Anschluss an die Zukunft

Transcrição

Anschluss an die Zukunft
Anschluss an die Zukunft
Nahezu unbemerkt hat sich in Südostniedersachsen die Telekommunikationsbranche entwickelt. Zahlreiche Unternehmen – von Telefonherstellern, Netzanbietern, Softwareentwicklern bis zu Designern – haben ihr Ohr am Markt.
REGJO SÜDOSTNIEDERSACHSEN
WIRTSCHAFT
23
Maßgeschneidert – Telefonanlagen können für nahezu jede Anforderung konfiguriert werden (im Bild Telcat Multicom).
REGJO SÜDOSTNIEDERSACHSEN
WIRTSCHAFT
25
Verlässlich – Kommunikationsnetze werden von Netzwerkspezialisten kontinuierlich überwacht (im Bild BCC).
REGJO SÜDOSTNIEDERSACHSEN
WIRTSCHAFT
27
Innovativ – Ein Handy, das auch Termine und Adressen verwalten kann (im Bild Siemens Smartphone SX1, entwickelt von Comneon).
REGJO SÜDOSTNIEDERSACHSEN
WIRTSCHAFT
29
Text: Daniela Dreyer Fotografie: Frank Bierstedt
Ständig und überall erreichbar zu sein, gehört
in der mobilen Informations- und Kommunikationsgesellschaft zum täglichen Leben.
Und wer von Telekommunikation spricht,
verbindet damit längst weit mehr als die Übermittlung von Sprache. Der analoge Telefonanschluss hat weitgehend der ISDN-Anlage
mit Faxgerät und Internetzugang Platz
gemacht. Das drahtlose Telefon setzt sich
zunehmend durch und die neue Mobilfunkgeneration öffnet weitere Türen. Zusätzlich
zu SMS-Diensten können nun auch Bilder
und Videosequenzen von Handy zu Handy
verschickt werden. MMS heißt das Stichwort
(Abkürzungen siehe Seite 31).
Dass diese Technik am Siemens-Standort in Salzgitter entwickelt und zum Standard geführt wurde, ist übrigens kein Zufall.
Schon seit rund 50 Jahren haben sich in
Südostniedersachsen Unternehmen mit technischem Know-how angesiedelt, die aktiv
zur Weiterentwicklung der Telekommunikation beitragen. Carrier, Provider sowie Softwarehäuser arbeiten hier neben Herstellern
von Telefonanlagen und Systemhäusern.
Als die Deutsche Telekom mit Öffnung
des Telefonmarktes für den Wettbewerb Mitte
der neunziger Jahre ihre jahrzehntelange
Monopolstellung verlor, kamen weitere Netzanbieter auf den Markt, erwarben Lizenzen
für Übertragungsrechte und stellten ihre Leitungen für die Übermittlung von Informationen zwischen zwei Anschlüssen zur Verfügung. Die Preise purzelten.
Netzanbieter aus der Region stellen sich dem
Wettbewerb des Marktes.
Seit 1997 mischt die Wobcom GmbH, eine
Tochter der Stadtwerke Wolfsburg AG, auf
dem Markt mit. Bislang decken eigene Leitungen den Bereich von Wolfsburg bis Gifhorn ab – aber das Netz wird kontinuierlich
ausgebaut. „Unser nutzbares Glasfasernetz ist
7.000 Kilometer lang. Und über das Kupferkabelnetz erreichen wir 12.000 Wohnungen,
in 10.000 Wohnungen haben wir eigene
Anschlüsse verlegt. Der Mieter kann sich zwischen einem Telefonanschluss bei der Telekom oder direkt bei uns entscheiden“, erklärt
Michael Rex, technischer Geschäftsführer.
Angebote wie kostenlose Rufnummernanzeige, Makeln und Schaltungsmöglichkeit
einer Dreierkonferenz bei analogem
Anschluss machen der Telekom Konkurrenz.
Weiterer Vorteil: der persönliche Kontakt.
„Wir haben ein Gesicht“, betont Rüdiger
Thielecke, kaufmännischer Geschäftsführer.
Denn Bekanntheit, Vertrauen und Zuverlässigkeit spielten beim Aufbau einer Kundenbeziehung eine ausschlaggebende Rolle.
Die Wobcom sieht ihre Stärke im persönlichen
Kontakt mit den Kunden.
Auch die Business Communication Company
(BCC) in Braunschweig hat nach der Öffnung des Marktes Lizenzen zum Betreiben
von überregionalen Übertragungswegen
erworben. „Mehr als 14.000 Kilometer eigenes Glasfasernetz stellen wir für unsere Kunden bereit“, erklärt Josef Glöckl-Frohnholzer, Geschäftsführer der BCC GmbH. War
Braunschweig 1997 bei der Gründung der
Ausgangspunkt, erweitert die Avacon-Tochter heute ihre Infrastruktur stetig und hat sie
bereits bis Hamburg, Leipzig und Frankfurt
am Main ausgedehnt. „Zu 99,9 Prozent ist
unser Netz verfügbar, in unseren Netzmanagement-Centern in Braunschweig und
Magdeburg wird es rund um die Uhr überwacht und optimiert“, so Glöckl-Frohnholzer. Über Router, den Einkauf und das Einmieten bei anderen Anbietern können
regionale Carrier wie Wobcom und BCC Verbindungen in die ganze Welt ohne Qualitätsverluste garantieren.
Doch nicht nur auf dem Gebiet der Leitungen und Netze, auch bei Hard- und Software für Telefonanlagen sind die Unternehmen der Region auf dem neuesten Stand. Seit
56 Jahren ist beispielsweise Elmeg, ein Peiner Hersteller von Telekommunikationsanlagen, am Markt. Das jüngst in die Konzern-
struktur der Funkwerk AG eingegliederte
Unternehmen vertreibt eigene ISDN-Anlagen, schnurlose Telefone und Voice-MessageSysteme. Auch wenn künftig die Produktion
der Anlagen durch einen externen Dienstleister in Ostdeutschland übernommen wird,
blickt Elmeg optimistisch in die Zukunft.
Der Peiner Telefonanlagen-Hersteller Elmeg soll
bald wieder schwarze Zahlen schreiben.
Denn durch die Umstrukturierung soll das
kürzlich noch insolvente Unternehmen wieder auf Kurs gebracht werden. „Auf Voice
over IP, der Übertragung von Sprache über
Datenleitungen wie dem Internet, bereiten
wir uns vor“, erklärt Geschäftsführer Wolfgang Harderich, der die Angebotspalette an
den Marktanforderungen orientiert und so
die Wettbewerbsfähigkeit sichern will.
Auch der Cremlinger Hersteller Auerswald hat sich auf dem Gebiet der Telefonanlagen einen Namen gemacht. „Für die unterschiedlichen Ansprüche kleiner und mittelständischer Betriebe sowie privater Haushalte haben wir die passende Lösung“, erläutert Gerhard Auerswald, Geschäftsführer der
Auerswald GmbH und Sohn des Firmengründers. 70.000 Anlagen für bis zu 120 Teilnehmer stellt das Unternehmen im Jahr her.
Kostenloses Software-Update per Knopfdruck, PC-Anschluss, Weckfunktionen für
Hotels, ‚Taschengeldkonten’ für Kinder und
Gesprächsdatenerfassung sind nur einige
Besonderheiten der Anlagen des Unternehmens. Dass dieses das Ohr am Markt hat, zeigen Funktionen wie ‚Call-Through’, die speziell auf Anforderungen von Logistikunternehmen zugeschnitten sind. „Unter
‚Call-Through’ verstehen wir eine Anlage zur
Kostenoptimierung bei Speditionen. Fahrer,
die von unterwegs bei einem Kunden anrufen wollen, wählen über einen Sondertarif
die Firmenzentrale an und werden über die
Telefonanlage zu günstigen Festnetztarifen
zu dem gewünschten Gesprächspartner weiterverbunden“, beschreibt Auerswald.
Stichwort ‚Weiterverbinden’: Das Wolfsburger Softwarehaus Te-Systems brachte
bereits in den frühen Neunzigern den ersten
digitalen Anrufbeantworter auf den Markt.
Heute zeichnen die Geräte nicht nur Mitteilungen auf, sondern wandeln die Sprache in
Textnachrichten um. „Ist ein Anruf auf der
Mailbox eingegangen, kann der Empfänger
diesen als E-Mail zugesandt bekommen.
Alternativ wird eine SMS über den Eingang
einer neuen Nachricht auf das Handy geschickt“, erläutert Andreas Geiger, Geschäftsführer bei der Te-Systems GmbH. Ziel ist es,
den Anrufer möglichst schnell an die richtige
Stelle im Unternehmen zu bringen, zu höherer Kundenzufriedenheit und durchgängiger
Erreichbarkeit der Mitarbeiter beizutragen.
Doch auch die optimale Konfiguration
einer Telekommunikationsanlage ist wichtig.
Systemhäuser wie Telcat in Salzgitter und
Termath in Wolfsburg kennen das Angebot
und agieren unabhängig von Herstellern. Ihre
Aufgabe ist es, geeignete Lösungen anzubieten, zu installieren und zu warten. Eine vereinfachte Verwaltung und Organisation der
Die Anrufmitteilung per SMS macht Mitarbeiter
durchgängig erreichbar.
vier Kommunikationsformen Telefon, Fax,
Handy-SMS und E-Mail liegt dabei im Trend.
„Computer und Telefonanlage werden in
Zukunft noch stärker zusammenwachsen“,
sagt auch Wolfgang Vespermann, Geschäfts-
REGJO SÜDOSTNIEDERSACHSEN
führer der Telcat Multicom GmbH, einer
Tochter der Salzgitter AG. Rund um die Uhr
sind Systemhäuser für ihre Kunden da, halten den Betrieb am Laufen. „Per Fernwartung wählen wir uns in die Anlage ein und
beheben die meisten Fehler. Das spart durch
den wegfallenden Anfahrtsweg Kosten“, sagt
Thomas Prinzhorn, Vorstand der Termath AG.
Vorteile für die Nutzer sind künftig auch
durch die Kombination von Handy und elektronischem Terminkalender zu erwarten.
Aus zwei mach eins: Das Smartphone kann
sowohl Termine verwalten als auch telefonieren.
Warum zwei Geräte, wenn eines genügt,
dachten sich die Entwickler bei Siemens in
Salzgitter und brachten ihr erstes Smartphone, das SX1, auf den Markt. Es versendet Nachrichten, verwaltet Adressen und Termine, fotografiert – und man kann damit
auch telefonieren. Doch jeder Nutzer hat
andere Anforderungen an sein Handy. Um
benötigte Software problemlos herunterladen zu können, wurde ein einheitliches
Betriebssystem wichtig. „Solch eine Softwareplattform haben wir mit ‚Symbian’ ent-
wickelt“, berichtet Ralf Fischer, Leiter der
Comneon GmbH & Co. OHG in Salzgitter
(früher Siemens). ‚Symbian’ ist ein offenes
Betriebssystem des Konsortiums aus Siemens,
Nokia, Sony Ericsson, Panasonic und Psion.
Ziel der Unternehmen ist es, die übergreifende, herstellerunabhängige Entwicklung
von Spezialanwendungen voranzutreiben.
Klingeltöne und Logos zum Herunterladen, Werbekampagnen per Textmitteilung
– wirtschaftlich ist der Handyboom eine üppig
sprudelnde Geldquelle. Der Access-Provider
Netsize ermöglicht seinen Kunden anbieterübergreifende SMS-Kampagnen zu Marketingzwecken. „Wir erschließen den Unternehmen ein Potenzial von 400 Millionen
Handynutzern in Westeuropa“, bemerkt Andrea Ramponi, Marketing Consultant der Netsize GmbH in Braunschweig. So wird beispielsweise der Kauf und Versand von
Eintrittskarten für kulturelle Veranstaltungen zum Teil auf diese Weise abgewickelt.
Eine SMS mit spezieller Codierung ersetzt
dabei die klassische Eintrittskarte.
Wenn auch die bestehende zweite
Mobilfunkgeneration auf globalem Mobilfunkstandard (GSM) für Textnachrichten
WIRTSCHAFT
31
Kurz und neudeutsch
GSM
– Global Standard
for Mobile Communications
ISDN
– Integrated Services
Digital Network
MMS
– Multimedia Message Service
SMS
– Short Message Service
UMTS
– Universal Mobile
Telecommunications System
Tk
– Telekommunikation
Access-Provider – Anbieter von Tk-Diensten
übergreifend über verschiedene
Mobilnetze
Carrier
– Tk-Anbieter, der Netzinfrastruktur
zur Verfügung stellt
Provider
– Anbieter von Tk-Diensten
Router
– Gerät zur Verbindung von Netzwerken
Systemhaus
– Unternehmen, das als Berater
Komplett-Lösungen anbietet,
installiert und wartet
REGJO SÜDOSTNIEDERSACHSEN
Kommunikatives Netzwerk
Netzanbieter (Bild oben Wobcom), Hersteller (Bild unten und
Seite 30, Auerswald) und Entwickler (Bild Mitte und Seite 31 links Comneon-Mitarbeiter Martin Hans) wollen gemeinsam mit den Forschern der
Region (Bild Seite 31 rechts Diederich Wermser, FH Braunschweig/
Wolfenbüttel) die regionale Initiative TeLiaiSON gründen
und so ihre Zusammenarbeit noch produktiver gestalten.
genügend Bandbreite bietet, so sind jedoch beim Austausch
größerer Datenmengen Umfang und Geschwindigkeit erheblich begrenzt. Dies soll sich durch den Übergang zur dritten
Mobilfunkgeneration (UMTS) ändern. Daher setzen sich Studenten der Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel in
einem gemeinsamen Projekt mit Comneon mit den Chancen von UMTS auseinander.
Seit acht Jahren bietet Professor Diederich Wermser den
Studiengang Telekommunikation im Fachbereich Elektrotechnik an. Die Entwicklung von Anwendungen und Standardisierung marktreifer Dienste stehen beim derzeitigen
Projekt im Vordergrund. „Die Idee für den ‚Presence-Service’
war geboren“, berichtet Wermser. Per Mobiltelefon kann der
Nutzer über Sprache, Textnachrichten, MMS oder Whiteboard kommunizieren. Vor dem Verbindungsaufbau überprüft der Anrufer, über welchen Weg sein Partner zu erreichen ist. Haben sich die Teilnehmer für das Whiteboard
entschieden, sei das nichts anderes als das klassische schwarze
Brett – nur auf dem Handy-Display. „Lädt der eine beispielsweise eine Folie auf den Bildschirm, kann der andere
sofort reagieren. So, als ob sie auf eine gemeinsame Tafel
schreiben“, erklären Wermser und Martin Hans von Comneon. Dabei prüft das
Unternehmen, ob
Die Chancen der dritten Mobilfunkgeneraund wie die Ideen
tion UMTS soll ein gemeinsames Projekt
und Prototypen umvon Fachhochschule und Comneon klären.
zusetzen sind.
Wann UMTS kommen wird, ist unklar, aber sicher ist, dass
dieser Standard kommt. „Es besteht kein akuter Druck, so
dass die Technologien erst noch reifen können“, meint Wermser. Besonders im Business-Bereich wird UMTS interessant,
denn es ermöglicht schnellen Zugriff auf E-Mails oder Dateien
aus dem Firmennetz. Mit der in diesem Zusammenhang
bedeutender werdenden Frage der Sicherheit beschäftigt sich
Professor Manfred Schimmler vom Institut für Datentechnik und Kommunikationsnetze an der TU Braunschweig:
„Wir entwerfen Architekturen und Algorithmen, die die Verschlüsselung von Daten in der Luft sichern.“
Die in der Region bislang für viele im Verborgenen tätige
Branche will nun künftig stärker zusammenarbeiten. Knowhow von Industrie und Forschung zu bündeln und den Austausch zwischen Theorie und Praxis zu fördern sind die Ziele,
die Fachhochschul-Professor Wermser und Comneon-Leiter
Fischer mit der Gründung der Initiative ‚TeLiaiSON’ verfolgen. Unternehmen und Institute wollen die Stärken der Branche herausstellen, qualifizierte Mitarbeiter in die Region ziehen und so das Image des Standorts stärken.
WIRTSCHAFT
33