Mitten im Strom soll man die Pferde nicht wechseln
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Mitten im Strom soll man die Pferde nicht wechseln
Wolfgang Mieder „Mitten im Strom soll man die Pferde nicht wechseln“ Zur Geschichte eines deutsch-amerikanischen Sprichworts Abstract While scholars have thus far primarily concerned themselves with the linguistic borrowing of individual words between the German and Anglo-American languages, there clearly are also examples of proverbs that are taken over from one linguistic culture to the other. This is certainly the case with the proverb-pair "Mitten im Strom soll man die Pferde nicht wechseln / Don't swap horses in the middle of the stream." Until now it has been assumed that the proverb originated with Abraham Lincoln, but it is more likely that German immigrants of the first half of the nineteenth century carried the not particularly well known proverb to America with them. After Lincoln employed it in English translation in 1864 during his reelection campaign, the proverb became very popular in the United States. As can be seen from numerous contextualized references found in the German mass media, the English version of the proverb has now been "reborrowed" into the German language by way of loan translations. Both lexicographers and paremiographers have now registered it as a German proverb, usually with reference to Lincoln. By now it has gained an impressive currency in German political rhetoric, just as it continues to be used in American political speech or whenever an argument is being made against change in any type of leadership. 0. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Einleitung Lehnsprichwörter Abraham Lincolns Rolle Amerikanische Belege Deutscher Frühbeleg Lexikographische Erfassung Belege aus den Massenmedien Literatur 0. Einleitung Das Interesse an Wortentlehnungen aus dem Angloamerikanischen hat eine wahre Flut an wissenschaftlichen Untersuchungen und Wörterbüchern hervorgebracht, die sich jedoch fast ausschließlich mit Einzelwörtern befassen (vgl. Yang 1990, Brinkmann et al. 1992, Busse 1993, Fink 1997, Fink et al. 1997, Glahn 2000, 171, Plümer 2000). Kaum beachtet hat man dabei, dass selbstverständlich auch Phraseologismen als englische Entlehnungen oder als deutsche Lehnübersetzungen aufgegriffen worden sind. Das gilt selbst für das eigentlich sehr gründlich zusammengestellte dreibändige Anglizismen-Wörterbuch (vgl. Cars- W. Mieder, „Mitten im Strom soll man die Pferde nicht wechseln“ 107 tensen / Busse 1993-1995, Bd. 1, 41*-43*, 73*), wo nur sehr wenige formelhafte Ausdrücke verzeichnet sind. Allerdings hat Broder Carstensen in seinen Publikationen in aller Kürze hin und wieder auf eingedeutschte angloamerikanische Lehnwendungen hingewiesen (vgl. Carstensen / Galinksy 1963, 23, Carstensen 1965, 248-252). Jedoch dreht es sich immer wieder nur um einige Beispiele, wie etwa das Beste aus etwas machen (to make the best of something), im gleichen Boot sitzen (to be in the same boat) (vgl. Peil 1986, Mieder 1995a, 140-159, Mokienko 1997), grünes Licht geben (bekommen) (to give [get] the green light), die Schau stehlen (to steal the show), (rund um die Uhr (round the clock) (vgl. Heydel 1973, Carstensen 1977) und eine gute Zeit haben (to have a good time). Immerhin hat Martin Lehnert solchen angloamerikanischen Lehnwendungen ein kleines Kapitel gewidmet (1990, 125-131), doch fehlen auch hier detaillierte diachronische und synchronische Belege zu den einzelnen Phraseologismen. Was den phraseologischen Einfluss der deutschen Sprache auf das Angloamerikanische betrifft, so ergibt sich ein ebenso unzufriedenstellendes Bild. Wieder hat man sich vor allem mit Entlehnungen einzelner Wörter befasst, und an phraseologische Einheiten scheint man dabei nicht gedacht zu haben. 1. Lehnsprichwörter Mit Bezug auf Satzphraseme, und zwar speziell Sprichwörter, sieht die Lage noch schlimmer aus. So gibt es nur sehr wenige Einzeluntersuchungen zu angloamerikanischen Sprichwörtern, die im Deutschen als Lehnübersetzungen existieren, und der Weg von deutschen Sprichwörtern in die englische Sprachwelt ist ebenfalls kaum erforscht worden. Immerhin ist es mir gelungen, für die im Englischen gängigen Sprichwörter Don't throw the baby out with the bath water und The apple doesn't fall far from the tree an Hand von zahlreichen Belegen nachzuweisen, dass diese auf die deutschen Sprichwörter Man muß das Kind nicht mit dem Bade ausschütten und Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm zurückgehen (Mieder 1993, 193224, Mieder 2000a, 109-144). Lexikographen und Parömiographen haben bisher kaum auf diesen deutsch-englischen Sprichwortaustausch geachtet. Vielmehr hat man sich damit zufriedengestellt, für zweisprachige Wörterbücher und Sprichwörtersammlungen äquivalente Sprichwörter zu verzeichnen. Vergessen hat man dabei gerade die angloamerikanischen Sprichwörter, die seit dem Zweiten Weltkrieg im Deutschen auf dem Wege der Lehnübersetzung so geläufig geworden sind, dass sie als neue deutsche Sprichwörter zu gelten haben und gelegentlich den herkömmlichen Äquivalenten Konkurrenz machen (vgl. Mieder 1999b, 25-29). Sprichwörtliche Lehnübersetzungen sind natürlich nichts Neues. Viele klassische, biblische und mittellateinische Sprichwörter sind auf diesem Wege in die Volkssprachen gelangt, so dass man in der Tat von einer beachtlichen 108 ZGL 33. 2005, 106-124 Anzahl von „Lehnsprichwörtern“ sprechen kann (vgl. Seiler 1921-1924, Taylor 1931, 43-52, Röhrich / Mieder 1977, 37-40). Wie verwickelt die Ermittlung solcher internationalen Entlehnungsprozesse ist, wenn man historische, geographische und sprachkulturelle Details einbezieht, haben zwei finnische Studien an Hand zahlreicher europäischer Belege aufgezeigt (Tallgren-Tuulio 1932, Kuusi 1994). Nur sollte die Erforschung der Lehnsprichwörter sich nicht lediglich mit älteren Kulturepochen befassen, denn moderne Entlehnungen sind wegen der stets anwachsenden europäischen und globalen Bedeutung des Englischen verstärkt zu beobachten. Durch die breite interkulturelle, sozialpolitische Kommunikation in der Europäischen Gemeinschaft entwickeln sich neue gemeineuropäische Sprichwörter, die besonders durch die große Macht der Massenmedien ihre Verbreitung finden. Das gemeinsame Haus Europa wird in Zukunft auch zu innovativen völkerverbindenden Sprichwörtern führen (vgl. Mieder 1999a, 961-962). Die angloamerikanische lingua franca führt inzwischen in der Werbung, der Presse und der Literatur zur Aufnahme englischsprachiger Sprichwörter, die teilweise ohne Übersetzung in Texte eingebaut werden, wie etwa First things first, Winning isn't everything, Nobody is perfect, Time is money und My home is my castle. Dabei hätte man für das zuletzt genannte Sprichwort eigentlich das seit Jahrhunderten im Deutschen umlaufende äquivalente Rechtssprichwort Mein Haus ist meine Burg wählen können (Mieder 1975, 77-78). So zeigt sich selbst im Gebrauch von Sprichwörtern die unnötige Tendenz, dass identische englische Texte tradierte deutsche Sprichwörter verdrängen. Das auffallendste Beispiel dafür ist heute die sich ständig ausbreitende Verwendung des Lehnsprichwortes Der frühe Vogel fängt den Wurm, wobei es sich um eine wörtliche Übersetzung des seit dem sechzehnten Jahrhundert gängigen englischen Sprichwortes The early bird catches the bird handelt. Dies ist umso erstaunlicher, da bis jetzt als deutsches Äquivalent das gleichfalls sehr populäre Sprichwort Morgenstunde hat Gold im Munde gegolten hat (Mieder 1997a). Im Prinzip bestand also absolut keine Notwendigkeit für diese Lehnübersetzung, und dennoch lassen sich bereits so viele Belege für Der frühe Vogel fängt den Wurm nachweisen, dass man langsam von einem neuen deutschen Sprichwort sprechen kann (Mieder 2004a). Andere angloamerikanische Sprichwörter, die als deutsche Lehnübersetzungen einen erheblichen Bekanntheitsgrad erreicht haben, so dass sie als deutschsprachige Lehnsprichwörter betrachtet werden können, sind u. a.: Zum Tango gehören zwei / It takes two to tango (Mieder 1985, 151-154), Ein Bild sagt mehr als tausend Worte / A picture is worth a thousand words (Mieder 1992, 191-201 [deutsch], Mieder 1993, 135-151 [englisch]), Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer / The only good Indian is a dead Indian (Mieder 1995b, 165-174 [deutsch], Mieder 1997b, 138-159 [englisch]), Man soll nicht alle Eier in einen Korb legen / Don't put all your eggs into one basket (Mieder 2004c), Ein Apfel pro Tag hält den Arzt fern / An apple a day keeps the doctor away, Das Gras ist immer grüner auf der anderen Seite des Zaunes / The W. Mieder, „Mitten im Strom soll man die Pferde nicht wechseln“ 109 grass is always greener on the other side of the fence und Gute Zäune machen gute Nachbarn / Good fences make good neighbors (zu diesen drei Sprichwörterpaaren vgl. Mieder 2004b). Mein internationales Sprichwortarchiv hier an der Universität von Vermont (Burlington) enthält für all diese Lehnübersetzungen gut zwei Dutzend Belege aus dem letzten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts, was einen gewissen Bekanntheits- und Verbreitungsgrad unter Beweis stellt. Es kommt sogar bereits zu sprachspielerischen Varianten dieser neuen Sprichwörter, und so dürfte es gerechtfertigt sein, diese deutschsprachigen Texte als akzeptierte Sprichwörter in Wörterbüchern und Sprichwörtersammlungen zu registrieren. Geschieht dies nicht, so hinken die Lexikographie sowie die Parömiographie weiterhin der volkssprachlichen Realität hinterher (Doyle 1996). War es noch vor rund fünfundzwanzig Jahren sehr schwierig, das notwendige Beleg- bzw. Beweismaterial für die Sprichwörtlichkeit solcher Lehnübersetzungen zu erbringen, lassen sich die Belegtexte heutzutage durch Datenbanken und mit Hilfe des Computers bedeutend schneller und in größerer Anzahl ermitteln. 2. Abraham Lincolns Rolle Doch was hat all dies nun mit dem Sprichwörterpaar Mitten im Strom soll man die Pferde nicht wechseln / Don't swap horses in the middle of the stream zu tun, und inwiefern dreht es sich hier um ein deutsch-amerikanisches Sprichwort? Ganz allgemein sei festgestellt, dass man in Deutschland sowie in Amerika vorwiegend der Meinung ist, dass es sich ursprünglich um eine von Abraham Lincoln (18091865) geprägte Aussage handelt, die durch die bis heute andauernde Beliebtheit dieses großen Präsidenten zum Sprichwort geworden ist. Vor dem Ausspruch von Lincoln ist das Sprichwort im Angloamerikanischen nicht (und auch nicht im Deutschen) belegt, obwohl ohne Beweisführung behauptet worden ist, dass es bereits um 1840 in Amerika im Umlauf war (vgl. Funk 1948, 139, Carruth / Ehrlich 1988, 120, Rees 1993, 232). Auf jeden Fall ist es absolut falsch, wenn Gerhard Hellwig in seinem Buch der Zitate die Variante Man wechselt das Pferd nicht im Strom als „Englisches Sprichwort“ identifiziert (Hellwig 1981, 306), denn in das britische Englisch ist das Sprichwort Don't swap horses in the middle of the stream eindeutig über das amerikanische Englisch gelangt, und zwar erst nachdem es durch Lincoln populär geworden ist. Sicher ist jedoch, was Abraham Lincolm am 9. Juni 1864 geantwortet hat, als Vertreter der National Union League ihn auf dem Parteitag in Baltimore (Maryland) ermunterten, mitten im Bürgerkrieg zum zweiten Mal für das Präsidentenamt zu kandidieren. Mit typischer Humilität sagte Lincoln Folgendes: I can only say, in response to the kind remarks [...], that I am very grateful for the renewed confidence which has been accorded to me, both by the [political] convention and by the National Leage. I am not insensible at all to the personal compli- 110 ZGL 33. 2005, 106-124 ment there is in this; yet I do not allow myself to believe that any but a small portion of it is to be appropriated as a personal compliment. The convention and the nation, I am assured, are alike animated by a higher view of the interests of the country for the present and the great future, and that part I am entitled to appropriate as a compliment is only that part which I may lay hold of as being the opinion of the convention and of the League, that I am not entirely unworthy to be intrusted with the place I have occupied for the last three years. I have not permitted myself, gentlemen, to conclude that I am the best man in the country; but I am reminded, in this connection, of a story of an old Dutch farmer, who remarked to a companion once that "it was not best to swap horses when crossing streams." (Basler 1953, Bd. 7, 383-384) Dieser Text erschien einen Tag später, am 10. Juni 1864, in der New Yorker Times, Herald, and Tribune, und natürlich verbreitete sich diese Aussage durch die Presse im ganzen Land. Sie wird bis heute in den vielen Büchern über Lincoln wiederholt, und selbstverständlich steht sie in den zahlreichen Zitaten- und Sprichwörtersammlungen. Allerdings wird dabei meist sehr bald, wohl der lexikographischen Kürze halber, ein äußerst wichtiger Satzteil von Lincolns kurzer aber berühmt gewordener Ansprache unterschlagen. Der ehrliche Lincoln, im Volksmund als „honest Abe“ bekannt, hatte doch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass seine Verwendung des Sprichwortes auf „a story of an old Dutch farmer“ zurückgeht. Von einer Erfindung des metaphorischen Sprichwortes seitens Lincoln kann eigentlich nicht die Rede sein. Hätte also der Altmeister der internationalen Sprichwörterforschung Archer Taylor diesen Text vor sich gehabt, so hätte er folgende Bemerkung in seinem klassischen Buch über The Proverb eindeutiger formulieren können: "Lincoln said, Don't swap horses in the middle of a stream. It is generally believed that he was inventing the proverb, although it is possible that he was merely using one that was already current" (Taylor 1931, 37). Bemerkt sei jedoch, dass Lincoln durchaus die rhetorische Gabe hatte, sentenzenhaft und formelhaft zu formulieren. Etliche seiner prägnanten Aussagen sind im Angloamerikanischen längst sprichwörtlich geworden, und meine Untersuchung der acht Bände der Complete Works of Abraham Lincoln hat den wortkargen Präsidenten als sprichwortreich erwiesen (Mieder 2000b, bes. 34-35). Eindeutig steht fest, dass Lincoln dem anscheinend in seinem Land noch nicht sehr gängigen Sprichwort des „old Dutch farmer's“ tüchtig auf die Sprünge geholfen hat. Bereits am 26. August 1864 schreibt zum Beispiel William Heartsill, Soldat in der Confederate Army, über seine in der Klemme sitzende Truppe in sein Tagebuch: "But this is no time for `Swapping horses.' This little squad must get out of here, and that quick" (Wiley 1954, 215). Dabei handelt es sich lediglich um eine Anspielung auf das Sprichwort, vielleicht ein Zeichen dafür, dass es im Volksmund zum Teil schon vor Lincoln bekannt war oder eben durch Lincoln geläufiger geworden ist. Der Umstand, dass Heartsill das nur andeutungsweise benutzte Sprichwort in Gänsefüßchen zitiert, könnte ein W. Mieder, „Mitten im Strom soll man die Pferde nicht wechseln“ 111 Hinweis darauf sein, dass er ironisch auf den großen Feind Lincoln der Union Army anspielt. 3. Amerikanische Belege Es tut nichts zur Sache, hier nun die gut hundert Belege folgen zu lassen, die ich in amerikanischen Zeitungen, Zeitschriften und Büchern aufgefunden habe. Das Sprichwort lebt, und zwar oft mit direktem Bezug auf Abraham Lincoln als Urheber der darin ausgedrückten Weisheit. An die Stelle des "old Dutch farmer's" ist Abraham Lincoln gerückt, und seit 1864 hat es kaum einen amerikanischen Präsidenten gegeben, der sich im Wahlkampf zur zweiten Amtsperiode nicht auf Lincoln und „sein“ Sprichwort bezogen hätte. Das gilt ganz besonders für die großen Präsidenten zur Zeit der beiden Weltkriege. So wurde das Sprichwort zum Slogan während des Wahlkampfs von Woodrow Wilson im Jahre 1916, der mit dem Lied Never Swap Horses When You're Crossing A Stream (1916) von Harold Robe (Text) und Jesse Winne (Musik) angeheizt wurde. Franklin D. Roosevelt benutzte es als Parole in seinen Wahlkämpfen in 1936 und 1940 (Shankle 1941, 44-45, Woods 1945, 38, Safire 1978, 181, Busch 1999). Im einmaligen dritten Wahlkampf Roosevelts gegen Wendell Lewis Willkie gaben die Demokraten gar eine 23seitige Broschüre mit dem als Leitmotiv verwendeten Titel You Will Decide: Is It Time To Change Horses? (Anonym 1940) heraus. Dabei spielt es keine Rolle, dass Wilson und Roosevelt im Gegensatz zu dem Republikaner Lincoln Demokraten waren. Ein „Lincoln-Wort“ zur rechten Zeit ist immer gut am Platz! Heute, mit dem bedauernswerten Abbau der Kulturmündigkeit, scheint der Name Lincolns immer weniger im Zusammenhang mit dem Sprichwort aufzutauchen. Das bekannte Dictionary of Cultural Literacy (1988) erwähnt Lincoln überhaupt nicht mehr: "swap (switch) horses in midstream To change leaders or adopt a different strategy in the middle of a course of action" (Hirsch / Kett / Trefil 1988, 77). So verselbständigt sich das Sprichwort wieder und kehrt zum anonymen Volksmund zurück. Lincoln's exakter Formulierung It was not best to swap horses when crossing streams fehlte es sowieso an Prägnanz und Rhythmus, um formelhaft in den Volksmund überzugehen. So überrascht es kaum, dass Lincolns Aussage, beruhend auf einem Sprichwort eines „old farmer's“, in zahlreichen Varianten volksläufig geworden ist, wie etwa Don't change horses in the middle of the stream, Don't change horses crossing a stream, Don't change your horse in the middle of the stream if you want to keep your trousers dry, Don't swap horses crossing a stream, Don't swap horses in the middle of the road, Don't swap horses in the middle of the stream und It's no time to swap horses when you are in the middle of the stream (Mieder / Kingsbury / Harder 1992, 311). Am bekanntesten dürften die Varianten Don't swap horses in the middle of the stream und neuerdings auch Don't change (swap/switch) horses in midstream sein, und als solche 112 ZGL 33. 2005, 106-124 gehören sie zweifelsohne zu dem parömiologischen Minimum der angloamerikanischen Sprache. 4. Deutscher Frühbeleg Doch was hat es nun mit diesem „old Dutch farmer“ auf sich, und welche deutsch-amerikanischen Zusammenhänge gibt es betreffs des Sprichwörterpaares Mitten im Strom soll man die Pferde nicht wechseln / Don't swap horses in the middle of the stream? Meine zahlreichen holländischen Sprichwörtersammlungen enthalten keinen Beleg, und mein Kollege H.L. Cox (Bonn), großer Kenner der niederländischen Sprach- und Sprichwörterforschung, teilte mir auf meine Anfrage hin am 29. November 2002 brieflich Folgendes mit: „In meiner Belegsammlung findet sich weder ein historischer noch synchroner Beleg für das Sprichwort 'It was not best to swap horses when crossing streams'. Ich habe vorsichtshalber noch mal die Lemmata Pferd und wisselen im 29bändigen 'Woordenboek der Nederlandsche Taal', Harrebomée und Wander durchgesehen und auch dort weder einen 1:1 Beleg noch ein synonymes Sprichwort gefunden.“ Außer dem vielbändigen niederländischen Wörterbuch hatte ich all diese Nachschlagewerke ebenfalls durchgeschaut, ganz besonders selbstverständlich das dreibändige historisch aufgebaute Spreekwoordenboek der Nederlandsche Taal (1858-1870, Nachdruck 1980) von Pieter Jacob Harrebomée. Und auch in Karl Friedrich Wilhelm Wanders fünfbändigem Deutschem Sprichwörter-Lexikon (1867-1880, Nachdruck 1964) hatte ich es gleichfalls nicht finden können. Doch sagt nicht die Bibel bereits sprichwörtlich „Suchet, so werdet ihr finden“ (Matthäus 7:7)? Weiß der Teufel, um einmal redensartlich zu bleiben, wie H. L. Cox und ich als sachkundige Parömiologen den Beleg in Wander übersehen haben, doch vor etwa einem halben Jahr habe ich es einfach noch einmal versucht, und siehe da, Wander hat in der Tat einen Beleg! Übrigens existieren die fünf gewaltigen Bände Wanders nun auch abrufbar auf einer einzigen CD, und da habe ich das Sprichwort vor knapp einem Monat auf Anhieb gefunden. Wanders Beleg lautet folgendermaßen: Mitten im Strom kann man die Pferde nicht umspannen. Gegen einen Wechsel der ausführenden Kräfte (Diener, Beamte) zur Unzeit. (Wander, IV, Sp. 922, Nr. 22) Interessanter- und bedauerlicherweise gibt Wander in diesem Fall keine Belege aus früheren Sprichwörtersammlungen. Auch fühlt er sich genötigt, eine kurze Erklärung hinzuzufügen, was darauf hinausläuft, dass dieser große Kenner des deutschsprachigen Sprichwörterrepertoires der offensichtlichen Meinung ist, dass das Sprichwort nicht besonders volksläufig ist. Aber woher hat Wander dann den Text? Aus den verschiedenen Vorworten zu den einzelnen Bänden W. Mieder, „Mitten im Strom soll man die Pferde nicht wechseln“ 113 geht hervor, dass er nicht nur aus zahlreichen Sammlungen sondern auch direkt aus der mündlichen Volksüberlieferung geschöpft hat. Exzerpiert und gesammelt hat er jahrzehntelang, und seit 1862 saß er an der endgültigen Ausarbeitung seiner fünf Bände. Drei Jahre, von 1873 bis 1876, hat er allein dazu gebraucht, um den vierten Band endgültig für den Druck vorzubereiten, der dann mit dem Sprichwort Mitten im Strom kann man die Pferde nicht umspannen im Dezember 1876 erschienen ist. Gleichgültig wann Wander den Text in sein Manuskript aufgenommen hat, es muss vor 1877 gewesen sein. Damit aber wäre eine Lehnübersetzung aus dem Amerikanischen möglich und denkbar. Der liberale Wander war Amerikaenthusiast, musste er doch 1850/51 vor der konservativen deutschen Politik auf ein Jahr in die Vereinigten Staaten fliehen. Kaum zurückgekehrt veröffentlichte er seinen AuswanderungsKatechismus. Ein Rathgeber für Auswanderer (1852), womit er vielen Zeitgenossen den Weg in die Freiheit ebnete. Sicherlich hat er Zeit seines Lebens das Interesse an den amerikanischen Zuständen aufrechterhalten, und so überrascht es nicht, dass der Name Abraham Lincolns dreimal im Zusammenhang folgender Sprichwörter und Redensarten in seinem Sprichwörter-Lexikon auftritt (auffindbar durch die CD der digitalen Bibliothek!): Es sind keine holes für neue pegs (II, Sp. 738, Nr. *4; mit einem Beleg aus einer amerikanischen Zeitung aus dem Jahre 1863!), Gütig gegen alle, ungerecht gegen keinen (V, Sp. 1390, Nr. *2; Die Inschrift an dem Denkmal des Präsidenten Lincoln, Union Square, Neuyork, lautet: Charity to all, with malice to none), und auch die Variante Allen wohltun und keinem wehe (V, Sp. 345, Nr. 1; Charity to all with malice to none. So lautet der Sinnspruch am Denkmal des Präsidenten Lincoln, das sich auf dem Unions-Square in Neuyork befindet). Interessant ist ebenfalls noch Wanders längere Erklärung für die Redensart Er ist ein Schneider (IV, Sp. 302, Nr. *89; Ein hagerer, schmächtiger Mensch. Oft heißt es noch: Er war ein Schneider. Dennoch war Johnson Vicepräsident der Vereinigten Staaten und wurde nach Lincoln's Ermordung wirklicher Präsident. [...]). „Wander weiß also gut Bescheid über Lincoln, seine Ermordung, seinen Nachfolger usw. So ist nicht auszuschließen, dass er auch irgendwo eine Pressenachricht von Lincolns kurzer Rede vom 9. Juni 1864 aufgefangen hat, die ihn zu der nicht ganz exakten Lehnübersetzung Mitten im Strom kann man die Pferde nicht umspannen geführt hat. Möglich ja, aber meiner Meinung nach nicht wahrscheinlich. Wie aus den soeben erörterten Lincoln-Belegen hervorgeht, ist Wander durchaus willens, den Namen Lincolns zu erwähnen. Es bestand aber absolut kein Grund, diesen nicht auch im Falle des „Pferde“-Sprichwortes ins Spiel zu bringen, wenn es sich tatsächlich um eine Lehnübersetzung handelte. So wird es aber nicht gewesen sein, und Wander hat den Text aus der deutschen Volkssprache aufgegriffen. Enttäuschend bleibt jedoch nach wie vor, dass Wander bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts den bisher einzigen Beleg liefert! Selbst Wernher Gorbrachts Sprichwörter und Redensarten vom Pferd (1978) enthält das Sprichwort 114 ZGL 33. 2005, 106-124 nicht. Ich habe Dutzende von Sprichwörtersammlungen durchgeschaut, auch Klaus Rothers große Dialektsammlung Die schlesischen Sprichwörter und Redensarten (1928, Nachdruck 1984) aus der Heimat Wanders, doch all meine detaillierten Nachforschungen blieben ohne Ergebnis. Doch nun wirklich zu dem „old Dutch farmer“! Wenn Wander das Sprichwort tatsächlich aus dem Volksmund aufgegriffen hat, dann besteht die Möglichkeit, dass deutsche (nicht holländische) Auswanderer dieses scheinbar nicht stark verbreitete Sprichwort mit nach Amerika genommen haben. Dort aber hat Abraham Lincoln es aus einer Geschichte eines alten deutschen Bauern aufgeschnappt, denn die Bezeichnung „Dutch“ galt im frühen Amerika und teilweise auch heute noch für „Deutsche“ schlechthin. So spricht man bekanntlich immer noch von den „Pennsylvania Dutch“ (auch Pennsylvania Germans), und auch mein guter Schwiegervater, selbst Immigrantensohn aus Emden, nannte mich zuweilen „the Dutchman“ und wußte selbstverständlich nur zu gut, dass ich nicht Holländer bin. Diese „Dutch“-Bezeichnung für deutsche Einwanderer ist linguistisch leicht erklärbar durch die falsche Aussprache von „Deutsch“ (Cassidy / Hall 1991, Bd. 2, 241-242, Lighter 1994, Bd. 1, 682-683). Und so dürfte es sich im Falle Lincolns tatsächlich um einen deutschsprachigen Bauern gehandelt haben, dessen regional begrenztes Sprichwort, ins Englische lehnübersetzt und von Lincoln aufgegriffen, einen tollen Erfolg im Land der unbegrenzten Möglichkeiten verzeichnen konnte. All dies ist durchaus möglich und meiner Meinung nach sogar wahrscheinlich. 5. Lexikographische Erfassung Und wie kommt es nun, dass sich das mehr oder weniger im deutschen Sprachraum vergessene Sprichwort in den letzten Jahrzehnten wieder eingestellt hat, und das mit erheblicher Frequenz, die ganz wie in Amerika nun auch in Deutschland sowie Österreich und Schweiz einen allgemeinen Verbreitungsund Bekanntheitsgrad erkennen lässt? Die Antwort auf diese Frage hängt mit den modernen Entlehnungsprozessen zusammen, die die angloamerikanische Sprache als internationale lingua franca mit sich bringt, und zwar, wie bereits gezeigt, nicht nur auf dem Gebiet einzelner Lexeme sondern eben auch im Bereich der Redensarten und Sprichwörter. Im Falle des Sprichwörterpaares Mitten im Strom soll man die Pferde nicht wechseln / Don't swap horses in the middle of the stream handelt es sich demnach um ein ursprünglich deutsches Sprichwort, das ins amerikanische Englisch lehnübersetzt wurde, im Angloamerikanischen dann eine große Verbreitung erreichte, und das nun als eine Art Rückübersetzung wieder ins Deutsche gelangt und seine ihm gebührende Volksläufigkeit erfährt. In der Tat halten viele deutsche Sprachteilnehmer diese ehemals deutsche Volksweisheit als ein auf Lincoln zurückgehendes neues deutsches Lehn- W. Mieder, „Mitten im Strom soll man die Pferde nicht wechseln“ 115 sprichwort, und so könnte man von einem Primär- und Sekundärursprung dieses Sprichwortes sprechen. Der eigentliche Ursprung ist deutsch, der zweite Ursprung amerikanisch, und diese Lehnübersetzung zurück in die deutsche Sprache ist so erfolgreich verlaufen, dass das Sprichwort heute auch im Deutschen ungemein populär ist. Dass dem so ist, das zeigt einmal die neuere lexikographische und parömiographische Erfassung des „neuen“ Lehnsprichwortes. Dabei beziehen sich die Zitatensammlungen seit den 1970er Jahren ganz spezifisch auf Abraham Lincoln, allerdings mit der falschen Aussage, dass er das Sprichwort vor dem Kongress in Washington (es war in Baltimore) ausgesprochen hätte: Lincoln, Abraham, 16. Präs. der USA (1809-65) Am besten wechselt man Pferde nicht während einer Flußüberquerung. (One does not change horses in midstream.) – Dieser Ausdruck (Juni 1864) spielte eine große Rolle während des Wahlkampfes Roosevelt-Willkie (1940). (Kirchberger 1977, 239) LINCOLN Sorge um die kommende Entwicklung schwingt in seinen Worten Es ist nicht gut, mitten im Strom die Pferde zu wechseln, It is not best to swap horses while crossing the river, die er am 9.6.1864, ein knappes Jahr vor seiner Ermordung, in einer Rede vor dem Kongreß sprach. (Böttcher / Berger / Krolop / Zimmermann 1981, 535) Es ist nicht gut, mitten im Strom die Pferde zu wechseln. Oft ist es mit Gefahren, zumindest aber mit Reibungsverlusten verbunden, wenn man ein eingespieltes Team durch ein anderes ersetzt, bevor ein angestrebtes Ziel erreicht ist. Als Warnung vor diesen Risiken dient dieses Zitat, das aus einer Rede des amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln vor dem Kongress (1864) stammt: It is not best to swap horses while crossing the river („Es ist nicht das beste, die Pferde zu wechseln, solange man den Fluss überquert“). (Scholze-Stubenrecht 1993, 242; identisch auch in Alsleben / Mülverstedt / ScholzeStubenrecht 2002, 206) Überraschenderweise fehlt das Zitat in Georg Büchmanns Geflügelten Worten (1995), wo nicht eine der sentenzenhaften Aussagen Lincolns verzeichnet ist. Dafür aber erscheint die Variante Mitten im Strom kann man die Pferde nicht wechseln ohne jeglichen Kommentar als deutsches (!) Sprichwort in Horst und Annelies Beyers Sprichwörterlexikon (1984, 567), was zu erkennen gibt, dass diese beiden Leipziger Parömiographen Mitte der achtziger Jahre nicht an der Sprichwörtlichkeit dieser so eingängigen Feststellung zweifelten. Da sie keine Quellenbelege bieten, ist leider nicht klar, ob sie hier nun das ursprünglich aber nur bei Wander belegte deutsche Sprichwort in einer Variante anführen, oder ob sie es durch den Einfluss der Lehnübersetzung aus dem Amerikanischen kennen. 116 ZGL 33. 2005, 106-124 Auf jeden Fall hält der damals noch in der DDR lebende Schriftsteller Wolf Biermann (geb. 1936) das Sprichwort für recht bekannt, denn die Einführungsformel „es heißt“ am Anfang seines Gedichts Frage und Antwort und Frage (1968) weist eindeutig auf den Sprichwortcharakter der folgenden Aussage hin: Es heißt: Man kann nicht mitten im Fluß die Pferde wechseln Gut. Aber die alten sind schon ertrunken. Du sagst: Das Eingeständnis unserer Fehler nütze dem Feind Gut. Aber wem nützt unsere Lüge? Viele sagen: Auf die Dauer ist der Sozialismus gar nicht vermeidbar Gut. Aber wer setzt ihn durch? (Biermann 1968, 18) Woher kennt Biermann bereits in den sechziger Jahren das Sprichwort? Hat es doch unterschwellig hier und da im deutschen Sprachgebrauch seit mindestens dem neunzehnten Jahrhundert weitergelebt? Biermanns Integrationsweise des Sprichwortes lässt diese Möglichkeit zu, denn er erklärt es ja mit seiner Eingangsformel für volksläufig. Auch ist allgemein bekannt, dass die angloamerikanische Sprache keinen so großen Einfluss auf das Deutsch der DDR hatte wie dies in der BRD damals zu beobachten war (Kristensson 1977, Lehnert 1990). So könnte es sich bei dem Biermann-Beleg durchaus um das ursprünglich deutsche Sprichwort und nicht um die neue Lehnübersetzung aus dem Amerikanischen handeln. 6. Belege aus den Massenmedien Doch auch in der BRD setzt um diese Zeit die sich ständig ausbreitende Belegwelle des Sprichwortes in den Massenmedien durch, und zwar ohne direkten Bezug auf Abraham Lincoln. Offensichtlich wird es von den Journalisten als bekannt vorausgesetzt, ganz wie das im angloamerikanischen Sprachgebrauch der Fall ist. Wird hier nun ein latentes deutsches Sprichwort wieder belebt, oder dreht es sich um eine sekundäre Wiedergeburt auf dem Wege der Lehnübersetzung aus dem Angloamerikanischen? Diese Frage ist schwer zu beantworten, aber meiner Meinung nach ist das Phänomen der Entlehnung mit im Spiel. International arbeitende Journalisten übersetzen oft und gern Sprichwörter aus anderen Sprachkulturen, um ihren Beiträgen eine metaphorische und volkssprachliche Frische zu verleihen. Da auch im englischen Sprachgebrauch kaum noch auf Lincolns Verwendung des Sprichwortes hingewiesen wird, sollte es also nicht überraschen, wenn der bekannte Präsident außer in Zitatensammlungen auch im Deutschen nicht erwähnt wird. Wie natürlich das W. Mieder, „Mitten im Strom soll man die Pferde nicht wechseln“ 117 Sprichwort wieder oder inzwischen in der deutschen Sprache kursiert, das möge eine kleine Belegkette aus drei Jahrzehnten aufzeigen: Obwohl nach Meinung der Parteien nicht viel gegen Karl Holzamers Wiederwahl [zum Intendanten des ZDF] spricht und sich für ihn anführen lässt, dass die Pferde nicht im Strom gewechselt werden sollten, will sagen, dass er noch den von ihm begonnenen Bau der Sendezentrale zu Ende führen soll, so zeigen sich doch deutliche Führungsschwächen in seinem Hause. (Die Zeit, Nr. 7, 16.2.1971, S. 9 [amerikan. Ausgabe]) Einen so umfänglichen Pferdewechsel [Kabinettsumbildung] mitten im Strom hat es in Bonn bisher nur ein einziges Mal gegeben. (Die Zeit, Nr. 7, 10.2.1978, S. 1 [amerikan. Ausgabe]) „Wenn meine Tage gekommen sind, werde ich (Ägyptens Numeiris] nicht durch einen Revolverschuß oder einen Dolchstoß enden“, versicherte er schon vor langer Zeit. Vertrauen mag er auch auf sein geradezu akrobatisches Geschick, rechtzeitig im Strom die Pferde zu wechseln, je nach gebotenem Zwang. An die Macht gelangt, hatte er sich erst mit den Sowjets verbündet, einige Jahre später sagte er sich abrupt von ihnen los. (Die Zeit, 5.4.1985, S. 2) Eine Ablösung erschwert aber vor allem der frühzeitige, vom Kanzler [Kohl] gewiß gern geförderte Beginn des Wahlkampfes. Mit ihm tritt die politische Regel in Kraft, nach der die Pferde nicht mitten im Strom gewechselt werden dürfen. Sie gewährt Kohl eine politische Überlebensgarantie. (Die Zeit, 6.9.1985, S. 1) Weil seiner Auffassung nach das Gelingen des Gesamtplans auf dem Spiel stand, wagte er [Museumsdirektor Knopp] einen Kraftakt, und das für unmöglich Gehaltene gelang. Knopp überzeugte seinen Stiftungsrat (sein Aufsichtsgremium), und vor drei Monaten wurden gewissermaßen mitten im Strom die Pferde gewechselt. (Die Zeit, 28.2.1986, S. 89) Sicher, ein Quantum mehr Liberalismus [...], schließlich auch mehr Bewegung im Parlament wären vor allem im Ausland recht willkommen gewesen. Offenbar aber meinten die Kroaten, dass man mitten im Strom nicht die Pferde wechseln soll. Und Tudjman ist, bei all seinen Fehlern, eine Größe, die man berechnen zu können glaubt. (Die Presse, 4.8.1992, ohne Seitenangabe) Mitten im Strom soll man eigentlich die Pferde nicht wechseln, aber genau das passiert diese Woche beim Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen. Am Mittwoch wird ein Nachfolger für Generaldirektor Arthur Dünkel gewählt, der Ende Juni nach 13jähriger Amtszeit ausscheidet, ohne daß die achte Welthandelsrunde abgeschlossen wäre. (Salzburger Nachrichten, 8.6.1993, ohne Seitenangabe) 118 ZGL 33. 2005, 106-124 Mitten im Strom der EU-Präsidentschaft wechselt Italien die Pferde. Eine tolle, für das Ansehen des Landes riskante Operation, aber schließlich unumgänglich für ein Ende der mutwillig angezettelten Regierungskrise. (Salzburger Nachrichten, 2.2.1996, ohne Seitenangabe) Es gebe „keinen sachlichen Grund, diesen hochbefähigten Mann [Roland Schwed] in die Wüste zu schicken“. Dem Steuerzahler würden aus Machtkalkül heraus Pensionslasten aufgebürdet, und mitten im Strom solle das beste Pferd im Stall gewechselt werden. Das spreche jeder Vernunft Hohn. (Frankfurter Rundschau, 20.3.1997, S. 6) Ebenso wenig denkbar ist, dass andere einflussreiche Christdemokraten die Debatte lostreten, ob Helmut Kohl wirklich der geeignete Kanzlerkandidat ist. „Mitten im Strom wechselt man nicht die Pferde“, sagt selbst ein Konservativer, der es besser gefunden hätte, wenn Wolfgang Schäuble ins Rennen gegangen wäre. (Frankfurter Rundschau, 16.2.1998, S. 3) Verängstigt klammert sich die CDU an das Prinzip, „die Pferde nicht mitten im Strom zu wechseln“. Aber das ist die einzige Chance, das andere Ufer lebend zu erreichen, wenn das einzige Pferd kurz vor dem Ertrinken ist. (Die Zeit, Nr. 15, 2.4.1998, S. 13) Damit geriet der Regierungssprecher in den Vordergrund des öffentlichen Streites. Genau dahin gehören Sprecher nicht. Ein erneuter Austausch des Regierungssprechers kommt nicht in Betracht. In der Not hat der Bundeskanzler Hauser berufen und damit gegen die Erfahrung verstoßen, mitten im Strom solle man nicht die Pferde wechseln. (Berliner Zeitung, 6.6.1998, S. 4) Es ist kein Ausdruck von Nibelungentreue, dass 95% der Delegierten [auf dem FDP Parteitag in Leipzig] für eine Fortsetzung der Koalition mit der CDU/CSU stimmten. Die Verständigen wissen, daß es nichts nutzt, im Strom die Pferde zu wechseln. (Salzbuger Nachrichten, 30.6.1998, ohne Seitenangabe) Die SPD-Führung könnte das Blatt sogar heute noch wenden, wenn sie Momper zum Verzicht überredet und Klaus Böger ins Rennen schickt. [...] Die Partei könnte ihre Chancen ruckartig verbessern. Die Funktionäre werden über eine solche Idee nur milde lächeln. Man wechselt doch nicht die Pferde mitten im Strom. Nur kann man sich heute schon die langen Gesichter der Genossen vorstellen, wenn am Abend der Wahl die Pferde im Strom kurz vor dem rettenden Ufer untergehen. (Berliner Morgenpost, 30.8.1999, S. 4) Bundeskanzler Gerhard Schröder lehnt die von Grünen-Fraktionschef Rezzo Schlauch angeregten Zuschnittsänderungen der Kabinetts-Ressorts ab. Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye sagte am Mittwoch in Berlin, „mitten im Strom sollte man weder den Wagen noch die Pferde wechseln“. (Berliner Zeitung, 8.6.2000, S. 6) W. Mieder, „Mitten im Strom soll man die Pferde nicht wechseln“ 119 Auch ein neues Hochschulgesetz wird diskutiert. Evers befürchtet: Falls er und seine Vizepräsidenten nicht gewählt würden, könnte die TU in der Öffentlichkeit erneut als „reformunfähig“ erscheinen. Er sagte in seiner Wahlrede: „Einmal abgesehen davon, dass man nicht mitten im Strom die Pferde wechselt: Die Universität muss in dieser Situation mit einer starken Stimme sprechen können.“ (Berliner Zeitung, 18.1.2001, S. 16) Doch wie man hört, scheint die Sanierung der Bankgesellschaft [in Berlin] auf dem richtigen Weg zu sein. Leichter Optimismus macht sich breit. Warum soll man da mitten im Strom die Pferde wechseln? Der Senat darf sich nicht der Chance berauben, das Kreditinstitut wirtschafts- und strukturpolitisch einzusetzen. (http://www.berlin-brandenburg.dgb.de/article/view/817/1/10: So Dieter Scholz auf einer Berliner Kundgebung am 27.11.2002) „Und ich [österreichischer Bankdirektor Karl Samstag] finde, dass es das Allergescheiteste ist, die geordnete Hofübergabe [der Bank Austria] vorzuziehen, um nicht später, mitten im Galopp die Pferde wechseln zu müssen. Ich glaube, es ist der beste Zeitpunkt, und ich stehe da nicht im Wege, den Generationswechsel einzuleiten.“ (http://www.news.at/articles/0404/30/73279.shtml: Bericht von Birgit Stadtthaler vom 19.1.2004) All diese Belege, die das Sprichwort in seiner gewöhnlichen Satzstruktur oder in kontextbezogener Auflösung zitieren, lassen erkennen, dass es heutzutage im Deutschen allgemein gebräuchlich ist. Natürlich fällt dabei auf, dass die Volksweisheit immer wieder mit Bezug auf die Politik verwendet wird, wo es seit eh und je um Führungskämpfe geht. Auf jeden Fall erweist sich das Sprichwort als eine völlig natürliche Sprachformel, die nicht verrät, ob sie nun seit langem im Deutschen gang und gäbe ist, oder ob sie erst nach 1960 als Lehnübersetzung aus dem Angloamerikanischen wieder an Geltung gewonnen hat. Das zeigen auch ein anonym abgedruckter Wellerismus (Sagwort) sowie ein neuerer sprichwörtlicher Aphorismus von Ulrich Erckenbrecht (geb. 1947): „In der Furt soll man die Pferde nicht wechseln“, sagte der Reiter, als er merkte, daß er sich auf ein Flußpferd gesetzt hatte. (Stern, Nr. 48, 22.11.1973, S. 136) Mitten im Strom soll man nicht die Pferde wechseln. Aber die Esel zumindest. (Erckenbrecht 1983, S. 47) Die „Furt“-Variante lässt natürlich die Möglichkeit zu, dass das Sprichwort im Deutschen doch erheblich älter ist, als der eine Beleg bei Wander anzudeuten scheint. Immerhin zeigen solche Texte auch, dass mit dem Sprichwort gespielt wird, ein weiteres Zeichen dafür, dass das Sprichwort heutzutage in der Tat recht bekannt und gebräuchlich ist. Und diese vier letzten Belege aus den Massenmedien lassen nun wirklich keinen Zweifel mehr zu, denn darin wird mit den Bezeichnungen „ein altes Sprichwort“, „deutsche Weisheit“, „die Weisheit 120 ZGL 33. 2005, 106-124 erfahrener Fuhrleute“ und „Spruch“ direkt auf die Sprichwörtlichkeit des Satzphrasems Mitten im Strom soll man die Pferde nicht wechseln hingewiesen: Ein altes Sprichwort besagt, im Strom wechsele man nicht die Pferde. Mit anderen Worten, Kohls Niedergang wird durch diese [CDU-interne] Personalentscheidung keinesfalls aufgehalten. Denn ein wirklicher politischer Richtungswechsel ist damit nicht auszumachen (die tageszeitung, 23.8.1989, S. 8) „Wer einen Bart mit einem anderen tauscht, der verliert beide.“ So lautet die arabische Version der deutschen Weisheit, die Pferde nicht mitten im Strom zu wechseln. Wer gegen solche Erfahrungen handelt, muß schon in einer argen Notlage sein. Offenbar saßen die Fußball-Verantwortlichen in den Vereinigten Arabischen Emiraten in einer solchen Klemme. (die tageszeitung, 15.1.1990, S. 13) Der oberste Kontrolleur von Deutschlands größtem Geldinstitut hält sich an die Weisheit erfahrener Fuhrleute: „Im Strom wechselt man die Pferde nicht“ (Die Zeit, Nr. 38, 15.9.1995, ohne Seitenangabe) Warten wir ab, wie die Wahlen in Sachsen-Anhalt ausgehen. Gibt es erneut bedeutungsschwere Resultate wie an der Leine, wird sie ganz eng für Helmut Kohl. Dann verliert vielleicht sogar der Spruch an Plausibilität, man dürfe mitten im Strom die Pferde nicht wechseln. Wenn denn gar kein Strom mehr da ist. (Frankfurter Rundschau, 7.3.1998, S. 3) Offen bleibt lediglich, wie alt dieses deutsche Sprichwort nun wirklich ist, das auf dem Weg über Amerika in der Lehnübersetzung aus Don't swap horses in the middle of the stream nun ungemein an Popularität zugenommen hat. Im Angloamerikanischen ist es als Lehnübersetzung aus dem Deutschen schon recht lange allgemein bekannt, nur ist man sich in den Vereinigten Staaten nicht bewusst, dass es sich um ein deutsch-amerikanisches Sprichwort handelt, das erst durch Präsident Abraham Lincoln seine große Verbreitung gefunden hat. Dabei muss es sich mit der Sprichwörtern eigenen Polyfunktionalität und Polysemantizität keineswegs immer auf politische Sachverhalte beziehen, doch wird es wohl auf lange Zeit hin immer wieder dann auftauchen, wenn es um ein rhetorisch effektives Argument gegen einen Wechsel in der Politik geht. In amerikanischen Nationalwahlen ist das seit Lincoln der Fall, und in Deutschland sieht es mittlerweile nicht anders aus. Zweifelsohne also gilt nach wie vor im Deutschen und Angloamerikanischen das Sprichwörterpaar Mitten im Strom soll man die Pferde nicht wechseln / Don't swap horses in the middle of the stream. W. Mieder, „Mitten im Strom soll man die Pferde nicht wechseln“ 121 7. Literatur Ich möchte Kathrin Steyer vom Institut für deutsche Sprache (Mannheim) für ihre Unterstützung bei der Beschaffung etlicher Belege ganz herzlich danken. Sie wurden mit Hilfe des von Cyril Belica am IDS entwickelten Korpusrecherche- und Analysesystems COSMAS in den Korpora geschriebener Gegenwartssprache des Instituts für deutsche Sprache ermittelt, der weltweit größten und aktuellesten Sammlung deutschsprachiger Korpora. Alsleben, Brigitte / Mülverstedt, Carolin / Scholze-Stubenrecht, Werner (2002): Duden. Das große Buch der Zitate und Redewendungen. Mannheim: Dudenverlag. Anonym (1940): You Will Decide: Is It Time To Change Horses? Chicago: Citizens Information Committee. Basler, Roy (Hrsg.) (1953): The Collected Works of Abraham Lincoln. 8 Bde. New Brunswick, New Jersey: Rutgers University Press. Beyer, Horst / Beyer, Annelies (1984): Sprichwörterlexikon. Leipzig: VEB Bibliographisches Institut; Nachdruck München: C.H. Beck, 1985. 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