Artikel hochsensibel - Frauenzentrale Glarus

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Artikel hochsensibel - Frauenzentrale Glarus
Fachartikel von Silvia Schneider zum Thema Hochsensibilität, März 2014
im Auftrag der Frauenzentrale
Bin ich hochsensibel?
Anlass zu diesem Artikel gab ein gut besuchter Vortrag Ende November letzten
Jahres in Glarus. Marianne Schauwecker referierte auf Einladung der Frauenzentrale
zum Thema ‚Das hochsensible Kind im Schulalter’. Silvia Schneider, die den Vortrag
besuchte und diesen Zeitungsartikel im Auftrag der Frauenzentrale verfasste, setzt
sich seit Jahren mit ihrer eigenen Hochsensibilität auseinander und begleitet als
Psychologin und Psychotherapeutin hochsensible Menschen.
Die Stimmungen anderer Menschen beeinflussen mich. Es bringt mich leicht aus der
Fassung, wenn ich in kurzer Zeit viel erledigen muss. Ich habe eine ausgesprochene
Fähigkeit, zwischen den Zeilen zu lesen. Als Kind haben meine Eltern und Lehrer
mich als sensibel und/oder schüchtern angesehen. Ich habe ein sehr gutes Auge für
Details. Auf Koffein reagiere ich heftiger als andere Menschen. Hintergrundmusik
während eines Gesprächs stresst mich, ebenso grelles Licht, starke Gerüche und
raue Stoffe auf meiner Haut. Ich bin schreckhaft und lärmempfindlich. Musik und
Kunst bewegen mich tief. Ich besitze ein reiches, vielschichtiges Innenleben. Ich
kann mich gut in andere Menschen einfühlen.
Wenn Sie viele der obigen Aussagen bejahen, sind Sie wahrscheinlich auch
hochsensibel.
Wir nehmen mehr Feinheiten in unserer Umgebung wahr, sind aber auch schnell
überwältigt, wenn zuviel auf einmal auf uns einstürmt, sagt Aron, die Pionierin auf
diesem Gebiet. Elaine Aron ist amerikanische Psychologin und Psychotherapeutin.
Sie ist selber hochsensibel und begann in den 90er Jahren darüber zu forschen und
zu publizieren, wie man die eigene hohe Empfindsamkeit erkennen, verstehen und
nutzen kann. Sie prägte den Begriff Hochsensibilität/HSP für Highly sensitive Person/
hochsensible Person. Man nimmt an, dass 15-20% aller Menschen davon betroffen
sind, hauptsächlich durch Vererbung. Dieser Prozentsatz scheint
speziesübergreifend und stabil zu sein und beruht auf älteren Forschungen. Schon
Iwan Pawlow fand 15-20% weniger belastbare Probanden, und die
Säuglingsforschungen von Kagan zeigten, dass ca. 20% der Kinder stärker auf alle
Eindrücke reagierten als die andern. Der Nervenapparat hochsensibler Menschen
nimmt mehr Reize auf, hat weniger ‚Wahrnehmunsfilter’ als bei normal sensiblen,
und verarbeitet die Reize umfassender (was neurologische MRI-Untersuchungen mit
optischen Vergleichstests zu erhärten scheinen). HSP sind schnell gestresst und
überreizt, auch bei schönen Erlebnissen wie Geburtstagsfeiern oder einem
Zoobesuch. Sie wirken auf andere oft eigenartig, kompliziert, anspruchsvoll, und
reagieren häufig mit Symptomen wie beispielsweise Bauch- oder Kopfweh. Z.B. kann
einkaufen sehr schwierig und ermüdend sein wegen der Musik und den Durchsagen
in den Einkaufszentren, den piepsenden Kassen, den vielen Leuten und dem
Kunstlicht. Das gleiche gilt für Zugfahren und essen im Restaurant.
Hochsensible Menschen kommen sich anders vor als andere. Sie fühlen sich nicht
verstanden und empfinden sich oft als ‚falsch’ und nicht akzeptiert, so wie sie sind.
Sie versuchen sich an die ‚normal sensible’ Mehrheit anzupassen, dabei müssten sie
lernen, mit ihrer viel differenzierteren Wahrnehmung umzugehen. Die meisten HSP
haben ein schlechtes Selbstwertgefühl, vor allem wenn sie in der Kindheit wenig
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Bestätigung für ihre Eigenart erfahren haben. Manche denken sogar sie seien
verrückt. Dabei sind sie einfach dünnhäutiger und verletzbarer als andere, und
manchmal auch langsamer. Aufgrund der intensiven Reizverarbeitung im Gehirn
dauert es meist länger, bis eine HSP antwortet/ reagiert/ handelt. Dieses Verhalten
wird von andern als scheu, befremdend oder gar arrogant empfunden. Hochsensible
erleben es als enorm erleichternd, wenn sie ihre Hochsensibilität als solche
erkennen. Sie leiden dann weniger unter dieser Konstitution und lernen sie zu
nutzen. Denn hochsensibel zu sein ist eine Begabung und keine Schwäche, wenn
man richtig damit umgeht. Aron nimmt an, dass Hochsensible in früheren Zeiten die
Priester, Seher und Heiler einer Gemeinschaft waren.
Vorgesetzte sollten um die besonderen Bedürfnisse von hochsensiblen Mitarbeitern
wissen und darauf eingehen, um ihr Potenzial voll auszuschöpfen. Um gut arbeiten
zu können brauchen sie eine ruhige Umgebung, also kein Grossraumbüro, und sind
auf mehr Erholungspausen angewiesen, um Überreizungen zu vermeiden oder
abzubauen. Aber wer Pausen im Arbeitsalltag allein verbringen muss, um sich richtig
erholen zu können, wird schnell als Einzelgänger verschrien und aus einem Team
ausgeschlossen. Nicht dazuzugehören, das ist eine Erfahrung, die viele
Hochsensible machen, und die ihr Leben sehr belasten kann. Es ist für sie eine
ständige Gratwanderung herauszufinden, wie viel Zeit sie zusammen mit andern
verbringen und wie viel Zeit sie alleine sein müssen, um sich nicht zu überfordern.
Nach der Arbeit oder dem Besuch einer Veranstaltung die Kleider zu wechseln und
zu duschen kann sehr hilfreich sein, um die vielen Eindrücke schneller loszuwerden.
Um weniger zu fühlen nehmen hochsensible Menschen u.U. Drogen, was so
gesehen ein Selbstheilungsversuch sein kann. Vermutlich ist die Hälfte der psychisch
Kranken hochsensibel, aber viele wissen es nicht. Ärzte die nicht erkennen, dass ihr
Patient hochsensibel ist, könnten die Kennzeichen von Hochsensibilität als
Störungssymptome diagnostizieren. (Aber auch umgekehrt heisst es aufpassen,
denn Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) können
sämtliche Anzeichen einer Hochsensibilität aufweisen.) Einen Online-Test gibt es in
zartbesaitet.net. Der Test von Aron ist auf deutsch abrufbar auf der Webseite von
Susan Marletta-Hart. Sie ist hochsensibel und Psychlogin, schreibt Bücher zum
Thema und arbeitet in Holland und der Schweiz mit Betroffenen. Zudem bietet sie
Schulungskurse für Ärzte und Therapeuten an, ab Herbst 2014 einen in Rapperswil
(susanmarlettahart.com). Hochsensible sind gewöhnlich empfindlicher gegenüber
Schmerzen und reagieren auch empfindlicher auf Medikamente und ihre
Nebenwirkungen. Die Dosis, die der Arzt empfiehlt, ist vielleicht zu hoch. Spitäler und
Kliniken tragen oft noch zur Überreizung bei (Mehrbettzimmer, NachtwachenKontrollgänge etc.), so dass sich Hochsensible dort schlecht erholen können.
Sich gut im Körper zu spüren ist für Hochsensible besonders wichtig: Tanzen, Yoga,
Tai Chi, Qi Gong. Eine Kampfsportart ausführen. Sich in der Natur bewegen beim
Wandern, Schwimmen, Velofahren oder bei Gartenarbeit. Barfuss gehen und sich
anschliessend direkt auf dem Boden liegend ausruhen. Trommeln, singen und Töne
improvisieren. Bewusst atmen. Sich massieren lassen. Mit Lehm modellieren, Holz
oder Steine bearbeiten. Beim Duschen das Wasser auf dem Körper geniessen und
sich nachher liebevoll eincremen. All das sind Tätigkeiten, die es sich lohnt
auszuprobieren, wenn man hochsensibel ist, und immer wieder auszuführen, wenn
sie einem gut tun.
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Auf der Homepage hochsensibilitaet.ch von Marianne Schauwecker findet man
Hinweise zum Umgang mit hochsensiblen Kindern vom Säugling bis zum
Jugendlichen, aber auch viele Infos für erwachsene HSP. Man erfährt z.B., dass
unter selbstsicherheit.ch auch Selbstverteidigungskurse für Kinder angeboten
werden. Solche Kurse können hochsensiblen Kindern und Erwachsenen helfen, ein
besseres Selbstbewusstsein aufzubauen. Kinder die gemobbt werden, sind oft
hochsensibel und haben wenig Selbstvertrauen. Auf einer andern Homepage, von
denen es inzwischen recht viele gibt, steht, hochsensible Kinder brauchten 3 R:
Rituale, Regeln und Reviere (Rückzugsorte/ Ruhe-Ecken). Das brauchen auch
Kinder mit AD(H)S (Aufmerksamkeits-Defizit-Störung, mit oder ohne Hyperaktivität).
Trotzdem sind Hochsensibilität und AD(H)S nicht dasselbe. Erst Überreizung lässt
hochsensible Kinder so erscheinen, als hätten sie ADHS, denn sonst können sie sich
meist gut konzentrieren. Hochsensible Kinder wie auch Erwachsene haben eher ein
Übermass an Aufmerksamkeit – nur geht sie nicht immer dorthin wo gewünscht.
Wenn hochsensible Kinder in einem Umfeld aufwachsen, das Rücksicht nimmt auf
ihre speziellen Bedürfnisse nach Rückzug und Nähe/ Anerkennung, wenn die
schulfreie Zeit inkl. Wochenenden und Ferien nicht mit Aktivitäten überladen werden,
sie Unterstützung erhalten im Erlernen eines guten Umgangs mit der Informationsflut
sowie im Finden und Pflegen von Freundschaften, dann sind sie nicht anfälliger für
psychische Krankheiten als andere Kinder. Schlimm wäre es, wenn Eltern ihre
eigene Hochsensibilität und/oder die des Kindes unterdrücken. Männer sind da mehr
in Gefahr als Frauen, sie erkennen die Hochsensibilität bei sich oft gar nicht. Je
selbstverständlicher und respektierter ein hochsensibles Kind aufwachsen darf, desto
selbstbewusster und kraftvoller wird es einmal sein sensibles Potential leben, sagt
Marianne Schauwecker.
Ich selber bin Psychologin, Lehrerin, Legasthenie- und Dyskalkulietherapeutin sowie
Künstlerin. Wie viele Hochsensible habe ich keinen geraden Lebenslauf. Aber
gerade das prädestiniert mich zur Begleitung von hochsensiblen Kindern und deren
Eltern und Lehrpersonen, sowie Jugendlichen und Erwachsenen. Bei Interesse
werde ich eine Selbsthilfegruppe für Hochsensible initiieren, zusammen mit Susan
Marletta-Hart. Rufen Sie mich an oder mailen Sie mir, wenn Sie einen
Beratungstermin möchten oder gerne in der Selbsthilfegruppe mitmachen würden:
Silvia Schneider, 055 643 35 92, Praxis in Glarus Süd und in Glarus.
[email protected].
Eine kleine Auswahl von Büchern (diejenigen die ich gelesen habe plus die beiden
von Aron, ausführliche Literaturlisten unter www.amazon.de) und Homepages:
- www.hochsensibilitaet.ch Homepage von Marianne Schauwecker
- Elaine Aron: Sind Sie hochsensibel? Wie Sie Ihre Empfindsamkeit erkennen,
verstehen und nutzen. Moderne Verlagsgesellschaft mvg, München, 2005
(engl.1996). www.hsperson.com (engl.) Das hochsensible Kind, mvg 2008
- Georg Parlow: zart besaitet. Festland Verlag, Wien, 2003 (2.überarb.Aufl.)
www.zartbesaitet.net
- Susan Marletta-Hart: Leben mit Hochsensibilität. Aurum, Bielefeld 2009
(Holland 2003). www.susanmarlettahart.com
- Andrea Brackmann: Jenseits der Norm – hochbegabt und hoch sensibel?
Klett-Cotta, Stuttgart, 2005
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