Musik und Drama

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Musik und Drama
MUSIK und DRAMA
Mitteilungen des Richard-Wagner-Verbandes Berlin-Brandenburg e. V.
Jahrgang 2008, Nr. 25, November 2008
Kein Mitleid mit Rienzi!
Editorial
Der RWV besuchte Katharina Wagners Inszenierung in Bremen
es gilt ein kleines Jubiläum zu feiern: „Musik und Drama“ erscheint zum 25. Mal. Aus
diesem Anlass freut es mich sehr, dass ich
für diese besondere Ausgabe Prof. G. Fürstenau und C. A. Roesler als Autoren gewinnen
konnte. Unser Ehrenmitglied wirft einen
Blick auf die Entstehung der Verbandszeitschrift und unser langjähriger Redakteur
bringt uns den „Ring“ für Kinder an der
Deutschen Oper Berlin nahe.
In bewährter Form schaut „Musik und
Drama“ über das Verbandsleben hinaus
diesmal nach Hamburg, wo der „Ring“ in
der Regie von Claus Guth im Oktober mit
der „Walküre“ seine kontrovers diskutierte
Fortsetzung fand.
Zu den Festtagen 2009 steht ein neuer „Lohengrin“ auf dem Spielplan der Staatsoper
Unter den Linden. Mit Daniel Barenboim
an seiner Seite wird Stefan Herheim eine
sowohl innovative wie musikalisch außergewöhnliche Interpretation dieses romantischen Meisterwerkes Richard Wagners erarbeiten. Prof. Dr. G. Rienäcker gibt Ihnen
in seinem Beitrag wertvolle musikwissenschaftliche Hinweise zur Vorbereitung auf
dieses Opernereignis.
Lassen Sie sich von unserem Medienpartner
begeistern und erleben Sie attraktive „StraussWochen“ in der Bismarckstraße.
Aus beruflichen Gründen darf ich mich an
dieser Stelle als Redakteur von „Musik und
Drama“ von Ihnen verabschieden. Ich möchte es nicht versäumen, mich für Ihre treue
Leserschaft zu bedanken und wünsche Ihnen, Ihren Familien und Freunden ein frohes
Weihnachtsfest und ein gutes Jahr 2009.
Ihr Matthias Spruß
N
ein, dieser selbstgerechte Tri
bun verdient kein Mitleid, da
hilft auch kein „inbrünstiges Flehen“. Da helfen auch keine
Treueschwüre, die sich an ein anachronistisch anmutendes Weltbild
klammern. Katharina Wagner entzaubert diese „Lichtgestalt“, der jede
Bodenhaftung fehlt, indem sie Stolz
als Eitelkeit entlarvt, hehres Handeln
als politischen Populismus erkennt
und das pseudoreligiöse Gebräu aus
Überheblichkeit, Größe und Freiheitssendung („Braut Roma“) als fragwürdige Rechtfertigung, als Mittel
puren Machterhaltes begreift. Anders
als in Leipzig, wo wir Zeugen einer
ganz anderen Ausdeutung des Werkes
wurden – einer eher verharmlosenden
– erlebten wir hier ein Lehrstück politischer Mechanismen, die seit Rienzis
Aufstieg und Fall bis heute nichts von
ihrer Aktualität eingebüßt haben.
Dass Katharina Wagner vor Einfällen
und Ideen nur so sprüht und manchmal sogar vor dem Problem steht, alles
unter einen Hut zu bekommen, wissen
wir spätestens nach ihren Bayreuther
„Meistersingern“. Hier – in Bremen
– war es ähnlich. Und doch gab es
einen nicht unwesentlichen Unterschied: Die Regisseurin legte sich
Zügel an, um pathetische Aussagen,
wann immer sie zum Ansatz kamen –
und es gab derer viele – möglichst zu
vermeiden. In solchen Augenblicken
musste dann die Choreographie samt
Kostümausstattung herhalten. Das
Ergebnis: Chöre werden mit Schafsköpfen präsentiert, Rienzi mutiert
zur tänzelnden Popfigur und Feinde
wie politische Abweichler werden mit
Dampfdruckreinigern in ihre Schranken verwiesen. Das alles geschieht auf
Foto: Dr. Jürgen Moeller
Liebe Mitglieder,
liebe Leserin, lieber Leser,
einer weißen Treppe mit einer nackten
Kolossal-Statue in der Mitte an deren
fortlaufender Ausgestaltung sich der
weitere Handlungsablauf ablesen oder
vermuten lässt. Bei einem solchen
Spektakel bleibt manchmal die Personenregie auf der Strecke. Emotionen
werden – sobald sie sich einstellen –
im Keim erstickt. Das war so gewollt,
wenngleich die Spannung manchmal
etwas darunter litt.
Mit dem „Perückenmotiv“ hat Katharina Wagner eine „Meistersinger-Idee“
nach Bremen transponiert: Patrizier
und Plebejer weisen sich selbst im
äußeren Erscheinungsbild als Gegner
aus, Colonna und Orsini, langmähnig, Rienzis Anhänger kurzmähnig.
Als die Macht den Tribunen korrumpiert hat, tritt auch dieser langmähnig
auf und begegnet seinen Feinden damit auch äußerlich auf gleicher Augenhöhe. Die bittere Erkenntnis dieser Wandlung kommt für ihn zu spät.
Sein Schicksal ist besiegelt.
Nicht besiegelt ist dagegen das Schicksal von Rienzis Schwester Irene und
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Adriano, deren „Romeo und Julia“
- Verhältnis zwischen den streitenden Parteien auf ein schlimmes Ende
hindeutet. Katharina Wagner lässt
sie davonkommen, während Rienzi
vom aufgewiegelten Mob regelrecht
gelyncht wird. Der Feuerzauber – von
allen erwartet – bleibt aus. Aber der
Erlösungsgedanke – von niemandem
erwartet – obsiegt. So steht es zwar
nicht im Libretto, so will es aber die
Ausdeutung Katharinas, ganz in der
Tradition ihres Urgroßvaters, der im
Konflikt zwischen Macht und Liebe
dem Liebesgedanken stets Vorzug einräumte. Dem Alten hätte es gefallen.
Gefallen hätte ihm auch – wie uns allen – mit welcher Stimmstärke, Leidenschaftlichkeit und Brillanz sich
der Bremer Opernchor präsentierte.
Er riss die Akteure regelrecht mit und
hatte sicherlich Anteil daran, dass das
Orchester unter Leitung von Christoph Ulrich Meier sich nach einer
matten bis farblosen Ouvertüre von
Aufzug zu Aufzug so steigerte, dass
sich jeder Zuhörer mitgenommen
fühlte. Das gleiche gilt für die Ensembleleistung, wobei dem amerikanischen Tenor Marc Duffin besondere Anerkennung gezollt werden muss.
Fünf Aufzüge stimmlich durchzuhalten ist an sich schon eine bewunderungswerte Leistung.
Nicht alle Kritiker scheinen das so
gesehen zu haben. Das „Hamburger
Abendblatt“ sprach von einem „wirren Kasperltheater“, die „Frankfurter
Allgemeine Zeitung“ bewertete die
Inszenierung als „grell, laut, plakativ“
mit „visuellen Faustschlägen“ und
„Die Welt“ bescheinigte dem Orchester, in einem „Kurkonzert-Trott“ verharrt zu haben.
Wir – die Mitglieder des RichardWagner-Verbandes – haben das nicht
so gesehen. Wir freuen uns darüber,
miterlebt zu haben, wie es der neuen
Bayreuth-Prinzipalin gelungen ist,
die „verschmähte Jugendsünde“ ihres
Urgroßvaters neu zu beleben, dazu
szenische Anregungen zu geben und
Stoff für eine längst fällige Auseinandersetzung zu liefern. „Rienzi“ in Berlin unter Regieführung von Christoph
Stölzl wird im kommenden Jahr dazu
Gelegenheit bieten.
Dieter Kahle
Die Walküre
B
evor noch die ersten Takte
zum 1. Tag des Bühnenfestspiels
„Der Ring des Nibelungen“
ertönen konnten, mussten Umbesetzungen des Premieren-Sängerpersonals
wegen Erkrankungen bekanntgegeben werden. Zunächst wurde anstelle
der Brünnhilde der Lisa Gasteen die
bühnenerprobte, in dieser Rolle nahezu perfekte Deborah Polaski im
Programmzettel angekündigt. Dann
wurde dem Auditorium noch kurzfristig, von der vor den Vorhang tretenden Intendantin Simone Young,
mitgeteilt, dass am Vormittag gegen
11 Uhr Falk Struckmann, dem Wotan
der Vorstellung, eine totale Heiserkeit das Singen am Abend unmöglich
machte. Er würde die Partie stumm
spielen und den Gesangspart übernähme ein dem Ensemble der Staatsoper
angehörender Bariton namens Thomas
J. Mayer. Man kann sich vorstellen,
welch ein Mut dazu gehören muss, am
Vormittag zu erfahren, man solle am
Abend den schwierigen BrünhildenWotan singen! Um es gleich vorweg zu
nehmen: er war der Star des Abends!
Nicht nur seine wunderbar strömende
Bariton-Stimme wusste zu betören,
nein er beherrschte diese Rolle, neben
der Bühne stehend, perfekt und ohne
Fehl und Tadel. Nicht immer von
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seiner nun als Dirigentin des Abends
fungierenden Intendantin mit präzisen
Einsatzzeichen bedient. Einfach Klasse
dieser Thomas J. Mayer, man wünscht
sich förmlich, ihn einmal komplett als
Wotan auf der Bühne zu erleben. Soviel zum Prolog, nun zum Spiel.
Zur Inszenierung von Claus Guth
kann kein positives Urteil abgegeben
werden. Dazu ist das ganze Konzept
zu unausgewogen. Es beginnt abstrakt
mit der Hunding-Hütte, die keine ist,
sondern die als quadratisches, von unten grell ausgeleuchtetes Podest in der
Mitte der Bühne steht. Als Accessoires
dienen ein Küchentisch mit zwei
Stühlen, eine Spüle mit Kühlschrank
sowie als wichtigstes Hauptmöbelstück eine Art Küchenschrank in dessen Mitte eine Eingangstür eingefügt
ist. Dieses Möbel bewegt sich während des gesamten Aktes des Öfteren
auf wundersame Weise von selbst
hin und her und soll wohl bei gutem
Willen des Betrachters, gleichsam
als Raumteiler fungieren. Siegmund
und Sieglinde stehen steif als Puppen
links und rechts an den Rändern des
Quadrates und werden, vom um das
Podest schreitenden Wotan, durch angedeutetes Berühren mit seinem Speer
und schnippen mit den Fingern zum
Foto: Hamburgische Staatsoper
Premiere an der Hamburgischen Staatsoper am 19. Oktober 2008
Thomas J. Mayer
Leben erweckt. Wenn man das als Geburt der Wälsungen-Zwillinge deuten
soll, kann also das Spiel nunmehr beginnen. Siegmund kommt durch die
Küchentür, setzt sich an den Tisch und
Sieglinde stellt laut unverfälschtem
Text fest: „Ein fremder Mann? Ihn
muss ich fragen. Wer kam ins Haus
und liegt dort am Herd?“ Man sollte
tunlichst nicht gegen den Text eines
Werkes inszenieren. Die Missachtung
zwischen Text und bildlicher Darstellung wiederholt sich während der gesamten Aufführung, sie im Einzelnen
aufzuzählen würde den Rahmen des
Berichtes sprengen. Soviel nur noch
vom 1.Akt: „…welch ein Strahl bricht
aus der Esche Stamm…“ Es gibt aber
keine Esche, Wotans Schwert wird
von diesem im weiteren Verlauf des
Aktes in den Küchenschrank gesteckt,
Das erste Bild des 2. Aktes erleben wir
in Wotans Büro in Walhall, ein wenig
angelehnt an den Kölner „Ring“. Wotan, befreit von allen „Gott-Klischees“,
erinnert in seinem zivilen Outfit an
einen Wirtschaftsmanager. Brünnhildes „Hojotoho“ schmettert diese
vom Sims überdimensionierter Fenster
in Wotans Büro, in das dann alsbald
Fricka in feinem Gehpelz mit Lackledertäschchen einfällt und den bekannten Streit vom Zaume bricht. Das
Geschehen auf der Bühne langweilt
alsbald, der Blick fällt fast nur noch
auf den wunderbar singenden „ErsatzWotan“ links neben der Bühne. Das
sagt eigentlich viel zur Inszenierung!
Das zweite Tableau des zweiten Aktes
spielt beziehungsreich unter dem nunmehr in der Luft hängenden Podest
des 1. Aktes. Die „Tod-Verkündung“
ist ausgesprochen dürftig, wobei sie
doch sonst zu den Höhepunkten des
2. Aktes zu zählen ist.
Der 3. Akt ist nun die Krönung des
Ganzen! Er spielt im ehemaligen Luftschutzraum einer Kriegsruine bei der
auch noch die Kellerdecke eingestürzt
war und die man als Überbleibsel aus
dem 2. Weltkrieg einzuordnen geneigt
ist. Die Walküren schieben während
ihres gesamten Auftrittes metallene
Etagenbetten, eben aus jener Zeit, hin
und her, springen in die Betten und
wieder heraus und hinterlassen in ihren mausgrauen Plisseekleidern einen
wahrlich „heldenhaften“ Eindruck.
Mit ihrem Abgang schieben sie die
Etagenbetten aus der Szene und Wotan und Brünnhilde verbleiben zum
Abschied voneinander im nunmehr
Foto: Monika Rittershaus
von wo aus Siegmund es sich dann
„gewinnt“. Bei Dorst in Bayreuth ist
die Esche wenigstens noch ein umgestürzter Telegrafenmast. Aber auf
einen Küchenschrank als Esche, muss
man erst einmal kommen. Unromantisch und gefühllos endet dann auch
der 1. Akt. Siegmund und Sieglinde
fallen sich mitten in der Küche um
den Hals, vom Lenz ist weit und breit
nichts zu spüren. Mein Fazit: Noch nie
habe ich nach einem ersten WalkürenAkt so wenige Emotionen gespürt und
noch nie hat mich ein solcher derart
gelangweilt. Das lag zum Teil aber
auch an den Sängern, zu denen ich
später noch kommen werde.
Feuerzauber
verödeten Keller. Brünnhilde holt sich
Wolldecken und ein Kopfkissen von
rechts aus der Kulisse, legt alles auf
den nackten Boden und sich selbst
darauf, nachdem sie sich vorher am
gusseisernen Ausguss frisch gemacht
hat. Wotan küsst sie in den Schlaf und
ruft Loge, der am Bühnenrand mühsam ein Feuer zu entfachen sucht, das
leider die böse Eigenschaft hat, immer
wieder zu erlöschen, wie auch endlich
das unleidliche Spiel.
Komme ich nun noch zu den Sängern:
Über Wotan ist bereits alles gesagt. Er
also war der Lichtblick des Abends.
Stuart Skelton, der Siegmund, hatte
sehr schöne Momente, seine „WälseRufe“ waren vorzüglich, seine Schauspielkunst hielt mit seiner Stimme
nicht ganz mit. Die Sieglinde der Yvonne Naef konnte nicht überzeugen, besonders zum Schluss, im 3. Akt wurde
die Stimme anstelle lyrischen Schöngesanges sehr rau und überlaut. Mikhail
Petrenko als Hunding blieb farblos,
nichts von einem bösartigen Macho,
die Stimme glatt, aber ohne Höhepunkte. Falk Struckmanns WotanSpiel ohne Tadel. Die Umbesetzung
der Brünnhilde von Lisa Gasteen zu
Deborah Polaski hat der Aufführung
sicher nicht geschadet. Sehr schwach
die Fricka der Jeanne Piland. Die acht
Walküren waren ausgeglichen besetzt,
obgleich sie fast mehr zu klettern und
zu hopsen, als zu singen hatten. Das
Orchester unter der Leitung ihrer Chefin Simone Young spielte mit Ausnahme einiger schon üblicher Bläser-Kickser nicht schlecht, mir fehlten jedoch
einige wagnerische Höhepunkte. Das
mag aber auch daran liegen, dass ich
vor kurzem in Bayreuth die „Walküre“
von Christian Thielemann interpretiert hören durfte.
Der Beifall am Schluss war für eine
Premieren-Vorstellung zwar freundlich, aber doch ziemlich verhalten.
Buh’s und wenig Bravos für das Regie-Team beendeten einen aus meiner
Sicht mäßigen Wagner-Abend.
Hans-Joachim Vogler
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Annäherung von außen...
Eine kritische Betrachtung
G
leich dreimal gab es in jüngster
Zeit in Berlin die Gelegenheit,
den „Ring“ außer dem „Original“ in der Deutschen Oper Berlin
gewissermaßen durch Quereinsteiger
interpretiert zu bekommen. Mit einiger Verwunderung stellte ich fest,
dass die Mitglieder des Richard-Wagner-Verbandes darauf kaum reagieren,
zu Unrecht, denn die Auseinandernahme des „Gesamtkunstwerkes“ in
der Aneignung durch Tänzer oder
Schauspieler ist mindestens so lustvoll
wie die eher tolerierte Darbietung von
„Ring“-Werken im Konzertsaal.
Studenten der Schauspielschule „Ernst
Busch“ gaben die „Ring“-Texte in zwei
Abenden gebündelt – im BAT. Mir
gelang es leider nicht, eine Karte zu
bekommen. Ich vermute, dass es den
jungen Leuten um mehr als naheliegende Verulkung von Wagner-Pathos
und Germania-Jux gegangen ist, und
selbst wenn das Kabarett im Zentrum
gestanden haben sollte, dann hoffentlich in besserer Qualität als bei Hoppe
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in Bayreuth, wo ich vor Jahren einen
Abend erlebte, der sich auf niederträchtig schlechtem Niveau befand.
Stefan Kaminski, ein junger Schauspieler am Deutschen Theater, gibt seit
einigen Monaten unter dem Motto
„Kaminski on air“ quasi Soloabende,
die unter anderem dem „Ring“ gewidmet sind, den er offenbar kennt und
mag, und dessen frappierenden Querverbindungen, Figuren, Problemen er
sich sowenig verschließt, dass er das
Risiko eingeht, mal ohne Wagners
Musik (oder fast) die Werke zu interpretieren. Nach dem „Rheingold“ ist
nun die „Walküre“ (in ca. einer Stunde
und 20 Minuten) zu erleben. Kaminski nennt diesen Abend ein „Hörspiel“.
Es ist wohl eher eine Art Performance,
auch wenn die Bühne wie ein Hörspielstudio aussieht. Ein Cellist und
eine Tuba-Spielerin realisieren eine
nahezu durchgängige musikalische
Sphäre, die von einigen „Ring“-Themen und viel Neuem sich speist. Dazu
kommen diverse Gerätschaften, die
etwa Sturm, Regen, Donner, Pferdegetrappel oder ähnliches imitieren.
Es macht eindeutig Vergnügen,
wenn man sieht, wie so was entsteht.
Lichteffekte und wenige Requisiten
(Nothung!) ergänzen das ganze kluge
Spiel mit dem Spiel. Im Zentrum
steht natürlich Kaminski als Schauspieler, als glänzender Sprecher, der
jeder Figur ihr Flair verleiht, äußerst
kontrastreich – und vielleicht dadurch nicht immer ganz glücklich.
So gerät in hoher Tonlage wispernd
die tragische Sieglinde zu einer Art
albernen Ufa-Püppchen. Und Frickas
(nicht im Tonfallwohl, aber im Charakter der Sandrock-Hera entlehnt)
verrät – bei äußerem gekonnten und
belachten Klamauk – die große Szene
mit Wotan, der zum Pantoffelhelden
wird, zumal neben der grotesken Eifersüchtelei die eigentliche Machtfrage
nur sehr unterbelichtet angesprochen
wird. Und da liegt ein Manko dieses
interessanten und wertvollen Abends:
Die dramaturgische Einrichtung, die
Setzung von Schwerpunkten lässt zu
wünschen übrig. Da ist Wagner besser als das hier Gebotene, die Strichfassung fragwürdig, die neudeutschen
Sprachergänzungen meist in ihrer flapsigen Billigkeit schwächer als die Ori-
ginaltexte. Kurz: Ich hätte dem glänzenden Schauspieler Kaminski einen
besseren Dramaturgen gewünscht,
denn für den zeichnet er auch gleich
noch mit.
Immerhin gab es bewegende Momente. Er sprach wunderbar menschlich und einfach den Siegmund (was
nicht schwer ist) und die Brünnhilde (was mir vorher fast unmöglich
schien), so dass zum Beispiel die Szene der Todverkündung eindringliche
und zentrale Wirkung hatte. Und
kaum hat Kaminski Wotans letzten
Satz im Feuerzauber gesungen (!), so
hört man in die Tonkollage hinein ein
Baby quäken. Man grinst und weis:
Siegfried ist geboren, die Sache kann
weitergehen und das wird sie wohl
auch bei Kaminski.
Für mich bestand der Gewinn dieses
Abends vor allem darin, dass man
gewohnt ausgewaschene Texte des
„Ring“ gleichsam verfremdet gesprochen, nicht gesungen erlebte, und damit (z. B. in den Wotan-Szenen) viel
bewusster und neuer erlebte, als das
in der Opernaufführung der Fall sein
kann.
Maurice Béjart schuf mit seinem Tanztheater „Ring um den Ring“ in der
Deutschen Oper Berlin 1990 sicher
seine größte und bedeutendste Arbeit.
Es ist ein Glücksfall für Berlin, dass
Malakhov nach der Gründung des
Staatsballetts 2004 den Abend wieder
in das Repertoire aufgenommen hat,
wobei er selbst alternierend den Loge
gibt. Hier gelingt die Annäherung an
das nahezu inkommensurable WagnerWerk über den Körper, den Gestus,
den Tanz, in einem Stil, der Elemente
des klassischen Tanzes wie vielgestaltiger Moderne nutzt und sich eines
großen potenten und klugen Ensembles bedienen kann. Wie bei Kaminski geht es auch bei Béjart allenfalls
um partielles „Einleben“, immer wieder um kühne und freche Schritte, um
das Vorzeigen des Machens selber, um
Bruchstückhaftes, wobei sich hier wie
da auf unerlebte Weise eine neue Einheit annähernd fügt. Die Verneigung
vor dem Wagnerschen Gesamtwerk
„Ring“ steht dahinter und ist Motor.
Béjart drängt die überbordende Geschichte in knapp fünf Stunden cho-
reographische Erzählung zusammen,
eine kühne Herausforderung an Tänzer und auch ein Ballett-Publikum.
Bei beiden kann die Kenntnis des
Wagnerschen „Ring“ nicht vorausgesetzt werden.
Ähnlich wie bei Kaminski ist auch
hier die Bühne ein „Laboratorium“,
hier (Peter Sykora) der bekannte alte
Trainingssaal in der St. Petersburger
Ballettschule samt vernutzten Zentralheizungen, vergilbten Spiegeln, Trainingsstangen, dem Flügel,...
Um so erstaunlicher ist, wie Béjart
Eindrücke des Atmosphärischen in
diesem rüden Umfeld gelingen. Michael Denard (Tänzer und Schauspieler) führt uns vital und hoch konzentriert als Erzähler durch den Abend,
und er bedient das alte Tonbandgerät,
Ring-Aufnahmen vergangener Jahrzehnte einspielend, diese aber auch per
Knopfdruck schroff abbrechend, und
mit lapidarem Text konternd, wenn
sich der Zuschauer gerade genüsslich
zurücklehnen wollte. Die großartige
Pianistin Elisabeth Cooper ergänzt
bzw. kommentiert dazu die Szene am
Flügel. Grenzüberschreitungen lassen
ironisches Schmunzeln aufkommen:
Die Pianistin versteckt sich „angstvoll“ beim ersten Auftritt der Riesen,
der Erzähler fängt irgendwann einmal an zu tanzen, und der Tänzer
des Mime (kriechend wie eine kleine
klebrige Spinne) beginnt mit Klavierbegleitung zu singen: „Als zullendes
Kind zog ich dich auf...“
Wagner in Berlin
eine unterschätzte Beziehung
W
enn von Städten die Rede
ist, die geschichtlich eng mit
dem Namen Richard Wagners verbunden sind, dann drängen
sich Zürich, München und Bayreuth
geradezu auf. Berlin gehört nach
einhelliger Auffassung nicht dazu.
Wirklich nicht? Hermann Grampp,
der als Historiker schon über Wagner in Frankreich promoviert hatte, ließ diese Frage keine Ruhe. Im
Oktober war er bei uns, um uns an
seiner Arbeit teilhaben zu lassen,
Der Walkürenritt auf Spitze? Ich
sah ihn selten so voll böser Aggressivität und kalter Monumentalität.
Dass Siegmund und Sieglinde, Siegfried und Brünnhilde ganz junge
Menschen sind, vergisst man auf
der Opernbühne oft, hier wurde es
Realität. Die Liebesszenen beider
Paare waren von anrührender Überzeugungskraft. Das begann schon
bei der Erschaffung des Wälsungenpaares, wenn sich die beiden aus dem
Ei-Oval (Zwillinge!) herauswinden.
Und dann wird Siegfried, häufig und
zu Unrecht heutzutage denunziert,
wirklich zum „herrlichen Helden“,
zumindest für Brünnhilde, und
bleibt nicht der ungeschickte singende Fleischbrocken. Béjart schafft
mitunter kühne „dramaturgische
Sichtschneisen“ und es gelingt ihm,
Weltsicht, Philosophie in Tanz umzusetzen. In merkwürdiger Doppelung erscheint das abgetakelte Göttergeschlecht der „Rheingold-Welt“
im muffigen Gewand der Uraufführung von 1876 auf (Wagner schon
fand die Entwürfe von Professor
Döpler entsetzlich). Wenn am Ende
beim Weltenbrand, die Empore des
Ballettsaals herabbricht und das
Göttergelichter auf dem Schrott der
Geschichte landet, rafft sich Wotans
besseres Ich auf und geht langsam
mit dem Speer nach hinten ins Licht,
wozu die ersten Takte des „Parsifal“Vorspiels erklingen. (Bei Kupfer und
Flimm gab es in Bayreuth ähnliche,
aber nicht so eindeutige Anspielungen). Ist der Speer entsühnt? Wird
ein neues Kapitel Weltgeschichte
aufgeschlagen? Vielleicht überzeugt
und erregt gerade die Béjart’sche
Lebensweisheit an diesem Abend so
sehr, sein Weltoptimismus, mag er
auch naiv sein, seine Überzeugung,
dass aus Leben immer wieder neues
Leben entsteht, und seine Freude daran, abgehandelt an einer wahrlich
„unendlichen Geschichte“.
172 Jahre Rezeptionsgeschichte
über Wagner und Berlin kritisch zu
untersuchen. Wagnerstadt Berlin?
Diese Bezeichnung ist sicherlich zu
hoch gegriffen, – besonders, wenn
es um Wagners persönliches Verhältnis zur preußischen Hauptstadt
und der späteren Reichshauptstadt
ging. Zu sehr wechselten sich hier
Erfolge und Misserfolge gegenseitig
ab, wobei die Misserfolge zumeist
überwogen. Die erhoffte Aufführung des „Liebesverbotes“ am Königstädtischen Theater, unweit des
Alexanderplatzes, fand nicht statt.
Die Inszenierung des „Fliegenden
Holländer“ an der Berliner Hofo-
per wurde hinausgezögert und nach
der Aufführung im Januar 1844
hämisch verrissen. „Rienzi“, der
Dauerbrenner in Dresden, musste
drei Jahre später nach nur acht Vorstellungen abgesetzt werden. Selbst
die „Meistersinger“ fanden vor den
Berliner Kritikern keine Gnade.
Von grauenvoller „Katzenmusik“
schreibt die Montagszeitung am
1. April 1878, von Musik, „wie sie
nicht schlimmer erzeugt würde,
wenn sämtliche Leiermänner Berlins in den Renzschen Cirkus gesperrt werden und jeder eine andere
Weise drehte.“
Besondere Abende verlangen einen
besonderen Applaus. Wer kennt
nicht das männerdominante Bravogebrüll in Bayreuth (der erste Schreihals versucht attraktiv sich zwischen
den letzten Orchesterakkord und
den spontan einsetzenden Applaus
zu zwängen).
Beim Tanztheater fallen eher die
Teenies auf, ihre grellen Schreie des
Entzückens, überhaupt eine gewisse
junge Sportlichkeit der Zuschauergemeinde. Und beim Schauspiel? Da
scheint flapsige Gelassenheit zu dominieren, frenetisches Geschrei wird
durch Trampeln und massenhaftes
Pfeifen untermalt. Neben mir sitzt
eine reife Dame, ihr Abendkleid erscheint fast etwas deplaziert, sie hat
sich bei Kaminski glänzend amüsiert und fortwährend gelacht, auch
da, wo es wirklich nichts zu lachen
gab. Nun stößt sie einen grellen Indianerschrei aus, langgezogen, dazu
schlägt sie sich in rascher Folge mit
der flachen Hand gegen den Mund.
Auch das ist Begeisterung!
Dieter Reuscher
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Trotz solcher Verrisse vermochte
sich das Gesamtwerk des Bayreuther
Meisters allmählich auch in Berlin
durchzusetzen, wobei der mächtige
Intendant aller Staatstheater, Botho
von Hülsen, der die Geschicke der
Bühnen über dreißig Jahre lang leitete, eine nicht unwesentliche Rolle
spielte. Der anfängliche Skeptiker
wurde zwar nie zum Wagnerianer,
war aber nach und nach durchaus darum bemüht, sich mit Wagners neuer
Ästhetik auseinander zusetzen und
seine Dramaturgie im Vergleich mit
anderen Opern anzuerkennen.
wiss, wenn man die Anhänger des
Werkes gewichtet. Drei Opernhäuser
spielten die Musikdramen, wobei das
Deutsche Opernhaus Charlottenburg
ursprünglich als Richard-WagnerTheater geplant war. Seit den dreißiger
Jahren zeigten die Besetzungslisten
eine enge Vernetzung mit Bayreuth
auf. An den Pulten der Häuser wirkten
so bedeutende Wagner-Dirigenten wie
in der geteilten Stadt eine neue Opernkultur: Walter Felsenstein, Götz
Friedrich und Harry Kupfer standen
für wegbereitende Regieführung, –
weit über die Grenzen Berlins hinaus.
Mit Daniel Barenboim und Christian
Thielemann ist die Verzahnung mit
Bayreuth wieder hergestellt und Wagnerproduktionen an Staatsoper und
Deutscher Oper erfreuen sich einer
1903 musste sogar ein opulentes
Denkmal her, welches heute noch im
Tiergarten zu besichtigen ist. Wagners Witwe Cosima hätte es gerne
verhindert, konnte sich aber nicht
durchsetzen. Trug sie Berlin vielleicht etwas nach? Dabei war es doch
in Berlin und auch im Tiergarten,
wo sie und Richard sich einstmals
(1863) so nahe kamen, dass ihre Ehe
mit Hans von Bülow keinen Bestand
mehr haben konnte.
Foto: D. Kahle
Auch ein anderer Skeptiker sollte
seine Zurückhaltung aufgeben und
Wagner sogar in der Wilhelmstrasse empfangen: Otto von Bismarck,
Reichskanzler des neu gegründeten
Deutschen Reiches. Er wird später
berichten, niemals zuvor einer so vor
Selbstbewusstsein strotzenden Persönlichkeit wie Wagner begegnet zu
sein.
Rainer Fineske dankt Dr. Hermann Grampp
Wilhelm Furtwängler, Erich Kleiber,
Bruno Walter und Otto Klemperer.
Selbst die Insolvenz der Kroll-Oper im
Jahre 1931 konnte dem Wagnerfieber
nichts anhaben, bis in den Flammen
des 2. Weltkrieges auch die verbliebenen Spielstätten untergingen.
weltweiten Beachtung. Wagnerstadt
Berlin? Das mag übertrieben klingen.
Aber Wagner und Berlin, das bleibt
eine besondere, oft unterschätzte Beziehung, die es zu reflektieren gilt, wie
Hermann Grampp es gemacht hat.
Wir dürfen auf sein Buch hoffen.
Dieter Kahle
Wagnerstadt Berlin? Vor Ausbruch
des ersten Weltkrieges war sie es ge-
Aber wie immer neues Leben aus den
Ruinen blüht, so entwickelte sich auch
Die Musikinstrumente des Alten Ägypten
und deren Wiederfindung in den Musikdramen von Richard Wagner
E
in nicht ganz leichtes Thema
für unsere vortragende Ägyptologin Frau Dr. Olivia Zorn.
aufgeteilt, um uns eine bessere Übersicht zu den passenden Musikstücken
zu vermitteln.
Denn auf dem ersten Blick klingt das
Ganze doch recht abenteuerlich. Was
hat das alte Ägypten mit Richard Wagner zu tun? Auf der einen Seite recht
wenig und wiederum doch sehr viel.
Als erstes behandelte sie die Gruppe der Idiophone: Becken, Glocken,
Kastagnetten/Klappern, Rasseln und
Sistren. Passend zur Erläuterung dieser Instrumente wurde die geeignete
Musik aus dem „Ring des Nibelungen“ – Der Abstieg nach Nibelheim
– eingespielt. Bei dieser Einspielung
Frau Dr. Zorn hatte ihren Vortrag in
vier Gruppen von Musikinstrumenten
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traten ganz besonders die Glocken,
Kastagnetten und Rasseln hervor.
Die zweite Gruppe umfasste die Aerophone: Klarinette, Oboe, Trompete,
Fanfare, Tuba.
Hier war die Musikauswahl sehr prägnant gewählt und sehr deutlich vernahmen wir die dargestellten Instrumente im Vorspiel zum zweiten Akt
des „Lohengrin“, in dem fast alle der
erklärten Aerophone vorkommen.
Die dritte Gruppe behandelte die
Chordophone: Harfe, Laute, Leier.
Hier wurde uns von Frau Dr. Zorn
die herausgehobene Position des blinden Harfners aus dem „Alten Ägypten“ vermittelt. Bei Richard Wagner
finden sich die Instrumente besonders
stark ausgeprägt im Lied des Wolfram beim Sängerstreit im Festsaal auf
der Wartburg wieder, wenn er singt:
„Blick` ich umher in diesem edlen
Kreise.“ Sehr deutlich tritt dann noch
einmal die Harfe hervor, als wir das
Lied „An den Abendstern“ zu Gehör
gebracht bekamen. Die letzte Gruppe
umfasste die Mambranophone: u. a.
Tamburin und Trommel.
Diese spielten im antiken Ägypten eine besondere Rolle, wenn sehr
rhythmische und kräftige Tempi gefragt waren, z. B. bei Prozessionen
oder Trauerfeiern. Wir erkennen an
Hand der musikalischen Einspielung
des Trauermarsches aus der „Götterdämmerung“ diese Instrumente sehr
präzise wieder.
In vollkommener Weise gelang es Frau
Dr. Zorn einen, wenn auch weiten Bogen, vom antiken Ägypten zu Richard
Wagner und seiner Instrumentation in
seinen Dramen zu spannen. Hervorra-
Zur 25. Ausgabe von „Musik und Drama“
gend veranschaulichen konnte sie das
ganze Thema durch ihre ausgewählten Lichtbilder der Instrumente jener
Zeit, die sie uns aus dem Ägyptischen
Museum Berlin mitgebracht hatte.
Wir danken ihr sehr für diese akribische und so umfassende Arbeit, die
sie mit so viel Verve und Begeisterung
uns zu vermitteln verstand. Dass der
Abend mit vielen Fragen an sie und
die Musik und die alten Instrumente
zu Ende ging, zeigte uns, dass es ein
spannendes Thema war.
Rainer Fineske
Wie kam es zur Gründung von „Musik und Drama“?
D
ie fünfundzwanzigste Aus
gabe einer Zeitschrift mag
unter normalen Umständen
kein Anlass zu einer Hommage sein.
Professionelle Editionen werden
dann vielleicht gerade einen Abonnentenstamm aufgebaut haben, der
eine Chance auf dem Markt sichert.
Dutzende von Redakteuren und
Autoren haben Themen und Inhalte
gestaltet, viel Geld mußte investiert
werden, um Beachtung und Akzeptanz zu finden.
Dies alles trifft auf „Musik und Drama“ nicht zu. Das Blatt hat keine
zahlenden Abonnenten, keinen professionellen, d. h. bezahlten Mitarbeiterstab. Die Autoren erhalten kein
Honorar, und die Leser, Mitglieder,
Freunde und Interessenten des Werks
Richard Wagners, erhalten die Ausgaben kostenlos. Gestaltung, Layout, Inhalt und Ausgabe liegen in der Hand
ehrenamtlich arbeitender Redakteure,
in der Regel Vorstandsmitglieder des
Verbandes. Es ist keineswegs selbstverständlich, dass unter diesen Voraussetzungen in den letzten 17 Jahren
eine Zeitschrift erschienen ist, die weit
mehr darstellt als das Mitteilungsblatt
eines Vereins. Den Herausgebern ist
es gelungen, ein Magazin zu schaffen,
dass nicht nur Chronik und Kalender
ist, sondern auch neben aktuellen Berichten und Kritiken zur Kulturszene
eine wissenschaftliche Auseinandersetzung und Berichterstattung leistet.
Nr. 25, November 2008
MUSIK UND DRAMA
7
Wenige Monate vor der Ausgabe „1.
Jahrgang Nr.1 im Mai 1991“ war in
Ost-Berlin ein Richard-Wagner-Verband gegründet worden. In Berlin
existierten nun bis zur Vereinigung im
Oktober 1991 zwei Verbände, der, wie
Josef Lienhart sagte, junge „RichardWagner-Verband Berlin-Alexanderplatz“, und der etablierte Verband
„Berlin-Kurfürstendamm“. Die kleine, aber hochmotivierte Ostberliner
Mitgliederschar mit hochgeachteten
Persönlichkeiten aus der Kulturszene
hatte viele Ideen, zu denen auch die
Schaffung einer Zeitschrift gehörte.
Die Herausgeber schrieben unter dem
Motto „In eigener Sache:
Vor Ihnen liegt die erste Ausgabe
einer neuen Zeitschrift. Der Titel
„Musik und Drama“, welcher natürlich auf Wagners Schrift „Oper und
Drama“ Bezug nimmt, soll die Vielfalt unserer Themen zusammenfassen. Da ist zunächst – und selbstverständlich an erster Stelle – der große
Meister selbst mit seinen Werken und
deren Rezeption und Interpretation,
den Bayreuther Festspielen und ihrer
wechselvollen Geschichte und allen
nur denkbaren Themen, die sich um
den Komponisten ranken... Vor allem
aber wollen wir aktuelle Informationen von und über Richard-WagnerOrtsverbände aus Nah und Fern
anbieten... Wir wollen ein offenes
Forum und gleichzeitig ein Symbol
für die neue Zeit sein, in die auch der
Richard-Wagner-Verband Berlin e.V.
nach der Vereinigung Deutschlands
eingebunden ist.“
Erste Redakteurin war Gerlinde
Nitzschmann, die auch Vorsitzende
des Ostberliner Verbandes war und
bei der Vereinigung beider Verbände
zur Zweiten Vorsitzenden gewählt
wurde. Jedoch schon ab der zweiten
Ausgabe werden als Redakteure Dr.
Stephan Stompor, Chefdramaturg
der Komischen Oper und Frau Nitzschmann genannt. Beide gestalteten
auch im vereinigten Verband die Zeitung, bis Dr. Stompor nach schwerer
Krankheit Mitte der neunziger Jahre
starb.
Für fast ein Jahrzehnt übernahm dann
C. A. Roesler, Leitender Dramaturg
und später Leiter des Kindertheaters
an der Deutschen Oper Berlin, die
Redaktion, bis er 2005 die Aufgabe
an den jetzigen Schriftleiter Matthias
Spruß übergab.
„Richard Wagner für Kinder“
S
Als ich 1994 zum ersten Mal die Idee
äußerte, wurde ich, wenn es gut ging,
belächelt, wenn es schlecht ging, für
nicht ganz zurechnungsfähig erklärt,
denn es herrschte die Meinung, Wagner sei nur etwas für Erwachsene,
man könne insbesondere den „Ring“
Kindern nicht „zumuten“. Da ist etwas Richtiges dran, zumindest dann,
MUSIK UND DRAMA
8
Nr. 25, November 2008
Foto: Deutsche Oper Berlin
eit vielen Jahren läuft in der
Deutschen Oper Berlin „Klein
Siegfried“, eine Bearbeitung des
„Ring des Nibelungen“ für Kinder
und andere Opernanfänger. Inzwischen hat das Projekt da und dort
Nachahmer gefunden – in Wien, in
Zürich, ja sogar in Tokyo wurden
und werden ähnliche Kinderopern
gezeigt. Anlass, einmal zurückzublicken.
Alle haben „Musik und Drama“
nicht nur im Sinne der selbstgestellten Zielsetzung profiliert, sondern
in den Jahren weitergestaltet und zu
einer in den nationalen und internationalen Richard-Wagner-Verbänden vielbeachteten und geschätzten
Schrift entwickelt, die das Wirken
unseres Verbandes weit über Berlin
hinaus bekannt gemacht hat. Wer
jemals eine Publikation herausgegeben hat weiß, welche Sysiphusarbeit
für jede Ausgabe geleistet wurde und
noch geleistet wird. Nehmen wir
dieses kleine Jubiläum zum Anlass,
den bisherigen und jetzigen Redakteuren und Autoren unseren längst
überfälligen herzlichen Dank auszusprechen.
Wenn ich zur künftigen Gestaltung
einen Wunsch frei hätte, wäre es die
Bitte an unsere Leser, mit Ihrer Meinung oder Kritik zur Lebendigkeit der
Zeitschrift beizutragen.
Wünschen wir uns, dass es auch in der
Zukunft gelingt, „Musik und Drama“
zu einer interessanten und beachteten
Schrift zu machen.
Günther Fürstenau
Ich gebe aber gerne zu, dass ich den
„Ring“ bei meiner Suche nach Opernvorlagen für Kinderstücke nicht von
Anfang an im Blick hatte. Es gab
Vieles, das näher lag. Es bedurfte
kleiner Anstöße. Der erste kam von
einem berühmten Kollegen, dem damaligen Chefdramaturgen der Wiener
Staatsoper, dem manchmal liebevoll
auch Mister Opernführer genannten
Marcel Prawy. Beim Essen im „Don
Giovanni“ nach einer Veranstaltung
in der Deutschen Oper, die er moderiert hatte, sagte er zu mir, im Tonfall
durchaus etwas vorwurfsvoll gegenüber einem Dramaturgen der jüngeren
Generation: „Was habt’s Ihr auch immer mit Eurer Interpretiererei beim
„Ring“. Das ist doch ein Märchen. Wir
haben uns den als Kinder angesehen.“
Der zweite Anstoß kam von meinem
fünfjährigen Sohn. Er war fasziniert
von den Bildern Siegfrieds in der Inszenierung von Götz Friedrich und
wollte die Oper unbedingt sehen. Von
denen, die uns dann zusammen in der
Vorstellung sahen, glaubten viele nicht,
dass das Kind die Eltern und nicht
die Eltern das Kind mit in die Oper
genommen haben. Doch die Begeisterung für Wendungen wie „Zwangvolle Plage“ oder „Deinen Sudel sauf
allein“ und die akkurate Nachahmung
des Hammers auf dem Amboss wirkte
nachhaltig, auch im Kindergarten.
Der Entschluss reifte, den „Ring“ im
Foyer in einer Fassung für Kinder herauszubringen. Das musste nun natürlich vom Generalintendanten genehmigt werden. Daher griff ich zu einer
List. Ich fragte Götz Friedrich gar nicht
erst, ob ich das machen dürfe und was
dafür und was dagegen spräche, sondern ich bat ihn sofort um Hilfe bei
einer Frage, die ich selbst schon lange
gewälzt und fast schon beantwortet
hatte: soll der „Ring“ für Kinder ebenso in vier Teilen aufgeführt werden,
wie der „Ring“ für die Erwachsenen,
oder soll er an einem Vor- oder Nachmittag abgehandelt werden? Eine Va-
riante, zuvor schon von einer freien
Theatertruppe in Hamburg ausprobiert, wäre noch, den „Ring“ in zwei
Teilen aufzuführen. Eine Lösung, die
ich selbst während der Vorbereitung
auch lange Zeit favorisiert hatte.
Götz Friedrich ließ mich mit genau
dieser Frage allein, er war überzeugt
vom produktiven Potential des Fragenstellers, und wollte in den Prozess
nicht eingreifen. Aber Februar 1997
Jetzt, für „Klein-Siegfried, durfte ein
wirkliches Bühnenbild ins Foyer gebaut werden – mit all den Beschränkungen, die eine Bühne ohne Oberund Untermaschinerie hat. Susanne
Klopfstock entwarf eine golden schimmernde Neidhöhle im Wald, in die
Ecke zwischen der linken Zuschauertreppe und der beweglichen Skulptur
an der langen Wand gedrängt. Zwei
Hochsitze für die Waldvögel flankierten den Eingang zur Höhle. Die
Foto: Deutsche Oper Berlin
wenn man voraussetzt, dass die Begegnung mit einem Kunstwerk nur
dann ein geistiger Gewinn sein könne, wenn man es auch bis ins Letzte
verstehe. Doch, Hand aufs Herz, wer
kann denn von sich behaupten, den
„Ring“ verstanden zu haben?
wurde für die Premiere festgelegt und
das Stück bekam von Götz Friedrich
den Titel: „Klein-Siegfried“. Inszenieren wollte er das Stück allerdings nicht
selbst. Saskia Kuhlmann, Regisseurin
und Spielleiterin im Team von Götz
Friedrich seit 1992, die schon „Hänsel
und Gretel für die ganz Kleinen“ in
Szene gesetzt hatte, übernahm die Regie und es wurde auch ein kleiner Etat
für die Ausstattung bereitgestellt. Für
„Hänsel und Gretel für die ganz Kleinen“ hatte es das noch nicht gegeben
Das Bühnenbild dafür ist improvisiert, die Tannen waren falsch gelieferte für die „Tannhäuser“-Inszenierung
von 1992, die Kostüme (von Gottfried
Pilz) kamen aus der damals laufenden
„Hänsel und Gretel“-Inszenierung,
der Schirm für den Fliegenpilz war ein
Werbegeschenk der Berliner Festspiele,
die weißen Punkte aus Leder-Resten
verdeckten den Schriftzug. Das Hemd
und die Strumpfhose fanden sich im
Fundus.
Kostümdirektorin Dietlinde Calsow
entwarf phantasievolle Kostüme für
das reduzierte „Ring“-Personal. Aber
halt! So weit sind wir noch nicht.
Das Stück musste ja erst geschrieben
werden. Dazu musste eine Besetzung
ausgewählt werden und, analog zum
erfolgreichen„Hänsel und Gretel für
die ganz Kleinen“, suchte ich auch
nach einer Rahmenhandlung. In einer Aktennotiz an Götz Friedrich
vom Dezember 1994 finde ich folgende Überlegungen:
„Es versteht sich von selbst, dass so
etwas nur zu machen ist, wenn wir
es ohne Gäste machen. Meiner Ansicht nach sind wichtige Partien für
eine Aufführung im Foyer am Klavier
ganz leicht zu besetzen! Etwas Kopfzerbrechen macht mir lediglich der
Siegfried nach dem Ausscheiden von
Herrn DeHaan. Aber mit den Herren
Horn (den ich allerdings eher als Siegmund sehe) und Griffith haben wir
Nr. 25, November 2008
MUSIK UND DRAMA
9
John David DeHaan, heute gefragter
Pädagoge in den USA (u. a. associate professor an der Universität von
Minnesota), hatte damals an der
Deutschen Oper Berlin als Florestan,
Erik und Macduff auf sich aufmerksam gemacht. Außerdem hatte er bei
DECCA einige Aufnahmen in der
Reihe „Entartete Musik“ gemacht. Er
schwebte mir zunächst als Siegfried
vor. Und wie aus der Notiz weiter hervorgeht, war ich noch gar nicht auf
die Idee gekommen, Siegmund und
Siegfried von einer Person darstellen
zu lassen.
Auch die Rahmenhandlung mit dem
Erzähler war noch ganz anders vorgesehen: „Der Welt Erbe gewänne zu
eigen, wer aus dem Rheingold schüfe
den Ring, der maßlose Macht ihm
verlieh“, singt Wellgunde und Floßhilde sekundiert: „Der Vater sagt es,
und uns befahl er, klug zu hüten den
klaren Hort, dass kein Falscher der
Flut ihn entführe: drum schweigt,
ihr schwatzendes Heer!“ Die Rheintöchter haben also einen Vater. Und
Väterchen Rhein mit einem endlos
langen, von Wellen-Kräuseln durchzogenen Bart dachte ich mir als Erzähler der Geschichte. Diese Rolle
hatte ich mir selbst zugedacht und
freute mich schon darauf, dass ich
die ganze Zeit bequem im Flussbett
liegen bleiben könne. Daraus wurde
aber nichts. Als Waldvogel muss der
Erzähler ja zumindest so tun als ob er
fliegen könnte.
Einen Dialog für Väterchen Rhein
hatte ich dennoch schon fertig geschrieben, dazu die Ausschnitte aus
dem „Rheingold“ zusammengestellt
für den ersten Teil eines möglichen
vierteiligen Kinder-„Rings“. Das Personal war reduziert, Loge, Erda und
Freia kamen nicht als Sänger vor.
Freia sollte eine Puppe oder eine Statistin sein, ein paar Einwürfe von Loge
sollte Fricka übernehmen und Erdas
Geraune wollte ich dem jugendlichen
Publikum ersparen.
Aber nun gab es schon den Titel,
„Klein-Siegfried“. Und die Idee, die
MUSIK UND DRAMA
10
Nr. 25, November 2008
Kinder vier Mal in die Oper kommen zu lassen wie die Erwachsenen,
kam mir bei eingehender Überlegung
dann doch etwas absurd vor. Es musste also ein neuer Ansatz gefunden
werden, der zumindest den Helden
Siegfried als Identifikationsfigur ins
Zentrum setzt.
In „Siegfried“ fand ich sofort die
Spielleiter-Figur, die einen großen
Teil der Geschichte erzählt und Tipps
Was aber Kinder und Jugendliche vor
allem spannend finden, ist der Kampf
mit dem Drachen. Der sollte zu einem
Höhepunkt werden, zu einem wohl
vorbereiteten Höhepunkt, denn mehrere Auseinandersetzungen mit Axt,
Schwert und Speer gehen im Verlauf
der Handlung voraus: der Kampf der
Riesen, Hunding gegen Siegmund
mit dem Eingreifen des Gottes Wotan. Alle drei Kämpfe wurden auch
Bestandteil von “Klein-Siegfried“,
Foto: Deutsche Oper Berlin
Ausweichmöglichkeiten,
vielleicht
wäre es aber auch etwas für Herrn
Peper?“
gibt, wie es weiter gehen könnte: die
Stimme des Waldvogels. Von ihr
erfährt Siegfried einiges über seine
Herkunft und von ihr lässt er sich
leiten. Dem „singenden Waldvögelein“ gab ich ein sprechendes Pendant
dazu. Und die beiden Vögel bekamen eine eigene Geschichte, eine Art
Rahmenhandlung, die allerdings am
Ende nicht so richtig aufgelöst wurde,
denn das Ende war jetzt der Schluss
von „Siegfried“. Der Titel verwies auf
den Entwurf von Richard Wagner
mit dem Titel „Jung-Siegfried.“ Und
so war es gemeint: dem „Klein-Siegfried“ sollte irgendwann ein zweiter
Teil folgen. Mit diesem zweiten Teil
hatte ich allerdings ein großes Problem. Bekanntlich stirbt Siegfried in
der „Götterdämmerung“. Und das
wollte ich den Kindern nicht antun,
dass sie ihren Helden verlieren.
ebenso die geistige Auseinandersetzung zwischen Wotan und Mime, die
Wissenswette. Diese war nicht unumstritten, denn viele Beteiligte fanden,
dass dies für die Kinder „zu schwierig“ sei. Doch ich bestand darauf, vor
allem, um auch einen Ruhepunkt zu
haben inmitten der vielen, neudeutsch
gesprochen, „Action-Szenen“. Davon
folgten ja, dem Lauf der Handlung
bis zum Ende von „Siegfried“ entsprechend, noch zwei weitere, die „Erledigung“ Mimes und das Zerschmettern
von Wotans Speer durch Siegfried.
Wir hatten eine wunderbare Besetzung für die Premiere. Rolf Kühne
sang den Alberich und auch aus dem
Off ein paar Takte von Fasolt. Niemand war geeigneter für diese Aufgabe als er, der von sich sagen konnte,
jede Partie im „Ring“, die im Bassschlüssel notiert ist, auf der Bühne
gesungen zu haben. Er zeigte sich als
wunderbarer Kollege, der uns weniger Bühnenerfahrene an die Hand
nahm und mich mit Tipps versorgte,
mit deren Hilfe ich den Text trotz der
Vogelmaske verständlich präsentieren
konnte.
sogar in ein Wikingerkostüm stecken
und bildete das erste Faszinosum dieser Produktion. Auch allerdings den
ersten Panikschrei eines zuschauenden Kindes, denn das Horn ist schon
sehr laut, wenn man so nah dran ist,
und vielleicht doch noch keine vier
Jahre alt.
Lucy Peacock und Volker Horn waren ein ideales Paar Brünnhilde–
Siegfried. Gudrun Sieber, die schon
in „Hänsel und Gretel für die ganz
Kleinen“ gezeigt hatte, dass sie mit
ihrem alterslosen Charme gerade
Kinder in einen besonderen Bann
ziehen konnte, übernahm die zu einer Hauptpartie gewordene Stimme
des Waldvogels.
Zum Horn als Symbol Siegfrieds
(aber auch für die Klangwirkung der
Tarnkappe) kam als weiteres Instrument neben dem Klavier noch eine
Kontrabasstuba. So dass der Kampf
zwischen Siegfried und Drachen
auch musikalisch plastische Gestalt
annahm.
Wie schon in „Hänsel und Gretel
für die ganz Kleinen“ sollte auch
im „Klein-Siegfried“ das zuschauende Publikum nicht zur vollkommenen Passivität verurteilt sein. Dort
spielten sie die Vogelinstrumente, um
eine Waldstimmung herzustellen.
Hier hatte ich verschiedene Überlegungen angestellt: die Ambosse im
„Rheingold“ können von Kindern
aus dem Publikum gespielt werden.
In der „Walküre“ könnte man ein
Spiel mit dem Schwert veranstalten,
Kinder dürfen daran ziehen, aber es
ist natürlich arretiert und nur Siegmund kennt den Trick, oder Kinder
halten Elektrokerzen um den Feuerkreis zu markieren. Im „Siegfried“
könnten Kinder das Horn entdecken
oder auch ein Rohrblatt-Instrument
schnitzen. Ich entschied mich für die
Ambosse.
Herrlich gegen deutschtümelnde
Traditionen besetzt war Wotan. Der
ganz junge Arutjun Kotchinian, ganz
und gar nicht nordisch, gab dem
Göttervater eine blasierte Würde, der
die Regisseurin auch komödiantische
Seiten einzuhauchen verstand.
Hunding, in eine leicht angerostete,
aber funktionierende Ritterrüstung
gesteckt, gab Klaus Lang mit Stentorqualitäten in seiner Stimme, die er
auch dem Fafner („Lass mich schlafen!“) lieh.
Zuerst aber hat die Musik das Wort.
Es war mir von Anfang an ganz wich-
Foto: Deutsche Oper Berlin
Schon die Generalprobe kam bei
den kleinen Gästen sehr gut an und
die Premiere war ein riesiger Erfolg.
„Iiiih, die knutschen ja!“ rief es am
Ende, wenn Siegfried und Brünnhilde sich in die Höhle zurückziehen,
aus dem Publikum.
tig, dass der Hornruf aus „Siegfried“
von einem Hornisten des Orchesters
live gespielt wird. Paul Sharp ließ sich
Der Schluss aber war kein wirklicher
Schluss. Es endete mit Brünnhildes
Erweckung. Auf Vorschlag der Regisseurin haben wir dann noch etwas Rhein-Musik angefügt, um auf
die Rheintöchter zurückkommen
zu können und sie alles überfluten
zu lassen wie in der „Götterdämmerung“. Aber das war eine Notlösung.
Deshalb beschäftigte mich lange
Zeit der Gedanke, einen zweiten
Teil (mit der „Götterdämmerung“)
hinzuzufügen. Doch ich fand keine
befriedigende Lösung, vor allem wegen der erwähnten Problematik mit
dem Sterben des Helden. Schließlich
fand ich einen Weg, die Handlung
des „Klein-Siegfried“ abzurunden
durch die Hinzufügung von ein paar
kurzen Ausschnitten aus der „Götterdämmerung“. Das Schlussduett
konnte unmittelbar übergehen in das
Duett aus dem Vorspiel. Brünnhilde
schickt Siegfried „zu neuen Taten“ in
die Welt. Und er kehrt einfach nicht
zurück. Wie es vermutlich zahlreiche
Kinder auch erlebt haben, wenn ihre
Väter aus der Familie verschwanden.
Der Schluss gehört dann der Rahmenhandlung, die Kinder dürfen entscheiden, wer den Schatz bekommt,
die Vögel, die von Anfang an darauf
aus sind, oder die Rheintöchter, wie es
die „geheimnisvolle Frau“ (eine Kombination aus Erda und Waltraute, die
ich nun doch einführte) verlangt.
Dafür musste Brünnhilde extra zwei
Varianten im Schlussgesang lernen.
Für die Worte:
„Der Wassertiefe weise Schwestern,
des Rheines schwimmende Töchter,
euch dank‘ ich redlichen Rat. Was ihr
begehrt, ich geb‘ es euch!“ erfand ich:
„Ihr Vögel, die ihr wohnt auf Wolken, des Himmels flatternde Kinder,
ihr sollt ihn haben von mir, was ihr
begehrt, ich geb’ es euch.“
Fast ist es überflüssig zu erwähnen,
dass die originale Variante nur in der
Hauptprobe gesungen wurde. Sobald
Kinder dabei waren, entschieden
sie, dass die Vögel den Ring haben
sollten.
So bleibt mir als dem Waldvogel am
Ende nur mich zu bedanken: Danke
an Götz Friedrich, der mir zu einer
Zeit die Gelegenheit gab, den „Ring“
für Kinder zu bearbeiten, als das
noch nicht im Schwange war. Danke
an das Regieteam und die Sänger, die
mir bereitwillig gefolgt sind und das
Unternehmen zum Erfolg geführt
haben und Danke an die Kinder, die
mich und meine Kollegen mit ihrer
spontanen Begeisterung über so viele
Vorstellungen getragen haben.
Curt A. Roesler
Nr. 25, November 2008
MUSIK UND DRAMA
11
Vor-Worte zur Romantischen Oper „Lohengrin“ 1
I.
Ein seltsames Vorspiel geht der
Oper voran: Es beginnt mit
gleißend hellem, über vier Takte
hinweg sich erneuernden Klang in ADur. Drei Instrumenten-Gruppen
stehen dafür ein: Violinen, in vier
Stimmen aufgeteilt, Flöten und Oboen, schließlich vier Solo-Violinen im
Flageolett. Der Einsatz dieser Gruppen ist ineinander verschachtelt: Aus
dem leise anschwellenden Akkord der
Violinen wächst der Bläserklang, aus
ihm der Klang der Solo-Violinen. Unmerklich setzt eine jede Klangschicht
ein; gedeckt von der vorangehenden
wird sie sich entfalten, bis jene sie frei
gibt. Unüberhörbar die Zunahme der
Leuchtkraft, gepaart dem Aufwärts,
dem symbolisierten Blick nach oben!
In lichter Höhe rührt sich ein langsam
schreitender, feierlicher Marsch: Der
zentrale Gedanke des Vorspiels. Seine
Initiale – der Vordersatz – besteht aus
einer Drehung zwischen A-Dur und
fis-moll. Was der Drehung folgt – der
Nachsatz –, erinnert an Gesänge; sie
jedoch wiesen nach unten – soll der
Aufschwung zurück genommen werden? Es greifen die Gesänge um sich.
In lichter Höhe rührt sich
ein langsam schreitender,
feierlicher Marsch: Der zentrale
Gedanke des Vorspiels
In ihnen weitet sich der Raum, auch
der harmonische Kreis: War zuvor
A-Dur nur durch die parallele MollTonart flankiert, so werden, nach
und nach, neue harmonische Felder
besetzt: E-Dur, D-Dur, h-moll, ja,
Cis-Dur.
Soweit die erste Strophe des instrumentalen Gesanges! Ihr folgt die Gegenstrophe; sie leitet über ins Kommende.
Die zweite Strophe, weitaus tiefer als
die erste, ist den Holzbläsern2 überantwortet, Violinen umspielen sie.
Auch ihr folgt die Gegenstrophe,
wiederum Überleitung.
Die dritte Strophe, wiederum tiefer,
angesiedelt in der Mittellage und
MUSIK UND DRAMA
12
Nr. 25, November 2008
darunter, gehört den Bratschen, Violoncelli, Hörnern: Sie bedarf der
festen Stütze, des gewichtig schreitenden Bassfundamentes, überdies
stehen ihr fast alle Streich- und Blasinstrumente zur Seite, mit Ausnahme der Trompeten und Basstuba.
Wohltönend das Ganze, in mittlerer
Lautstärke – erinnernd an Gesänge
von Männerchören!
Hat der feierliche Marsch mitsamt
der Kantilene, haben seine Gegenstimmen sich nahezu alle Klangregister erobert, so ist die Voraussetzung
gegeben für die äußere Steigerung:
Sie lässt nicht lange auf sich warten.
Blechbläser, gestützt vom StreicherTremolo, intonieren den Vordersatz der vierten Strophe, diesmal in
D- Dur – gewaltsam, als Fanfare.
Auf dem Höhepunkt setzt, vom gellenden Beckenschlag eingeleitet, der
Nachsatz ein: In zweimaligem Anlauf, dann sinkt das Geschehen in
sich zusammen.
Ein lang gedehnter Abgesang der
Violinen, gewonnen aus dem Nachsatz, führt zum Ausgangspunkt zurück: Nicht zu hören der klagende
Ton, das Kreisen in Moll-Tonarten,
nicht zu überhören das Absinken
über mehre Oktavräume hinweg!
Unten angelangt, soll eine neue
Kantilene intoniert werden: Ihr Ton
ist zart, jedoch starr, ausdruckslos,
und sie kann den Weg nach unten
nicht aufhalten.
Endlich die Rückkehr zum Anfang
des Vorspiels: Rasch – beklemmend
rasch! – werden A-Dur-Klänge aufgeschichtet – Posaunen, Trompeten,
Holzbläser, Violinen. Und ein letztes
Mal intonieren die Violinen den Anfang des feierlichen Marschs.
II. Die Idee des Vorspiels lässt auf
einen Begriff sich nicht bringen. Es
1
2
3
gibt mehrere Bedeutungsebenen;
sie alle werden für die Vorgänge der
Oper wichtig sein.
Ein Bedeutungsfeld – gewiss: eines
von mehreren! – kann fest gemacht
werden daran, was der Strophe und
Gegenstrophe widerfährt: Daran, wie
der Marsch, der ihm innewohnende
Gesang zunächst schattenhaft, unwirklich anhebt, wie er an Gewicht,
d. h. an Ton, Raum, Stärke zunimmt,
wie dem Vordersatz endlich der singende Ton abhanden kommt, statt
dessen Panzer der Macht zugesellt
werden – und wie dies nach wenigen Augenblicken zurück genommen
wird, wie der Marsch sich endlich
auflöst – nicht anders der Abgesang!
Unüberhörbar ist die Anstrengung,
den Marsch, den Gesang festzuhalten,
ja, mit Fleisch auszukleiden, schließlich mit Panzern zu versehen: Sie
jedoch schlägt ins Leere. Aber nicht
nur festzuhalten gilt es, was nicht
festzuhalten ist: Hebt der Marsch in
lichten Höhen an, so muss, wofür er
einsteht3, herunter geholt werden auf
die Erde – und zwar von denen, die
sehnsüchtig nach oben blicken. Die
zentrale Idee, von unsichtbaren Fäden wird sie hinab gezogen.
Jedoch: Je tiefer, je erreichbarer sie ist,
desto mehr offenbart sie innere Spannungen, Risse, Widersprüche. Nicht
nur macht beides, Marsch und Kantilene, sich kenntlicher, sondern es
treibt zunehmend auseinander. Der
Höhepunkt bringt es an den Tag:
Dem Vordersatz gehört der Marsch
allein; getilgt ist die Kantilene. Dem
Nachsatz gehört die Kantilene; sie
aber löst, absinkend, den Marsch auf,
danach wird auch sie verstummen.
Dem Auseinanderbrechen, schließlich dem Zerfall der Substanz folgt
die Auflösung des Klanges.
Überdies lässt sich, im Inneren des
Vorspiels, die zentrale Idee – der
Marsch, die Kantilene – nicht festhalten ohne zusätzliche Stütze: Die
Lohengrin, Romantische Oper in drei Aufzügen – so Wagners ausdrückliche Bezeichnung! Was es mit der
Bezeichnung auf sich hat, ist andernorts dargestellt worden. Vgl. Gerd Rienäcker, Romantisches in
Wagners Opern, in: Musik und Drama, Dezember 2007.
Flöten, Klarinetten, Oboen, Englischhorn, später auch Fagotte – ineinander gemischt, so dass der Klang
gleichsam abgeblendet wirkt.
Hierzu weiter unten.
jeweilige Strophe nicht ohne Gegenstrophe, die Hauptsache nicht ohne
Überleitung. Und führt die Überleitung zum Eigentlichen zurück, so
gleichzeitig von ihm weg.
Strophen und Gegenstrophen: An
einem Faden spinnen sie; der Faden
soll nie abreißen, und doch reißt er
ab4. Dicht ist das Klanggewebe, aber
nicht auf Dauer.
III. Völlig anders tönt es, wenn der
Vorhang zum ersten Aufzug sich öffnet: Lärmende Fanfaren, die den Gesang des Heerrufers einleiten, massive
Chorblöcke, die kräftige Ansprache
des Königs, unüberhörbar militant5,
hernach das heftige Gebaren Telramunds6 – nichts, so scheint es, hat
derlei mit dem Vorspiel zu tun.
Näher rückt ihm schon Elsas Klage 7:
In ihr nämlich wird das Geschehen
der Gegenstrophen aufgenommen,
ins Konkrete, d. h. ins Erlebbare, Erlebte übersetzt. Hier wie dort strebt
das musikalische Geschehen nach
oben – und wiederum nach unten!
Für Elsa heißt es: Durchbruch zur
Hoffnung, Zurücknahme.
Noch bleibt das Eigentliche des Vorspiels unausgesprochen. Erst in Elsas
Vision kommt der zentrale Gedanke
zu Worte.
Wofür er jedoch einsteht, wird viel später offenbar: Im dritten Aufzug, wenn
Lohengrin den Anwesenden mitteilt,
woher er kommt8. Vom wundertätigen
Gral ist die Rede9, vom Heil, das seine
Ritter der Welt bringen, von einer Idee
also, die die Welt in Ordnung bringen
soll – oder, in Wortwendungen von
E.T.A. Hoffmann übersetzt: Vom „fernen Reich der Romantik“, von dessen
„Wundern, Verwandlungen“10. Begreifbar ist endlich, was der feierliche
Marsch, was die Strophen artikulieren, begreifbar aber auch, was der Idee
widerfährt: Dies aber hängt nun doch
mit jenen Innenspannungen, inneren
Widersprüchen zusammen, die nach
und nach ans Tageslicht kommen11.
Sie, die Spannungen, Widersprüche,
sind dem Gral eingeschrieben: In ihm
wohnt das Licht, der Glanz, aber auch
die Einsamkeit, das unerschütterliche
Zeremoniell, mit dem der Gral sich
bestätigt und vom abriegelt, zugleich
die Suche nach den Menschen, mithin
die abweisende Geste und die ausgestreckte, den Menschen zugewandte
Hand – Zuwendung und Abschied in
eins!
An solcher Last – sie birgt Segen und
Fluch! – trägt Lohengrin schwer. Was
er den Menschen bringt, ist wunderbar und gefährlich, ist denn auch
selbst gefährdet, verwundbar; so wie
es beschaffen ist, kann es sich unter
den Menschen nicht bewähren12.
Nicht nur erkennen Telramund und
Ortrud die Wundstelle, auch Elsa
kann sich Lohengrins Gebot13 nicht
beugen. Nach Lohengrins Namen
würde sie fragen, auch wenn Telramund, Ortrud dies nicht eingeblasen
hätten. Denn sie begehrt den liebenden Menschen, auch um ihn zu
schützen vor anderen – nicht einen
Heiligen, nicht einen Gott. Damit
gibt sie den Geliebten preis: „Erkennt
ihr ihn, so muss er von euch ziehn“14.
Lohengrin also lüftet, im dritten
Aufzug, sein Geheimnis
Daher löst bereits im Vorspiel die
zentrale Idee, Marsch und Kantilene, sich auf, kommt zuvor ihre thematische Homogenität abhanden,
laufen die triumphalen Gebärden
ins Leere! Soll Lohengrins Herrlichkeit lautstark, gepanzert kundgetan
werden, so bricht dies nach wenigen
Takten ab. Lohengrin also lüftet, im
dritten Aufzug, sein Geheimnis. Solcher Preisgabe15 antwortet das volle
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
Orchester, hernach nimmt der Chor
den klagenden Abgesang auf. Ergriffenheit angesichts des Wunderbaren,
Erschütterung, Betroffenheit, unsägliche Wehmut einer Gemeinschaft,
die Abschied zu nehmen hat vom
Gralsritter! Und auch er kann den
Schmerz nicht länger verbergen, ist
ihm doch das Beieinander mit den
Menschen versagt. Einsam, gebrochen wird er zurückkehren dahin,
woher er gekommen ist.
Dafür nun steht der Abgesang im
Vorspiel ein: Zart, aber ausdruckslos
soll er gespielt werden – ausdruckslos,
weil gebrochen, jedoch zart! Könnte
von hier aus der Gesang aufs Neue
beginnen, jenseits des Vorspiels? Etwa
in Elsas Visionen, hernach in den betroffenen Gesängen des Chores, darin
die Edlen ihre Panzer wenigstens für
Augenblicke ablegen, leise, wehmütig
vor sich singen?
Für die Vorgangsfiguren der Romantischen Oper „Lohengrin“ ganz
zentral: Sehnsucht und Gewalt, Herkunft und Abschied, Ideale, ihre Gefährdung, ihr Zerbruch – dies alles
im Angesicht einer Welt, die der Veränderung dringend bedarf, und sei es
durch Wunder von außen; im Angesicht von Menschen, die zwar gepanzert sind auf dem Wege in den Krieg,
aber nun doch empfänglich sind für
irgendein „Anderes“, weil Sehnsucht
sich nicht verdrängen lässt.
Aufs Ungewöhnliche, Wundervolle
einer Idee und auf deren Risse, aufs
Ungewöhnliche ihrer Wege – bis hin
Dies nimmt das Geschehen des Prologs der „Götterdämmerung“, die Nornen-Szene vorweg: Spinnen
Erdas Töchter ihren Faden, um daraus zu entwickeln, was geschah, was geschieht, so reißt das Seil.
Erschreckt verstummen sie, verlassen sie ihr nächtliches Gefilde: „Der Welt melden Weise nichts mehr.“
Erster Aufzug, erste Szene
Zunehmend heftig artikuliert Telramund seine Anklage: Schon dies macht Zwänge offenbar, denen er
nicht entrinnen kann.
Erster Aufzug, zweite Szene
Dritter Aufzug, zweites Bild
„Im fernen Land, unnahbar euren Schritten, /liegt eine Burg, Monsalvat genannt“ – jene Burg, die den
heiligen Gral in sich birgt.
E.T A. Hoffmann in seiner Novelle „Dichter und Komponist“
Es sind jene Risse, Spannungen, Widersprüche, die fast allen Träumen, Visionen der Früh- und Hochromantik innewohnen: Das ersehnt „Andere“, Bessere trägt, mehr oder weniger erkennbar die Züge
dessen, wovon es sich angestrengt abhebt.
Darin gleicht Lohengrin dem Geisterfürsten in der Oper „Hans Heiling“ von Heinrich Marschner: Als
Meister versucht er bei den Menschen zu leben, aber er scheitert daran, weil er den Abstand zu ihnen
nicht preisgeben kann. Lohengrin wiederum besteht darauf, nicht erkannt, nicht beim Namen genannt zu
werden – mithin auf seiner Besonderung, Abgeschiedenheit.
Zweimal das Gebot: „Nie sollst du mich befragen, /noch Wissens Sorge tragen, /woher ich kam der Fahrt/
und wie mein Nam` und Art“.
Lohengrin zu den Anwesenden im dritten Aufzug
„..mein Vater Parzival trägt seine Krone./ Sein Ritter bin ich, Lohengrin genannt“.
Nr. 25, November 2008
MUSIK UND DRAMA
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zum Scheitern, zur Auflösung – konzentriert sich das Vorspiel; eben daher sind ihm Erschütterung, Wehmut
nicht fremd. Mehr noch, es spricht
vom Abschied-Nehmen.
IV. Von Ortruds nächtlichem Treiben, von Telramunds unbändigem
Zorn, von den Gebärden des Königs
will das Vorspiel nichts wissen – auf
dem ersten Blick.
Der zweite Blick offenbart anderes,
nämlich Zusammenhänge mit all
dem, was sich ereignen wird, Zusammenhänge auch mit Ortruds Welt.
Nach fis-moll wendet sich der jeweiDer zweite Blick offenbart
anderes, nämlich Zusammenhänge mit all dem,
was sich ereignen wird
lige Beginn der Strophen, um nach
A-Dur zurück zu kehren. In fis-moll
aber ist Ortrud, ist ihr nächtliches
Treiben angesiedelt16. Ganz in Lohengrins Nähe jedoch: Die Parallele
seiner Tonart A-Dur!
In der Drehung zwischen A-Dur und
fis-moll liegt der thematische Kern
jenes Rituals, in dem Lohengrin dem
Schwan zweimal sich zuwendet17.
Nicht anders des Schwanes stumme
Klage: Sie jedoch macht hörbar, was
ihm durch Ortrud widerfuhr18 – also
auch durch ihre Tonart.
Unheil, so scheint es, bringt sie, bringt
ihre Tonart den Menschen. Und
doch ist sie, ist ihr Sinnen, Trachten,
Handeln notwendig, Gegenpol zur
Gralswelt und zur Welt des Königs,
zugleich mit ihnen verquickt.
Eines nämlich hat Ortrud, hat ihre
Welt mit Lohengrin, mit dem Gral
gemeinsam: Das Anderssein.
Als „Reaktionärin“ wollte Richard
Wagner jenes „fürchterliche Weib“19
sehen. Dies aufzunehmen wird freilich aller negativen Konnotation des
Begriffs sich entledigen müssen. Denn
„reaktionär“ ist Ortrud zuvörderst im
Blick zurück und im Versuch, Einstiges
zurück zu gewinnen. Nicht ohnmächtig ist sie darin, nicht ohnmächtig die
Finsternis20, darin sie das Ihre treibt.
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Nr. 25, November 2008
Natur steht ihr zur Seite21, und mit ihr
jene heidnische Naturreligion, die das
Christentum zu überwinden glaubte:
Sie lässt sich nicht überwinden, ja, sie
wird um sich greifen, fast unkenntlich
noch, merklich aber in zweiten Aufzug:
Wohl sind Ortrud und Telramund des
Landes verwiesen22, dennoch anwesend als Illegale; ihnen wird Elsa, Lohengrin nicht entkommen. Und scheitern ihre Intrigen23, so lassen sie doch
gebrochene Menschen zurück.
Mehr noch: Nimmer ist, was Ortrud
treibt, den Menschen fremd – auch
und gerade Elsa nicht, weil sie durch
die Andere nun doch zu sich, also zur
eindringenden Frage nach dem Geliebten kommt.
Nicht als böser Geist, Ungeziefer, das
ausgerottet werden muss, lebt Ortrud
in ihren Widerparten; nicht äußerlich
all den Menschen, sondern Teil ihrer
selbst. So wie die heidnischen Religionen sich durchs Christentum nur
partiell verdrängen ließen – längst
hatte es sich des Verdrängten bemächtigt, ja, wesentliche Züge davon
aufgenommen, wie der Blick in mittelalterliche – pointiert: christliche! –
Volksreligionen offenbart24.
Dass Verdrängtes über all jene kommt,
die ihm zu Leibe rückten und rücken,
bewahrheitet sich hier wie allerorten, diesseits und jenseits unsäglicher
Kämpfe um Macht und Glauben!
Dafür nun, für das Ineinander von Gral
und seinem Widerpart, von wundertätigem, gepanzertem Christentum und
naturmächtigem Heidentum, für das
Ineinander von Lohengrin und Ortrud,
für Elsas Handeln im Schraubstock
beider Welten, könnte die Dur-MollDrehung des Beginns einstehen: Dergestalt gleicht sie einem Menetekel.
Gerd Rienäcker
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Vorankündigung
Montag, 23. März 2009
Tertianum-Residenz
Passauer Straße 5-7
19 Uhr
Das Richard Wagner Festspielhaus
Bayreuth
Dr. Markus Kiesel stellt sein Buch
vor, welches die Geschichte und Geschichten des Festspielhauses erzählt. In
den Jahren 1872 bis 1876 ließ Richard
Wagner seine Vision von einem idealen Theater in Bayreuth Wirklichkeit
werden. Doch noch nie wurde das Gebäude fotografisch so umfassend dokumentiert. Markus Kiesel offenbart die
Schönheit einer oft verkannten Architektur, schaut hinter die Kulissen, sucht
atemberaubende Perspektiven wie auch
poetische Details. In einer an den Primärquellen orientierten Recherche
wird die Architektur kunsthistorisch
neu betrachtet und ästhetisch bewertet,
als Teil von Richard Wagners Gesamtkunstwerk gewürdigt.
Alle weiteren Termine entnehmen
Sie bitte unserer Halbjahresübersicht auf der Homepage.
Vor allem im zweiten Aufzug, in Telramunds – Ortruds Unterredung, im gemeinschaftlichen Schwure,
wiederum in Ortruds Beiseite-Singen, nachdem sie Elsa bestrickte.
Bei seiner Ankunft (Erster Aufzug, zweite Szene), wiederum bei seinem Abschied (dritter Aufzug, zweites Bild).
In einen Schwan hatte Ortrud Elsas Bruder verzaubert.
Lohengrin zu Ortrud im zweiten Aufzug.
Der nächtlichen Wolfsschlucht in Carl Maria v. Webers Oper „Der Freischütz“ auch in der Tonart fis-moll
verwandt!
Auch, ja, gerade darin gleicht sie den vielen naturkundigen Frauen, die nicht nur im Mittelalter als Hexen
verfolgt wurden: Frauen, die in der Natur lebten, sich in ihr denn auch besser auskannten als die Verfolger.
Ahnt Lohengrin, der sie verbannt, ihre Macht? Inwieweit prägt seinen Bannsprüchen kaum verhohlene
Angst sich auf?
Ob sie wirklich scheitern, muss offen bleiben – so offen, wie der katastrophenhafte Schluss der Oper!
Vgl. hierzu Aaron Gurjewitsch, Mittelalterliche Volkskulturen, dt. Dresden 1986
Wir über uns
Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts
gab es Interesse an der Gründung einer Richard-Wagner-Stipendienstiftung, aus der die ersten Richard Wagner Verbände 1908 hervorgingen. Der
Berliner Verband konstituierte sich
dann im Jahre 1909. Inzwischen gibt
es weltweit über 120 Richard Wagner
Verbände in über 40 Ländern.
Wir, der Richard-Wagner-Verband Berlin-Brandenburg, wollen das Verständnis für das Werk Richard Wagners wecken und vertiefen, das künstlerische
Leben in Berlin mitgestalten und den
künstlerischen Nachwuchs fördern.
Darüber hinaus unterstützen wir die
auf Wunsch Richard Wagners gegründete und in Bayreuth bestehende
Richard-Wagner-Stipendienstiftung
und setzen uns im Sinne Richard
Wagners für den Fortbestand der
Bayreuther Festspiele ein.
Die Durchführung wissenschaftlicher Vorträge zum Werk Richard
Wagners, aber auch zu anderen Themen der Musikkultur, bilden einen
weiteren Schwerpunkt der Arbeit.
Auch die Unterstützung von Forschungsvorhaben, speziell an Berliner Hochschulen und die Förderung
künstlerischer Vorhaben, vorrangig
an Opernhäusern Berlins, sehen wir
als unsere Aufgabe an.
Wir führen in der Regel einmal im
Monat eine Veranstaltung durch, wo
wir zunächst ungezwungen über aktuelle Ereignisse diskutieren und den
persönlichen Kontakt pflegen. Anschließend haben wir Künstler oder
Wissenschaftler zu Gast, deren Vorträge sich überwiegend mit dem Werk
Richard Wagners befassen.
Unsere Ehrenmitglieder sind:
Ks. Theo Adam
Ks. Hans Beirer †
Lucie Brauer
Prof. Götz Friedrich †
Prof. Günther Fürstenau
Ks. René Kollo
Deborah Polaski
Christian Thielemann
Ks. Spas Wenkoff †
Impressum
Musik und Drama Nr. 25, November 2008
Herausgeber
Richard-Wagner-Verband Berlin-Brandenburg e. V.
AUFNAHMEANTRAG
Ich beantrage die Mitgliedschaft
im Richard-Wagner-Verband Berlin-Brandenburg e. V.
Ich zahle:
den satzungsmäßigen Mindestbeitrag von:
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sowie jährlich eine freiwillige Spende von:
€
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Vorname:
Straße, Nummer:
PLZ, Ort
Geburtsdatum
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Ich bin mit der Aufnahme der o. g. Daten
in das Mitgliederverzeichnis einverstanden:
Datum:
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Sollten wir auch Ihr Interesse am
Richard-Wagner-Verband
BerlinBrandenburg e. V. geweckt haben,
füllen Sie bitte das nebenstehende Beitrittsformular aus und schicken es an
die angegebene Adresse.
Jährliche Beitragssätze:
Mitglieder
Studenten, Auszubildende,
Erwerbslose
Jur. Personen (Institutionen)
40 €
25 €
100 €
Diese Sätze reichen für die Deckung der
Kosten nicht aus, daher bitten wir unsere Mitglieder, über den Mindestbeitrag
hinaus eine jährliche Spende zu leisten.
Redaktion
Matthias Spruß
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben
die Meinung des jeweiligen Autors wieder.
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Den Aufnahmeantrag sowie weitere
Korrespondenz richten Sie bitte an den
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Berlin-Brandenburg e. V.
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BLZ 100 100 10
Postbank Berlin
Gestaltung und Satz
Ulrich Puhlfürst
[email protected]
Nr. 25, November 2008
MUSIK UND DRAMA
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MUSIK UND DRAMA
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Nr. 25, November 2008
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