akut 18 - Therapie mit Kindern

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akut 18 - Therapie mit Kindern
akut
das Infomagazin
des Vereins DIE ALTERNATIVE
Mit Kindern
in der Therapie
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Gesichter
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Redaktion
Christine Häusermann
www.diealternative.ch/shop
Impressum
Akut 18 2009
des Vereins für umfassende Suchttherapie
DIE ALTERNATIVE und seiner Institutionen
Layout & Grafik
naef-grafik.ch & Christine Grünenfelder
Druck
Albis Offset
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Informationen.
Copyright
Auszüge unter Quellenangabe zu
Informationszwecken erlaubt
Inhalt
Editorial – Mit Kindern in der Therapie
02
Christine Häusermann,
Leitung Public Relations/Fundraising DIE ALTERNATIVE
Wiedersehen mit ehemaligen KlientInnen
und deren Kindern
03 - 07
Elisabeth Frei,
Bereichsleitung Kinder 1986-2005, Vorstandsmitglied DIE ALTERNATIVE Wege aus der Sucht
08 - 11
Beatrice Rebsamen, Pädagogikstudentin 25 Jahre Betreung von zwei Generationen in der Therapie
12 - 16
Peter Burkhard, Gesamtleitung DIE ALTERNATIVE
Elternschaft – eine Aufgabe,
die manche KlientInnen überfordert
18 - 19
Othmar Rist, Co-Bereichsleitung Therapie,
Sozialtherapeutische Gemeinschaft ULMENHOF
«Ein Kind nimmt dir nicht die Lust auf Drogen.»
Interview mit Ex-Klientin Sandra
Jeannette Alison, Public Relations DIE ALTERNATIVE
Die Fotos im Text zeigen nicht die wirklichen ProtagonistInnen.
20 - 26
Christine Häusermann, Leitung Public Pelations/Fundraising DIE ALTERNATIVE
02
Mit Kindern in der Therapie
Liebe Leserin, lieber Leser
Das Grundrecht Nr. 9 der Kinderrechtskonvention, die von der Schweiz 1998
ratifiziert wurde, besagt: «Das Kind hat
das Recht auf eine Familie, elterliche Fürsorge und ein sicheres Zuhause.» Kinder
von substanzenabhängigen Eltern können
von diesem Grundrecht oft nur träumen.
Auch in der Schweiz.
Seit 25 Jahren setzt sich DIE ALTERNATIVE
für diese Kinder ein. In diesem akut schreibt
unsere ehemalige, langjährige Leiterin des
Kinderbereichs, Elisabeth Frei, über die
Begegnung mit heute Erwachsenen, die
als Kinder mit ihren Eltern bei uns im
ULMENHOF waren. Sie erlebte dabei viele
berührende aber auch ihre langjährige
Arbeit bestätigende Momente.
spektiven bewegen uns? Wie gewohnt
beleuchtet er diese Problematiken mit
grosser Offenheit.
Und schliesslich wenden wir uns der Situation heute zu: Im Bericht von Othmar Rist
beschreibt der Co-Leiter der Sozialtherapeutischen Gemeinschaft ULMENHOF die
Problematik von Eltern, die mit der Betreuung ihres Kindes zunehmend überfordert sind und das die Therapie mit neuen
oder anderen Ansätzen arbeiten muss.
Jeannette Alison berichtet in ihrem Interview mit einer betroffenen Mutter über
die Schwierigkeiten, die Kinderbetreuung,
die Arbeit und die eigenen Bedürfnisse
unter einen Hut zu bringen, dies unter
erschwerten Bedingungen – mit Medikation einer "Ersatzdroge".
Beatrice Rebsamen beschreibt in ihrem
Beitrag, wie ihre Lizenziatsarbeit, die sie im
Juni am Pädagogischen Institut der Universität Zürich eingereicht hat, entstanden ist
und wie sie die Problematik von Kindern
Substanzenabhängiger im Laufe ihrer Arbeit
immer mehr eingenommen hat.
Sie erhalten mit diesem akut Einblicke in
belastete Lebensläufe. Einblicke, die es
braucht, um Menschen besser verstehen
zu können.
Peter Burkhard spannt den Bogen über 25
Jahre Erfahrung, die die ALTERNATIVE als
Pionierin von zwei Generationen in der
Therapie gesammelt hat. Wo stehen wir
heute mit unserer Arbeit? Welche Baustellen sind noch wegzuräumen, welche Per-
Christine Häusermann
Ich wünsche Ihnen eine ansprechende
Lektüre.
Christine Häusermann ist
seit 11 Jahren für PR und
FR verantwortlich.
Elisabeth Frei, Bereichsleitung TIPI von 1986-2005, Vorstandsmitglied Verein DIE ALTERNATIVE
Wiedersehen mit ehemaligen
KlientInnen und deren Kindern
Wie es zu diesem Wiedersehen kam
hen. Wir konnten über alles reden, über
Als ich nach 20 Jahren Aufbauarbeit, Or-
damals und jetzt, über Schönes, Schwie-
ganisation und Leitung des Kinderbereichs
riges und Trauriges. Die Offenheit der
pensioniert wurde, fragte ich mich oft,
Eltern und der Jugendlichen hat mich sehr
wie es wohl den Kindern geht, die durch
berührt. Bei der Heimfahrt war ich mit
unsere Institution gegangen sind. Wo sie
meinen Gedanken oft noch bei dem eben
sind. Was sie machen.
Erlebten.
Es ergab sich eine Möglichkeit dies her-
Die verschiedenen Lebenswege der Ju-
auszufinden als Beatrice Rebsamen, die
gendlichen möchte ich mit einer Auswahl
neben ihrem Pädagogik-Studium als Aus-
ihrer eigenen Aussagen auf unsere Fra-
hilfe und Nachtwache im Kinderhaus TIPI
gen belegen und sie für sich sprechen
arbeitete, ein Thema für ihre Lizentiatsar-
lassen:
beit suchte. Sie konnte sich gut vorstellen,
eine Arbeit zum Thema wie die Kinder die
Kannst du dich noch an die Zeit im
Zeit mit ihren Eltern im Ulmenhof und die
Ulmenhof erinnern?
Zeit nach dem Ulmenhof erlebt haben, zu
«Ja, gewisse Sachen schon, vor allem
schreiben.
Bilder habe ich im Kopf, aber für mich war
Wir befragten die Eltern mit einem Frage-
es eine schöne Zeit. Also, wie ein kleines
bogen und mit den Jugendlichen ab 17
Kinderparadies, ich hab viele Kinder um
Jahren machten wir ein Interview. Sie
mich herum gehabt und viele Leute, also,
waren bei ihrem Eintritt in den ULMENHOF
ich würde jetzt sagen, mir hat es dort an
1 bis 5-jährig, jetzt sind sie 17 bis 24
nichts gefehlt.»
Jahre alt. Beatrice hat die Fragebogen und
die Interviews in ihrer Arbeit wissenschaft-
«Ja also ich muss sagen, es war irgendwie
lich ausgewertet.
fast, unter anderem, fast die schönste Zeit
Für mich waren diese Treffen mit den Ju-
wenig daran erinnern kann.»
von meiner Kindheit, wo ich mich so eingendlichen und den Eltern ein Wiedersehen nach 20 und weniger Jahren. Ich war
Wusstest du, dass deine Eltern
gespannt auf diese Wiedersehen. Was ich
Drogen nahmen?
nicht einfach erwartet aber erhofft hatte,
«Als Kind war das normal für mich. Das
ist eingetroffen. Die alte Vertrautheit war
hatten ja alle um uns herum – also wie
wieder da. Es war wirklich ein Wiederse-
soll ich sagen im ULMENHOF haben sie
03
04
keine Drogen genommen, aber das Thema
ein rechtes Theater gemacht, wenn ich zu
war immer da und für mich gehörte es
ihm gehen musste. Ja und auf der andern
einfach dazu. Ich war das erste Mal er-
Seite ist er doch mein Papi. Und heute
staunt, als ich hörte, etwa in der sechsten
haben wir einfach über Internet, Mail und
Klasse, dass das nicht einfach so ist. (…)
Telefonieren Kontakt. Sehen tun wir uns
Mit 18, 19 Jahren bekam ich extrem Mühe
relativ selten.»
mit dem Drogenkonsum meines Vaters.
«Mit der Mutter, wir sind immer aneinan-
Ich kann es nicht verstehen. Ich verstehe
der geraten, wenn sie nüchtern war, weil
es auch heute nicht, wie man sein Leben
so an sich vorbei gehen lässt. Ich muss es
akzeptieren. Er hat sein Leben selber in
der Hand. Ich finde es schade, es ist sehr
schade.»
«Es ist normal gewesen für mich, ich habe
es niemandem erzählt, auch nachher nicht.
Für mich ist es normal aber für andere
nicht. Nachher haben sie vielleicht Vorurteile, also am Besten nichts sagen.»
Wie war und ist die Beziehung zu
deinen Eltern?
«Zu meinem Vater habe ich Kontakt, aber
er war relativ früh sauber, also bevor meine Mutter sauber war und das war immer
schwierig. Weil bei ihm war alles so normal
und er sagte immer wieder mal das böse
Mami. Auf die eine Seite ist es nicht gut,
auf die andere Seite hat er auch nichts
gemacht, dass ich von ihr weg komme,
also er hat einfach zugeschaut. Ja, ja auch
« Soll ich plötzlich das Kind spielen.
Leck mich doch!»
seine Freundin, bei ihm war immer so
heile Welt gewesen, auch seine Eltern und
ich mich einfach nicht gewöhnt war, dass
die Gotte, so habe ich mich immer wie
sie nüchtern war. Dann hat sie versucht
eine Aussätzige gefühlt und von dem her
die Mutter zu sein und wenn sie gefunden
bin ich auch nicht gerne zu ihm gegangen
hat: Mach etwas! Dann habe ich gefunden:
und es kommt dazu, dass ich immer aufs
Leck mir doch. Du hast mir 15 Jahre nichts
Mami aufpassen musste und so nicht zu
gesagt und jetzt (...) soll ich plötzlich das
ihm gehen konnte. Ja also ich habe immer
Kind spielen, geht’s noch.» Ich bin auch
immer wieder «hässig», dass sie es zuge-
Meine grosse Schwester macht das nicht,
lassen hat, was ich alles durchmachen
der ist es egal. Mir aber nicht. Ich finde
musste und auf der andern Seite verstehe
es einfach traurig, dass er mich schon
ich sie auch. Weil ich bin doch ihr Kind
wieder im Stich lässt und irgendwie und
gewesen und ja das «Hässige» ist jetzt
irgendwann muss man den Schlussstrich
nicht mehr so stark wie früher.»
ziehen. Nein, er hat sich nicht mehr ge-
«Ich konnte ihr nie sagen: Du bist eine
meldet. (…) Er ist der, der mich auf die
dumme Kuh. Bis vor kurzer Zeit, egal was
Welt gesetzt hat. Er hat gesagt, er hätte
gewesen ist, ich habe immer alles auf mich
mich gern, er würde mich gerne sehen,
genommen und musste immer schauen,
also soll er sich melden.»
dass sie ja nicht «hässig» oder traurig ist,
weil dann könnte es ihr ja schlecht gehen
Wie hast du die Schule, die berufli-
und sie könnte wieder abstürzen.»
che Ausbildung erlebt?
«In der 1.- 6. Klasse der Primarschule war
«Ja, ihr hat es recht weh getan, als ich
ich immer der Aussenseiter. Sie haben mich
von einem Tag auf den andern ausgezogen
gemoppt, gehauen und gebissen. Ja, in
bin. Also, das war krass für sie. Sie hat
der 4.- 6. war auch noch der Lehrer, der
noch lange gemeint, sie muss mir überall
mich nicht mochte, überhaupt nicht. In
der Oberstufe war es wie
einwenig «reinfunken»
und mir helfen, bis ich
ihr irgend einmal klar
gesagt habe, ein Stück
weit finde ich es gut,
wenn du mir hilfst, aber
schau, ich muss irgend
«Ich habe immer alles
auf mich genommen,
weil ich Angst hatte,
sie könnte wieder
abstürzen.»
wann auch lernen auf
meinen eigenen Beinen zu stehen. Sie
fertig. Ja also einfach bei
uns in der Klasse, wir
hatten einen mega Teamgeist. Einen guten Lehrer, der unseren Teamgeist immer gefördert
hat. Also wirklich diesem
Lehrer bin ich so dankbar.»
macht es aber auch jetzt noch, ich kann
ihr nicht alles nehmen, was sie für mich
«Zwei Krippen und ein Kindergarten. Ich
macht, weil sonst würde sie zusammen-
musste nur ein Jahr in den Kindergarten,
brechen.»
weil ich ein Jahr länger in der Krippe war.
Ja das war streng, vor allem so vierte bis
«Ich bin sozusagen ohne ihn aufgewach-
sechste da waren wir irgendwie 22 Kinder,
sen. (…) Es ist das zweite Mal, wo er mich
20 Kinder und zwei davon Schweizer. Ich
im Stich lässt. (…) ich muss es nicht haben.
habe es lange nicht kapiert oder ich woll-
Ich war schon das erste Mal ein Jahr lang
te das nicht kapieren, ich wurde einfach
wütend auf ihn. Ich habe ein Jahr lang
fertig gemacht, ich bin einfach der «Böh-
nicht mit ihm geredet und dann habe ich
li» gewesen für alle. Ich bin eine zeitlang
gedacht, es ist ja mein Vater.
jeden Tag weinend nach Hause gekommen
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und zwar aus dem Grund, weil ich Schwei-
Grenzen erkannt. Ich habe gewusst, jetzt
zerin bin, in der Schweiz.»
musst du aufhören sonst hat es dich unter
«Im Kindergarten hatte ich es gut, da
der Kontrolle. Soweit wollte ich es nie
hatte ich keine Probleme und hatte auch
kommen lassen.
Kollegen.»
Wenn du dann nicht genug stark bist,
kommt es so wie beim Vater und das
«Meine Mutter hat mir gesagt, jetzt musst
wollte ich nicht.»
du langsam Bewerbungen schreiben und
dann habe ich irgendwie fünf Bewerbun-
«Richtig schlimm wurde es für mich so mit
gen geschrieben und habe überhaupt nicht
12 Jahren, da habe ich angefangen zu
gewusst, was ich werden will. Es waren
rauchen, zu kiffen und zu saufen und so
dann einfach fünf Bewerbungen, drei für
hat mein Absturz angefangen, aber (…)
Büro, eine Floristin und noch etwas. Nach-
ich habe immer gewusst, alles andere
her konnte ich mich vorstellen und dann
würde ich niemals anrühren.
hatte ich eine Lehrstelle. Ich habe mit dem
«Also, ich habe meiner Mutter schon ei-
KV begonnen und relativ schnell gemerkt,
nige Male gesagt, dass ich froh bin, dass
dass mir das in der Schule zu schnell geht
sie den Scheiss gemacht hat. (…) Ich glau-
und meine Motivation war nicht sehr gross.
be, ich habe daraus gelernt. Es war nur
Ich wollte aufhören und dann haben sie
gut für mich. (…) ich habe mega Angst
mich überredet (…) meine Lehre in eine
vor Drogen. Als mein Freund angefangen
Bürolehre umzuwandeln, welche ich ab-
hat Kokain zu konsumieren, habe ich die
geschlossen habe.»
Beziehung abgebrochen.»
Antworten zum Thema
Antworten zum Thema Freunde/
Drogenkonsum
Freundeskreis
«Für mich sind diese Menschen interes-
«Ich habe drei Freunde gehabt von 15 bis
santer gewesen als die normalen. Es hat
17. Der erste hat sich von mir getrennt.
mich irgendwie halt doppelt interessiert
Und dann hatte ich einen, von dem habe
und auch die Neugier, was findet mein
ich mich nach zwei Jahren getrennt. Dann
Vater an dem so gut. Zuerst wurde es mir
war ich mit M. zusammen bis vor drei
kotzübel, dann fand ich, das ist ja gar nicht
Monaten und es war eine super Zeit. Ich
lustig, nicht cool, da geht es dir hundsmi-
bin eigentlich froh, dass ich immer einen
serabel. Ja beim zweiten und beim dritten
Freund hatte. Ja wirklich, das hat mich vor
Mal war es nicht mehr so. Wir sind dann
dem letzten Ding gerettet. Ich war nicht
während der Schulzeit aufs WC, wirklich
ganz alleine und ich habe immer jemanden
schlimm. (...) Aber ja, das bin ich halt auch
gehabt, der geschaut hat und oft konnte
gewesen. Etwa nach einem Monat habe
ich einfach nicht mit mir alleine sein, bis
ich gemerkt, dass das nichts ist für mich.
vor kurzem eigentlich.»
Also lustiger Weise habe ich immer meine
«Ich habe schon zuwenig Zeit für mein
Ich bin beeindruckt, wie die jungen Erwachsen ihren Lebensweg bewältigt haben und darüber reden konnten. Eltern,
die sich getrennt haben, die Mutter hat
einen neuen Partner, Geschwister aus der
neuen Beziehung, Wohnungswechsel, was
auch Schulwechsel bedeutet, alte KollegInnen verlieren, etc.
Nun sind sie in einer Lehre, haben die
Lehre abgeschlossen oder haben die Matura gemacht, wohnen in einer eigenen
Wohnung, alleine oder mit ihrem Freund
oder sind noch zu Hause.
Das ist für mich ein freudiger Rückblick
und eine Bestätigung, das wir mit unserm
Konzept, dem Zwei-Generationen-Modell,
ein wichtiges und notwendiges Angebot
für Kinder und ihre suchtmittelabhängigen
«Ich habe es eher mit Tieren
als mit Menschen.»
Eltern anbieten.
Pferd, da bleibt mir keine Zeit mehr um
Kollegen zu treffen. Ich habe es eher mit
Tieren als mit Menschen.»
«Ich habe ein paar Kollegen, aber es sind
wenige geworden seit ich nicht mehr in
der Clique bin. Ich bin ein wenig so ein
Ego geworden.»
Die Aussagen der Jugendlichen stammen aus:
Rebsamen, B: "Ich bin ja scho au vo chli uf au uf
em Platzspitz gsi". Orientierungen und Erfahrungen von Jugendlichen im Aufwachsen mit
süchtigen Eltern. Lizentiatsarbeit, Zürich, 2009.
Elisabeth Frei war 20 Jahre für die ALTERNATIVE tätig. Als Bereichsleiterin baute sie
den Kinderbereich auf und prägte diesen stark mit. Heute engagiert sie sich ehrenamtlich als Vorstandsmitglied des Vereins DIE ALTERNATIVE.
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08
Bea Rebsamen, Pädagogikstudentin, Stallikon
Wege aus der Sucht
Innige Eltern-Kind-Beziehung als Ziel
vertraute Beziehungen zu ihren Kindern
Zwischen den Lebensgeschichten, die in
entwickelten. Dabei beschäftigte mich
der Sozialtherapeutischen Gemeinschaft immer wieder, wie die Lebensgeschichte
ULMENHOF zusammentreffen, könnte der
der Eltern und ihrer Kinder weitergeht,
Kontrast nicht grösser sein. Auf der einen
wenn sie den ULMENHOF, ihre «sichere
Seite die Kinder, meist noch Säuglinge,
Insel», verlassen. Dieser Frage wollte ich
angewiesen auf die elterliche Liebe, deren
in der Abschlussarbeit meines Pädagogik-
Verständnis, Wärme und Nähe. Auf der
studiums nachgehen. Dabei erschien es
anderen Seite die Eltern,
die mit der Drogentherapie selbst vor einem Neuanfang stehen und einen
Weg in ihrem neuen Leben ohne Drogen suchen.
Diese beiden Seiten
wachsen im ULMENHOF
aneinander. Die süchti-
«Die offene Art der
Begegnungen war
für mich überraschend,
als dass doch oft schwierige Situationen aus
der Lebensgeschichte
angesprochen wurden.»
gen Eltern übernehmen
mir von Bedeutung, nicht
nur über die Eltern und
die Kinder zu schreiben,
sonder n sie selbst zu
Wort kommen zu lassen.
Dies sollte anhand einer
Befragung der Eltern wie
der Kinder, die bereits
über 17 Jahre alt waren,
geschehen.
zunehmend ihre Elternrolle und begehen
einen neuen Lebensabschnitt. Denn auch
Finden wir die ehemaligen
süchtige Eltern möchten, was andere Eltern
ULMENHOF-BewohnerInnen?
auch möchten, nämlich gute Eltern sein.
So begann die Suche nach ehemaligen Klient-
Und so sind es insbesondere sie, die ihrem
Innen mit Kindern aus dem ULMENHOF. Da
Kind ermöglichen wollen, was sie selbst
ihr Aufenthalt teilweise bereits 20 Jahre
oft nie erfahren haben: Eine innige Eltern-
zurück lag, konnte rund die Hälfte nicht
Kind-Beziehung, familiäre Geborgenheit
wieder aufgefunden werden. Über ihren
und Zuneigung.
weiteren Lebensweg nach dem ULMENHOF
ist leider nichts bekannt. Zu den anderen
Wie weiter nach dem ULMENHOF
fand in der Folge ein erster schriftlicher
Die Arbeit im Kinderhaus TIPI brachte mich
und telefonischer Kontakt statt. Bis auf
nicht nur der Thematik von suchtmittel-
einzelne Ausnahmen zeigte sich eine hohe
abhängigen Eltern näher, sondern ich
Bereitschaft der Eltern und Kinder an der
erlebte auch, wie die Eltern in ihre neue
Befragung teilzunehmen. Dies war insofern
Rolle des Elternseins wuchsen und sich
aussergewöhnlich, als bei Befragungen
über lebensgeschichtliche Themen die
Zeit der Therapie getrennt haben, wurden
Teilnehmer eher zurückhaltend in ihrer
mit zwei Ausnahmen nur die Mütter be-
Zusage sind. Persönliche Erfahrungen und
fragt. Auf Grund der häufigen Trennungen
Erlebnisse in einer Umfrage preiszugeben,
der Eltern beginnt das Leben nach dem
sind mit Vorbehalten verbunden, erst recht
ULMENHOF für die meisten Frauen, in-
mit einer Suchtvergangenheit.
dem sie auf sich selbst gestellt sind und
mit dem begrabenen Traum einer intak-
Offene Gespräche
ten Familie. Einige von ihnen haben sich
über schwierige Themen
aber später mit einem anderen Partner
Die Befragungen der Eltern und Kinder fan-
und weiteren Kindern den Wunsch einer
den mit wenigen Ausnahmen in ihrem Zu-
Familie erfüllt.
hause statt. Dabei erzählten sie von den
So ergab denn auch die Befragung, dass
verschiedenen Stationen auf ihrem Lebens-
die Kinder nach dem ULMENHOF bei ihren
weg nach ihrem Austritt aus dem ULMENHOF.
Müttern aufwuchsen. Nur einzelne Kinder
Der Ablauf der Gespräche verlief aber nicht
wurden während ihres Aufwachsens auf
strikte nach dem Fragebogen, sondern es
Grund schulischer oder familiärer Schwie-
hatte auch Platz für eigene Themen der
rigkeiten vorübergehend in einem Heim,
Befragten.
einer Pflegefamilie oder von Verwandten
Eine solche Annäherung an das Thema
betreut.
«Sucht und Elternschaft» bedeutete per-
Trotz der häufigen Trennung der Eltern ist
sönliche und nahe Begegnungen mit den
bei einigen Kindern ein regelmässiger
ehemaligen ULMENHOF-KlientInnen und
Kontakt zu ihren Vätern über Jahre erhal-
ihren Kindern, die mittlerweile schon zu
ten geblieben. Dies obwohl die Väter den
jungen Erwachsenen herangewachsen
Ausstieg aus den Drogen nur selten schaff-
waren. Dabei ergab sich während den
ten. So wurden die Kinder während dem
Gesprächen meist eine angenehme Atmo-
Aufwachsen immer wieder mit der elter-
sphäre und nach der Befragung entwickel-
lichen Suchtproblematik konfrontiert,
ten sich noch einige Nachgespräche. Die
selbst wenn die Mutter drogenfrei lebte.
freundliche und offene Art der Begegnungen war für mich insofern überraschend,
Geringes Kontaktnetz
als dass doch oft schwierige Situationen
Der Kontakt zu anderen Verwandten oder
aus der Lebensgeschichte angesprochen
Bekannten war bei den Kindern wie auch
wurden.
ihren Müttern gering. Zusätzlich lassen
Kinderbetreuung – die Mütter
schluss an den ULMENHOF vermuten, dass
sind gefordert
die Frauen mit ihren Kindern eher sozial
Da bereits ein grosser Teil der Frauen beim
isoliert lebten.
Eintritt in den ULMENHOF von den Kinds-
Im Gegensatz dazu schafften einige Frau-
vätern getrennt war oder sie sich in der
en eine berufliche Integration. Dies setzte
die häufigen Wohnortswechsel im An-
09
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jedoch eine Berufsausbildung voraus. Vor
Kein typisches Leben nach dem
allem diese Frauen, die berufstätig waren,
ULMENHOF
zeigten sich stolz auf ihr unabhängiges
Trotz der ähnlichen Ausgangskonstella-
Leben.
tion mit dem Aufenthalt der Frauen im
Die Lebensgeschichten der Frauen waren
ULMENHOF, zeigten sich im Weiteren un-
unterschiedlich und immer wieder von
terschiedliche Verläufe der Lebensgeschichten. So gibt es auch
schwierigen Zeiten geprägt. Dabei war auch
der Weg aus der Sucht
für einige kein gradliniger. So hatten vereinzelte Frauen nach dem
ULMENHOF wieder Rückfälle in die Sucht und
«Die häufigen Wohnortswechsel lassen
vermuten, dass die
Frauen mit ihren
Kindern eher sozial
isoliert lebten.»
fanden erst über Umwege den Ausstieg. Teilweise lebten sie in
nicht ein typisches Leben
nach dem ULMENHOF
und viele Wege führten
die Frauen aus der Sucht.
Die Begegnungen mit
den Menschen, die im
ULMENHOF gelebt haben, sind insofern von
Bedeutung, als sich damit nicht über die
der Folge auch substituiert. Zum Zeitpunkt
Süchtigen und für sie gesprochen wird,
der Befragung lebten die Frauen jedoch
sondern sie kamen selbst zu Wort, konn-
drogenfrei oder mit Methadon.
ten ihre Bedürfnisse ausdrücken.
«Auch süchtige Eltern möchten gute Eltern sein.»
Durch die Begegnungen mit ihnen habe
beginnt und sie sich für ihre weitere Reise
ich einen Teil ihrer Geschichte kennen
rüsten. Sie begegnen dabei auf ihrem
gelernt. Diese habe mich berührt und ich
weiteren Weg immer wieder Hindernissen,
habe Respekt vor dem Weg, den sie ein-
die sie zu bewältigen haben. So manches
geschlagen haben.
Mal erinnern sie sich dann an den
ULMENHOF und sie können ihren Weg
Chance ULMENHOF –
doch weiter gehen. In diesen stürmischen
Chance Neustart
Zeiten binden sich den auch die Eltern und
Dabei bedeutet der ULMENHOF für die
die Kinder wieder fester aneinander und
süchtigen Eltern eine Zeit in ihrem Leben,
wachsen einer gemeinsamen Zukunft ent-
in der für sie ein neuer Lebensabschnitt
gegen.
Literatur
Hedrich, D.: Drogenabhängige Frauen und Männer. In: Kindermann, W./Sickinger, R./Hedrich, D./Kindermann, S. (Hrsg.): Drogenabhängig. Lebenswelten zwischen Szene, Justiz, Therapie und Drogenfreiheit. Freiburg im Breisgau: Lambertus, 1989. S. 193-234.
Arenz-Greiving, I./Dilger, H. (Hrsg.): Elternsüchte - Kindernöte. Berichte aus der Praxis. 2., unveränd.
Aufl. Freiburg im Breisgau: Lambertus, 1994
Beatrice Rebsamen, begann nach der Matura ein Pädagogikstudium an der Universität
Zürich. Berufliche Erfahrungen sammelte sie während des Studiums bei verschiedenen NonProfit-Organisationen, u.a. arbeitete sie auch drei Monate freiwillig in einem Waisenhaus in
der Mongolei.
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Peter Burkhard, Gesamtleitung DIE ALTERNATIVE
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25 Jahre Betreuung von zwei
Generationen in der Therapie
Rückblende
niederschwellige und gassennahe Insti-
Die Schweiz war in die Schlagzeilen gera-
tutionen eröffnet. Der Spritzentausch, die
ten, weltweit berichteten die Medien vom
Ausweitung der Methadonabgabe und
Nadelpark, zuerst am Platzspitz nachher
die ärztlich beaufsichtigte Drogenabgabe
am Letten. Die offenen Drogenszenen – nicht
wurden gleichsam über Nacht möglich.
nur in Zürich – wurden in der Öffentlichkeit
Alle wollten etwas gegen diese men-
ausgesprochen emotional diskutiert, der
schenunwürdigen Zustände in der offenen
grösste gemeinsame Nenner war einzig,
Drogenszene tun. Allerdings, von den
dass es so nicht weitergehen durfte. Ab
ungezählten kleinen Kinder n, die mit
1980 beobachteten wir eine skandalöse
ihren Eltern auf der Gasse lebten, sprach
Verelendung der betroffenen Akteure,
niemand. Sie wurden ganz vergessen.
einhergehend mit einer massiven Zunahme
Nicht zum ersten und auch nicht zum
von kriminellen Tatbeständen. In den Kom-
letzten Mal!
missionen wurden Notstandsmassnahmen
ins Auge gefasst, an den Wochenenden
Die versteckten und
pilgerten Heerscharen von Neugierigen zu
vergessenen Kinder
den offenen Drogenszenen – der ultima-
Wir sprachen von diesen Kindern und
tive Kick, einmal die abschreckenden,
gegen alle Widerstände – deren waren
ausgemergelten Gestalten aus der Nähe
viele – begannen wir 1983 mit den Kon-
beobachten – derweil sich am rechten
zeptplanungen. Im Herbst 1984 konnten
Rand Bürgerwehren formierten, die dem
wir die ersten Eltern mit ihren Kindern in
Staate zeigen wollten, wie mit diesem Ge-
die Therapie aufnehmen – und stiessen
weit herum auf Unver-
sindel zu verfahren sei.
Insbesondere mit dem
Aufkommen und der Verbreitung des HI-Virus,
veränderte sich Einiges
in den Köpfen der Entscheidungsträger. Die
Angst vor Aids überla-
«Von den ungezählten
kleinen Kindern, die
mit ihren Eltern auf
der Gasse lebten, sprach
niemand, sie wurden
ganz vergessen.»
gerte die Angst vor dem
ständnis. Der eigentliche
Tabubruch war nicht so
sehr unsere Absicht Eltern und ihre Kinder in
unser Betreuungsnetz
aufzunehmen, das wurde lediglich als störend
und unnötig empfunden.
Drogenproblem. In kürzester Zeit wurden
«Die Eltern können doch selbst auf ihre
unter dem Stichwort Risikominimier-
Kinder aufpassen, wieso braucht es da
ung und Schadensbegrenzung sogenannt
eine zusätzliche Betreuung?» Dabei wuss-
ten wir auch schon damals aus Erfahrung,
«Woher kommt die Zuversicht, dass Men-
dass Kinder, welche über Jahre dem elter-
schen, die nach gängigem Krankheits- und
lichen Gassenstress ausgesetzt waren,
Rechtsverständnis nur sehr bedingt für ihr
extreme Mangelerscheinungen und ein-
Handeln zur Rechenschaft gezogen wer-
drückliche Formen von Traumatisierungen
den, ausgerechnet für die anforderungs-
aufwiesen. Den Tabubruch machten wir
reichen Betreuungs-, Förderungs- und
mit dem Entscheid, Paare in die Therapie
Schutzaufgaben heranwachsender Kinder
aufzunehmen. Bis zu diesem Zeitpunkt
zuständig sein können?»
galt es nämlich als erwiesen, dass Paare
keine gemeinsame Therapie machen kön-
Das Kinderhaus TIPI
nen. Wir betraten wieder einmal Neuland,
Im ursprünglichen Konzept «Zwei Gene-
Vorbilder existierten zu dieser Zeit nicht,
rationen in der stationären Suchttherapie»,
zwei Generationen in der stationären The-
liessen wir uns vom Gedanken leiten, dass
rapie gab es nicht, basta! Es folgten lange
wir die professionelle Tagesstruktur für die
Jahre des Verhandelns bis die formale
Kinder übernehmen, währenddessen die
Anerkennung des Kinderbereichs von der
Eltern mit ihrer Therapie beschäftigt sind
Bildungsdirektion endlich vorlag.
und am Abend – so war es von uns vorgesehen – sollten die Kinder auf den ver-
Kindesschutz und
altersadäquate Förderung
Wir waren mit dem Zwei-GenerationenProjekt angetreten, weil wir etwas für die
betroffenen Kinder und deren Eltern tun
wollten. Von Anfang an war für uns klar,
dass der Kindesschutz erste Priorität hat.
Grosse Anfeindungen lösten wir mit dem
Entscheid aus, für alle Kinder mindestens
eine Beistandschaft zu errichten. Die Geburtsabteilungen an den grossen Kliniken
wollten der Mutter nicht dreinreden, «progressive» Fachleute aus der Suchtarbeit
schwadronierten von der konstituierenden
Loyalität zur Mutter und die einweisenden
Behörden entdeckten die neue Mütterlichkeit, Hauptsache sie wurden nicht in die
Verantwortung genommen, mussten nicht
bezahlen. Eine Frage konnte uns aber
schon damals nicht, und übrigens auch
heute noch nicht, beantwortet werden:
«Der Kinderschutz hat erste Prorität.»
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schiedenen Lebensgruppen, zusammen
einsetzte, bis endlich das Kinderhaus TIPI
mit ihren Eltern betreut werden. In diesem
in Betrieb genommen werden konnte,
Modell veranschlagten wir die Möglich-
muss hier nicht speziell betont werden. Es
keiten der Eltern eindeutig zu hoch. Es
waren einzelne Stiftungen, unser Träger-
stellte sich aber schon bald
heraus, dass einzelne Eltern
relativ schnell an ihre Grenzen kamen, gegebenenfalls
kurzfristig die Therapie abbrechen und aus der Institution davon laufen. In
«Werden Kinder
als Therapeutikum
für den Prozess
der Eltern missbraucht?»
verein und die Schar der
Mitarbeiterinnen, die sich
weit über die geforderten
Anstellungsbedingungen
hinaus engagierten, die
schliesslich das Projekt ermöglichten.
diesem Krisenfall war der
Kindesschutz nicht mehr gewährleistet.
Das professionelle Hilfesystem
Wir mussten eine eigene professionell
schweigt
geführte Tag-Nachtstruktur für die Kinder
Kinder auf der Gasse sind schweren Be-
aufbauen, wollten wir den Kindesschutz
lastungen ausgesetzt, sie erleiden Formen
und die altersadäquate Förderung in
von strukturellen Misshandlungen. Trotz
jedem Falle sicherstellen. Das Konzept
diesem W issen, schwieg damals und
«Kinderhaus TIPI» war in den Grundzügen
schweigt auch heute das professionelle
geboren. Dass anschliessend wieder ein
Hilfssystem über weite Strecken. Sobald
jahrelanges Seilziehen mit den Behörden
es nicht mehr um die Erwachsenen mit
«Das ganze familiäre System muss betreut werden.»
ihren Suchtproblemen geht, sondern um
Autonomie nicht in Frage gestellt wird.
ihre spezifische Rolle als Mutter oder als
W ie lässt sich dieser extreme Wandel
Vater. Der Kindesschutz, die Kinderrechte
erklären? Es liegt doch nicht etwa am
sind aber unteilbar und gelten gerade
fehlenden Fachverstand? Könnte es sein,
dass Kinder als Therapeu-
dort – entsprechend sollten
sie auch zu Anwendung
kommen – wo sie nicht eh
schon als gegeben vorausgesetzt werden können. Im
losen Zusammenschluss mit
VertreterInnen von Espoir,
«Es gelingt uns offensichtlich immer wieder, wichtige Schutzfaktoren in ihrem
Leben zu verankern.»
tikum für den Prozess der
Eltern missbraucht werden? Wird unangenehmen
Interventionen ausgewichen? Hat die Suchtarbeit
ausreichend nachvollzogen, dass nicht mehr nur
dem Marie MeierhoferInstitut für das Kind und unseres Betreu-
einzelne Jugendliche und junge Erwach-
ungsnetzes wurde in jahrelanger Kleinar-
sene, sondern viel mehr ganze familiäre
beit immer wieder zu Gunsten der Kinder
Systeme betreut werden müssen, und
Einfluss genommen die Kinderrechte und
scheut sie die Konsequenzen?
der Kindesschutz auch am Rande unserer
Gesellschaft angemahnt. In erster Priorität
Die Situation der betroffenen
wiesen wir immer wieder darauf hin, dass
Kinder heute
dringend minimale Erziehungs- und Be-
Gemessen am Stand vor 25 Jahren hat sich
treuungsstandards zu Gunsten dieser Kin-
Einiges zu Gunsten der betroffenen Kinder
der festgelegt werden müssen. Eine For-
getan, gemessen an den Anforderungen des
derung, die bis heute nicht erfüllt ist. Es
Kindesschutzes sind allerdings noch einige
bräuchte weiter eine Beschreibung von
Lücken und ‚Baustellen’ vorhanden:
Massnahmen bezüglich Kinder auf der
Gasse, besser bezüglich der Eltern, die von
−Der Kindesschutz wird im Randgruppen-
keiner Begleitung Gebrauch machen, die
bereich nur sehr lückenhaft beachtet.
sich der Beratung entziehen und lösungs-
−Verbindliche Minimalstandards für Er-
orientierte Hilfen ausschlagen. Eltern, die
ziehung und Betreuung von Kindern aus
unfähig sind, den Kinderschutz zu ge-
Sucht betroffenen Familien fehlen noch
währleisten, geschweige denn die altersadäquate Förderung zu realisieren, in die
immer.
−Im niederschwelligen, gassennahen In-
Anonymität abtauchen auf die alltäglichen
stitutionsbereich werden die Kinder noch
Anforderungen mit Verdrängen und er-
heute vergessen. Uns sind Grossinstitu-
höhten Drogenkonsum antworten.
tionen bekannt, die nicht einmal im Rah-
Aber noch immer wird weggeschaut, in
men der Klientenakten nach möglichen
der Wahrnehmung der Helfenden mutieren
Kindern fragen, geschweige denn wer-
ihre KlientInnen kurzfristig zu handlungs-
den die Kinder im Betreuungsprozess
fähigen Erziehungsverantwortlichen, deren
thematisiert.
15
lesaufgabe zugemutet, die unter den
16
gegebenen Bedingungen nicht befriedigend gelöst werden kann.
Fazit
Die Arbeit mit zwei Generationen – hier
stehen die Kinder im Vordergrund – lohnt
in jeder Hinsicht. Kinder können bei geeigneter Betreuung und Therapie nachreifen und wichtige Defizite aufholen. Offensichtlich gelingt es uns immer wieder,
Kinder vor weiteren traumatisierenden
Einflüssen zu schützen als auch wichtige
Schutzfaktoren im Leben dieser Kinder zu
verankern, so dass sie auch noch nach
Jahren wirksam sind. Auf der anderen
Seite stellen wir ebenso erfreut fest, dass
vergleichbare Entwicklungsprozesse auch
Kinder können Defizite aufholen.
bei den Eltern möglich sind. Nicht alle
Eltern können nach der Therapie ihr Kind
Auf Grund der aktuellen Finanzierungs-
autonom erziehen, betreuen und umsor-
grundsätze wird die Arbeit mit zwei Ge-
gen, aber von wenigen Ausnahmen abge-
nerationen zunehmend verunmöglicht.
sehen realisieren alle eine eigenständige
Heute ist in der Bildungsdirektion gut
Beziehung zu ihren Kindern.
nachvollzogen, dass es zwei GenerationenBetreuungen braucht, hingegen erleben
wir gegenteilige Entwicklungen im Kantonalen Sozialamt. Es wurde eine maximale Betreuungsdauer von einem Jahr für
den stationären Bereich festgelegt, nachher wird nur noch ein minimaler Beitrag
durch den Kanton geleistet. Oder anders
gesagt, nach einem Jahr müssen die KlientInnen aus dem stationären Bereich
entlassen werden, unabhängig davon, wie
es ihnen geht, auch unabhängig davon,
mit wie viel, präzise mit wie wenig Ressourcen die Einzelnen bei uns in die Therapie eintreten. Da wird uns eine Herku-
Peter Burkhard leitet die
Geschäfte und Geschicke der
ALTERNATIVE seit 37 Jahren.
17
Geschenke bequem
nach Hause geliefert:
www.diealternative.ch/shop
Othmar Rist, Co-Bereichsleitung Therapie ULMENHOF
18
Elternschaft – eine Aufgabe, die
manche KlientInnen überfordert
Im Jahre 2001 erweiterten wir unser The-
wird nach dem Entzug zusammen mit
rapieangebot für werdende Mütter, die
seiner Mutter in einem behütenden, be-
«noch» ein Substitutionsmittel brauchen
treuten Umfeld heranwachsen können.
oder für ebensolche Mütter, deren Kind
Wir gingen damals davon aus, dass die
in der Neonatologie zur Drogenentzieh-
Mutter das Substitutionsmittel bald ab-
ung ist. Es waren vermehrt entsprechende
bauen und wie alle anderen, ihre Therapie
Anfragen an uns gerichtet worden. Unter
absolvieren werde.
dem Aspekt des Kindesschutzes drängte
Die Erfahrung lernte uns jedoch, dass
sich dieser Entscheid auf: So kann das
dieses Konzept nicht allen KlientInnen
werdende Kind unter gesünderen Bedin-
gerecht wird:
gungen – das Ungeborene ist dann zwar
Viele unserer heutigen KlientInnen würden
dem Substitutionsmittel weiterhin aus-
durch eine Entziehung der Substitution in
gesetzt, der sog. Beikonsum, entfällt
einem Mass destabilisiert, dass ein Wei-
jedoch – gedeihen. Das Neugeborene
terführen der Therapie verunmöglicht
«Nach dem Entzug in einem behüteten betreuten Umfeld heranwachsen.»
würde. Diesen Menschen stehen oftmals
kaum Entwicklungen stattfinden oder mög-
wenige Ressourcen zur Selbstregulation
lich sind, die eine verlässliche Elternschaft
zur Verfügung und einigen
garantieren und dem Her-
dient die Substitution nicht
anwachsenden Halt und
nur gemeinhin als «Drogenersatz», sondern als
benötigtes Psycho-Pharmazeutikum zur psychischen
Stabilisierung. Sie werden
auch nach der Suchttherapie auf ein Hilfssystem
angewiesen bleiben.
Eltern, Mütter, die mit fort-
«Stabile Beziehung
zum fremdplatzierten Kind
oder eigene Betreuung und Erziehung
mit häufig wiederkehrenden Beziehungsabbrüchen?»
emotionale Kontinuität gewährleisten, stehen wir
dafür ein, dass die Mutter,
die Eltern sich darauf konzentrieren, eine stabile
Beziehung zum fremdplatzierten Kind aufzubauen,
an Stelle der Übernahme
dessen Betreuung und Erziehung. Die Qualität einer
schreitender Therapie einen
Zuwachs an Ressourcen erfahren, deren
solchen Beziehung kann um ein vielfaches
Stabilität gefestigt ist und die durch ihr
Gewinn bringender sein, als eine durch
Wirken eindeutige Autonomie Rückge-
häufig wiederkehrende (emotionale) Be-
winnungsprozesse dokumentieren, üben
ziehungsabbrüche gekennzeichnete fami-
in unserem Rahmen ihre Erziehungskom-
liäre Situation.
petenz zu erweitern, mit dem Ziel auch
Für die betroffenen Eltern ist ein solches
nach der Therapie mit ihrem Kind zusam-
Ziel zu verfolgen, zu verstehen und zu
menzuleben – unabhängig davon, ob sie
akzeptieren ein äusserst schwieriger und
noch ein Substitutionsmittel brauchen
schmerzhafter Entscheidungsprozess, den
oder nicht.
es sehr behutsam zu begleiten gilt, will
Wenn wir feststellen, dass insbesondere
man nicht die Gefahr laufen, neue Trau-
auf der Ebene der Beziehungsfähigkeit
matisierungen anzubahnen.
Othmar Rist, Co-Bereichsleitung
Therapie, Sozialtherapeutische
Gemeinschaft ULMENHOF
19
Jeannette Alison, PR-Assistentin DIE ALTERNATIVE
20
«Ein Kind nimmt dir nicht
die Lust auf Drogen»
Eine tragische Geschichte mit vorläufigem Happy-end. Eine Mutter, die kürzlich
aus dem ULMENHOF ausgetreten ist, erzählt, wie das Muttersein ihr Leben
verändert hat, ihr Baby sie näher zu ihren Eltern gebracht hat und wie sie
gegen die Einsamkeit kämpft. Über die Schwierigkeiten einer Suchttherapie
mit einem Kind.
Was war deine Situation als Mensch und
nung. Ein Arbeitsvertrag für eine Stelle
insbesondere als werdende Mutter als du
am Flughafen stand kurz vor Vertragsab-
in den ULMENHOF eingetreten bist?
schluss – als ich meinen zukünftigen Arbeitgeber aber über meine Schwanger-
Ich bin wegen meiner Tochter Estella in
schaft informierte, winkte dieser ab.
den ULMENHOF eingetreten. Ich war damals bereits Mutter, Estella war zwei
Als künftige allein erziehende Mutter mit
Monate alt. Als ich schwanger wurde,
einer Suchtgeschichte entschied ich mich
habe ich im Kanton Ber n gelebt und
bereits während der Schwangerschaft für
gearbeitet – und viel konsumiert: Illegale
einen Kindesbeistand. Die Trennung mei-
Drogen, Alkohol, Benzos. Ich habe meine
nes Freundes und Vater meines Kindes,
Schwangerschaft erst im fünften Monat
die Schwangerschaft, keine Arbeitsstelle,
bemerkt. Die Tatsache, dass ich meine
ein neuer Wohnort – diese Tatsachen be-
Tochter während den ersten kritischen drei
wogen den Beistand dazu, sich einzuschal-
Monaten – in einer sehr extremen Zeit –
ten. Er schlug das Abklärungsmodul für
nicht verloren hatte, war für mich ein
Schwangere im ULMENHOF vor. Nach viel
Zeichen, dass meine Tochter Schicksal für
Überzeugungsarbeit liess ich mich schliess-
mich war. Vielleicht war sie genau der
lich vom Beistand überzeugen, in den
Grund, den ich brauchte, um mit den
ULMENHOF einzutreten.
Drogen aufzuhören.
Mein Vater hat mich im Laufe meiner Sucht
Nachdem ich von meiner Schwangerschaft
immer mehr verstossen. «Du bist nicht von
erfahren habe, dachte ich, jetzt packe ich
mir und kannst sowieso nichts», sagte er.
den Ausstieg, schliesslich habe ich mich
Als er herausfand, dass ich Heroin konsu-
für das Kind entschieden. Auf keinen Fall
mierte, brach der verbale Kontakt ganz
wollte ich eine Therapie machen. Ich woll-
ab. Mit meiner Mutter habe ich mich
te es alleine schaffen. Zurück im Raum
heimlich hinter seinem Rücken getroffen.
Zürich fand ich mit viel Glück eine Woh-
Er wollte mich nicht mehr sehen. Der
ULMENHOF war die letzte Chance, die er
Was waren besonders schwierige Momente
mir gab. Falls ich diese vermassle, habe er
während deines ULMENHOF-Aufenthaltes?
eine Tochter weniger, warnte er mich. Mein
Wie bist du mit den Belastungen als Mut-
Kind lehnte er während der Schwanger-
ter und als Klientin umgegangen?
schaft sehr stark ab.
Was sehr schwierig für mich war, war der
Hat sich die Beziehung zu deinem Vater
Druck von aussen, es unbedingt zu schaf-
in der Zwischenzeit verbessert?
fen. Der Druck, keinen Absturz zu haben.
Der Druck, meine Eltern nicht enttäuschen
Wir hatten es eigentlich nie gut zusammen.
zu dürfen. Und mich selber nicht. Die
Seit Estella auf der Welt ist, ist das anders.
Angst, meine Tochter zu verlieren. Der
Die Beziehung zu meinem Vater hat sich
Druck seitens des Kostenträgers, der die
stark verbessert. Er liebt sie abgöttisch, sie
Kosten für Therapie und Wohnung für drei
ist sein Star. Natürlich bin ich manchmal
Monate übernahm – schliesslich wurden
neidisch und frage mich, aus welchem Grund
sechs Monate daraus. Das war sehr be-
mein Vater auf Besuch kommt – ist er nun
lastend.
wegen mir oder wegen Estella hier?
Während der Therapie war ich die Woche
hindurch tagsüber im Kinderhaus TIPI.
Dort kam ich mir sehr beobachtet vor.
Natürlich wollte das Kinderteam herausfinden, wie ich mit Estella umging. Ob
ich es schaffe. Der Auftrag war ja, meine
Kompetenzen in Bezug auf mein Muttersein abzuklären. Ob ich fähig war, meine
Tochter selber zu versorgen. Trotzdem –
die Tatsache, dass dir ständig jemand auf
die Finger schaut, war anstrengend. Heute bin ich froh, dass ich derart beobachtet wurde und das Kinderteam mich auf
diese Weise gefordert hat.
Das Zusammenleben auf dem Stock war
schwierig. Es bestand keine Rückzugsmöglichkeit. Gleichzeitig hat mir die Gemeinschaft auch sehr gut getan – es war immer
jemand da. Ich bin ein sozialer Mensch,
«Der Druck, meine Eltern nicht enttäuschen
zu dürfen.»
der gerne Leute um sich hat und Leute um
sich braucht.
21
22
Der viele Trubel um mich – und die Unge-
wäre es nicht möglich gewesen, in so
wissheit, was danach kommt – hat mir
kurzer Zeit derart viel zu erreichen. Sie
furchtbare Angst gemacht. Vor der The-
besuchten mich regelmässig im ULMENHOF.
rapie war ich immer irgendwie beschäftigt,
Viel Familienzusammenhalt ist dadurch
sei es mit Arbeiten, der Sucht, dem Stress,
entstanden.
dem Stoff nachzurennen, meiner Beziehung. Später im ULMENHOF war immer
Was hast du während deines Aufenthaltes
jemand für mich da, jeder interessierte
im ULMENHOF gelernt, insbesondere in
sich dafür, was ich mache. Kurzum: Im
Bezug auf deine Mutterrolle? Wie verstehst
ULMENHOF wirst du gepuscht, jeder möch-
du deine Mutterrolle heute?
te etwas von dir. Und dann gehst du heim
und es interessiert sich niemand mehr für
Mir wurde beigebracht, dass es okay ist,
dich. Es war schwierig, mit Estella nach
hinzustehen und Stopp zu sagen, wenn
man am Ende seiner Kräfte ist. Deswegen
Hause zu gehen – alleine.
ist man keine schlechte Mutter. Das war
Wie hat dich das ULMENHOF- und Kinder-
neu für mich. Von Zuhause kannte ich
nur, dass man funktionieren muss, ohne
team unterstützt?
wenn und aber.
Ich bin wirklich froh, dass ich im ULMENHOF
war. Angenommen, ich hätte das Kind
Es wird zwar immer gesagt, dass du nicht
nach der Geburt mit nach Hause genom-
nur Mutter bist, sondern auch Frau, Freun-
men – das hätte in einer riesigen Katast-
din, Partnerin. Aber ein Mami zu sein ist
rophe geendet. Ich hatte keine Erfahrung
ein derart grosser Teil von deinem Leben,
dass es schwierig ist, sich
mit Babys und plötzlich war
ich Mutter von einem anspruchsvollen, schwierigen
Baby, das viel schrie und
kaum schlief. Ich wäre
«Der ULMENHOF
ist eine geschützte
Welt für sich.»
auf andere Rollen zu konzentrieren. Im ULMENHOF
lernt man, sich auf andere
Rollen einzulassen, denn
das Kind wird älter. Wichtig
total überfordert gewesen.
Ich lernte im TIPI viel über den Umgang
ist, sich auch um soziale Kontakte zu
mit Kindern und konnte mir unzählige
kümmern, auch ausserhalb vom ULMENHOF.
T ipps in Sachen Erziehung holen. Ich
Denn der ULMENHOF ist eine geschützte
konnte vieles abschauen. Ich lernte dort
Welt für sich, die in diesem Moment gilt,
das Muttersein.
wo du dort bist. Das wahre Leben ist anders.
Zu meiner Therapeutin hatte ich von
Anfang an einen sehr guten Draht. Sie hat
Als Mutter lernt man nie aus. Ich lerne
mir in vielen Dingen den Rücken gestärkt.
immer wieder Neues – damals und heute.
Doch ohne Unterstützung meiner Eltern
Ich werde immer wieder gefordert. Das
TIPI als konstanter Ansprechpartner ist
Die Psyche, die Entwicklung des Kindes
dabei Gold wert.
leidet wenn du im Verdeckten konsumierst
und in keine Therapie gehst. Denn das
Wie hast du unser Zwei-Generationen-
Kind trägt die Sucht genau gleich mit und
Modell erlebt: Eltern mit ihren Kindern in
wird geschädigt. Als Mutter denkt man
der Therapie? Geht das gut?
vielleicht: «Mein Kind konsumiert ja nicht».
Eine Therapie zusammen mit deinem Kind
wenn du klar bist. Es merkt auch, wenn
Aber dein Kind erlebt dich ganz anders
ist das Beste, was eine süchtige Mutter
du aus schlechtem Gewissen wieder mal
machen kann. So früh wie möglich. Denn
besonders liebevoll zu ihm bist.
die Probleme kommen automatisch: Als
süchtige Mutter gibst du dich mit deinem
Ob du nun ein Kind hast oder nicht –
Kind kaum ab, rennst ständig dem Stoff
schlussendlich nimmt dir das Kind nicht
hinterher, das Kind musst du dann auch
die Lust weg, zu konsumieren. Der Vorsatz
noch mitnehmen, du kannst es schliesslich
ist bei jeder Mutter, die in den ULMENHOF
nicht alleine Zuhause lassen.
eintritt, der gleiche: «Wegen meinem Kind
«Angenommen, ich hätte das Kind nach der Geburt mit nach Hause genommen – das hätte in
einer riesigen Katastrophe geendet.»
23
24
höre ich jetzt auf, zu konsumieren.» Ich
«Ressourcen erkennen, entwickeln, nut-
bin mit demselben Gedanken eingetreten.
zen» ist unser aktueller Slogan. Konntest
Und dann musste ich mir eingestehen: Ich
du durch die Therapie und Elternarbeit
muss für mich selber aufhören. Es nützt
«brachliegende» Ressourcen erkennen und
nichts, wenn ich die Therapie nur fürs Kind
aktivieren? Welche?
mache. Dein Kind nimmt das psychische
Auf und Ab während einer Therapie na-
Das Elterngespräch hat mir viel gebracht.
türlich wahr. Es merkt: Es verändern sich
Ich hätte es nie selbst geschafft, meinem
Dinge, mein Mami ist anders. Kinder sind
Vater gewisse Dinge zu sagen. Dadurch
nicht blöd, die haben kleine Antennen und
ist das Verhältnis zu meinem Vater besser
geworden. Ich habe ge-
merken alles.
Mutter und Kind lernen sich
im ULMENHOF neu kennen.
«Das Kind trägt
die Sucht mit.»
merkt, dass ich Dinge offen
sagen kann, wenn mir der
Rücken gestärkt wird.
Das Kind lernt eine andere
Mutter kennen, eine Mutter, die klar(rer)
Ich habe einige Eckpfeiler in meinem All-
im Kopf ist. Und du als Mutter nimmst
tag. Ich weiss zum Beispiel, wenn ich
dein Kind plötzlich auch anders wahr. Man
Zuhause bin und ans Limit komme, was
lernt sich gegenseitig neu kennen – die
zu machen ist. Meine Therapeutin kann
negativen und die positiven Seiten.
ich jederzeit anrufen. Ein weiterer Eckpfei-
Was ist denn ein «gutes» Mami für dich?
darum, soziale Kontakte ausserhalb des
Ein gutes Mami ist für das Kind da, hört
Moment mein Thema, an dem ich arbeite.
zu und gibt dem Kind emotionalen Halt.
Leider trifft nicht immer alles so ein, wie
Ich möchte Estella das Gefühl geben, je-
ich mir das wünsche. Zum Beispiel habe
ler, ist ein Hobby zu finden. Dabei geht es
Betreuungsnetzes zu finden. Das ist im
derzeit zu mir kommen zu können, auch
ich letzthin einen Kochkurs absolviert –
wenn sie eine Dummheit gemacht hat.
leider haben sich daraus keine Kontakte
Ohne das sie Angst hat, dass ich wütend
entwickelt. werde. Ich hoffe, dass meine Tochter immer
offen und ehrlich zu mir sein kann. Dass
Ein weiteres grosses Thema für mich war,
sie mir sagen kann: «Ich finde dich heute
Estella ohne schlechtes Gewissen abgeben
so blöd.» Dass sie mir gegenüber ihre
zu können. Ohne zu denken, dass ich eine
Gefühle ausdrücken kann, egal welche,
schlechte Mutter bin. Glücklicherweise
weil sie weiss, ich bin ihr Mami und wer-
werde ich immer wieder bestärkt: «Doch,
te sie deswegen nicht ab. Ich wünsche mir,
du bist eine gute Mutter, du machst es
dass sie sich bei mir austoben und an ihre
richtig.» Diese Bestärkung ist enorm wich-
Grenzen gehen kann, weil sie weiss, dass
tig für mich. Dieses Feedback kann ich mir
ich sie trotzdem gern habe.
im TIPI holen.
25
«Was mir fehlt ist ein soziales Netz ausserhalb der Familie. Es ist so einfach zu vereinsamen.»
Wie unterstützen dich das KANU und der
Wenn du dich heute überfordert fühlst –
Kinderbereich heute? Im alltäglichen
holst du dir Hilfe?
Leben? In deinem Muttersein?
Wo?
Zweimal pro Monat habe ich eine Sitzung
Wenn ich an meine Grenzen komme, mir
mit meiner Bezugsperson vom KANU. Sie
alles zuviel wird und ich meiner Tochter
tut mir gut, indem sie völlig
direkt ist und mir manchmal
einen «Tritt in den Arsch»
gibt. Zudem gebe ich Estella an einigen Tagen pro Woche in die Krippe ins TIPI.
«Und dann gehst du
heim und es interessiert sich niemand
mehr für dich.»
im Moment nicht geben
kann, was sie braucht,
kann ich jederzeit das TIPI
anrufen. Ich muss dann
nicht zuerst meine Eltern
o r g a n i s i e re n u n d i h n e n
erklären, was los ist. Ich
Ich habe genügend Anlaufstellen. Ich
bin extrem froh ums TIPI. Was auch im-
muss einfach bereit sein, auf diese Stüt-
mer ansteht – dort kann ich Schwierig-
zen zurückzugreifen – sonst nützen die-
keiten mit Estella anschauen und be-
se nichts.
sprechen.
26
Was mir fehlt, ist ein soziales Netz aus-
sie dann in meiner Nähe ist. Wenn ich das
serhalb meiner Familie. Es ist wichtig,
Gefühl habe, ich muss in den Absturz,
dass ich jetzt soziale Kontakte knüpfe.
dann gebe ich sie lieber ins TIPI. Das TIPI-
Aber eben... ich muss unter Leute kom-
Team fängt dann das Kind auf, erklärt,
men. Es ist so einfach, zu vereinsamen.
dass es dem Mami im Moment nicht gut
Ich wünsche mir, mehr Freunde zu haben
geht. Das Kinderteam spricht mit dem
– aber ich habe mir das einfacher vor-
Kind offen darüber, was mit dem Mami
gestellt. Wenn solche Dinge nicht klap-
los ist und dass es nichts mit dem Rückfall
pen, kann dich das ganz schön runter-
zu tun hat, es keine Schuld trifft. Und
ziehen.
schliesslich fängt das Team dann auch
wieder die Mutter auf – denn einem Kind
Wie sieht es heute mit deinem Drogen-
kann es nur gut gehen, wenn es der
konsum aus?
Mutter auch gut geht.
Ich bekomme im Moment Subutex. Im Juli
Vielen Dank für das Gespräch.
hatte ich einen Rückfall. Estella kennt mich
nicht «verladen». Und ich möchte nicht,
dass sie mich so kennenlernt. Oder dass
Die Namen wurden geändert, die Fotos zeigen
nicht die wahren ProtagonistInnen.
Jeannette Alison,
arbeitet seit April 2008 im Bereich
Public Relations der ALTERNATIVE.
27
Adressen
ZENTRALE DIENSTE
Unterer Lätten 1, Postfach 20,
8913 Ottenbach
Tel 044 763 40 80, Fax 044 763 40 96
[email protected]
PALETTI
Werkstätten / Integrationsarbeitsplätze
Unterer Lätten 1, 8913 Ottenbach
Tel 044 763 40 93, Fax 044 763 40 96
[email protected]
KANU
Beratungs- und Nachsorgestelle
Zurlindenstrasse 134, 8003 Zürich
Tel 044 454 40 50, Fax 044 454 40 51
[email protected]
BACHMOOS
Integrationswohnungen
c / o Fischerhuus, Alte Urdorferstrasse 4,
8903 Birmensdorf
Tel 044 737 09 37, Fax 044 737 09 57
[email protected]
ULMENHOF
Sozialtherapeutische Gemeinschaft
Affolternstrasse 40, 8913 Ottenbach
Tel 044 762 61 21, Fax 044 762 61 20
[email protected]
Werkstätten
Affolternstrasse 40, 8913 Ottenbach
Tel 044 762 61 22, Fax 044 762 61 26
[email protected]
TIPI
Kinderhaus
Alte Urdorferstr. 2, 8903 Birmensdorf
Tel 044 777 60 90, Fax 044 777 60 92
[email protected]
OCTOPUS
Vertrieb sozialtherapeutischer
Gemeinschaften
Unterer Lätten 1, 8913 Ottenbach
Tel 044 763 40 90, Fax 044 763 40 91
[email protected]
AFFAIR
Bistro-Laden
Unterer Lätten 1, 8913 Ottenbach
Tel 044 763 40 90, Fax 044 763 40 91
[email protected]
FIDIBUS
Kindergruppe
Affolternstrasse 40, 8913 Ottenbach
Tel 044 762 61 23, Fax 044 762 61 20
[email protected]
FISCHERHUUS
Rehabilitationszentrum
Alte Urdorferstr. 4, 8903 Birmensdorf
Tel 044 737 09 37, Fax 044 737 09 57
[email protected]
www.diealternative.ch
28
Organigramm
Verein
Vorstand Präsidentin: Barbara Meister, Ottenbach
Kassierin: Margrit Frei, Frauenfeld
Aktuarin: Elisabeth Frei, Zürich
Beisitzerin: Maya Girschweiler Trenkle, Ottenbach
Beisitzerin: Ursula Baumgartner, Knonau
Sozialtherapeutisches
Betreuungsnetz Gesamtleitung: Peter Burkhard
Zentrale Dienste Bereichsleitung: Isabelle Gutherz Beratung, Integration Bereichsleitung: Marlies Huber
KANU
Beratungs- und Nachsorgestelle
Zürich
Therapie Bereichsleitung: Sachia Kilchenmann, Othmar Rist
ULMENHOF
Sozialtherapeutische Gemeinschaft
Ottenbach
Kinder Bereichsleitung: Anke Knetemann
TIPI
Kinderhaus
Birmensdorf
Rehabilitation Bereichsleitung: Hans Bänziger
FISCHERHUUS
Rehabilitationszentrum
Birmensdorf
FIDIBUS
Kindergruppe
Ottenbach
BACHMOOS
Integrationswohnungen
Obfelden
Arbeit Bereichsleitung: Othmar Rist
ULMENHOF
Werkstätten
Ottenbach
PALETTI
Werkstätten
Ottenbach
OCTOPUS
Vertrieb und Verkauf
Ottenbach
AFFAIR
Geschenk- und Bistro-Laden
Ottenbach
Zentrale Dienste
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direkten Beitrag zur Linderung des
Postfach 20
8913 Ottenbach/ZH
Drogenproblems.
Telefon 044 763 40 80
Telefax 044 763 40 96
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PC-Konto: 87-80100-5
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