
erschweren die Interpretation
Der Teufel aber steckt im Detail, denn im-
den sterben, dafür aber seltener an der Alz-
mer wieder liefern einzelne Studien auch
heimer-Demenz erkranken werden.
widersprüchliche Ergebnisse. Beispiel Blut-
Die Beziehung zwischen Alkoholkon-
hochdruck: In einer Untersuchung an 3703
sum und Demenzrisiko lässt sich am besten
amerikanischen Männern war das Risiko,
mit dem so genannten „J-Kurven-Konzept“
im Alter an einer Demenz zu erkranken, um
beschreiben: Danach erkranken Abstinente
das Vierfache erhöht, wenn der untere
geringfügig häufiger als Menschen mit
(diastolische) Blutdruckwert im sechsten
Welche Stoffe können vor Demenzen
schützen? In vielen Labors versucht
man diese Frage mithilfe von Zellkulturen (links) zu klären. Für biochemische
und genetische Analysen genügen
meist wenige Tropfen Extrakt aus diesen Zellen (Mitte). Gekühlt in flüssigem
Stickstoff (rechts) bleiben die Extrakte
praktisch unbegrenzt haltbar; ebenso
wie die Blut- und Gewebeproben von
Demenzkranken und gesunden Vergleichspersonen.
dieser Faktor scheint ebenfalls das Demenz-
Zumindest indirekt ist es gelungen, ei-
risiko zu verringern – der „Fischesser“ das
nen Zusammenhang zwischen Folsäure-
Ergebnis beeinflusste.
mangel und Herzerkrankungen nachzuweisen, neuerdings aber auch für Demen-
Soziale Faktoren prägen das
Risikoverhalten
Lebensjahrzehnt 89 Millimeter Quecksilber-
Mit diesem Problem müssen Epidemiolo-
säule überschritt. Ein ganz ähnliches Ergeb-
gen sich immer wieder auseinandersetzen.
nis brachte eine Studie aus Finnland mit
Zu eng sind eine gute Ausbildung und ein
1449 Personen.
höheres soziales Niveau verknüpft mit einer
Vergleicht man dagegen in einer Mo-
zen. Folsäuremangel führt nämlich zu einem Anstieg von Homozystein, und die
gesundheitsbewussten Lebensweise und
mentaufnahme Demenzpatienten und
mit einem höheren Einkommen. Diese
Menschen ohne Gedächtnisprobleme, so
Menschen können sich nicht nur die gesün-
hat die zweite Gruppe durchschnittlich ei-
deren Lebensmittel und die besseren Ärzte
nen höheren Blutdruck und nicht, wie zu
leisten. Sie verfügen einer weithin akzep-
erwarten wäre, niedrigere Werte. Auch
tierten Theorie zufolge auch über die grö-
mangelt es bisher an Beweisen, dass Blut-
ßeren geistigen Reserven. Im Alltagsleben
druck senkende Arzneien die Erkrankungs-
kompensieren sie Schwierigkeiten mit dem
wahrscheinlichkeit beeinflussen können.
Gedächtnis deshalb besser als weniger Ge-
Dies könnte bedeuten, dass hoher Blut-
36
Beobachtungsstudien
führten zu der Überlegung,
Demenzen mit Arzneien oder
Folsäure zu verhindern
Rauchen. Frühere Studien, bei denen rück-
dass sie zwar häufiger an Krebs und Herzlei-
Ob Blutdruck oder Bildung:
Stets suchen Epidemiologen
nach dem Zusammenhang
mit dem Demenzrisiko
solchen Zusammenhang bestätigen: Eine
erfolgreiche Behandlung der Grunderkransenken kann.
Die Analyse von Stammbäumen zählt
zu den ältesten Methoden der Genetik.
Sie hilft, die Weitergabe bestimmter
Erbmerkmale in Familien zu erklären.
Traditionell wird das älteste Elternpaar
nach oben gestellt, die folgenden Generationen auf die Ebenen darunter.
Frauen sind durch einen Kreis mit
Kreuz gekennzeichnet, Männer durch
einen Kreis mit Pfeil. In diesem Stammbaum sind an Alzheimer-Demenz
erkrankte Personen dunkel markiert.
Sehr gut belegt ist der Zusammenhang
bildete. Auch überspielen sie geschickter ih-
druck lediglich die häufige Begleiterschei-
einem sehr moderaten Alkoholkonsum. Mit
re Defizite und entgehen damit den groben
Konzentration dieser Substanz im Blut von
nung eines bislang unbekannten Risikofak-
zunehmender Trinkmenge wächst dann
Tests, mit denen Ärzte Demenzen aufspü-
Alzheimer-Patienten ist gegenüber Gesun-
tors für Demenzen ist.
wieder das Risiko, an einer Demenz zu er-
ren (siehe ab S. 14).
den nahezu verdoppelt. Je mehr Homozys-
Auf das gleiche Problem stoßen Epidemiologen bei der Zuckerkrankheit, dem Di-
kranken, und übertrifft bei starken Trinkern
deutlich dasjenige von Abstinenzlern.
Um die Bedeutung mutmaßlicher
tein, umso schlechter war in einer groß an-
Schutz- und Risikofaktoren zu überprüfen,
gelegten amerikanischen Ernährungsstu-
entwerfen Wissenschaftler Hypothesen
die das Gedächtnis bei Gesunden. Sollten
abetes mellitus. Die Betroffenen erleiden im
Die aussagekräftigsten Studien hierzu
Alter zwei bis drei Mal so häufig eine vasku-
stammen aus dem niederländischen Rotter-
über den Zusammenhang zwischen diesen
sich diese Ergebnisse in weiteren Untersu-
läre Demenz wie der Bevölkerungsdurch-
dam und aus Kanada. Dort reduzierte der
Faktoren und der Krankheit. Diese Hypo-
chungen bestätigen, böte die Ergänzung
schnitt, und auch das Risiko für AD steigt
mäßige Konsum von alkoholischen Geträn-
thesen erlauben Vorhersagen, die mit Expe-
der Nahrung mit Folsäure eine einfache
um ein Drittel bis um das Doppelte. Mole-
ken jedweder Art das Demenzrisiko um an-
rimenten überprüft werden können. Die
und sehr billige Möglichkeit, das Demenz-
kularbiologen erklären dies unter anderem
nähernd 30 Prozent. Aufgeschlüsselt nach
Hypothese „Hohe Blutfettwerte erhöhen
risiko im Alter zu verringern.
37
NEUROBIOLOGIE
NEUROBIOLOGIE
die häufigsten der mehr als 50 verschiede-
verästeln. Vieles deutet darauf hin, dass in
nen Demenzformen zumindest in groben
den Gefäßwänden eine Entzündungsreak-
Zügen nachvollziehen. Die Forscher ken-
tion abläuft, bei der bestimmte Immunzel-
nen die wichtigsten Auslöser und zahlrei-
len, die Makrophagen, sich über Fettabla-
che, eng miteinander verzahnte biochemi-
gerungen hermachen und diese mit ihren
sche Kettenreaktionen, die im „Normalbe-
Stoffwechselprodukten zu so genannten
trieb“ das Lernvermögen, das Gedächtnis
arteriosklerotischen Plaques umformen. Es
und die enorme Anpassungsfähigkeit des
entstehen dabei Verengungen (Stenosen).
Gehirns bis ins hohe Alter gewährleisten.
Um Demenzen besser zu
behandeln, muss man
das Gehirn verstehen,
die komplexeste bekannte
Struktur im Universum
Demenzen lassen sich nach ihren Ursa-
Erstickungstod der Nervenzellen
chen und dem Verlauf der Krankheit in drei
Gruppen einteilen (siehe Grafik S. 41):
Unspezifische Schädigungen des Gehirns
Dort fließt das Blut gegen einen wachsenden Widerstand an. Ständig zerren Strö-
als Folge einer gestörten Blutversorgung
mungswirbel an den Plaques, die dann ab-
sind das Kennzeichen für die verschiedenen
reißen und weiter „stromabwärts“ gelege-
Arten vaskulärer Demenzen.
ne Kapillare verstopfen können. Die umlie-
Spezifische Ablagerungen von Eiweißen
genden Zellen sind damit abgeschnitten
und deren Bruchstücken stören das Zu-
von den Nährstoffen des Blutes und sie „er-
sammenspiel der Nervenzellen und bewir-
sticken“, weil ohne rote Blutkörperchen
ken langfristig deren Untergang. Diese Pro-
auch kein Sauerstoff mehr ankommt. Dieser
zesse können in seltenen Fällen durch Gen-
„ischämischen“ Variante des Schlaganfalls
defekte ausgelöst werden, sind aber nach
steht der „hämorrhagische“ Hirninfarkt
Meinung vieler Forscher meistens eine Be-
gegenüber, bei dem die vorgeschädigten
gleiterscheinung des Alterns.
Blutgefäße aufreißen oder platzen. Auch
Unfälle mit Hirnverletzungen, Infektio-
hier kommt es stromabwärts zum Ersti-
nen, Vergiftungen – etwa bedingt durch
ckungstod der Nervenzellen. Zusätzlich
chronischen Alkoholmissbrauch – und an-
scheinen manche Blutinhaltsstoffe und die
Wissensexplosion im
Forschungslabor
dere äußere Ereignisse können für sich al-
an der Wunde entstehenden Gerinnsel
lein Demenzen verursachen. Solche Um-
auch direkt als Gift auf die benachbarten
welteinflüsse können aber auch bereits vor-
Neuronen zu wirken.
Den Ursachen der Demenzerkrankungen auf der Spur
handene, unmerkliche Schäden verschlim-
Wie eine Lawine verbreitet sich dieser
mern und langsame Krankheitsprozesse
Schaden im Gewebe. In vielen Zellen, die
beschleunigen, sodass sich das Gedächtnis
zwar angeschlagen sind, aber noch über-
verschlechtert und andere Hirnfunktionen
lebensfähig wären, läuft nun ein „Selbst-
beeinträchtigt werden.
mordprogramm“ ab. Manche Experten
In der klinischen Praxis sind diese Verlaufsformen des Demenzdramas mitunter
sehen darin einen Schutzmechanismus des
Gehirns. Um nicht die Funktion ganzer
Schaltkreise zu gefährden, werden sämt-
Dass Autos Pannen haben, Küchengeräte
gen sie über eine vollständige Liste der Ein-
liche mangelhaften Komponenten radikal
ihren Dienst verweigern oder Computer-
zelteile, geschweige denn ihrer Wechsel-
beseitigt. Damit nicht genug: Eine zweite
programme abstürzen, sind Erfahrungen,
wirkungen. Etwa eine Milliarde Hirnzellen
Welle der Zerstörung schwappt durch das
die jeder schon einmal gemacht hat. Nicht
(Neuronen) stecken in den drei Pfund
Gehirn, wenn aus den zerfallenden Neuro-
selten aber weicht Ärger der Bewunderung,
schwammigen Gewebes unter der Schädel-
nen schlagartig große Mengen an Reiz- und
wenn Kfz-Mechaniker oder Servicefach-
decke; sie tauschen elektrische und chemi-
Botenstoffen wie Superoxid und Glutamat
leute das komplexe Innenleben der Geräte
sche Signale mit jeweils bis zu tausend
austreten.
offenlegen, mit geübtem Blick Verbindun-
Nachbarn aus. Das menschliche Gehirn ist
gen zwischen Komponenten prüfen, deren
die komplexeste Struktur des bekannten
Funktion man nicht einmal erahnt, und
Universums. Es verstehen zu wollen sei „fast
schließlich triumphierend auf ein un-
schon frivol“, sagte etwa der Bewusstseins-
scheinbares Kleinteil deuten oder auf die
forscher Prof. Wolf Singer von der Univer-
fehlerhafte Konfiguration der Netzwerkein-
sität Frankfurt noch vor 15 Jahren.
stellungen am PC.
Dennoch verblassen diese Leistungen
38
Doch die Fortschritte der Wissenschaftler sind atemberaubend. In den vergange-
gegenüber dem Versuch, die Ursachen
nen zwei Dekaden haben sie vermutlich
menschlicher Gedächtnisstörungen aufzu-
mehr über das Gehirn gelernt als sämtliche
spüren: Weder kennen Wissenschaftler den
Gelehrten in den Jahrtausenden zuvor.
genauen Bauplan des Gehirns, noch verfü-
Heute kann man den Krankheitsverlauf für
Je nach Umfang und Ort dieser Katastrophen können mehr oder weniger große
In manchen Teilen des Gehirns bilden
sich ständig neue Nervenzellen (rot).
Dass dieser Prozess der Neurogenese
auch bei erwachsenen Menschen stattfindet, ist eine der wichtigsten Entdeckungen der Neurobiologie in den
letzten Jahren. Zahlreiche Forschergruppen arbeiten daran, die natürliche
Neurogenese zu fördern, um durch
Krankheiten ausgefallene oder zerstörte Nervenzellen zu ersetzen.
Hirnregionen zerstört werden und die dort
nur schwer auseinanderzuhalten, weil sie
lokalisierten Funktionen ganz oder teil-
sich wechselseitig beeinflussen können.
weise verloren gehen. Gedächtnisstörun-
Wenigstens bei den vaskulären Demen-
gen können eine Folge solcher Hirninfarkte
zen herrscht Einigkeit über den Ablauf der
sein, aber auch Lähmungen oder Sprach-
Ereignisse: Die Bühne bereiten krankhafte
und Sehstörungen. Nicht selten bilden die-
Veränderungen der Blutgefäße, die sich,
se Defizite sich wieder zurück, weil die ver-
ausgehend von vergleichsweise dicken
bliebenen intakten Hirnregionen teilweise
„Hauptleitungen“, den Herzkranzgefäßen,
bis ins hohe Alter verlorene Fähigkeiten
zu immer feineren Kapillaren im Körper
kompensieren können.
39
NEUROBIOLOGIE
NEUROBIOLOGIE
nannte amyloide Plaques. Deren Haupt-
hat Prof. Christian Haass enthüllt. Der Schü-
bestandteil – das Eiweißfragment mit dem
ler von Konrad Beyreuther ist heute Inhaber
Namen Aß – setzt sich zudem in den Wän-
des Lehrstuhls für Stoffwechselbiochemie
den der Blutgefäße des Gehirns fest und
am Adolf-Butenandt-Institut der Münche-
scheint deren Funktion zu beeinträchtigen.
ner Ludwig-Maximilians-Universität (siehe
Fokus Forschung in diesem Kapitel). Als
Verklumpte Eiweiße im Gehirn
gemeinsamen Nenner für die Bildung amyloider Plaques konnten Haass und andere
Als zweites Merkmal der AD finden sich in
Forscher die vermehrte Bildung einer be-
den Neuronen „neurofibrilläre Bündel“.
stimmten Variante von Aß dingfest machen
Die fadenförmigen Gebilde bestehen zum
– sie heißt Aß42.
Großteil aus dem Eiweiß Tau, und sie treten
Eines der Schlüsselmoleküle bei der
Entstehung der Alzheimer-Demenz
heißt APP (rosa). Es steckt in der Hülle
von Nervenzellen und ist womöglich
an der Signalleitung beteiligt. Verschiedene Enzyme, die wie Scheren arbeiten,
zerlegen APP. Fehler bei dieser Reaktion können zu klebrigen Bruchstücken führen (rot), aus denen steinharte
Ablagerungen entstehen. Im Labor ist
es möglich, diese Reaktionen an Hefezellen in Kulturschalen zu untersuchen (rechts).
nicht nur direkt giftig auf Nervenzellen, sie
Zerfall besonders betroffen sind. Sowohl
sind auch besonders „klebrig“, sodass sich
amyloide Plaques als auch neurofibrilläre
jeweils zahlreiche Aß42-Moleküle in einer
Bündel unterbrechen die Kommunikation
regelmäßigen Struktur zusammenlagern.
und behindern den Stoffwechsel sowie die
Wie Kondensationskeime ziehen diese Ag-
Reparaturmechanismen von Nervenzellen.
gregate andere Moleküle sowie Nervenund Stützzellen an, um letztlich die unter
dem Mikroskop sichtbaren Plaques zu bil-
Außer den „großen“, auffälligen Schlag-
Besonders stark betroffen ist davon die
den. Am Abtransport von Aß ist das so ge-
anfällen sehen Neurologen auf Röntgenbil-
Hirnregion des Hippocampus. Sie ist die
nannte Apolipoprotein E (ApoE) beteiligt.
dern oftmals auch viele kleine zerstörte
Steuereinheit sowohl für das Abspeichern
Dies erklärt, warum Menschen mit unter-
Areale. Sie sind typisch für die Multi-Infarkt-
als auch für das Abrufen von Gedächtnis-
schiedlichen Erbanlagen für ApoE ein ver-
Demenz, bei der eine Reihe kleinerer Ereig-
inhalten. Außerdem ist der Hippocampus
schieden hohes Risiko tragen, im Lauf ihres
nisse im Lauf der Zeit schrittweise und oft
an der Kontrolle der Sprache und der Denk-
Lebens an AD zu erkranken.
unbemerkt die geistigen Leistungen bein-
fähigkeit beteiligt. So verwundert es nicht,
Auch einen Entzündungsprozess hat
trächtigt, bis die Defekte schließlich offen
dass als erstes Anzeichen für eine AD meist
man beobachtet, an dem bestimmte Im-
zutage treten. Eine weitere, noch subtilere
ein schleichender, langsam einsetzender
munzellen des Gehirns (Mikroglia) beteiligt
und schleichend sich entwickelnde Form
Gedächtnisverlust beobachtet wird, gefolgt
sind. Noch ist aber umstritten, ob diese Ent-
der vaskulären Demenz ist die Binswanger-
von einer über mehrere Jahre fortschreiten-
zündung das Anzeichen eines nützlichen
Krankheit. Man sieht sie häufig bei Patien-
den Demenz. Aber nicht nur der kleine Hip-
Reparaturprozesses ist oder ob sie schadet.
ten mit langwährendem Bluthochdruck
pocampus verliert in diesem Zeitraum
und/oder schwerer Arterienverkalkung.
deutlich an Masse, sondern auch die Groß-
Wie die Binswanger-Krankheit entsteht, ha-
hirnrinde – jener Bereich des Denkorgans,
ben Wissenschaftler noch nicht herausge-
in dem die höheren geistigen Fähigkeiten
funden. Aufnahmen mit einem Kernspin-
angesiedelt sind.
2
1
den der Nervenbahnen in tiefer gelegenen
den Verlauf der AD beeinflusst, hat das For3
Der Flächenbrand im Gehirn
40
beitsgruppe für Strukturelle Molekularbio-
ses Leiden klar von anderen vaskulären De-
Diesen zerstörerischen Prozess haben Paul
menzen unterscheidet.
Thompson von der University of California
in Los Angeles und seine Kollegen mit der
scher zur häufigsten Form der Demenz zu-
Magnetresonanztomographie bei lebenden
sammengetragen, zur Alzheimer-Demenz
Patienten eindrucksvoll sichtbar gemacht.
(AD). Hier kann man Entstehungsgeschich-
Sie kombinierten dazu zahlreiche Moment-
te (Ätiologie) und Verlauf (Pathogenese) be-
aufnahmen, die zeigen, dass sich der Gewe-
reits bis in den submikroskopischen Bereich
beverlust wie ein Flächenbrand ausbreitet.
nachvollziehen. Die Forscher kennen die
Jährlich verlieren die Patienten gut fünf
Interaktionen der beteiligten Biomoleküle
sehr genau. Sie wissen auch, wie ein Gendefekt die fein austarierten Wechselwirkungen einzelner Moleküle aus der Balance
scherehepaar Prof. Eckard und Prof. EvaMaria Mandelkow von der Max-Planck-Ar-
Hirnregionen – eine Charakteristik, die die-
Das umfangreichste Wissen haben For-
Entgleisung im Transportsystem
Wie das Protein Tau die Entstehung und
tomographen zeigen jedoch diffuse Schä-
Die Entstehung einiger
Krankheiten können Forscher
mit gestörten Wechselwirkungen zwischen den
Biomolekülen erklären
Diese kleinen Proteinfragmente wirken
massiv in jenen Hirnregionen auf, die vom
Trotz der Vielfalt der Demenz-Krankheiten können diese Leiden in nur drei
Kategorien unterschieden werden: Entweder gehen die Schäden auf verletzte
Blutgefäße zurück (links), oder es bilden sich Ablagerungen verschiedener
Proteine in und zwischen den Nervenzellen (rechts. 1, 2 und 3). Neben diesen
„inneren“ Ursachen können äußere
Einflüsse wie Vergiftungen, Unfälle
oder Infektionen Demenzprozesse auslösen oder verstärken (Mitte).
Deutsche Wissenschaftler waren und sind
logie in Hamburg untersucht. Viele ihrer
maßgeblich daran beteiligt, die natürliche
Einblicke verdanken die Mandelkows einer
Funktion von Aß und Tau im Gehirn zu ent-
einzigartigen Arbeitsumgebung. Sie kön-
rätseln. So hat Prof. Konrad Beyreuther vom
nen nämlich quasi im Keller ihres Instituts
Zentrum für Molekulare Biologie in Heidel-
hochintensive Röntgenstrahlung nutzen,
berg mit Kollegen vom Europäischen Labo-
die der Teilchenbeschleuniger DESY (Deut-
ratorium für Molekularbiologie (EMBL) und
sches Elektronen-Synchrotron) produziert.
mit dem australischen Wissenschaftler Col-
Das physikalische Messinstrument lässt
lin Masters herausgefunden, dass Aß das
sich auch als eine Art Molekularmikroskop
Prozent ihrer Hirnmasse, in den für das Ge-
Abbauprodukt eines größeren Moleküls ist,
benutzen. Eckard Mandelkow setzte es da-
dächtnis relevanten Regionen sind es sogar
des Amyloid-Vorläuferproteins APP. Dieses
zu ein, Proteinkomplexe von wenigen Milli-
zehn Prozent pro Jahr.
steckt wiederum in der Zellhülle von
onstel Millimeter Größe bei der Arbeit zu
Nervenendigungen, wo es vermutlich an
zeigen, die den Materialtransport im Inne-
Könnte der Arzt zu diesem Zeitpunkt das
bringt und zu schädlichen Ablagerungen
Gewebe unter dem Mikroskop betrachten,
der Übertragung von Signalen beteiligt ist
ren der Nervenzellausläufer (Axone) er-
führt. Diese wiederum ziehen den Tod von
würde er mit bestimmten Färbetechniken
(siehe Grafik S. 40).
möglichen. „Wie eine Lokomotive zieht das
Nervenzellen und massive anatomische
zwei verschiedene Arten von Ablagerungen
Veränderungen nach sich.
sehen: Zwischen den Zellen liegen so ge-
Viele Details, wie APP zu Aß verarbeitet
wird und was dabei alles schief gehen kann,
Eiweiß Kinesin Lasten entlang der ‚Gleise’
im Inneren der Axone“, erläutert der For-
41
NEUROBIOLOGIE
NEUROBIOLOGIE
FOKUS FORSCHUNG
scher anhand einer Computersimulation.
Zwar mit geringerer Auflösung, dafür aber
in Echtzeit, hat Eva-Maria Mandelkow diesen Vorgang mithilfe der Videomikroskopie gefilmt.
Tau stabilisiert das zelluläre Transportsystem, indem es dessen „Gleise“ (Mikrotubuli) zusammenhält. Bei der AD scheint Tau
chemisch verändert zu sein, sodass einzelne
längliche Tau-Moleküle sich umeinanderwickeln und dabei faserförmige „Fibrillen“
bilden. Der exakt austarierte Materialfluss
im zellulären Transportsystem kann dadurch aus dem Gleichgewicht geraten. Es
kommt zu Staus, Unterversorgung und zu
„Entgleisungen“, wenn die Mikrotubuli
„Wir forschen, weil es Spaß macht“ – mit dieser Devise war Prof.
Christian Haass bislang sehr erfolgreich. Der Inhaber des Lehrstuhls
Aus dem Gehirn einer Maus (links) können Forscher gezielt einzelne Eiweiße
isolieren und deren Menge mit einem
so genannten Immunassay (Mitte) bestimmen. Durch den Vergleich der Proteinausstattung gentechnisch veränderter Tiere mit normalen Artgenossen
(rechts) können Wissenschaftler überprüfen, ob ihre Eingriffe ins Erbgut erfolgreich waren.
auseinanderfallen. Die immer weiter wachsenden Aggregate aus Tau unterbrechen
letztlich auch die Kontakte zwischen den
netzartig miteinander verknüpften NerMolekül („Aph-1“) einschleusten, bis die Schere endlich komplett
war und funktionierte. „Mit dem Erreichen unseres Traumziels hat-
venzellen.
Um die entscheidenden Schritte zu er-
ten wir die Gamma-Sekretase totgeforscht“, sagt Haass im Rück-
mitteln, mit denen diese Katastrophe be-
blick. Was Haass „totforschen“ nennt, bedeutet tatsächlich, dass es
ginnt, haben Eva-Maria und Eckard Man-
ihm und seinen Kollegen gelungen war, einen grundlegenden Pro-
delkow den Einfluss der sechs verschiede-
zess bei Demenzerkrankungen bis hinunter zu den molekularen
nen Varianten und mehr als 20 Modifikatio-
genen 15 Jahren mehrfach gelungen, wichtige Entdeckungen in
Bestandteilen nachzuvollziehen und so Angriffspunkte für neue
nen des Tau-Proteins auf den axonalen
den angesehensten Wissenschaftsjournalen zu veröffentlichen. Im
Heilmittel zu definieren.
Transport genauestens studiert. Dabei stie-
für Stoffwechselbiochemie am Adolf-Butenandt-Institut der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität zählt auch international zu
den renommiertesten Alzheimer-Forschern.
Trotz seines jungen Alters ist es dem Mittvierziger in den vergan-
Mittelpunkt dieser Arbeiten standen zwei Gene – genannt Präseni-
Die Arbeit geht ihm dennoch nicht aus. Neue Ideen reifen, wäh-
ßen sie auch auf Wechselwirkungen zwi-
lin 1 (PS1) und Präsenilin 2 (PS2). Deren Beschädigung führte bei
rend er vom achten und obersten Stockwerk seines Instituts in Rich-
schen Tau und einer ganzen Proteinfamilie,
mehreren Familien zum Ausbruch der Alzheimer-Demenz noch vor
tung Alpen schaut. Zum Beispiel gibt es da noch das zweite Scheren-
den Kinasen. Manche dieser Kinasen verän-
dem 40sten Lebensjahr. Heute weiß man, dass beide Gene nötig
sind, um jene klebrigen Proteinfragmente (Aß) zu bilden, die sich zu
den steinharten Ablagerungen („amyloide Plaques“) im Gehirn von
Alzheimer-Patienten vereinen und so die Zellen abtöten. PS1 und
PS2 sind Bauanleitungen für Bestandteile einer „molekularen Schere“, der Gamma-Sekretase. Eine weitere Schere, die Beta-Sekretase,
schneidet zusammen mit der Gamma-Sekretase das Eiweißbruch-
dern spezifisch die Aktivität von Tau und
Das Klappern
der Molekülscheren
könnten ein lohnendes Ziel sein für die Entwicklung neuer Arzneien, glauben viele
Forscher. In Hamburg setzen die Mandelkows jedoch auf eine andere Strategie: Sie
wollen die Verklumpung einzelner Tau-Mo-
Der Alzheimer-Forscher Christian Haass
löste das Rätsel der Gamma-Sekretase
leküle zu Bündeln verhindern, ein Vorgang,
der sich mit einem von der Arbeitsgruppe
stück Aß aus einem Vorläufermolekül heraus.
entwickelten Test genau messen lässt.
„Mit der Entdeckung der beiden PS-Gene war man an den Kern
Dies ist die Grundlage für die Zu-
der Alzheimer-Erkrankung und ihrer grundlegenden Mechanismen
vorgedrungen“, erklärt Haass. Ein weiteres Detail enthüllte der
Leibnizpreisträger im Jahr 2002 mit seinen Kollegen Dieter Edbauer
Wichtige Fragen zu den Schlüsselmolekülen der Alzheimer-Demenz hat Christian Haass mit
Mäusen und Hefezellen geklärt. Jetzt sollen Zebrafische weitere Antworten liefern.
sammenarbeit mit mehreren Pharmafirmen, bei der man bereits 200 000 Substanzen auf ihren Nutzen als „Aggrega-
und Harald Steiner: Ein Protein namens Nicastrin ist nötig, damit
die Gamma-Sekretase funktionieren kann. „Wie eine Schraube hält
molekül, die Beta-Sekretase. Deren Funktion will Haass jetzt an Ze-
tionshemmer“ überprüft hat. Immerhin 60
Nicastrin die beiden Hälften der Schere zusammen“, so Haass. Des-
brafischen genau aufklären. Dann ließen sich mögliche Hemmstof-
Kandidaten zeigten die gewünschte Eigen-
halb sei Nicastrin auch ein wichtiges Zielmolekül für die Entwick-
fe für dieses Molekül erproben und ungeeignete Kandidaten vor ei-
schaft, die krankhafte Verklumpung des
lung von Anti-Alzheimer-Medikamenten.
ner Erprobung am Menschen aussortieren, weil man Nebenwirkun-
Tau-Proteins zu verhindern, wie Eckard
Längst hat Haass ein enges Netz von Kontakten geknüpft. Nur so
gen frühzeitig erkennen würde. „Ein tolles Modell“, begeistert er
Mandelkow zufrieden meldet. Jetzt sucht
behält der Hobby-Ornithologe den Überblick über all die Versuche,
sich über seine neue Versuchstierart. Noch ist diese Abteilung im
man nach Partnern aus der Industrie, die
die Entstehung und den Verlauf der Alzheimer-Demenz zu beein-
Aufbau, doch werde man am Ende 800 Becken für die Zebrafische
helfen könnten, die Substanzen zu Medika-
flussen. „Seine“ Präseniline wären dafür keine geeigneten Angriffs-
im Keller haben. „Ein gigantisches Projekt, das nur mit Hilfe des
menten weiterzuentwickeln.
punkte, fürchtet er. PS1 und PS2 sind nämlich auch an der Embryo-
Leibnizpreises und eines Sonderforschungsbereichs der Deutschen
nalentwicklung beteiligt, wie Haass in Zusammenarbeit mit Ralf
Forschungsgemeinschaft möglich war“, bedankt sich Haass bei
Alzheimer-Forscher mehr oder weniger ge-
Baumeister vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried
seinen Förderern. Dann sprudeln weitere Ideen hervor. Die Zebra-
spalten in zwei „feindliche“ Lager, die je-
zeigen konnte. Das Puzzle vervollständigten die Forscher im Jahr
fische, ahnt der Besucher, werden bestimmt nicht das letzte Projekt
weils Tau oder Aß als den einzig wahren
2003, als sie in Hefezellen PS1, Nicastrin und schließlich ein weiteres
sein, mit dem dieser Forscher „einfach total viel Spaß hat“.
Grund allen Übels bei der AD ansahen. In-
42
Noch vor fünf Jahren war das Lager der
43
NEUROBIOLOGIE
NEUROBIOLOGIE
zwischen haben sich die mitunter scherz-
Bild bestimmen, sind die Multiple System-
haft als Tau-isten und Bap-tisten (nach dem
Atrophie sowie die Demenz vom diffusen
Beta-Amyloid-Protein) bezeichneten An-
Lewy-Körperchen Typ.
hänger beider Glaubensrichtungen ver-
Eva-Maria und Eckart Mandelkow
(links) erforschen seit vielen Jahren gemeinsam Transportvorgänge in Nervenzellen. Dazu beschießen sie Proteinkristalle mit hochintensiven Röntgenstrahlen (Mitte links). Es entstehen
Beugungsmuster, aus denen man die
Struktur der Proteine in atomarer Auflösung (oben) errechnen kann. Mit
gentechnischen Methoden können die
Forscher außerdem zahlreiche Proteinvarianten herstellen und im Elektronenmikroskop betrachten (rechts).
Letztere gilt als Variante der Alzheimer-
söhnt. Auch hat man mehrere Berührungs-
Krankheit, doch leiden die Patienten auch
punkte gefunden, an denen sich die beiden
unter Parkinson-ähnlichen Bewegungsstö-
Krankheitsprozesse wechselseitig beein-
rungen. Beim Morbus Pick, der nach dem
flussen und verstärken.
Ort der Ablagerungen auch als Frontotem-
heben können. Kryptokokken, Borrelien,
BSE, die „fatale familiäre Schlaflosigkeit“ so-
Meningokokken und Tuberkulosebazillen
wie das Gerstmann-Sträussler-Scheinker-
sind weitere Erreger, die ebenfalls das Ge-
Syndrom (GSS). Bei all diesen Leiden ist der
hirn befallen und bleibende Gedächtnis-
Verlust der Denkfähigkeit und des Gedächt-
schäden verursachen können, wenn sie
nisses der gemeinsame Nenner.
nicht rechtzeitig erkannt und behandelt
werden.
Prion-Proteine können
Demenzen übertragen
porale Demenz bezeichnet wird, liegen die
Proteinablagerungen als
gemeinsames Motiv
menschliche Variante der Rinderseuche
Schläge auf den Kopf oder Stürze können ebenfalls Auslöser einer Demenz sein.
Das wohl bekannteste Beispiel dafür ist die
Aggregate aus Tau und einem weiteren EiKrankheitserregende Prion-Proteine sind
Boxer-Krankheit Dementia pugilistica. Die
die einzigen bislang bekannten infektiösen
Schwere des Syndroms hängt unmittelbar
Die AD ist nicht die einzige „Ablagerungs-
Eiweiße. Sie vermehren sich, indem sie sich
von der Dauer der Boxerkarriere und der
krankheit“. Auch bei der zweithäufigsten
an natürlich vorkommende, harmlose
Zahl der Faustkämpfe ab.
neurodegenerativen Erkrankung, dem
Prion-Proteine anlagern, die in Hirnzellen
Morbus Parkinson, bilden sich Ablagerun-
von Säugetieren vermutlich eine Schlüssel-
und Größe die Art der Ausfallerscheinun-
gen im Gehirn. Sie bestehen aus dem Pro-
rolle bei der Gedächtnisbildung spielen. Die
gen beim Patienten. Oft kommt es zu
tein Alpha-Synuklein, das aus bisher nicht
infektiösen Prionen erzwingen bei ihren
Krämpfen, doch können auch Gedächtnis-
verstandenen Gründen plötzlich seine
Bindungspartnern eine Strukturänderung.
probleme auftreten – vor allem wenn die
Struktur verändert und von einem leicht
Diese Abwandlung der räumlichen Mole-
Geschwüre im Stirn- oder Schläfenlappen
löslichen Zustand übergeht in sich schnell
külstruktur macht die Partner ebenso
wachsen.
verklumpende Eiweißteilchen. Diese sind
„klebrig“ wie etwa die krankmachenden
weiß, Ubiquitin, im Stirnhirn. Dessen Be-
die wichtigsten Bestandteile von Aggrega-
schädigung führt zu gravierenden Persön-
ten, die nach ihrem Entdecker auch als Le-
lichkeitsstörungen. Die geistigen Fähigkei-
wy-Körperchen bezeichnet werden und die
ten bleiben zunächst weitgehend erhalten,
sich sowohl in der Zellflüssigkeit (dem Zyto-
erst im Spätstadium zeigt auch der Morbus
plasma) als auch den kurzen „Ärmchen“ der
Pick die typischen Symptome einer De-
Neuronen ablagern.
menz. Das Leiden wird häufig als Alzhei-
Bewegungsstörungen sind zwar meist
die ersten und für die Diagnose des Morbus
mer-Demenz fehldiagnostiziert, mitunter
auch als Depression oder Schizophrenie.
Das Eiweiß Tau – links in Kristallform
unter dem Polarisationsmikroskop –
kommt in Dutzenden verschiedener
Varianten vor. Sie stabilisieren und organisieren die Mikrotubuli, eine Art
Transportsystem in den Fortsätzen der
Nervenzellen. Manche Formen von Tau
können sich aber auch zu fadenförmigen Fibrillen zusammenlagern (oben).
Die Folge ist ein „Verkehrsstau“ in den
Fortsätzen. Es bilden sich massive Verklumpungen, die zum Untergang der
Nervenzellen führen.
AIDS und Alkohol,
Boxkämpfe und BSE-Erreger
schädigen auf verschiedene
Weise das Gedächtnis
und das Denkvermögen
Bei Hirntumoren bestimmt deren Lage
Als Folge einer Vergiftung interpretie-
Varianten der Proteine Aß und Tau bei der
ren Wissenschaftler solche Demenzen, die
Alzheimer-Demenz.
nach lang anhaltendem Alkoholmiss-
Auch AIDS ist eine Infektionskrankheit,
brauch auftreten. Dabei spielt wohl auch
die das Gehirn befallen und Demenzen ver-
die Fehlernährung der Betroffenen eine
ursachen kann. Die genauen Mechanismen
Rolle, insbesondere ein Mangel an B-Vita-
sind noch nicht bekannt, doch scheint der
minen. Zu wenig Vitamin B1 verursacht die
Schaden entweder von Stoffwechselpro-
Wernicke-Enzephalopathie, die nicht nur
dukten der HI-Viren oder von Signalmole-
bei Alkoholikern auftritt. Hier scheint der
külen der infizierten Immunzellen verur-
Gedächtnisverlust Folge einer Schädigung
Parkinson ausschlaggebenden Krankheits-
Wie ein roter Faden wird das Leitmotiv
zeichen; früher oder später erleiden jedoch
der verklumpenden Eiweiße auch bei weite-
sacht zu werden. Die gute Nachricht ist,
des Zwischenhirns zu sein. Wird sie recht-
auch diese Patienten eine Demenz. Misch-
ren neurodegenerativen Erkrankungen wie
dass mittlerweile – zumindest für AIDS-Pa-
zeitig mit Infusionen oder Spritzen des feh-
formen zwischen AD und Parkinson sind in
der Huntington-Krankheit (dem „erblichen
tienten in der westlichen Welt – hochwirk-
lenden Vitamins B1 bekämpft, ist diese De-
der Praxis annähernd so häufig wie die vas-
Veitstanz“) und den sehr seltenen „Prionen-
same Arzneimittelkombinationen verfüg-
menz umkehrbar; unbehandelt führt sie
kulären Demenzen. Weitere Demenzen, bei
Krankheiten“ sichtbar. Dazu gehören die
bar sind, die das Virus in Schach halten und
aber zum Korsakoff-Syndrom, das tödlich
denen Alpha-Synuklein-Ablagerungen das
Creutzfeld-Jakob-Krankheit (CJD), die
die kognitiven Ausfälle der Betroffenen be-
sein kann.
44
45
SCUTZFAKTOREN & VORBEUGUNG
SCHUTZFAKTOREN & VORBEUGUNG
Ein Wall
gegen das Vergessen
Strategien, die das Gehirn vor Schäden bewahren
Mithilfe einer Untersuchung an
Ordensschwestern geht der Münchener
Epidemiologe Horst Bickel dem
Zusammenhang nach zwischen dem
Bildungsgrad und der Wahrscheinlichkeit für eine Person, im höheren
Alter an einer Demenz zu erkranken.
Gehirnjogging und Gedächtnistraining, Vi-
stimmen viele Untersuchungen darin über-
dungen zwischen den Nervenzellen bilden.
mogen ist. Der ansonsten naheliegende
tamine und Hormonersatz, körperliche Fit-
ein, dass Menschen mit höheren Bildungs-
Geht eine einzelne Nervenzelle oder ein
Einwand, wonach verdeckte, aber mit dem
ness und soziales Engagement – die Ange-
abschlüssen ein geringeres Erkrankungs-
Zellverband zu Grunde, bleiben dennoch
Bildungsgrad parallel laufende Faktoren ei-
botspalette von „Tipps und Tricks“ gegen
risiko tragen als ansonsten vergleichbare –
genügend Zellkontakte über andere Ner-
nen kausalen Zusammenhang zwischen Bil-
das Vergessen, von „leistungsfördernden“
etwa gleichaltrige – Menschen, die nur
venzellen bestehen, sodass mit dem Abster-
dung und Demenz nur vorgaukeln, greift
Diäten und Dragees ist riesengroß. Tatsache
über einen Hauptschulabschluss verfügen.
ben einer bestimmten Zahl von Nervenzel-
daher bei dieser sehr gleichartig lebenden
Gruppe von Frauen nicht.
ist, dass keine einzige Strategie in der Lage
Dieses Phänomen tritt bei vielen Erkran-
len nicht unbedingt die von diesen Zellen
ist, einen Menschen hundertprozentig vor
kungen auf und fast immer wird dann über
erbrachte geistige Leistung – etwa ein be-
einer Demenz zu schützen. Eine dem Impf-
die entscheidende Frage gestritten, ob ein
stimmter Gedächtnisinhalt – verloren geht.
um den Psychiater Alexander Kurz und den
schutz gegen Infektionen vergleichbar zu-
höherer Bildungsstand ursächlich vor die-
Neurowissenschaftler sprechen in diesem
Epidemiologen Horst Bickel von der Techni-
verlässig wirkende Methode zur Vorbeu-
ser Krankheit schützt oder ob nicht viel-
Fall von der höheren Reservekapazität,
schen Universität in München einen ähn-
gung gibt es bei Demenzen nicht.
mehr Personen mit höherer Bildung gesün-
über die ein Mensch mit einem „trainier-
lichen Ansatz gewählt und kürzlich eine
der leben oder sich einen besseren Gesund-
ten“, aktiveren Gehirn verfügt.
Studie an fast 450 älteren Ordensmitglie-
Das heißt nun umgekehrt nicht, diesen
Erkrankungen schicksalhaft ausgeliefert zu
sein. Im Gegenteil, Forscher haben mehrere
heitsschutz leisten können.
Für letzteres spricht, dass eine Reihe von
Dieses Phänomen beweist nun keines-
Ein „trainiertes“ Gehirn
besitzt eine größere Reservekapazität. Schäden an
Nervenzellen könnten sich
dadurch erst später auswirken
In Deutschland hat eine Forschergruppe
dern der Armen Schulschwestern von unse-
wegs einen ursächlichen Zusammenhang
rer Lieben Frau begonnen. Noch ist diese
zwischen Bildung und dem Auftreten einer
Arbeit nicht abgeschlossen, doch auch das
Demenz, doch es zeigt zumindest, dass es
Münchener Team stieß auf einen deut-
neuronale Unterschiede in Gehirnen gibt,
lichen Zusammenhang zwischen Bildungs-
die demenzbedingte Ausfälle der Hirnleis-
grad sowie beruflicher Tätigkeit der Or-
tung im einen Fall früher und im anderen
densschwestern mit ihrem Risiko, an einer
Fall erst später deutlich werden lassen.
Demenz zu erkranken.
Antworten aus dem Kloster
ten und Schulen. Daher verfügen viele Frau-
beeinflussbare Risikofaktoren dingfest ge-
Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder zu
macht, die die Wahrscheinlichkeit erhö-
hohe Blutfettwerte – mithin Faktoren, die
hen, im späteren Lebensalter eine Demenz
durch die Lebens- und Ernährungsweise
zu entwickeln (siehe ab S. 32). Es liegen zu-
mitbestimmt werden – das Erkrankungsrisi-
dem Untersuchungen darüber vor, welche
ko vor allem für vaskuläre Demenzen er-
Faktoren und Lebensumstände mit einem
höht. Und viele epidemiologische Untersu-
unterdurchschnittlich geringen Erkran-
chungen ergaben, dass sich besser gebilde-
kungsrisiko für Demenzen einhergehen. Ob
te Menschen (zumindest im Durchschnitt)
diese ursächlich als „Schutzfaktoren“ wir-
gesünder ernähren und gesundheitsbewus-
ken und so einer Demenz vorbeugen oder
ster leben. Der höhere Bildungsgrad wirkt
Findige Wissenschaftler haben darüber
geschlossene Lehrerausbildung. Daneben
ob sie lediglich mit einem noch nicht er-
also nicht direkt schützend, sondern er
hinaus versucht, dem Zusammenhang von
gibt es Kindergärtnerinnen, Heimerziehe-
kannten ursächlichen Schutzprozess paral-
sorgt nur dafür, dass krankheitsbegünsti-
Bildung und geistiger Aktivität mit dem De-
rinnen und Schwestern mit einer hand-
lel einhergehen, ist oft nicht klar. Trotzdem
gende Risiken gemieden werden.
menzrisiko auf andere Weise auf die Spur
werklichen Ausbildung. Und es gibt
zu kommen. So haben vor kurzem US-ame-
Schwestern, die vor allem mit hauswirt-
mehren sich die Hinweise, dass jeder sein
Bei der Suche nach dem Zusammen-
Der Orden unterhält Heime, Kindergären dieses Ordens über Abitur und eine ab-
persönliches Risiko für ein späteres Auftre-
hang zwischen Demenzrisiko und Bildungs-
rikanische Epidemiologen eine Studie an
schaftlichen Aufgaben betraut sind. Diese
ten einer Demenz beeinflussen kann.
grad fanden Forscher allerdings auch Hin-
Ordensschwestern vorgelegt und darin
Frauen haben, wie die überwiegende Mehr-
weise dafür, dass es über die vermittelten
ebenfalls einen spürbaren Einfluss des Bil-
heit in dieser Generation, lediglich die
Effekte hinaus einen ursächlichen Zu-
dungsgrads dieser Frauen auf deren Erkran-
Volksschule besucht und zumeist keine for-
sammenhang gibt. Höhere Bildung und ein
kungsrisiko für Demenzen festgestellt. Sie
male Berufsausbildung durchlaufen.
Einer der Faktoren, denen seit langer Zeit
höheres geistiges Leistungspotenzial füh-
wählten hierfür Ordensschwestern aus,
eine Schutzwirkung vor Demenzen zuge-
ren zu mehr intellektuellen Aktivitäten, so
weil die Lebensführung und Ernährungs-
menzkranken bei allen Ordensschwestern
sprochen wird, ist der Bildungsgrad. So
dass sich im Gehirn deutlich mehr Verbin-
weise in dieser Gruppe ausgesprochen ho-
mit dem Alter steil an. Doch betrachtet man
Bildung und Demenz
46
Die Freizeit im Rentenalter
lustvoll erleben, mit Beschäftigungen
ausfüllen, die man selbst als sinnvoll
betrachtet und die einem Befriedigung
verschaffen – dies bekommt
einem besser als stures Gehirnjogging.
Wie erwartet stieg der Anteil der De-
47
SCHUTZFAKTOREN & VORBEUGUNG
SCHUTZFAKTOREN & VORBEUGUNG
Ältere Menschen verfügen heute in
der Regel über eine deutlich höhere
körperliche wie geistige Fitness als
Gleichaltrige, die vor 40 oder 50
Jahren gelebt haben. Dieses Potenzial
gilt es rechtzeitig zu nutzen.
Seniorensportgruppen bieten
inzwischen fast die gesamte Palette
an körperlichen Betätigungen an.
Selbst Trendsportarten wie das
Inline-Skating dürfen da nicht fehlen.
Dinge tun, die Spaß machen, anstatt
zwanghaft ein geistiges Übungsprogramm zu absolvieren, ist die
bessere Strategie, um auch im Alter
geistig rege zu bleiben.
Ob nun Schnelligkeit und taktisches
Gespür oder der Mut zum Umgang mit
neuen Technologien gefragt ist, die
Beschäftigungsangebote für ältere
Menschen sind nahezu unbegrenzt.
das relative Risiko, eine Demenz zu ent-
funktionalen Unterschieden im Gehirn der
kussion um die Rolle der Ernährung. In dem
sätzlichen Schutz vor der zerstörerischen
Hopkins Bloomberg School of Public Health
NSAR das Auftreten von Demenzen verzö-
wickeln, so zeigt sich, dass in den einzelnen
Frauen zu suchen, die das spätere Erkran-
Kapitel ab S. 32 wird der Folsäuremangel
Arbeit der freien Radikale bieten.
bringt den Wirrwarr auf den Punkt: „Der
gern oder verhindern können. Die meisten
Altersklassen Schwestern mit Volksschulab-
kungsrisiko für eine Demenz beeinflussen.
und damit einhergehend der Überschuss an
Gebrauch von Antioxidantien könnte eine
Wirkstoffe dieser Gruppe greifen nämlich
schluss häufiger erkrankt sind als Schwestern mit Abitur. Gruppiert man die Schwes-
Aktiv sein lohnt sich in jedem Fall
tern nach ihrer Berufstätigkeit, so ergeben
In der auf S. 36/37 angesprochenen „Rot-
körpereigenem Homozystein als ein mög-
terdam-Studie“, in der Forscher die Rolle
attraktive Strategie sein, um Alzheimer vor-
an einer bestimmten Stelle der Entzün-
licher Risikofaktor diskutiert, der sich durch
verschiedener Schutz- und Risikofaktoren
zubeugen. Bevor wir das mit Sicherheit sa-
dungskaskade ein. Und – so dachte man –
eine entsprechende Beimengung von Fol-
bei fast 7000 Teilnehmern im Alter von min-
gen können, brauchen wir jedoch weitere
dieser Effekt bremse auch den Nervenzell-
säure zu Lebensmitteln verringern ließe.
destens 55 Jahren unter die Lupe nahmen,
groß angelegte Untersuchungen.“
untergang durch die diversen Ablagerun-
sich zwei Befunde: Lehrerinnen im Orden
Unabhängig davon, ob, wann und wie sich
tragen altersabhängig ein vergleichbares
ein ursächlicher Zusammenhang zwischen
Erkrankungsrisiko wie Schwestern, die als
Demenzrisiko und Faktoren wie Bildungs-
rungsweise auf das Risiko, Herz-Kreislauf-
höchsten Vitamin E-Einnahme unter den
Kindergärtnerinnen, Pflegerinnen oder
grad oder geistiger Regsamkeit beweisen
erkrankungen zu erleiden. Bluthochdruck
Studienteilnehmern unterlagen dem ge-
Handwerksmeisterinnen arbeiten. Haus-
lässt, sind sich Neurowissenschaftler darü-
und zu hohe Blutfettwerte sind denn auch
ringsten Alzheimer-Risiko; vor allem Rau-
Eine Gruppe entzündungshemmender Me-
tionen beobachtbar, die für Entzündungs-
wirtschaftlich tätige Schwestern ohne for-
ber einig, dass sich das möglichst lebens-
neben bestimmten genetischen Ausprä-
cher schienen von der Einnahme von Vita-
dikamente, die als nichtsteroidale Anti-
vorgänge typisch sind. Die dabei auftreten-
male Berufsausbildung unterliegen indes
lang anhaltende Bemühen um „intellek-
gungen diejenigen Risikofaktoren, die am
min C, Beta-Karotin und so genannten Fla-
rheumatika (NSAR) bezeichnet werden,
den schädigenden Prozesse – so die Theorie
einem erheblich höheren Demenzrisiko als
tuelle Fitness“ im Alter genauso „auszahlt“
überzeugendsten mit dem Erkrankungsrisi-
vonoiden zu profitieren.
könnten vor einer Demenz im höheren
weiter – würden durch NSAR unterbunden
ihre ausgebildeten Mitschwestern.
wie ein regelmäßiges körperliches Training.
ko für Demenzen in Verbindung gebracht
Alter schützen. Es handelt sich dabei um
oder zumindest gebremst.
Der Münchener Demenz-Experte Hans
werden konnten.
Kurz und Bickel vertieften diese Analyse
um einen Schritt: Sie unterschieden bei den
Förstl warnt indes davor, sich selbst ein spe-
Schwestern ohne Berufsabschluss solche,
zielles „Anti-Alzheimer-Programm“ zu ver-
die niemals während ihrer Berufstätigkeit
ordnen: „Es wäre vollkommen falsch, sich
eine leitende Funktion – etwa als Hausobe-
auf bestimmte geistige Übungen zu verstei-
rin – ausgeübt hatten, von solchen, die von
Sicher belegt ist der Einfluss der Ernäh-
Hilfe aus dem Einkaufskorb
gen, die bei Demenzen auftreten. So sind
zeigte sich folgendes Bild: Personen mit der
Zuvor veröffentlichten indes finnische
Schutz aus der Hausapotheke
derem auch immunologische Abwehrreak-
Forscher ein entgegengesetztes Ergebnis:
Schmerzmittel mit Wirkstoffen wie Ibupro-
In ihrer Studie erhöhten hoch dosiert verab-
fen oder Acetylsalicylsäure.
reichte Vitamine C und E die Gesamtsterb-
bei Menschen mit einer Demenz unter an-
Aufmerksam auf diese chemisch sehr
Nur, wenn dies tatsächlich der Wirkhebel der NSAR bei Demenzen ist, dann sollten alle Medikamente mit diesem Wirk-
lichkeit von Rauchern. Zwischen diesen sich
heterogene Arzneimittelgruppe wurden
mechanismus auch denselben Schutz bie-
Die Frage ist nur, ob man über die kluge Zu-
widersprechenden Ergebnispolen ordnet
Demenzforscher zu Beginn der 1990er-Jah-
ten. Das ist aber nicht der Fall. Neuere
fen, die einem gar keinen Spaß machen. Gut
sammenstellung des Speiseplans hinaus
sich der Befund der britischen „Heart Pro-
re. Damals ergab sich als „Nebenprodukt“
Untersuchungen deuten auf einen anderen
der Ordensgemeinschaft in diese Funktio-
ist hingegen alles, was die geistige Leistung
„Gesundheit essen“ kann. Glaubt man den
tection Study“ ein. In dieser Untersuchung
einer Studie an Rheumapatienten, dass die-
Mechanismus bestimmter NSAR hin: Einige
nen gewählt worden waren. Erneut zeigten
auf angenehme, interessante und lustvolle
Werbeversprechen vieler Vitaminherstel-
erhielten mehr als 20 000 Teilnehmer über
se dann auffallend selten an einer Alzhei-
bremsen offenbar die Bildung des an der
sich Unterschiede: Das Ausüben einer lei-
Art anregt.“
ler, so sollten hoch dosierte Vitaminpräpa-
fünf Jahre hinweg antioxidativ wirkende Vi-
mer-Demenz litten, wenn sie ihre entzünd-
Plaqueentstehung bei vielen Demenzen be-
rate wahre Wunder vollbringen. Die meis-
tamine. Auf die Häufigkeit von Demenzen
liche und chronische Erkrankung mit NSAR-
teiligten Eiweißes Aß. Andere NSAR-Medi-
ten Wissenschaftler sind indes skeptisch.
wirkte sich dies jedoch nicht aus.
Medikamenten linderten. In den Folgejah-
kamente haben diesen Effekt nicht.
tenden Funktion im mittleren Lebensalter
Für den einen kann das etwa bedeuten,
war mit einem geringeren Erkrankungsrisi-
die neu gewonnene Freizeit im Rentenalter
ko im höheren Alter verknüpft.
zu nutzen, um endlich die Sprache des Lieb-
Unbestritten ist folgender Zusammen-
Noch vertrackter wird die Beurteilung
ren berücksichtigten Epidemiologen bei
Dieses Beispiel zeigt, wie vorsichtig For-
lingsreiselands zu erlernen, die andere
hang: Bestimmte Vitamine – es handelt sich
der „Radikalenfänger“, wenn man berück-
der Datenerhebung zu Studien, in denen sie
scher zu Werk gehen müssen, um nicht fal-
Vorhandensein solcher Verknüpfungen –
schafft sich dagegen einen PC an, um mit
vor allem um die Vitamine C, E und Beta-
sichtigt, dass man diese Vitamine entweder
die Rolle möglicher Risiko- und Schutzfak-
sche Schlüsse zu ziehen. Auch wenn es loh-
statistisch gesprochen handelt es sich um
Gleichgesinnten zu chatten und den Enkeln
Karotin – wirken als „Radikalenfänger“.
über entsprechende Nahrungsmittel oder
toren untersuchten, auch den Gebrauch
nend erscheint, die „NSAR-Spur“ weiter zu
Korrelationen – als Beweis für eine ursäch-
E-Mails zu schicken. Hans Förstls Fazit:
Freie Radikale – ein Begriff aus der Chemie –
als hoch dosiertes Präparat zu sich nehmen
dieser Entzündungshemmer. Dabei ergab
verfolgen, ist es noch zu früh, gesunden
lich schützende Funktion von Bildung und
„Heute haben alte Menschen – egal, ob mit
sind besonders reaktionsfreudige Moleküle.
kann. So kamen die Autoren einer Studie
sich folgendes Bild: In der Mehrzahl der Stu-
Menschen eine „Demenz-Prophylaxe“ mit
beruflicher Aktivität zu interpretieren.
65 oder 85 Jahren – eine ganz andere kör-
Im Körper erhöhen sie den so genannten
aus Chicago zu dem Schluss, dass nur die
dien reduzierte die Einnahme dieser Medi-
NSAR zu empfehlen. Nicht nur viele Fragen
Doch die besonderen, sehr homogenen Le-
perliche und geistige Ausstattung als die-
oxidativen Stress und richten dadurch viele
„natürlichen“ Vitamine in der Nahrung vor
kamente das spätere Demenzrisiko.
zum Wirkmechanismus, dem Einnahme-
bensverhältnisse dieser Frauen erlauben es,
jenigen, die vor 50 Jahren dieses Alter er-
Schäden an und in den Zellen an. Vor allem
einer Demenz schützen, nicht aber die syn-
den neuronalen Prozessen, die diesen Un-
reichten. Ihnen stehen neue Bildungs- und
Raucher erzeugen in ihrem Körper be-
thetisch hergestellten Ergänzungspräpara-
ten“ ans Licht, die sich mit dieser Hypothese
terschieden zu Grunde liegen, näher zu
Vergnügungsmöglichkeiten offen. Diese
sonders viele Stoffwechselprodukte, die als
te. In einer vergleichbaren Untersuchung
nicht so leicht in Einklang bringen ließen.
kommen. In einem Folgeprojekt wollen die
gilt es zu nutzen, und zwar bevor man erste
freie Radikale wirken.
an mehr als 3000 Personen im Alter von
So zeigte sich etwa, dass nicht alle Entzün-
Kalkül ziehen, dass die meisten Medika-
Wissenschaftler daher auch jüngere
Vorzeichen einer Demenz an sich verspürt.“
Beide Forscher hüten sich davor, das
Schwestern in die Untersuchung mit auf-
Ähnlich vehement wie die Diskussion
zeitpunkt, der Einnahmedauer und der geeignetsten Dosierung gilt es zu klären.
Eine solche Empfehlung muss auch ins
Gerade für diese Gruppe von Menschen,
mindestens 65 Jahren in dem kleinen US-
dungshemmer aus dieser Gruppe gleicher-
mente dieser Gruppe bei langanhaltendem
so das Argument der Vitaminproduzenten,
amerikanischen Landkreis Cache County
maßen das Demenzrisiko verringern.
Gebrauch und hoher Dosierung schwere
nehmen, um etwa mit geeigneten Bild-
um die Rolle der Bildung für das Erkran-
müsste die Einnahme ausreichend dosier-
waren die Verhältnisse gerade umgekehrt.
gebungsverfahren nach strukturellen oder
kungsrisiko bei Demenzen verläuft die Dis-
ter Vitamine als „Antioxidantien“ einen zu-
Studienleiter Peter P. Zandi von der Johns
48
Allerdings kamen auch „Ungereimthei-
Damit kam die zunächst favorisierte Erklärung der Mediziner ins Wanken, wonach
Nebenwirkungen bis hin zum tödlichen
Nierenversagen verursachen können.
49
MEDIKAMENTE
MEDIKAMENTE
Hilfe von
drei Generationen
INDUSTRIE IM WETTSTREIT
Heutige und zukünftige Therapieansätze
Roche und Novartis, Bristol-Myers
Squibb und GlaxoSmithKline, Lilly und
Merck, Amgen und Elan – die Liste der
Unternehmen, die neue Wirkstoffe gegen Demenzerkrankungen entwickeln,
liest sich wie ein „Who is Who“ der
Das Arzneimittelangebot zur Behandlung
die chemische Signalübertragung zwischen
Pharmaindustrie. Weil viel Geld auf
von Demenzen (Antidementiva) ist inzwi-
Nervenzellen. Ihre Wirkweise ist daher spe-
dem Spiel steht, fließen die Informatio-
schen breit gefächert, und eine Reihe ak-
zifischer auf die einer Demenz zu Grunde
nen indes langsamer als bei öffent-
tueller Forschungsansätze bietet gute
liegenden Schadensabläufe gerichtet, als
lichen Forschungsprojekten. Wer in
Chancen, die Therapiemöglichkeiten zu-
dies bei Nootropika der Fall ist.
diesem Rennen die Nase vorn hat, ist
künftig zu verbessern. Dennoch darf man
Die dritte Generation stellen die Hoff-
selbst für Profis schwer zu beurteilen.
eines nicht verkennen: Gegenwärtig gibt es
nungsträger für zukünftige Behandlungs-
kein Arzneimittel, das eine Demenz heilen
strategien dar. Hierbei handelt es sich ent-
gegen Alzheimer“ entwickeln. Zwar er-
kann. Es ist bestenfalls möglich, Symptome
weder um Medikamente, die für andere An-
litten bei ersten Versuchen des irischen
zu lindern und die Geschwindigkeit der
wendungsfelder zwar bereits zugelassen
Unternehmens Elan 18 von 300 freiwil-
kognitiven Verluste zu bremsen.
sind, deren vermuteter Nutzen bei der Be-
ligen Probanden eine Hirnhautentzün-
handlung von Demenzen aber noch nicht
dung. Die Alzheimer-Demenz der übri-
aber man sollte sie deshalb nicht zu gering
bewiesen ist. Oder es handelt sich um Sub-
gen Impfstoffempfänger aber schritt
einschätzen: Rechtzeitig und mit Bedacht
stanzen und Ansätze, die völlig neu sind.
langsamer fort als bei unbehandelten
eingesetzt verschaffen die heute verfügba-
Das Interesse der Demenzforscher weckten
Patienten. Während Elan nun eine
ren Antidementiva den Erkrankten einen
diese Ansätze, weil sie exakt an einer be-
„entschärfte“ Version der ursprüng-
wertvollen „Zeitgewinn“ von ein bis zwei
stimmten Stelle im neurodegenerativen Ge-
lichen Vakzine AN-1792 entwickelt, er-
Jahren, in denen sie trotz ihrer Erkrankung
schehen angreifen und daher – zumindest
probt die US-Firma Eli Lilly einen so ge-
ohne wesentlichen Verlust an Selbststän-
in der Theorie – Schäden im Gehirn „zielge-
nannten passiven Impfstoff. Hierbei
digkeit leben können. Da sich Demenzen
nau“ verhindern oder beheben könnten. Ob
vertraut man nicht auf die Immunreak-
oftmals erst im ganz hohen Alter ausprä-
sich diese anspruchsvollen Ziele tatsächlich
tion des Körpers, sondern spritzt den
gen, kann dies auch bedeuten, dass ein
erreichen lassen, wird allerdings erst ihre
Patienten biotechnisch hergestellte
Hochbetagter die besonders schwere, letzte
klinische Erprobung zeigen.
Antikörper in die Blutbahn.
Die Möglichkeiten sind also begrenzt,
Viele Firmen wollen eine „Impfung
Partner statt Konkurrenten sind Eli
Phase einer Demenz gar nicht mehr erlebt.
Die Wirkweisen dieser Substanzen sind
Lilly und Elan bei der Entwicklung von
trum drei Generationen von Arzneimitteln
im Einzelnen oft nicht geklärt. Eine spezifi-
Gamma-Sekretase-Hemmern. Die syn-
zuordnen, die auch den jeweiligen Kennt-
sche Wirkung an bestimmten Stellen in der
thetisch hergestellten Moleküle behin-
nisstand über die bei Demenzen wichtigen
„Maschinerie“ des Gehirns üben diese Sub-
dern „molekulare Scheren“ bei der Ar-
Schädigungen widerspiegeln:
stanzen jedoch wahrscheinlich nicht aus.
beit, die aus einem Membranmolekül
Vielmehr bewirken Nootropika eher eine
von Nervenzellen ein Fragment (Aß)
genannter Nootropika. So bezeichnen Me-
unspezifische „Normalisierung“ von zellu-
herausschneiden, das wiederum bei der
diziner Substanzen, die eine „leistungsför-
lären oder molekularen Schadenskaskaden,
Alzheimer-Demenz zu steinharten Ab-
dernde“ Wirkung auf diverse Hirnfunktio-
indem sie etwa Nervenzellmembranen po-
lagerungen verklumpen kann.
Historisch gesehen lässt sich das Spek-
Zur ersten Generation zählt eine Reihe so
nen haben sollen. Diese Substanzen kamen
im Wesentlichen in den beiden Dekaden
zwischen 1970 und 1990 auf den Markt. Bei
Aus den Blättern des Ginkgobaums wird ein Extrakt gewonnen, der auch bei Demenzen eingesetzt wird. Das Substanzgemisch mindert den „oxidativen Stress“ von Nervenzellen.
Die Substanz Galantamin, ein Wirkstoff der natürlicherweise
im Schneeglöckchen vorkommt, verzögert den Abbau
kognitiver Leistungen bei Demenzkranken um zirka ein Jahr.
Merck und Amgen setzen auf solche
res scheint etwa beim Extrakt aus Blättern
Moleküle. Bristol-Myers Squibb hat be-
des Ginkgobaumes der Fall zu sein. Das Sub-
reits einen Gamma-Sekretase-Hemmer
rungen an die Arzneimittelprüfung nicht
stanzgemisch in diesem Nootropikum wirkt
an Patienten überprüft, doch sind die
bis heute nicht oder nur in Ansätzen geklärt
Beipackzettel unter der Rubrik „Anwen-
mehr genügen. Oder es handelt sich um
als „Radikalenfänger“ und reduziert so den
Ergebnisse dieser Studie noch nicht be-
sind. Dennoch werden sie von vielen erfah-
dungsgebiete“ Angaben wie „Hirnleis-
Prüfungen, die an Patienten mit unter-
„oxidativen Stress“, dem geschädigte Ner-
kannt. Ein anderes Scherenmolekül, die
renen Ärzten auch bei Menschen mit De-
tungsstörungen“. Solche Medikamente
schiedlichen Erkrankungen – etwa einer
venzellen ausgesetzt sind (siehe ab S. 46).
Beta-Sekretase, ist Ziel spezifischer
menzen durchaus mit Erfolg eingesetzt.
wurden und werden auch bei Personen mit
„altersbezogenen kognitiven Verschlechte-
Demenzen eingesetzt, doch ihr Gebrauch
rung“ – vorgenommen wurden. Oder es
va umfasst Medikamente, die erst in den
geht weit über diese Erkrankungen hinaus.
existieren mehrere, sich widersprechende
1990er-Jahren entwickelt wurden, teilweise
Ihr Nutzen speziell bei Demenzerkrankun-
Studienergebnisse zu einer Substanz. Aus
Wenig Informationen liegen darüber vor,
als sicher und wirksam erweisen, könn-
also erst wenige Jahre in der Behandlung
gen ist nicht unumstritten. Gerade für die
heutiger Sicht ist daher nicht immer klar,
welcher Patient von welchem Nootropikum
ten sie bereits in wenigen Jahren ver-
von Demenzen eingesetzt werden. Bei allen
älteren Wirkstoffe aus dieser Gruppe exis-
welchen Nutzen ein bestimmtes Nootropi-
am ehesten profitiert. Nicht möglich ist es
fügbar sein“, so Franz Hefti von den
strukturellen Unterschieden ist ihnen eine
tieren oft nur klinische Studienergebnisse,
kum einem Patienten mit einer bestimmten
zudem, eine „Hitliste“ zu erstellen, in der
Merck Research Laboratories.
Wirkstrategie gemeinsam: Sie verbessern
die den heutigen, viel strengeren Anforde-
Form von Demenz tatsächlich bietet.
die Substanzen nach dem Grad der Wirk-
Die zweite Generation der Antidementi-
50
Bei einigen Nootropika findet man im
Auch die Firmen Glaxo SmithKline,
selprodukte im Gehirn „entgiften“. Letzte-
aller chemischer Unterschiedlichkeit ist ihnen zu eigen, dass ihre Wirkmechanismen
sitiv verändern oder schädliche Stoffwech-
Hemmstoffe, die Elan, Pharmacia und
Fingerspitzengefühl ist gefragt
weitere Firmen anstreben. „Wenn diese
Substanzen sich in klinischen Studien
51
MEDIKAMENTE
MEDIKAMENTE
FOKUS FORSCHUNG
Blutfettsenker gegen
Alzheimer-Demenz
samkeit bei Demenzen in eine Rangfolge
und schwerer Formen der Alzheimer-De-
satz von Acetylcholinesterase-Hemmern
gebracht wurden. Zu unterschiedlich sind
menz in Europa zugelassen.
bei Demenzen. Doch mit dem gerade in den
Nur wenig früher entwickelten Pharma-
letzten Jahren gewonnenen Wissen über
getestet wurden, zu verschieden die Patien-
hersteller vier Wirkstoffe zur Marktreife, die
die vielfältigen Schädigungsprozesse bei
ten, ihre Krankheiten und Krankheitssta-
als so genannte Acetylcholinesterase-Hem-
diesen Erkrankungen (siehe ab S. 38) kom-
dien, die Eingang in die diversen Studien
mer oder -Inhibitoren fungieren. Es handelt
men Zweifel auf, dass diese Hypothese der
Den Forschergeist bekam Mikael Simons schon in die Wiege gelegt.
gefunden haben. Daher bleibt es dem Arzt
sich um die Substanzen Donepezil, Rivastig-
Komplexität der demenziellen Veränderun-
Sein Vater Kai Simons hat sich als Zellbiologe am European Molecu-
wie dem Patienten nicht erspart, den Nut-
min, Galantamin und Tacrin. Da sich im
gen gerecht wird. Andererseits rückten
lar Biology Laboratory in Heidelberg einen Namen gemacht und ist
zen eines Nootropikums im Einzelfall aus-
Rahmen mehrerer klinischer Studien zeig-
durch dieses Wissen neue „Hebel“ in den
heute Direktor am Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie
zutesten. Fingerspitzengefühl, Vorsicht
te, dass Tacrin in höherer Dosierung die Le-
Blickpunkt der Forscher, an denen sie zu-
und Genetik in Dresden. Der Sohn forscht an der Neurologischen
und Erfahrung sind dabei unerlässlich.
ber schädigen kann, spielt dieses Medika-
künftig ansetzen wollen, um wirksamer als
ment in der Behandlung von Demenzen
dies heute möglich ist, in den zerstöreri-
heute praktisch keine Rolle mehr. Die drei
schen Prozess bei Demenzen einzugreifen.
die Einsatzfelder, in denen die Substanzen
Klinik der Universität Tübingen und freut sich, dass er trotz der gewachsenen räumlichen Distanz so manchen Tipp bekommt, wenn
Erfolgreiche Hemmung
anderen Substanzen wurden in Europa zwi-
Experimente fehlschlagen, oder wenn es gilt, vertrackte Fragen mit
möglichst einfachen Untersuchungen eindeutig zu beantworten.
Schon als Doktorand in der Arbeitsgruppe von Konrad Beyreu-
Sicherer lässt sich der Nutzen der zweiten
schen den Jahren 1993 und 2002 zur Be-
Generation von Antidementiva beurteilen.
handlung leichter bis mittelschwerer For-
ther am Zentrum für Molekulare Biologie in Heidelberg interessier-
Hierzu gehören vier Wirkstoffe, die als Ace-
te sich Simons junior für den Zusammenhang zwischen bestimmten
tylcholinesterase-Hemmer bezeichnet wer-
blutfettsenkenden Arzneien – den Statinen – und der AD. Simons
den, und der Wirkstoff Memantin, ein so
war nämlich auf zwei klinische Studien aufmerksam geworden, die
genannter NMDA-Rezeptorantagonist.
im Rückblick ergeben hatten, dass Herzpatienten seltener an einer
Der NMDA-Rezeptor ist eine Andockstel-
Der enorme Zuwachs an Wissen über
die Schäden im Gehirn, die Demenzen
verursachen, erlaubt es der Pharmaindustrie inzwischen, zielgerichtet
neue Medikamente gegen das Vergessen zu entwickeln. Der Markt dafür ist
ausgesprochen lukrativ: Die Zahl der
Demenzkranken wächst dank steigender Lebenserwartung weltweit an.
Wachstumsfaktoren gegen
schrumpfende Hirnzellen
men der Alzheimer-Demenz zugelassen.
Für kein anderes Antidementivum ist
Das ehrgeizigste Ziel der Forscher ist es, De-
der klinische Nutzen bei der Behandlung
menzen nicht nur aufzuhalten, sondern be-
von Demenzen so gut belegt wie für die
reits vorhandene Schäden zu reparieren.
Gruppe der Acetylcholinesterase-Hemmer.
Manche glauben sogar, ausgefallene Hirn-
Auch sie können eine Demenz nicht heilen,
zellen durch neue ersetzen zu können.
aber sie verlangsamen den Abbau kogniti-
Schließlich kennt man eine ganze Reihe von
AD erkrankten, wenn sie über mehrere Jahre hinweg mit choleste-
le für einen der mengenmäßig wichtigsten
rinsenkenden Statinen behandelt worden waren. Um 70 Prozent
Botenstoffe zwischen Nervenzellen über-
war das Risiko in beiden Studien reduziert, und auch in Tierexperi-
haupt, nämlich für die Aminosäure L-Gluta-
ver Leistungen sowie den fortschreitenden
Wachstumsfaktoren, die Nervenzellen am
menten zeigte sich ein Zusammenhang zwischen dem Cholesterin-
mat. Rund zwei Drittel aller errregenden
Verlust beim Ausüben von Alltagsaktivitä-
Leben erhalten und diese vielleicht sogar
stoffwechsel und der Demenzentwicklung.
Verbindungen zwischen Nervenzellen nut-
ten. Zudem helfen sie, neuropsychiatrische
zur Teilung anregen können. Einer davon,
zen L-Glutamat als chemisches Signal zur
Krankheitssymptome zu lindern. Den Zeit-
nämlich NGF (für englisch „Nerve Growth
ab, wenn sie fettreiche Nahrung erhielten. Meerschweinchen, de-
Reizweiterleitung. Bei vielen neurodegene-
gewinn beziffern Experten auf sechs bis
Factor“), lässt die Ärmchen eben jener Neu-
nen man Statine ins Futter mischte, hatten dagegen weniger Aß im
rativen und auch gefäßschädigenden Pro-
zwölf Monate, manche Neurologen spre-
ronen sprießen, die ihre Botschaften mit
Gehirn und im Nervenwasser als unbehandelte Kontrolltiere. Eine
zessen kommt es zur Überproduktion an L-
chen gar von ein bis zwei Jahren.
Acetylcholin austauschen.
von vielen Forschern bevorzugte Erklärung dafür ist, dass Statine
Glutamat und zu einer Überaktivierung der
Beispielsweise lagerten Kaninchen in ihren Gehirnen mehr Aß
Die Zugabe von NGF zu den bereits er-
die Zusammensetzung der
NMDA-Rezeptoren. Diese Überaktivierung
weise dieser Hemmstoffe konzentriert sich
wähnten Acetylcholinesterase-Hemmern
Nervenzellhüllen verän-
kann Nervenzellen töten (siehe ab S. 38).
auf ein bestimmtes Signalsystem zwischen
hat im Tierversuch das altersabhängige
Nervenzellen; Fachleute sprechen vom cho-
Schrumpfen von Nervenzellen weitgehend
dern, weil sie den Nach-
Der Wirkstoff Memantin verhindert die
schub eines wichtigen
chronische Überstimulation der NMDA-Re-
linergen System. Der entscheidende Boten-
rückgängig machen können. In einer
Membranbestandteils dros-
zeptoren, indem er diese Andockstelle be-
stoff dieser Signalkette ist das Acetylcholin.
schwedischen Studie wollten Wissenschaft-
seln – des Cholesterins.
setzt. L-Glutamat kann den so „blockierten“
Neurophysiologische Befunde zeigten nun,
ler klären, ob NGF auch bei Alzheimer-Pa-
NMDA-Rezeptor für die Dauer dieser Bin-
dass es einen Zusammenhang zwischen
tienten wirksam ist. Tatsächlich besserte
dung nicht mehr stimulieren.
kognitiver Beeinträchtigung und Fehlfunk-
sich der Hirnstoffwechsel bei den ersten
tionen im cholinergen System gibt.
drei Patienten merklich, und die Nerven
Das aber macht die
Membran fester, sodass da-
Einig in der Berufswahl: Vater Kai Simons und
Sohn Mikael Simons arbeiten als Forscher.
Die im Übrigen nicht identische Wirk-
rin eingebettete molekula-
In mehreren klinischen Studien mit ei-
re Scheren, die das Vorläu-
ner Vielzahl von Patienten erwies sich Me-
fermolekül von Aß zer-
mantin sowohl bei Alzheimer-Demenz wie
einer Alzheimer-Demenz Schäden in cho-
Trotzdem musste die Studie abgebrochen
schneiden, weniger beweg-
bei vaskulären Demenzen in mehrfacher
linergen Hirnarealen. Den Grund dafür sah
werden, denn die Probanden erlitten
lich sind und folglich auch
Weise als wirksam: Bei Demenzpatienten,
man in einer ungenügenden Versorgung
Rückenschmerzen und verloren stark an
der Nervenzellen mit Acetylcholin, sodass
Gewicht.
weniger Aß anfällt. Einer der wichtigsten Fachartikel, der diese Zu-
die über sechs bis 28 Wochen mit dieser
sammenhänge offengelegt hat, nennt übrigens Mikael Simons als
Substanz behandelt wurden, verschlechter-
Erstautor und als Seniorautor dessen Vater Kai Simons.
ten sich die kognitive Leistungsfähigkeit so-
Trotzdem plädiert Mikael Simons vorerst nicht dafür, Statine bei
wie die Fähigkeit zur Bewältigung von All-
So finden sich bereits früh im Verlauf
Das ehrgeizigste Ziel
der Forscher ist es, Demenzen
nicht nur aufzuhalten,
sondern bereits vorhandene
Schäden zu reparieren
die Signalübertragung zwischen ihnen ge-
reagierten empfindlicher auf Acetylcholin.
Weil in diesem Experiment das NGF auf
stört wird. Acetylcholin selbst wird unter
einen Schlag in die flüssigkeitsgefüllten
anderem durch das Enzym Acetylcholines-
Hohlräume des Gehirns eingespritzt wurde,
terase abgebaut, damit ein einmal in den
ersann Mark Tuszynski von der University of
synaptischen Spalt ausgeschütteter Boten-
California San Diego (UCSD) ein sanfteres,
Gesunden einzusetzen. Wie alle Medikamente haben auch sie
tagsaktivitäten und das Antriebsverhalten
Nebenwirkungen. Gesunde sollten diese Nebenwirkungen erst
deutlich langsamer als bei vergleichbaren
dann in Kauf nehmen, wenn damit ein handfester Vorteil verbun-
Patienten, die lediglich wirkstofffreie Place-
stoff nicht unablässig benachbarte Synap-
kontinuierlicheres Nachschubverfahren für
den ist. Der Beweis dafür steht aber noch aus. Und obwohl die Arz-
bo-Tabletten erhielten. Der „bremsende“ Ef-
sen erregt. Die Acetylcholinesterase-Inhibi-
NGF, das – wie die meisten Wachstumsfak-
nei Simvastatin sich in einer frühen Studie als wirksam bei frühen
fekt auf das Fortschreiten der Krankheit er-
toren blockieren nun die Funktion dieser
toren – zu groß ist, um vom Blutkreislauf
Stadien der AD erwiesen hat, müsse dieser Befund noch in weiteren,
scheint dabei um so deutlicher, je schwerer
abbauenden Enzyme, sodass der Botenstoff
direkt ins Gehirn zu gelangen: Der Direktor
größeren Untersuchugen bestätigt werden, sagt Simons. Um eine
die Demenz zu Beginn der Erkrankung aus-
längere Zeit aktiv bleibt.
des Zentrums für Nervenreparatur (Center
Therapie zu etablieren, die das Fortschreiten der Krankheit verlang-
geprägt war. Seit wenigen Jahren ist Me-
Mit der Hypothese vom „cholinergen
for Neural Repair) verpackte die Erbinfor-
samen kann, habe man inzwischen eine weltweite Studie gestartet.
mantin zur Behandlung mittelschwerer
Defizit“ rechtfertigte man bislang den Ein-
mation für NGF in Bindegewebszellen, die
52
53
MEDIKAMENTE
jeweils einen Schnitt in das Vorläufermole-
fernen. Im Gegensatz zum klassischen
kül von Aß, dem APP. Schneidet nur eine der
Impfstoff, der vor einer Infektion schützen
3
beiden Sekretasen, so entstehen Bruch-
soll, ist dieser therapeutische Impfstoff für
stücke, die im Gegensatz zu Aß nicht „kle-
bereits Erkrankte gedacht.
brig“ sind und deshalb auch nicht zu Abla-
Ein Impfstoff gegen
die Alzheimer-Demenz?
gerungen verklumpen. Im Reagenzglas
funktioniert dies hervorragend, doch hat
der scheinbar elegante Ansatz, die Molekülscheren zu beeinflussen, einen entscheidenden Haken: Sekretasen erfüllen im Kör-
2
4
chen erprobte die irische Firma Elan diese
9
per zahlreiche Funktionen, unter anderem
Strategie an 300 Alzheimer-Patienten. Von
spielen manche von ihnen bei der Embryo-
diesen erlitten allerdings 18 eine Hirnhaut-
nalentwicklung eine wichtige Rolle.
entzündung, was die Prüfärzte zum Stu-
1
Mäuse, deren Gamma-Sekretaseaktivität
dienabbruch zwang. Obwohl sich die Hirn-
durch gentechnische Eingriffe blockiert
hautentzündung in allen Fällen durch die
wurde, verstarben noch im Mutterleib an
In Zusammenarbeit mit einem Neurochirurgen transplantierte Mark Tuszynski von der University of California
in San Diego gentechnisch veränderte
Bindegewebszellen in das Gehirn von
Alzheimer-Patienten. Die Zellen fungieren dort als Minifabriken für den
Nervenwachstumsfaktor NGF, der die
Schrumpfung der Zellen verhindert.
Sekretase rief in ersten Studien beim Men-
6
Patienten neurologische und kognitive Defizite zurück. Die Mehrzahl der AlzheimerForscher bleibt dennoch optimistisch, und
er aus Hautproben seiner Patienten gewon-
und besorgniserregende Verschiebungen
zahlreiche Unternehmen arbeiten nun an
nen hatte. Die gentechnisch aufgerüsteten
in der Balance der Abwehrzellen hervor. Die
einer verträglicheren Vakzine.
Bindegewebszellen implantierte Tuszynski
Versuche wurden deshalb eingestellt.
dann in Zusammenarbeit mit einem Neuro-
Mäuse ohne Beta-Sekretase sind äußer-
chirurgen ins Vorderhirn, wo sie ständig ge-
lich unauffällig; doch auch hier ist unklar,
ringe Mengen NGF absondern.
ob dieses Biomolekül außer APP nicht noch
weitere Proteine bearbeitet. Bei den Mäu-
jedoch einer kurz nach dem Eingriff an ei-
sen müsste dies nicht unbedingt auffallen,
ner Hirnblutung; ob die anderen von der
schließlich haben die Tiere im Vergleich
Operation profitierten, war zunächst nicht
zum Menschen nur eine sehr kurze Lebens-
zu entscheiden. Da es annähernd 100 ver-
spanne. „Ich wette, dass es auch hier Proble-
schiedene Wachstumsfaktoren im Zentra-
me geben wird“, warnt der Münchener Alz-
len Nervensystem gibt und Gentherapeu-
heimer-Experte Christian Haass (siehe auch
ten eine Vielzahl verschiedener Techniken
Fokus Forschung S. 42).
entwickelt haben, um die jeweiligen Erb-
Manche Forscher haben deshalb nicht
informationen in das gewünschte Gewebe
Aß selbst im Auge, sondern die Metalle Zink
zu schleusen, darf man in näherer Zukunft
und Kupfer, weil sie den Verklumpungspro-
noch zahlreiche Varianten von Tuszynskis
zess fördern. Schon vor mehreren Jahren
Transplantationstechnik erwarten.
hat Ashley Bush von der Harvard Medical
School entdeckt, dass Aß-Aggregate (Ver-
Ablagerungen geraten ins
Visier der Mediziner
klumpungen) nach der Gabe eines so genannten Kupferchelators auseinanderfallen. Chelatoren ziehen Metallatome an sich,
Das Gros der innovativen Therapieverfah-
und der als Antibiotikum schon lange ge-
ren konzentriert sich auf die Alzheimer-De-
nutzte Kupferchelator Clioquinol bot sich
menz. Dort nehmen Wissenschaftler bevor-
deshalb auch als Antidementivum an.
zugt die Ablagerungen im Gehirn ins Visier,
Tatsächlich verbesserte die Substanz in
und sie versuchen, diese auf verschiedene
einer ersten klinischen Studie das Erinne-
Weise aufzulösen, „abzusaugen“ oder zu-
rungsvermögen von Alzheimer-Patienten.
mindest deren Bildung zu verlangsamen.
Mit Colin Masters von der australischen
Da man die Herkunft der Ablagerungen aus
Universität in Melbourne ließ Bush das Me-
dem Aß-Protein genau kennt (siehe ab S. 38)
dikament an 18 Patienten verabreichen. Sie
und an diesem Prozess zwei Eiweiße unmit-
alle schnitten nach 36 Wochen besser ab als
telbar beteiligt sind, lag es auf der Hand,
die Patienten einer Kontrollgruppe, die nur
diese Eiweiße zu stören.
ein Scheinmedikament erhalten hatten.
Beide Moleküle – sowohl die Beta-Sekretase als auch die Gamma-Sekretase – setzen
54
8
neien kontrollieren ließ, blieben bei sechs
schen Störungen des Magen-Darmtrakts
Von den ersten acht Patienten verstarb
Mit einer Reihe von
Substanzen und sogar einem
Impfstoff wollen Forscher
die schädlichen Ablagerungen im Gehirn auflösen
Gabe von entzündungshemmenden Arz5
schweren Störungen der Organentwicklung. Die leichte Hemmung der Gamma-
Nach spektakulären Erfolgen in Tierversu-
Auch mit einem Impfstoff versuchen
Wissenschaftler, Aß-Ablagerungen zu ent-
Nicht nur bei der Alzheimer-Demenz,
sondern auch bei anderen Ablagerungs7
Angriffspunkte für zukünftige Medikamente
krankheiten könnten Wirkstoffe nützlich
sein, um die Strukturveränderungen der
beteiligten Eiweiße zu verhindern. Diese
1. Wissenschaftler erproben zahlreiche Strategien gegen Demenzerkrankungen. Der wichtigste Angriffspunkt ist
dabei das Gehirn, wo jeweils unterschiedliche Schadensprozesse die Signalleitung zwischen den Nervenzellen
unterbrechen können. Auch der Blutkreislauf und die Gefäße sind Ziel der Forschung, weil diese für die Energieversorgung der Neuronen maßgeblich sind und weil Blutungen ganze Hirnregionen lahmlegen können.
„Beta-Faltblattbrecher“ lagern sich an Aß,
2. An den Verbindungsstellen zwischen den Nervenzellen - den Synapsen - werden elektrische Impulse in chemische Botschaften umgewandelt. Hemmt man den Abbau des chemischen Botenstoffs Acetylcholin, so kann dieser länger wirken und die Signalleitung wird verstärkt. Nach diesem Prinzip funktionieren die Acetylcholinesterasehemmer, eine Gruppe von Arzneimitteln, die den geistigen Zerfall bei der Alzheimer-Demenz um bis zu zwei
Jahre verzögern können.
lich, also ungefährlich, sind. Zudem können
3. Ein Überschuss des Botenstoffes Glutamat wirkt giftig und kann zum Untergang von Nervenzellen führen. Mit
der Arznei Memantin können Ärzte die Empfangsstationen für Glutamat blockieren und die schädliche Übererregung dämpfen. Memantin ist bislang das einzige Medikament, dessen Nutzen bei fortgeschrittener Alzheimer-Demenz erwiesen ist.
ist dies Claudio Soto von der Schweizer Fir-
4. Die Scherenmoleküle Beta- und Gamma-Sekretase zerschneiden das Molekül APP in der Hülle von Nervenzellen. Aus dem mittleren Bruchstück Aß (rot) entstehen dann Ablagerungen (Plaques), die womöglich die Hauptursache sind für den Tod der Nervenzellen bei der Alzheimer-Demenz. Hemmstoffe gegen die Scherenmoleküle
sollen diesen Prozess verlangsamen.
5. Eine Impfung soll den Körper anregen, das Aß als fremd zu erkennen und dagegen Antikörper zu bilden. Die
Ypsilon-förmigen Antikörper binden dann Aß und werden womöglich zusammen mit ihrer gefährlichen Fracht
von Fresszellen (weiss) vernichtet. Für eine „passive Impfung“ lassen sich Antikörper auch im Labor herstellen.
6. Aß-Moleküle, die bereits feste Ablagerungen (Plaques) gebildet haben, lassen sich mit bestimmten chemischen
Verbindungen wieder auflösen. Eine dieser Verbindungen, der Metallchelator Clioquinol, ist bereits als Medikament zugelassen und wird als Antibiotikum benutzt. Neben den Metallchelatoren sind für die Demenztherapie
auch Substanzen interessant, welche die Verklumpung von Aß und ähnlichen Substanzen verhindern.
7. Radikalenfänger sind Stoffe, die besonders reaktionsfreudige Sauerstoffverbindungen in Blut und Gewebe unschädlich machen können. Man hofft, damit Gift- und Schadstoffe zu neutralisieren und den Alterungsprozess
zu verlangsamen. Viele Vitamine, Nahrungsmittelzusätze und Pflanzenextrakte werden als Radikalenfänger
beworben. Ihr Nutzen gegen Demenzerkrankungen ist jedoch unter Fachleuten umstritten.
8. Annähernd 100 Wachstumsfaktoren sind bekannt, die die Entwicklung von Nervenzellen fördern können.
Erste Versuche, damit den Schadensprozess bei der Alzheimer-Demenz zu bremsen, sind im Gange. Noch suchen
Forscher jedoch nach einer effizienten und unkomplizierten Methode, zusätzliche Wachstumsfaktoren ins Gehirn zu bringen.
9. Viele Demenzen sind die Folge von Blutungen im Gehirn. Das Risiko für derartige Mini-Schlaganfälle kann
durch Blutdruck senkende Arzneien verringert werden und vermutlich auch mit Medikamenten aus der Gruppe
der Statine. Statine vermindern die Menge an schädlichen Blutfetten; ihr Nutzen zur Vorbeugung und Behandlung von Demenzerkrankungen wird derzeit intensiv erforscht.
Tau oder auch Prionproteine an und stabilisieren jene Strukturvarianten, die gut lösmanche Beta-Faltblattbrecher die Verklumpung teilweise rückgängig machen – zumindest in Zellkulturen und im Tierversuch
ma Serono als Erstem gelungen.
Generell behindert das Interesse der
pharmazeutischen Industrie, eigene Entwicklungen vor der Konkurrenz geheim zu
halten, den freien Wissensaustausch. Selbst
Spezialisten sind oft auf Gerüchte angewiesen, wenn sie die Erfolgsaussichten der
unterschiedlichen Therapieansätze gegen
Demenzen abschätzen sollen (siehe Kasten
Seite 51). So ärgerlich diese Situation auch
sein mag, sie markiert doch einen erfreulichen Paradigmenwandel: Die Phase der
Grundlagenforschung haben die Wissenschaftler inzwischen abgeschlossen. Statt
auf zufälligen Entdeckungen beruht die
Entwicklung neuer Therapien jetzt auf Wissen. Dass die Pharmaindustrie die mit Steuergeldern aufgezeigten Therapieansätze
mit eigenem Kapital weiterverfolgt, ist
auch ein Zeichen dafür, wie hoch selbst
kühle Rechner die Erfolgschancen im
Kampf gegen Demenzen einschätzen.
55
ANDERE THERAPIEN
ANDERE THERAPIEN
in hartnäckigen Fällen mit Arzneimitteln
erfolgen sollte. Zum anderen sollte ein Gesamtbehandlungsplan darauf abzielen,
dass Ärzte und Angehörige, Therapeuten
und Pflegerinnen versuchen, gewohnte Alltagsaktivitäten zu erhalten, störende Verhaltensauffälligkeiten günstig zu beeinflussen und alles zu unterstützen, was die Lebensqualität und das physische und psychische Wohlbefinden des Kranken fördert.
Für die sehr unterschiedlichen nichtmedikamentösen Therapien gibt es noch
längst nicht so viele Wirksamkeitsstudien
wie bei Arzneimitteln, doch für ihren Einsatz sprechen vor allem die vielen praktischen Erfahrungen in der stationären oder
ambulanten Versorgung Demenzkranker.
Für die Behandlung von Demenzpatien-
Tiere als Therapeuten: „Hundebesuchsprogramme“ können
nicht-medikamentöse Therapien wirksam unterstützen.
ten, die ja für jeden Kranken maßgeschneidert sein sollte, können Ärzte und Fachpersonal heute neben Medikamenten auch auf
des Kranken beansprucht und damit auch
ein breites Therapiespektrum aus kogniti-
mehr Hirnregionen trainiert.
ven Verfahren, identitätsstützenden Strate-
Computergestütztes Gedächtnistraining
gien und psychosozialen Interventionen
bieten fast nur stationäre Reha-Einrichtun-
Alles außer Pillen
zurückgreifen.
gen an. Der Schwierigkeitsgrad dieser The-
Nicht-medikamentöse Therapien
sind für die Behandlung Demenzkranker unerlässlich
Die Übergänge zwischen den einzelnen
rapieprogramme wird individuell abge-
Therapien sind zum Teil fließend. Auch die
stimmt. Erfolge verspricht man sich für das
Einschätzung über den Schweregrad einer
frühe bis mittlere Stadium einer Demenz.
Demenz ist bei den einzelnen Konzepten
Voraussetzung ist jedoch, dass der Kranke
unterschiedlich und unterliegt der Inter-
mit einem PC umgehen kann, was bei der
pretation der jeweiligen Therapeuten.
Mehrzahl der heutigen Demenzpatienten
Viele Fachleute und Pflegeheime wie
sicherlich nicht der Fall ist.
zum Beispiel das Gradmann Haus in Stuttgart verfolgen deshalb beim ZusammenVorerst bleibt es eine bittere Wahrheit:
zu erhalten sowie das mit der Demenz ein-
Demenzerkrankungen lassen sich nicht hei-
hergehende Leid der Patienten und ihrer
len, sondern nur lindern. Zwar gibt es seit
Angehörigen zu lindern.
wenigen Jahren Medikamente, die den Ver-
Realitäts-Orientierungs-Training
stellen eines Therapiekonzepts einen sehr
pragmatischen Ansatz. „Wir arbeiten mit
Bei Kranken mit einer leichten Demenz, die
einem weit gefassten Therapieverständnis“,
in Pflegeheimen leben, wird häufig das
erläutert etwa Günther Schwarz von der
Realitäts-Orientierungs-Training (ROT) ein-
Evangelischen Gesellschaft, die das Grad-
gesetzt. Ziel ist es, dem Patienten bei jeder
mann Haus betreibt. „Als therapeutisch
möglichen Gelegenheit „Realitätsanker“
betrachten wir alles, was die Krankheitsaus-
anzubieten – und zwar sowohl im Gespräch
lust der kognitiven Leistungen etwas ab-
te nicht als Alternative zu einer Arzneimit-
bremsen und um einige Monate hinaus-
teltherapie verstanden werden; vielmehr
zögern können (siehe ab S. 50). Doch dies
sollten sich beide Formen ergänzen – ein
stellt keine ausreichende Behandlung für
„Entweder-Oder“ wäre der völlig falsche
wirkungen lindert und sich förderlich auf
als auch durch optische oder akustische
Demenzpatienten dar.
Weg. Der Düsseldorfer Demenzspezialist
die erkrankte Person auswirkt.“
Orientierungshilfen. Die Spanne der An-
Um den Kranken möglichst lange ein
Martin Haupt zum Beispiel plädiert ent-
knüpfungspunkte reicht dabei bis zum Trai-
Kognitives Training
weitgehend normales Leben zu ermög-
schieden dafür, die Chancen der neuen Be-
lichen, ist vielmehr ein integratives Gesamt-
handlungsmöglichkeiten zu nutzen: „Der
konzept notwendig, das aus allen verfüg-
Einsatz nicht-medikamentöser Strategien
Die kognitiven Therapieverfahren ver-
Verhalten des Demenzkranken aus; die
baren Behandlungsmöglichkeiten einen
in der heutigen Behandlung von Demenz-
suchen, kognitive Leistungen wie zum Bei-
kognitiven Effekte sind allerdings gering
individuell geeigneten Therapieplan zu-
kranken ist ein notwendiger Bestandteil des
spiel das Erinnerungsvermögen zu verbes-
und auf den Behandlungszeitraum be-
sammenstellt.
Gesamtbehandlungsplans.“
sern und so den Gesamtzustand des Kran-
grenzt.
In diesem Zusammenhang besitzen so
56
Natürlich dürfen diese Therapiekonzep-
Für den Einsatz der nichtmedikamentösen Therapien
sprechen viele praktische
Erfahrungen bei der
Behandlung Demenzkranker
Ein solcher „Gesamtbehandlungsplan“
ning des Tast- oder Geschmackssinns. Das
ROT wirkt sich günstig auf Stimmung und
ken positiv zu beeinflussen.
Erinnerungstherapie
genannte nicht-medikamentöse Therapien
muss mehrere Ziele verfolgen. Zum einen
Kognitives Training kommt fast nur bei
einen hohen Stellenwert in der Behandlung
geht es darum, die kognitiven Verluste ab-
leichtgradig dementen Kranken zum Ein-
von Demenzerkrankungen. Bei der „Be-
zubremsen – hier können Medikamente
satz. Gut durchführen lässt es sich durch
Sie zielt vor allem auf eine höhere Lebens-
handlung ohne Pillen“ geht es vor allem da-
hilfreich sein – und psychische Symptome
„spielerisches Lernen“ in Therapiegruppen.
zufriedenheit durch gezieltes Wiederauf-
rum, die Selbstständigkeit und Erlebnis-
wie Wahnvorstellungen zu lindern, wobei
Je alltagsnäher die Aktivitäten dort sind,
rufen positiver Erinnerungen des Patienten.
fähigkeit der Erkrankten möglichst lange
dies zunächst nicht-medikamentös und erst
desto wahrscheinlicher werden alle Sinne
Als Anknüpfungspunkte können Fotos aus
57
ANDERE THERAPIEN
ANDERE THERAPIEN
früheren Lebensabschnitten ebenso dienen
für ihn persönlich wichtiges und noch er-
wie Musikstücke oder Gedichte und Sprich-
haltenes Wissen erinnert wird.
wörter, an die sich der Kranke erinnert. Die
Erinnerungstherapie hat günstige Auswir-
Validations-Therapie
kungen auf die Stimmung des Demenz-
Das Alzheimer-Therapiezentrum im
bayerischen Bad Aibling betreut
demente Menschen und deren Angehörige während eines mehrwöchigen
Aufenthalts gemeinsam. Psychosoziale
Programme helfen den Kranken und
vermitteln den Familien Unterstützung. Zu den Angeboten gehören
Bewegungstherapien wie zum Beispiel
der gemeinsame Tanz eines älteren
Ehepaars (links außen) oder das
Tanzen in der Gruppe (Mitte links,
rechts außen). Auch Erinnerungsarbeit, zum Beispiel das gemeinsame
Betrachten alter Fotos (Mitte rechts)
ist Teil des Therapiekonzepts.
vorhandene Kenntnisse über den Patienten
langfristig das subjektive Wohlbefinden.
und die Erfahrungen des Betreuungsteams
Für die Demenzkranken lässt sich in der Re-
bewusst eingebunden werden.
gel eine Verbesserung ihres Alltagsverhaltens nachweisen, selbst wenn sie nicht im
Verhaltenstherapien
Mittelpunkt der therapeutischen Arbeit stehen (siehe ab S. 66).
kranken. Wie andere kognitive Trainings-
Bei der meist in Pflegeheimen eingesetzten
verfahren erweist sie sich nur dann als er-
Validation handelt es sich eher um ein Bün-
folgreich und nützlich, wenn sie individuell
del von Umgangsprinzipien als um ein The-
alltags- oder biografierelevantes Wissen zu
rapieverfahren im engeren Sinn. Sie besteht
reaktivieren sucht.
im Kern in der Akzeptanz des Kranken und
Stimmung, den Antrieb und das psychische
Sie stellt ein übergreifendes Rahmenkon-
dem Verstehen seiner Welt. Die in den
Wohlbefinden zu fördern.
zept zur Gestaltung des Milieus – also des
Selbst-Erhaltungs-Therapie
Verhaltenstherapeutische Konzepte werden im Bereich der psychosozialen Inter-
Milieutherapie
ventionen vor allem eingesetzt, um die
1960er-Jahren in den USA von Naomi Feil
Für Patienten mit einer beginnenden
gesamten Wohn- und Lebensbereichs des
entwickelte Validation basiert auf Einfüh-
Alzheimer-Demenz ist das Verhaltensthera-
Kranken – dar, um ansonsten brachliegen-
Die von Barbara Romero am Alzheimer-
lungsfähigkeit und versucht, dem Kranken
peutische Kompetenztraining (VKT) ge-
de Fähigkeiten zu fördern. Ein Ziel ist etwa
Therapiezentrum Bad Aibling entwickelte
durch ein Validieren – also „für gültig Erklä-
dacht . Eines seiner Ziele ist es, Patienten,
die bessere „Ablesbarkeit“ der Umgebung,
Selbst-Erhaltungs-Therapie (SET) zielt vor
ren“ – seiner Äußerungen, seines Verhal-
die gerade die belastende Diagnose Alzhei-
was dem Patienten eine leichtere Orientie-
allem auf die Alzheimer-Krankheit ab und
tens und seiner Persönlichkeit zu helfen.
mer erfahren haben, seelisch zu unterstüt-
rung ermöglichen kann. Die Milieutherapie
zen und auf Fragen nach ihrer zukünftigen
hat großen Einfluss auf das Verhalten und
Integrative Validation
Lebensperspektive einzugehen.
die Wahrnehmung von Demenzkranken
eine Art Trainingsverfahren, das die Persön-
Die Integrative Validation (IVA) nach Nicole
Psychoedukative Strategien
lichkeit des Patienten so lang wie möglich
Richard ist eine deutsche Weiterentwick-
erhalten will. Dazu knüpft es gezielt an die
lung der Validation nach Feil. Sie geht von
am wenigsten beeinträchtigten Fähigkei-
der hirnorganischen Erkrankung aus und
ten an und ermöglicht dem Kranken so Er-
vermeidet psychotherapeutische Rück-
folgserlebnisse. Die positiven Effekte liegen
schlüsse wie auch Fragetechniken, die den
vor allem in einer Verbesserung der Verhal-
verwirrten Menschen nur belasten.
versucht bei Personen mit leicht- bis mittelgradiger Demenz dem Verlust der persona-
(siehe ab S. 74).
len Identität entgegenzuwirken. SET ist also
Kinästhetik
Psychoedukation bedeutet, die Angehö-
Die unterschiedlichen
Therapien für Demenzkranke
sollten sich vor allem an
der Optimierung der
Lebensqualität orientieren
rigen – und bei leichterem Grad einer De-
Kinästhetik ist eine Bewegungslehre, die
menz auch die Patienten – über Symptome,
darauf abzielt, Bewegungsempfindungen
Ursachen, Verlauf und Therapiemöglich-
im Alltag einzusetzen. Besonders für De-
keiten einer Demenzerkrankung zu infor-
menzkranke, die nur noch eingeschränkt
mieren und aufzuklären. Psychoedukation
durch Sprache kommunizieren können, hat
wird bisher vor allem in Form von Gruppen-
die Art und Weise, wie man sich ihnen
arbeit mit Angehörigen, nur selten mit An-
durch Bewegung und Berührung nähert,
tensweisen des Kranken und einer verstärk-
Die IVA konzentriert sich auf die persön-
ten sozialen Einbindung, während die kog-
liche Erfahrungswelt und die noch vorhan-
nitive Leistungsfähigkeit nicht wesentlich
denen Möglichkeiten des Dementen. Beob-
zunimmt.
achten lassen sich dabei vor allem eine Ver-
gehörigen und Demenzkranken gemein-
eine wesentliche Bedeutung. Eine Bewe-
SET wird in Einzel- und in Familiensit-
besserung von Verhaltensweisen der Kran-
sam, realisiert.
gung kann zum Beispiel einladend wirken,
zungen durchgeführt, wobei der Angehöri-
ken und eine verstärkte soziale Einbindung.
ge zum Fortsetzen des gemeinsam erarbei-
Die Methode gilt als klar nachvollzieh-
Verschiedene Studien zeigen unabhän-
einen natürlichen Bewegungsablauf unter-
gig von ihrem jeweiligen methodischen Zu-
stützen oder gewohnte Bewegungsmuster
teten Beschäftigungsprogramms angeleitet
bar und erlernbar und kann in andere
gang, dass Angehörige und Patienten von
anstoßen. Kinästhetik bietet sich damit als
wird. Dazu gehört auch ein Übungspro-
nicht-medikamentöse Therapiekonzepte
diesen Behandlungsformen profitieren. Bei
Therapie bei Menschen an, die bei der Fort-
gramm, in dem der Kranke systematisch an
integriert werden. Von Vorteil ist auch, dass
Angehörigen verbessert sich kurz- und
bewegung Unterstützung brauchen.
58
59
ANDERE THERAPIEN
ANDERE THERAPIEN
EINBLICK
„Die Lebensqualität
der Demenzkranken
verbessern“
Interview mit Privatdozent Dr. Hans Gutzmann,
über die Einsatzmöglichkeiten und
Grenzen nicht-medikamentöser Therapien
Diagnostisch spezifischer als die bisher genannten Verfahren ist
nis, droht rasch eine Überforderung. Gegen einen demenziellen
die Selbst-Erhaltungs-Therapie (SET). Sie orientiert sich an den Aus-
Prozess „anzutrainieren“ ist nicht Erfolg versprechend. Solche Trai-
fallsmustern von Alzheimer-Patienten und kann als neuropsycho-
ningsversuche können beim Patienten in der ständigen Konfronta-
logisches Trainingsverfahren aufgefasst werden, das ein längeres
tion mit seinen Defiziten schwerste depressive Reaktionen auslösen.
Erhaltenbleiben der personalen Identität anstrebt.
Gedächtnistraining ist keine angemessene Therapieform für De-
Das Stichwort Trainingsverfahren wird übrigens sehr kontrovers
menzkranke. Wird dagegen der Alltag mit all seinen Anforderun-
diskutiert. Unstrittig ist aber, dass ein spielerischer Umgang mit
gen thematisiert, können beim spielerischen Lernen gleichzeitig
Problemen des Lernerwerbs aus keiner Gruppenaktivität wegzu-
mehrere Kanäle – zum Beispiel verbale, sensorische und motorische
denken ist. Auch Demenzkranke können mit Aussicht auf Erfolg
– angesprochen und mit Aussicht auf Erfolg trainiert werden.
trainieren; allerdings sollte das Üben im Alltag stattfinden und sich
auf die Bedürfnisse und Notwendigkeiten des Alltags beziehen. Auf
Gedächtnistraining und Gehirnjogging funktionieren vor
kognitives Training im engeren Sinn sollte dagegen mit zunehmen-
allem über sprachliche Kommunikation, doch dieser Kanal
der Demenz verzichtet werden.
geht meist als erster verloren. Gibt es andere Möglichkeiten,
Mit Medikamenten lassen sich Demenzerkrankungen bisher
die kognitiven Leistungen positiv zu beeinflussen?
nicht heilen. Welche Rolle spielen die nicht-medikamentösen
Therapeuten und Pflegeheime arbeiten oft mit Validation,
Gutzmann: Unstrittig ist, dass demente Menschen mit kognitiven
Therapien bei der Behandlung eines Demenzpatienten; wann
dem Anerkennen des Kranken und seiner Situation. Wo liegt
Lerntechniken deutlich weniger Lernerfolge erzielen als nicht-de-
und wo können sie helfen?
der Nutzen der Validation? Kann ein Dementer überhaupt er-
mente Personen. Je mehr beim Training aber motorische Elemente
Gutzmann: Nicht-medikamentöse Therapieansätze bei Demenz-
kennen, dass er so sein darf, wie er ist?
angesprochen und geübt werden, desto eher ist ein Trainingserfolg
kranken haben das Ziel, den Patienten zu helfen, sich an äußere
Gutzmann: Es handelt sich dabei eher um ein Bündel von Umgangs-
zu erwarten. Ein Aussetzen des Trainings verschlechtert darüber
oder innere Anforderungen besser anzupassen und auf diesem
prinzipien als um ein Therapie-
hinaus die Leistung der Patienten oft rapide. Am empfehlenswertes-
Weg die Lebensqualität zu steigern. Dabei muss man berücksich-
verfahren im engeren Sinn. Die
ten sind Interventionen, die zum Beispiel durch das Einbeziehen
tigen, dass sich eine Änderung der Umgebungsbedingungen sehr
Validation basiert auf der Em-
von Angehörigen die Motivation erhöhen und die zugleich Verän-
Eine grundlegende Ebene soll mit dem Kon-
unterschiedlich auswirken kann. Sie kann einerseits einen erheb-
pathiefähigkeit des Therapeu-
derungen im Lebensraum mit einbeziehen.
zept der basalen Stimulation angesprochen
lichen Fortschritt bedeuten, wenn sich durch die Behandlung neue
ten und des Betreuungsperso-
Individuell adaptierte externe Hilfen, die eindeutig auf das
werden, bei dem Eindrücke etwa des Lage-,
Erlebens- oder auch Leistungswelten erschließen. Sie kann sich aber
nals gegenüber dem Erkrank-
„Was, Wann, Wo und Wie“ von Gegenständen oder Vorhaben ver-
Tast-, Geruchs- oder Geschmackssinns als
auch demotivierend auswirken, wenn sie etwa Ziele setzt, die von
ten. Den Kern bildet dabei der
weisen, können für eine begrenzte Zeit den eingetretenen Verlust
Quelle von Lebensqualität wiederentdeckt
vornherein unerreichbar sind.
Versuch, dem Patienten durch
kompensieren. Der Umgang mit diesen Gedächtnishilfen muss
Wir dürfen bei allen Bemühungen nicht aus den Augen verlie-
Validieren – das heißt, durch
ständig geübt werden. Der Lernstoff muss alltagsrelevant und für
nen anregend oder beruhigend wirken und
ren, dass die „therapeutische Breite“ aller Behandlungsformen bei
„für gültig erklären“ – seiner
den Patienten ansprechend sein. Nur durch permanentes Wieder-
psychisch stabilisieren.
Dementen sehr gering ist. Stabilität und Verlässlichkeit sind wichti-
Äußerungen oder Verhaltens-
holen und möglichst häufiges motorisches Einüben kann er präsent
ger als das Ausschöpfen aller theoretisch noch mobilisierbaren Leis-
weisen und durch das Respek-
gehalten werden. Die möglichen Erfolge eines solchen Trainings
tieren seiner Individualität zu
nehmen aber mit zunehmender Ausprägung der Demenz ab.
Wenn die Sprache als Kommunikationsmittel zunehmend
versagt, kann gemeinsames Musizieren Brücken schlagen.
Basale Stimulation
werden. Solche sinnlichen Erlebnisse kön-
Basale Stimulation kann im Rahmen
pflegerischer Tätigkeiten wie etwa dem
tungsreserven. Der Respekt gegenüber den demenzkranken Men-
Waschen oder Baden stattfinden. Auch bei
schen gebietet es, sich primär an der Optimierung der Lebensqua-
schwerst beeinträchtigten Alzheimer-Kran-
lität zu orientieren. Um einen Therapieerfolg zu stabilisieren, müs-
ken sind über richtig eingesetzte Sinnesein-
sen auch die Betreuenden in das therapeutische Geschehen gezielt
tensauffälligkeiten durch Reaktivierung von biografischem Wissen.
drücke spürbare Verbesserungen im Be-
einbezogen werden. Dies ist oft ein kritischer Punkt, und deshalb ist
Eine wissenschaftliche Überprüfung der Validation steht weit-
reich der Stimmung und des Alltagsverhal-
das gezielte Training von Betreuenden – um zum Beispiel Selbst-
gehend aus. Demenzpatienten nehmen aber wahr, ob sie von ihrem
Gutzmann: Die Vorstellung, jedes problematische Verhalten sei the-
tens zu erzielen.
ständigkeit zu fördern oder Aggressionen abzubauen – ein wichti-
Gegenüber akzeptiert werden oder nicht. Diese Wahrnehmung
rapeutisch verlässlich und dauerhaft veränderbar, ist unrealistisch.
ger und eigenständiger Teil des gesamten Therapiekonzepts.
stützt sich immer weniger auf kognitive Elemente, viel wichtiger
Oft handelt es sich außerdem um aufwändige Therapieverfahren,
wird dagegen das Gefühl der Akzeptanz. Es ist eine oftmals bestätig-
die hohe Anforderungen an die Therapeuten stellen. Zu den Verfah-
Welches sind die wichtigsten Formen einer nicht-medikamen-
te Erfahrung, dass im Krankheitsverlauf zunehmend der Affekt die
ren, die sich bewusst und gezielt auf Emotionalität und Kreativität
Diese beiden Verfahren zielen sehr bewusst
tösen Therapie?
Kognition dominiert. Dies kann eine therapeutische Chance sein,
der dementen Patienten beziehen, zählen Musik- und Kunstthera-
auf die Gefühle und die Kreativität Demenz-
Gutzmann: Verhaltenstherapeutische Techniken sind die in diesem
aber auch eine Quelle nachhaltigen Missbehagens darstellen.
pie. Sie lassen sich auch bei Unruhe und aggressivem Verhalten ein-
kranker, die die bisher wichtigen Kommu-
Bereich erprobtesten Verfahren. Mit ihnen lassen sich störende Ver-
nikationswege Sprache und Schrift immer
haltensweisen wie Aggressionen und Schreien abbauen, aber auch
Gibt es nicht-medikamentöse Therapieformen, die bei
„sundowning“, und bei Schlafstörungen eine Lichttherapie erfolg-
weniger nutzen können. Das Malen und
eine größere Selbstständigkeit etwa beim Baden oder Anziehen er-
bestimmten Demenzen besonders geeignet sind?
reich. Diese versucht, den Tagesrhythmus zu restrukturieren.
Modellieren oder das Musizieren mit einfa-
reichen. Nach anfänglicher professioneller Anleitung können ver-
Gutzmann: Es gibt derzeit keinen verlässlichen Hinweis, nach dem
chen Instrumenten wie Rasseln, Trommeln
haltenstherapeutische Interventionen auch von angelerntem Pfle-
eine nicht-medikamentöse Therapie an spezifischen Demenzursa-
sich bei problematischen Verhaltensweisen bewährt. Demente
oder Flöten, aber auch das Anhören von
gepersonal oder von Angehörigen zu Hause umgesetzt werden.
chen ausgerichtet werden könnte. Anders sieht es mit dem Schwe-
Menschen mit Unruhezuständen oder depressiven Verstimmungen
Musikstücken oder das gemeinsame Be-
Die Realitätsorientierungstherapie in ihrer strikten Form be-
regrad aus. Je schwerer die Demenz ausgeprägt ist, desto eher kom-
sprechen häufig auf Massage oder Aromatherapie an. Auch Tiere
Musik- und Kunsttherapie
Dr. Hans Gutzmann, Chefarzt der Psychiatrie am Krankenhaus Hedwigshöhe in Berlin.
helfen. Hierzu gehört auch das
Entschlüsseln seiner Verhal-
Neben kognitiven Defiziten äußern sich Demenzen auch in Verhaltensauffälligkeiten. Mit welchen nicht-medikamentösen
Therapien lassen sie sich wirksam beeinflussen?
setzen. Gelegentlich ist bei abendlich verstärkter Unruhe, dem
Auch Aktivitäten wie Wandern oder Fitnessprogramme haben
trachten von Kunstwerken lösen oft emo-
müht sich, die Orientierung Demenzkranker durch stets wiederhol-
men integrative sozialtherapeutische Konzepte zum Einsatz, die
können eine Therapie mit Gewinn unterstützen, zum Beispiel
tionale Reaktionen aus, die sich therapeu-
te Informationen – zum Beispiel zur Person, zum Ort oder zur Tages-
sich milieu- und verhaltenstherapeutischer Ansätze bedienen.
durch „Streichelzoos“ oder ein „Hundebesuchsprogramm“.
tisch nutzen lassen.
zeit – zu verbessern. Sie findet entweder in Lerngruppen oder individualisiert und über den Tag verteilt statt. Im Alltag lassen sich viele
Welche Formen von Gedächtnistraining gibt es? Wann ist ein
man biografische Hinweise auf frühere Vorlieben der einzelnen
welt sehr lange erhalten bleibt, können
realitätsorientierende Interventionen durchführen, die von der in-
Gedächtnistraining überhaupt sinnvoll?
Patienten gezielt zusammenträgt. Nur auf diese Weise kann es ge-
Musik- und Kunsttherapie auch in späten
dividuellen biografischen Orientierung bis hin zum Training senso-
Gutzmann: Wenn nur das trainiert wird, was aufgrund der Demenz
lingen, in jüngeren Jahren erprobte Strategien auch für die Situa-
Krankheitsphasen eingesetzt werden.
rischer Qualitäten reichen.
zunehmend beeinträchtigt ist, besonders also das verbale Gedächt-
tion der Krankheit gezielt zu nutzen.
Da bei Demenzpatienten die Gefühls-
60
Bei allen Therapieverfahren ist man zudem gut beraten, wenn
61
ALLTAGSHILFEN
ALLTAGSHILFEN
Emotionale Zugänge
schaffen
Barrieren im Lebensumfeld und im Kopf abbauen
Alltagshilfen – das klingt zunächst nach be-
chend große Badezimmer und WCs. Diese
ges an Geduld. Doch diese Verhaltensweise
währten Rezepten, nach „Tipps und Tricks“.
müssen dem Erkrankten selbst genügend
ist typischer Ausdruck jener chaotischen
Doch Patentlösungen, dank derer ein
Platz bieten, aber auch dem Helfer, falls sich
Welt, in der sich der Erkrankte befindet. In
Mensch mit Demenz den Alltag möglichst
das Duschen, Waschen oder der Gang zur
ihr schafft nur die betreuende Person einen
gut bewältigt, dank derer auch der Um-
Toilette irgendwann einmal nicht mehr
Fixpunkt. Der Erkrankte muss sich dabei
gang mit einem solchen Menschen und des-
selbstständig erledigen lassen.
ständig rückversichern, dass dieser „Anker“
sen Pflege möglichst stress- und konflikt-
Genauso wichtig ist es, „kognitive Bar-
noch existiert und „fest im Boden haftet“.
arm laufen, die gibt es nicht. Zu unter-
rieren“ zu beseitigen. Kognitive Defizite wie
schiedlich sind die Einschränkungen und
der Verlust der räumlich-zeitlichen Orien-
vermögen müssen betreuende Personen
Verhaltensweisen der Erkrankten, zu varia-
tierung, Wahrnehmungsstörungen oder
aufbringen. Sie müssen lernen, die oft „un-
bel deren Reaktionen auf das Wohnumfeld
ein enorm verschobenes Realitätsempfin-
angemessenen“, zum Teil grotesken und
und auf die Menschen, mit denen sie zu-
den lassen für einen dementen Menschen
manchmal brüskierenden Verhaltenswei-
sammenleben, und zu stark ändert sich die
eine Wohnung völlig anders aussehen als
sen eines dementen Menschen zu verste-
Lage, wenn die Demenz voranschreitet.
für einen nicht-dementen Betrachter.
hen. Diese basieren auf häufig anzutreffen-
Zuwendung und emotionale Nähe, Fle-
Doch nicht nur Geduld und Einfühlungs-
So erzeugen dunkle Ecken oft Angst. Ein
den „Bewältigungsstrategien“: Der Er-
xibilität und Einfallsreichtum, Sensibilität
„blinder“ Gang, der als Sackgasse endet,
krankte versucht zum Beispiel, Defizite zu
beim Reagieren auf und Beobachten von
kann eine Panikattacke auslösen – der Er-
bagatellisieren. Er vermeidet Situationen,
Verhaltensweisen sowie eine umfassende
krankte wähnt sich buchstäblich in einer
Kenntnis über die Krankheit sind die
ausweglosen Situation. Streifenmuster an
Grundvoraussetzungen im täglichen Um-
Gardinen und Tapeten können als Gitter
gang mit einem an Demenz erkrankten
interpretiert werden und rufen so das Ge-
Menschen. Da es zu diesen Themen eine
fühl hervor, eingesperrt zu sein. Spiegelun-
umfangreiche Ratgeberliteratur (siehe An-
gen an glänzenden Oberflächen vermi-
hang ab S. 78) gibt, beschränkt sich dieser
die sich für ihn als schwierig oder unangenehm erwiesen haben – auch wenn sie le-
Für demente Menschen wird es immer
schwerer, Alltagsroutinen zu bewältigen. Planloses Einkaufen von Lebensmitteln (links unten) kann die Folge
sein. Ein Babylicht am Nachttisch
(unten) verhindert die Angst beim
nächtlichen Aufwachen.
Beitrag auf eher grundsätzliche Aspekte.
bensnotwendig sind wie der Toilettengang
oder das Speisen. Ein andermal projiziert er
„Fehler“ auf die Umwelt – die von ihm verlegte Geldbörse muss ganz eindeutig jemand entwendet haben.
nicht zu hinterfragendes Erfahrungswissen
sprachlich zu kommunizieren, gewinnen
kranke auf Umgebungsmerkmale reagie-
emotionale Äußerungen wie Wut, Aggres-
ren, was sie stört oder was sie beruhigt, be-
sivität und Unruhe, aber auch Freude und
Ein „barrierefreies“ Wohnumfeld ist für je-
ruhen fast ausnahmslos auf unbewiesenen
Zuneigung an Bedeutung. Sie stellen
den älteren Menschen empfehlenswert; für
Annahmen. So gibt es sowohl Theoretiker
gleichsam den einzigen Mitteilungskanal
mobile, aber pflegebedürftige Menschen ist
als auch Praktiker, die zum Beispiel behaup-
dar, der dem Erkrankten geblieben ist.
es unabdingbar. Bei einer Gehbehinderung
ten, kräftige Farben förderten das Wohlbe-
oder Gangunsicherheit können bereits we-
finden besser als Pastellfarben.“
Wohnen frei von Hindernissen
Im Januar 2002 wurde dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend der „Vierte Bericht zur Lage der äl-
nige Treppenstufen zum unüberwindbaren
Menschen mit Demenz
verstehen lernen
Hindernis werden. Aber selbst bei guter Mobilität erhöhen Treppen ebenso wie Schwel-
teren Generation“ übergeben, der sich speziell mit der Situation älterer Menschen mit
Demenz beschäftigte. Darin urteilen die
len, Absätze oder „Stolperstellen“ in der
Wohnung die Sturzgefahr.
Mit fortschreitender Demenz schwindet die
Autoren : „Der Schlüssel für die Bewälti-
Gerade Menschen mit Demenzerkran-
schen sich mit der realen Szenerie, die der
unterscheiden. Bilder an der Wand, zu de-
Fähigkeit des Erkrankten, die eigene Situa-
gung der kognitiven Defizite bei Demenz-
kungen laufen gerne ausgiebig in der Woh-
Erkrankte im Blick hat. Reizüberflutung –
nen der Erkrankte einen Bezug hat, oder Fo-
tion zu beeinflussen. In dem Chaos, als das
kranken liegt in der Präsenz von Hilfsperso-
nung, auf der Station, im angrenzenden
verursacht durch laute Musik, grelle Farben
tografien von ihm und seinen Angehörigen
er sein Inneres und seine Umgebung erlebt,
nen, die einen emotionalen Zugang zu dem
Hof oder Garten umher. Für viele ist dies
oder strenge Gerüche – irritiert viele Men-
sowie persönliche Möbelstücke helfen bei
schafft nur die Nähe zu vertrauten Men-
Erkrankten haben.“
eine der wenigen Aktivitäten, die sie ohne
schen mit Demenz, sie reagieren darauf ag-
der Erinnerungsarbeit und dienen zugleich
schen einen Haltepunkt. Nur sie sorgen in
Hilfe bewältigen und die ihnen Befriedi-
gressiv, mit Angst, oder sie werden unruhig.
als „Landmarken“, um sich besser im
der zunehmend entfremdeten Welt des Er-
le zu bedenken: „Es existieren noch kaum
Wohnumfeld zu orientieren.
krankten für Empathie und Sicherheit.
methodisch akzeptable Studien zu der Fra-
gung verschafft. Deshalb ist ein „barrierefreies Wohnen“ für sie besonders wichtig.
Umgekehrt hilft ein durchdachtes
Wohnumfeld dem Erkrankten, sich zu
Martina Schäufele vom Zentralinstitut
Doch auch hierbei gibt Martina Schäufe-
Dabei wird den Betreuern oft sehr viel
ge, wie sich bestimmte Umgangs-, Kommu-
orientieren: Durch unterschiedliche Farb-
für Seelische Gesundheit in Mannheim
abverlangt. Wer zum siebten Mal innerhalb
nikations- und Betreuungsformen auf Men-
ebenerdiges, auf jeden Fall aber stufen-
gebung lassen sich einzelne Zimmer oder
warnt indes davor, die in der Ratgeberlite-
von 15 Minuten gefragt wird, wann es denn
schen mit Demenz auswirken. Vielmehr be-
freies Wohnumfeld, sondern auch ausrei-
Funktionsbereiche besser voneinander
ratur anzutreffenden Empfehlungen als
Mittagessen gäbe, braucht zweifellos eini-
steht ein erheblicher Forschungsbedarf.“
Hierzu zählen nicht nur ein möglichst
62
In dem Maß, wie die Fähigkeit abnimmt,
zu nehmen: „Die Ansichten, wie Demenz-
63
ALLTAGSHILFEN
ALLTAGSHILFEN
FOKUS FORSCHUNG
„Die meisten nehmen sehr genau wahr,
was mit ihnen los ist“
Interview mit dem Alzheimer-Spezialisten Privatdozent Dr. Martin Haupt
Beim Betrachten von Demenzen stehen oft kognitive Verluste
nehmen und auf die sie verständlicherweise mit Traurigkeit reagie-
Viele Laien, aber auch eine Reihe von Ärzten meinen, bei einer
im Vordergrund – etwa Einschränkungen des Erinnerungs-
ren. Hier, denke ich, ist die Depression eine Reaktion des Betroffe-
Demenz könne man „ohnehin nichts machen“. Was halten Sie
oder des Orientierungsvermögens. Besonders belastend sind
nen auf die Demenzerkrankung.
von diesem Fatalismus?
Haupt: Richtig ist, dass heute niemand eine Demenz heilen oder das
für pflegende Angehörige hingegen meist Stimmungsänderungen und Verhaltensauffälligkeiten der Erkrankten. Welche
Kann man dementen Menschen helfen, ihre depressiven Ver-
Leben dementer Menschen verlängern kann. Letzteres wäre auch
Symptome treten dabei auf?
stimmungen zu überwinden?
unethisch, wenn es die späten, besonders leidvollen Phasen der
Haupt: Bei den affektiven Störungen, also krankhaft veränderten
Haupt: Eindeutig ja. Besonders hilfreich sind psychotherapeutische
Krankheit beträfe.
Stimmungslagen, ist die Depression an erster Stelle zu nennen, die
und psychoedukatorische Hilfen. Es ist wichtig, dem Patienten Wis-
bei rund 40 Prozent der Alzheimer-Patienten auftritt. In schweren
sen über seine Krankheit und deren Auswirkung auf das eigene Er-
Erkrankten nichts tun. Im Gegenteil, durch optimale Betreuung
Fällen sind die depressiven Verstimmungen so stark, dass bei den
leben zu vermitteln. Man muss versuchen, frühere Aktivitäten zu
und Therapie lässt sich ein ganz wichtiges Ziel erreichen, nämlich
Betroffenen Suizidgefahr besteht.
fördern, die der Erkrankte als freudvoll erlebt hat und die er noch
den Autonomieverlust und verbunden damit die schweren Ein-
ausüben kann. Hilfreich ist es auch, wenn es gelingt, den früheren
griffe in die Autonomie dementer Menschen auf eine kürzere Phase
Angst- und Unruhezustände treten ebenfalls häufig auf, meist
dann, wenn die Erkrankten erleben, dass sie selbst Standardsituationen des Alltags, wie das selbstständige An- und Auskleiden oder die
Körperpflege, nicht mehr allein bewältigen können.
Grundsätzlich falsch ist es jedoch zu sagen, man könne für den
ganz am Ende des Krankheitsverlaufs zu verkürzen.
Tagesrhythmus erneut zu etablieren.
Erst wenn dies alles nicht wirkt und die Depressionen sehr stark
sind, kommt eine medikamentöse Behandlung in Betracht. Als
Privatdozent Dr. Martin Haupt arbeitet als niedergelassenener Psychiater und Psychotherapeut
in Düsseldorf. Der Schwerpunkt seiner Praxis liegt auf Hirnleistungsstörungen.
Könnten Sie dies an einem Beispiel verdeutlichen?
Haupt: Nehmen wir zwei 80-jährige Damen, bei denen nach rund
wirksam haben sich dabei so genannte seratonerge Antidepressiva
Treten Depressionen bei allen Demenzformen gleichermaßen
und MAO-Hemmer erwiesen, und zwar bei Patienten mit Alzhei-
lich ist, den Patienten zu befragen, wie es ihm geht, was ihm
drei Jahren aufgrund der aufgetretenen Symptome eine leichte
auf, und sind sie ebenfalls ein Ausdruck der Schadensprozesse
mer-Demenz und – wie die ärztliche Praxis zeigt – auch bei solchen
gut tut oder was ihm fehlt. Was wissen wir heute darüber, wie
Form der Alzheimer-Demenz diagnostiziert wird. Die verbleibende
im erkrankten Gehirn?
mit vaskulären Demenzen. So genannte trizyklische Antidepressiva
demente Menschen ihre eigene Situation erleben?
Lebensspanne beider Frauen nehme ich einmal mit fünf Jahren an.
Haupt: Es gibt deutliche Unterschiede. Depressive Verstimmungen
schaden dagegen mehr, als dass sie helfen. Sie verstärken nämlich
Haupt: Untersuchungen haben gezeigt, dass die meisten der leicht-
Der Unterschied spielt sich nun darin ab, wie diese beiden Frauen in
treten bei Alzheimer-Patienten und solchen mit einer Lewy-Körper-
den Mangel an dem Gehirnbotenstoff Acetylcholin, der schließlich
und mittelgradig Erkrankten ihre Situation sehr präzise wahrneh-
diesen fünf Jahren leben.
chen-Demenz meist in den ersten Jahren der Erkrankung auf, und
bei Dementen ein Grund für die organischen Schadensprozesse ist.
men und sich große Sorgen sowohl darüber machen, dass sie zu-
zwar diskontinuierlich. Anhaltende Formen der Depression sind
Im „unbehandelten“ Fall wird die Patientin nach ein bis zwei Jah-
nehmend an Autonomie verlieren, als auch darüber, was sie mit ih-
ren selbst simple Alltagsaktivitäten nicht mehr selbstständig bewäl-
rer Erkrankung den pflegenden Angehörigen aufbürden.
tigen können. Sie wird zunehmend auf Fremdhilfe angewiesen sein
hingegen selten. Bei vaskulären Demenzen stehen depressive Ver-
Es wird immer wieder die Kritik laut, demente Menschen, die in
stimmungen meist im zeitlichen Zusammenhang mit weiteren Ge-
Pflegeheimen leben, erhielten zu viele Beruhigungsmittel und
fäßschädigungen – etwa einem erneuten Gefäßverschluss. Bei Per-
andere Neuroleptika, um sie „ruhig zu stellen“, also ihre Verhal-
dies anders. Sie versinken gleichsam in einer Gemütsverflachung
haben. Nach vier Jahren wird sie nicht mehr selbstständig gehen
sonen mit einer Frontotemporalen Demenz beobachten wir hinge-
tensauffälligkeiten zu dämpfen, die den Pflegeablauf stören.
und nehmen weder die Auswirkungen ihrer Erkrankung wahr,
können; vielleicht ist sie dann sogar bereits bettlägrig. Außerdem
gen kaum Depressionen. Bei diesen Menschen stehen aufgrund der
Ist das auch Ihr Eindruck, und welche Gefahr droht dadurch
noch merken sie, welche Last sie etwa anderen Menschen damit
ist sie ab diesem Stadium kaum noch zu sprachlichen Äußerungen
vorwiegend geschädigten Hirnregionen eine Gemütsverflachung,
speziell dementen Menschen?
aufbürden. Ihnen ist schlechterdings die Fähigkeit zur Empathie ab-
und Wahrnehmungsempfindungen fähig. Nach fünf Jahren wird
ein Antriebsverlust und das Auftreten stereotyper Handlungen im
Haupt: Ich teile diese Kritik, beobachte aber auch, dass sich die Situ-
handen gekommen.
sie – nun lange schon als Schwerstpflegefall – zum Beispiel an einer
Vordergrund der affektiven Störungen.
ation allmählich bessert. Sowohl Ärzte als auch Pflegekräfte und die
Lediglich bei Menschen mit einer Frontotemporalen Demenz ist
und immer wieder mit Unruhe und Schlafstörungen zu kämpfen
Lungeninfektion sterben.
Letzteres wird in diesem fiktiven Beispiel auch mit der zweiten
Heimleitungen fragen heute kritischer, ob eine bestimmte Medika-
Auch wenn die Kommunikation mit dem Kranken immer ein-
chungen an Gehirnen verstorbener Demenzpatienten haben ge-
tion wirklich notwendig ist. Zudem gibt es inzwischen eine Reihe
geschränkter wird, gibt es trotzdem Anhaltspunkte dafür, dass
Dame passieren, aber ihr Krankheitsverlauf weicht erheblich vom
zeigt, dass diejenigen, die während ihrer Demenz Depressionen
neuer Neuroleptika, mit denen sich anhaltende Verhaltensstörun-
auch schwerkranke Demente Gefühle erleben?
ersten Fall ab. Sie wird von einem Facharzt Medikamente erhalten,
entwickelt hatten, deutlich stärkere Schäden in bestimmten Hirn-
gen gut behandeln lassen. Aber ein Problem bleibt: Wir haben es
Haupt: Dafür gibt es durchaus beobachtbare Zeichen. Selbst
die dafür sorgen, dass sich während der ersten zwei bis drei Jahre
regionen – und zwar in den so genannten aminergen Kernen – auf-
bei Demenzkranken mit einer Gruppe von Menschen zu tun, die
schwerstkranke Patienten zeigen ein Lächeln, wenn man freundlich
die Symptome nicht wesentlich verschlechtern; auch nicht-kogniti-
wiesen. Das ist ein Indiz dafür, dass auch die Depressionen – ebenso
kaum für sich selbst sprechen kann.
mit ihnen umgeht; sie werden dadurch ruhiger und entspannter.
ve Störungen treten seltener, schwächer und nur vorübergehend
Sie reagieren auf freundliche Ansprache, auf Musik, die sie als ange-
auf. Nach zwei Jahren kann sie die grundlegenden Alltagsaktivitä-
ten besonders fatal, denn alle Neuroleptika sind ZNS-gängig, wir-
nehm empfinden. Sie suchen auch gezielt die Gemeinschaft ande-
ten noch selbstständig erledigen; bei komplexeren Vorgängen – et-
ken also auch im Gehirn. Dadurch lösen sie bei Dementen, deren
rer Menschen auf. Der affektive Bereich ist also keineswegs erlo-
wa Schriftverkehr oder Bankangelegenheiten – wird sie die Mithilfe
gen vor allem die Gehirne von solchen verstorbenen dementen
Gehirn massiv geschädigt ist, eine besonders gravierende Neben-
schen, wir wissen nur nicht, wie weit das bei einem schwer demen-
von Angehörigen benötigen.
Menschen zu Gesicht bekommen, die längst das schwerste Krank-
wirkungskaskade aus; es kommt zu Versteifungen und Gang-
ten Menschen im Bewusstsein verankert ist.
heitsstadium erreicht hatten. Ob demente Menschen auch in dieser
unsicherheiten, die Sturzneigung ist erhöht. Dabei sind Stürze der
Phase noch Depressionen erleben, wissen wir einfach nicht. Wir ha-
häufigste Grund für Immobilität und Bettlägrigkeit. Schluck-
Welche Gefühlsäußerungen bleiben bei einem demenzkran-
in dieser Phase geringer als im ersten Fall. Sie ist beispielsweise er-
ben schließlich keine Möglichkeit, den Patienten nach seiner Stim-
beschwerden können auftreten, was die ohnehin nicht einfache
ken Menschen am längsten sichtbar?
heblich länger mobil und kann auch weiterhin an Betreuungs-
mungslage zu befragen.
Nahrungsversorgung bei diesen Patienten zusätzlich erschwert.
Haupt: Das sind Dinge wie freudvolles Empfinden, das Gefühl von
angeboten teilnehmen. Erst in den letzten Monaten vor ihrem Tod
Geborgenheit, Höflichkeit und gute Umgangsformen – jedenfalls
wird sich ihr Zustand so weit verschlechtern, dass auch sie schließ-
Der zweite Teil der Frage ist schwerer zu beantworten. Untersu-
wie die kognitiven Verluste – Ausdruck der organischen Schadensprozesse sein könnten.
Allerdings muss man sich klar machen, dass die Neuropatholo-
Ein unkritischer Umgang mit Neuroleptika ist bei diesen Patien-
Untersucht man die depressiven Verstimmungen bei leicht- und
Erst danach wird es zu einer generellen Abnahme der Leistungsfähigkeit kommen. Der Grad ihrer Behinderung bleibt jedoch auch
mittelgradig Dementen genauer, so wird klar, dass diese meist eine
Sie haben bereits das Problem angesprochen, dass es mit zu-
bei Alzheimer-Patienten. Bei Menschen mit Frontotemporaler De-
lich bettlägrig und immobil wird und nach einer kurzen Phase der
Reaktion auf die Einbußen sind, die die Kranken sehr deutlich wahr-
nehmendem Schweregrad der Demenz immer weniger mög-
menz trifft dies, wie gesagt, nicht zu.
Schwerstpflegebedürftigkeit stirbt.
64
65
BELASTUNG FÜR ANGEHÖRIGE
BELASTUNG FÜR ANGEHÖRIGE
Entlastung erfahren
pflegende Angehörige vor
allem durch zwei Dinge:
sachliche Information und
Erfahrungsaustausch
logie und Medizinische Soziologie der Uni-
nicht nur zusätzliche Aufgaben und Verant-
versität Leipzig durchgeführt haben.
wortung übernehmen, sondern muss vor
Mit ihrer Einschätzung stehen die drei
allem damit klarkommen, dass der kranke
nicht allein. Praktisch alle Untersuchungen
Partner nicht mehr die Persönlichkeit ist,
zur gesundheitlichen Belastung pflegender
die er liebt und mit der er viele Jahre zu-
Angehöriger kommen zu diesem Befund.
sammengelebt hat.
Die in den Studien angestellten Vergleiche
Auch erwachsene Kinder, die einen
von pflegenden Angehörigen mit gleichal-
kranken Elternteil pflegen, haben oft Prob-
trigen Menschen aus der Allgemeinbevöl-
leme, in ihre neue Rolle hineinzuwachsen,
kerung zeigen, dass gesundheitliche Ein-
weil sich die alten „Machtverhältnisse“ total
bußen und psychosomatische Beschwerden
umkehren und sich die Mutter oder der Va-
bei den pflegenden Angehörigen verstärkt
ter zu einem „Kind“ zurückentwickeln.
auftreten. Oft leiden sie unter chronischen
fahren Angehörige vor allem durch zwei
Schlafstörungen, Erschöpfungszuständen
Dinge: Informationen über die Krankheit
oder Appetitlosigkeit. Als Folge davon grei-
und Erfahrungsaustausch mit Angehörigen
fen die Betroffenen häufiger zu Schlaf- und
eines anderen Demenzkranken.
Beruhigungsmitteln als die entsprechende
Eine Krankheit
für Zwei
Gruppe aus der Allgemeinbevölkerung.
Medizinisch belegen lassen sich weiter-
Pflegende Angehörige sind
extrem gefordert und brauchen Entlastung
Entlastung, auch das zeigen Studien, er-
Rücken- und Gliederbeschwerden sowie
Eine wichtige Rolle dabei kommt dem
Hausarzt zu – vor allem zu Beginn der Demenzerkrankung. Schließlich suchen ein
hin Herzbeschwerden und ein erhöhter
möglicherweise erkrankter Patient oder
Puls, aber auch Bluthochdruck und ein ge-
dessen Angehörige meist zuerst ihren Haus-
schwächtes Immunsystem, bei dem die An-
arzt auf, wenn Symptome wie Vergesslich-
fälligkeit für Infektionen deutlich ansteigt.
keit oder Verkennen der Realität gehäuft
Auch eine pessimistische Grundstimmung,
auftreten. Für die genaue Diagnose wird
Resignation und Reizbarkeit sowie das Ge-
dieser bei Bedarf einen Neurologen oder
fühl des Ausgebrannt-Seins treten häufiger
Psychiater hinzuziehen; auch die medika-
auf als beim Durchschnitt der Bevölkerung.
mentöse Behandlung liegt in seinen Hän-
Besonders alarmierend ist, dass viele
den. Zugleich sollte er aber auch über die
pflegende Angehörige unter Depressionen
Krankheit aufklären, Behandlungsmöglich-
leiden. Verstärkt werden die psychosomati-
keiten erläutern und Konsequenzen wie das
schen Beschwerden, weil sich die sozialen
„Wie lange hältst Du es noch aus? Bald
schungsprojekte zur Angehörigenberatung
Kontakte in vielen Fällen fast nur noch auf
muss etwas geändert werden. Unendliche
bei Demenz geführt wurden.
den zunehmend verwirrten Familienange-
Hoffnungslosigkeit, Trauer und Kränkung.“
gen Situation am schlimmsten sei, nannten
zu Freunden, Verwandten und Nachbarn
Leben weitergehen soll. Ich tue alles, um
die Angehörigen etwa folgende Probleme:
mehr und mehr verlorengehen.
keinen Ärger zu haben – doch umsonst. Ich
Inkontinenz („Er hat mich angekackt“),
denke zu oft an Selbstmord.“
Aggressivität („Wutanfälle, Schlagen und
aber nicht nur von der aktuellen Situation
„Ich mache mir große Sorgen, wie mein
Die Belastung der Angehörigen hängt
Kneifen“), fehlende Einsichtsfähigkeit („Sie
und dem Zustand des Kranken ab. Geprägt
demenzkranken Ehepartner pflegen und
ist keinen Vernunftgründen zugänglich“),
wird sie auch von der emotionalen Bindung
darüber selbst zu hilfsbedürftigen Personen
Desorientiertheit („Sie möchte immer nach
und den Beziehungskonflikten, die – unab-
geworden sind. Gewiss: Nicht alle, die sich
Hause, obwohl sie doch da ist“), aber auch
hängig von der Erkrankung – die gemein-
um einen demenzkranken Angehörigen
den Verlust der Kommunikationsfähigkeit
same Lebensgeschichte der pflegenden
kümmern, erleben dies so negativ, dass sie
(„Mutter ist kein Ansprechpartner mehr“),
schließlich sogar an Suizid denken. Doch
die Einschränkung eigener Freiräume („Ich
dass die Versorgung einer dementen Per-
bin festgenagelt“) oder das Gefühl der Re-
son die pflegenden Angehörigen extrem
signation („Ich bin mitgestorben“).
Zwei Zitate von Angehörigen, die ihren
und dauerhaft belastet, ist unumstritten.
Der ständige Stress wirkt sich nicht nur
66
hörigen beschränken und die Beziehungen
Auf die Frage, was an ihrer gegenwärti-
„Pflegende Angehörige von Demenzpatienten müssen als Risikopopulation für
und der erkrankten Person ausmachen.
Der Haushaltsreiniger im Glas und der
Schlüsselbund im Kühlschrank: Mit
Szenen dieser Art kommen pflegende
Angehörige besser klar, wenn sie viel
über den Krankheitsverlauf wissen und
auffälliges Verhalten des Dementen
deshalb nicht als bösen Willen deuten.
Demenz ist immer auch eine Familienkrankheit. Nicht nur, weil der Erkrankte
Abfassen von Testamenten und Vorsorge-
und seine Angehörigen eine gemeinsame
vollmachten zur Sprache bringen. Schließ-
Vorgeschichte haben, sondern auch, weil
lich wird ein guter Arzt die Angehörigen
die Krankheit die partnerschaftlichen und
auch über Entlastungsangebote wie Betreu-
familiären Beziehungen radikal verändert
ungs- und Angehörigengruppen informieren (siehe ab S. 78).
auf die körperliche und psychische Gesund-
physische und psychische Erkrankungen
heit der Pflegenden aus, auch die sozialen
betrachtet werden“, konstatieren die bei-
und weil sie eine neue Rollenverteilung er-
Beziehungen innerhalb und außerhalb der
den Psychologinnen Gabriele Wilz und
fordert, was häufig nicht ohne Konflikte
Familie leiden ernorm. Dies belegen bei-
Corinne Adler sowie ihr Kollege Thomas
und psychische Belastungen abgeht.
spielhaft einige Zitate aus Interviews und
Gunzelmann, die die vom Bundesfor-
Beratungsgesprächen, die an der Univer-
schungsministerium geförderten Studien
de Partner oft überfordert, ohne dies sich
dienste bieten solche Gesprächsgruppen
sität Leipzig im Rahmen verschiedener For-
an der Abteilung für Medizinische Psycho-
und seiner Umwelt einzugestehen. Er muss
an, in denen Erfahrungen ausgetauscht
Bei Ehepaaren etwa fühlt sich der gesun-
Die regionalen Alzheimer Gesellschaften, aber auch Seniorentreffpunkte und die
Beratungsstellen der Kirchen und Sozial-
67
BELASTUNG FÜR ANGEHÖRIGE
BELASTUNG FÜR ANGEHÖRIGE
EINBLICK
Zehn lange Jahre
werden können und deren Leitung meist in
den Händen geschulter Fachkräfte liegt.
Entlastend können auch Angebote sein,
Erfahrungen einer pflegenden Angehörigen
die sich an pflegende Angehörige und Erkrankte gemeinsam richten, wie etwa regelmäßige Treffen zur Erinnerungspflege
oder Ausflüge und Spaziergänge, die an die
Möglichkeiten der Erkrankten angepasst
sind. In solchen Gruppen können Angehörige nicht nur Tipps für die Gestaltung des
Mit dem Überreichen des Bundesverdienstkreuzes hat Bundespräsident Johannes Rau
das große ehrenamtliche Engagement von Anneliese Heyde gewürdigt.
Welcher Briefkasten ist meiner? Was schon für Gesunde nicht immer einfach ist,
stellt für Demenzkranke ein unlösbares Problem dar.
Alltags zu Hause erhalten, sondern zugleich
soziale Kontakte pflegen, die auch dem Erkrankten zugute kommen.
Eine sehr große Hilfe sind die so genannten Betreuungsgruppen, die Demenzkran-
Zeitgefühl verloren
ke ein- bis zweimal in der Woche für zwei
Anneliese Heyde hat ihren demenzkranken Mann von 1979 bis 1989
„Einmal bringt der Briefträger die Post. Ich bitte meinen Mann, den
bis drei Stunden betreuen und ihren Fähig-
zehn Jahre lang betreut und gepflegt. Nach seinem Tod gründete
Briefkasten zu leeren, aber er kommt ohne Post. ‚Nichts drin’ ist
keiten entsprechend beschäftigen. Ein wei-
die Stuttgarterin 1991 die bundesweit erste Betreuungsgruppe für
seine knappe Antwort. Ich hole die Briefe selbst und bin verärgert.
„Der Kranke verliert immer deutlicher jegliches Zeitgefühl. Wir
teres regelmäßiges Entlastungsangebot
Demenzkranke und engagierte sich in der Deutschen Alzheimer
Heute weiß ich, dass er Probleme hatte, unseren Briefkasten von
sind bei einem Vetter zum Geburtstag eingeladen. Alle Gäste sind
stellt die Tagespflege in einem Heim dar.
Gesellschaft. Für ihre ehrenamtliche Arbeit erhielt sie im Jahr 2001
denen der anderen Hausbewohner zu unterscheiden.“
meinem Mann bekannt und angenehm. Nach einer knappen Stun-
Eine längere Verschnaufpause für pflegende Angehörige bietet die Kurzzeitpflege, bei der die Demenzkranken für eine bis
von Bundespräsident Johannes Rau persönlich das Bundesverdienstkreuz überreicht.
de erklärt er, dass wir jetzt nach Hause gehen. Niemand wollte das
Scheine bevorzugt
In vielen Vorträgen hat sie über ihre schweren, aber auch erfreu-
zur Kenntnis nehmen, da das Fest erst losging, aber ich wusste, dass
mir keine andere Wahl blieb. Er war müde, ich brachte ihn zu Bett,
mehrere Wochen stationär in einem Pflege-
lichen Erlebnisse als pflegende Angehörige berichtet und so ande-
„In dieser Phase der Krankheit sind wir noch regelmäßig in Urlaub
und als ich am nächsten Morgen über den Vorfall reden wollte,
heim untergebracht sind. Da gerade De-
ren Angehörigen im Umgang mit einer Demenzerkrankung Mut
gefahren. Auffallend war, dass mein Mann im Urlaubsort die Devi-
spürte ich sofort, dass dies zwecklos war. Sowohl die Einladung als
mente auf örtliche Veränderungen oft ver-
gemacht. Die folgenden Auszüge aus ihren Aufzeichnungen und
sen nicht mehr selbst umtauschte, sondern unter einem Vorwand
auch der plötzliche Aufbruch waren vergessen.“
stört reagieren, ermöglichen viele Anbieter
Berichten schildern die Herausforderungen und Erfahrungen beim
mich damit beauftragte, und dass er beispielsweise im Lokal sagte:
Probetage, um abzuklären, wie der Kranke
schwierigen Zusammenleben mit einem dementen Menschen.
‚Heute zahlt meine Frau.’ Wenn er gelegentlich Kleinigkeiten ein-
mit der neuen Umgebung klarkommt.
Manche Einrichtungen bieten inzwi-
Besuche abgesagt
schen auch „betreuten Urlaub“ für Angehörige und Erkrankte an, bei dem es neben
„Viele Merkwürdigkeiten, die man zunächst nicht als Krankheit er-
gemeinsamen Aktivitäten auch Zeiten zur
kennt, werden erst im Nachhinein verständlich. Bevor das Verges-
freien Gestaltung für die Pflegenden gibt.
sen und Verlieren begann, war bei meinem Mann die Wesensverän-
mehr wusste, wie viel das Geld wert war. Er hat mir dann daheim das
„Der Übergang von dieser Phase, in der man noch etwas unterneh-
Kleingeld abgeliefert und nach großen Scheinen gefragt. Damals
men konnte, in die Zeit des körperlichen Zerfalls war schleichend,
habe ich ihn vergeblich um eine Erklärung gebeten.“
aber stetig. Ganz ausgeprägt wurden die Ängste. Bei Dunkelheit
mussten in der Wohnung alle Lichter brennen. Die Türen ließ er im-
Ausrede gefunden
mer hinter sich offen. Er musste hören und fühlen, nicht allein zu
sein. Zu den Ängsten in der Dunkelheit kam in jener Zeit auch die
derung auffällig und für mich schwer zu verstehen. Er war ein offe-
Das Heim als bessere Lösung
Dunkelheit gefürchtet
gekauft hat, zahlte er immer mit großen Scheinen, weil er nicht
ner und geselliger Mensch, hatte gern Freunde um sich, erzählte
„Solche Beispiele werden in der ersten Phase alltäglich. Immer häu-
Angst vor dem Rasieren, vor Wasser. Gespräche in einer größeren
interessant und fühlte sich bei häuslichen Einladungen besonders
figer wird verloren, vergessen, verlegt – und immer haben andere
Runde waren nicht mehr möglich, und selbst der Besuch guter
Wenn in der Endphase einer Demenzer-
wohl. Plötzlich stellte ich fest, dass er Besuche ohne Grund absagte
die Schuld. In dieser Anfangsphase empfindet der Demente seine
Freunde bereitete ihm Unbehagen. Dazu kam natürlich, dass
krankung die Pflegebedürftigkeit noch-
und Einladungen nach zu Hause hinausschob. Er fand immer einen
Defizite kaum und das Zusammenleben ist noch nicht schwierig.
Außenstehende nicht wussten, wie sie mit der Krankheit umgehen
mals stark zunimmt, stößt die häusliche
Grund, warum dies oder jenes hinausgeschoben werden musste,
Oft gibt es sogar Anlass zum Schmunzeln oder gar zum gemein-
sollten. Mit fortschreitender Krankheit haben die Aggressionen
Pflege oft an ihre Grenzen. Die Angehöri-
und es ging lange, bis ich seine Ausflüchte bemerkte.“
samen Lachen. Der Kranke findet für jedes Missgeschick eine pas-
nachgelassen, sie wurden abgelöst von depressiven Verstimmun-
sende Ausrede.“
gen. Musik war in dieser Zeit hilfreich und wohltuend.“
Einladung vergessen
Friedlich gestorben
gen sind meist über Gebühr belastet – und
scheuen sich trotzdem, den Kranken in ein
Ehefrau angeschwindelt
Pflegeheim zu geben. Viele haben das Gefühl, dadurch den Ehepartner oder das El-
„Mein Mann ging nach der Pensionierung regelmäßig zum Stamm-
ternteil zu verraten und abzuschieben.
tisch mit früheren Kollegen. Mir fiel auf, dass er die Termine ver-
„Sehr viel schwieriger wird es in der zweiten Phase. Die Wesensver-
„Die Sterbephase begann damit, dass mein Mann nicht mehr auf-
streichen ließ. Auf meine Frage, warum er nicht mehr hingehe,
änderung schreitet fort. Der Demente empfindet seine Defizite und
stehen konnte. Der Weg ins Bad war nicht mehr möglich und nach
– und doch ist oft das Pflegeheim jetzt für
erhielt ich die Antwort, der Stammtisch sei aufgelöst. Als nach
wird aggressiv oder depressiv. In dieser Phase muss sich der gesun-
wenigen Tagen konnte er auch nicht mehr auf der Bettkante sitzen.
beide Seiten die bessere Lösung. Denn ohne
Wochen eine Rückfrage von Kollegen kam, erklärte mein Mann:
de Partner mit dem Verlauf der Krankheit befasst haben, damit die
Das Herz wurde immer schwächer und die Kräfte schwanden zu-
das tägliche pflegerische „Muss“ des Wa-
‚Da gehe ich nicht mehr hin, die sind alle schwerhörig.’ Bei älteren
Bewältigung des Alltags erträglich bleibt. Ein Beispiel dafür: Am
sehends.“
schens, Fütterns und Windelns sind Ange-
Herren war das ja möglich, aber heute weiß ich, dass mein Mann der
Vormittag kaufen wir einen Strauß, denn wir sind eingeladen. Mein
„In der letzten Phase war meine Nähe besonders wichtig. Ich ver-
hörige von einer schweren Last befreit.
Unterhaltung nicht mehr folgen konnte und dies als sehr unange-
Mann sucht die Blumen selbst aus. Nach dem Mittagsschlaf wird er
legte alle Tätigkeiten ins Krankenzimmer, das Bügeln, das Lesen,
nehm empfand.
böse, weil er von diesem Besuch und den Blumen nichts mehr weiß.
das Fernsehen und Radio hören. Das Haus habe ich dann nur kurz
sich intensiver und freier dem Kranken wid-
Damals habe ich resigniert, seine Unaufrichtigkeit verletzte mich
Auch das Vorzeigen des Straußes weckt keine Erinnerung. Ich bin
verlassen, wenn eine liebevolle Hilfe für mich eingesprungen ist.
men, ihm unter Umständen mehr Zuwen-
tief. Heute würde ich die Kollegen von der Krankheit unterrichten,
wieder einmal verzweifelt. In diesem Fall ist es am besten, seine
Nach neun Wochen Krankenlager erlosch das Lebenslicht ganz
dung geben als zuvor und auf diese Weise
sie bitten, meinen Mann abzuholen und so lange wie möglich in die
Defizite einfach zur Kenntnis zu nehmen, sonst bricht ein Streit aus
friedlich und ohne Todeskampf. Ich bin dankbar dafür, dass meine
auch sich selbst entlasten.
Unterhaltung mit einzubeziehen.“
und die Nachmittagseinladung platzt.“
Kraft ausreichte, meinen Mann in den Tod zu begleitet zu haben.“
Solche Gewissensbisse sind verständlich
Bei regelmäßigen Besuchen können sie
68
69
KOSTEN
BELASTUNG FÜR ANGEHÖRIGE
FOKUS FORSCHUNG
Doppelter Nutzen,
weniger Angst
der Gruppensitzungen aufgelistet waren. Die Themenbereiche umfassten alle wichtigen Aspekte der Demenzerkrankung.
Jede Sitzung begann mit einer Rückmelderunde, bei der die Teilnehmer über ihre Pflegetätigkeit der vorangegangenen Woche
berichteten. Anschließend befassten sie sich mit den einzelnen
Gruppenarbeit mit pflegenden Angehörigen
hilft auch den Demenzkranken
Schwerpunktthemen, die anhand alltagsrelevanter Beispiele besprochen wurden. Neben der reinen Wissensvermittlung ging es
auch um die besondere emotionale Belastung der Pflegenden sowie
um Problemlösungsstrategien für das oftmals angespannte Verhältnis zwischen Angehörigen und Demenzkranken.
Die Situation der Erkrankten, die an den Gruppensitzungen ja
nicht teilnahmen, erfassten Karger und Haupt mit Hilfe von drei Erhebungen, bei denen sie die Angehörigen eingehend befragten
und deren Angaben in spezielle Werteskalen eintrugen. So wurden
die Verhaltensauffälligkeiten der Demenzkranken mit der „Behavioural Abnormalities in Alzheimer’s Disease Assessment Scale“
(BEHAVE-AD) registriert, wobei besonders nach Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Unruhezuständen, Aggressivität, Depressivität und Angstzuständen gefragt wurde.
Die Alltagsbeeinträchtigungen der Erkrankten erfassten die
Düsseldorfer Spezialisten dagegen mit einem anderen standardi-
Bei der Pflege Demenzkranker unerlässlich: der Gedanken- und Erfahrungsaustausch mit
anderen Angehörigen wie hier im Haus der Diakonie in Stuttgart.
sierten Beobachtungsbogen, der „Nurse’s Observation Scale for Geriatric Patients“ (NOSGER). Dabei untersuchten sie Gedächtnisleistung, Alltagsaktivität, Körperpflege, Stimmung, soziales Verhalten
sowie störendes Verhalten der Dementen.
Dass Angehörigengruppen, in denen pflegende Familienmitglieder
Zusätzlich zu BEHAVE-AD und NOSGER entwickelte das Team
psychologisch betreut und über Demenzen informiert werden, für
um Karger und Haupt mit der Skala zur Erfassung von „Verhaltens-
die Angehörigen hilfreich sind, ist unter Fachleuten unumstritten.
auffälligkeiten von Demenzkranken zu Hause“ (VAD) ein weiteres
Der Erfahrungsaustausch mit anderen Angehörigen, ein breites
Fremdbeurteilungsinstrument, um jene vier Verhaltensauffällig-
Wissen über Demenzerkrankungen sowie das Erlernen von Prob-
keiten zu erheben, die Angehörige besonders belasten, nämlich Un-
lemlösestrategien oder Entspannungstechniken erleichtern den
ruhe, Aggressivität, Angst und Apathie des Erkrankten.
Umgang mit dem Erkrankten.
Teure Pflege
Ein Blick in die Portemonnaies aller Beteiligten
Die erste Befragung der Angehörigen fand vor, die zweite nach
der dreimonatigen Periode der Gruppensitzungen statt. Die statisti-
Gesundheit ist uns allen lieb – und auch teu-
ation der Demenzkranken verbessern, war lange Zeit nicht er-
sche Auswertung aller gewonnenen Daten ergab, dass sich Grup-
er. So berechnete das Statistische Bundes-
allein schon aufgrund des demographi-
forscht worden. Eine der wenigen Studien dazu entstand 2001 am
penarbeit mit Angehörigen in der Tat auch auf die Kranken positiv
amt für die Gesamtausgaben aller Kosten-
schen Wandels erheblich wachsen.
Universitätsklinikum Düsseldorf, wo eine Arbeitsgruppe um Martin
auswirkt. Karger: „Die NOSGER-Werte zeigen, dass sich die Demenz-
träger im Jahr 2001 in Deutschland eine
Haupt und André Karger dieser Frage in einer mehrmonatigen
kranken nach Einschätzung der pflegenden Angehörigen im Be-
Summe von 225,9 Milliarden Euro. Das ent-
Bild der Kosten von Demenzerkrankungen
Untersuchung gezielt nachging. Teilnehmer der Untersuchung wa-
reich gedächtnisassoziierter Alltagsleistungen messbar verbessert
spricht einem Anteil von 10,9 Prozent des
zu erhalten, liegt vor allem darin begrün-
ren 14 Patienten und ihre pflegenden Angehörigen, die in die
haben.“ Diese Alltagsleistungen betreffen fünf unterschiedliche
Bruttoinlandsprodukts.
det, dass Familien einen Großteil des Pflege-
Sprechstunde der Psychiatrischen Klinik der Heinrich-Heine-Uni-
Fähigkeiten: eine unterbrochene Unterhaltung richtig fortzuset-
versität gekommen waren.
zen; im Gespräch nicht immer wieder den gleichen Punkt zu
und Betreuung Demenzkranker aufgewen-
ke unentgeltlich erbringen. Die Familien
wiederholen; sich an die Namen enger Freunde zu erinnern; sich zu
det werden muss, darüber gibt es unter-
opfern Zeit und Mühe, was beispielsweise in
deutschen Landesbank geförderten Studie wurden die Angehöri-
erinnern, wo Kleider und andere Gegenstände liegen; Personen
schiedliche Berechnungen. Diese sind
die Gesamtrechnung des Statistischen Bun-
gen – in zehn der insgesamt 14 Fälle waren dies die Ehegatten – drei
nicht zu verwechseln.
abhängig davon, welche Kosten man be-
desamts überhaupt nicht als Kostenfaktor
Neben der besseren Gedächtnisleistung wies die Studie in zwei
rücksichtigt und wie man die einzelnen
eingeht. Die amtliche Statistik erfasst ledig-
und am Ende der Studie erfassten die Ärzte und Psychologen den
weiteren Bereichen der VAD-Skala deutliche Verbesserungen auf.
Kostenarten bewertet. Die vorliegenden
lich die so genannten direkten Kosten, also
Zustand und das Verhalten der Demenzkranken und Angehörigen
So zeigten die Demenzkranken nach Ende der Gesprächsgruppen
Kostenschätzungen unterschiedlicher Wis-
das Geld, das Privatpersonen oder Institu-
und verglichen dann diese „Vorher-Nachher-Werte“ miteinander.
mit den Angehörigen deutlich weniger Angst und Unruhe.
senschaftler schwanken für die Situation in
tionen tatsächlich ausgegeben haben. Indi-
Deutschland zwischen knapp zehn Milliar-
rekte Kosten – wie die für freiwillig geleistete Pflegearbeit – bleiben außen vor.
Ob solche „psychotherapeutischen Gruppen“ aber auch die Situ-
In der von der Anton-Betz-Stiftung und der Stiftung der West-
Monate lang einmal wöchentlich in Gruppensitzungen betreut. Vor
„Es war zu erwarten, dass sich eine durch die Gruppenarbeit bewirk-
Über die genauen Ursachen der besseren Gedächtnisleistung
Wieviel Geld davon für die Behandlung
te Einstellungs- und Verhaltensänderung der pflegenden Angehöri-
und der verringerten Ängste können die Forscher bisher nur mut-
den Euro und mehr als 25 Milliarden Euro
gen günstig auf die häusliche Interaktion zwischen Pflegendem
maßen. Die bessere Gedächtnisleistung lässt sich wohl nicht als Aus-
pro Jahr.
und Krankem auswirkt“, erläutert Karger den Forschungsansatz.
druck einer spezifisch gedächtnisfördernden Wirkung der Ange-
Jeweils sieben pflegende Familienmitglieder nahmen an einer
hörigengruppen interpretieren. „Vielmehr“, so Karger, „hat ver-
der beiden „psychoedukativen Angehörigengruppen“ teil. Leiter
mutlich die kompetentere Führung und Begleitung durch den An-
dieser Gruppen waren zwei Ärzte mit einer speziellen gerontopsy-
gehörigen zu einer allgemein verbesserten Befindlichkeit des
chiatrischen und psychotherapeutischen Ausbildung. Zu Beginn
Betroffenen geführt und damit auch zu einer erhöhten Verfügbar-
erhielt jeder Angehörige eine Art Stundenplan, in dem die Themen
keit seiner noch vorhandenen Leistungsreserven.“
70
Unstrittig sind unter Gesundheitsökonomen drei Aussagen:
Demenzerkrankungen gehören zu den
teuersten Krankheiten überhaupt.
Sie sind die teuerste Krankheitsgruppe
bei Menschen im höheren Alter.
Die Ausgaben hierfür werden in Zukunft
Die Schwierigkeit, ein „realistisches“
und Betreuungsaufwands für Demenzkran-
Eine Gruppe um den Gesundheitssystemforscher Johannes Hallauer von der Berliner Charité hat vor wenigen Jahren mit
Hilfe einer Studie versucht, auch diese indirekten Kosten in Geldwerten zu erfassen.
Die Forscher befragten dazu Ärzte, Pflegeeinrichtungen und Angehörige nach den
71
KOSTEN
KOSTEN
FOKUS FORSCHUNG
Die Hilfe zum
Helfen auf dem
Prüfstand
direkten Kosten sowie die Angehörigen
Was bringt die intensive Beratung
pflegender Angehöriger?
suchten auch, wofür die ermittelten Zusatz-
Pflege und Betreuung von Kranken mit ei-
kosten ausgegeben wurden. Auf die Lang-
ner Alzheimer-Demenz. Diesen Zeitauf-
zeitpflege entfiel mit 75 Prozent der Haupt-
wand ließen die Berliner Forscher mit ei-
anteil. Demgegenüber verursachten die Di-
nem „Stundensatz“ von 12,78 Euro in die Be-
agnose der Krankheit (0,35 Prozent) und die
rechnung einfließen.
medikamentöse Behandlung der Patienten
Wie zu erwarten, zeigte sich, dass diese
Entlastende Angebote für Angehörige – hier eine Maltherapie für Betreuer von Demenzkranken
– können dazu beitragen, die Heimunterbringung der Erkrankten hinauszuzögern.
Johannes Hallauer nennt dafür triftige Gründe: „Aus Studien in
nötigen und je länger dies erforderlich ist, desto höhere Kosten wer-
Kanada, Australien und in den USA wissen wir, dass sich durch die
den die Demenzerkrankungen der Solidargemeinschaft aller Kran-
dort erprobten Beratungsangebote die Zahl der Heimeinweisungen
ken- und Pflegeversicherten aufbürden. Pflegen dagegen Angehö-
im Beobachtungszeitraum auf die Hälfte senken ließ. Wir wollen
rige einen Demenzkranken zu Hause, so erhalten zwar auch sie
nun prüfen, ob sich dieses positive Ergebnis auch unter den Bedin-
Sach- und/oder Geldleistungen für diese Tätigkeit, doch diese Zu-
gungen unseres Gesundheitssystems erreichen lässt.“
wendungen erreichen bei weitem nicht die Kosten einer Heim-
Für die auf zwei Jahre geplante Studie konnten die Forscher 17
Rechnet man die indirekten
Kosten hinzu, so schultern
pflegende Angehörige die
Hauptlast bei der Betreuung
von Demenzkranken
(1,6 Prozent) nur marginale Zusatzkosten.
„Bruttokosten“ stark abhängig vom Schwe-
Für die stationäre Behandlung im Kranken-
regrad der Erkrankung sind und mit diesem
haus fielen gegenüber der Vergleichsgrup-
steil ansteigen. Im Mittel verursachte dem-
pe gar keine zusätzlichen Kosten an.
zufolge ein Alzheimer-Patient pro Jahr Kos-
Je mehr Demenzkranke eine stationäre Vollzeitpflege im Heim be-
Die kanadischen Wissenschaftler unter-
nach dem Zeitaufwand für die Behandlung,
So unterschiedlich die Ergebnisse dieser
ten von 43 746 Euro. Zwei Drittel davon,
beiden beispielhaft herausgegriffenen Kos-
nämlich 29 706 Euro, trugen die Familien
tenanalysen auch ausfallen, sie zeigen eines
oder pflegenden Partner. Allerdings muss-
ganz deutlich: Es sind vor allem die Pflege-
ten sie diese Summe nur zu einem kleinen
leistungen, die Demenzerkrankungen so
Teil tatsächlich aufbringen – ihre Ausgaben
teuer machen. Welche finanzielle Last auf
lagen bei 2045 Euro; den Löwenanteil
die Solidargemeinschaft zukommt, hängt
machte der erhebliche Zeitaufwand aus,
dabei gleich doppelt vom demographi-
den sie freiwillig erbrachten.
schen Wandel ab (siehe ab S. 19). Zum einen
Knapp 30 Prozent der durchschnitt-
steigt die Zahl der alten Menschen und be-
lichen jährlichen Kosten, nämlich 12 961 Eu-
sonders die der Hochbetagten in den kom-
unterbringung. Die Bereitschaft, die Fähigkeit und die ganz prakti-
Alzheimer-Zentren gewinnen – davon 14 Zentren in Deutschland,
ro, trug die gesetzliche Pflegeversichung
menden Jahren. Zum anderen sinkt die
sche Möglichkeit der Angehörigen, einen dementen Partner oder
zwei in Österreich und eines in der Schweiz. Teilnehmen werden
und nur 2,5 Prozent oder 1099 Euro muss-
Zahl der jüngeren, erwerbstätigen Men-
Angehörigen möglichst lange zu pflegen, entscheiden letztlich da-
insgesamt 248 mittelgradig erkrankte AD-Patienten und deren An-
ten die gesetzlichen Krankenkassen zu die-
schen. Verändern könnte sich zudem die
rüber, wie stark die Kosten für die Betreuung Demenzkranker in Zu-
gehörige. Alle teilnehmenden AD-Patienten müssen zu Studien-
sem Gesamtkostenpaket beisteuern.
Bereitschaft oder die Möglichkeit der Fami-
kunft steigen werden.
beginn mit einem pflegenden Angehörigen zu Hause wohnen, sie
Ein wichtiges gesundheitspolitisches Ziel ist es daher, Angehörige in die Lage zu versetzen und darin zu bestärken, die Pflege eines
dementen Menschen möglichst lange zu übernehmen. Ein im
Herbst 2003 begonnenes gemeinsames Projekt des Alzheimer-Spe-
Durch das „Hineinrechnen“ der indirek-
dürfen nicht akut körperlich erkrankt sein, und eine Heimunter-
ten Kosten wandelt sich das Bild also be-
bringung darf nicht unmittelbar geplant sein.
trächtlich. Die direkten Ausgaben, so die
Experten gehen davon aus, dass gegenwärtig die Mehrheit der in Deutschland le-
zum Abschluss der Studie die kognitive Leistungsfähigkeit, die Art
15 850 Euro oder 37 Prozent der Bruttokos-
benden dementen Menschen vom Lebens-
und Schwere der nicht-kognitiven Symptome, ihre Fähigkeit zur Be-
ten von 43 746 Euro zu Buch. Die gesetz-
wältigung von Alltagstätigkeiten sowie den Medikamentenkonsum
liche Pflegeversicherung trägt davon rund
und die Höhe der in Anspruch genommenen Gesundheitsleistun-
80 Prozent, den Rest teilen sich die Familien
gen. Bei den pflegenden Angehörigen erfassen die Mediziner
und die gesetzlichen Krankenkassen im
mittels Fragebogen die Lebensqualität, den Zeitaufwand für die
Verhältnis 2 zu 1. Rechnet man jedoch die
Pflege und deren Belastung sowie den Medikamentenkonsum. Die-
indirekten Kosten mit hinein, so schultern
se Daten werden insgesamt dreimal erfragt, und zwar zu Beginn der
die Familien bei weitem die Hauptlast.
Kanadische Wissenschaftler schlugen
vor einigen Jahren einen anderen Weg der
Nach dem Zufallsprinzip wird den Angehörigen der 248 Patienten entweder ein einmaliges Beratungsgespräch mit einem Sozial-
Kostenrechnung ein. Sie untersuchten in
pädagogen angeboten oder ein umfangreiches „Training“, das auf
einer für Kanada repräsentativen Studie,
der Schulungsreihe „Hilfe beim Helfen“ der Deutschen Alzheimer
welche zusätzlichen Krankheitskosten
Gesellschaft beruht. Dieses umfasst sechs bis sieben jeweils etwa
Demenzkranke gegenüber einer nichtdementen, aber gleichaltrigen Kontroll-
zweistündige Gruppensitzungen, in denen die Angehörigen von erfahrenen Pflegekräften auf die möglichen Probleme, Krisen und
Konflikte vorbereitet werden. Dieser im zweiwöchigen Abstand
stattfindende „Grundkurs“ wird ergänzt durch sechs Wiederhozialisten Alexander Kurz von der Technischen Universität München
lungsabende im Abstand von je zwei Monaten. An diesen können
und des Gesundheitssystemforschers Johannes Hallauer von der
die Angehörigen jene Situationen und Probleme zur Sprache brin-
Berliner Charité sowie der Deutschen Alzheimer Gesellschaft soll
gen, die bei ihnen in der Zwischenzeit aufgetreten sind.
nun die Frage klären, ob eine systematische und ausführliche Schu-
Menschen zu Hause zu pflegen.
Berliner Wissenschaftler, schlagen mit
Für alle 248 AD-Patienten ermitteln die Mediziner zu Beginn und
Studie sowie ein beziehungsweise zwei Jahre später.
Ambulante Pflegedienste können mit gezielt vereinbarten Dienstleistungen und Betreuungsangeboten helfen, der drohenden Überlastung pflegender Angehöriger entgegenzuwirken.
lien und Angehörigen, einen dementen
Nach einem Jahr soll „Bilanz“ gezogen werden: Wieviele AD-Pa-
Rund 40 Prozent aller mittelgradig
oder schwer erkrankten Menschen mit
Demenz leben in Pflegeheimen. Die
vollstationäre Betreuung und Versorgung verursacht den Löwenanteil der
Kosten bei diesen Erkrankungen.
gruppe von Menschen verursachen. Auf der
Preisbasis von 1991 ergab sich hierfür im
partner oder den Familien der Kinder ge-
Durchschnitt ein jährlicher Zusatzaufwand
pflegt wird. Nur rund 40 Prozent der Patien-
von umgerechnet 10 380 Euro. Bei Kranken,
ten mit mittelschweren oder schweren De-
die in der Familie gepflegt wurden, lag die-
menzen leben in Langzeitpflegeheimen.
ser Wert bei 7414 Euro; direkte und indirek-
Steigt dieser Anteil, so würde dies die Kos-
te Zusatzkosten verteilten sich dabei hälf-
tenträger – vor allem die gesetzliche Pflege-
lung der Angehörigen von Patienten mit Alzheimer-Demenz (AD)
tienten wurden inzwischen in ein Heim eingewiesen? Unterschei-
tig. Waren die Demenzkranken in Pflege-
versicherung und die Sozialhilfe – erheblich
geeignet ist, den Einweisungszeitpunkt der erkrankten Menschen
det sich dieser Prozentsatz zwischen beiden Gruppen? Unterschei-
heimen untergebracht, so lagen die Netto-
stärker belasten.
in ein Pflegeheim hinauszuzögern. Zudem soll diese vom Bundes-
den sich die Lebensqualität und das Einnahmeverhalten von Medi-
Zusatzkosten bei 14 161 Euro pro Patient und
ministerium für Bildung und Forschung geförderte Studie klären,
kamenten der pflegenden Angehörigen in beiden Gruppen? Dies
Jahr. Alle Summen beziehen sich dabei
Angehörige von Demenzkranken bei ihrer
ob ein solches Angebot die Angehörigen spürbar entlastet.
sind die Fragen, auf die sich die Forscher dann Antworten erhoffen.
wohlgemerkt auf das Erhebungsjahr 1991.
Pflegearbeit maximal zu unterstützen.
72
Schon aus diesem Grund ist es wichtig,
73
PFLEGEHEIME
PFLEGEHEIME
einzelnen Heimbewohner hatten. Dieser
ren Krankheitssymptome und Auffälligkei-
können. Zudem muss das Personal einer
zeitliche Anteil ging im Untersuchungszeit-
ten nachhaltig beeinflusst. Ziel ist es, den
solchen stationären Einrichtung auch in
raum von 12 auf 6,7 Prozent zurück – das
äußeren Rahmen und die Art der Begeg-
der Lage sein, den Tagesablauf sehr flexibel
heißt, während eines Acht-Stunden-Tags
nung an den Krankheitsprozess anzupassen
zu gestalten. Nicht ein starrer Zeit- und
blieben den Pflegekräften gerade einmal 32
und nicht den kranken Menschen an die Be-
Therapieplan sollte darüber entscheiden,
Minuten für die Betreuung.
dingungen einer stationären Einrichtung.
was mit einem Patienten geschieht, son-
Die Situation dürfte überall ähnlich sein,
emotionale, kognitive und physische Ein-
lichkeit. Oftmals spielt es ja keine Rolle, ob
Demenzkranken im stationären Bereich
schränkungen ausgleichen und dem Kran-
pflegerische und therapeutische Maßnah-
schwer abschätzen lässt. Experten rechnen
ken ein ungestörtes, seiner Persönlichkeit
men wie zum Beispiel Haare waschen oder
in Zukunft jedoch mit einer größeren Zahl
angepasstes Leben ermöglichen.
Bewegungsübungen eine Stunde früher
Die räumliche Umgebung zum Beispiel
oder später stattfinden.
grund niedriger Geburtenraten – weniger
wird so gestaltet, dass sie auch für Demente
potenziellen Pflegepersonen. Selbst wenn
übersichtlich bleibt und diese sich orientie-
es den Einrichtungen der Altenpflege ge-
ren und ihren Bewegungsdrang ausleben
lingt, den Personalbestand gleich zu halten,
können. Zugleich wird versucht, gezielt
„Vom Personal erfordert dies alles ein Um-
wird wegen der wachsenden Anzahl de-
Sinnesreize zu vermitteln, indem zum Bei-
denken. Die Arbeit mit Demenzkranken ist
menter Heimbewohner die Belastung für
spiel Material zum „Begreifen“ angeboten
prozesshaft, auf deren situatives Wohlbe-
das Pflegepersonal zunehmen.
wird wie etwa Körbe mit Wäsche zum Zu-
finden ausgerichtet und darf nicht wie die
sammenlegen. Eine solche Aktivität kann
herkömmliche Pflege am funktionalen Er-
folgen immer mehr Heime inzwischen the-
dem Kranken genauso Anknüpfungspunk-
gebnis orientiert sein“, betont zum Beispiel
rapeutische Ansätze, die in einem Demenz-
te an sein früheres Leben bieten wie der
Christina Kuhn von Demenz Support in
kranken nicht mehr wie früher nur einen
Geruch aus dem Backofen, Schlagermusik
Stuttgart, einer Einrichtung, die sich dem
medizinischen Pflegefall sehen. Stattdessen
aus seiner Jugend oder die Einrichtung des
Wissenstransfer von der Demenzforschung
versuchen die dortigen Fachkräfte und Mit-
Zimmers mit vertrauten Möbeln und Bil-
in die Praxis verschrieben hat. „Wer meint,
arbeiterinnen, die Würde eines dementen
dern aus der früheren Wohnung.
morgens um acht Uhr müsste die Station fix
Trotz dieser schwierigen Situation ver-
Menschen zu wahren, indem sie akzeptie-
Stationäre Einrichtungen für Demenzkranke erfordern ein
Umdenken des Pflegepersonals und der Architekten
dern dessen aktuelle Stimmung und Befind-
auch wenn sich die genaue Zunahme der
an alleinstehenden Kranken und – auf-
Das Milieu im
Mittelpunkt
Ein milieutherapeutisches Vorgehen soll
Auch die Gestaltung des Tagesablaufs
Neues Denken in der Pflege
und fertig aufgeräumt sein, wird sich mit
ren, dass dieser in einer eigenen Realität
orientiert sich bei diesem Konzept an den
dieser Einstellung schwer tun. Ein demen-
lebt. Wenn Pflegende diese andere Realität
individuellen Fähigkeiten, Vorlieben, Be-
tengerechtes Milieu setzt eine besondere
akzeptieren, so die Überzeugung, stärkt
dürfnissen und Gewohnheiten des demenz-
Haltung bei den Mitarbeiterinnen voraus.“
dies das Selbstwertgefühl und die Fähigkei-
kranken Menschen. So müssen die Bewoh-
Die Lebensqualität in einem Heim für
Demenzkranke erfordert ein bauliches, be-
amtlichen Statistik noch durch wissen-
triebliches und soziales Milieu, das – soweit
schaftliche Untersuchungen differenziert
möglich – krankheitsbedingte Defizite
und flächendeckend erfasst.
kompensiert und deren Folgen therapeu-
Eine Abschätzung der Situation von de-
tisch auffängt, sodass in einem beschützten
menzkranken Menschen in stationären Ein-
Rahmen eine weitgehend normale Lebens-
richtungen erlauben aber zwei detaillierte
gestaltung möglich ist. Neben der bau-
Studien, die das Zentralinstitut für Seelische
lichen Dimension und dem dadurch fest-
Gesundheit in Mannheim in 15 Alten- und
gelegten unmittelbaren Umfeld spielt die
Pflegeheimen mit insgesamt mehr als 1300
konkrete Gestaltung betrieblicher und or-
Bewohnern durchgeführt hat.
ganisatorischer Abläufe und deren Anpas-
Danach nimmt der Anteil dementer Be-
sung an die Bedürfnisse der Bewohner eine
wohner zu; im Untersuchungszeitraum der
maßgebliche Rolle.
Studien stieg er zwischen 1995 und 1998
von 54 auf knapp 59 Prozent. Zudem zeigte
therapeutische Orientierung in der Pflege
In Deutschland gibt es derzeit rund 8500
sich, dass drei Viertel der Demenzkranken
Einrichtungen der Altenhilfe mit ungefähr
schwerpflegebedürftig waren und knapp
717 000 Bewohnern. Dies bedeutet, dass gut
die Hälfte von ihnen Verhaltensauffällig-
ten der Kranken. Zum Ausdruck kommt die
ner nicht unbedingt alle zur selben Zeit auf-
derlanden (De Bleerinck, Emmen; Hogewey
fünf Prozent der rund 14 Millionen Bundes-
keiten zeigte.
neue Sichtweise zum Beispiel in der von vie-
stehen und frühstücken, sondern können
Verpleeghuis, Weesp) und in der Schweiz
len Fachleuten propagierten Milieuthera-
dies nach ihrem eigenen Rhythmus tun.
(Krankenheim Sonnweid, Wetzikon).
bürger über 65 Jahre in einem Heim leben.
Auf der anderen Seite wurden im selben
gibt es seit längerem in Dänemark (Zentrum für Demente, Haderslev), in den Nie-
Zeitraum 13 Prozent der Personalstellen
pie, die einen übergreifenden Rahmen für
chungen, dass 50 bis 60 Prozent der Heim-
gestrichen. Dadurch nahm für das übrige
das therapeutische Handeln darstellt.
bewohner unter einer Demenzkrankheit
Personal der Anteil der reinen Pflegetätig-
leiden und deshalb eine besondere Betreu-
keit an der Arbeitszeit zu, sodass die Pflege-
davon aus, dass die Gestaltung des Milieus
ung brauchen. Wie gut sie in den Heimen
kräfte weniger Zeit für die persönliche An-
jeweils versorgt werden, ist weder von der
sprache und individuelle Betreuung der
Ferner zeigen verschiedene Untersu-
74
Erfolgreiche Beispiele für eine milieuDas Gradmann Haus in Stuttgart: Der Grundriss (linke Seite) verdeutlicht das „Dorfstraßenprinzip“, nach dem die stationären
Wohngruppen und die Tagespflege verbunden sind. Die Fotos zeigen eine Außenansicht und einen Blick in die Wandelhalle.
Das bedeutet allerdings, dass die Betreu-
Aber auch in Deutschland findet sich in-
erinnen möglichst viel über die Lebensläufe
zwischen eine Reihe positiver Beispiele von
und Lebensgeschichten ihrer Schützlinge
Pflegeheimen für demenzkranke Men-
wissen sollten und es wenig Wechsel beim
schen. Eines der beeindruckendsten ist das
oder Umfelds eine große Wirkung auf das
Personal geben darf, um ein kontinuier-
von der „Erich und Liselotte Gradmann Stif-
Verhalten dementer Menschen hat und de-
liches Vertrauensverhältnis aufbauen zu
tung“ erbaute Gradmann Haus im Stuttgar-
Der milieutherapeutische Ansatz geht
75
PFLEGEHEIME
PFLEGEHEIME
FOKUS FORSCHUNG
ter Stadtteil Kaltental. Das als Modellprojekt
dem von der Deutschen Alzheimer Gesell-
kombiniert einen Stadtteiltreffpunkt und
schaft herausgegebenen Leitfaden ,Statio-
betreute Altenwohnungen mit teilstationä-
näre Versorgung von Alzheimer-Patienten’,
ren und stationären Plätzen für Demente.
„stellen die verwundbarste Gruppe unter
Das Gradmann Haus ist vor allem auf die
Seiner Aufgabe als
Modellzentrum für demenzkranke ältere Menschen ist
das Gradmann Haus
vollauf gerecht geworden
„Demenzkranke“, betont Sibylle Heeg in
konzipierte Zentrum für Demenzkranke
den Heimbewohnern dar. Nach Experteneinschätzung werden viele der beobachte-
nerinnen ausgerichtet, die mittel- und
ten emotionalen Störungen und Verhal-
schwergradig dement sind und in her-
tensprobleme wie Angst und Unruhe, aber
„Es geht um die Einbindung der Bewohnerinnen und Bewohner in
ner mischten, um solche Interaktionen zu erfassen, die in der Pfle-
kömmlichen Pflegeeinrichtungen ohne be-
auch das Umherwandern sowie Depressi-
den Tagesablauf, es geht um das Leben und Gestalten von Beziehun-
gedokumentation nicht enthalten sind. Dabei zeigte sich, dass die
sondere Betreuung auffällig wirken. Träger
vität und Aggressivität durch Umgebungs-
gen, und es geht schließlich um die Achtung verbliebener Identitä-
Demenzkranken auf Aktionen, die von Mitarbeiterinnen angesto-
des im Jahr 2001 eingeweihten Hauses ist
einflüsse mitverursacht, also durch ein
ten und Fähigkeiten dieser Menschen.“
ßen werden, dann positiv reagieren, wenn sie damit einen Bezug zu
die Evangelische Gesellschaft Stuttgart e.V.,
soziales und physisches Milieu, das nicht
die fachlich von der Alzheimer Gesellschaft
krankheitsangemessen gestaltet ist.“
So beschreibt die zum St. Elisabeth Verein Marburg gehörige
ihrem früheren Alltag herstellen können. So fällt es ihnen ver-
„Altenhilfe Wetter“ die Ziele, die sie mit einer Hausgemeinschaft
gleichsweise leicht, sich am Geschirrabwasch zu beteiligen, wäh-
Baden-Württemberg unterstützt wird. Bei-
Nach nahezu dreijähriger Erfahrung
für sechs demenzkranke Menschen verfolgt. Mit der 1999 ins Leben
rend sie krankengymnastische Übungen mit einem Holzstab sofort
de Organisationen messen dem milieuthe-
fällt das Resümee aller Beteiligten sehr zu-
gerufenen Wohngemeinschaft soll unter wissenschaftlicher Beglei-
beenden, sobald ihnen diese nicht mehr vorgemacht werden.
rapeutischen Ansatz große Bedeutung zu.
friedenstellend aus. Thomas Peter und
tung „eine neue Lebens- und Versorgungsform“ erprobt werden,
Günther Schwarz von der Evangelischen
die den Bewohnern ein möglichst „normales“ Leben erlaubt.
Als dritte Methode führte das Team um Margret Müller so genannte leitfadengestützte Interviews durch. Die Wissenschaftler
Plätze für demenzkranke ältere Menschen
Gesellschaft Stuttgart, dem Trägerverein
– darunter auch einen Kurzzeitpflegeplatz –
des Gradmann Hauses, ziehen eine erste
Mehrfamilienhaus in der Gemeinde Wetter bei Marburg. Zentrum
einer solchen Wohngemeinschaft haben sollten, da Berufsbilder
sowie zwölf teilstationäre Plätze in der ge-
Zwischenbilanz: „Bei fast allen Bewohnerin-
ist eine Wohnküche, um die sich neben sechs Einzelzimmern auch
wie Kranken-, Altenpflegerin oder Hauswirtschaftsmeisterin nur
rontopsychiatrischen Tagespflege. Hinzu
nen und Bewohnern können wir – wie auch
zwei Bäder, ein Wirtschaftsraum, eine Gästetoilette sowie ein klei-
bedingt auf die besonderen Anforderungen bei der Betreuung de-
kommen 18 betreute Wohnungen für ältere
die Angehörigen – entsprechend dem
nes Dienstzimmer für das Pflegepersonal gruppieren.
menzkranker Menschen in einer Hausgemeinschaft vorbereiten.
Menschen und für Angehörige der vollsta-
Krankheitsverlauf positive Entwicklungen
tionär betreuten Kranken. Abgerundet
feststellen. In manchen Fällen ergaben sich
und ihr Mitarbeiter Norbert Seidl vom Fachbereich 4 der Fachhoch-
ßen sich verschiedene Aspekte herausarbeiten, die zum Kompe-
wird das Angebot durch Betreuungsgrup-
sogar erstaunliche Veränderungen, etwa in
schule Frankfurt am Main. Ziel ihrer Ende 2003 veröffentlichten Stu-
tenzprofil der Mitarbeiterinnen gehören. So ist etwa eine „genera-
pen für zu Hause lebende Demenzkranke,
Bezug auf die allgemeine Aktivität, Kon-
die war es, einen fundierten Beitrag über neue Versorgungsformen
listische Kompetenz“ zu nennen; das heißt, alle Mitarbeiterinnen
die sich im Veranstaltungsraum des Grad-
taktfreudigkeit oder auch die Mobilität.“
für demenzkranke Menschen zu liefern. „Die bisher bekannten Ein-
sind zunächst gleichermaßen für alle Arbeiten zuständig.
mann Hauses treffen können.
Die von einer Architektengemeinschaft
um Sibylle Heeg geplante Anlage ist nach
Die 223 Quadratmeter große Wohnung befindet sich in einem
Wissenschaftlich betreut haben das Projekt Prof. Margret Müller
wollten herausfinden, welche Kompetenzen die Mitarbeiterinnen
Durch die mit sechs Mitarbeiterinnen geführten Interviews lie-
Zurückzuführen ist diese erfreuliche
schätzungen zu Wohn- und Hausgemeinschaften für demenziell
Entwicklung nach Einschätzung des Träger-
Erkrankte sind überwiegend positiv, aber sie beruhen wesentlich
sich aber immer wieder Situationen, in denen eine besondere pfle-
vereins sowohl auf das Engagement der
auf Erfahrungsberichten“, erläutert Margret Müller. „Ein Nachweis,
gerische Fachkompetenz erforderlich ist, etwa beim Anlegen einer
Mitarbeiterinnen und das Einbeziehen der
der diese Einschätzung methodisch abgesichert stützt oder wider-
Angehörigen als auch auf die baulich-
legt, lag bisher noch nicht vor.“
räumliche Situation mit der Wohnküche als
für seine Untersuchung drei Fragenkomplexe formuliert: Was sind
vorgesehene Einbindung der Heimbewoh-
typische Strukturen einer heimverbundenen Hausgemeinschaft
ner in hauswirtschaftliche Tätigkeiten war
und wie wird dort der Alltag gestaltet? Welche Auswirkungen ha-
und ist wegen des fortgeschrittenen Krank-
ben diese Strukturen auf den psychosozialen Zustand und auf das
heitsstadiums nur eingeschränkt möglich.
Verhältnis der Bewohner untereinander? Welche Kompetenzen
seiner Aufgabe als Modellzentrum für De-
müssen die Mitarbeiterinnen für ihre Tätigkeit haben?
Um Antworten auf diese Fragen zu finden, wurden drei unter-
menzkranke vollauf gerecht geworden.
schiedliche methodische Zugänge gewählt: eine systematische Aus-
Sylvia Kern, die Geschäftsführerin der Alz-
wertung der Pflegeberichte, eine teilnehmende Beobachtung und
heimer Gesellschaft Baden-Württemberg
Interviews mit den Betreuerinnen.
e.V., fasst es so zusammen: „Die Ergebnisse
Bedingt durch die Besonderheit der Hausgemeinschaft ergeben
Nach eingehender Diskussion mit allen Beteiligten hat das Team
sozialer Mitte. Lediglich die ursprünglich
Unterm Strich ist das Gradmann Haus
76
Das Modellprojekt „Heimverbundene Hausgemeinschaft“ im hessischen Wetter
Bedürfnisse mobiler Bewohner und Bewoh-
Das Angebot umfasst 24 vollstationäre
Gradmann Haus Stuttgart: Die ebenerdigen Zimmer der beiden stationären
Wohngruppen für demenzkranke ältere Menschen liegen jeweils um einen
Innenhof mit Garten. Im dreigeschossigen Trakt im Hintergrund befinden
sich über der Wandelhalle die betreuten Wohnungen für Senioren.
Das Foto rechts zeigt ein Zimmer einer
stationären Wohngruppe. Möbel aus
dem früheren Leben des Demenzkranken schaffen ein vertrautes Umfeld.
Die etwas andere Wohngemeinschaft
„Um die typischen Strukturen und Interaktionsmuster der Haus-
können sich sehen lassen. Zwar wird auch
gemeinschaft herauszufiltern, haben wir auf vorhandene Berichts-
dem „Dorfstraßenprinzip“ konzipiert; die
im Gradmann Haus ‚nur mit Wasser ge-
blätter zurückgegriffen und eine Dokumentationsanalyse über 16
einzelnen Einheiten sind für die Bewohner
kocht’ – wie überall sonst muss man auch
Monate vorgenommen“, erläutert Norbert Seidl. Durch dieses Vor-
deshalb leicht „ablesbar“.
dort mit knapp bemessenen Personal-
gehen konnten die Sozialwissenschaftler zwei Paradigmen zur
Infusion. Trotzdem kommt es in Wetter nicht zu einer grundsätz-
schlüsseln zurechtkommen. Die hohe Ak-
„Normalität im Alltag“ entwickeln, die für die Hausgemeinschaft
lichen Trennung von Aufgabenfeldern. Vielmehr nutzt die ange-
halle liegen die beiden eingeschossigen
zeptanz und die begrenzte Zahl der Plätze
Wetter kennzeichnend ist. Danach bedeutet „Normalität im Alltag“
stellte Fachpflegekraft ihre besondere Qualifikation, um die Kolle-
Wohngruppen für die stationäre Pflege
in der Tagespflege und in den beiden
einerseits „vertraute Abläufe beizubehalten, die Zufriedenheit und
ginnen anzuleiten. Dies entspricht der Idee der Hausgemeinschaft,
und die Räume der Tagespflege wie Häuser
Wohngruppen weisen auf die Aufgaben
Wohlbefinden ermöglichen“. Andererseits gehört dazu auch, „dass
wonach alle Mitarbeiterinnen in die Organisation und Gestaltung
entlang einer Straße. Zwischen den „Häu-
der Zukunft hin: Wir brauchen noch viele
sich Beziehungen entwickeln können und daraus personale Nähe
des alltäglichen Lebens mit eingebunden sind. „Damit das Konzept
sern“ der Wohngruppen befindet sich der
‚Gradmann Häuser’, wenn wir den beste-
und Gemeinschaftsgefühl entstehen“.
der heimverbundenen Hausgemeinschaft aufgehen kann“, so
beschützte Garten, der ebenfalls von der
henden und künftigen Versorgungs-
Wandelhalle aus zugänglich ist.
engpässen adäquat begegnen wollen.“
An der ebenerdigen, verglasten Wandel-
Ergänzt wurde die Analyse durch eine teilnehmende Beobachtung, bei der sich die Wissenschaftler mehrmals unter die Bewoh-
Das Zusammenleben in einer Hausgemeinschaft kann Demenzkranken Vorteile bieten, stellt
aber hohe Anforderungen an die Teamfähigkeit der betreuenden Mitarbeiterinnen.
Margret Müller, „müssen Pflegekräfte ihre Rolle neu definieren und
akzeptieren, dass sie keine Sonderstellung im Team einnehmen.“
77
ANHANG
ANHANG
Adressen
Anlaufstellen
Literatur
Internet
Fachbücher
Ratgeber
Wo ist denn meine Brille?
Anne Biegel, Heleen Swildens
Alzheimer Angehörigen-Initiative e.V.
www.alzheimerforum.de
Antidementiva
Alzheimer – Was tun, wenn
Reinickendorfer Str. 61
Sehr umfangreiche Website der Alzheimer
Hrsg. Hans Förstl
die Krankheit beginnt?
13347 Berlin
Angehörigen-Initiative (Adresse siehe links)
Urban & Fischer Verlag, München/Jena,
Mechthild Niemann-Mirmehdi,
Eine empfehlenswerte, kommentierte Bü-
Tel. 030 / 47 37 89 95
mit Informationen zu den unterschied-
2003
Richard Mahlberg
cherliste zusammengestellt hat die Alzhei-
Fax 030 / 47 37 89 97
lichsten Aspekten demenzieller Erkrankun-
Trias Verlag, Stuttgart, 2003
mer-Beratungsstelle der Evangelischen Ge-
E-Mail: [email protected]
gen und kommentierter Literaturliste.
Internet:
www.alzheimerforum.de/aai/aai.html
sellschaft Stuttgart e.V., Büchsenstr. 34/36,
Konrad Beyreuther, K.M. Einhäupl, Hans
Alzheimer-Kranke betreuen
www.deutsche-alzheimer.de
Förstl, Alexander Kurz
Günter Krämer
Website der Deutschen Alzheimer Gesell-
Thieme Verlag, Stuttgart, 2002
Trias Verlag, Stuttgart 2001
70174 Stuttgart, Tel. 0711 / 20 54-374.
Broschüren
Demenz Support Stuttgart
schaft (Adresse siehe links) , dem Bundes-
Zentrum für Informationstransfer
verband von Alzheimer Landesverbänden
Gruppenarbeit mit Angehörigen
Angehörigengruppen für Demenz-
Gradmann Haus
Hölderlinstr. 4
sowie von regionalen und örtlichen Gesell-
von Demenzkranken
kranke aus der Sicht der Gruppen-
Zentrum für Demenzkranke und Betreutes
70174 Stuttgart
schaften. Informationsblätter, Adressver-
Gabriele Wilz, Corinne Adler,
teilnehmerinnen und -teilnehmer
Seniorenwohnen
Tel. 0711 / 9 97 87-10
zeichnisse, Telefon- und Onlineberatung.
Thomas Gunzelmann
Elmar Gräßel, Daniela Erdmann,
Hrsg. Erich und Liselotte Gradmann-
Hogrefe-Verlag, Göttingen, 2001
Sabine Jansen, Sabine Tschainer
Stiftung, Stuttgart
Fax 0711 / 9 97 97-29
E-Mail: [email protected]
www.netdoktor.de/topic/Alzheimer/
Internet: www.demenz-support.de
index_alzheimer.shtml
Innovativer Umgang mit Dementen –
Für einen ersten Überblick ist diese Seite des
Strategien, Konzepte und Einrichtungen
Richtig helfen bei Demenz
Hrsg. Alzheimer Gesellschaft Baden-
Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V.
Online-Gesundheitsdienstes Netdoktor gut
in Europa
Elmar Gräßel, Daniela Erdmann,
Württemberg e.V.
Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V.
geeignet.
(Fachbuch und Videofilm)
Sabine Jansen, Sabine Tschainer
3. Auflage, Stuttgart, 2003
Hrsg. Hans Sträßer, Marcello Cofone
Vless-Verlag, Ebersberg, 2002
hat mehr als 70 regionale Mitgliedsgesell-
78
Demenzen – Grundlagen und Klinik
dtv, München, 1995
Vless-Verlag, Ebersberg, 2002
Leben im Anderland
schaften, deren Adressen über die Zentrale
www.nlm.nih.gov/medlineplus/
in Berlin erfragt werden können.
alzheimersdisease und
Demenz-Verein Saarlouis e.V., 2003
Schriften der Deutschen
Friedrichstr. 236
www.nlm.nih.gov/medlineplus/
Lebenswelt für demenzkranke
10969 Berlin
dementia
Menschen – Modellprojekt heim-
Der 36-Stunden-Tag
demenzieller Erkrankungen Broschüren,
Tel. 030 / 2 59 37 95-0
MedlinePlus, die englischsprachige Web-
verbundene Hausgemeinschaft Wetter
Nancy L. Mace, Peter V. Rabins
Ratgeber, Schulungsmaterialien und
Fax 030 / 2 59 37 95-29
site der nationalen Medizinbibliothek der
Margret Müller, Norbert Seidl
Huber Verlag, Bern, 2001
Tagungsbände (teilweise kostenlos) an.
E-Mail: [email protected]
USA behandelt alle Aspekte von Alzheimer-
Fachhochschulverlag,
Internet: www.deutsche-alzheimer.de
und anderen Demenzerkrankungen.
Frankfurt a.M., 2003
Manfred Fischer
Verwirrt, verschroben, abgeschoben –
Deutsche Expertengruppe
www.alzforum.org
Stationäre Versorgung von Alzheimer-
Hännsler-Verlag, Neuhausen-Stuttgart,
Ein kleiner Ratgeber für Angehörige von
Dementenbetreuung e.V.
Englischsprachige Informationssammlung,
Patienten – Leitfaden für den Umgang
1998
Demenz-Patienten
Rakower Weg 1
die vorwiegend für Forscher bestimmt ist.
mit demenzkranken Menschen
Sonstige Bücher
Alzheimer Gesellschaft e.V.
Die Gesellschaft bietet zu vielen Aspekten
Bezug siehe Adressen.
Lied eines Tages – Psalmen für das Leben
Deutsches Grünes Kreuz e.V.
24354 Rieseby
Hrsg. Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V.,
Meinen Namen weiß Oma
Marburg, 2003
Tel. 04355 / 181 125
Berlin, 4. aktualisierte Auflage, 2003
schon lange nicht mehr
(auch im Internet)
Fax 04355 / 181 299
www.kompetenznetz-demenzen.de
E-Mail: [email protected]
Dieser vom Bundesforschungsminis-
Vierter Bericht zur Lage der
Elefantenpress bei Bertelsmann,
Wenn alte Menschen schwierig werden –
Internet: www.demenz-ded.de
terium geförderte Forschungsverbund
älteren Generation
Gütersloh, 1999
Demenz: Krankheitzeichen
unterhält seit April 2004 eine umfang-
Hrsg. Bundesministerium für Familie,
Deutsches Grünes Kreuz e.V.
reiche deutschsprachige Website für
Senioren, Frauen und Jugend
Small World
Deutsches Grünes Kreuz e.V.
Sektion „Altern in Würde“
(fachlich vorinformierte) Laien und
Berlin, 2002
Martin Sutter
Marburg, 2003
Im Kilian, Schuhmarkt 4
Ärzte. Hier findet man Informationen
Bezug: BMFSFJ Tel. 0180/5329329 oder
Diogenes, Zürich, 2000
(auch im Internet)
35037 Marburg
zu den Zielen und dem Stand der For-
www.bmfsfj.de
Telefon: 0 64 21/ 293-0
schungsprojekte im Verbund. Hilfreich
Telefax: 0 64 21/ 229-10
sind Linklisten zu relevanten Literatur-
Weißbuch Demenz
Diana Friel McGowin
E-Mail: [email protected]
datenbanken sowie zu Organisationen
Hrsg. Johannes F. Hallauer, Alexander Kurz
Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur
Internet: www.altern-in-wuerde.de
im Bereich demenzieller Erkrankungen.
Thieme Verlag, Stuttgart, 2002
Nachf., München, 1994
Almut T. Schmidt
und medikamentöse Therapie
Wie in einem Labyrinth
79
ANHANG
ANHANG
Stichwortregister
B
A
Acetylcholinesterase-Hemmer
52f
Barrierefreies Wohnen
62
D
Erfahrungsberichte
Demenz
Erich und Liselotte Gradmann-
28f
Syndrom (GSS)
62
INVADE
22
Erinnerungsarbeit
58
Gesamtbehandlungsplan
56
Inzidenz
20
Erinnerungstherapie
57
Gesundheitsökonomie
71
19
Ginkgo
51
K
GlaxoSmithKline
51
Kardinalsäfte
12
Glutamat
39, 52
Karger, André
70
Gradmann Haus
57, 75
Kern, Sylvia
76
Barrieren
62f
– Einteilung
Adler, Corinne
66
Basale Stimulation
60
– Epidemiologie
Aggregationshemmer
43
Baumeister, Ralf
42
– Formen
Aggressionen
69
Behandlungsplan
56
– Geschichte
12f
Agitiertheit
25
BEHAVE-AD
70
– Häufigkeit
14
Ernährung
Agnosie
25
Belastung, Messmethoden
70
– Konzepte
13
Evangelische Gesellschaft
11, 15. 45
Beratung, Nutzen
72
– Kosten
35, 36
Beratungsstellen
67
– Mischformen
9
F
Beruhigungsmittel
64
– Neuerkrankungen
8
Fadenwürmer
34
Beta-Faltblattbrecher
55
– neurodegenerative
9
Familiäre Erkrankungen
33
Beta-Sekretase
43
– präsenile
Farben
62
H
Färbetechniken
13
Haass, Christian
AIDS
Alkohol
Alkoholmissbrauch
Alltagshilfen
Alpha-Synuklein
Altenhilfe Wetter
9, 13
62f
33, 44
77
Betreuung
26f, 63f
9, 39, 41
Erkrankungsrate
35f, 45, 48
57, 76
26, 71f
13
– Risiko
11, 46
Gunzelmann, Thomas
Gutzman, Hans
66
Kernspintomograph siehe
Magnetresonanz-Tomographie
60f
Kinästhetik
41, 42f, 54
41
Knock-out Tiere
34
25
– Schweregrad
15
Fatale familiäre Schlaflosigkeit
45
Hallauer, Johannes
71f
Kognition
21
– Gruppen
68
– senile
13
Feil, Naomi
58
Halluzinationen
27
Kognitives Training
Altersvergesslichkeit
11
– Konzept
26
– soziale Faktoren
36f
Fett
37
Hamburger Modell
26
Kommunikation
Bevölkerungsentwicklung
21
– Stadien
15
Fisch
37
Haupt, Martin
Bewältigungsstrategien
63
– Statistik
19f
Fischer, Manfred
29
Hausärzte
25
– Symptome
Alzheimer Gesellschaften
Alzheimer, Alois
Alzheimer-Demenz
11, 12, 47
67
8,13, 28
9
– Modelle
Bewegungsstörungen
– Bildgebung
27
Beyreuther, Konrad
– Entstehung
40f
Beziehungskonflikte
74f, 77
Hausgemeinschaft
77
Konning, Willem de
37
Hayworth, Rita
29
Kornhuber, Johannes
17
67
– Ursachen
45
Förstl, Hans
Heart Protection Study
49
Korrelationen
48
19f
– vaskuläre
9, 39, 70
Fragebögen
15
Heeg, Sybille
76
Kosten
Freie Radikale
48
Hefezellen
34
Kraepelin, Emil
13
9
Hefti, Franz
51
Krankenkassen
73
Heyde, Anneliese
68
Krankheitsdauer
25
Hildegard von Bingen
13
Krankheitswahrnehmung
64
Bildgebung
Amgen
51
– Diagnose
Angehörige
10
Bildung
– Belastung
67
Binswanger, Otto
13
Binswanger-Krankheit
40
Demographischer Wandel
Angst
Antidementiva
13, 40
16
36f, 46f
28f
8
– Verläufe
9, 24f
– Zahlen
19f
Frontotemporale Demenz (FTD)
Demenz Support
75
Frühdiagnostik
Demenzchip
17
FTD siehe
Demtect
64, 67
Hippokratischer Eid
G
Biomarker
18
Depression
39
Desorientierung
30
Galantamin
Bluthochdruck
36
Deutsche Alzheimer Gesellschaft
72
Gamma-Sekretase
Borreliose
15
Deutsches Elektronen-Synchrotron
41
Gamma-Sekretase-Hemmer
64
Hippocampus
Hippokrates
Blutgefäße
48f
17
16
50f
Antioxidantien
10, 35f, 48
Frontotemporale Demenz
19f, 71f
31, 62, 64
Antidepressiva
29
48
Bickel, Horst
Biographien
59
Folsäure
51
59, 70
17
Kompetenztraining
64f, 70
Fitness
40
– Gruppenarbeit
Kompetenznetz Demenzen
15f, 22, 67
16
– Magnetresonanz-Tomographie
66f
51, 53
42f
51
Hirnforschung
Hirninfarkt
16
12
Kuhn, Christina
75
14
Kunsttherapie
38f
Kurz, Alexander
39
Kurzzeitpflege
Botenstoffe
39
Diabetes mellitus
36
Gedächtnis
25
Brain-Net
16
Diagnose
14f
Gedächtnistests
Bristol-Myers Squibb
51
Diagnostik
14f
Gedächtnistraining
Diäten
46
Gefühlsleben
65
Gehbehinderung
62
Homozystein
37
38f
APP
Aristoteles
Arzneien
– Entwicklung
– Nebenwirkungen
Arzneiforschung
Aß
39
33, 40f
12
BSE
15, 44
Bundesforschungsministerium 16, 17, 66
Differentialdiagnostik
Bush, Ashley
Donepezil
54
10, 17
53
50f
18, 43
64
Cerebralsklerose
51
Cholesterin
35, 40, 42
E
C
29
37, 52
Ebersberg
Edbauer, Dieter
Clioquinol
54
Elan
12, 20
Lebensqualität
10, 60
33
– Gewebebank
16
Huntington-Krankheit
44
Leichte kognitive Störung (MCI)
17
32f
Lewy-Körperchen-Demenz
I
49
Lewy-Körperchen
ICD-10
14
Lewy-Körperchen-Demenz (LBD)
34
IDE
35
Lilly
Gentests
18
Impfstoff
Gentherapie
53
Infektionskrankheiten
34
Genetik
Aufklärung
13
Computer-Tomographie (CT)
16
Enthemmung
25
Genmanipulation
Auguste D.
13
Creutzfeld-Jakob-Krankheit (CJD)
Automatisierung
35
33
32f
62f
Lewy Bodies siehe
46, 61
Ibuprofen
– Varianten
Embryonalentwicklung
80
Lebenserwartung
Lebensumfeld
Gene
67
Lewy-Körperchen-Demenz
AIDS
Lebensweise
43
Erfahrungsaustausch
LBD siehe
12
42
18, 32f
HI-Virus siehe
13
Gehirnjogging
39, 41, 49
46, 61
11, 45
Humoralpathologie
Computersimulation
Erbanlagen
Hirntumoren
Humanismus
17
Entzündung
16
17
– Diagnose
15, 44
12, 25, 40
– Bildgebung
Gehirn
22
51, 55
68
L
Bildgebung
70
Apoptose
60
17, 47, 72
Hirnscans siehe
Aphasie
33, 35, 41
10, 71f
Kretzschmar, Hans
17, 40
Anton-Betz-Stiftung
ApoE
57
63, 65
– Tests
41, 52
– Impfung
– Erfahrungen
59
Kinesin
Alterspyramide
Alter
22
Gerüche
49
39, 41
vaskuläre Erkrankungen
45
75
Stiftung
Acetylsalicylsäure
19f
Interventionsprojekt zerebro-
Gerstmann-Sträussler-Schenker-
Integrative Validation
44
9
51
51, 54f
11, 15, 45
58
81
ANHANG
ANHANG
Stichwortregister
M
Nootropika
Magnetresonanz-Tomographie
NOSGER
70
Rauchen
Novartis
51
Reagan, Ronald
(MRT)
16,17
Maier, Wolfgang
33
Makrophagen
39
Mandelkow, Eckard und Eva-Maria
41f
Masters, Collin
McGowin, Diana Friel
41, 54
29f
MCI siehe
50f
NSAR siehe
Nichtsteroidale Antirheumatika
O
32
Tagespflege
68
Wehner, Herbert
29
Redlich, Emil
13
Tanz
58
Wein
37
Reischies, Friedel
17
Tanzi, Rudolf
35
Weyerer, Siegfried
26
Reizüberflutung
62
Tau
33, 41f, 43f
Wijsman, Ellen
35
13
Ordensschwestern
46
Richard, Nicole
58
Teilchenbeschleuniger
41
Wiltfang, Jens
17
25, 31
Risikofaktoren
11, 32f
Testament
67
Wilz, Gabriele
66
10
Wohngemeinschaften
77
48
Panik
Metalle
54
Parkinson-Krankheit
Mikroglia
41
Patientenverbände
16
Mikrotubuli
43
Persönlichkeitsveränderungen
27
Mild Cognitive Impairment
17
PET siehe
62
33, 44
33
Therapie
Risikoprofil
22
– Alzheimer-Therapiezentrum
Rivastigmin
53
Bad Aibling
58
Roche
51
– experimentelle
52f
58
– Grafik
Romero, Barbara
Rotterdam-Studie
36f, 49
S
Positronen-Emissions-Tomographie
Peter, Thomas
Risikogene
Zacharias, Helmut
– nicht-medikamentöse
56f
Zahlenverbindungstest
16
65
Zandi, Peter
49
34, 43
– Tiere
61
Zebrafische
Thompson, Paul
40
Zeitgefühl
69
22, 39
Tierversuche
34
Zelltransplantation
54
29
Training
48
Zentralinstitut für
10, 62f
Schlaganfall
– Erfahrungen
68, 69
Schön, Helmut
70
Schuldgefühle
31
Transgene Tiere
34
– Kosten
71f
Schutzfaktoren
11, 46f
Tuszynski, Mark
53
Monakow, Constantin von
13
– Modelle
26f
Schwarz, Günther
57, 76
Morbus Pick
44
– Ratschläge
66f
Seelengeist
13
U
Motorik
61
Pflegeheim
68, 26f, 74f
Seidl, Norbert
77
Ubiquitin
Müller, Margret
77
Pflegekräfte
10
Sekretase
42
Uhrenzeichentest
14, 16
Umwelteinflüsse
33, 39
25
Pflegeversicherung
73
Selbst-Erhaltungs-Therapie
Pharmaindustrie
51
Selbstmordprogramm
39
Musiktherapie
60
Pick, Arnold
13
Seniorensportgruppen
48
V
Mutationen
33
Plaques
Seniorentreff
67
VAD siehe
Simons, Kai
52
Demenz, vaskuläre
Simons, Mikael
52
Validations-Therapie
Singer, Wolf
38
vCJD
Sozialamt
26
Ventrikellehre
Spiritus animalis
13
Verhalten
25, 27
36
Verhaltensstörungen
61, 64
39f
Positronen-EmissionsTomographie (PET)
N
18
Nematoden
34
Präsenilin
33, 42
Nemesius von Emesa
12
Prävalenz
19
Nerve Growth Factor (NGF)
53
Prävention
Nervenzellen
Neuerkrankungsrate
Neurobiologie
39f
20
38f
Preminger, Otto
22, 46f
29
Stammbäume
Prionen
15, 44f
Statine
Prognosen
10, 19f
Statistisches Bundesamt
Neurofibrilläre Bündel
41
Prominente Kranke
Neurogenese
39
Neuroleptika
58, 60
37, 52
21, 71
Verhaltenstherapie
15
12
59f
Versuchstiere
34
Steiner, Harald
42
Videomikroskopie
43
PS1
33
Steinschneiden
13
Vitamine
48
64
PS2
33
Stiftung der
Neuroprotektion
10
Psychoedukation
59, 64
Neurosyphilis
13
Psychopharmaka
11, 27
NGF siehe
Nerve Growth Factor
Stimmung
70
Vollmachten
67
Vorbeugung
22, 46f
25
Psychotherapie
64
Sturzgefahr
62
Ptahhotep
12
Symptome
24f
Nichtsteroidale Antirheumatika
49
Syphilis
15
NMDA-Rezeptor
52
Szenarios
21
82
36
58, 60
28f
Westdeutschen Landesbank
74
35f
44
62
9, 40
Seelische Gesundheit
Zigaretten
Zuckerkrankheit
Musik
Multi-Infarkt-Demenz
29
26, 63
– Gruppenarbeit
Molekularbiologie
Z
50f
Schäufele, Martina
Pflege
13
55
Lebensumfeld
– Medikamente
– Nutzen
Sanders, Jan
76
Wohnumfeld siehe
38f
Mobilität
53f
Willis, Thomas
P
Mini-Mental-Test
Watson, James
17
51
MMT siehe
10
– Diagnose
52
16
Wachstumsfaktoren
Tageskliniken
47
Merck
59, 74f
57, 60
53
Reservekapazität
Memantin
Mini-Mental-Test (MMT)
28
W
Tacrin
16
Arzneien
Milieutherapie
35f, 48
Obduktion
Oxidativer Stress
Medikamente siehe
T
Realitäts-Orientierungs-Training
Orientierung
Mild Cognitive Impairment
R
83

Documentos relacionados