Branchenanalyse

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Branchenanalyse
Die Pharmazeutische Industrie
Eine Branchenanalyse
Die Pharmazeutische Industrie
Impressum
Herausgeber:
Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie
VB 1 – Gesamtleitung/Globalisierung/Industrie
Verantwortlich: Michael Vassiliadis
Redaktion:
Iris Wolf/Tomas Nieber
Abt. Wirtschafts- und Industriepolitik
Kontakt: [email protected]
Layout: BWH GmbH – Die Publishing Company
Hannover, Januar 2014
Inhaltsverzeichnis
Vorwort.............................................................................................5
Dr. Birgit Gehrke, Friederike von Haaren
Die Pharmazeutische Industrie............................................................7
Einleitung................................................................................................................................... 8
1. Entwicklungstrends und strukturelle Herausforderungen ..........................12
2. Branchentrends und Herausforderungen............................................................39
3.Fazit .....................................................................................................................................61
Literaturverzeichnis ............................................................................................................66
Anhang .....................................................................................................................................71
Michael Vassiliadis
Industriepolitik für den Fortschritt – Erfolgsfaktoren und
Herausforderungen für den Industriestandort Deutschland..................73
1. Industrieorientierte Volkswirtschaft mit
spezifischen Erfolgsfaktoren......................................................................................76
2. Den Industriestandort Deutschland zukunftsfest
machen – Die Herausforderungen..........................................................................85
3. Merkmale einer fortschrittlichen Industriepolitik............................................92
Die Autoren........................................................................................................... 95
Bildnachweis......................................................................................................... 96
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Die Pharmazeutische Industrie
Die Pharmazeutische Industrie
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4
Vorwort
Die Pharmaindustrie ist von den gegenwärtig branchenübergreifend wirksamen Megatrends gleich mehrfach betroffen.
Die nachhaltigste Entwicklung in der Pharmabranche in den letzten 30 Jahren
war ihre globale Ausrichtung bzw. die zunehmende internationale Konzentration:
Noch 1980 hat die Liste der zehn größten Pharmaunternehmen weltweit ein
deutsches Unternehmen – Hoechst – angeführt. Boehringer-Ingelheim stand auf
Platz 7. 15 Jahre später war Hoechst als einziges deutsches Unternehmen verblieben und außerdem auf Platz 3 abgerutscht. 2011 findet sich kein einziges deutsches Unternehmen mehr unter den zehn größten Pharmakonzernen der Welt.
Die Rangliste wird seitdem dominiert von vier US-amerikanischen Unternehmen.
Noch ist die deutsche Pharmaindustrie mittelständisch geprägt – ¾ aller hier
ansässigen Pharmaunternehmen haben weniger als 100 Beschäftigte. In
Deutschland steht der Konzentrationsprozess also erst am Anfang. Vor dem
Hintergrund der internationalen Konsolidierung müssen wir uns aber auch im
deutschen Pharmamarkt auf eine Zunahme von Fusionen, den Erwerb von
Nischenspezialisten sowie Übernahmen zur Füllung von Pipelines und zur internationalen Expansion einstellen.
Angesichts der wachsenden Lebenserwartung in den westeuropäischen Industrienationen und vor dem Hintergrund des zunehmenden Wohlstands in den
Schwellenländern ist die Pharmaindustrie mit ihren Produkten grundsätzlich
zukunftsfähig positioniert. Diese guten Voraussetzungen können jedoch nur
Wirkung entfalten, wenn auch die politischen Rahmenbedingungen stimmen.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Pharmabranche, als eine der forschungsintensivsten Branchen, besonders angewiesen ist auf gut ausgebildete
Fachkräfte. Hier stehen die in Deutschland ansässigen Pharmaunternehmen im
internationalen Wettbewerb mit ausländischen Arbeitgebern.
Die Beschäftigtenzahlen verharren im deutschen Pharmasektor seit Jahren auf
konstantem Niveau bei ungefähr 105.000 bis 110.000. Auch ist die deutsche
Pharmaindustrie besser durch die Finanzkrise gekommen als andere Branchen.
Das verdankt sie aber neben ihrer geringen Konjunkturabhängigkeit dem starken Auslands-Umsatz – Deutschland ist der größte Exporteur pharmazeutischer
Produkte weltweit!
5
Die Pharmazeutische Industrie
Über kurz oder lang werden die Stagnation in den traditionellen Absatzmärkten, der anhaltende Kostendruck im deutschen Gesundheitswesen und eine
infolgedessen immer härtere Regulierung der Branche aber auch bei den deutschen Belegschaften ankommen. Erste Anzeichen, wie eine Zunahme von Leiharbeit und die Auslagerung von Produktions- und F&E-Aktivitäten in Niedriglohnländer, sehen wir schon heute. Vor allem die Schwächung der Forschung in
Deutschland führt zu einem Bedeutungsverlust der inländischen Pharmastandorte: Denn gemessen an der Anzahl neu eingeführter Wirkstoffe in den Jahren
2006-2011 liegt Deutschland zusammen mit den USA an der Spitze.
Diese Keimzelle höher und hochqualifizierter Arbeitsplätze der Pharmaindus­
trie in Deutschland zu halten, hat deshalb besondere Bedeutung für das industriepolitische Engagement der IG BCE.
Alexandra Krieger
Bereichsleiterin Betriebswirtschaft/Unternehmensstrategie
Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie
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Dr. Birgit Gehrke und Friederike von Haaren
Die Pharmazeutische Industrie
Entwicklung und Strukturen der Branche
Branchentrends und Herausforderungen
Zusammenfassung
Die Pharmazeutische Industrie
Einleitung
Die »Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen« – im Folgenden kurz als
Pharmaindustrie bezeichnet – ist ausgesprochen forschungsintensiv. Durch
ihren Beitrag zur Therapie von Krankheiten sowie zum medizinischen Fortschritt
ist die Pharmaindustrie eine Schlüsselbranche. Allerdings ist der Pharmamarkt
in Deutschland, wie auch in anderen Ländern, in hohem Maße von gesundheitspolitischen Vorgaben und Regelungen abhängig. Im vergangenen Jahrzehnt
sind auch in Deutschland verschiedene Maßnahmen zur Kostensenkung im
Gesundheitswesen eingeführt worden, die die Rahmenbedingungen und Entwicklungspotenziale der Branche, gerade auch der hoch innovativen Unternehmen, beeinflussen. So beobachtet bspw. der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa 2011a, 2013c) eine rückläufige Tendenz bei der Markteinführung
von Medikamenten mit neuen Wirkstoffen und eine sinkende Tendenz bei den
Arzneimittelpreisen in Deutschland. Betroffen sind davon u. a. durch den zunehmenden Wettbewerb zwischen den Herstellern insbesondere Generika. Patentgeschützte Produkte sind hingegen überwiegend preisstabil.
Die Pharmaindustrie umfasst sowohl mittelständische und eigentümergeführte Unternehmen als auch deutsche Niederlassungen multinationaler Konzerne,
forschende Pharmaunternehmen, Generikaproduzenten, Lohnfertiger sowie
Firmen aus dem Biotechnologiebereich und stellt eine große Bandbreite von
verschreibungspflichtigen und nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln
und pharmazeutischen Produkten her. In der amtlichen Statistik wird jedoch
lediglich zwischen der Herstellung von pharmazeutischen Grundstoffen sowie
der Herstellung von pharmazeutischen Spezialitäten und sonstigen pharmazeutischen Erzeugnissen unterschieden.
Aufbau der Branchenstudie
Die Branchenstudie ist in die zwei Hauptkapitel 2 und 3 gegliedert: Im Kapitel 2
werden die Strukturen der Pharmaindustrie und die Entwicklung der Branche
seit Anfang der 2000er Jahre dargestellt. Basis ist eine eigene sekundärstatistische Analyse von Wirtschafts- und Beschäftigungsdaten zu Deutschland sowie
von Außenhandelsdaten zur internationalen Entwicklung, die um zusätzliche
Informationen aus internationalen und nationalen Verbandsstatistiken und
anderen Quellen ergänzt worden ist.
8
Das Kapitel 3 widmet sich der Identifikation und Beschreibung branchenspezifischer und globaler Trends sowie den sich daraus ergebenden Herausforderungen für Unternehmen und Mitbestimmung.
Vorab wird in den folgenden Abschnitten der Einleitung der Hintergrund für die
Erstellung der Branchenanalyse, deren Zielsetzung und die methodische Vorgehensweise dargestellt.
Hintergrund, Zielsetzung und Fragestellungen
Für Industriebranchen in Deutschland zeichnen sich vielfältige strukturelle Veränderungen ab. Zum einen stellen globale Megatrends wie Globalisierung,
demografischer Wandel, Ressourcenknappheit, Klimawandel, Digitalisierung
und Wissensintensivierung die Unternehmen und die Branchenakteure vor
große Herausforderungen. Zum anderen gibt es EU-weite und nationale
Rahmenbedingungen, die Branchenentwicklungen beeinflussen. Zu diesen
Rahmenbedingungen gehört beispielsweise die Energiewende als sozioökonomisches Megaprojekt der nächsten Jahrzehnte (BMWi 2012). Im Zuge der Energiewende wird Energieeffizienz bei Produktion und Produkten in allen Branchen
des Verarbeitenden Gewerbes zu einem immer wichtigeren Innovationsfeld
(Bauernhansl et al. 2013).
Gleichzeitig ist, spätestens seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009,
eine Renaissance der Industriepolitik zu verzeichnen. Dies zeigt sich z. B. im
zunehmenden Stellenwert der Industrie auf nationaler und auf europäischer
Ebene (»Europa-2020-Strategie«), aber auch in aktuellen Veröffentlichungen
wie »Die Modernität der Industrie« (Priddat, West 2012) und »Zukunft des
Industriestandortes Deutschland 2020« (Allespach, Ziegler 2012). Auch im
weltweiten Maßstab zeigt sich eine ähnliche Ausrichtung, z. B. in den USA
(»National Network for Manufacturing Innovation«), in China (der aktuelle
»Fünfjahresplan« setzt verstärkt auf eine anspruchsvolle Produktion hochwertiger Güter durch ausgesuchte Hightech-Industriezweige) und in Indien (»National Manufacturing Policy«).
Wenn es um die zukünftige industrielle Entwicklung einer Volkswirtschaft geht,
ist die Kategorie der »Branche« zum einen eine zentrale Analyseebene, zum
anderen ein wichtiger Bezugspunkt für die Akteure der industriellen Beziehun-
9
Die Pharmazeutische Industrie
gen (Schietinger 2013). Aus branchenspezifischen Entwicklungstrends im Kontext des strukturellen Wandels ergeben sich neue Herausforderungen für die
Standortverankerung der Unternehmen als Voraussetzung für die Sicherung
der Arbeitsplätze, für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen sowie für die strategische Arbeit der Träger der Mitbestimmung. Die differenzierte Analyse einer
Branche kann dazu beitragen, dass Grundlagen für die soziale und politische
Gestaltung der Arbeitswelt in der untersuchten Branche erarbeitet werden.
Nicht zuletzt aus diesem Grund gaben die Hans-Böckler-Stiftung und die IG BCE
im Jahr 2013 sechs Branchenanalysen beim IMU Institut Stuttgart und beim
Niedersächsischen Institut für Wirtschaftsforschung (NIW) in Auftrag. Für die
Branchen Glasindustrie, Kunststoffverarbeitung und Papiererzeugung (IMU Institut) sowie Chemische Industrie, Kautschukindustrie und Pharmaindustrie
(NIW) sollten Strukturen, Entwicklungen, Rahmenbedingungen und Perspektiven untersucht werden.
Die gemeinsamen Fragestellungen für die Analyse aller sechs untersuchten
Branchen sind:
• Wie haben sich die betrachteten Branchen in Deutschland in den letzten Jahren in quantitativer Hinsicht entwickelt (bezogen auf Beschäftigung und
andere wirtschaftliche Kennziffern)? Wie stellt sich die Situation deutscher
Unternehmen im globalen Wettbewerb dar?
• Vor welche Herausforderungen stellen globale Megatrends wie Globalisierung, demografischer Wandel, Ressourcenknappheit und Klimawandel die
Branchen?
• Welche Entwicklungstrends (z. B. Markttrends, Innovationstrends) beeinflussen die künftige Entwicklung der betrachteten Branchen? Welche Perspektiven haben die Branchen am Standort Deutschland?
• Wie stellt sich die Situation bei Arbeitsbedingungen und Arbeitspolitik in den
Branchen dar? Wie verändern sich Kompetenzanforderungen und Qualifikationserfordernisse? Welche Gestaltungsfelder für die Träger der Mitbestimmung bilden sich heraus?
Die Branchenanalysen wurden zum einen im Sammelband »Industriepolitik für
den Fortschritt – Herausforderungen und Perspektiven am Beispiel zentraler Branchen der IG BCE« (Vassiliadis 2013) veröffentlicht, zum anderen erscheinen sie als
Einzelveröffentlichung in den Institutsreihen des IMU Instituts und des NIW.
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Methodische Vorgehensweise
Bei der Branchenstudie kam zur Informationsgewinnung und -auswertung ein
Methodenmix zum Zuge, bestehend aus der Aufbereitung und Auswertung statistischer Basisdaten, der Sekundäranalyse von Literatur sowie leitfadengestützten Interviews und Gruppengesprächen mit Akteuren aus der Pharmaindustrie:
• Aufbereitung und Analyse von branchenbezogenen Wirtschafts- und Beschäftigungsdaten (Bestands- und Verlaufsanalyse). Datenbasis für die auf die Entwicklung und Strukturen in Deutschland bezogene Branchenanalyse waren
vor allem die Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit und die
Industriestatistik des Statistischen Bundesamts. Für die Analysen zum internationalen Handel wurde auf Daten der UN Comtrade-Database zurückgegriffen. Ergänzend kamen – sowohl für die nationale als auch für die internationale Perspektive – Angaben aus Verbandsstatistiken und weiteren Quellen
hinzu.
• Sichtung und Auswertung vorliegender Studien, Branchenanalysen, Fachzeitschriften, Unternehmensveröffentlichungen (Geschäftsberichte, Pressemitteilungen) und weiterer Fachpublikationen sowie weiterer branchenspezifischer Informationen aus dem Internet.
• Leitfadengestützte Expertengespräche wurden im Zeitraum März bis Juli
2013 mit Betriebsräten und Geschäftsführern (bzw. leitenden Angestellten)
aus drei Unternehmen der Pharmaindustrie geführt. Hinzu kamen weitere
Gespräche mit Gewerkschafts- und Verbandsvertretern. Im Zentrum stand
dabei die qualitative Erhebung von Unternehmensstrategien und Arbeitsbedingungen, von Branchentrends und Perspektiven für Betriebe und Beschäftigung, von Innovationstrends sowie von verallgemeinerbaren betrieblichen
Problemlagen und strukturellen Herausforderungen. Informationen aus diesen Expertengesprächen fließen anonymisiert in die vorliegende Branchenstudie ein. Zudem konnten durch die Teilnahme an einer Sitzung des Industriegruppenausschusses der IG BCE wesentliche Entwicklungstrends und
Herausforderungen in einem breiteren Kreis von Betriebsräten führender
Unternehmen der Pharmaindustrie in Deutschland diskutiert werden.
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Die Pharmazeutische Industrie
1 Entwicklung und Strukturen der Branche
Die »Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen« – im Folgenden kurz als
Pharmaindustrie bezeichnet – ist ausgesprochen forschungsintensiv. Durch
ihren Beitrag zur Therapie von Krankheiten sowie zum medizinischen Fortschritt ist die Pharmaindustrie eine Schlüsselbranche. Allerdings ist der Pharmamarkt in Deutschland wie auch in anderen Ländern in hohem Maße von
gesundheitspolitischen Vorgaben und Regelungen abhängig. Im vergangenen
Jahrzehnt sind auch in Deutschland verschiedene Maßnahmen zur Kostensenkung im Gesundheitswesen eingeführt worden, die die Rahmenbedingungen
und Entwicklungspotenziale der Branche, gerade auch der hochinnovativen
Unternehmen, beeinflussen. So beobachtet bspw. der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa 2011 a, 2013 c) eine rückläufige Tendenz bei der Markteinführung von Medikamenten mit neuen Wirkstoffen und eine sinkende Tendenz bei den Arzneimittelpreisen in Deutschland. Betroffen sind davon u. a.
durch den zunehmenden Wettbewerb zwischen den Herstellern insbesondere
Generika. Patentgeschützte Produkte sind hingegen überwiegend preisstabil.
Die Pharmaindustrie umfasst sowohl mittelständische und eigentümergeführte Unternehmen als auch deutsche Niederlassungen multinationaler Konzerne,
forschende Pharmaunternehmen, Generikaproduzenten, Lohnfertiger sowie
Firmen aus dem Biotechnologiebereich und stellt eine große Bandbreite von
verschreibungspflichtigen und nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln
und pharmazeutischen Produkten her. In der amtlichen Statistik wird jedoch
lediglich zwischen der Herstellung von pharmazeutischen Grundstoffen sowie
der Herstellung von pharmazeutischen Spezialitäten und sonstigen pharmazeutischen Erzeugnissen unterschieden.
Im Folgenden werden zunächst wichtige Strukturdaten zur Pharmazeutischen
Industrie und die Entwicklung der Branche in den letzten Jahren dargestellt,
bevor im 2. Kapitel globale Herausforderungen und Branchentrends analysiert
werden.
155
12
Die Pharmazeutische Industrie
1.1 Grunddaten zur Struktur der Branche
2012 waren in fachlichen Betriebsteilen (ab 50 Beschäftigte) der Pharmazeutischen Industrie in Deutschland fast 105.000 Personen beschäftigt; das sind
2,1 % aller im Verarbeitenden Gewerbe tätigen Personen. (Vgl. dazu die methodischen Erläuterungen im Anhang.) Der Branchenumsatz lag bei 31,3 Mrd. Euro
(Tabelle 1), was 2,3 % des Gesamtumsatzes im Verarbeitenden Gewerbe entspricht. Die deutsche Pharmaindustrie ist sehr stark auf den Weltmarkt ausgerichtet: Gut zwei Drittel des Umsatzes werden im Ausland erzielt.
Tabelle 1: Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen in Deutschland:
Grunddaten für die Pharmaindustrie 2012
WZ 2008
Pharmazeutische Industrie insgesamt
Beschäftigte
Umsatz
in Mio. €
Exportanteil
in %
104.667
31.279
67,7
Herstellung von pharmazeutischen Grundstoffen
13.983
3.207
73,7
Herstellung von pharmazeutischen Spezialitäten
und sonstigen pharmazeutischen Erzeugnissen
90.685
28.071
67,0
darunter
Fachliche Betriebsteile ab 50 Beschäftigte.
Quelle: Statistisches Bundesamt. – Berechnungen des NIW.
Die amtliche Statistik unterscheidet zwischen der Herstellung von pharmazeutischen Grundstoffen sowie der Herstellung von pharmazeutischen Spezialitäten
und sonstigen pharmazeutischen Erzeugnissen (i. W. Arzneimittel) (Tabelle 1).
Betriebe, die hauptsächlich pharmazeutische Grundstoffe als Vorleistungen für
die Arzneimittelproduktion herstellen, spielen innerhalb der Gesamtbranche mit
gut 13 % der Beschäftigten und 10 % des Umsatzes nur eine recht geringe Rolle.
Der weit überwiegende Teil der Beschäftigten (87 %) und des Umsatzes (90 %)
konzentriert sich in Betrieben, in denen vorwiegend Arzneimittel und andere
pharmazeutische Spezialitäten hergestellt werden. Bei pharmazeutischen Grundstoffen spielt das Auslandsgeschäft eine noch wichtigere Rolle als bei Arzneimitteln. Im erstgenannten Teilsegment werden fast drei Viertel des Gesamtumsatzes
156
13
Die Pharmazeutische Industrie
auf Auslandsmärkten erzielt, bei pharmazeutischen Spezialitäten sind es – wie
auch bezogen auf die Gesamtbranche – rund zwei Drittel (Tabelle 1).
Im Vergleich zum Verarbeitenden Gewerbe insgesamt gibt es in der Pharmazeutischen Industrie weniger kleine Unternehmen: 44,4 % der Betriebe haben
weniger als 100 Mitarbeiter (Abbildung 1), im Verarbeitenden Gewerbe sind es
72 % (Abbildung A 1).
Abbildung 1 Verteilung von Betrieben, Beschäftigten und Umsatz der Pharmaze
Abbildung 1: Verteilung von Betrieben, Beschäftigten und Umsatz der
Pharmazeutischen Industrie nach Beschäftigtengrößenklassen 2012
64,5
Anteil an allen Betrieben / Beschäftigten /
Umsätzen in der Branche (in %)
65
Betriebe
Beschäftigte
Umsatz
60
55
48,2
50
45
40
35
30
27,7
26,4
25
20
16,7
13,7
15
9,5
10
5
0
14,9
2,5
3,6
1,5
< 50
16,1
9,5
16,0
13,3
8,2
6,1
1,7
50 < 100
100 < 250
250 < 500 500 < 1.000
> 1.000
Anzahl der Beschäftigten
Betriebe ab 20 Beschäftigte
Quelle: Statistisches Bundesamt. – Berechnungen des NIW.
Über 50 % aller Beschäftigten in der Pharmazeutischen Industrie arbeiten in
Großunternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten. Im Verarbeitenden Gewerbe sind es hingegen nur 40 %. Allein auf Betriebe mit mehr als 1.000 Beschäftigten entfallen gut 48 % aller in der pharmazeutischen Branche Beschäftigten und
157
14
Die Pharmazeutische Industrie
64,5 % des Gesamtumsatzes. Im Industriedurchschnitt sind die entsprechenden
Referenzwerte mit 27,5 % (Beschäftigte) und 40,4 % (Umsatz) deutlich niedriger.
Die durchschnittliche Zahl der Beschäftigten pro Betrieb fällt in der Pharmaindustrie mit 334 fast zweieinhalbmal höher aus als im Industriedurchschnitt
(136). Dies ist vor allem auf Hersteller von Spezialitäten und sonstigen pharmazeutischen Erzeugnissen zurückzuführen (383). Die besonders forschungsintensive Herstellung von Grundstoffen findet häufiger auch in kleineren Einheiten
statt (die durchschnittliche Betriebsgröße liegt unter 100 Beschäftigten).
1.2 Produktion
Der physische Output (hier gemessen am indizierten Produktionswert) der
Pharmazeutischen Industrie war 2012 um mehr als 50 % höher als 2000. Damit
kann die Branche eine deutliche höhere Expansionsdynamik vorweisen als das
Verarbeitende Gewerbe insgesamt (+20 %, Abbildung 2). Die Entwicklung bis
2009 spiegelt die geringe Abhängigkeit der Pharmabranche von der allgemeinen konjunkturellen Entwicklung wider. So legte die Pharmaproduktion in der
allgemeinen Stagnationsphase zu Anfang des Jahrzehnts entgegen dem Industrietrend spürbar zu. In den Jahren des Aufschwungs vor der Krise fiel der
Zuwachs mit jährlichen Wachstumsraten von fast 8 % nochmals deutlich überdurchschnittlich aus. Zudem stellt sich der bei den meisten Industriezweigen zu
verzeichnende krisenbedingte »Einbruch« im Jahr 2009 für die deutsche Pharmaindustrie mit -2,1 % lediglich als »Delle« im fortschreitenden Wachstumsprozess dar. Das Expansionstempo verläuft in den letzten Jahren allerdings deutlich
gebremster als in den Jahren vor der Krise. Zudem hat sich die Produktion 2012
ähnlich wie im Industriedurchschnitt leicht rückläufig entwickelt. Dies mag
auch mit den Einsparbemühungen im Gesundheitswesen zusammenhängen.
die seit der Finanz- und Wirtschaftskrise verstärkt vorangetrieben werden.
Bei differenzierter Betrachtung zwischen der Herstellung von pharmazeutischen Grundstoffen sowie pharmazeutischen Spezialitäten wird deutlich, dass
das Produktionswachstum ausschließlich auf die Herstellung von Spezial-
158
15
Die Pharmazeutische Industrie
erzeugnissen zurückzuführen ist. Bei Pharmagrundstoffen ist die reale Produktion in Deutschland, von geringen Schwankungen abgesehen, seit 10 Jahren
nahezu unverändert geblieben.
Abbildung
Erzeugnissen
und
Verarbeiteten Industriewaren 2000
Abbildung 22:Produktion
Produktionvon
vonpharmazeutischen
pharmazeutischen
Erzeugnissen
und
Verarbeiteten Industriewaren 2000 bis 2012
180
Pharmazeutische Erzeugnisse
Verarbeitete Industriewaren
2000 = 100
160
140
120
100
80
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Produktionsindex, fachliche Unternehmensteile.
Quelle: Statistisches Bundesamt, Genesis-Online. – Berechnungen des NIW.
1.3 Umsätze und Beschäftigung
Im Jahr 2012 erzielte die deutsche Pharmazeutische Industrie einen Gesamtumsatz von 31,3 Mio. Euro (Tabelle 2) und konnte damit entgegen dem annähernd
stagnierenden Industriedurchschnitt nochmals weiter zulegen. Zudem blieb die
Pharmaindustrie vom allgemeinen Umsatzeinbruch (-18 % im Jahr 2009) während der Krise verschont (Abbildung 3).
159
16
Die Pharmazeutische Industrie
Tabelle 2: Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen in Deutschland:
Entwicklung von Umsatz (Mio. Euro) und tätigen Personen 2000 bis 2012
2000*
2008
2009
2010
2011
2012
20.984
29.039
29.345
29.517
30.245
31.279
Inlandsumsatz
10.799
11.583
11.342
11.191
10.906
10.118
Auslandsumsatz
10.186
17.456
18.003
18.325
19.339
21.161
Umsatz
insgesamt
darunter
Exportanteil
Tätige Personen
48,5
113.950
60,1
105.843
61,3
102.096
62,1
101.296
63,9
101.967
67,7
104.667
*2000: WZ 2003, Fachliche Betriebsteile ab 20 Beschäftigte, 2008 ff.: Fachliche Betriebsteile ab
50 Beschäftigte.
Quelle: Statistisches Bundesamt. – Berechnungen des NIW.
160
17
Die Pharmazeutische Industrie
Abbildung 3: Entwicklung des Umsatzes in der Pharmazeutischen Industrie
und im Verarbeitenden Gewerbe in Deutschland bis 2012
Abbildung 3 Entwicklung des Umsatzes in der Pharmazeutischen Industrie und im Verarbeitenden Gewerbe in Deutschland
Umsatzentwicklung (Index 2008 = 100)
120
130
Gesamtumsatz Pharma
Gesamtumsatz verarb. Gewerbe
110
100
90
80
70
2001
130
90
80
70
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
50
2000
Inlandsumsatz verarb. Gewerbe
Umsatzentwicklung (Index 2008 = 100)
Auslandsumsatz Pharma
Auslandumsatz verarb. Gewerbe
110
100
90
80
70
60
2011
2012
50
2000
2001
2002
2003
2004
2005
Fachliche Betriebsteile, 2000–2008: WZ 2003; 2008–2012: WZ 2008.
Quelle: Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes, Fachliche Betriebsteile, für die Jahre
2000–2007 ab 20 Beschäftigte, für 2008–2012 ab 50 Beschäftigte.
161
18
Auslan
100
Inlandsumsatz Pharma
120
2010
Auslan
110
ndustrie und im Verarbeitenden Gewerbe in Deutschland 2000 bis
2009
Inlands
60
60
50
2000
Inlands
120
Umsatzentwicklung (Index 2008 = 100)
130
2001
2002
Die Pharmazeutische Industrie
Allerdings sind die Umsätze in der Pharmaindustrie (Abbildung 3) über den
gesamten Betrachtungszeitraum hinweg langsamer gewachsen als das physische Produktionsvolumen (Abbildung 2). Dies zeigt in der Tendenz fallende Preise an. Hierbei machen sich diverse gesetzliche Regelungen zur Kostendämpfung
bei den Arzneimittelausgaben sowie zur Stärkung des Wettbewerbs im Gesundheitswesen bemerkbar. Insbesondere bei Generika hat sich das Preisniveau seit
2006 infolge der Ausweitung von Rabattverträgen und zunehmender Wettbewerbsintensität deutlich verringert (BPI 2012).
Vor allem in den letzen Jahren ist der Zuwachs ausschließlich auf Steigerungsraten im Auslandsgeschäft zurückzuführen. Der Inlandsumsatz entwickelt sich
bereits seit 2008 tendenziell rückläufig und liegt 2012 fast 1,5 Mrd. (gut 12 %)
niedriger als 2008. Dies reflektiert die Auswirkungen der in dieser Zeit nochmals
verschärften gesundheitspolitischen Regelungen (höhere Zwangsabschläge,
AMNOG) in Deutschland. Hingegen ist der Auslandsumsatz im selben Zeitraum
um rund 20 % gestiegen. Demzufolge ist der Exportanteil am Gesamtumsatz
von 60 % (2008) auf fast 68 % (2012) gewachsen (Abbildung 3). Im Gegensatz
dazu sind im Verarbeitenden Gewerbe insgesamt Inlands- und Auslandsumsatz
2010/2011 wieder deutlich in Schwung gekommen.
Bezogen auf das kleine Teilsegment der Herstellung von pharmazeutischen
Grundstoffen lässt sich der für die Gesamtbranche feststellbare Rückgang bei
den Inlandsumsätzen seit 2008 nicht beobachten. Sie liefern wesentliche Vorprodukte für die Herstellung von Wirkstoffen und Arzneimitteln, unabhängig
davon, ob diese auf dem Inlandsmarkt oder im Ausland abgesetzt werden.
2000 lag der Exportanteil am Gesamtumsatz der Pharmaindustrie noch bei unter
50 %. Insofern wurde auch in der Vorperiode das Wachstum der Branche ebenso
wie der Industrie insgesamt überwiegend vom Auslandsgeschäft getragen. Von
2004 bis 2008 konnten nach mehreren Jahren der Stagnation jedoch auch beim
Inlandsabsatz noch überdurchschnittlich hohe Zuwächse erzielt werden. Bezogen auf die Pharmaindustrie lag der Inlandsumsatz im Jahr 2008 rund 25 % höher
als im Jahr 2000, im Industriedurchschnitt ergab sich ein Zuwachs von 16 %.
162
19
Die Pharmazeutische Industrie
Die Zahl der tätigen Personen in der Pharmazeutischen Industrie blieb, über den
Gesamtzeitraum betrachtet, relativ konstant (Abbildung 4). Im Jahr 2012 waren
fast 105.000 Beschäftigte in fachlichen Betriebsteilen tätig, 2008 waren es rund
1.000 mehr, 2009/2011 rund 3.000 weniger gewesen. Der absolut etwas
niedrigere Beschäftigungsstand ab 2008 (106.000 Personen im Vergleich zu
114.000 Personen im Jahr 2000) ist durch Neuzuordnungen infolge der Umstellung in der Wirtschaftszweigklassifikation bedingt (Tabelle 2) und der »Ausschlag« nach oben im Jahr 2003 zeichnet keine reale Entwicklung nach, sondern
liegt in einem zwischenzeitlichen Schwerpunktwechsel einer großen Berichtseinheit (von Chemie zu Pharma) begründet. Der für die Industrie insgesamt von
2001 bis 2006 zu verzeichnende deutliche Arbeitsplatzabbau von 7,4 % (2006
waren industrieweit 425.000 Personen weniger beschäftigt als 2001) und der
spürbare Beschäftigungsaufschwung 2007/2008 (+227.000 Personen, +4 %)
lässt sich in der Pharmaindustrie nicht beobachten. Auch hieran wird die geringere Abhängigkeit der Branche vom konjunkturellen Umfeld sichtbar. Dabei ist
die Arbeitsproduktivität in der Pharmaindustrie in den Jahren bis 2008 mehr als
doppelt so stark gestiegen (57 %) als im Verarbeitenden Gewerbe insgesamt
(25 %).
Seit 2008 hat die Beschäftigungsentwicklung in der Pharmaindustrie den
gleichen Verlauf genommen wie im Industriedurchschnitt. Der geringfügige
Arbeitsplatzabbau aus den Jahren 2009 und 2010 konnte in den Folgejahren
wieder annähernd ausgeglichen werden (Tabelle 2).
163
20
Die Pharmazeutische Industrie
Abbildung4:4:Entwicklung
Entwicklung der Beschäftigung
Abbildung
Beschäftigungininder
derPharmazeutischen
Pharmazeutischen Industrie
Industrie und im Verarbeitenden Gewerbe in Deutschland 2000 bis 2012
Entwicklung der tätigen Personen (2008 = 100)
112
110
Pharma
Verarbeitendes Gewerbe
108
106
104
102
100
98
96
94
92
90
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012
Fachliche Betriebsteile, 2000–2008: WZ 2003; 2008–2012: WZ 2008.
Quelle: Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes, fachliche Betriebsteile, für die Jahre
2000–2007 ab 20 Beschäftigte, für 2008–2012 ab 50 Beschäftigte.
1.4 Beschäftigungsstrukturen
Zur Untersuchung qualitativer Aspekte der Beschäftigung in der Pharmazeutischen Industrie wird die Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit
herangezogen. Dort sind die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in allen
Betrieben erfasst. Insofern fällt die Zahl stets etwas höher aus als in der Industriestatistik für Betriebe ab 20 Beschäftigte. Im Hinblick auf das Thema »Fachkräfteverfügbarkeit« erlaubt die Beschäftigungsstatistik u. a. den Blick auf die
Qualifikations- und Altersstruktur der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und liefert zudem Informationen über die Zahl der Auszubildenden und
geringfügig Beschäftigten. Nicht nur vom Beschäftigungsniveau her ergeben
164
21
Die Pharmazeutische Industrie
sich in beiden Statistiken Unterschiede infolge unterschiedlicher Methoden und
Berichtskreise. Darüber hinaus zeigen sich teilweise Unterschiede in den sektoralen Entwicklungen, weil die Wirtschaftszweigzuordnung in der Beschäftigungsstatistik anders als in der Industriestatistik keiner regelmäßigen Prüfung
unterliegt. Für die hier betrachteten strukturellen Faktoren sind solche Niveauunterschiede jedoch nicht von Belang.
Tabelle 3 zeigt, dass die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Pharmazeutischen Industrie deutlich höher qualifiziert sind als im Verarbeitenden
Gewerbe. Insbesondere der Bedarf an Spitzenqualifikationen ist bedingt durch
den großen Forschungs- und Innovationsaufwand in der Branche besonders
hoch. Demzufolge ist der Anteil der Beschäftigten mit Hochschulabschluss mit
23 % mehr als doppelt so hoch wie im Industriedurchschnitt (10,5 %). Spiegelbildlich dazu bleibt der Anteil von Beschäftigten mit (nicht akademischer)
Berufsausbildung (60 %) ebenso wie auch der Anteil von Beschäftigten ohne
Berufsausbildung (12 %) in der Pharmazeutischen Industrie hinter dem jeweiligen Wert für das Verarbeitende Gewerbe insgesamt zurück (62,5 % bzw. 16,7 %).
Sowohl in der Pharmaindustrie als auch bezogen auf das Verarbeitende Gewerbe insgesamt ist der Anteil der höher Qualifizierten im Zeitablauf deutlich
gestiegen. In der Pharmaindustrie liegt der Anteil der Beschäftigten mit Hochschulabschluss 2011 gut fast 5 Prozentpunkte höher als im Jahr 2000, im Industriedurchschnitt ergibt sich relativ gesehen ein ähnlicher Zuwachs von knapp
2,5 Prozentpunkten. In beiden Fällen ging dieser Höherqualifizierungstrend
sowohl zulasten von Personen mit mittlerer Ausbildung als auch zulasten
Geringqualifizierter.
165
22
Die Pharmazeutische Industrie
Tabelle 3: Qualifikationsstruktur der sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten in der Pharmazeutischen Industrie und im Verarbeitenden
Gewerbe 2000, 2007 und 2011
Pharmazeutische Industrie
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte
insgesamt (in Tsd.)
WZ 2003
WZ 2008
2000
2007
2007
2011
110.123
130.410
108.921
123.188
darunter (in %)
ohne Angabe
n.a.
4,0
3,7
4,8
ohne Berufsausbildung
n.a.
13,9
13,6
12,1
mit Berufsausbildung
61,7
61,3
61,5
60,1
mit Hochschulabschluss
18,0
20,8
21,2
22,9
1,8
2,4
–
2,7
Ingenieure und Naturwissenschaftler
Verarbeitendes Gewerbe
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte
insgesamt (in Tsd.)
7.272
6.693
6.397
6.396
darunter (in %)
ohne Angabe
n.a.
9,0
8,6
10,3
ohne Berufsausbildung
n.a.
18,4
18,7
16,7
64,4
62,8
63,2
62,5
mit Hochschulabschluss
mit Berufsausbildung
8,1
9,8
9,5
10,5
Ingenieure und Naturwissenschaftler
4,1
4,9
–
5,3
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Beschäftigungsstatistik. – Berechnungen des NIW.
Abbildung 5 vergleicht die Altersstruktur der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Pharmazeutischen Industrie und im Verarbeitenden Gewerbe
2007 und 2012. Im Jahr 2012 waren die Beschäftigten in der Pharmabranche insgesamt etwas jünger als im Industriedurchschnitt. Zwar fällt der Anteil der ganz
jungen Beschäftigtenkohorte der 15- bis 24-Jährigen in der Pharmaindustrie vergleichsweise niedriger aus (7,5 % gegenüber 10,1 %); dieser Befund lässt sich
jedoch im Wesentlichen auf die Besonderheiten der Qualifikationsstruktur
zurückführen: in der Pharmaindustrie ist der Anteil der Hochschulabsolventen
unter den Beschäftigten besonders groß. Diese treten deutlich später in den
Arbeitsmarkt ein als Auszubildende, die im Unternehmen selbst eine Berufsausbildung durchlaufen oder nach ihrer Ausbildung das Unternehmen wechseln.
166
23
Die Pharmazeutische Industrie
Abbildung 5: Altersstruktur der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der
Abbildung
5 Altersstruktur
derim
sozialversicherungspflichtig
2007 und 2012
Pharmazeutischen
Industrie und
Verarbeitenden Gewerbe 2007Beschäftigten
und 2012
100
90
80
11,7
26,0
70
13,6
30,6
12,8
16,1
27,2
30,9
60
50
45–54 Jahre
33,7
40
26,9
31,3
23,9
20,3
21,3
18,2
19,0
8,3
7,5
10,5
10,1
Pharma
2007
Pharma
2012
Verarb.
Gewerbe
2007
Verarb.
Gewerbe
2012
10
0
35–44 Jahre
25–34 Jahre
30
20
55 und älter
15–24 Jahre
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Beschäftigungsstatistik. – Berechnungen des NIW.
Die etwas günstigere Altersstruktur der Pharmaindustrie ist vor allem darin
begründet, dass der Anteil der über 55-Jährigen mit 13,6 % aktuell (noch) deutlich niedriger ist als im Verarbeitenden Gewerbe insgesamt (16,1 %). Allerdings
lässt sich auch für die Pharmaindustrie innerhalb des kurzen Vergleichszeitraums von 5 Jahren bereits eine deutlich Verschiebung der Altersstruktur erkennen. Auf der einen Seite ist der Anteil der unter 44-Jährigen von 62,3 % auf
55,7 % deutlich gesunken, auf der anderen Seite stieg der Anteil der über 45-Jährigen von 37,7 % auf 44,2 %. Demzufolge standen 2007 einem Beschäftigten aus
der Altersgruppe 55+ noch 1,8 Beschäftigte unter 34 gegenüber, 2012 hingegen
nur mehr 1,5. Im Verarbeitenden Gewerbe insgesamt liegen die entsprechenden Referenzwerte bei 2,25 (2007) und 1,6 (2012).
167
24
Die Pharmazeutische Industrie
48,3 % der im Jahr 2012 in der Pharmazeutischen Industrie in Deutschland
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten waren Frauen; somit ist der Anteil
weiblicher Beschäftigter in dieser Branche wesentlich höher als im Verarbeitenden Gewerbe insgesamt (25,3 %) (Tabelle 4). Dies mag auch ein Grund sein, warum der Anteil der Teilzeitbeschäftigten in der Pharmazeutischen Industrie fast
doppelt so hoch ist wie im Verarbeitenden Gewerbe (11,6 % gegenüber 6,3 %).
Tabelle 4: Strukturkennzahlen der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten
in der Pharmazeutischen Industrie und im Verarbeitenden Gewerbe 2012
Pharma
Verarbeitendes
Gewerbe
134,0
6.509,5
Männer
51,7
74,7
Frauen
48,3
25,3
Vollzeitbeschäftigte*
88,4
93,7
Teilzeitbeschäftigte*
11,6
6,3
1,6
8,7
Beschäftigte insgesamt (in Tsd.)
darunter (in%):
Geringfügig Beschäftigte**
Auszubildende insg.
Auszubildende je Beschäftigten
über 54 Jahren
4.047
283.055
0,2
0,3
* Daten beziehen sich auf den 30.06.2011. ** in % der Summe aus sozialversicherungspflichtig und
geringfügig Beschäftigten.
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Beschäftigungsstatistik. – Berechnungen des NIW.
Ein großer Unterschied zwischen der Pharmaindustrie und dem Verarbeitenden
Gewerbe besteht auch bei den geringfügig Beschäftigten: während im Verarbeitenden Gewerbe 9,5 % in dieser Form beschäftigt sind, sind es in der Pharmazeutischen Industrie nur 1,7 %. Auch dies ist – ebenso wie der geringe Anteil
von Beschäftigten ohne Berufsausbildung (12 %) – ein klares Indiz dafür, dass
Tätigkeiten für Un- und Angelernte in der deutschen Pharmaindustrie nur ein
geringes Gewicht haben.
168
25
Die Pharmazeutische Industrie
In der Pharmaindustrie waren am 30.06.2012 rund 4.050 Auszubildende
beschäftigt, rund 9 % mehr als noch 2007. Im Verarbeitenden Gewerbe sank die
Zahl jedoch im selben Zeitraum um rund 4 %. Damit kommen auf 10 Beschäftigte über 54 Jahre 2 Auszubildende. Im Verarbeitenden Gewerbe sind es 3. Bei der
Bewertung dieser Relationen ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich in der
Pharmaindustrie der Nachwuchs zu einem relativ größeren Anteil aus extern
ausgebildeten Hochschulabsolventen rekrutiert als aus der betrieblichen
Berufsausbildung.
1.5 FuE und Innovationen
Die deutsche Pharmaindustrie hat 2011 insgesamt fast 5,3 Mrd. Euro für Forschung und Entwicklung (FuE) ausgegeben, davon ca. 4,1 Mrd. Euro für interne
Zwecke. Damit liegt die Pharmazeutische Industrie mit etwa 9,7 % der getätigten
FuE-Ausgaben und fast 7 % des gesamten deutschen FuE-Personals der Industrie
auf Rang 4 in Deutschland hinter Fahrzeugbau, Elektroindustrie und Maschinenbau. Bezogen auf die Umsätze aus eigenen Erzeugnissen erreicht die FuE-Ausgabenintensität mit 18 % im Branchenvergleich jedoch einen herausragenden Spitzenwert und ist im Gegensatz zu den anderen großen Kernbranchen in
Deutschland gegenüber 2009 nochmals gestiegen (Abbildung 6). 20.386 Personen waren in der Pharmaindustrie 2011 ausschließlich mit FuE befasst, rund
1.000 mehr als im Vorjahr und fast 1.900 mehr als im Jahr 2008. Bei stagnierender Gesamtbeschäftigung unterstreicht diese Entwicklung die hohe und weiter
steigende Bedeutung von Forschung und Entwicklung für die Branche.
Innovationen in der Pharmaindustrie richten sich nicht nur auf neue Wirkstoffe,
sondern auch auf neue Darreichungsformen und neue spezifisch wirksame Arzneimittelkombinationen, Erweiterungen der Anwendungsgebiete vorhandener
Wirkstoffe, spezifische Verbesserungen bekannter Wirkstoffe und neue Applikationsformen, andere neue Behandlungsmöglichkeiten sowie verbesserte oder
neue Herstellungsverfahren von Wirkstoffen wie z. B. die Biotechnologie (BPI
2012).
169
26
Die Pharmazeutische Industrie
Abbildung 6 FuE-Gesamtaufwendungen in % des Umsatzes aus eigenen Erzeugnissen
Abbildung 6: FuE-Ausgabeintensität in ausgewählten Industriebranchen in
Deutschland 1999, 2007, 2009, 2011
Pharmaindustrie
Fahrzeugbau
Elektroindustrie
Verarbeitende
Industrie
2011
Kautschukindustrie
2009
Chemieindustrie
2007
1999
Maschinenbau
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
FuE-Gesamtaufwendungen in % des Umsatzes
aus eigenen Erzeugnissen ohne Vorsteuer
1999 und 2007 nach WZ 2003; 2009 und 2011 nach WZ 2008.
Quelle: Wissenschaftsstatistik Stifterverband, Statistisches Bundesamt – Berechnungen des NIW.
1999 und 2007 nach WZ 2003, 2009 und 2011 nach WZ 2008.
Der Marktanteil von
neuen Wirkstoffen,
Quelle: SV-Wissenschaftsstatistik.
- Berechnungen
des NIW.
die in den letzten 5 Jahren eingeführt
wurden, lag in Deutschland 2011 bei 5,4 % und hat damit gegenüber dem Tiefstand 2009 (4,6 %) wie bereits im Vorjahr weiter zugenommen. Der Anteil ist
aber noch immer deutlich niedriger als in früheren Jahren (2004: 7,7 %)
(vfa 2011a, 2013 c).
170
27
Die Pharmazeutische Industrie
1.6 Die deutsche Pharmabranche im internationalen Vergleich
Marktvolumen (Umsatz)
Mangels vergleichbarer aktueller Produktionsdaten werden (Abbildung 7) die
globalen Umsätze mit Arzneimitteln als Indikator für das Marktvolumen verwendet. Insgesamt lag der Umsatz mit Arzneimitteln 2011 weltweit bei etwa
953 Mrd. US-Dollar (684 Mrd. Euro). Von 2004 bis 2011 ist der Weltumsatz im
Jahresdurchschnitt um ca. 8,5 % gestiegen und fällt damit 2011 fast doppelt so
hoch aus wie 2004 (545 Mrd. US-Dollar).
Abbildung 7: Anteil am Weltumsatz mit Arzneimitteln nach
Regionen 2011 und 2004
Anteil am Umsatz weltweit (in %)
50
45
2011
40
2004
35
30
25
20
15
10
5
0
Nordamerika
Europa
übrige
Länder
Japan
Lateinamerika
Quelle: Darstellung nach BPI 2012 und 2005 basierend auf Daten von IMS World Review 2012 und 2005.
Abbildung 7 Anteil am Weltumsatz mit Arzneimitteln nach Regionen 2011 und 2004
Mehr als drei Viertel des Gesamtumsatzes wurde 2011 von Nordamerika (USA
und Kanada mit 36 %), Europa (28 %) und Japan (12 %) abgedeckt. In allen Weltregionen sind von 2004 bis 2011 deutliche Umsatzsteigerungen zu verzeichnen; dennoch ergeben sich z. T. bemerkenswerte Verschiebungen zwischen den
171
28
Die Pharmazeutische Industrie
jeweiligen Anteilswerten. So konnte Europa seinen Anteil gegenüber 2004
annähernd halten, während Nordamerika in dieser Periode deutlich verloren hat
(2004: 45 %). Demgegenüber haben Japan, Lateinamerika und die übrige Weltregionen, darunter vor allem das übrige Asien (ohne Japan) hinzugewonnen. Für
die kommenden Jahre werden insbesondere für die BRICS-Staaten (Brasilien,
Russland, Indien, China und Südafrika) weiter wachsende Umsätze erwartet,
wohingegen die Prognosen für die großen hoch entwickelten Teilmärkte aufgrund der Sparzwänge der öffentlichen Hand eher verhalten ausfallen. So geht
bspw. IMS Health davon aus, dass die Umsätze in den EU-Mitgliedstaaten
(gemessen an den Abgabepreisen pharmazeutischer Unternehmen) von 2010
bis 2015 im Schnitt eher schrumpfen werden, während für den globalen Markt
ein Zuwachs von 4,5 % p. a. prognostiziert wird.
Die wachsende Bedeutung dieser Länder zeigt sich auch daran, dass China
innerhalb der Gruppe 10 der umsatzstärksten Länder mittlerweile (2011) auf
Rang 3 liegt und außerdem Brasilien überdurchschnittlich zulegen konnte. Auch
Japan hat seinen Anteil am Weltumsatz mit Arzneimitteln von 2008 bis 2011
gesteigert, während die großen Märkte in Nordamerika und Europa ausnahmslos relativ verloren haben. Ungeachtet dessen sind die USA weiterhin mit deutlichem Abstand weltweit der größte Markt mit 33 %, gefolgt von Japan (12 %),
China (7 %) und Deutschland (knapp 5 %) (Abbildung 8).
Bei den hier ausgewiesenen Umsatzzahlen fehlen Angaben für die Schweiz, in
der die Pharmaindustrie mit den dort ansässigen großen forschungsreichen
Konzernen im Vergleich zu allen anderen großen westeuropäischen Ländern
und den USA nicht nur weit überdurchschnittlich zur gesamtwirtschaftlichen
Wertschöpfung und Beschäftigung beiträgt, sondern diese Position im Zeitablauf noch weiter ausgebaut hat (Interpharma 2012, EFPIA 2012/2013).
172
29
Die Pharmazeutische Industrie
Abbildung 8: Anteile am Weltumsatz mit Arzneimitteln nach Ländern 2011
und 2008
Abbildung 8 Anteile am Weltumsatz mit Arzneimitteln nach Ländern 2011 und 2008
USA
Japan
China
Deutschland
Frankreich
Brasilien
Italien
2011
Spanien
2008
Kanada
Großbritannien
0
5
10
15
20
25
30
35
40
Anteil am Umsatz weltweit (in %)
Quelle: Darstellung nach BPI 2012 und 2009 basierend auf Daten von IMS World Review 2012 und 2009.
Außenhandel mit pharmazeutischen Produkten: Die deutsche Perspektive
Die größten Marktvolumina für vergleichsweise teure Spezialpharmazeutika liegen noch immer in Nordamerika, vor allem in den USA, aber auch in Europa,
während »alte« Produkte zunehmend wachsende Märkte in aufholenden
Schwellenländern erschließen. Auch Deutschland ist stark in den internationalen Handel mit Pharmaprodukten eingebunden und hat seine Handelsbilanz im
Verlauf der letzten Jahre deutlich verbessern können (Abbildung 9). Während
Import- und Exportvolumen 2002 noch annähernd ausgeglichen waren (ca.
17 Mrd. Euro), sind die Ausfuhren bis 2011 mit 17,5 % p. a. deutlich stärker
gewachsen als die Einfuhren (13 % p. a.), sodass sich 2011 ein positiver Außenhandelssaldo von 14,5 Mrd. ergibt.
173
30
Die Pharmazeutische Industrie
Der überwiegende Teil der deutschen Pharmaexporte geht in andere EU-27-Staaten (2011: 61,7 %). Im Jahr 2002 betrug dieser Anteil noch 52,3 % (Tabelle A 2).
Dies ist vor allem auf deutliche Exportsteigerungen nach Belgien und in die Niederlande zurückzuführen, die im Wesentlichen mit konzerninternen Sondereffekten zu begründen sind. Während 2002 noch 8,4 % der Exportanteile nach
Belgien und 3,7 % in die Niederlande geliefert wurden, waren es im Jahr 2011
15,7 % bzw. 13,6 %. Zwar sind die Exporte auch in alle anderen wichtigen Zielländer und -regionen deutlich gestiegen, anteilmäßig jedoch zurückgefallen. Dies
gilt bspw. für die USA (2011: 10,2 %, 2002: 15,4 %) und die Schweiz (2011: 6,6 %,
2002: 11,5 %), aber auch für die Gruppe übriger asiatischer Länder (6,9 % der
Ausfuhren im Jahr 2011).
Abbildung 9: Ausfuhr, Einfuhr und Außenhandelssaldo* pharmazeutischer
Abbildung
Ausfuhr, Einfuhr
Außenhandelssaldo* pharmazeutischer Produkte in Deutsch
Produkte in9 Deutschland
2002und
bis 2011
60
Ausfuhr
Einfuhr
Saldo
16
12
10
40
8
30
6
20
4
2
10
Außenhandelssaldo in Mrd. €
Ausfuhr bzw. Einfuhr in Mrd. €
14
50
0
0
-2
2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011
* Ausfuhr abzüglich Einfuhr
Comtrade
Database; Berechnungen des NIW.
*)Quelle:
Ausfuhr
minus Einfuhr.
174
31
Die Pharmazeutische Industrie
Hingegen konnte der Exportanteil in den Nahen und Mittleren Osten von geringem Niveau aus leicht ausgebaut werden (2002: 0,9 %; 2011: 1 %). Zudem sind
die deutschen Ausfuhren in viele jüngere EU-Mitgliedstaaten, aber auch nach
China und Russland überproportional gestiegen. Dort ist die Nachfrage nach
hochwertigen Spezialmedikamenten im Zuge des Wachstums- und Aufholprozesses im Verlauf des letzten Jahrzehnts deutlich gewachsen und wird auch in
Zukunft weiter voranschreiten.
Auf der Importseite haben sich deutliche Gewichtsverschiebungen zulasten
anderer traditioneller EU-Länder ergeben. Zwar kam mit 62 % auch 2011 noch
der weit überwiegende Teil der Einfuhren aus anderen EU-Ländern, darunter
rund 10 % aus den jüngeren EU-Mitgliedstaaten aus Mittel- und Osteuropa;
2002 waren es allerdings noch mehr als 77 % mit nahezu vollständiger Konzentration auf die EU-15 (Tabelle A 2). Die größten europäischen Importeure sind
trotz deutlicher Verluste Irland (2011: 13,2 %, 2002: 35 %), die Niederlande
(11,7 %), Frankreich (6,4 %) und Großbritannien (5,3 %). Den Anteilsverlusten der
EU-27 aufseiten der deutschen Pharmaimporte stehen deutliche Zuwächse bei
Nordamerika (2002: 10,5 %, 2011: 19,1 %) und dem übrigen Asien (2002: 1,3 %,
2011: 2,8 %) gegenüber. Der weit überwiegende Teil der Einfuhren aus Nordamerika (USA, Kanada, Grönland) entfällt auf die USA (2011: 18,4 %), die ihren
Importanteil nach Deutschland im Zeitverlauf deutlich ausbauen konnten
(2002: 10,2 %). Auch die Einfuhren aus der Schweiz (2011: 14,1 %) und den Niederlanden (2011: 13,7 %) sind überproportional gewachsen. Von geringem
Niveau aus haben zudem die Einfuhren aus den neuen EU-Mitgliedsländern,
aber auch aus Indien und China deutlich zugelegt. Ihre jeweiligen Importanteile
machten 2011 jedoch noch immer höchstens 1 % aller deutschen Einfuhren
aus. Hierbei dürfte es sich vielfach um importierte Wirkstoffe handeln. Nach
Angaben des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (vfa) werden mittlerweile bis zu 80 % der Wirkstoffe für die Arzneimittelherstellung in Europa und
den USA aus Drittländern wie China, Taiwan, Indien und Korea bezogen (Grossmann 2008). In den 1990er-Jahren war das Verhältnis noch umgekehrt. Viele
Pharmaunternehmen haben die Herstellung von zumeist nicht mehr patentge-
175
32
Die Pharmazeutische Industrie
schützten Wirkstoffen aus Kostengründen nach China und Indien verlegt (n-tv
Wissen 29.09.2009).
Welthandelsstrukturen und -entwicklungen
Die oben beschriebenen Weltumsatzstrukturen von Arzneimitteln spiegeln sich
auch in der Entwicklung des Außenhandels mit pharmazeutischen Produkten
wider. Insgesamt sind die weltweiten Pharmaexporte von 2002 bis 2011 (in
US-Dollar gerechnet) um 13,5 % pro Jahr gewachsen.
Abbildung
10:des
Anteil
des Pharmaexportes
nach Weltregionen
2002
und 2011
Abbildung
10 Anteil
Pharmaexportes
nach Weltregionen
2002 und
2011
80
2002
70
2011
60
in %
50
40
30
20
10
0
EU-27
übriges
Europa
Nordamerika
übriges
Amerika
Naher und
Mittlerer
Osten
übriges
Asien
übrige
Länder
Anteile in % der Weltexporte.
Die Zuordnung nach Weltregionen folgt der Deutschen Bundesbank (2013).
Quelle: Comtrade Database; Berechnungen des NIW.
Abbildung 10 bildet die Anteile des Pharmaexports nach Weltregionen ab. Der
mit Abstand größte Teil der Exporte kommt aus den EU-27 (2011: 67,8 %) und
anderen europäischen Staaten (12,2 %), wobei letztere im Zeitablauf zulasten
der EU-27 etwas hinzugewonnen haben. Der im Bezug auf die Umsätze deutlich
176
33
Die Pharmazeutische Industrie
höhere Exportanteil Europas ist darauf zurückzuführen, dass sich die globalen
Exporte als Summe der Exporte aller Einzelländer ergeben, sodass der Handel
zwischen den EU-Staaten in die Summe einfließt, während der Handel innerhalb der USA nicht berücksichtigt ist. Insgesamt ist der Anteil Europas an den
globalen Pharmaexporten von 2002 bis 2011 um gut 4 Prozentpunkte zurückgegangen.
Der Anteil Nordamerikas liegt unverändert bei rund 10,0 %. Anteilsgewinne
durch überproportional hohe Exportsteigerungen sind hingegen für Asien zu
beobachten. Ausgehend von einem geringen Exportanteil im Jahr 2002 (0,8 %
aus dem Nahen und Mittleren Osten und 2,8 % aus dem übrigen Asien) stieg der
Exportanteil von Produkten aus dem Nahen und Mittleren Osten auf 1,8 %, aus
dem übrigen Asien auf 6 %. Für beide Regionen hat sich der Anteil demnach
mehr als verdoppelt.
Abbildung 11: Die 10 größten Exporteure pharmazeutischer Produkte 2002
Abbildung
und
2011 11 Die 10 größten Exporteure pharmazeutischer Produkte 2002 und 2011
20
2002
16
2011
in %
12
8
4
0
Anteil in % der Weltexporte
Quelle: Comtrade Database; Berechnungen des NIW.
177
34
Die Pharmazeutische Industrie
Bei Betrachtung der einzelnen Länder mit den 10 höchsten Exportanteilen
(Abbildung 11) bestätigt sich das Bild. Die meisten der 10 größten Exporteure
sind EU-Mitgliedstaaten. Deutschland ist das Land mit dem höchsten Exportanteil (11,0 % im Jahr 2002 und 15,0 % im Jahr 2011) und konnte diesen im Zeitablauf weiter ausbauen. 2002 hatte Belgien mit 14,5 % noch die Spitzenposition
inne. Auffällig ist, dass außer Deutschland, der Schweiz und Spanien, alle TopTen-Länder zwischen 2002 und 2011 Exportanteile verloren haben.
Auf der Importseite ist die Dominanz Europas nicht ganz so ausgeprägt wie bei
den Exporten: 2011 entfielen knapp 52 % der Weltimporte auf die EU-27 und
10 % auf übrige europäische Länder. Auch hier zeigen sich im Zeitablauf die gleichen innereuropäischen Verschiebungen zwischen diesen beiden Regionen wie
auf der Exportseite. Im Vergleich der Weltregionen hat sich das Importwachstum seit 2002 relativ stärker auf Regionen außerhalb Europas und Nordamerikas konzentriert. Während Europa deutliche Anteilsverluste (-6,5 Prozentpunkte) zu verzeichnen hat und die USA ihren Anteil (17 %) annähernd halten
konnten, sind die Pharmaimporte in die übrigen Weltregionen überproportional
gestiegen. Insbesondere das übrige Asien hat seinen Importanteil von 6 auf
10 % von 2002 bis 2011 fast verdoppelt (Abbildung 12).
178
35
Die Pharmazeutische Industrie
Abbildung 12
2002 und
und 2011
2011
12:Anteil
Anteildes
desPharmaimportes
Pharmaimportesnach
nachWeltregionen
Weltregionen 2002
80
2002
70
2011
60
in %
50
40
30
20
10
0
EU-27
übriges
Europa
Nordamerika
übriges
Amerika
Naher und
Mittlerer
Osten
übriges
Asien
übrige
Länder
Anteil in % der Weltimporte.
Die Zuordnung nach Weltregionen folgt der Deutschen Bundesbank (2013).
Quelle: Comtrade Database; Berechnungen des NIW.
Auf der Ebene einzelner Länder dominieren unverändert die USA (2002 und
2011: 4,3 %), gefolgt von Deutschland (rund 10,5 %). Der Weltimportanteil Belgiens hat sich im Verlauf der letzten Jahre kontinuierlich verringert. Dies dürfte
wiederum vor allem mit konzerninternen Sondereffekten zusammenhängen.
Abgesehen von Japan gehören die übrigen Top-Ten-Exporteure ausnahmslos der
Europäischen Freihandelsassoziation an (Abbildung 13). 7 % der weltweiten
Importe 2011 ist in die BRICS-Staaten geflossen, 2002 waren es erst rund 3 %.
Vor allem China (2002: 0,8 %, 2011: 2,8 %) und Russland (2002: 1,1 %, 2011:
2,9 %) haben ihre Einfuhren an pharmazeutischen Produkten überdurchschnittlich stark ausgeweitet.
179
36
Die Pharmazeutische Industrie
Abbildung 13: Die 10 größten Importeure pharmazeutischer Produkte 2002
und
2011 13 Die 10 größten Importeure pharmazeutischer Produkte 2002 und 2011
Abbildung
20
2002
16
2011
in %
12
8
4
0
Anteil in % der Weltimporte.
Quelle: Comtrade Database; Berechnungen des NIW.
Ohne Berücksichtigung des EU-Intrahandels hat nach Angaben der European
Federation of Pharmaceuticals (EFPIA 2012) das übrige Asien die EU-27 im Jahr
2011 bereits als größte Importregion an Pharmaprodukten abgelöst. Die meisten Produkte, die in die EU importiert werden, stammen aus den USA (36,4 %)
und der Schweiz (36,2 %). Weitere 5,6 % wurden aus Singapur importiert und
4,5 % aus China (EFPIA 2012).
Forschung und Entwicklung im internationalen Vergleich
FuE und Innovationen sind die entscheidenden Wettbewerbsparameter für die
großen Pharmaländer. Dies wird daran besonders deutlich dass die FuE-Intensität in der Branche in den meisten Ländern um ein Vielfaches höher ist als im
Verarbeitenden Gewerbe insgesamt (Abbildung 14).
180
37
Die Pharmazeutische Industrie
Abbildung 14: FuE-Intensität in der Pharmazeutischen Industrie und im
Verarbeitenden Gewerbe ausgewählter Länder 2010
Abbildung 14 FuE-Intensität in der Pharmazeutischen Industrie
Großbritannien
USA
Japan
Schweiz
Belgien (2009)
Frankreich
Deutschland
Pharma
Verarbeitende Industrie
Niederlande
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
22
24
26
interne FuE-Ausgaben in % des Produktionswerts
Quelle: OECD, STAN Database for Structural Analysis. – OECD, Business enterprise R&D expenditure
by industry. – National Center for Science and Engineering Statistics. – Minister’s Secretariat, Ministry
of Economy, Trade and Industry (METI). – EFPI member associations (für die Schweiz). – Berechnungen
und Schätzungen des NIW.
Insbesondere Großbritannien und die USA weisen in der Pharmaindustrie
gemessen am Produktionswert herausragend hohe FuE-Intensitäten von über
20 % auf. Mit Abstand folgen Japan, die Schweiz, Belgien, Frankreich und
Deutschland. In den Niederlanden, die ebenfalls zur Gruppe der großen Exporteure zählen und auch ein wichtiges Zielland deutscher Ausfuhren darstellen,
fällt die FuE-Intensität vergleichsweise niedrig aus. Das spricht dafür, dass hier
vor der Verschiffung der Endprodukte in größerem Umfang weniger forschungsintensive Weiterverarbeitung oder auch Lohnfertigung stattfindet.
Forschung und Produktion können dabei im Konzernverbund durchaus räumlich getrennt stattfinden. So gehört Irland zwar zur Gruppe der weltweit größten Exporteure von Pharmaprodukten (Abbildung 11), die FuE-Intensität liegt
181
38
Die Pharmazeutische Industrie
jedoch bei unter 1 %. Bedingt durch günstige Rahmenbedingungen haben internationale Konzerne dort Produktionsniederlassungen eingerichtet, FuE findet
jedoch an anderen Standorten statt.
Trotz weltweit gestiegener FuE-Aufwendungen fällt die Zahl der in Europa, den
USA und Japan neu eingeführten innovativen Wirkstoffe (New Chemical or Biological Entities) im Verlauf des letzten Jahrzehnts deutlich niedriger aus als in
der vorherigen Dekade, wobei der Rückgang in Europa und Japan deutlicher ausgefallen ist als in den USA. Wurden in Europa 1992 bis 2001 noch 168 innovative
Wirkstoffe eingeführt, waren es 2002 bis 2011 nur noch 98 (EFPIA 2012). Diese
Entwicklung dürfte im Wesentlichen auf längere Entwicklungs- und Erprobungszeiten, erschwerte Zulassungsbedingungen und damit deutlich höhere
FuE-Kosten zurückführen sein (vgl. Abschnitt 2.1).
2
Entwicklungstrends und strukturelle Herausforderungen
2.1 Globale Herausforderungen und Trends
Bevölkerungs- und Markttrends
Insgesamt sind die globalen Wachstumsaussichten der Pharmaindustrie günstig.
Dafür gibt es mehrere Gründe.
Der wichtigste Grund ist die steigende Nachfrage nach pharmazeutischen Produkten. Der weltweite Arzneimittelmarkt wächst massiv (vfa 2012 a). Zunächst
ist hierbei die wachsende Weltbevölkerung zu nennen, mit der eine steigende
Nachfrage in Emerging Markets einhergeht (EC 2009). Außerdem berichteten
Unternehmensvertreter in den Expertengesprächen, dass neue Märkte für »alte
Produkte« in Schwellenländern entstehen. Aufgrund des steigenden Wohlstandes werden dort nun auch die in den industrialisierten Ländern weit verbreiteten Zivilisationskrankheiten, wie Herz-Kreislauf-Krankheiten oder Diabetes, ein
alltägliches Phänomen. Spezialmedikamente sind für die meisten Menschen
jedoch noch zu teuer (auch: vfa 2012 a).
182
39
Die Pharmazeutische Industrie
Dies hat zum einen dazu geführt, dass immer mehr Arzneimittel aus Europa
und Nordamerika in diese Schwellenländer exportiert werden. Darüber hinaus
ist zu beobachten, dass die Medikamentenproduktion zumindest von »Massenmedikamenten bzw. Nichtspezialmedikamenten« zunehmend an lohnkostengünstigeren Standorten und damit direkt auf den nachfragenden Märkten
stattfindet.
Außerdem wird erwartet, dass die Nachfrage in Industrieländern weitersteigt,
da der Anteil chronisch Kranker wachsen wird. Dies liegt zum einen an der
zunehmenden Alterung der Bevölkerung, aber auch an dem ungesunden
Lebenswandel, der die Gesellschaft zunehmend prägt. Dieser führt zu einem
Anstieg chronischer Krankheiten selbst bei jüngeren Altersgruppen, z. B. Diabetes bei Kindern (EC 2009, auch EFPIA 2010).
Globalisierung und Urbanisierung erhöhen zudem die Gefahr von Pandemien,
die sich durch den engeren Kontakt schneller und weiter ausbreiten können.
Darüber hinaus entstehen jährlich viele neue Krankheiten, die die Entwicklung
entsprechender Arzneimittel erfordern (EC 2009).
Durch den Beitritt der neuen Mitgliedstaaten hat sich außerdem der Markt für
in der EU tätige Unternehmen erweitert. Insgesamt können EU-Pharmahersteller vom Wachstum und ihrer starken Marktposition im internen Markt profitieren. Dies ermöglicht umfangreiche Testverfahren und klinische Versuche. Die
Pharmazeutische Industrie ist stark in FuE und innovativ, was für die Herstellung von komplexen Medikamenten wie Krebsmedikamenten, deren Nachfrage
in Zukunft steigen wird, wichtig ist (EC 2009). Die größere Anzahl neuer komplexer und spezialisierter Medikamente stellt auch eine Herausforderung für die
Zulassungsbehörden dar.
Als zukünftige Wachstumsbereiche für die Pharmaindustrie gelten neben
Gesundheit und Ernährung auch Ressourcen- und Energieeffizienz. Während der
demografische Wandel und die Zunahme von Zivilisationskrankheiten neue
Anforderungen an die Branche stellen, aber auch Chancen bieten, unterliegen
die Unternehmen außerdem Herausforderungen durch Ressourcenknappheit
183
40
Die Pharmazeutische Industrie
und steigende Energiekosten. Zwar fallen Energiekosten in der Pharmabranche
bei Weitem nicht so sehr ins Gewicht wie dies für Teile der Chemie (Grundstoffe,
Chemiefasern), die Glasindustrie oder auch die Papierverarbeitung gilt; dennoch
sind deutsche Unternehmen durch die gestiegenen Energiekosten gegenüber
Konkurrenten aus anderen Ländern benachteiligt. Daher können Prozess- und
Produktinnovationen, die dazu beitragen Energie und andere Ressourcen zu sparen, den Unternehmen Wettbewerbsvorteile verschaffen.
Gesundheitspolitische Trends
Die Pharmazeutische Industrie ist zwar vergleichsweise konjunkturunabhängig, sodass sie weniger stark von globalen wirtschaftlichen Schwankungen
betroffen ist als dies für die anderen großen exportstarken Industrien gilt (siehe
Kapitel 1). Aufgrund von Sparzwängen öffentlicher Haushalte ist die Pharmabranche jedoch indirekt von den Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise betroffen. Europäische Gesundheitssysteme werden zu 60 bis 70 % von öffentlichen
Kostenträgern finanziert und unterliegen deshalb infolge der Finanzkrise kurzfristig (vor allem Griechenland, Spanien, Portugal, Italien) und angesichts der
alternden Bevölkerung mittel- bis langfristig (steigende Nachfrage nach Pharmaprodukten erhöht den Druck auf die Gesundheitsbudgets) dem Diktat der
Kostenreduktion. Demzufolge wird sich der Druck auf die Arzneimittelpreise
weiter erhöhen (Murray und Weissenfeldt 2013). Der Sparzwang hat nicht nur
Auswirkungen auf das Gesundheitswesen im Allgemeinen, sondern setzt insbesondere bei den Medikamentenpreisen an. Gesetzliche Krankenkassen erstatten daher zunehmend nur Teile der Arzneimittelkosten und bevorzugen preisgünstigere Alternativen. Dies resultiert in einer höheren Selbstbeteiligung der
Patienten (Bungenstock 2010).
Zum anderen werden mit dieser Politik Generika und Parallelimporte gefördert
(Bungenstock 2010). So hat sich der Anteil der Generika an den Arzneimittelverordnungen seit 1991 auf über 70 % mehr als verdoppelt, während der Umsatzanteil im generikafähigen Marktsegment aufgrund sinkender Preise nahezu
184
41
Die Pharmazeutische Industrie
unverändert bei gut 30 % geblieben ist (bkk 2011). Von Parallelimporten spricht
man, wenn ein durch Patent geschütztes Arzneimittel in einem Land von Großhändlern aufgekauft wird, um in einem anderen Land auf den Markt gebracht
zu werden (Bart 2007). Dies kann auch in der Form von Reimporten geschehen,
wenn die Arzneimittel ursprünglich in dem Land produziert wurden, in dem sie
letztlich in Verkehr gebracht werden. Der Grund hierfür sind die trotz der fortschreitenden Harmonisierung des europäischen Arzneimittelmarktes unterschiedlichen Preisniveaus. Parallelhändler nutzen diese, indem sie Originale in
den Mitgliedsländern des EWR (EU, Norwegen, Liechtenstein, Island) mit niedrigen Preisen aufkaufen und in anderen Mitgliedsländern verkaufen. Da das Originalprodukt dort bereits eine Zulassung hat, ist für die reimportierten Medikamente ein vereinfachtes oder, wenn europaweit bereits zugelassen, kein
Zulassungsverfahren notwendig. Obwohl dabei erhebliche Kosten durch Logistik und Umverpackung entstehen, ist dies ein sehr lohnendes Geschäft (Murray
und Weissenfeldt 2013, vfa 2002; EFPIA 2010). Im Jahr 2011 lag der Marktanteil
der Parallelimporte an den über öffentliche Apotheken in Deutschland abgegebenen Arzneimitteln bei 10 % gegenüber 12 % im Vorjahr. Weitere Marktanteilsverluste der Hersteller patentgeschützter Originale zugunsten von Parallelimporteuren lassen sich derzeit demnach nicht feststellen (vfa 2013 c).
Als mögliche Folge der gesundheitspolitischen Maßnahmen zeigt sich, dass die
Zahl der angebotenen Arzneimittel rückläufig ist und die Arzneimittelpreise
tendenziell sinken, wobei davon im Wesentlichen Generika betroffen sind (vfa
2011 b). Zwischen 1989 und 2008 sank das Preisniveau bei Generika um 40 %,
während es in derselben Zeit bei patentgeschützten Arzneimitteln um ca. 25 %
anstieg (Bungenstock 2010). In jüngerer Zeit erweisen sich patentgeschützte
Arzneimittel nach Angaben des vfa (2013 c) überwiegend als preisstabil, während die Herstellerpreise bei Generika weiter rückläufig sind.
Dazu kommen abnehmende Wachstumsraten auf dem GKV-Arzneimittelmarkt.
Dennoch steigt der Verbrauch rezeptpflichtiger Arzneimittel besonders in den
Bereichen, in denen es keine Generika gibt (vfa 2011 a).
185
42
Die Pharmazeutische Industrie
Horizontale und vertikale Integration
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um auf die Herausforderungen am Arzneimittelmarkt zu reagieren. Eine in den letzten Jahren zu beobachtende Strategie
ist die der Fusionen und Übernahmen bzw. Lizenzen. Durch horizontale und vertikale Integration sollen einerseits Kosten reduziert und andererseits die Produktpalette erweitert werden.
Die Art der gewählten Strategie hängt dabei im Wesentlichen vom Unternehmen selbst ab: Führende Pharmaunternehmen neigen zu Übernahmen besonders im Bereich der Biotechnologie, während KMUs eher strategische Allianzen
wie Lizenzabkommen abschließen. Allerdings finden Fusionen und Übernahmen nicht nur bei forschenden Pharmaunternehmen, sondern auch bei Wirkstoff- und Generikaherstellern sowie Lohnfertigern statt. Daher zeigen sich
überall Konzentrationsprozesse, was dazu führt, dass die Anzahl von Herstellern
sinkt. Dies bringt eine wachsende Abhängigkeit und steigende Gefahr von Lieferengpässen mit sich. Viele Krankenhäuser beklagen z. B. Lieferprobleme v. a.
bei Krebsmedikamenten. Die Übernahme- und Fusionswelle wird deshalb seit
Ende 2008 kontrovers diskutiert (EC 2009). Auch für den deutschen Arzneimittelmarkt lässt sich eine Herstellerkonzentration zwischen 1995 und 2007 nachzeichnen (Bungenstock 2010). Während 1995 die 50 größten Produzenten
62,4 % des Umsatzes im GKV-Arzneimittelmarkt erzielten, betrug dieser Wert
81,0 % im Jahr 2008. Die Zahl der Unternehmen ging zwischen 1995 und 2007
jedoch nur leicht zurück, von 253 auf 234 (-7,5 %) (Bungenstock 2010). Diese
Entwicklung mag auch ein Grund dafür sein, warum die Investitionsneigung (in
Sachanlagen) der deutschen Pharmaindustrie seit Anfang des letzten Jahrzehnts deutlich zurückgegangen ist (siehe 2.2).
Wertschöpfungs- und Lieferketten
Der verschärfte Wettbewerb durch asiatische und osteuropäische Konkurrenten führt zu einem erhöhten Kostendruck auf die Produktion. Unternehmen
haben vielfältige Strategien entwickelt, um diesem zu begegnen.
186
43
Die Pharmazeutische Industrie
Zum einen können Überkapazitäten entweder abgebaut oder aber an Dritte
vermarktet werden (Lohnfertigung). Im unternehmerischen Entscheidungsprozess kommt es dabei auf Renditeaussichten und Synergien, aber auch Ressourcenverfügbarkeit an. Für innovative, forschende Unternehmen ist Lohnfertigung als langfristige Lösung weniger interessant; je nach Unternehmenslage
kann es sich jedoch um eine sinnvolle Übergangslösung handeln. Hersteller von
nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten (OTC: over the counter) und
Generikahersteller können je nach Marktwachstum Skaleneffekte erreichen
und dadurch Gewinnmargen erweitern. Insbesondere für mittelständische
Pharmaunternehmen kann nischenorientierte Lohnfertigung eine Erfolgsstrategie sein (Spachowski 2005).
Weiterhin sind auch die Lieferketten von den genannten Trends betroffen. Da
zunehmend höhere Umsätze in Entwicklungsländern erzielt werden, spielt
Outsourcing eine immer größere Rolle. Hierbei handelt es sich hauptsächlich
um vertikales Outsourcing. Horizontale Kooperationen sind seltener (EC 2009).
Dies gilt im Wesentlichen für die Produktion von Medikamenten und Wirkstoffen, zumindest in Teilen aber auch für FuE.
Wegen des starken Drucks auf die Herstellungskosten werden Medikamente
außerdem zu großen Teilen außerhalb der EU produziert. So müssen stetig größere Mengen von Arzneimitteln weiter transportiert werden, was eine Globalisierung der Lieferkette nach sich zieht und ein komplexeres Management erfordert. Gleichzeitig wird die Produktion flexibler, sodass Hersteller schneller auf
Änderungen der Marktbedingungen reagieren können. Der gestiegenen Diversifizierung der Produktstrategien wird mit komplexeren Produktionstechnologien
begegnet. Auf der anderen Seite steigen durch den verstärkten internationalen
Austausch und Wettbewerb die Bedeutung geistiger Eigentumsrechte und
deren Durchsetzung (siehe auch Abschnitt 2.2)
Nach Angaben des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) und der
Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) werden Wirkstoffe für die
Arzneimittelherstellung in Europa und den USA mittlerweile bis zu 80 % aus
187
44
Die Pharmazeutische Industrie
Drittländern bezogen. Am häufigsten handelt es sich dabei um China, Taiwan,
Indien und Korea (Grossmann 2008). In den 1990er-Jahren war das Verhältnis
noch umgekehrt. Meist handelt es sich bei den Importen um Antibiotika, deren
Patentschutz abgelaufen ist (n-tv Wissen vom 29.09.2009). Die Nachteile dieser
Strategie haben sich bereits deutlich gezeigt, als 2008 in China produziertes und
verunreinigtes Heparin u. a. in Deutschland und den USA in den Umlauf kam
(Spiegel-Online vom 22.04.2008). Nach Schätzungen von Experten werden gut
zwei Drittel aller Produktionsstätten in China nicht kontrolliert und etwa 5 %
der in Deutschland auf seriösem Wege erhältlichen Arzneimittel seien gefälscht
(ntv Wissen vom 29.09.2009).
Doch die Auslagerung betrifft nicht nur die Produktion, sondern in zunehmendem Umfang auch die Forschung. So prognostizierte die Deutsche Bank, dass
der weltweite Markt für ausgelagerte Forschung bis 2020 von 8 auf 20 Mrd. Euro
wachsen werde (Deutsche Bank 2013). Zielländer sind vor allem Indien und China (Junker 2008). In den Expertengesprächen haben die Unternehmensvertreter
jedoch betont, dass ihrer Ansicht nach die Wirkstoffforschung und Produktion
von Spezialmedikamenten auch zukünftig im Wesentlichen in Deutschland
bleiben wird.
Im Vertrieb ist eine zunehmende Fragmentierung zu beobachten, die mehr Serviceleistungen für Apotheken und Patienten beinhaltet (EC 2009).
Auch was den Verkauf betrifft, haben sich neue Strategien herauskristallisiert.
So sind die Marketingausgaben in den vergangenen Jahren gestiegen. Bedingt
durch die starke Abhängigkeit von politischen Entscheidungen wird in Deutschland und anderen europäischen Ländern versucht, einerseits vermehrt Einfluss
auf Politiker zu nehmen und andererseits verstärkt diejenigen anzusprechen,
die für die Medikamente zahlen. Dies sind zwar in erster Linie Krankenkassen,
doch immer mehr auch Patienten, da diese einen stetig größeren Anteil der
Gesundheitskosten selbst tragen (s. o.).
Für die Schwellenländer sind hingegen eigene Produktions- und Absatzstrategien notwendig, da sich diese Länder bzgl. Altersstruktur, Art der Krankheiten,
188
45
Die Pharmazeutische Industrie
geistige Eigentumsrechte, Kultur etc. stark von den westlichen Ländern unterscheiden (EC 2009).
2.2 Investitions- und Innovationstrends
Investitionen
Übernahmen und Fusionen könnten auch ein Grund sein, warum die Investitionsneigung (in Sachanlagen) der deutschen Pharmaindustrie seit Anfang des
letzten Jahrzehnts deutlich zurückgegangen ist (Abbildung 15). Ein ähnlich
hoher Rückgang ergibt sich im Branchenvergleich lediglich für die Chemieindustrie (Gehrke, Rammer 2011). Zudem sind auch die absoluten Investitionen in
Sachanlagen in der Pharmaindustrie auf längerfristige Sicht (1998–2011: -18 %)
gesunken, während im Industriedurchschnitt ein Zuwachs von 11 % zu verzeichnen ist (Statistisches Bundesamt, Investitionsstatistik).
Hingegen sind die unmittelbaren Direktinvestitionen der deutschen Chemisch-Pharmazeutischen Industrie im Ausland im selben Zeitraum um 65 %
gewachsen (Deutsche Bundesbank). Dies untermauert die These, dass deutsche
Unternehmen verstärkt global ausgerichtet sind und weltweit Standortvorteile
nutzen. Nur für die letzten beiden Jahre (2010/2011) gibt es separate Angaben
zu den Direktinvestitionen für die Chemische und die Pharmazeutische Industrie. Der Anteil der Pharmaindustrie liegt ebenso wie auch bei den Bruttoanlageinvestitionen von Chemie- und Pharmaindustrie insgesamt bei 20 %.
189
46
Die Pharmazeutische Industrie
Abbildung15:
15Investitionsquote
Investitionsquote
in der
Pharmazeutischen
Industrie
im
Abbildung
in der
Pharmazeutischen
Industrie
sowiesowie
im
Verarbeitenden Gewerbe in Deutschland 1998 bis 2011
6,0
H. v. pharmazeutischen Erzeugnissen
Verarbeitende Industrie insgesamt
5,5
5,0
4,5
4,0
3,5
3,0
2,5
1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011
Investitionsquote: Getätigte Investitionen am Umsatz in %.
1) Umsatz an getätigten Investitionen in %.
Quelle: Statistisches Bundesamt. – Berechnungen des NIW.
Quelle: Statistisches Bundesamt, Genesis-Online, Investitionsstatistik. - Berechnungen des NIW.
FuE-Effizienz
Nach Angaben von Unternehmensvertretern ist die FuE-Effizienz der Branche
gesunken. Verschiedene Gründe sind hierfür verantwortlich.
Zum einen sind die Entwicklungskosten für neue Medikamente gestiegen, was
sich vor allem auf höhere Zulassungsanforderungen (z. B. bei klinischen Studien)
und höhere Komplexität der zu behandelnden Krankheiten zurückführen lässt
(vfa 2012 a). Pharmakonzerne veranschlagen im Durchschnitt gut 1 Mrd. Euro
190
47
Die Pharmazeutische Industrie
Kosten für die Erforschung und Entwicklung eines neuen Medikaments. Nicht
etwa die eingesetzten Chemikalien und ihre Synthese stehen für den Löwenanteil, sondern die klinische Erprobung in jahrelangen Studien mit bis zu mehreren Tausend Patienten. Die erhöhten Kosten der Entwicklung erschweren so den
Marktzugang neuer Medikamente. Bei den Zulassungsanforderungen wie auch
bei den Erstattungsmodalitäten ist zudem misslich, dass sich diese trotz verstärkter Harmonisierungsbemühungen innerhalb der EU weiterhin von Land zu
Land unterscheiden (EC 2009, BPI 2012).
Die Einführung zusätzlicher Regulierungen und klinischer Studien erhöht allerdings nicht nur die Entwicklungskosten, sondern verlängert auch die Entwicklungsdauer, wie Unternehmensvertreter in den Expertengesprächen zu Bedenken gaben. Da das Patent auf einen neuen Wirkstoff schon am Anfang der
Entwicklung angemeldet wird, führt eine längere Entwicklungsdauer auch zu
einer Verkürzung der Amortisationsdauer. Die übliche Patentlaufzeit beträgt
20 Jahre, kann aber durch den Erwerb eines ergänzenden Schutzzertifikates (die
es für Arznei- und Pflanzenschutzmittel gibt) um weitere 5 Jahre verlängert
werden. Die durchschnittliche Entwicklungsdauer eines Medikamentes bis zur
Marktreife beträgt 10 bis 12 Jahre (WHO 2006 aus: EC 2009). Demnach bleiben
den Unternehmen meist ca. 8 bis 15 Jahre um die vorausgegangenen Investitionskosten zu erwirtschaften bzw. die Vorlaufverluste für Entwicklungen zu
kompensieren. Nach Ablauf des Patentschutzes können auch Generikahersteller das Medikament produzieren. Damit sinkt der Marktpreis auch für Originalhersteller. Deshalb sind in der EU sowie den USA vor allem Spezialmedikamente
rentabel.
Nach Angaben von Unternehmensvertretern wird neben der Analyse der Wirksamkeit neuer Medikamente die Untersuchung der Sicherheit im Sinne von
unerwünschten Nebenwirkungen immer wichtiger. Um diese ausschließen zu
können, müssen immer mehr Probanden besonders in einem fortgeschrittenen
Entwicklungsstadium an klinischen Studien teilnehmen. Neben steigenden
Kosten und einer längeren Entwicklungsdauer führt das aber auch dazu, dass
191
48
Die Pharmazeutische Industrie
die Erfolgswahrscheinlichkeit der klinischen Studien sinkt und weniger Medikamente die Marktreife erreichen. Gleichzeitig erhöhen diese Regelungen jedoch
auch die Sicherheit von Medikamenten, was für Patienten und somit letztlich
auch für die Unternehmen von Vorteil ist. Dass die Erfolgsrate der Innovationen
in der EU zurückgegangen ist, obwohl die FuE-Intensität gestiegen ist, bestätigt
auch der Report der Europäischen Kommission (2009). Die Entwicklungskosten
von Medikamenten, die die Marktreife nicht erreichen, müssen durch die Gewinne aus anderen Medikamenten gedeckt werden.
Zusammen führen diese Faktoren zu einer Abnahme der FuE-Effizienz und
machen es für Pharmaunternehmen unattraktiver, FuE zu betreiben. Somit werde die Innovationsfähigkeit der Branche gefährdet.
Des Weiteren erzwingt der Zusammenhang von hohen Entwicklungskosten und
der begrenzten Marktexklusivität (Patentlaufzeiten) globale Markteinführungen
und begünstigt daher multinationale Großunternehmen mit entsprechender
Kapitalkraft, deren Bildung durch zahlreiche Fusionen in den letzten Jahren zu
beobachten war und die weiterhin andauert (BPI 2012, siehe auch 2.1).
Die deutsche und europäische Position wird vor allen Dingen durch den baldigen
Ablauf einiger wichtiger Patente und das Wachstum der Generika bedroht. Der
Ablauf von Patenten verringert sowohl Umsätze als auch die verfügbaren finanziellen Mittel für FuE in der kurzen und mittleren Frist, während der wachsende
Generikaanteil am Gesamtumsatz zwar zunehmenden Wettbewerb bedeutet, FuE
und Innovationen jedoch negativ beeinflussen kann. Andererseits ist das Wachstum ein Anreiz für Originalhersteller, die FuE-Effizienz zu steigern (EC 2009).
Biotechnologie
Biotechnologie ist heute schon die Grundlage vieler Spezialmedikamente und
wird in Zukunft gerade in Europa weiter an Bedeutung gewinnen. Denn Biopharmazeutika (gentechnisch hergestellte Medikamente) sind besonders wirksam gegen Alterskrankheiten und chronische Erkrankungen. Gerade nach die-
192
49
Die Pharmazeutische Industrie
sen Medikamenten ist mit fortschreitendem demografischen Wandel in Europa
eine höhere Nachfrage zu erwarten (vfa 2013 b, EC 2009). In diesem Zusammenhang ist es misslich, dass die großen deutschen Pharmaunternehmen ihre
Biotechnologieforschung weitgehend in den USA durchführen. Dort wurden
entsprechende Forschungskapazitäten aufgebaut bzw. übernommen, als Biotechnologieforschung in Deutschland noch umstritten war. Zudem gehen große Unternehmen häufig mit kleinen Biotechnologiefirmen strategische Allianzen ein und kaufen sie bei Erfolg ggf. auf. Kleine Biotech-Start-ups sind auf diese
Kooperationen angewiesen, weil es ihnen in Deutschland vergleichsweise
schwerer fällt als bspw. in den USA oder Großbritannien, sich über Risikokapital
die notwendigen Finanzmittel zur Markteinführung ihrer Innovationen zu
beschaffen.
Allerdings hat sich der Anteil der Patente mit gentechnischem Bezug an allen
Pharmapatentanmeldungen in Deutschland verringert (von 20 % im Jahr 2000
auf 12 % im Jahr 2010). Besonders die Patentanmeldungen aus den USA in
Deutschland, aber auch von deutschen Unternehmen haben sich rückläufig
entwickelt. Gleichzeitig ist eine Zunahme der Anmeldungen aus Japan, der
Schweiz, Schweden und Kanada zu beobachten (vfa 2008 und 2011).
Weitere Innovationstrends
Deutsche Pharmaunternehmen sehen den größten zukünftigen medizinischen
Bedarf in der Krebs- und Alzheimerbehandlung. Die Schwerpunkte der Forschung liegen deshalb in diesem beiden Bereichen, darüber hinaus aber auch
bei Infektionskrankheiten, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes sowie Schlaganfall- und anderen Thromboseerkrankungen (vfa 2012 a). Unternehmensvertreter bestätigten, dass die Forschung an Facharztmedikamenten und
Medikamenten für chronisch Kranke in Deutschland eine große Rolle spielt.
Da die Prävention von Krankheiten immer wichtiger wird und es keine Generika
auf dem Impfstoffmarkt gibt, sind Impfungen ein weiterer Fokus von FuE
(EC 2009).
193
50
Die Pharmazeutische Industrie
Darüber hinaus ist ein Trend hin zur »Personalisierten Medizin« zu beobachten.
Unter diesem Begriff versteht man ein Behandlungskonzept, das dazu beiträgt
schneller eine individuell geeignete Therapie für den Patienten zu finden. Mithilfe moderner Diagnostik, einschließlich Gendiagnostik, sollen Vortests Auskunft über Wirksamkeit, Verträglichkeit und optimale Dosierung des jeweiligen
Medikamentes für einen bestimmten Patienten geben. Befürworter von personalisierter Medizin sehen darin neben der Verbesserung der Ergebnisqualität
auch eine Effizienzsteigerung des Gesundheitswesens (vfa 2012 b). Aktuell
werden 31 Wirkstoffe personalisiert angewendet. Für 24 davon ist ein diagnostischer Vortest sogar verpflichtend (vfa 2013 d). Der überwiegende Teil der personalisiert einzusetzenden Wirkstoffe sind Krebsmedikamente. Laut Verbandsangaben wird bei 40 % der Entwicklungsprojekte für neue Medikamente von
den forschenden Pharmaunternehmen die Möglichkeit der personalisierten
Anwendung untersucht (vfa 2012 b). Bisher ist allerdings nicht klar, ob der Einsatz von personalisierter Medizin dazu beiträgt, die Kosten im Gesundheitswesen zu senken oder zu erhöhen (vfa 2012 b). Da eine bessere Diagnostik und
Vortests dazu führen, dass die Patienten weniger Medikamente »ausprobieren«
müssen, sinkt der Medikamentenabsatz, was den Preis erhöht. Kritiker fürchten
zudem, dass personalisierte Medizin dazu führen könnte, dass Hersteller
bestimmte Medikamente aufgrund geringerer Absatzmöglichkeiten gar nicht
mehr produzieren (Dickenson 2012). Auch die Gespräche haben gezeigt, dass
bei den Experten über die Nachhaltigkeit dieses Trends keine Einigkeit
besteht.
Die Unternehmen können verschiedene Innovationsstrategien anwenden, um
auf die oben beschrieben höheren FuE Kosten zu reagieren (EC 2009). Beispielsweise kann es für Unternehmen von Vorteil sein, eine breitere Produktpalette zu
entwickeln, anstatt sich auf die Entwicklung einzelner »Blockbuster« zu konzentrieren, um das Risiko zu verringern (EC 2009). Die Expertengespräche haben
jedoch gezeigt, dass die befragten Unternehmen weiterhin auf die Entwicklung
von »Blockbustern« setzen. Des Weiteren kann die Konzentration auf eine
bestimmte Nische sinnvoll sein, in der es bisher nur wenige Medikamente gibt.
194
51
Die Pharmazeutische Industrie
In diesem Fall sei der Zusatznutzen des neuen Medikamentes einfacher zu
begründen. Auch FuE-Kooperationen fördern den Zugang zu Wissen und können so zu einer Kostenersparnis beitragen (EC 2009). Diese Strategien führen zu
einer größeren Anzahl neuer komplexer und spezialisierter Medikamente und
sind mit erhöhten Herausforderungen an die Zulassungsbehörden verbunden
(EC 2009).
2.3 Standortspezifika in Deutschland
Der Standort Deutschland profitiert derzeit (noch) von der Verfügbarkeit von
gut qualifiziertem Personal, guten Forschungsbedingungen sowie gewachsenen und bewährten Verbundstrukturen zwischen den Herstellern pharmazeutischer Grundstoffe und Spezialitäten (Medikamente). Demgegenüber stehen
jedoch Gesetze und Regelungen im Gesundheitswesen, die Planungsunsicherheit für die Unternehmen bedeuten und damit das Risiko für Investitionen in
Forschung und Innovationen in Deutschland erhöhen.
Als Reaktion auf die steigenden Kosten von Pharmaprodukten wurden zunächst
Zwangsrabatte, Erstattungsobergrenzen für Gruppen von wirkstoffgleichen
oder -ähnlichen Arzneimitteln sowie die Verpflichtung zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel in der Apotheke eingeführt. Dies führte zur Förderung von
Generika und Erstattungsobergrenzen für einzelne, innovative Arzneimittel auf
Basis einer Kosten-Nutzen-Analyse.
Das mit dem 1. Januar 2011 in Kraft getretene Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) veränderte nachhaltig die Marktstruktur. Pharmazeutische
Unternehmen können Preise nun nicht mehr nach eigenem Ermessen festlegen, sondern müssen mit den gesetzlichen Krankenkassen direkt einen Erstattungspreis verhandeln, der dann auch für Privatversicherte und Selbstzahler
gilt. Grundlage für die Preisverhandlung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen ist der bei Markteinführung vorzulegende Nachweis über den Zusatznutzen
der neuen Wirkstoffe (BMG). Vertreter der Pharmazeutischen Industrie beklagen, dass den GKV ein großes Gewicht im Entscheidungsprozess über die Zulas-
195
52
Die Pharmazeutische Industrie
sung neuer Medikamente zukommt. Da diese die neuen teuren Medikamente
zahlen müssen, sei fraglich, ob der Zusatznutzen seitens der GKV tatsächlich
objektiv bewertet werde, so die Unternehmensvertreter. Ihre Kritik bezieht sich
jedoch hauptsächlich auf das Ungleichgewicht der Entscheider. Der Nachweis
des Zusatznutzens an sich wird nicht bemängelt, da dies sowieso Ziel der Entwicklung eines neuen Medikamentes sei.
Die stark gestiegenen Entwicklungskosten für neue Arzneimittel sind insbesondere durch höhere Zulassungsanforderungen und eine erhöhte Komplexität der
zu behandelnden Krankheiten entstanden (s. o.). Der Verband befürchtet, dass
sich in Deutschland die Produktpipeline (Blockbuster) zunehmend leere und
begründet dies damit, dass sich im Hinblick auf die Markteinführung von Medikamenten mit neuen Wirkstoffen eine eher rückläufige Tendenz eingestellt hat
(vfa 2011 b). Die befragten Gesprächspartner bestätigten diese Entwicklung für
ihr Unternehmen jedoch nicht. Zudem wird seitens des Verbandes bemängelt,
dass Deutschland noch immer kein optimaler Standort für die Durchführung
klinischer Studien ist. Dies liegt einerseits am bürokratischen Aufwand und
andererseits an fehlenden Anreizen für die Studienleiter. Deswegen finden viele
Studien in den USA, Großbritannien oder Skandinavien statt (vfa 2013 a).
Zusätzlich zu diesen neuen Regelungen erschwert die Unsicherheit über zukünftige gesundheitspolitische Vorgaben die Investitionen der Pharmaunternehmen. Ausgleichende Anreize z. B. durch steuerliche Vergünstigungen von
FuE-Kosten fehlen.
Ein weiterer ungünstiger Trend für den Standort Deutschland sind die abnehmenden Wachstumsraten auf dem GKV-Arzneimittelmarkt (vfa 2011 a). Der
GKV-Arzneimittelmarkt ist der bedeutendste Teilmarkt in Deutschland, denn
gemessen an den Arzneimittelausgaben macht die GKV einen Anteil von fast
drei Viertel aus (Bungenstock 2010, vfa 2012 a).
Trotz dieser forschungs- und investitionshemmenden Faktoren kann Deutschland doch auch als Forschungsstandort punkten: Die deutsche Pharmaindustrie
ist FuE-intensiv, sehr innovativ und verfügt damit über gute Voraussetzungen für
196
53
Die Pharmazeutische Industrie
die Herstellung von komplexen Medikamenten, wie z. B. Krebsmedikamenten,
deren Nachfrage in Zukunft weiter steigen wird. Für den Standort Deutschland
spricht auch, dass Genehmigungsprozesse für klinische Studien transparent
ablaufen und eine exakte Durchführung und Datenerfassung garantiert ist (vfa
2013 a), wenngleich es in diesem Zusammenhang andere Hemmnisse gibt (s. o.).
Die wichtigste Rahmenbedingung für die hohe Innovationsfähigkeit der deutschen Pharmaindustrie ist hoch qualifiziertes Personal. Nach Angaben der
befragten Experten gibt es derzeit keine gravierenden Fachkräfteengpässe.
Angesichts immer dünner besetzter nachwachsender Altersjahrgänge könnte
sich diese Situation im Verlauf der nächsten Jahre jedoch ändern. Unternehmen
weiten ihre Rekrutierungsstrategien deswegen teilweise aus. Da die Beschäftigung in der Pharmaindustrie aufgrund hoher Gehälter jedoch attraktiv ist, ist
fraglich, ob die Branche vom erwarteten Fachkräftemangel tatsächlich nachhaltig betroffen sein wird.
Ein weiterer Vorteil des Standortes Deutschland ist die Forschungsinfrastruktur,
die sehr gut ausgebaut ist. Dies zeigt sich u. a. an der Zusammenarbeit der
Unternehmen mit Universitäten und Forschungseinrichtungen, aber auch in
den Netzwerken zwischen großen Pharmaunternehmen und kleinen Biotechnologie-Start-ups. Die guten Forschungsbedingungen sind auch der Grund
dafür, dass Wirkstoffforschung noch weitgehend in Deutschland durchgeführt
wird, wenngleich die Produktion bereits vielfach ausgelagert worden ist (s. o.).
Positiv ist zudem, dass der Bereich Gesundheit und Ernährung auf der Agenda
der öffentlichen Forschungsmittelgeber sowohl auf nationaler Ebene (BMBF)
als auch im Rahmen des EU-Forschungsprogramms weit oben steht. Die damit
verbundenen Forschungsanreize tragen bei erfolgreicher Umsetzung in Innovationen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland
bei – sofern dies nicht auf der anderen Seite durch fortschreitende Regulierung
konterkariert wird (vfa 2013 a). Wie bereits weiter oben ausgeführt, wird die bisherige Planungssicherheit durch das AMNOG und andere Regularien zunehmend geschwächt.
197
54
Die Pharmazeutische Industrie
Was Deutschland als Absatzmarkt betrifft, ist der demografische Wandel ein
Vorteil, da er eine höhere Nachfrage nach Biopharmazeutika erwarten lässt.
Diese sind besonders wirksam gegen Alterskrankheiten und chronische Erkrankungen (vfa 2013 b). Außerdem ist der Markt in den letzten Jahren zunehmend
»generikafreundlich« geworden (vfa 2011 b).
2.4 Beschäftigungstrends und Ansatzpunkte für die Mitbestimmung
Allgemeine Beschäftigungstrends
Die Beschäftigung in der deutschen Pharmaindustrie hat sich langfristig als
sehr viel robuster erwiesen als im Industriedurchschnitt. Unabhängig von
gesundheitspolitischen Änderungen blieb die Beschäftigung in etwa gleich und
profitierte vom weltweiten Marktwachstum. Dies zeigt sich auch daran, dass
aktuell nachlassende Inlandsumsätze durch verstärkten Auslandsumsatz kompensiert werden können. Dennoch ergeben sich bestimmte Herausforderungen
und Problemlagen für die Unternehmen und Beschäftigten, auf die sich auch
die Mitbestimmung einstellen muss.
So muss sich die Personalpolitik der Unternehmen auf eine zunehmend alternde Belegschaft und eine Verknappung des Arbeitsangebots einstellen. Beides
stellt die Unternehmen vor die Herausforderung, wie sie dennoch ihre Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit aufrechterhalten können. Unabdingbare Voraussetzung hierfür ist der Erhalt der Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten bis ins
fortgeschrittene Alter. Dies erfordert neben forcierten Ausbildungsanstrengungen kontinuierliche Investitionen in das bestehende Personal, auch in ältere
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und zwar in Hinblick auf Gesundheit,
Motivation und berufliche Kompetenz.
Der wachsende Wettbewerbs- und Innovationsdruck führt außerdem dazu,
dass die Nachfrage nach gut ausgebildeten, speziell hoch qualifizierten Arbeitskräften, die bereits seit Jahren kontinuierlich wächst, auch in der Pharmazeutischen Industrie weiter zunehmen wird. Ein Tatbestand, der sich in allen vorlie-
198
55
Die Pharmazeutische Industrie
genden Studien zum künftigen Arbeitskräftebedarf in Deutschland, aber auch
im internationalen Raum wiederfindet (vgl. dazu die Gegenüberstellung bei
Gehrke, Schasse 2006 oder Cordes 2012).
Lebenslanges Lernen
Die Anforderungen der Arbeitswelt ändern sich permanent und die in der
Erstausbildung erworbenen Qualifikationen entwerten sich immer schneller,
werden zum Teil sogar obsolet. Daher ist es zunehmend wichtig, dass der Lernprozess nicht mit dem Erwerb der formalen Qualifikation endet, sondern sich
über das gesamte Erwerbsleben (lebenslanges Lernen) erstreckt. Dies gilt gerade für die Pharmaindustrie, in der fast 4 von 10 Beschäftigten über einen Hochschulabschluss verfügen. Der sehr hohe Anteil Hochqualifizierter zeugt von der
Innovationsfähigkeit der Branche, erfordert aber auch besondere Anstrengungen von Unternehmen und Beschäftigten, um diesen Wissensstand zu erhalten.
Betriebliche Weiterbildung hilft nicht nur, dem Personal gezielt spezifische Qualifikationen zu vermitteln, sondern fördert ebenso die frühzeitige Bindung von
Nachwuchskräften an das Unternehmen und stellt zudem einen Wettbewerbsvorteil in der externen Rekrutierung von Fachkräften dar (Kay, Kranzusch und
Suprinovic 2008). Hinzu kommt der empirisch belegbare positive Zusammenhang zwischen individueller Weiterbildung und Produktivitätsentwicklung.
Darüber hinaus kann die Generierung bestimmter Qualifikationen durch Weiterbildung geringere Kosten verursachen als die Beschaffung des entsprechenden Humankapitals am externen Arbeitsmarkt. Dies gilt umso mehr, wenn Personen mit den entsprechenden Kompetenzen dort überhaupt nicht bzw. nicht
in hinreichendem Umfang verfügbar sind, was angesichts der demografischen
Entwicklung immer wahrscheinlicher wird.
Besonders wichtig ist, dass auch ältere Beschäftigte, die in der Vergangenheit
zumeist außen vor geblieben sind, in betrieblich geförderte Weiterbildung über
bedarfs- und zielgruppenorientierte Programme wie auch Angebote eingebunden werden. Auch ihnen muss die Möglichkeit gegeben werden, ihr Wissen und
199
56
Die Pharmazeutische Industrie
ihre Fertigkeiten zu erweitern, da sie zukünftig länger im Erwerbsleben bleiben
müssen.
Arbeitsplatzgestaltung und Gesundheitsvorsorge
Außerdem erfordert das steigende Durchschnittsalter der Beschäftigten die
Schaffung altersgerechter Einsatzmöglichkeiten (Arbeitsplätze). Gesundheitsvorsorge (über Gesundheits- und Sportangebote) und Gesundheitsmanagement nicht nur für Ältere, sondern für alle Beschäftigungsgruppen, werden von
immer mehr Unternehmen als wichtiger Teil strategischer Personalplanung
gesehen und als gemeinsame Gestaltungsaufgabe von Geschäftsführung und
Betriebsrat begriffen. Denn die Arbeitsbedingungen stellen für potenzielle
Bewerber neben der monetären Vergütung ein immer wichtigeres Entscheidungskriterium dar.
Der Erhalt der Arbeitsfähigkeit älterer Beschäftigter beginnt nicht erst in fortgeschrittenem Alter, sondern bereits mit dem Eintritt ins Berufsleben. Die Arbeitsbedingungen sind im Optimalfall so zu gestalten, dass die Beschäftigten die
gewünschten Leistungen über ihr gesamtes Erwerbsleben hinweg erbringen
können. Dazu zählt vor allem auch, dass das jeweilige Arbeitspensum ohne
langfristige gesundheitliche Beeinträchtigungen dauerhaft erfüllt werden
kann. Eine Untersuchung des Arbeitsprozesses im Hinblick auf physische und
psychische Belastungen wie Gefährdungen kann dazu wesentliche Hintergrundinformationen liefern (Kay, Suprinovic und Werner 2010).
Eine wesentliche Herausforderung für die Mitbestimmung liegt aber auch darin, gemeinsam mit der Unternehmensführung Möglichkeiten zu finden, die
soziale Absicherung der Beschäftigten zu gewährleisten, die vor Erreichen des
regulären Renteneintrittsalters aus dem Erwerbsleben ausscheiden (müssen).
Besonders problematisch stellt sich dies für diejenigen Beschäftigten dar, die
nicht mehr an betrieblichen Vorruhestandsregelungen partizipieren können,
aber noch nicht hinreichend Zeit auf ihrem Lebensarbeitszeitkonto angesammelt haben, um ohne große Verluste vorzeitig auszuscheiden.
200
57
Die Pharmazeutische Industrie
Wettbewerb um die besten Köpfe
Der Standortvorteil Deutschlands der hinreichenden Verfügbarkeit von hoch
qualifiziertem Fachpersonal gerät durch absehbare Fachkräfteengpässe zunehmend in Gefahr. Zwar ist die Pharmazeutische Industrie gegenüber anderen
Industriebranchen hier gut aufgestellt. Zum einen ist die Altersstruktur aktuell
weniger ungünstig als im Verarbeitenden Gewerbe (siehe auch 1.4), zum anderen werden in der Branche vergleichsweise hohe Gehälter gezahlt. Die gute
Position der Branche im Wettbewerb um hoch qualifiziertes Personal wurde
auch von den Unternehmensvertretern in den Expertengesprächen bestätigt.
Vor allem große und bekannte Unternehmen sind dabei im Vorteil. Dennoch
muss sich auch die Pharmabranche auf die sich ändernden Rahmenbedingungen einstellen.
In der Pharmazeutischen Industrie kommen in besonders hohem Umfang akademische Qualifikationen zum Einsatz, die zumeist extern rekrutiert werden.
Wie Unternehmensvertreter bestätigten, kooperieren Pharmaunternehmen
deswegen z. T. auch mit Universitäten, um den Bedarf an Spitzenqualifikationen
sicherzustellen.
6 von 10 Beschäftigten verfügen jedoch über einen mittleren Berufsabschluss.
Um dieses wichtige Beschäftigungssegment zu sichern, ist es wichtig, dass die
Ausbildungsanstrengungen der Pharmazeutischen Industrie erhalten bleiben
und die Unternehmen sich jungen Leuten gegenüber als attraktive Arbeitgeber
präsentieren. Mögliche Ansatzpunkte sind Übernahmegarantien nach der Ausbildung, die Aussicht auf ein parallel zu absolvierendes duales Studium sowie
attraktive Verdienst- und Karrieremöglichkeiten. Um frühzeitig Kontakt mit jungen Leuten aufzubauen, empfiehlt sich die Zusammenarbeit mit Schulen. Auch
über Praktika können zukünftige Auszubildende bereits frühzeitig eingegliedert
werden.
Neben der Sicherung von Nachwuchskräften spielt auch der Erhalt des Erfahrungswissens älterer Mitarbeiter im Unternehmen eine wichtige Rolle. Zwar
201
58
Die Pharmazeutische Industrie
stellt sich die Altersstruktur in der Pharmazeutischen Industrie noch etwas
positiver dar als im Verarbeitenden Gewerbe, dennoch waren 2012 bereits
13,6 % der Beschäftigten älter als 55 Jahre (über 18 Tsd. Personen). Das bedeutet, dass dieser nicht unerhebliche Teil innerhalb der nächsten 10 Jahre aus dem
Erwerbsleben ausscheiden wird. Dies stellt die Unternehmen vor die Herausforderung, den Wissenstransfer zwischen Jung und Alt derart zu gestalten, dass
einerseits die Erfahrung der Ausscheidenden weitergegeben, andererseits aber
ebenso das »frische« Wissen der Jungen eingebracht wird. Betriebsratsvertreter
erklärten, dass sich manche Unternehmen bis vor einigen Jahren dieser Problematik nicht bewusst waren und infolgedessen nun z. T. Programme auflegen,
innerhalb derer Rentner stundenweise in den Betrieb zurückgeholt werden.
Arbeitsverdichtung
Die Unternehmen der Pharmazeutischen Industrie sehen sich einem steigenden Wettbewerbs- und Innovationsdruck gegenüber. Diesem wurde von den
Unternehmen in Deutschland im Verlauf des letzten Jahrzehnts mit enormen
Produktivitätsfortschritten begegnet (siehe auch Abschnitt 1.3). Infolgedessen
hat die Arbeitsverdichtung auf allen Ebenen stetig zugenommen, wie auch
Betriebsräte bestätigt haben. Dennoch ist die Mehrbelastung bezüglich Arbeitsstunden, aber auch Arbeitsaufgaben nicht immer gleichmäßig verteilt und
führt oftmals zu einem hohen Krankenstand und steigenden psychischen
Belastungen der betroffenen Mitarbeiter. Die Betriebsräte können bei der Aufdeckung von Fehlallokationen und der Entwicklung von Lösungskonzepten
wertvolle Unterstützung bieten.
Weitere Beschäftigungstrends
Die sehr hohe Frauenquote (fast 50 %) und Teilzeitbeschäftigung macht deutlich, dass es den Unternehmen der Pharmazeutischen Industrie recht gut gelungen ist, den Bedürfnissen der bei ihnen beschäftigten Frauen, die vielfach in
Laborberufen tätig sind, über verschiedene Arbeitszeitmodelle entgegenzu-
202
59
Die Pharmazeutische Industrie
kommen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist hier offenbar schon deutlich besser umgesetzt worden als in anderen Industriebranchen. Dabei spielt
auch eine Rolle, dass Schichtproduktion deutlich weniger ins Gewicht fällt als
bspw. in der Chemischen Industrie oder in der Gummiverarbeitung. Dennoch
können weitere Maßnahmen, wie z. B. die Einrichtung von Betreuungsmöglichkeiten für Kinder oder Eltern-Kind-Büros die Pharmaunternehmen im zunehmenden Wettbewerb um gut qualifizierte Frauen in eine noch bessere Position
bringen. Alternativ zur Einrichtung eines eigenen Betriebskindergartens haben
einzelne Unternehmen auf Firmenkosten Plätze in öffentlichen oder privaten
Kindergärten reserviert. Dies ist gerade auch für kleinere Unternehmen eine
gute Möglichkeit, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern.
Eine andere Möglichkeit, den Beschäftigten mehr Flexibilität in der Lebensplanung zuzustehen und die Arbeit dadurch attraktiver zu machen, sind Lebensarbeitszeitkonten. Die Unternehmen profitieren davon, weil die Flexibilität in
der Produktion steigt, ohne dass in großem Umfang auf extern zu rekrutierendes Personal zurückgegriffen werden muss oder hohe Überstundenzuschläge
gezahlt werden müssen.
Zwar ist auch Leiharbeit als Instrument der externen Flexibilisierung in der
Pharmabranche in geringem Umfang etabliert, kann aber nicht überall eingesetzt werden. Unternehmen können ihre Flexibilität durch den Einsatz von Leiharbeit erhöhen, da das Beschäftigungsniveau so dem Konjunkturzyklus angepasst und Spitzenzeiten abgefangen werden können.
Ein Trend (der letzten 20 Jahre) in der Pharmazeutischen Industrie, der auch die
Beschäftigung beeinflusst, sind Fusionen und Übernahmen (siehe Abschnitt
2.1). Insgesamt hatten diese Entwicklungen zwar keine nachhaltigen Konsequenzen für das Beschäftigungsniveau in der Pharmaindustrie in Deutschland;
für einzelne Standorte haben sich daraus jedoch durchaus Verlagerungen von
Arbeitsplätzen ergeben. Dies führt zu erheblichen Unsicherheiten bei den
Belegschaften, wie Betriebsräte in den Expertengesprächen zu bedenken gaben.
Dies gelte besonders dann, wenn die neuen Eigentümer aus dem Ausland kom-
203
60
Die Pharmazeutische Industrie
men und sich schwertun, die in Deutschland geltenden tarifvertraglichen Regelungen, Arbeits- und Kündigungsschutzbestimmungen zu akzeptieren. Gerade
in solchen Fällen sei der Betriebsrat gefordert und müsse lernen, mit der neuen
Kultur der Übernahmegesellschaft umzugehen. Koordinations- und Transaktionshemmnisse zwischen Arbeitsangebot vonseiten der Beschäftigten und
Arbeitsnachfrage vonseiten der Betriebe können zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit in der betroffenen Region führen, der durch frühzeitige bessere Koordination und Organisation vermindert werden könnte.
3 Fazit
Entwicklungen und Strukturen der Branche
Die Pharmazeutische Industrie ist aufgrund ihres Beitrags zur Therapie von Krankheiten sowie zum medizinischen Fortschritt eine Schlüsselbranche und durch
eine hohe Forschungsintensität gekennzeichnet. Sie umfasst sowohl mittelständische und eigentümergeführte Unternehmen als auch deutsche Niederlassungen multinationaler Konzerne, forschende Pharmaunternehmen, Generikaproduzenten, Lohnfertiger sowie kleine Firmen aus dem Biotechnologiebereich. Die
Pharmaindustrie ist einerseits vergleichsweise konjunkturunabhängig, andererseits aber von gesundheitspolitischen Vorgaben und Regulierungen beeinflusst.
Die Produktion in der Pharmazeutischen Industrie ist bis 2008 herausragend
gewachsen, was sich vor allen Dingen auf starke Zuwächse bei pharmazeutischen Spezialitäten und sonstigen Erzeugnissen (i. W. Arzneimittel) zurückführen lässt. Seitdem stagniert die Produktion sowohl bei pharmazeutischen
Grundstoffen als auch bei Arzneimitteln. Dies hängt ausschließlich mit rückläufigen Umsätzen in Deutschland zusammen. Hingegen sind die Auslandsumsätze deutlich gestiegen. Somit wird ein immer größerer Anteil des Gesamtumsatzes im Ausland erzielt: War das Verhältnis im Jahr 2000 zwischen Inlands- und
Auslandsumsatz noch ausglichen, so hat es sich 2012 deutlich zugunsten des
Auslandsgeschäfts verschoben (2:1).
204
61
Die Pharmazeutische Industrie
Aufgrund der hohen Abhängigkeit von Innovationen investieren Pharmaunternehmen große Summen in die Entwicklung neuer Wirkstoffe und Produkte.
Während die Branche in Deutschland bei Umsätzen und Beschäftigung lediglich
gut 2 % des Verarbeitenden Gewerbes ausmacht, entfallen fast 10 % der gesamten FuE-Ausgaben und fast 7 % des gesamten deutschen FuE-Personals auf die
Pharmaindustrie. Damit erreicht die FuE-Ausgabenintensität mit 18 % im Branchenvergleich einen herausragenden Spitzenwert und ist im Gegensatz zu den
anderen großen Kernbranchen in Deutschland in jüngerer Zeit nochmals gestiegen. Dies unterstreicht die hohe und weiter steigende Bedeutung von Forschung und Entwicklung für die Branche. Im internationalen Vergleich steht
Deutschland in Bezug auf die FuE-Intensität auf Rang 6. Platz 1 und 2 belegen
Großbritannien und die USA.
Das Beschäftigungsniveau in der deutschen Pharmaindustrie ist im Zeitablauf
nahezu stabil geblieben und hat sich damit günstiger entwickelt als die meisten
anderen Industriebranchen. Aufgrund der großen Bedeutung von FuE ist der
Akademikeranteil ausgesprochen hoch (23 %) und im Trend weiter zunehmend.
Fast 50 % der Beschäftigten sind Frauen und auch der Anteil Teilzeitbeschäftigter ist annähernd doppelt so hoch wie der im Verarbeitenden Gewerbe insgesamt. Auch in der Pharmabranche ist das Durchschnittsalter der Beschäftigten
in den letzten Jahren deutlich gestiegen, die Altersstruktur stellt sich jedoch
etwas günstiger dar als im Industriedurchschnitt.
Bezogen auf den Weltumsatz mit Arzneimitteln belegt Deutschland Platz 4 hinter den USA, Japan und China, das in den letzten Jahren deutlich nach vorn
gerückt ist. Dennoch entfallen noch immer mehr als drei Viertel des Weltumsatzes auf Nordamerika, Europa und Japan. Zudem belegt Deutschland mittlerweile Rang 1 unter den größten Exporteuren pharmazeutischer Produkte vor der
Schweiz. Da die deutschen Ausfuhren im letzten Jahrzehnt stärker gewachsen
sind als die Importe, ist der deutsche Außenhandelssaldo deutlich gestiegen.
205
62
Die Pharmazeutische Industrie
Herausforderungen und Trends
Insgesamt sind die globalen Wachstumsaussichten der Pharmabranche günstig, weil die Nachfrage nach pharmazeutischen Produkten aufgrund des demografischen Wandels, der expandierenden Weltbevölkerung und des zunehmenden Wohlstandes in Emerging Markets weiter steigen wird.
Allerdings erhöht sich aufgrund von Sparzwängen öffentlicher Haushalte der
Kostendruck im Gesundheitssystem. Gesetzliche Krankenkassen erstatten
zunehmend nur Teile der Arzneimittelkosten und bevorzugen preisgünstigere
Alternativen. Dies resultiert in einer höheren Selbstbeteiligung der Patienten
und fördert Generika wie auch Parallelimporte. Gemeinsam mit verschiedenen
Regulierungsmaßnahmen beeinflusst dies die Rahmenbedingungen und Entwicklungspotenziale der Pharmaindustrie.
Höhere Zulassungsanforderungen und eine höhere Komplexität der zu behandelnden Krankheiten haben zu einer Verringerung der FuE-Effizienz geführt.
3 Faktoren sind hierbei von Bedeutung: höhere Entwicklungskosten, eine längere Entwicklungsdauer und eine geringere Erfolgswahrscheinlichkeit. Diese
ergeben sich beispielsweise durch die Notwendigkeit zusätzlicher und umfangreicherer klinischer Studien. Dadurch verringert sich zum einen die Amortisationsdauer für die Entwicklungskosten; zum anderen sinkt die Erfolgswahrscheinlichkeit, sodass weniger Medikamente die Marktreife erreichen. Gerade
für forschende Pharmaunternehmen sind damit zusätzliche FuE-Risiken verbunden, die innovationshemmend wirken können. Die Unternehmen können
mit verschiedenen Innovationsstrategien auf die beschriebenen Entwicklungen
reagieren. Zum Beispiel könnte es von Vorteil sein, sich nicht auf einzelne »Blockbuster« zu konzentrieren, sondern das FuE-Risiko über Produktdiversifizierung
zu reduzieren oder aber auf bestimmte Nischen zu setzen, in denen es bisher
nur wenige Medikamente gibt. Auch FuE-Kooperationen fördern den Zugang zu
Wissen und können so zu einer Kostenersparnis beitragen.
206
63
Die Pharmazeutische Industrie
Im Allgemeinen werden zukünftige Forschungsschwerpunkte im Bereich Onkologie, Infektionskrankheiten, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes sowie
Schlaganfall- und anderen Thromboseerkrankungen gesehen. Darüber hinaus
spielen neue Behandlungsmethoden bei Alterskrankheiten eine wichtige Rolle.
In diesem Zusammenhang ist auch Forschung im Bereich Biotechnologie von
großer Bedeutung, da Biopharmazeutika hier besonders wirksam sind. Vor dem
Hintergrund des demografischen Wandels ist deshalb von einer zukünftig steigenden Nachfrage und weiteren Innovationen in diesem Bereich auszugehen.
Auch viele Spezialmedikamente werden heute schon auf Grundlage von Biotechnologie produziert. Die Biotechnologieforschung großer deutscher Pharmaunternehmen findet aufgrund früherer Vorbehalte gegenüber dieser Technologie in Deutschland weitgehend in den USA statt. In Deutschland gehen sie
häufig strategische Allianzen mit kleinen Biotech-Start-ups ein und kaufen diese im Erfolgsfall gegebenenfalls auf.
Während die Unternehmen der Pharmabranche in den gesundheitspolitischen
Entwicklungen in Deutschland gewisse Nachteile für ihre Wettbewerbsposition
am Standort Deutschland sehen, gibt es auf der anderen Seite mehrere Vorteile,
die für den Standort sprechen. Hierbei ist in erster Linie die Verfügbarkeit von
gut qualifiziertem Personal zu nennen. Hinzu kommen gute Forschungsbedingungen über Netzwerke mit Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen und anderen Unternehmen sowie auch insgesamt die bewährten
Verbundstrukturen zwischen den Herstellern pharmazeutischer Grundstoffe
und Spezialitäten (Medikamente).
Gerade durch die hohe Bedeutung von Fachkräften für Forschung und Innovation muss sich auch die Personalpolitik in der Pharmazeutischen Industrie auf
die Herausforderung der demografischen Entwicklung einstellen. Zwar ist die
Altersstruktur in der Branche weniger ungünstig als im Industriedurchschnitt
und die hohen Gehälter haben den Unternehmen schon immer Vorteile im
Wettbewerb um gut qualifiziertes Personal verschafft; dennoch muss auch die
Pharmabranche auf die veränderten Rahmenbedingungen reagieren. Um die
207
64
Die Pharmazeutische Industrie
Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten bis ins fortgeschrittene Alter zu erhalten,
sind kontinuierliche Investitionen in das bestehende Personal gefordert (lebenslanges Lernen, Gesundheitsvorsorge und -management, Motivation). Zudem
muss der Wissenstransfer zwischen ausscheidenden und nachrückenden Kräften gesichert werden. Auch wenn die Akademikerquote in der Branche herausragend hoch ist, verfügen 6 von 10 Beschäftigten über einen mittleren Berufsabschluss. Um dieses Beschäftigungssegment zu sichern, ist es wichtig, dass die
Ausbildungsanstrengungen der Pharmazeutischen Industrie erhalten bleiben
und die Unternehmen sich jungen Leuten gegenüber als attraktive Arbeitgeber
präsentieren. Hierbei spielen aus Sicht potenzieller Bewerber neben monetären
Anreizen zunehmend auch Aspekte wie Arbeitszeitmodelle, betriebliche Vorruhestandsregelungen etc. eine immer wichtigere Rolle. Die hohe Frauenquote in
der Pharmazeutischen Industrie lässt vermuten, dass die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf hier besonders wichtig ist. Entsprechende Maßnahmen
lassen sich von größeren Unternehmen oftmals einfacher realisieren. Hier sind
von Unternehmens- und Mitbestimmungsseite gemeinsam innovative Lösungsansätze zu entwickeln.
208
65
Die Pharmazeutische Industrie
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70
Anhang
Methodische Erläuterungen
Innerhalb der Pharmazeutischen Industrie spielen multinationale Konzerne
eine besondere Rolle. Diese können aus mehreren Unternehmen bestehen, die
sich wiederum aus Betrieben und fachlichen Betriebsteilen zusammensetzen.
Insofern bilden letztere die beste Analyseebene für die möglichst enge Abgrenzung der Pharmaindustrie, weil die statistische Zuordnung zu einem Wirtschaftszweig stets nach dem Schwerpunktprinzip erfolgt. Allerdings werden
diese Daten seit 2007 nur mehr für fachliche Betriebsteile ab 50 und nicht mehr
ab 20 Beschäftigte erhoben. Deshalb wird für die Beobachtung längerfristiger
Entwicklungen zumeist die Ebene von Betrieben (ab 20 Beschäftigte) gewählt.
Für den Pharmabereich ergeben sich auf Betriebsebene bedingt durch Schwerpunktwechsel großer Konzernbetriebe zwischen Chemie und Pharma jedoch
zum Teil extreme Ausschläge für einzelne Jahre, die nicht auf reale Entwicklungen, sondern lediglich auf organisatorische Veränderungen zurückzuführen
sind. Da diese Entwicklungen
Die Pharmazeutische
Industrie
bei den »enger« zuzuordnenden fachlichen
Betriebsteilen weniger stark durchschlagen, wird im Folgenden trotz des
beschriebenen Bruchs im Berichtskreis diese Analyseebene gewählt.
Tabellen und Abbildungen
Tabelle A 1: Kennzahlen der Pharmazeutischen Industrie
Kennzahlen der
pharmazeutischen
Industrie
WZ 03
Jahresdurchschnitt
Veränderung
WZ 08
2000
2008
2008
2012
21,0
31,8
29,0
31,3
5,3
1,9
Inlandsanteil (in %)
51,5
43,9
39,9
32,3
3,3
-3,3
Auslandsanteil (in %)
48,5
56,1
60,1
67,7
7,3
4,9
1,9
2,3
2,1
2,3
114,0
112,8
105,8
104,7
-0,1
-0,3
1,9
2,2
2,1
2,1
Umsatz (in Mrd.)
Anteil am Verarbeitenden Gewerbe (in %)
Tätige Personen (in Tsd.)
Anteil am Verarbeitenden Gewerbe (in %)
2000–2008 2008–2012
Quelle: Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes. Fachliche Betriebsteile, für die Jahre
2000–2007 ab 20 Beschäftigte, für 2008–2012 ab 50 Beschäftigte.
Abbildung A 1: Verteilung von Betrieben, Beschäftigten und Umsatz des
Verarbeitenden Gewerbes nach Beschäftigtengrößenklassen
Abbildung A 1 Verteilung von Betrieben, Beschäftigten und Umsatz des Verarbeitenden Ge
er
50
48,8
Betriebe
213
71
Inlandsanteil (in %)
51,5
43,9
39,9
32,3
3,3
-3,3
Auslandsanteil (in %)
48,5
56,1
60,1
67,7
7,3
4,9
1,9
2,3
2,1
2,3
114,0
112,8
105,8
104,7
-0,1
-0,3
1,9
2,2
2,1
2,1
Anteil amIndustrie
VerarbeitenDie Pharmazeutische
den Gewerbe (in %)
Tätige Personen (in Tsd.)
Anteil am Verarbeitenden Gewerbe (in %)
Quelle: Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes. Fachliche Betriebsteile, für die Jahre
2000–2007 ab 20 Beschäftigte, für 2008–2012 ab 50 Beschäftigte.
Abbildung A 1: Verteilung von Betrieben, Beschäftigten und Umsatz des
Verarbeitenden Gewerbes nach Beschäftigtengrößenklassen
Abbildung A 1 Verteilung von Betrieben, Beschäftigten und Umsatz des Verarbeitenden Ge
Anteil an allen Betrieben / Beschäftigten / Umsätzen in der
Branche (in %)
50
48,8
Betriebe
Beschäftigte
Umsatz
45
40
40,4
35
30
27,5
25
23,0
20,6
18,0
16,6
20
15
15,4
12,4 12,8
11,8
10,8
10
15,9
7,7
6,1
6,2
5
2,6
1,4
0
< 50
50 < 100
100 < 250
250 < 500
500 < 1000
> 1000
Anzahl der Beschäftigten
Quelle: Statistisches Bundesamt (2012): Jahresbericht für Betriebe im Verarbeitenden Gewerbe,
Wiesbaden 2013.
Tabelle A 2: Deutsche Exporte und Importe 2002 und 2011 (in Mrd. US-$)
Exporte
214
Importe
2002
2011
2011
Mrd.
US-$
Anteil
in %
Mrd.
US-$
Anteil
in %
Mrd.
US-$
Anteil
in %
Mrd.
US-$
Anteil
in %
EU-15
7,5
46,3
38,8
56,5
12,5
77,1
28,3
58,1
EU-27
8,4
52,3
42,4
61,7
12,6
77,5
30,1
61,8
anderes Europa
2,5
15,4
8,5
12,4
1,4
8,6
7,3
15,0
Afrika
0,2
1,1
0,6
0,9
0,0
0,0
0,0
0,0
Naher/Mittlerer
Osten
0,4
2,6
1,7
2,5
0,3
2,0
0,3
0,6
übriges Asien
1,3
7,9
4,7
6,9
0,2
1,3
1,4
2,8
Südamerika
0,2
1,5
1,3
1,8
0,0
0,0
0,1
0,3
Zentralamerika
0,1
0,9
0,7
1,0
0,0
0,0
0,1
0,2
Nordamerika
2,7
16,8
7,8
11,4
1,7
10,5
9,3
19,1
Ozeanien
0,2
1,5
0,9
1,3
0,0
0,1
0,1
0,2
Nicht
zugeordnet
0,0
0,1
0,0
0,1
0,0
0,0
0,0
0,0
Insgesamt
16,1
100,0
68,7
100,0
16,2
100,0
48,6
100,0
Quelle: Comtrade Database. Berechnungen des NIW.
72
2002
Michael Vassiliadis
Industriepolitik für den Fortschritt
Erfolgsfaktoren und Herausforderungen für den
Industriestandort Deutschland
Industrieorientierte Volkswirtschaft mit
spezifischen Erfolgsfaktoren
Den Industriestandort Deutschland zukunftsfest
machen – Die Herausforderungen
Merkmale einer fortschrittlichen Industriepolitik
Michael Vassiliadis
Michael Vassiliadis
12
74
Vor nicht allzu langer Zeit hob ein »Mainstream« aus Politik und Wissenschaft
zum Abgesang auf den Industriestandort Deutschland an. Dieser Abgesang ist
verstummt. Die deutsche Volkswirtschaft ist eines der wenigen »Schiffe« in
Europa, das nach der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 wieder
Fahrt aufgenommen hat. Die starke Maschine dieses Schiffs ist die Industrie.
Ohne eine kraftvolle Maschine kann keine Überfahrt gelingen, geschweige denn
der Tanker manövriert werden.
Der vorliegende Beitrag will beleuchten, warum sich das deutsche »Schiff« mit
seiner starken Maschine auf vergleichsweise »guter Fahrt« befindet. Gleichzeitig sollen die Herausforderungen aufgezeigt werden, die es auf seiner Fahrt in
die Zukunft zu bewältigen hat. Abschließend werden industriepolitische Vorschläge zur Wartung und zur Leistungssteigerung des Motors vorgestellt.
Die Branchen der IG BCE – Kraftstoffe für den Leistungsmotor Industrie
Die in diesem Band vorgestellten Branchen sind wichtige Stützen der deutschen
Industrie. Sie tragen – zusammen mit den weiteren Industriesektoren, in denen
die IG BCE tarif- und industriepolitische Verantwortung übernimmt – wesentlich
zur Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft bei. Insgesamt umfasst der
Organisationsbereich der IG BCE rund eine Million Beschäftigte in verschiedenartigen und doch untereinander verflochtenen Industriezweigen. Legt man die
Klassifikation der Wirtschaftszweige der offiziellen Statistik zugrunde, vertritt
die IG BCE Mitglieder in 10 Hauptwirtschaftszweigen mit 26 Untersektoren.
Trotz der Vielfalt zeichnen sich die von der IG BCE vertretenen Branchen durch
eine Reihe von Gemeinsamkeiten aus. Fast alle bewegen sich in einem zunehmend stärker werdenden international geprägten Wettbewerbsumfeld. Sie sind
abhängig von den industrie- und energiepolitischen Rahmensetzungen der
deutschen und europäischen Politik. Gleichzeitig befinden sie sich in unterschiedlicher Intensität im strukturellen Wandel.
Die Branchen der IG BCE konnten nach der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 an ihre gute wirtschaftliche Entwicklung der Zeiten vor Krisenbeginn anknüpfen. Der wirtschaftliche Erholungsprozess nach der schweren
konjunkturellen Krise 2008/2009 wurde durch die pragmatisch funktionierende
Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern, Betriebsräten und Gewerkschaften
13
75
Michael Vassiliadis
Michael Vassiliadis
entscheidend befördert. Dies ist zu Recht inzwischen im öffentlichen Bewusstsein verankert. Unterstützt durch eine beschäftigungssichernde aktive Arbeitsmarktpolitik des Staates konnten die deutschen Unternehmen ihre Beschäftigungszahlen weitgehend halten und so früher von der konjunkturellen Erholung profitieren als andere Länder in Europa.
Insgesamt haben die IG BCE-Branchen mit der weiteren Industrie in den letzten
Jahren eine wirtschaftliche Dynamik entwickelt, die entscheidend dazu beigetragen hat, dass sich die deutsche Volkswirtschaft im zunehmenden internationalen Wettbewerb behaupten kann.
1. Industrieorientierte Volkswirtschaft mit spezifischen Erfolgsfaktoren
Der Erfolg der deutschen Volkswirtschaft beruht auf bestimmten Elementen, die
es wert sind, in Erinnerung gerufen zu werden. Diese einzelnen Elemente entfalten ihre ganze Wirkung erst dadurch, dass sie sich ergänzen und wechselseitig
bedingen. Eine fortschrittliche Industriepolitik hat sich der Komplementarität
dieser Erfolgsfaktoren bewusst zu sein, genauso wie sie sich der aktuellen und
zukünftigen Herausforderungen bewusst sein muss. Deutschland ist mit seinen
rund 80 Millionen Menschen die größte Volkswirtschaft in der Europäischen Union. Mit dem höchsten Bruttoinlandsprodukt und der größten Einwohnerzahl in
der Europäischen Union ist Deutschland auch der wichtigste Markt in Europa.
Nach den USA, China und Japan ist es weiterhin die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt. Der große Markt und die leistungsfähige Wirtschaft machen
Deutschland zu einem attraktiven Standort für ausländische Investoren.
Die Industrie ist der Leistungsmotor der deutschen Volkswirtschaft. Dabei bilden große international agierende Industriekonzerne zusammen mit dem
industriellen Mittelstand den Kern. Ihre Stärke zeigt die deutsche Industrie
durch ihre Exportfähigkeit. Über lange Zeiträume hatte Deutschland so viele
Waren und Güter ins Ausland ausgeführt wie kein anderes Land der Welt. Erst
2009 übernahm China die Position des Exportweltmeisters. 2012 fiel Deutschland sogar auf Platz drei – hinter die USA.
14
76
Ist der aktuelle »Rückfall« auf den dritten Platz ein Alarmzeichen? Und sind die
Exporterfolge anderer Länder Zeichen einer beginnenden Schwäche Deutschlands? Aus meiner Sicht nicht. Dagegen sprechen die weiterhin hohen Außenhandelsüberschüsse und die traditionell hohe Einbindung der deutschen Wirtschaft in die Weltwirtschaft. So sind die Exporte in Deutschland auch 2012
stärker als die Wirtschaftsleistung gestiegen. Deutschland profitiert dabei von
den dynamischen Wachstumsprozessen in Asien und auch in Südamerika.
Hoher Industrieanteil mit funktionierenden industriellen
Wertschöpfungsketten
Die Produktion hochwertiger Güter und Anlagen ist eine traditionelle Domäne
unseres Landes. Wohlstand und Beschäftigung hängen deshalb – mehr noch als
in anderen Ländern – weitgehend von der Industrie ab. Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung lag OECD-Erhebungen zufolge 2011
hierzulande mit 23 % weit über dem EU-Durchschnitt von rund 15 %. Diese vergleichsweise große Bedeutung der Industrie ist ein Charakteristikum der deutschen Wirtschaft mit den darauf aufbauenden komparativen Vorteilen. Dazu zählen vollständige und intakte industrielle Wertschöpfungsketten. Deutschland
verfügt noch über starke Unternehmen, die rohstoff- und werkstoffnahe Tätigkeiten ausüben. Es gibt Unternehmen, die sich auf die Zulieferung von Komponenten spezialisiert haben, große Unternehmen, in denen diese einzelnen Komponenten zu komplexem Produkten wie Autos gefertigt werden, und Unternehmen,
in denen die erforderlichen vor- und nachgelagerten Dienstleistungen erbracht
werden. Ergänzt und verstärkt werden die Wertschöpfungsketten durch leistungsfähige regionale Clusterstrukturen mit einem produktiven Mix aus innovativen Klein-, Mittel- und Großunternehmen sowie Forschungseinrichtungen.
15
77
Michael Vassiliadis
Michael Vassiliadis
Produktive Verzahnung von Industrie und Dienstleistungen
Wie in allen entwickelten Volkswirtschaften gewinnen Dienstleistungen an
Bedeutung und immer mehr Menschen finden dort Beschäftigung. Nimmt man
die amtliche Statistik, so arbeiten in Deutschland mittlerweile über 70 % aller
Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor, während nur ca. 25 % im produzierenden Sektor tätig sind. Doch ist dieser Rückgang kein Beleg für eine abnehmende
Bedeutung der Industrie. Gerade in Deutschland mit seiner starken industriellen Basis sind viele Dienstleistungen eng mit der Industrie verbunden und von
ihr abhängig. Etliche jetzt selbstständige Dienstleistungsunternehmen sind
Ergebnisse von Outsourcingprozessen einzelner Industriekonzerne und hängen
weitgehend von der Industrieproduktion ab.
Zunehmende Kundenorientierung und wachsende Nachfrage nach Komplettlösungen und maßgeschneiderten Produkten erhöhen den Anteil der Dienstleistungen an der industriellen Produktion. Dabei ersetzen die von den Industrieunternehmen angebotenen Dienstleistungen keine Industrieprodukte, sondern werden um die einzelnen Produkte herum entwickelt und komplettieren
das Angebot. Schon im Jahr 2002 waren laut einer OECD-Studie 40 % der
Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe in den entwickelten Industrieländern mit Dienstleistungstätigkeiten beschäftigt. Im Zuge der wissenschaftlichen und technologischen Entwicklung werden sogenannte wissensnahe
Dienstleistungen immer bedeutender. Diese auch als hybrid bezeichneten
Wertschöpfungsketten bieten Potenziale für die industriellen Branchen auf
weitere Produktivitätsfortschritte und neue Produkte. Sie stärken die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie für die Zukunft.
Starke Kern- bzw. Schlüsselindustrien!
Zwar sind die Begriffe Kern- oder Schlüsselindustrien nicht klar definiert;
gemeinhin bezeichnet jeder Staat aber diejenigen Industrien als seine Kernindustrien, die einen großen Teil der Wertschöpfung und Beschäftigung ausmachen
16
78
und darüber hinaus auch eng mit anderen Branchen verflochten sind. Wenn
man aus diesem Blickwinkel heraus auf Deutschland schaut, stehen die Fahrzeugindustrie zusammen mit dem Maschinenbau an erster und zweiter Stelle.
Als dritte deutsche Kernbranche ist die Chemieindustrie zu nennen. Zwar arbeiten in der Metall- und Elektroindustrie deutlich mehr Menschen als in der Chemiebranche, aber für den deutschen Export ist die Chemiesparte besonders
relevant. Zu den größten Unternehmen zählen BASF und Evonik. Die Chemieindustrie in Deutschland zeichnet sich durch eine ganze Reihe weiterer deutscher und internationaler Unternehmen aus. In dieser Branche ist Deutschland
immer noch Exportweltmeister.
Neben diesen Leitsektoren verfügt Deutschland zusätzlich über weitere leistungsfähige industrielle Branchen. Diese stehen zwar in der Regel nicht im
Fokus der Öffentlichkeit, tragen aber entscheidend zur Wettbewerbsfähigkeit
der gesamten deutschen Volkswirtschaft bei. Die Elektro- und Optikindustrie,
die Medizingeräteindustrie, die pharmazeutische Industrie und die Kunststoff
verarbeitende Industrie sind nur einige Beispiele, einer großen Bandbreite. Aber
auch die Glas- und Keramikindustrie, die Papierindustrie und weitere Branchen
sind wichtige Promotoren der deutschen Volkswirtschaft.
Vielfältige Unternehmensstrukturen
Deutschland hat eine sehr vielfältige und breite Unternehmenslandschaft.
Neben den großen Unternehmen, wie die bekannten Automobilhersteller und
Chemieunternehmen, leisten kleinere und mittlere Unternehmen wichtige Beiträge zur Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft. Der sogenannte
»German Mittelstand« ist im internationalen Vergleich besonders im Industriebereich präsent. Fast ein Viertel aller Beschäftigten der kleinen und mittleren
Unternehmen arbeitet in der Industrie.
17
79
Michael Vassiliadis
Michael Vassiliadis
Hohe Innovationsfähigkeit und technologische Leistungsfähigkeit
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die stabile Entwicklung der deutschen Wirtschaft sind verstärkte Investitionen von Wirtschaft und öffentlicher Hand in Forschung und Entwicklung. Deutschland hatte in den letzten Jahrzehnten im
Schnitt 2,5 % des Bruttoinlandsproduktes für Wissenschaft und Forschung ausgegeben. In den Jahren nach der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise
2008/2009 hat Deutschland das selbst gesetzte Ziel, 3 % des Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Entwicklung aufzuwenden, fast erreicht. Es ist daher
nur folgerichtig, in Zukunft über dieses Ziel hinauszugehen und für 2020 mindestens 3,5 % des Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Entwicklung
bereitzustellen.
Auch die Unternehmen in Deutschland nehmen immer mehr Geld in die Hand,
um ihre Wettbewerbsfähigkeit durch neue Produkte zu sichern. Sie dürften ihre
Innovationsausgaben 2012 wohl auf rund 138 Mrd. Euro gesteigert haben.
Dieser Betrag umfasst mehr als die reinen Kosten für Forschung und Entwicklung. Hier gehen zusätzliche Ausgaben für Maschinen, Geräte, Software, Weiterbildung, Marketing, Design und sonstige Aktivitäten in die Entwicklung und
Einführung von Produkt- und Prozessinnovationen ein. Dabei konzentrierte sich
die Zunahme überwiegend auf Großunternehmen. Besonders stark steigerten
in den letzten Jahren die forschungsintensiven Betriebe der industriellen Leitsektoren ihre Innovationsanstrengungen, zum Beispiel der Fahrzeugbau, die
Elektroindustrie und die Chemieindustrie. Aber auch die Pharmaindustrie und
der Maschinenbau verzeichneten höhere Forschungs- und Entwicklungsausgaben.
Leider halten sich kleine und mittlere Firmen bei der Steigerung ihrer Innovationsausgaben zurück. Der Anteil der Unternehmen, die Innovationen eingeführt haben, ist hier teilweise sogar auf unter 40 % gesunken. Auch deshalb
setzt sich die IG BCE für die Einführung einer steuerlichen Forschungsförderung
ein, wie sie in anderen Ländern der Welt üblich ist.
18
80
Unterstützt wird die Industrie durch eine ausgezeichnete Grundlagenforschung. In einigen Forschungsbereichen fehlt zwar im internationalen Vergleich
die Exzellenz, aber in ihrer Breite und ihrer Qualität gehört die deutsche Grundlagenforschung nach wie vor zur internationalen Spitze. Die grundlegende Wissenserweiterung und Schaffung der Voraussetzungen neuer Erkenntnisse findet in Deutschland vorwiegend in großen Forschungsinstitutionen, wie der
Helmholtz-Gemeinschaft, der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder der
Max-Planck-Gesellschaft statt. Aber auch die deutschen Universitäten betreiben
Grundlagenforschung.
Stärke: Qualitätsproduktion
Qualitätsproduktion und entsprechend hochwertige Produkte sind ein zentrales Markenzeichen der deutschen Industrie. Die Qualität, sowohl der im Inland
als zunehmend auch der im Ausland gefertigten Produkte deutscher Unternehmen, festigt die Wettbewerbsfähigkeit. Die deutschen Industrieunternehmen
sind aktuell in der Lage, sich durch ihr Angebot von ihren Wettbewerbern abzusetzen. Ihre Produkte können durch technologische Qualität und Vielfalt an Leistungsmerkmalen hervorstechen. Dafür können die deutschen Unternehmen
auf den Märkten vielfach höhere Preise als ihre Mitbewerber durchsetzen. Diese
Qualitätsproduktion ist aus meiner Sicht gebunden an die spezifischen industriellen Arbeitsbeziehungen, an das sogenannte »deutsche Modell«. Zu diesen
Arbeitsbeziehungen gehört ein spezifisches, wie leistungsfähiges Bildungssystem, um die Betriebe mit qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu
versorgen. Hinzukommen ausgebaute betriebliche Beziehungen zwischen dem
Management und den Beschäftigten. Damit wird ein Regime geschaffen, welches die hohe Motivation und Flexibilität der Beschäftigten mit qualitativ hochwertiger Industriearbeit und guten Löhnen verbindet. Im Zuge der wachsenden
Auslandsexpansion gelingt es vielen deutschen Unternehmen, diese Qualitätsproduktion auch auf ihre Produktionsstandorte außerhalb Deutschlands zu
exportieren.
19
81
Michael Vassiliadis
Michael Vassiliadis
Effiziente berufliche Ausbildung
Das deutsche duale System der Berufsausbildung unterscheidet sich deutlich
von fast allen anderen europäischen Berufsbildungssystemen. Im Kern verbindet es Arbeit und betriebliche Ausbildung im Unternehmen mit schulischem
Lernen in der staatlichen Berufsschule. In jüngster Zeit kann festgestellt werden, dass das arbeitsintegrierte Lernen in Europa angesichts hoher Jugendarbeitslosigkeit auf immer größeres Interesse stößt. Es führt nicht nur zu einer
hohen fachlichen Qualifikation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Junge Menschen, die diese Ausbildung durchlaufen, weisen eine hohe Identifikation mit ihrer Arbeit und ihrem Unternehmen aus. Es ist kein Pathos, wenn man
in Deutschland vom »Facharbeiterethos« spricht. Gemeint sind damit Motivation, Zielstrebigkeit, Verantwortungsbewusstsein und die Bereitschaft, Veränderungen wie auch Verbesserungen von Produkten und Prozessen mitzutragen.
Zusammen mit den qualitativ hochwertigen Studiengängen der naturwissenschaftlich-technischen Hoch- und Fachhochschulen garantiert die duale
Ausbildung der deutschen Industrie hoch qualifizierte Facharbeiter und Facharbeiterinnen, Ingenieure und Ingenieurinnen, Naturwissenschaftler und Naturwissenschaftlerinnen. Diese Zweige nehmen im deutschen Bildungssystem
eine zentrale Rolle ein. Ob sie auch weiterhin diese Bedeutung haben können,
wird entscheidend davon abhängen, ob sich zukünftig noch genügend junge
Menschen finden werden, um eine berufliche Ausbildung oder ein technischnaturwissenschaftliches Studium zu absolvieren. Die demografische Entwicklung wird auch hier Herausforderungen mit sich bringen.
Hohe Motivation der Beschäftigten und effektive Mitbestimmung
Das duale System der Berufsausbildung ist eingebettet in und verbunden mit
der Mitbestimmung der Beschäftigten und ihren Interessenvertretungen. Das
Zusammenwirken von Ausbildungssystem, entwickelten Mitbestimmungsstrukturen und funktionierenden sozialstaatlichen Institutionen hat entschei-
20
82
dend dazu beigetragen, die deutsche Industrie erfolgreich an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen. Es hat wichtige Beiträge geleistet, um sich im
internationalen Wettbewerb zu behaupten. Die These, die deutsche Mitbestimmung und die Gewerkschaften wären in Zeiten zunehmender Globalisierung
nicht mehr zeitgerecht, hat spätestens mit der durch die Mitbestimmung
bewältigten Krise 2008/2009 ihre letzten Fürsprecher verloren. Zunehmend
wird anerkannt, dass die durch Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände ausgehandelten Flächentarifverträge einen positiven Einfluss auf die Entwicklung der
Arbeitsproduktivität und Einkommen haben. Durch Mitwirkung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie Gewerkschaften werden die Beschäftigten
und ihre Vertreter in die Unternehmensverantwortung eingebunden sowie
betriebliche Konflikte vermieden. Die Mitbestimmung bewirkt Vertrauen, Loyalität und hohe Motivation bei den Beschäftigten.
Es ist dieses Arrangement, auf dem die technologisch anspruchsvolle Qualitätsproduktion und Exportstärke der deutschen Volkswirtschaft beruhen. Und es
sind gute Voraussetzungen, auch in der Zukunft im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Die Märkte, in denen sich deutsche Unternehmen
bewegen, zeichnen sich durch hohe Dynamik, vielschichtige Produkte, komplexe Prozesse und immer schneller werdende Innovationszyklen aus. Die im Zuge
der Entwicklung von Verkäufer- zu Käufermärkten zunehmende Differenzierung
der Kundenbedürfnisse erfordert neue Anstrengungen, Kunden an sich zu binden. Gleichzeitig wächst mit den kürzer werdenden Innovationszyklen und den
daraus entstehenden neuen Produkten der Anspruch an die Organisation der
gesamten Zulieferketten.
Um diese Herausforderungen zu beherrschen, braucht man künftig noch mehr
Informationen und Wissen. Die Generierung und Aufbereitung von Wissen
sowie die Beherrschung von Informationssystemen werden demnach entscheidende Schlüssel zum Erfolg sein. Damit rücken die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch stärker ins Zentrum unternehmerischer Überlegungen. Trotz aller
modernen Informations- und Kommunikationstechnologien werden nur die
21
83
Michael Vassiliadis
Michael Vassiliadis
Unternehmen erfolgreich sein, die den Kampf um die »besten Köpfe« gewinnen
und ihre Belegschaft wirklich »mitnehmen«. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und der höheren Anforderungen seitens der Märkte ist
daher aus meiner Sicht eine moderne Personalpolitik der Unternehmen von
existenzieller Bedeutung. Der wirtschaftliche Erfolg wird künftig noch stärker
von der Qualifikation, der Leistungsbereitschaft und Motivation der Beschäftigten abhängen. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden diese Erwartungen nur erfüllen, wenn die Unternehmen deren Partizipationsansprüche akzeptieren. Dazu gehört in Deutschland die Mitbestimmung in Betrieben und
Unternehmen.
Kurz und ergänzend lassen sich die Erfolgsfaktoren der deutschen Volkswirtschaft wie folgt zusammenfassen:
• Deutschland verfügt über ein breites Branchenspektrum und intakte Wertschöpfungsketten.
• Die ausgewogene Struktur der Unternehmen mit Großunternehmen und vielen leistungsfähigen kleinen und mittleren Unternehmen führt zu dichten
industriellen Netzwerken.
• Nicht nur, aber vor allem die industriellen Leitsektoren verfügen über eine
hohe Innovationsfähigkeit.
• Die deutsche Industrie verfügt über starke Kompetenzen im Bereich hochwertiger Technologien.
• Etliche mittelständische Unternehmen sind Weltmarktführer in ihren jeweiligen Märkten.
• Deutschland verfügt über eine leistungsfähige Versorgungs-, Verkehrs- und
Telekommunikationsinfrastruktur und eine differenzierte und leistungsfähige Forschungslandschaft. Im Bereich der Infrastruktur besteht hoher Investitionsbedarf.
• Hoch qualifizierte und motivierte Ingenieurinnen und Ingenieure und Fachkräfte garantieren hohe Produktivität, Produktqualität und Problemlösungskompetenz in der Industrie.
22
84
• Durch die anspruchsvolle Umweltschutzpolitik ist die deutsche Industrie in
den Bereichen der Ressourceneffizienz sowie Umwelt- und Klimatechnologien führend.
• Mitbestimmung und Flächentarifverträge sind Voraussetzung und Bedingung der exportorientierten Qualitätsproduktion Deutschlands.
2. Den Industriestandort Deutschland zukunftsfest machen –
Die Herausforderungen
Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. Zwar hat Deutschland bislang Antworten auf die zunehmende Internationalisierung und den Strukturwandel gefunden; dennoch steht Deutschland vor einer ganzen Reihe aktueller und längerfristiger Herausforderungen. Ich will sieben Punkte kurz benennen, die aus
meiner Sicht in den Fokus von Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften gehören.
Diese können hier nur skizziert werden.
Energiewende gestalten
Die deutsche Regierung hat bekanntlich beschlossen, aus der Kernenergie auszusteigen. Acht Kernkraftwerke sind bereits vom Netz genommen worden. Bis
zum Jahr 2022 sollen die verbleibenden neun folgen. Gleichzeitig verfolgt die
Politik in Deutschland ehrgeizige Klimaschutzziele. Man kann also zu Recht von
einer umfassenden Energiewende sprechen. Deutschland steht damit augenblicklich vor einer gewaltigen Zukunftsaufgabe. Zu bewältigen ist diese Aufgabe
nur, wenn es zu einer übergreifenden Zusammenarbeit und Abstimmung an
der Schnittstelle von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik kommt. Dazu bedarf
es einer intelligenten politischen Steuerung und Entscheidungsbereitschaft.
Leider sind wir davon aktuell weit entfernt. Die Energiekosten in Deutschland
steigen, speziell weil die Kosten für die Förderung der erneuerbaren Energien
aus dem Ruder laufen. Die Energiepreise stellen einen wichtigen Wettbewerbsfaktor für Deutschland im internationalen Wettbewerb dar. Durch die intakten
23
85
Michael Vassiliadis
Michael Vassiliadis
Wertschöpfungsketten verfügt das Land noch über eine bedeutende Grundstoffindustrie. Sie hat einen hohen Energiebedarf. In den energieintensiven
Industrien Deutschlands gibt es rund 830.000 Arbeitsplätze, die von bezahlbaren Energiepreisen abhängig sind. Zurzeit bewegt sich hier viel in die falsche
Richtung. Aus meiner Sicht wird die Energiewende nur mit Innovationen und
Investitionen der Industrie gelingen. Deutschland hat eigentlich alles, was
benötigt wird, um eine neue Energieversorgung aufzubauen: eine starke industrielle Basis, leistungsfähige Technologien, zukunftsorientierte Unternehmen
und leistungsfähige Belegschaften. Es fehlt aber an der notwendigen politischen Steuerung und an der Einsicht, dass dieser Prozess nur mit einer wettbewerbsfähigen und innovativen Industrie gelingen kann.
Eurokrise bewältigen – Europa zukunftsfest machen!
Die deutsche Wirtschaft konnte in den letzten Jahren ihre Exportabhängigkeit
vom europäischen Wirtschaftsraum verringern. Der Grund dafür liegt in der
steigenden Nachfrage nach deutschen Gütern und Waren in den aufstrebenden
Volkswirtschaften, vor allem in Asien und Südamerika. Insbesondere der Markt
in China hat in den letzten Jahren erheblich zum Exportwachstum in Deutschland beigetragen. Dennoch ist die deutsche Wirtschaft weiterhin in hohem
Maße von Europa abhängig. Knapp 70 % der deutschen Exporte gehen in die
Länder der Europäischen Union, fast 40 % der deutschen Exporte allein in die
Eurozone. Einzelne Branchen sind noch weit stärker vom europäischen Wirtschaftsraum abhängig. Deutschland hat daher ein vitales Interesse, die Krise
des Euroraums zu überwinden. Ich bin nicht der Ansicht, dass dies mit der bislang praktizierten Politik gelingen kann. Wir brauchen eine andere Politik in
Europa. Das einseitige Sparen schadet am Ende auch der deutschen Exportbilanz. Konsolidierung muss durch Investitionen und Wachstum ergänzt werden.
Aber wir brauchen auch Strukturreformen in den Staaten der Europäischen Union und der europäischen Institutionen. Ausdrücklich will ich an dieser Stelle
darauf hinweisen, dass die Überwindung der Eurokrise auch aus politischen
24
86
Gründen gelingen muss. Trotz aller Widrigkeiten und der bestehenden Defizite
ist der europäische Integrationsprozess bislang ein Erfolg. Er hat Europa zusammengeführt und geeint, er hat soziale Stabilität und wirtschaftliches Wachstum gebracht. Es wäre fatal, wenn dieser Prozess ins Stocken geriete.
Fehlende Ordnung auf dem Arbeitsmarkt herstellen
Der wirtschaftliche Erfolg der exportorientierten deutschen Volkswirtschaft mit
ihrer Qualitätsproduktion war und ist untrennbar mit einer Arbeitsmarktordnung verbunden, die auf mitbestimmte und tariflich geregelte Arbeitsverhältnisse beruht. Diese Arbeitsmarktordnung führt zu wirtschaftlicher Effizienz
und gesellschaftlicher Solidarität. Seit Längerem sind im deutschen Arbeitsmarkt jedoch Entwicklungen zu beobachten, die diese Ordnung infrage stellen.
Diese Entwicklungen bedrohen auf längere Sicht unser erfolgreiches »Produktionsmodell«. Unsichere und schlecht bezahlte Tätigkeiten haben zugenommen, auch in den industriellen Branchen. Seit gut 15 Jahren gehört Deutschland
zu den OECD-Ländern, in denen Niedriglohnbeschäftigung am stärksten zugenommen hat.
Besonders hohe Anteile von Geringverdienern finden sich bei Minijobbern, Leiharbeitskräften, Jugendlichen unter 25 Jahren und befristet Beschäftigten. Oftmals gehen schlechte Einkommen mit hoher Beschäftigungsunsicherheit einher. Mehr als zwei Drittel der Geringverdienenden arbeiteten 2010 in Betrieben
ohne Tarifbindung. Dort wo Tarifverträge und Mitbestimmung ihre Wirkung
entfalten, zahlen sie sich für die Beschäftigten aus.
Aber auch aus ökonomischer Sicht ist eine neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt
unverzichtbar. Den zunehmenden internationalen Wettbewerb und den absehbaren Fachkräftemangel wird die deutsche Volkswirtschaft nicht mit schlechter
und billiger Arbeit bestehen können. Deutschland braucht eine neue Arbeitsmarktordnung nach dem Leitbild guter Arbeit.
25
87
Michael Vassiliadis
Michael Vassiliadis
Demografischen Wandel bewältigen
Der demografische Wandel ist einer der »Megatrends« des 21. Jahrhunderts. Er
wird die politische, soziale und ökonomische Situation, nicht nur in Deutschland, entscheidend verändern. In 25 Jahren wird jeder dritte Mensch in Deutschland über 60 Jahre alt sein. Dies ist ein dramatischer Strukturwandel der deutschen Bevölkerung. Die Alterung unserer Gesellschaft wird tief greifende
Auswirkungen auf die Alters- und Gesundheitsvorsorge haben. Sie ist zudem
eine Herausforderung an unser gesamtes Wirtschaftssystem, an den Arbeitsmarkt, die Produktion sowie den Kapital- und Immobilienmarkt unseres Landes.
Schon heute zeichnet sich ein Ingenieur- und Fachkräftemangel ab, der in
Deutschland zur Wachstumsbremse werden kann. Noch deutlicher wird diese
Tendenz ab 2020 werden, wenn die ersten geburtenstarken Jahrgänge in den
Ruhestand treten. Bereits jetzt versuchen Unternehmen verstärkt, ältere Ingenieurinnen/Ingenieure und Fachkräfte länger in den Firmen zu halten. Deutschland wird erhebliche Anstrengungen unternehmen müssen, um den Alterungsprozess der Bevölkerung zu bewältigen und den Wohlstand zu erhalten: Die
älteren Beschäftigten müssen durch Weiterbildung und eine entsprechende
Arbeitsplatzgestaltung befähigt werden, länger zu arbeiten. Und auch die
Arbeitsproduktivität muss vor dem Hintergrund der absehbaren demografischen Entwicklung gesteigert werden. Unsere Bildungspotenziale müssen entwickelt und besser ausgeschöpft werden, um mehr Menschen Zugang zu qualifizierten Tätigkeiten zu ermöglichen und damit ein ausreichendes Potenzial an
qualifizierten Arbeitskräften zu erhalten.
Bildungssystem verbessern
In Deutschland ist in den letzten Jahren eine lebhafte Debatte über die Leistungsfähigkeit des Bildungssystems geführt worden. Die sogenannten PISA-Berichte der OECD haben deutlich gemacht, dass Deutschland im Bereich der
Primärbildung viele Defizite aufweist und im internationalen Vergleich in nicht
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wenigen Fächern hinten liegt. Durch die Mängel im Bildungssystem verlieren
junge Menschen ihre Chancen und der Wirtschaft fehlen die notwendigen
Fachkräfte. Erschreckend hoch ist zum Beispiel die Anzahl der Schulabgänger
ohne einen Abschluss.
Auch die Fremdsprachenkompetenz deutscher Schülerinnen und Schüler liegt
beispielsweise weit hinter der aus Skandinavien zurück. Hohe Studienabbrecherquoten und für eine duale Berufsausbildung unzureichende Bildungsergebnisse der Hauptschulen belegen Ineffizienzen. Potenziale bei der Entstehung, Verbreitung und Anwendung von Wissen zu verschwenden, kann sich
eine Volkswirtschaft wie Deutschland nicht leisten. Als rohstoffarmes Hochlohnland können wir nur das Wissen und die Qualifikationen der Menschen in
die Waagschale werfen. Ich wehre mich dabei gegen die Forderung, Bildung sei
allein Aufgabe des Staates. Auch die Unternehmen haben hier eine hohe Verantwortung. Erfolgreiche Unternehmen bilden umfangreich aus und bilden ihre
Beschäftigten intensiv weiter.
Erste Verbesserungen in der schulischen Bildung zeichnen sich ab. Die Politik in
Deutschland hat begonnen, die erkannten Defizite zu bekämpfen. Weitere Verbesserungen im Bereich der Primärbildung sind erforderlich. Damit könnten
jungen Menschen mehr Chancen eröffnet und den Hochschulen sowie Unternehmen junge Menschen mit guter Allgemeinbildung zugeführt werden.
Akzeptanz für Technik schaffen
Die Deutschen sind nicht technikfeindlich. Im Gegenteil! Die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien werden in der ganzen Breite von
der Mehrzahl der Bevölkerung genutzt. Allerdings gibt es durchaus bedenkliche
Ablehnungsfronten und Akzeptanzprobleme bei industriellen Großprojekten
und bestimmten neuen Technologien. Wir sehen das aktuell bei den notwendigen Investitionen in Energienetze und erneuerbare Energien. Fragen der
Akzeptanz von Industrie, Forschung und neuen Technologien sind ernst zu nehmen und differenziert zu betrachten. So wäre es grundsätzlich verkehrt, Akzep-
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Michael Vassiliadis
Michael Vassiliadis
tanzprobleme mit Technikfeindlichkeit zu verwechseln. Letztere gibt es in
Deutschland meines Erachtens nicht. Festzustellen ist jedoch eine wachsende
Skepsis gegenüber sichtbaren und teilweise »spürbaren« Großprojekten. Jedoch
kann ein Industrieland wie Deutschland nicht auf industrielle oder infrastrukturelle Großprojekte verzichten. Es kann sich nicht leisten, neue Technologien und
Produkte zu erfinden und zu nutzen, diese aber nicht selbst zu produzieren.
Aus meiner Sicht sind Politik und Unternehmen aufgefordert, durch Information und Transparenz das erforderliche Maß an Akzeptanz und Vertrauen in
Industrie und neue Technologien herzustellen. Dies ist eine große Herausforderung, weil die Technik durch eine zunehmend stärkere »Verwissenschaftlichung« und Komplexität für Laien immer undurchschaubarer zu werden
scheint. Von der Politik muss gefordert werden, dass sie nicht kurzfristig opportunistisch vor dem Hintergrund der nächsten Wahlen entscheidet, sondern verantwortungsvoll die längerfristigen Wirkungen ihrer Entscheidungen im Auge
behält. Wenn es gelingt, den Menschen überzeugend darzulegen, dass die
Industrie bei der Bewältigung der globalen Herausforderungen, wie Ressourcen- und Klimaschutz, Ernährungs- und Energiebedarf, unverzichtbar ist, können die Akzeptanzprobleme abgebaut werden. Hierzu ist es erforderlich, die
Menschen über den Nutzen geplanter Projekte wie auch neuer Technologien
aufzuklären und davon zu überzeugen.
Nachhaltigkeit herstellen
Nachhaltigkeitsfragen spielen in Deutschland, aufgrund des erreichten Wohlstandsniveaus und der damit verbundenen erhöhten Bedeutung immaterieller
oder postmaterieller Werte, eine besondere Rolle. Die Suche nach nachhaltigen
Gesellschafts- und Wirtschaftskonzepten zum langfristigen Erhalt der Lebensgrundlagen für die Menschen, ist – zumindest in Deutschland – zu einem
bestimmenden gesellschaftlichen Leitmotiv geworden. Bestimmt werden die
deutschen Nachhaltigkeitsdiskurse eindeutig von der Ökologie. Die ökonomischen und sozialen Dimensionen der Nachhaltigkeit geraten dabei oft in den
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Hintergrund. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass ohne nachhaltige soziale und
ökonomische Strukturen kein erfolgreicher Schutz der Umwelt und der Ressourcen erreicht werden kann.
Unbestreitbar erfordert die absehbare Endlichkeit fossiler Brennstoffe und Rohstoffe, deren Nutzung oft mit einer hohen Umweltbelastung einhergeht,
globale Umsteuerungsprozesse. Vor diesem Hintergrund sind nachhaltige
Umwelttechnologien sowie die Recycling- und Kreislaufwirtschaft langfristig
für den Erhalt eines lebenswerten Planeten Erde unabdingbar. Schon heute ist
die deutsche Industrie in diesen Feldern führend. Die deutschen Unternehmen
sind gut beraten, ihre Produkte und Dienstleistungen verstärkt unter nachhaltigen Gesichtspunkten zu entwickeln. Sie können damit zentrale Beiträge für den
Schutz der Umwelt und der Ressourcen erbringen, aber auch Arbeitsplätze und
Beschäftigung sichern.
Anforderungen an eine Industriepolitik für den Fortschritt
Vor dem Hintergrund der skizzierten Anforderungen ist es müßig, zu fragen, ob
Deutschland eine aktive und moderne Industriepolitik braucht. Mit ganz wenigen Ausnahmen einiger weniger unbelehrbarer Ökonomen und Politiker wird
dies nicht mehr bestritten.
Von einer klaren Vorstellung oder gar einem gemeinsamen Verständnis, was
eine moderne Industriepolitik ausmachen könnte, sind wir weit entfernt. Es
geht ja nicht mehr allein um Fragen der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie. Die
Industriepolitik steht immer stärker vor der Herausforderung, den auf industrieller Basis entstandenen Wohlstand zu sichern und gleichzeitig unsere Umwelt
lebenswert zu erhalten, um den zukünftigen Generationen genügend Chancen
und Ressourcen zu hinterlassen.
Alte industriepolitische Konzepte werden den Anforderungen der Moderne
nicht gerecht. Das gilt für die Befürworter der horizontalen Industriepolitik, die
lediglich auf eine Verbesserung der allgemeinen Rahmenbedingungen setzen.
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Michael Vassiliadis
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Die Strategie, auf niedrige Steuersätze, Abbau von Handelshemmnissen und
Harmonisierung von Märkten zu setzen, hat Europa nicht zur wettbewerbsstärksten Region der Welt gemacht. Genauso kritisch sind jedoch auch die
industriepolitischen Ansätze zu betrachten, die in staatlichen Interventionen
jeglicher Art ihr Heil suchen.
Der Aufstieg und Fall der deutschen Fotovoltaikindustrie, das Hin und Her im
Bereich der Biokraftstoffe stehen exemplarisch für gut gemeinte, aber falsche
Eingriffe. Wenn die Politik aktionistisch in wirtschaftliche Abläufe eingreift,
ohne die langfristigen Wirkungen zu erkennen oder die dahinter stehenden
Marktprozesse zu begreifen, wird es kontraproduktive Ergebnisse geben. Selbst
die gut gemeinten Zwecke, eine bessere Umwelt, nachhaltige Wirtschaftsweise
oder der Aufbau neuer Arbeitsplätze können sich dann ins Gegenteil verkehren.
Wie muss eine moderne Industriepolitik aussehen? Welche Elemente muss sie
enthalten, um den heutigen Anforderungen gerecht zu werden und alte Fehler
zu vermeiden? Dazu einige Ansatzpunkte, die sicherlich der weiteren Vertiefung
und Diskussion bedürfen und hier nur grob skizziert werden können.
3. Merkmale einer fortschrittlichen Industriepolitik
• Fortschrittliche Industriepolitik achtet und nutzt das »Koordinationsprinzip«:
Markt. Die Exzesse unregulierter Finanzmärkte sollten nicht den Blick auf
Vorteile von Marktprozessen verstellen. Marktprozesse erzeugen Dynamik
und sie fördern Innovationen. Eine moderne Industriepolitik designt Märkte,
damit im fairen Wettbewerb die besten technologischen und organisatorischen Lösungen für eine nachhaltige Entwicklung erzielt werden.
• Fortschrittliche Industriepolitik bettet Marktprozesse in einen aktiven, immer
wieder neu zu bestimmenden, politischen und sozialen Ordnungsrahmen.
Märkte brauchen feste Strukturen und faire Wettbewerbsbedingungen.
• Fortschrittliche Industriepolitik braucht makroökonomische Flankierung und
Unterstützung. Für die deutsche und europäische Industrie ist die gesamt-
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wirtschaftliche Dynamik in Europa entscheidend. Ohne ausreichende Wachstumsimpulse durch eine gezielte makroökonomische Politik wird es langfristig keine starke deutsche und europäische Industrie geben.
• Eine fortschrittliche Industriepolitik muss europäischer werden. Die bestehenden Kompetenzen, Instrumente und Maßnahmen der europäischen Institutionen müssen gestärkt werden. Während der Klimaschutz und die Energiepolitik weitgehend europäisch gestaltet werden, scheitern zukunftsfähige
und notwendige europäische industriepolitische Initiativen an nationalstaatlichen Egoismen und Kompetenzen.
• Fortschrittliche Industriepolitik ist gleichzeitig aktive Regionalpolitik. Die
Stärkung regionaler Strukturen durch Wettbewerbscluster und innovationsgetriebene Vernetzungen von Unternehmen, Universitäten, Forschungseinrichtungen und Bildungseinrichtungen stärken unsere Wertschöpfungsketten.
• Fortschrittliche Industriepolitik umfasst eine aktive Arbeitspolitik. Sie weiß
um die Bedeutung des Faktors Arbeit für ökonomischen Erfolg und soziale
Stabilität. Durch die Gestaltung eines fairen und geordneten Arbeitsmarktes
trägt sie dazu bei, die Unternehmen langfristig mit qualifizierten und motivierten Beschäftigten zu stärken. Fortschrittliche Industriepolitik stärkt die
Mitsprache und Partizipation der Beschäftigten.
• Fortschrittliche Industriepolitik fördert wissensbasierte und industrielle
Dienstleistungen. Ökologisch und ökonomisch nachhaltige industrielle Produktion wird in Deutschland und Europa nur Zukunft haben, wenn industrielle Dienstleistungen, materielle Produktion und Wissenschaft noch stärker
verzahnt werden.
• Fortschrittliche Industriepolitik stellt die Steigerung der Energie- und Ressourcenproduktivität in den Mittelpunkt. Dabei setzt sie auf langfristig
planbare Rahmenbedingungen und Anreize für die Unternehmen. Sie berücksichtigt die technologischen und physikalischen Grenzen bestehender Produktionsverfahren. Sie ist sich bewusst, dass Sprunginnovationen, die zu
erheblichen Ressourceneinsparungen oder neuartigen umweltverträglichen
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Michael Vassiliadis
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Produkten führen, nicht erzwungen werden können, sondern eines jahrelangen »Innovierens« und auch des Glücks bedürfen.
• Fortschrittliche Industriepolitik fördert Innovationen und Innovationsprozesse. Innovationen sind zentraler Bestandteil für die Lösung globaler (Umwelt-)
Probleme. Innovationen stärken die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Industrie. Moderne Industriepolitik sieht sowohl technologische als auch
soziale Innovationsprozesse als Voraussetzung gesellschaftlichen Fortschritts.
Sie ist sich bewusst, dass komplexe Innovationsprozesse den Dialog mit den
Bürgerinnen und Bürgern erfordern.
Eine derart ausgerichtete Industriepolitik ist somit Fortschrittspolitik. Sie gestaltet den Strukturwandel aktiv, damit Unternehmen und ihre Beschäftigten ihn
mitgehen können, und liefert damit wichtige Beiträge um die soziale Marktwirtschaft zukunftsfest und nachhaltig zu machen.
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Autorinnen und Autoren
Dr. Birgit Gehrke
Projektleiterin beim NIW.
Seit April 1989 ist Birgit Gehrke wissenschaftliche Mitarbeiterin am NIW in
Hannover. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Außenhandel,
internationale Wettbewerbsfähigkeit von Ländern, Regionen und Branchen,
Innovations- und Bildungsfragen, letzteres insbesondere mit Fokus auf dem
Qualifikationsbedarf der Wirtschaft vor dem Hintergrund veränderter struktureller Anforderungen (Wissenswirtschaft, Demografie). Bisher vorgelegte
Branchenstudien befassen sich u. a. mit der Chemischen Industrie oder dem
Automobilbau, aber auch mit Querschnittsbranchen wie der Umwelt- und
Klimaschutzwirtschaft, der Informations- und Medienwirtschaft und aktuell
im Rahmen eines EU-Projekts mit ausgewählten Schlüsseltechnologien (Key
Enabling Technologies: KETS).
Friederike von Haaren
Projektmitarbeiterin beim NIW.
Seit Oktober 2012 ist Friederike von Haaren wissenschaftliche Mitarbeiterin am
NIW. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Bevölkerungsökonomik, insbesondere
die empirische Analyse der Arbeitsmarktintegration von Migranten. Darüber
hinaus beschäftigt sie sich seit Kurzem verstärkt mit Branchenanalysen.
Michael Vassiliadis
Vorsitzender der IG BCE.
Seit März 2004 Mitglied des geschäftsführenden IG BCE-Hauptvorstandes. Bis
Oktober 2009 zuständig für Betriebsräte – Bildung – Jugend – Vertrauensleute/
Ortsgruppen. Auf dem 4. Ordentlichen Gewerkschaftskongress der IG BCE 2009
ist Michael Vassiliadis zum Vorsitzenden der IG BCE gewählt worden. Seit Mai
2011 Präsident der Föderation Europäischer Bergbau-, Chemie- und Energiegewerkschaften (EMCEF) und seit Mai 2012 der Nachfolgeorganisation IndustriAll
Europe. Stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der K+S AG, Evonik Indus-
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tries AG und der STEAG GmbH sowie Mitglied im Aufsichtsrat der BASF SE. Stellvertretender Vorsitzender des Kuratoriums der RAG-Stiftung. Mitglied des von
der Bundesregierung berufenen Rates für Nachhaltige Entwicklung, Präsident
der Stiftung Neue Verantwortung sowie Mitglied der Ethikkommission »Sichere
Energieversorgung« der Bundesregierung.
Bildnachweise
Die Pharmazeutische Industrie
Titel: Bayer HealthCare AG
Boehringer Ingelheim (3)
merk KGaA
Takeda Pharma
Bayer HealthCare AG (2)
Dirk Reinartz/sanofi-aventis
vfa/M. Joppen
amgen
Industriepolitik für den Fortschritt:
Titel: clipdealer.de/buchachon
LANXESS (2)
Bayer HealthCare AG
RWE AG
Fotolia/lorhelm
LANXESS(C)2011 Thorsten Marti
Fotolia/JWS – Fotolia
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