SZ vom 8.Oktober 2009 Seite 44 Deutschland
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SZ vom 8.Oktober 2009 Seite 44 Deutschland
REISE DEFGH Donnerstag, 8. Oktober 2009 • Nr. 231 • Seite 44 Kampf der Königinnen Jeden Herbst lassen die Bauern des Unterwallis ihre aggressiven Kühe aufeinander los und feiern damit ihre eigene Sturheit und Stärke L arissa ist gar nicht gut drauf. Den Sommer über war sie auf einer Alm in der Nähe von Vollèges, hat an Bergblümchen geknabbert und die Aussicht aufs Matterhorn genossen. Dann hat ihr Besitzer sie mitten in der Nacht nach Martigny gebracht und sie hinter dem steinernen Rund des römischen Amphitheaters angebunden. Da steht Larissa am vergangenen Wochenende kurz nach Sonnenaufgang, scharrt mit den Hufen und gibt ein Muhen von sich, das so wütend klingt wie der Motor eines Milchlasters kurz vorm Abwürgen. Larissas Problem: Sie ist nicht allein. Um sie herum scharren 200 Artgenossinnen, die aus den Hochtälern des Unterwallis hierher gebracht worden sind. Die Tiere haben genauso hübsche Namen wie Larissa: Tigresse, Poupette, Coquette, Tahiti oder Lolita. Aber wenn Eringer Kühe eins nicht leiden können, dann sind es andere Eringer Kühe. Die Tiere, die nach dem nahen Val d’Hérens benannt sind, gebärden sich Menschen gegenüber als sanfte Kuhlimuhs. Aber wenn sie im Frühjahr auf die Almen ziehen, wenn sie sich lange nicht gesehen haben oder sich zum ersten Mal begegnen, gehen sie aufeinander los. Sie krachen mit den Hörnern zusammen, fechten die Rangordnung aus. Das liegt ihnen im Blut, kein Mensch zwingt sie. Die Kuh, die als Erste ausweicht, hat verloren, die Siegerin nennen die Bauern Königin. Wenn 200 Königinnen zusammenkommen, sieht es so aus wie hinterm Amphitheater von Martigny: Vom Scharren spritzt der Sand, Staubwolken wabern über die Wiese und legen sich auf die tiefschwarz glänzenden Felle – eine Szene wie das Standbild einer Stampede, dazu dröhnen 200 Glocken. Larissa würde glatt als heilige Inderin durchgehen, so weiß ist sie vom Dreck. „Sie kann es kaum erwarten“, sagt ihr Besitzer, Fabien Sauthier, der Präsident der Käsehersteller von Vollèges. Der 47-Jährige mit dem akkurat gestutzten Schnurrbart ist einer der Wenigen, die auch noch mit der Milch der Rinder arbeiten. Rentabel ist das nicht. Andere Rassen, etwa die Holsteiner, geben mehr als doppelt so viele Liter. Deshalb zählt man im Wallis nur noch 5000 der mit kompakten Körpern und kurzen Beinen perfekt an alpine Bedingungen angepassten Eringer. Meistens halten die Bauern nur zwei, drei Kühe nebenher – aus idealistischen, auch Die Szenen im römischen Amphitheater von Martigny erinnern an eine Corrida, sind aber meist unblutig. patriotischen Gründen. „Die Hérens sind ein Symbol unserer Heimat“, sagt Fabien Sauthier, „sie sind robust, stark, stur und kämpferisch.“ Kurz: Sie sind so, wie sich die Walliser selbst gerne sehen. Entsprechend groß ist die Begeisterung, als die ersten zwölf Kühe ins Amphitheater geführt werden. 2500 Zuschauer sitzen auf den Rängen, auch, um ihrem eigenen Stolz zuzujubeln: Unter ihnen Nur trächtige Tiere dürfen in den Ring – sie sind etwas zahmer kämpfen die Kühe, um sie herum leuchten die Weinberge in der Herbstsonne. Hier sind die frankophonen Einheimischen unter sich. Nur ein Teilnehmer kommt aus dem deutschsprachigen Oberwallis. Und nichts ist ihnen so zuwider wie die Vorstellung, ihre Tradition könnte zum Touristenspektakel verkommen. Der Zuchtverband untersagt neumodische Auswüchse wie Wetten und Fan- clubs für einzelne Kühe. Wein- und Schnapskorken ploppen kurz nach neun, getrunken wird direkt aus den Flaschen. Der „Combat de Reines“, der Kampf der Königinnen, kann beginnen. Die Kühe scharren mit den Hufen, taxieren ihre Gegnerinnen. Plötzlich stößt eine zu. Bald sind alle in Aktion, immer zwei gegeneinander. Kopf voraus, die Hörner gesenkt, treffen je rund 700 Kilogramm aufeinander wie zwei kollidierende Kleinwagen. Bei jedem Stoß wirbelt Staub auf von den breiten Rücken. Mal gibt die Schwächere nach einem Schubs auf. Mal genügt schon ein scharfer Blick der Kontrahentin. Mal kämpfen die Kühe zehn, 20 Minuten lang, mit Verschnaufpausen, in denen sich ihre Flanken heben und senken wie Blasebälge. Manche Kombattantinnen schieben sich Horn an Horn durch die Arena, bis die Pfosten des Absperrseils unter dem Druck ihrer Hinterteile splittern. Die Besitzer stehen aufmerksam am Rande des Geschehens, rufen aber nicht hinein. Dafür gehen Männer in grauen Arbeitskitteln und mit Stecken in der Hand dazwischen, die sogenannten Rabatteure, die auch verhindern sollen, dass eine dritte Kuh bei einem laufenden Zweikampf mitmischt. Geschieht Fotos: www.photovalais.ch, Wallis Tourismus das doch, buht das Publikum. Trennen die Aufpasser zwei ineinander verhakte Königinnen – dazu sind schon mal acht Männer nötig –, gibt es Applaus. Inmitten dieses archaischen Durcheinanders aus roher Kraft, Staub, Muskeln, Glockengeläut und Gemuhe ist das der härteste Job. Die Rabatteure haben die Statur von Bauernschränken, sind aber wendig wie Ballerinen, und beides brauchen sie, um der Rindviecher Herr zu werden. Obwohl die Zusammenstöße so heftig und die Kühe dabei wie Stiere aussehen, hat ein Combat nichts mit einer spanischen Corrida gemein. Als schlimmste Verletzungen gelten blutige Nasenlöcher. Dennoch gibt es hin und wieder empörte Zuschriften – aus dem Ausland, von Leuten, die sich nie ein eigenes Bild von der Sache gemacht haben, wie es in Martigny heißt. „Die Kühe werden nicht gequält, kämpfen ist ihr natürliches Verhalten“, sagt die Veterinärin Christine Daves, die den Combat überwacht. Zum Beispiel untersucht sie alle Rinder mit Ultraschall. Nur trächtige Kühe dürfen kämpfen, andere wären zu aggressiv. Außerdem nimmt Daves Blutproben zur Dopingkontrolle. Noch nie habe jemand betrogen, sagt sie. Auch das Gerücht, die Züchter Informationen SCHWEIZ SCHWEIZ Genfer See Rhône Martigny FRANKREICH Aproz Sion Val d'Hérens WALLIS I TA L I E N Zermatt 25 km SZ-Karte Anreise: Mit dem Zug von München über Zürich und Visp nach Martigny, hin und zurück ca. 250 Euro, www.deutschebahn.com, www.sbb.ch, www.swisstravelsystem.ch Unterkunft: Hotel Forclaz Touring, DZ mit Frühstück 105 Euro, Rue du Léman 15, 1920 Martigny, Tel.: 00 41/27/722 27 01, www.hotelforclaztouring.ch Weitere Auskünfte: Kuhkämpfe finden mehrmals im Jahr statt, Anfang Oktober in Martigny, im Mai in Aproz. Schweiz Tourismus: Tel.: 00 800 / 100 200 30 (gebührenfrei), www.myswitzerland.com, www.martigny.com, www.wallistourismus.ch würden die Tiere mit Wein in Schwung bringen, stimme nicht. Sie fügt hinzu: „Allerdings machen wir keine Alkoholtests.“ Die würden bei Teilen des Publikums schon gegen Mittag interessant ausfallen. Außer Wein gibt es Bier der Marke „Reine“ mit einem Kuhkopf im Walliser Sternenwappen auf dem Etikett. Als Grundlage isst man das Nationalgericht Raclette: eine Scheibe brutzelnder Käse mit zwei Silberzwiebeln, einer sauren Gurke und einer Kartoffel – niemals Brot, wie die Dame am Grill erklärt. Es ist ein Volksfest für die Hiesigen, mit Zuckerwatte und T-Shirt-Stand. Und einer australischen Künstlerin, die naturgetreue Gemälde von Eringern anbietet. Jane Coe folgte ihrem Kühe hütenden Freund auf eine Alm am Col du Tronc und bemalte eine Stallwand mit kämpfenden Eringern. „Die Kühe schnupperten daran, die Einheimischen baten mich, ihre Rinder von Fotos abzumalen.“ Seitdem hat sie ihr Sujet. Die Kühe hält sie für clever und sensibel. „Sie reagieren auf Berührungen“, sagt sie, „wenn du sie streichelst, folgen sie dir wie ein Hund.“ Die Begeisterung für die Hérens hält schon seit mehr als 100 Jahren an. Als es noch kein Fernsehen gab, machten sich die Bauern einen Spaß aus ihren Kampfkühen. Anfang der 1920er Jahre entwickelten sie Wettbewerbe mit Gewichtsklassen, Vorrunden und einem Kantonsfinale, das jeden Mai in Aproz ausgetragen wird. Das Schweizer Fernsehen überträgt live, 12 000 Zuschauer sind in der Arena – mehr als bei den Fußballspielen des Traditionsvereins FC Sion. Eringer sind schick, Politiker, Manager und Sportstars, etwa der Skifahrer Pirmin Zurbriggen, haben welche bei Bauern stehen. „Vor allem geht es darum“, sagt Fabien Sauthier – und deutet auf sein Herz. Geld spielt keine Rolle. Die Siegerinnen erhalten lediglich Glocken im Wert von 450 Euro. Aber das Ansehen eines Bauern und seiner Königin steigt enorm. Eine Kuh namens Souris war so beliebt, dass sie nach ihrem Ableben vor drei Jahren in Angriffspose präpariert und ins Naturhistorische Museum von Sion gestellt wurde. Selten gibt es so einen Siegertyp. „Ob eine Kuh wirklich gewinnen will, zeigt sich erst in der Arena“, sagt Sauthier. Larissa zaudert. Vor dem Kampf sucht sie die Nähe ihres Besitzers, der am Absperrseil steht, ihren Kopf krault und etwas zu ihr sagt – ein Anblick wie Boxer und Coach. Als die anderen Tiere schon ringen, scharrt Larissa noch mit den Hufen. Aber dann greift die dicke Maguy an, mit 830 Kilogramm die schwerste Kuh des Combats. Larissa drückt sie weg, Applaus, und scheitert gleich darauf an der schwarzen Schönheit Bijou. Sauthier muss seine Kuh aus der Arena führen. Erst als die Sonne verschwunden ist, sind alle Kämpfe vorbei. Die Sieger feiern sich heiser. Larissa steht friedlich da und kaut. JOCHEN TEMSCH Österreich Spezial: Wintersport Der Körper verlangt’s, Falkensteiner hat’s. 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