Ist doch nur ein Spiel - Gewalt durch Medien

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Ist doch nur ein Spiel - Gewalt durch Medien
VERTEXTUNG PODIUMSDISKUSSION
Ist doch nur ein Spiel – Gewalt durch Medien?
4. Fachtagung zum Jugendmedienschutz
24. Oktober 2002
Moderation:
Lothar Wolf, Direktor des Medienpädagogischen Zentrums Land Brandenburg
Teilnehmende:
• Joachim von Gottberg, Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V., FSF
• Prof. Dr. Klaus W. Döring, TU Berlin
• Dr. K.-Peter Gerstenberger, Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle, USK
• Klaus Hinze, Aktion Kinder- und Jugendschutz Landesarbeitsstelle Brandenburg e.V.
• Tanja Witting, FH Köln, Forschungsprojekt „Wirkung virtueller Welten“
• Dirk Höschen, Medienreferent beim Deutschen Kinderhilfswerk, USK-Gutachter
Wolf:
Ich darf zunächst die Teilnehmer des Podiums kurz vorstellen. Einige der Beteiligten sind
bekannt, von daher muss ich auf die Personen nicht mehr eingehen, einige sind neu
hinzugerückt auf das Podium.
Ich nenne gleich als ersten Gast Herrn Professor Döring. Er ist freundlicherweise
eingesprungen, ja ich muss das jetzt so sagen, für die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende
Schriften. Wir hatten den Wunsch, dass ein Vertreter der Bundesprüfstelle am Podium
teilnimmt. Leider musste die Bundesprüfstelle aus terminlichen Gründen absagen und wir
sind, eher durch Zufall, auf Herrn Döring gestoßen. Er ist sonst im Bereich der Weiterbildung
und der Erwachsenenbildung sowie des Weiterbildungsmanagements tätig, also in der
Medienpädagogik noch gar nicht so in Erscheinung getreten, für mich jedenfalls nicht. Wir
sind eher durch Zufall auf einen Artikel im „Tagesspiegel“ vor wenigen Tagen gestoßen, ich
weiß nicht, wer den Artikel gelesen hat. Darin übt Herr Döring sehr deutliche Kritik an
Gewaltdarstellungen in den Medien und verbindet dies auch mit Effekten, die er unterstellt in
Zusammenhang mit lerntheoretischen Ansätzen. Er wird gleich die Möglichkeit haben, kurz
etwas dazu zu sagen.
Herr Dirk Höschen ist Medienreferent beim Deutschen Kinderhilfswerk und ist auch CounterStrike-Spieler. Herr Klaus Hinze ist Geschäftsführer der AKJS, der Aktion Kinder- und
Jugendschutz Landesarbeitsstelle Brandenburg, und hat sich unter anderem viel mit
Sicherungssystemen im Internet beschäftigt sowie Projekte zu diesem Thema durchgeführt, ist
also mit dem Themenkomplex gut vertraut.
Frau Tanja Witting kennen wir von ihrem vorhergehenden Vortrag als Vertreterin des
Forschungsschwerpunktes „Wirkung virtueller Welten“ an der Fachhochschule Köln. Herr
Peter Gerstenberger ist Leiter der USK, der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle. Jenes
Gremium bewertet auch Computerspiele und entscheidet, ob und von welcher Jahrgangsstufe
sie freigegeben und empfohlen werden sollten. Und, last but not least, Herr Joachim von
Gottberg. Die FSF, die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen, ist vorhin schon als
Mitveranstalter benannt worden. Herr Gottberg ist Geschäftsführer der FSF und ist auch gut
vertraut mit allen Fragen des Jugendmedienschutzes, wenn auch schwerpunktmäßig bezogen
auf das Medium Fernsehen.
Ich denke dennoch, weil der Diskussionsbedarf so groß ist, sollte Herr Professor Döring
zunächst die Möglichkeit haben, seine Position auf dem Podium darzustellen.
Döring:
Meine Damen und Herren. Ich bin kein Medienwirkungsforscher und ich möchte mich
deshalb aus der Sicht der Medienwirkungsforschung zu dieser Frage nicht äußern. Ich bin seit
über 30 Jahren Lernforscher. Wir beschäftigen uns mit menschlichem Lernen und aus dieser
Sicht möchte ich mich zu der Frage Gewaltdarstellungen in den Medien äußern und habe
mich am 14.10. im „Tagesspiegel“ dazu geäußert.1 Ich möchte also nochmals klarstellen, was
die Position der Lernforschung ist. Die Medienwirkungsforschung fragt mehr oder weniger
danach, was bestimmte Mediengehalte, wenn sie denn präsentiert sind, für Wirkungen haben.
Die Lernforschung fragt nach den Bedingungen der Möglichkeit von Wirkung, also danach,
was die Voraussetzungen dafür sind, dass überhaupt Wirkungen eintreten können. Daher wird
eine Perspektive möglicherweise in der Medienwirkungsforschung ausgeklammert, die ich
gerne eingeklammert sehen möchte. Um Ihnen zu verdeutlichen was ich meine, möchte ich
noch zwei Ausgrenzungen vornehmen. Die eine bezieht sich darauf dass wir, wenn wir von
der Lernforschungsfrage an die Sache herangehen, die neuere Lernforschung einbeziehen
müssen.
Wir haben seit etwa Mitte der 60er Jahre die sogenannte kognitive Wende in der
Lernforschung, einen Paradigmenwechsel, und wir haben heute eine andere
lernpsychologische Landschaft als vor 35 oder 40 Jahren. Insofern argumentiere ich vom
neueren Standpunkt aus. Ich kann natürlich von hier aus nicht den Stand der Lernforschung
rekapitulieren, aber ich werde mich sehr engagiert und sehr deutlich äußern.
Eins möchte ich noch zur Klärung vorausschicken: Die schwerwiegenden Bedenken, die wir
aus der Lernforschung gegenüber dieser Alltäglichkeit von Gewalt haben, sind dramatisch.
Wir haben schwerwiegende Bedenken und erdrückendes Beweismaterial, dass man so, wie
zum Beispiel hier über gewaltorientierte Computerspiele geredet worden ist, nicht über
Gewalt reden darf. Das Entsetzen, das meine Generation und die Forscher, zu denen ich mich
rechne, empfinden, wenn wir dieses Computerspiel (Counter-Strike) sehen, - ich sage es jetzt
in sehr scharfer Form – wird übertroffen durch das Entsetzen, über Menschen, die so wie eben
über dieses Spiel reden. Ich will ausdrücklich sagen, zu der Alltäglichkeit von Gewalt, der
Verharmlosung von Gewalt, gehört auch, so darüber zu reden, wie hier darüber geredet
worden ist. Das möchte ich ausdrücklich sagen und ich füge hinzu: Wenn wir
schwerwiegende Bedenken haben, dann bezieht sich das natürlich nicht auf stabile
Jugendliche und junge Menschen und auf stabile junge Erwachsene. Ich möchte Ihnen einmal
ein Zahlenspiel anbieten. Wir wissen zur Zeit nicht, wieviel Prozent von Kindern und
Jugendlichen und wieviel Prozent von jungen Erwachsenen – wollen wir einmal nur diese
beiden Gruppen ins Auge fassen – wieviel Prozent von ihnen sozial labil sind. Das wissen wir
zur Zeit nicht. Die Sozialpsychologie und auch die Psychiatrie gibt uns einigen Anhalt. Ich
nehme einmal eine Zahl heraus. Wir gehen an der Technischen Universität Berlin, von wo ich
komme, davon aus, dass ungefähr 5% der Studierenden der Technischen Universität
psychiatrische Hilfe brauchen, um ihr Studium zu bewältigen. Das ist einmal ein
Anhaltspunkt. Es gibt andere die sagen, 90% der Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind
durch solche Medieninhalte nicht gefährdet. Dann wären das 10%, die gefährdet sind.
Ich gebe Ihnen jetzt Realzahlen. Wir gehen zur Zeit davon aus, dass in Deutschland in einem
Jahrgang ungefähr 650.000 bis 750.000 Menschen sind. Wenn 10% gefährdet wären, wären
1
Die Langfassung des Beitrages wurde uns freundlicherweise von Prof. Dr. Klaus Döring zur Verfügung gestellt
und wurde ebenfalls in die Dokumentation zur Jugendmedienschutztagung auf dem Brandenburgischen
Bildungsserver aufgenommen.
das pro Jahrgang 75.000 Menschen. Wenn wir jetzt die „jungen Menschen“ beziehen auf
Kinder und Jugendliche, dann - reden wir zunächst mal nicht von den 1 bis 3-jährigen – haben
wir 15 Jahrgänge à 75.000, also etwa 1 Million Menschen, die gefährdet sind. Wenn wir die
jungen Erwachsenen mit einbeziehen, sprechen wir bei einer 10%-Regel von 2 Millionen
Menschen. Wenn wir vorsichtiger sind und sagen, dass nur 5% gefährdet sind, reden wir bei
den Kindern und Jugendlichen sowie jungen Erwachsenen von 1 Million Gefährdeten und in
Bezug auf die Kinder und Jugendlichen von 15 Jahrgängen reden wir dann von einer halben
Million Menschen, denen wir soziale Labilität zuschreiben müssen und die in besonderer
Weise gefährdet sind. Wenn ich mich jetzt über die Lernforschung und die Fragen äußere,
dann bezieht sich das einmal darauf, dass wir natürlich den Gesamtzusammenhang im Auge
behalten müssen – die Erträglichkeit ist ein Sozialisationszusammenhang -, aber wenn ich
mich jetzt dazu äußere, dann besonders in Bezug auf diese Gruppe Gefährdeter. Ich erlaube
mir noch ein Zitat aus einer Erklärung der vier größten amerikanischen Psychologie- und
Psychiatrieverbände aus dem Jahre 2000 zu bringen, die sich zu dieser Frage gemeinsam
geeinigt und geäußert haben: „Weit mehr als 1.000 wissenschaftliche Untersuchungen deuten
auf eine Kausalbeziehung zwischen dem Konsum von filmischen Gewaltdarstellungen und
aggressivem Verhalten bei manchen Kindern hin.“ – Das ist genau die Eingrenzung, die ich
eben auch vorgenommen habe. – Nicht alle Kinder sind also ins Auge zu fassen, sondern die
Gefährdeten. Das ist der Punkt.
Jetzt äußere ich mich nicht mehr zu Medienwirkungsfragen, sondern zur Lernforschung.
Zuerst ein Missverständnis. Viele Medienwirkungsforscher sagen, der Zusammenhang eines
bestimmten Konsums von Mediengewalt und einer bestimmten Tätigkeit von Probanden, von
Personen – zum Beispiel aggressiven Gewalttätern -, sei nicht nachweisbar. Richtig. Über
weite Strecken ist das nicht nachweisbar, das glaube ich auch. Leider führt genau diese
Aussage in der Öffentlichkeit zu einem schwerwiegenden Missverständnis. Nämlich: weil
dieser Zusammenhang nicht nachweisbar sei, bestünde er auch nicht. Das ist ein beinahe
unverzeihlicher Fehler, weil in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht – das führt ja auch
dazu, dass es teilweise schick geworden ist, von der relativen Wirkungslosigkeit von Medien
zu reden, weil man diesen Zusammenhang nicht nachweisen kann. Aber Zusammenhänge, die
wir nicht nachweisen können als null und nichtig zu erklären, also die Behauptung
aufzustellen, da bestünde kein Zusammenhang, ist natürlich in gar keiner Weise haltbar.
Was sagt uns die neuere Lernforschung? Ich kann mich dazu nur noch pauschal äußern: Wir
haben insgesamt neun Lernkonzepte, die wir genauer untersuchen. Alle neun Lernkonzepte
geben für sozial labile Menschen, die so etwas sehen, was hier gespielt wird, eine sehr
schlechte Prognose. Das heißt andersherum: Es wird massiv an solchen Medienangeboten
gelernt. Das heißt, hier werden Sozialisationseffekte erzeugt, die schwerwiegende soziale
Folgen haben, weil sich dieses Lernen im Sozialisationszusammenhang, in dem wir uns ja
auch alle befinden, entsprechend äußert. Das bedeutet, dass die Prognosen aus diesen
Lernkonzepten sehr, sehr schlecht sind.
Ich nenne sie wenigstens einmal: Das erste Konzept ist das Lernkonzept Beobachten. Es
besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass Menschen sehr effizient dadurch lernen, dass sie
bestimmte Zusammenhänge beobachten können. Eine Verschärfung findet dann statt, wenn
dieses Beobachten mit Verbalisieren einhergeht. Also das Sprechen über und Versprachlichen
von visueller und beobachteter medialer Gewalt. Ein wesentlich effizienteres Lernkonzept ist
dasjenige, das man Nachmachen und Ausprobieren nennen könnte. Noch wesentlich
vertiefender und in die Persönlichkeit eingreifender ist das Lernkonzept Identifikation. Dass
ich also eine Person beobachte, sie verbalisieren sehe, mich mit ihr identifiziere und dadurch
das Lernkonzept sozusagen greift, das Identifikation heißt. Ein sehr gut untersuchtes
Lernkonzept ist das Lernkonzept Belohnen und Bestrafen. Hier wird ein Mechanismus
angesprochen, der bei aggressivem Verhalten eine ganz besondere Rolle spielt. Das haben wir
auch in dem Film (Counter-Strike) vorhin gesehen. Dass beispielsweise im Umfeld Schmerz
empfunden und geschrien wird. Dass ich also belohnt werde, wenn ich getroffen habe,
dadurch dass ein Mensch verletzt ist.
Durchgreifender und in den letzten Jahren besonders intensiv untersucht worden ist das
Lernkonzept Tun, das heißt tätig werden. Das Lernen durch tätig werden. Wir beschreiben das
in der Lernforschung als eine grundlegende Voraussetzung von Lernen, nämlich dass man das
Lernen als einen zweifachen Prozess bezeichnen muss, und zwar als ein Einatmen und ein
Ausatmen. Im „Einatmen“ nehme ich Informationen auf, verarbeite sie, speichere sie – was
man über Medien sehr wirkungsvoll tun kann – und der zweite Schritt ist dann das Entäußern
dieses Gelernten, dieser gelernten Information durch Tun und die Vertiefung des Gelernten,
also dieser behaltensmäßig installierten Informationen, dadurch dass sie in Taten umgesetzt
werden. Und gerade Computerspiele sind ja pseudorealitätsbezogenes Tun, denn es wird ja
geschossen, wenn auch nur virtuell. Die Position, dass dieses Schießen ja nur eine
Ersatzfunktion hätte, wurde ja gerade durch die Beschreibungen der verschiedenen
Computerspiele dadurch konterkariert, dass ausdrücklich gesagt wurde, dass die Spieler
Realität in das Spiel hineinholen und dort meinen, real zu handeln. Der Täter von Erfurt zum
Beispiel hat im Prinzip genau das gemacht, was in den Computerspielen gezeigt wurde, die
wir gerade gesehen haben – sich durch Gänge bewegt und auf alles geschossen, was sich
bewegt – viele Täter dieser Art haben es genauso getan: Lernkonzept Tun! Lernkonzept
Routine, Konditionierung ist ein besonders sozial verheerendes Konzept. Da werden nämlich
Dinge sozusagen in einen Verhaltenshabitus eingebaut. Lernkonzept Phantasie ist mein
vorletzter Punkt. Es ist die Idee, sich in Sachverhalte hineinzusteigern - was bei Jugendlichen
eine besonders große Rolle spielt -, und Gewaltphantasien sozusagen einzubauen und zur
Verhaltensvoraussetzung zu nehmen.
Wolf:
Vielen Dank. Sie haben uns jetzt eine Steilvorlage geliefert. Herr Kunczik hat an früherer
Stelle der Veranstaltung ebenfalls auf vieles hingewiesen, jedoch mit einem kleinen
Unterschied. Er hat die Kausalzusammenhänge bestritten und gesagt, es gibt keine Belege
dafür. Es gibt gefährdete Gruppen, in der Tat, und über diese Gruppen reden wir, aber eine
Kausalität in diesem Sinne sieht er nach den Befunden nicht. Und, was er ebenfalls
thematisiert hat und ich denke, das sollten wir mit im Blick behalten: es besteht ja immer die
Frage des Abwägens zwischen Schutzbedürfnis oder Schutznotwendigkeit und
Freiheitsrechten. Also, was kann man dem einen verbieten, um möglicherweise andere
Gefährdete zu schützen.
Herr Dr. Gerstenberger, als USK-Vorsitzender: Gehört sowas nicht verboten?
Gerstenberger:
Das ist ein sehr großes Thema. Computerspiele sind Problemkonstruktionen und
Regelverabredungen und - das wurde in dem Beitrag der beiden Forscherinnen aus Köln vor
allem deutlich - Computerspiele bieten ein weites Spektrum von Problemkonstruktionen und
Regelverabredungen in einer Genrevielfalt. Und das, was hier jetzt gerade am Shooter
demonstriert wird, ist ein Element dieser Problemkonstruktionen und Regelverabredungen.
Die Schwierigkeit für die Zuschauer besteht mal wieder darin, dass sie ein solches Spiel noch
nicht erlebt haben. Deshalb auch vorhin die verwunderte Frage: „Ich verstehe die
Beschreibung von Herrn Brunner gar nicht.“ Er hat ihnen eine Situation beschrieben, in der
zwei Teams sich einer bestimmten Problemkonstruktion unter einer bestimmten
Regelverabredung zuwenden. Das ist uns gar nicht so unbekannt. Computerspiele sind
einerseits den Brettspielen oder den Sportspielen viel näher, die uns allen bekannt sind.
Deshalb ja die Regelverabredung. Und wenn wir auf ein Feld gehen, das uns geläufiger ist,
dann antworte ich auf die Frage: Wir nehmen auch bei Mensch-Ärgere-Dich-Nicht nicht an,
dass ein Spielprinzip von „Wirf jeden aus der Bahn, wann immer Du die Chance dazu hast!“,
die Ellenbogengesellschaft trainiert. Ich vermag mal pauschal, und deshalb sage ich es
zunächst auch einmal so pauschal, beim Computerspiel auch nicht einzusehen, dass diese
Wirkungen eintreten sollten. Wir haben ein digitales Ambiente einer digitalen
Spielverabredung unter der Voraussetzung eines bestimmten Problems. Dann wenden sich
Spieler diesem zu. Und das sind auch die Forschungsbefunde, die uns darüber in dieser
Richtung Auskunft geben. Das Spielverbot im juristischen Sinne ist eine andere Perspektive.
Dieses Spiel (Counter-Strike) hat eine Alterseinstufung der USK ab 18 Jahre bekommen und
für dieses Spiel wurde ein Indizierungsantrag gestellt, lange bevor es Erfurt gab. Die
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften hat entschieden, dass dieses Spiel nach
Spruchpraxis der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften nicht auf den Index
gehört. Drittens wäre dann zu sagen, gehört es dann erst recht nicht unter den
Strafrechtsparagraphen 131, - das wäre Gewaltverherrlichung -, das fällt schon mal alles im
juristischen Sinne hier heraus.
Aber ich würde die Perspektive in der Diskussion lieber auf die ganz andere Frage lenken,
wie wir eigentlich Spiel, Computerspiel verstehen können.
Wolf:
Da schließe ich mich gerne an. Trotzdem möchte ich Herrn Höschen nochmals dahingehend
ansprechen. Er selbst ist Counter-Strike-Spieler, er gewinnt diesem Spiel auch etwas ab. Ich
würde Sie gerne bitten, darzustellen, welches denn die Erlebnisse sind, die Bedürfnisse, die
Sie selber dort im Spiel befriedigt sehen und: wie gehen Sie denn mit dem Phänomen der
Gewalt um, das Sie dort erleben. Denn es ist ja unzweifelhaft, dass man auf jemanden zielt
und auf jemanden schießt.
Höschen:
Ich bin 37 Jahre alt und damit wahrscheinlich der absolute Oldie unter den Counter-StrikeSpielern. Der Schnitt dürfte so etwa zwischen 20 und 28 Jahren sein. Insofern ist bei mir zum
Beispiel der Aspekt des Sozialen, in einem Team, einem Clan zu spielen -, bei mir ist es der
„Berlin Desk Quarter“, also der Clan in Berlin -, nicht ganz so wichtig, weil ich einfach zu alt
bin. Ich habe mit den Jugendlichen oder jungen Erwachsenen bis 28 oder 30 eigentlich nicht
mehr viel zu tun.
Aber ich spiele ganz gerne Counter-Strike, weil es a) für mich befriedigend ist, wenn man gut
ist, wenn man gut im Team spielt, wenn man gewinnt und b) merke ich es zumindest, dass ich
dann abschalten kann. Wenn ich abends nach Hause komme und ich habe Zeit und nichts
anderes vor so für zwei, drei Stunden, dann schalte im meinen Computer, gehe ins Netz und
dann spiele ich. Das ist für mich auch nicht, wie soll ich das sagen – ich selber bin Pazifist,
habe Zivildienst gemacht, habe noch nie in meinem Leben eine reale Waffe in der Hand
gehabt und glaube auch nicht, dass ich ein besonders gewalttätiger Mensch bin. Ich bin auch
nicht gewalttätiger geworden durch Counter-Strike.
Nur, für mich ist es immer die Frage, ich sehe einmal, ich sehe zweimal, dreimal wie jemand
getroffen wird, schreit, zu Boden geht. – Es gibt ja die deutsche Version, die freigegeben ist,
da wird der Spieler getroffen und er sinkt quasi in die Hocke. Blut wird nicht visualisiert. Für
mich als Spieler ist das im Grunde genommen gleichgültig. Ich habe einen Film über ein
Turnier auf Bundesliga-Ebene quasi, wo die Computerspieler überhaupt nicht mehr als
Leichen oder sonstwie zu sehen sind, sondern direkt verschwinden, weil sie innerhalb des
Spieles sonst nämlich stören würden. Es hat fast eine Art – Leistungssportcharakter hört sich
jetzt zynisch an, aber Counter-Strike ist für mich zumindest etwas anderes als ein Spiel wie
America’s Army, wo ich zum Beispiel militärischen Drill trainiere und wo mir echt gesagt
wird: „Das ist Dein Feind und den musst Du erschießen!“ Dieses Freund-Feind-Denken findet
ja für einen Counter-Strike-Spieler, jedenfalls, wenn er so die dritte oder vierte Runde hat,
und vielleicht 20mal selber gestorben ist, überhaupt nicht mehr statt. Insofern halt spielt es
keine Rolle. Von mir aus kann das Blut auch grün sein oder violett. Von mir aus kann man
sich auch mit Pappkügelchen beschießen.
Publikum:
Das wird ja immer gesagt, dass es für den Spieler egal ist, ob da immer halbe Menschen tot
sind, aber dennoch sind es immer Menschen.
Höschen:
Ja, es gibt natürlich auch eine Tendenz, die Technik auszureizen und zwar auch dahingehend
auszureizen, dass so ein Computerspiel besonders realistisch werden muss. Ich erinnere mich
an meine Anfangszeiten. Ich habe damals einen Atari gehabt, vor 10,15 Jahren. Da gab es ein
Spiel namens MidiMaze. Da konnten das erste Mal bis zu 16 Computer zusammen spielen
und zwar konnten sie sich mit Smilies abschießen, solchen Smiley-Gesichtern, solchen
Kugeln, die durch die Gegend gelaufen sind, man konnte auch im Team spielen, man konnte
Waffen kaufen und so weiter. Das ganze war natürlich aufgrund der Technik sehr abstrahiert
dargestellt. Aber im Grunde genommen ist das für mich als Spieler genau dasselbe wie
Counter-Strike jetzt. Deshalb verstehe ich auch nicht, weshalb Herr Döring sich so über das
Blut und das Szenario und so weiter aufgeregt hat, denn im Grunde genommen ist es ja genau
dasselbe – jedenfalls für mich -, ob ich jetzt MidiMaze spiele oder ob ich eine erkennbar für
mich nicht reale Szene habe.
Was das ganze für Kinder bedeutet – wir haben leider nicht über Kinder gesprochen, auch in
den Studien waren fast immer Jugendliche beziehungsweise junge Erwachsene. Ich bin sehr
wohl der Meinung, dass Kinder solche Szenarien, gerade wenn sie realistisch sind, anders
sehen, weil sie dann natürlich noch etwas anderes hineininterpretieren. Aber hier ist natürlich
niemand, der bestreitet, dass Kinder vor bestimmten Spielen geschützt werden müssen.
Wolf:
Wir können natürlich darüber reden, inwieweit realistische Darstellungen die Lust an der
Gewalt oder auch die Empathie fördern. Das war ja auch ein Hinweis aus dem
Forschungsprojekt der Freien Universität vorhin, es wäre über diese Unsitte zu diskutieren,
Blut als grüne Flüssigkeit darzustellen, denn wenn man das sein ließe, könnte man durchaus
mit realistischer Darstellung zumindest die Möglichkeit bieten, sich mit den Opfern zu
identifizieren. Aber das passiert ja nicht. Für mich ist das ein unlösbares Problem an dieser
Stelle.
Jetzt würde ich gern weitergeben an Herrn Hinze, der sich ja im Bereich des Kinder- und
Jugendschutzes auch mit solchen Fragen befasst. Würden Sie denn einem Jugendlichen solch
ein Spiel empfehlen, würden Sie ihn anregen – es ist ein Strategiespiel -, es zu spielen oder
würden Sie zunächst über Alternativen nachdenken?
Hinze:
Die Forderung vorhin ging ja noch weiter, wenn auch zwischen den Zeilen. Aber von Frau
Witting wurde ja so im Abschlusssatz auch eine Forderung an Pädagogik gestellt, nämlich
sich sozusagen auf die Spieler einzulassen, sich auf Spiel und Spieler einzulassen und mit
ihnen das Gespräch zu suchen. Vom Grundansatz her im Sinne eines pädagogischen Dialogs
liegt darin ein richtiger Gedanke. Nur – bei der Vision, die ich gerade entwickelt habe, in der
Folge der Counter-Strike Präsentation und dem was wir eben noch gehört haben – wenn wir
Counter-Strike im Jugendzentrum einsetzen würden, als pädagogische Aktivität, vielleicht als
Bundesliga-Spiel ausgetragen im Jugendzentrum zulassen würden, dann hätte ich nicht nur
extreme Bauchschmerzen, sondern ich hätte ärgste Probleme, so etwas noch als in irgendeiner
Form akzeptabel anzusehen.
Für mich stellt sich die Frage, wie unsere Gesellschaft eigentlich mit den zunehmend
möglichen Konstruktionen digitaler Welten umgeht und welche Angebote wir in unserer
Gesellschaft verantwortlich nach außen tragen können. Das ist ein Prozess, den heute morgen
auch Professor Kunczik mit angesprochen hat. Er hat nach einer normativen Diskussion
gefragt. Er hat sie sozusagen eingefordert. Ich denke, diese normative Diskussion – so ein
bisschen begann sie eben hier auch, aber natürlich an einem eingegrenzten Kreis -, ich würde
mir wünschen, dass diese normative Diskussion insgesamt in unserer Gesellschaft geführt
wird und zwar auch mit den Produzenten.
Wolf:
Herr von Gottberg, da wir jetzt beim Normativen sind, denke ich, sollten wir da anknüpfen. In
der Tat müssen wir diese normative Diskussion führen. Und wir bemerken, dass wir einerseits
Jugendliche, die da eine gewisse Faszination empfinden, ja nicht kriminalisieren wollen. Wir
wollen sie ja mitnehmen, wir wollen sie abholen, wir wollen ins Gespräch kommen.
Andererseits aber doch eine Sperre entwickeln. Herr Hinze hat es gesagt, ich hätte die Sperre
auch, zum Beispiel meine eigenen Kinder an solche Spiele heranzuführen. Warum auch. Es
sind die falschen Muster und ich würde schon anderes präferieren.
Von Gottberg:
Ich würde auch mit ziemlicher Sicherheit anderes präferieren. Ich muss ehrlich sagen, dass
mich sowohl solche Spiele wie Counter-Strike als auch Gewaltfilme mit Chuck Norris und
Co., die ich in meinem Leben vermutlich mehr sehen musste als sie alle zusammen, weil ich
Filmprüfer bin – ich finde diese Filme grauenvoll und ich finde sie vor allem entsetzlich
langweilig. Die Frage ist, ob dies nun ein Standpunkt ist, der mich prädestiniert, mich mit der
Sache zu beschäftigen und mit der Frage vor allen Dingen zu beschäftigen, wie wirken sie
denn, wie gehen wir als Gesellschaft damit um, wo setzen wir die Grenzen.
Mir ging das vor ungefähr 20 Jahren, als ich mich das erste Mal mit Filmjugendschutz,
bestimmten Hard-Core Streifen im Gewaltbereich beschäftigte, zum Beispiel „Muttertag“, wo
es wirklich nur um’s Zerfetzen ging, so ähnlich wie Herrn Döring. Ich sah mir das an, der
Magen drehte sich um, ich fand das ganz grauenvoll und sagte: Um Gottes Willen, ZombieFilme und so weiter. Kinder, die sich solche Filme angucken, müssen doch im Grunde alle
kleine Zombies sein. - Dann habe ich aber bemerkt, dass diese Herangehensweise nicht
allzuviel weiter führt, denn das Dumme ist, dass man mir solche Filme vorführen kann wie
man will. Man kann mir solche Spiele geben, wie auch immer man will. Ich werde sie nur
unter Androhung von Gewalt spielen. Von realer Gewalt, denn sonst hätte ich dazu einfach
keine Lust. Auf der anderen Seite zwingt mich natürlich auch keiner, diese Spiele zu spielen.
Das heißt auf der anderen Seite, dass für die Leute, die von sich aus eine gewisse Affinität zu
diesen Spielen haben, etwas da sein muss, was diese Spiele attraktiv macht. Es muss
sozusagen in diesen Kindern selber ein Bedürfnis da sein, ich kann das jetzt nur sehr
allgemein sagen, sich mit dem Thema Gewalt zu beschäftigen.
Es muss eine Phantasie da sein, in der Gewalt eine Rolle spielt. Das lässt sich, von dem was
ich aus der Psychologie weiß, nur sehr mäßig erklären. Wir wissen aber, wenn sie sich mit
Kindern beschäftigen, so im Alter von zwei, drei Jahren, in der Psychiatrie, und die Kinder
einfach malen lassen – dann sehen sie bei Kindern, die noch keinen einzigen Film gesehen
haben und noch kein einziges Videospiel gespielt haben, zum Teil ganz massive
Gewaltphantasien, ganz massive Elemente von Gewalt, von Macht, von Ängsten. Das sieht
man etwa an Größenverhältnissen, wenn zum Beispiel der riesengroße Vater gezeichnet wird
und das arme Kind in der Ecke. Da bemerken sie einfach: da spielt Macht eine Rolle, da spielt
Gewalt eine Rolle, wenn auch vielleicht nicht im physischen Bereich. Aber da finden sie in
der Phantasie von Kindern in der Phantasie von Kinderwelten, die wie gesagt, noch relativ
unbeleckt sind, was dieses Thema angeht, ganz existenzielle Gewaltphantasien. Ich glaube,
dass ist ein Faktor, der bei Ihnen etwas zu kurz kommt, Herr Döring, nämlich die Frage nach
der Motivation. Die Frage: Was ist in uns? Möglicherweise auch verborgen.
Mir geht es manchmal so, zum Beispiel ist es mir bei Rambo so passiert – ein Film, den ich
grauenvoll fand, am Anfang, von der Story her. Ein Film, der ganz stark gegen meine Ethik
geht. Und plötzlich, so im Laufe des Films merkte ich, irgend etwas ist da doch, wo du
mitgehst, wo du etwas machst. Und da spielen natürlich die Dinge, die Sie genannt haben, die
Identifikationsprozesse zum Beispiel, eine Rolle: „Den mag ich, den mag ich nicht...“ oder
wie wird sozusagen meine Emotion geleitet. Und da sind wir dann wieder beim Lernen. Will
sagen – es ist natürlich ein falscher Ansatz, nicht dass ich jetzt falsch verstanden werde, zu
sagen, na gut, der eine möchte eben Gewalt sehen und der andere möchte eben keine Gewalt
sehen und wenn der eine es möchte ist es in Ordnung und wenn der andere es nicht möchte
auch. So geht es natürlich nicht. Wir müssen uns nur einfach fragen, was passieren würde,
wenn wir annehmen, diese Spiele gäbe es nicht oder diese Filme gäbe es nicht. Hätten wir
dann eine friedfertigere Gesellschaft? Hätten wir dann die Gewalt außen vor? Das glaube ich
nicht. Ich glaube, dass diese Spiele eine Form der Verarbeitung von Dingen sind, die bei uns
in irgendeiner Weise vorhanden sind und wo es letztlich darum geht, aus dem Chaotischen,
aus der Phantasie – das ist jetzt ein Erklärungsversuch – denn wir müssen es erklären, die
Spiele gibt es ja nun einmal, wir können es ja nicht leugnen, es muss irgendwie das sein, was
Herr Gerstenberger gesagt hat, dass es letztlich darum geht, in die Phantasie hinein irgendeine
Form von Regeln zu bekommen, von Mechanismen zu bekommen, ähnlich wie beim
Fußballspiel, wo ja auch eine gewisse Aggression vorhanden ist. Wenn sie einmal im
Inforadio – das ist mein Lieblingssender, sie sehen also, ich bin ein völlig harmloser Rezipient
und nicht wie Dirk Höschen, der ständig dieses grauenvolle Spiel spielt, also nichts gegen ihn,
er ist völlig harmlos, ich kenne ihn seit langem - aber wenn ich mir im Inforadio ein
Fußballspiel anhöre, dann habe ich manchmal das Gefühl, es wäre Kriegsberichterstattung.
Und wenn sie sich die Terminologie anhören, auch die Bildzeitung hat ja da manchmal solche
Überschriften, hat man das Gefühl, es ist Krieg. Das ist kein Zufall. Offenbar spielt
Aggression und die Verarbeitung von Aggression im Spiel, und zwar allen möglichen
Spielen, das Projizieren von Aggression und Feindbildern, das Abarbeiten von Feindbildern,
eine ganz große Rolle. Wie gesagt, das ist nur ein ganz kurze Replik. Ich glaube, dass wir
nicht nur danach fragen müssen „Wie wirkt das denn?“, sondern dass wir auch danach fragen
müssen, wo eigentlich die Motivation liegt, so etwas zu spielen. Deshalb finde ich es, ehrlich
gesagt, ein kleines bisschen problematisch Herr Döring, dass Sie sich auf so ein moralisches
Tableau stellen und sagen, „Ich kann das gar nicht verstehen, dass man sowas so harmlos
findet wie dieser Dirk Höschen oder dass hier so darüber geredet wird.“ Ich finde, das ist die
einzige Möglichkeit mal zu gucken, für einen Moment wenigstens.
Döring:
Es gibt ganz andere Möglichkeiten.
Von Gottberg:
Ja, mag ja sein. Aber ich halte es für einen Moment zumindest...
Döring:
Die einzige Möglichkeit ist es nicht.
Von Gottberg:
Ich habe ja nicht gesagt, dass es die einzige Möglichkeit ist.
Döring:
Doch, haben Sie gesagt.
Von Gottberg:
Ich habe nur gesagt, dass ich es etwas – wie soll man sagen – es ist nicht nach meinem
Geschmack, mich auf ein Tableau zu stellen und zu sagen: Schau mal, wie unmoralisch die
anderen sind. Sondern wenn ich gerade mit der wissenschaftlichen Neugierde, mit der
wissenschaftlichen Neutralität an eine Sache herangehe, dann frage ich mich doch erst einmal:
Was geht denn bei den Menschen vor? Warum finden die das denn so toll? Mich würde viel
mehr interessieren, wenn ich jetzt mit ihnen spräche, was macht ihre Faszination aus? Was
macht die Lust aus? Mal angenommen, das haben Sie ja vorhin gesagt, es wäre jetzt ein reines
Strategiespiel ohne Gewalt, wäre es dann noch genauso reizvoll? Welche Rolle spielt denn die
Tatsache, dass es um Menschen geht, dass es um Blut geht? Sind das vielleicht Dinge, die wir
kulturell aufnehmen. Wo wir – ich erinnere mich an die Berichterstattung heute im Inforadio
über die Besetzung der Botschaft in Tschetschenien – wo ich mich frage, was würde
passieren, wenn ich in so einer Situation bin. Wie würde ich damit umgehen? Oder der
Sniper, der gerade in Washington unterwegs ist. Sind es sozusagen Verarbeitungswünsche
von gesellschaftlichen Prozessen? Denke ich mich in bestimmte Rollen hinein? Oder ist es
vielleicht gar was Archaisches, was wir psychologisch überhaupt nicht erklären können?
Ich will das überhaupt nicht beantworten. Aber das ist mir vorhin bei der ganzen
Fragestellung zu kurz gekommen. Ich will aber darauf hinweisen, dass wir bei dem ganzen
Thema nicht nur nach der Wirkung fragen dürfen, sondern, wenn wir realistisch damit
umgehen wollen, müssen wir uns auch fragen: Warum machen die Leute das? Nur dann
können wir damit umgehen.
Abschließend: Als Counter-Strike nicht indiziert wurde, gab es in der TAZ („tageszeitung“)
so eine schöne Überschrift - also ich war am Anfang ehrlich gesagt erbost, dass es nicht
indiziert ist, weil es mir ehrlich gesagt ein bisschen so geht wie Herrn Döring, so ein kleines
bisschen moralisch ist man dann ja auch – da stand in der TAZ die Überschrift: „Eine
Jugendkultur steht auf dem Index.“ Und da dachte ich, verdammt nochmal, die haben ja recht!
Ich kann nicht einfach aus meiner Perspektive sagen: alles krank, alles furchtbar, möchte ich
verbieten, schrecklich. Die Frage ist erstens, was passieren würde. Was würden wir damit
möglicherweise in eine andere für uns nicht mehr kontrollierbare und auch nicht mehr
einsehbare, auch nicht mehr verstehbare Welt bringen? Insofern möchte ich einfach wissen,
was geht bei den Menschen vor, was fühlen sie wenn sie spielen? Und ich möchte letztlich
wissen: was ist der Grund der Jugendkultur? Warum sind solche Spiele so attraktiv heute?
Was mich auch interessiert ist: warum ist in einer Zeit, die wirklich extrem brutal war,
nehmen sie mal die Nazizeit, eine wirklich brutale Form der Gesellschaft, wo jeder Mensch
täglich Angst um sein Leben haben musste, warum gab es damals nur harmlose Filme? Die
zwar furchtbar ideologisch waren, aber da gab es kaum Gewalt, da gab es, von der optischen
Darstellung her, nur eine vollkommen harmlose Landschaft in der Medienindustrie, als
Kontra sozusagen zur Gesellschaft – und warum haben wir heute de facto, trotz Erfurt doch
eine sehr friedliche Gesellschaft. Wer von uns kennt jemanden, der ermordet worden ist. Oder
der wirklich Opfer eines Gewaltverbrechens geworden ist. Es ist sozusagen aus unserer
tatsächlichen Welt doch ziemlich weit raus und wahrscheinlich brauchen wir irgendetwas in
unserer Phantasie, um mit diesen Dingen, die ja reale Themen sind, wie wir aus den
Nachrichten wissen, klar zu kommen. Es sind reale Themen und wahrscheinlich ist es eine
Art, sich da anzunähern. Ich denke, das heißt jetzt nicht, dass ich es harmlos finde, aber ich
denke, es ist einfach mal ein anderer Weg, sich dem zu nähern. Ansonsten kann ich vielem
von dem, was Sie aus der Lerntheorie gesagt haben, zustimmen. Ich bin Jugendschützer und
schaue nach lerntheoretischen Gesichtspunkten Filme an. Ich denke nur, Sie haben, wie
gesagt, Film ist ein anderes Thema, denke ich als Spiel, Sie haben bei Filmen natürlich einen
ganz wichtigen Punkt nicht genannt, der beim Lernen auch eine große Rolle spielt, nämlich
den der Emotionalisierung. Sie lernen im Grunde sehr stark durch Emotionalisierung.
Figuren, die ihnen sympathisch sind, haben für sie lernprozesstechnisch gesehen eine höhere
Bedeutung als Personen, die sie ganz unangenehm finden. Mitleid spielt eine große Rolle und
so weiter. Das sind Dinge, unter denen wir uns Filme lerntheoretisch ansehen, mit
Erkenntnissen sozusagen aus anderer Forschung. Ich denke, das muss man alles mit
einbeziehen, es ist, wie gesagt, richtig, was Sie gesagt hatten im Wesentlichen – man müsste
auch über die Individuation sprechen – aber bei Film spielt eben noch eine ganze Reihe von
anderen Dingen eine Rolle.
Wolf:
Herr Gottberg, um einem Missverständnis vorzubeugen: auch ich halte Herrn Höschen und
Herrn Brunner für völlig harmlose und nette Menschen. Das ist ja auch nicht das Problem.
Wir haben ja gerade gesagt, bei den Problemgruppen könnte es zu Verstärkungen oder zu
Anleitungen solcher Taten führen. Und wir haben in der Tat, um es mal ganz aktuell zu
machen, - wer gestern Regionalfernsehen gesehen hat, SFB, ORB, der wird mitbekommen
haben, dass in Spandau in einer Schule ein Schüler über Internet, über die Homepage der
Schule, seine Lehrer und seine Mitschüler oder bestimmte Lehrer und Mitschüler bedroht hat.
Er hat angekündigt, er werde ein Massaker anrichten. Man hat diesen Schüler in der Schule
dann tatsächlich ausfindig machen können. Ob er es wirklich vorgehabt hat, weiß keiner.
Aber klar ist: Es wird häufiger zu solchen Mustern gegriffen.
Jetzt wäre es natürlich spannend, wenn Sie auf die Fragen – ich sehe, Herr Döring möchte
gerne antworten – aber wenn Sie vielleicht doch noch mal drei Antworten auf die Fragen
geben könnten, Herr Brunner.2
Brunner:
Ich muss erst einmal etwas zu meinen Lieblingsspielen sagen: Dass ich diese Gewaltspiele
spiele, liegt an einem ganz großen Punkt, nämlich am Geld. Ich verdiene damit mein Geld3,
dass ich diese Spiele spiele. Meine Lieblingsspiele momentan: Das eine ist Super Monkey
Ball, da befindet sich ein Affe in einer Plastikkugel und muss durch ein Labyrinth gesteuert
werden. Mein anderes Lieblingsspiel ist Beach Striker, ein Beach-Volleyball-Spiel. Das sind
also die beiden Spiele, die mich momentan dazu bringen, mein Joy-Pad in die Ecke zu werfen
und frustriert zu werden. Die Gewaltspiele haben ein völlig unerklärliches Ausmaß. Es sind
insgesamt 3% des Marktes die Gewaltspiele, über die wir hier reden. Es sind nur 5% der
verkauften Titel. „Sims“ verkauft sich dreimal doller als jeder Ego-Shooter, als alles andere,
was es gibt. Und dennoch ist es gerade dieser Randbereich, über den geredet wird. Es ist
natürlich auch der spannendste Bereich, weil er wahrscheinlich am, ja, „bösesten“ ist.
Ich denke, es geht ein bisschen in die Richtung: früher hat man gesagt Rock’n Roll ist ganz
böse, Rap ist ganz böse, Heavy Metal ist ganz böse und jetzt sind wir im nächsten Jahrzehnt
angekommen und jetzt sind es Computerspiele. Wir hatten Comics, wir hatten Web, wir
hatten Rock’n Roll, wir hatten Heavy Metal. Es war alles immer der Untergang des
Abendlandes, es war alles immer etwas, was von der nächsten Generation kaum oder gar
nicht verstanden wurde. Vielleicht auch nicht verstanden werden wollte, weil es einfach zu
weit weg war. Ich sehe heute schon mit Grausen meine kleine 10-wöchige Tochter in 10
Jahren mit dem ersten völlig brutalen neuesten Traumweltenspiel oder was auch immer
2
Herr Marek Brunner (Student an der technischen Fachhochschule Berlin) präsentierte unmittelbar vor der
Podiumsdiskussion zusammen mit Dirk Höschen dem versammelten Auditorium das Computerspiel
„Counterstrike“ per Datenprojektion
3
Marek Brunner überprüft als Honorarkraft für die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle USK Spiele auf ihre
technische Spielbarkeit
ankommen, zu dem ich dann wirklich keinen Zugang mehr habe. Ich kann wirklich nur jedem
empfehlen, der versucht, über dieses Thema zu reden, sich zumindest kurzzeitig damit
auseinanderzusetzen und die Perspektive des Beobachters zu verlassen und wirklich nur 5
Minuten, bitte, 5 Minuten, zu versuchen, dieses Spiel zu spielen. Um einfach nur zu
bemerken: das ist es. Wenn man den Reiz dann nicht entdeckt, dann ist man kein Spieler, das
ist völlig ok, das ist nicht unnormal.
Aber dennoch sollte man versuchen, irgendwie dort reinzukommen, um sich auf die gleiche
Wellenlänge zu begeben. Ich denke oft, dass dieser Dialog wahnsinnig wichtig ist und dass es
wirklich wichtig ist, nicht über die Leute herzuziehen, die es spielen. Aber ein wichtiger
Punkt, den ich natürlich trotzdem sehe, ist: wenn ein Mensch, besonders ein Jugendlicher, ein
Labiler oder ein Kind, keine anderen Vorbilder hat, sich 10 Stunden am Tag die Vorbilder aus
einer virtuellen Welt holt oder holen muss, weil die Eltern sagen, auf der Straße ist er nicht
sicher, in seinem Kinderzimmer ist er am sichersten, woher soll er sonst lernen? Ich denke,
das ist der Hauptpunkt. Es ist ein Hobby. Aber wie bei jedem Hobby kann es böse enden,
wenn man zuviel Zeit damit verbringt. Entweder lernt man abzuwägen, man lernt, selbst zu
spielen, aber man lernt eben auch, dass Blut immer nur eine Rückmeldung ist. Ich brauche
wirklich nur diese Rückmeldung. Bei Counter-Strike ist es mir egal, ob es Blut ist, ob der Aua
sagt, oder ob er sich nur hinsetzt und den Kopf schüttelt, wie es in der deutschen Version der
Fall ist. Ich brauche nur die Rückmeldung: Der Charakter ist aus dem Spiel. Das ist das
einzige, wozu das Blut dient. Der Realismus dient einzig und allein dazu, dass es eine in sich
geschlossene, lebendige, logische Welt gibt. Deshalb ist es auch ok, dass die Aliens grün
bluten. Deshalb müssen Menschen rot bluten. Wenn es schon auf diesem Realitätslevel ist,
dann würde alles, was diese Phantasiewelt durchbricht, den Spieler aus der Atmosphäre
herausreißen. Das geht aber in allen Genres so. Jedes Genre muss in sich eine geschlossene
Haltung bieten. Kein Fußballstadion würde wirken, wenn da nur Pappfiguren drin sitzen, die
Olé sagen würden, sondern da muss richtig Kraft und Atmosphäre rüberkommen. Blut ist eine
der stärksten Waffen dafür, das stimmt schon. Blut ist die direkteste Aussage dafür, dass ich
dem Gegner was angetan habe, dass er keine Gefahr mehr darstellt.
Aber wie gesagt, ich bin wirklich dafür, dass man versucht, sich mit diesem Medium direkt
auseinanderzusetzen, sich mit den Spielern direkt auseinanderzusetzen, anstatt über sie zu
richten.
Wolf:
Danke, Herr Brunner. Ob Sie es schaffen werden, Herrn Döring davon zu überzeugen, dass er
5 Minuten dieses Spiel spielen soll, weiß ich nicht, aber er soll – wenn Frau Witting mir das
nachsieht –die Chance haben, darauf nochmal zu antworten.
Döring:
Ich möchte noch mal ganz klar und deutlich sagen, dass es beinahe eine Diffamierung der
Lernforschung ist, wenn man jetzt hier den Eindruck erweckt, als ob die Perspektiven, die die
Lernforschung zu dieser Frage aufmacht, Erhebung über andere sei. Ich säße quasi auf einem
moralischen Podest und guckte auf sie herab und so etwas. Machen sie es sich bitte nicht so
einfach. So einfach ist es nämlich nicht.
Ich will nochmal erklären, worum es geht. Sie haben es vorhin mal ein Stück weit
angesprochen. Es geht um bestimmte Jugendliche, deren Zahl viel größer ist als wir
annehmen. Wir sitzen auf einem Vulkan, wenn wir so tun, als gäbe es bestimmte
Medienwirkungen nicht, die in unserer Gesellschaft erzeugt werden. Es ist leichtsinnig,
Ursachen und Wirkungen ständig hin und her zu schieben und zu vertauschen. Dass
Fußballspiele teilweise so eine martialische Form angenommen haben, liegt vielleicht gerade
daran, dass unsere Gesellschaft bereits in einem Maße brutalisiert ist, wie man es schwer
ertragen kann. So dass sie, wenn sie das eine für das andere ausgeben, Ursache und Wirkung
verwechseln.
Ich will nochmal den eigentlichen Punkt sagen, um den es geht. Die Lernforschung sagt doch
nicht, dass es nicht gewalttätige Abgründe im Menschen gibt und dass Gewalt an sich ein
Thema ist. Das wird doch überhaupt nicht gesagt. Es geht um folgenden Vorgang: Menschen
werden in Erziehungsprozessen, in langwierigen Erziehungsprozessen, sozialisiert. Die Frage
ist: Sind Medien, und insbesondere solche Medien, für bestimmte Menschen eine wichtige
Sozialisationsinstanz? Und was wir heute nachweisen können, ist, dass sie das sind. Weil,
unter anderem auch, andere Sozialisationsinstanzen, ihre Aufgaben nicht erfüllen. Das haben
Sie ja eben auch ein Stück weit angedeutet. Und daraus folgt die Frage: Wird denn nun mit,
ich sage mal, solchen Ersatz-Sozialisationsinstanzen, von bestimmten Menschen gelernt. Und
was ich gesagt habe ist: Ja! Ja! Ja!
Es wird massiv gelernt! Die andere Frage, die jetzt aufkommt, ist: wenn das aber so ist - und
wir können es von der Lernseite her nachweisen -, wenn das aber so ist, ergibt sich die Frage,
was wir gesellschaftlich mit dieser Information machen. Und da hat es keinen Sinn, das Ding
zu subjektivieren und zum Beispiel zu sagen: „Ich bin eigentlich Pazifist und ich bin ein
harmloser Mensch und ich spiele da auch mit.“ Das ist nicht das Thema! Es ist auch nicht das
Thema, dass jemand moralisch oder weniger moralisch ist, sondern die Frage ist: Was machen
wir gesellschaftlich damit? Und wenn wir diesbezüglich für – ich habe ja mal Zahlen
aufgemacht – für eine halbe bis 1 Million Menschen Gefahren produzieren, die
gesellschaftlich unverantwortlich sind, dann muss das verboten werden. Wir müssen Gesetze
erlassen und dürfen das nicht zulassen. Das ist der weitestgehende Punkt.
Kritischer Zuruf aus dem Publikum.
Döring:
Das ist kein Witz! Wir verbieten gesetzlich in einem Rechtsstaat auch andere Dinge!
Zuruf aus dem Publikum:
Das ist doch lächerlich, was Sie da vorschlagen.
Döring:
Wir können auch andere Dinge gesetzlich nicht so kontrollieren, wie ich das jetzt gesagt habe
und verbieten sie trotzdem, weil es virtuell deutlich wird, was wir zulassen wollen und was
nicht. Sie können das auf Krankheitsphänomene übertragen. Auch da lassen wir nicht alles zu,
auch wenn wir nicht alles 100% kontrollieren können. Die Verharmlosung, das ist das
Problem, die gesellschaftliche Verharmlosung!
Wolf:
Frau Witting hat sich genau zu diesem Thema gemeldet – sie ist an der Reihe.
Witting:
Ich stimme Ihnen an dem Punkt zu, an dem Sie sagen, Sie sehen eine Gruppe von
Jugendlichen, die durch Gewaltdarstellungen in den Medien gefährdet sind. Diese Gruppe von
Jugendlichen sehe ich auch und diese Gefahr sehe ich auch. Sie haben auch dargestellt, und da
stimme ich Ihnen zu, dass diese Gefährdung daher rührt, dass die Sozialisationsagenten in der
realen Welt versagt haben. Und deshalb sehe ich die Hilfe, die diese Jugendlichen brauchen,
eben dort angesiedelt. Nämlich dass nicht mediale Angebote entfernt werden, die diese
Gefährdung ausnutzen und genau hineingreifen, sondern dass in der realen Welt bei den
versagenden Sozialisationsinstanzen angesetzt wird und dass diesen Jugendlichen in der
realen Welt geholfen wird und dort reale Kompetenzen vermittelt werden. Denn wenn Sie nur
die medialen Angebote entfernen, besteht die Gefährdung dieser Jugendlichen nach wie vor,
weil da einfach ein Mangel an bestimmten Fähigkeiten und sozialen Kompetenzen im
Umgang mit der realen Welt besteht.
Döring:
Das widerspricht sich doch aber gar nicht.
Witting:
Doch. Sie wollen einfach nur die Medienangebote entfernen und haben diesen Ju...
Döring:
Habe ich nicht gesagt. Mit dem, was Sie sagen, stimme ich völlig überein.
Witting:
Sie haben doch gerade gesagt: Solche Spiele müssen verboten werden. - Aber damit ist den
Jugendlichen, die Probleme mit bestimmten Medienangeboten haben, nicht geholfen! Dann
möchte ich noch etwas zu Ihren Lerneffekten sagen. Ich sehe es ganz ähnlich, dass bestimmte
Modelle an Handlungsschemata in verschiedenen Spielen angeboten werden und dass diese
Modelle dort gelernt werden. Aber es ist ja auch ein alter Hut in der Lernforschung, dass man
die Modelle vorher schön lernen kann, aber dann taucht das Problem des Transfers auf.
Nämlich auch bei positiven Modellen, die ich als Pädagoge so gern vermitteln möchte, die ich
darstelle, die gelernt werden, stellt sich die Frage, ob sie dann auch angewandt werden von
den Jugendlichen. Bei positiven Modellen wünsche ich mir das und ich arbeite als Pädagoge
verzweifelt daran, dass es zu diesem Transfer kommt, aber dieser Transfer findet eben nicht
immer statt.
Dasselbe ist zu sehen bei Modellen, die in Computerspielen angewandt werden. Es bleibt
nach wie vor die Frage: Wenn diese Modelle gelernt werden, werden sie auch angewendet,
werden sie auch transferiert? Und hier kann man bei Jugendlichen sehen, die soziale
Kompetenzen in der realen Welt besitzen, diesen Transfer vermeiden, bewusst vermeiden,
unterscheiden können und dass die Gefahr besteht, dass Jugendliche, die diese Kompetenzen
nicht haben, einen solchen Transfer durchführen.
Döring:
Das sage ich doch auch.
Witting:
Aber ich sage nach wie vor – und da unterscheiden wir uns ganz deutlich -, dass mit dem
Verbot von Gewalt im Spiel die Kompetenzen, die bei bestimmten Jugendlichen fehlen, nicht
nachgeholt werden können.
Döring:
Das sage ich auch.
Witting:
Und dass sich diese Jugendlichen, wenn sie nicht durch die virtuelle Welt dazu „verführt“
werden, diese Modelle nachzuleben, diese Modelle aus anderen Bereichen holen.
Döring:
Kurzer Zwischenruf! – Ich habe überhaupt nichts dagegen zu sagen, was Sie gesagt haben.
Ich bin ganz dafür, dass wir uns mit Sozialisationsdefiziten von Kindern und Jugendlichen,
mit relevanten Sozialisationsinstanzen auch beschäftigen. Was ich gesagt habe, ist etwas
anderes.
Wolf:
Ich habe auf dem Podium jetzt noch zwei weitere Wortmeldungen und dann sollten wir die
Diskussion öffnen, auch ins Plenum hinein. Herr Höschen und Herr Hinze.
Höschen:
Ich muss Herrn Döring natürlich zustimmen, wenn er sagt, dass wir aufgrund der Tatsache,
dass sich die Wirkung nicht nachweisen lässt, nicht einfach alles erlauben können. Die Frage
dürfte aber sein, wie dramatisch das ist. Wenn Sie sagen, wir lernen durch Computerspiele,
dann sehe ich zumindest in den Beispielen, die Sie aufmachen, keinen direkten Bezug zu
Computerspielen. Ein gutes Beispiel ist nämlich ist nämlich das allseits genannte Erfurt. Da
wissen wir sehr wohl, dass der Jugendliche auf ganz anderer Ebene Probleme hatte. Man weiß
zwar, dass er Computer gespielt hat, aber ich glaube das machen 90% seiner Altersgenossen
ebenfalls. Sie haben auch in ihrem Artikel von der Habitualisierung von Gewalt in
Jugendbanden gesprochen. Nun weiß man aber, dass gerade diese Gruppe so gut wie keine
Computerspiele spielt und auch mäßige Medienkonsumenten sind, zumindest was Fernsehen
angeht.
Hinze:
Ich denke, den Aspekt Jugendkultur und Bedürfnisse von Jugendlichen sollten wir nachher
noch einmal aufgreifen. Ich will noch einmal Bezug nehmen auf die Frage von
Sozialisationsprozessen für Kinder und Jugendliche und die Zuständigkeit für Sozialisation.
Vorhin wurde gesagt, dass die realen Sozialisationsinstanzen offensichtlich versagen. Das ist
konkret auch die Familie, die Eltern. Jetzt haben wir den Buhmann, weil Eltern offensichtlich
in ihrer Verantwortung versagen. Nur deshalb wird die besagte Risikogruppe von Kindern
und Jugendlichen für Gefährdungspotenziale von medialen Angeboten anfällig. Was
inzwischen aber auch eine unbestreitbare Tatsache ist, ist, dass es inzwischen – im Gegensatz
zu früheren Zeiten – auch die Sozialisationsinstanz Medien gibt.
Medien spielen inzwischen im Leben von Kindern und Jugendlichen ab dem frühesten Alter
eine zentrale Rolle. Sie wachsen mit Medien auf. Sie lernen, dass diese Medien da sind. Sie
nehmen die Inhalte und Darstellungsformen wahr. Und genau deshalb wird immer geschrien:
Wir müssen unseren Kindern und Jugendlichen Medienkompetenz vermitteln! Was auch
immer das sei, ich denke nämlich, das ist auch ein sehr wissenschaftlich-theoretisches
Konstrukt, diese Medienkompetenz. Aber die soll dann den Schutzschild bieten gegen die
Gefährdungspotenziale medialer Angebote. Und das ist aus meiner Sicht eine Umkehrung von
Verantwortlichkeiten in unserer Gesellschaft. Nicht mehr der Produzent des Angebotes ist
zuständig für sein Produkt – sprich Produkthaftung -, sondern die Eltern und Familien, die ja
teilweise wirklich eventuell Probleme haben, ihre Rolle auszufüllen. Eltern und Familien und
in zweiter Linie auch Pädagogen sind dafür zuständig, das die Kids nicht für problematische
Angebote anfällig sind. In diesem Spannungsfeld sehe ich die Debatte auch!
Wer übernimmt die Verantwortung dafür, dass problematische mediale Angebote nicht
wirken oder nicht auf die gefährdeten Jugendlichen treffen? Diese Frage ist für mich bisher
noch nicht beantwortet worden. Wir werden sicherlich mit den neuen Jugendschutzgesetzen
neue Regularien haben, ich denke, dass dann auch sicherlich die Spruchpraxis der USK einen
anderen Stellenwert erhalten wird, wenn sie denn dort als Selbstkontrollinstanz anerkannt ist.
Auf der anderen Seite habe ich aber auch die Vermutung, dass sich für die USK ganz andere
Konflikte auftun werden, weil dann andere ökonomische Interessen da sind. Aber für mich
stellt sich die Frage nach der Verantwortung und auch nach den Regelwerken, die unsere
Gesellschaft für die Übernahme dieser Verantwortung entwickeln muss.
Wolf:
In dieser Frage liegen Sie auch mit Herrn Döring nicht weit auseinander, Herr Hinze. Bei der
Sie aber das Problem haben, zu definieren, was problematische Angebote sind. Wir haben
gerade darüber gesprochen, dass Angebote, die wir bei gefährdeten Gruppen als
problematisch ansehen würden – diese Spiele zum Beispiel -, dass dort in anderen
Zusammenhängen ganz andere Interessen und Befindlichkeiten gesucht und gefunden
werden.
Hinze:
Es stellt sich aber auch die Frage, ob jedem menschlichen Bedürfnis ein Angebot produziert
werden muss. Muss jedes Bedürfnis auch befriedigt werden?
Gerstenberger:
Wir können die Diskussion abstrakt führen, dann lassen sich Theorien gegeneinander setzen.
Das haben wir den ganzen Vormittag gemacht. Man kann die Diskussion konkret führen,
dann ist man geneigt, Biographiefälle hervorzuheben. Erfurt ist ein Mythos geworden. Zu
Erfurt möchte ich nur noch einen Satz sagen. Ein Kollege der Bundesprüfstelle in Gießen,
danach gefragt, ob sie denn dem Fall auch mal nachgegangen sind im Umfeld ihrer zu
treffenden Entscheidung, sagte, dass sie sehr genau der Biographie des Robert Steinhäuser
nachgegangen sind. Dass der junge Mann in einer sehr problematischen Situation war, in
einer Leistungsstresssituation sage ich, in einer Situation, dass er weder im schulischen noch
im privaten Umfeld darüber reden konnte. Das ist die eine Seite. Wichtig insgesamt: Er war
unter schwerem psychischem Druck.
Die andere Geschichte ist eine Medieninszenierung: Dass er Counter-Strike Spieler war und
deshalb dann ein Muster wählte. Ich sage Ihnen auch, warum das eine Medieninszenierung
war. Die Kollegen der Bundesprüfstelle sind dem auch nachgegangen. Der junge Mann hatte
einen Pentium II, er konnte nicht einmal die „stand alone“4 richtig ordentlich spielen mit
anderen Worten: Er hatte überhaupt keinen Internetanschluss, das heißt, er war kein
exzessiver Spieler von Counter-Strike. Unter 150 Clan- und LAN-Party-Veranstaltern im
Umfeld von Erfurt war er überhaupt nicht bekannt. Gerade Counter-Strike zeichnet sich
dadurch aus, dass man in Clans beieinander ist und dass man in Teams unterwegs ist und da
ist man bekannt, das geht gar nicht anders. Das heißt: Hier ist seit Sonntag bei der FAZ, da
begann das, eine Idee publik gemacht worden, die sich im Nachhinein als großer Medienflop
darstellt. Schon die FAZ wusste gar nicht genau, um welches Spiel es sich handelt. Die Story
ist Ihnen ja möglicherweise auch bekannt. Dass 2100 e-mails an die FAZ gingen, weil diese
Spielerezension, die da am Sonntag stand, die Spielenden überhaupt nicht in die Lage
versetzte, ihr eigenes Spiel wiederzuerkennen. Wenn der Journalist, der da beschäftigt war, im
Sportbereich tätig wäre, und hätte über Sport berichtet, ich glaube, er wäre nicht mehr bei der
FAZ angestellt. Bei einem neuen Medium kann man das machen und das ist auch
verständlich.
Dieses Medium ist im Grunde in unserer aller öffentlichen Wahrnehmung erst acht Jahre alt,
erst acht Jahre präsent, weil erst mit der CD-Rom überhaupt die Aufmerksamkeit für dieses
Medium entstand. Die Netzkultur, die LAN-Partykultur ist fünf Jahre alt. Das ist relativ
frisch. Wir haben 500 Jahre Buchkultur, 100 Jahre Filmkultur, 50 Jahre Fernsehkultur. 30
Jahre beschäftigen wir uns mit Computerspielen und acht Jahre öffentliche Aufmerksamkeit
für dieses Phänomen. Das ist weithin auch eine junge Kultur, auch ein Teil der Jugendkultur.
Ich sehe auch keinen anderen Weg als sich intensiv damit zu beschäftigen.
4
Mit „stand alone“ ist die Einzelplatzversion eines Spieles, also ohne Vernetzung mit weiteren Computern,
gemeint.
Gottberg:
Ich kann dem im wesentlichen nur zustimmen. Nichtsdestoweniger brauchen wir eine
normative Diskussion. Denn das Problem ist, immer wenn wir uns subjektiv, persönlich – das
kann man ja immer nur subjektiv machen -, mit einem Fall beschäftigen, mit einem Film
beschäftigen, dann kommt bei den Fragen, wollen wir diesen Film nun verbieten oder
möglicherweise altersbeschränken oder vertriebsbeschränken immer etwas ganz anderes
heraus, als wenn wir uns abstrakt damit beschäftigen. Wenn wir uns abstrakt damit
beschäftigen sind wir uns alle schnell einig, wenn wir sagen, wir wollen Medien verbieten, die
Kinder und Jugendliche zu einem Gewaltverhalten erziehen. Ich glaube, da finden sie kaum
jemanden, der sagen würde: Nein, ich arbeite bewusst daran, dass solche Medien
herauskommen.
In der Zielsetzung sind wir uns also relativ schnell einig. Was wir aber versuchen müssen, und
da müssen wir eben verschiedene Punkte mit einbeziehen, ist, letztlich die Frage zu
beantworten: Wann können wir, bei welchen Spielen und bei welchen Filmen oder bei
welchen Fernsehfilmen, sagen, da ist ein Gefährdungspotenzial, so dass wir verbieten können.
Ich warne davor, diese Diskussion zu führen, ohne zu fragen, was ist die Motivation, das zu
schauen. Sie haben vollkommen recht – Wirkung und Motivation haben überhaupt nichts
miteinander zu tun. Alkohol kann eine sehr entspannende Wirkung haben, die Motivation ihn
zu trinken ist eben zu sagen, ich möchte eine bestimmte Form von Entspannung haben, das
kann aber zur Sucht führen.
Das heißt also: Die Tatsache, dass etwas kurzfristig einen Effekt bringt, der mir positiv
erscheint, heißt noch lange nicht, dass es nicht irgendwo ein Risiko bringt, auch da wieder für
bestimmte Risikogruppen. Wir müssen uns zum Beispiel letztlich darüber unterhalten, und da
sind wir auch sehr schnell in moralischen Kategorien – ich habe nichts gegen Moral, wir
müssen sie definieren -, wenn wir meinetwegen sagen, wir haben 90% oder 95% oder 85%,
das ist jetzt egal, kompetenter Menschen, die damit umgehen können, ohne dass es sie
schädigt, weil sie es sozusagen in Relation setzen können zu Realerfahrungen, die sie
woanders machen und vielleicht 10%, wo wir sagen: da ist ein Wirkungsrisiko. Da ist die
Frage: Können wir bei der Beurteilung, ob wir es verbieten oder nicht, können wir etwas für
eine wirkliche Minderheit, also mit Blick auf die Minderheit für alle anderen, die damit
umgehen wollen und umgehen können, verbieten? Das ist letztlich eine Diskussion, die wir
führen müssen – wir müssen sozusagen die Mehrheit ins Verhältnis zur Minderheit setzen,
wenn wir eine solche Diskussion führen. Denn die meisten Jugendlichen werden natürlich
sagen: Ihr seid völlig bescheuert bei der FSF, diesen Film zu verbieten, den versteht doch ein
Blinder mit einem Krückstock. Da sagen wir, ja – ihr vielleicht, aber es gibt eben andere. Das
heißt, wir haben nicht das Problem, wenn wir sagen „Verboten, schön“, sondern wir haben
eine Riesendiskussion in der Jugendkultur. Und wir wollen natürlich als Jugendschützer auch,
dass die Jugendkultur uns irgendwo ernst nimmt, weil wir sonst überhaupt keine Interaktion
mehr haben. Es ist für uns wichtig, dass wir ernst genommen werden. Ich will damit sagen,
dass das relativ komplizierte Prozesse sind, bei denen man nicht so einfach pauschal sagen
kann: die lernen daran – es hat natürlich unter Umständen diese Funktion, es kann durchaus
sein, dass es Verbrechen gibt, die ohne Medienkonsum nicht vollzogen worden wären. Ich
glaube, das sind Extremfälle, aber sicherlich möglich. Auf der anderen Seite darf man nicht
vergessen, dass es mit Sicherheit Verbrechen gibt, die vollzogen worden wären, hätten die
Jugendlichen nicht in bestimmten Medien gesehen, wie riskant es ist, sich mit Gewalt zu
beschäftigen. Es gibt durchaus auch prosoziale Effekte, auch darüber müssen wir nachdenken.
Ein letzter Aspekt: Medieninszenierung. Nehmen wir mal das Thema Terrorismus. Ich
glaube, Terrorismus würde ohne Medieninszenierung nicht funktionieren. Wenn Terroristen
nicht wüssten, dass das World Trade Center überall in der Welt heiß diskutiert wird, dass die
Fernsehkameras drauf gehalten werden und so weiter – die Erfurt-Geschichte ist unter anderer
Perspektive etwas sehr ähnliches. Ich denke, das ist auch ein Aspekt, über den man mal
nachdenken müsste. Ich meine überhaupt nicht Verbote. Aber ich glaube, bestimmte Dinge –
auch zum Beispiel der Junge in der Schule, der vorhin erwähnt wurde, der angekündigt hat, er
will jetzt dies und das machen -, sind eben Inszenierungen. Das Problem ist, dass ein
einzelner Mensch, wenn man so will, wenn er es geschickt anstellt, die gesamte Gesellschaft –
wie man es in Washington gerade sieht – in Atem halten kann, in Angst versetzen kann und
das ganze über die Medien transportiert wird und dadurch wird er ein Star. Auch das sind
Dinge, die wir diskutieren müssen.
Ich denke, das ist ein weites Feld und man muss ein bisschen aufpassen, sich zu sehr an einer
Diskussionskurve festzumachen. Auch was die Schuldfrage angeht. Es ist letztlich für uns
Pädagogen völlig gleichgültig, wer schuld ist. Tatsache ist eben, dass es ein bestimmtes
Umfeld gibt, mit dem wir als Pädagogen konfrontiert werden und auf das wir reagieren
müssen.
Wolf:
Es ist nicht völlig gleichgültig, denn am Ende heißt es oftmals: Die Pädagogen sind schuld.
Aber das ist wieder eine andere Diskussion. Wir haben jetzt dummerweise mehr Fragen als
Antworten, aber ich denke, das bringt einfach dieses Metier mit sich.
Ich wollte dennoch – ich strapaziere sie noch fünf Minuten – die Diskussion in den Saal
öffnen, weil ich die Chance lassen möchte, dass auch Zuhörer zu Wort kommen.
Zuhörer:
Ich wollte darauf hinweisen, dass ich denke, dass durch Verbote noch nie Probleme dieser Art
gelöst wurden. Das zeigt sich im Bereich von Drogen, wie im Bereich von Alkoholprohibition
zum Beispiel. Im Gegenteil besteht dabei immer die Gefahr, dass die Kommunikation zu den
Jugendlichen abreisst. Es würde zum Beispiel bedeuten, dass Jugendliche, die so ein Spiel
spielen, es schwerer hätten, mit ihren Eltern darüber in Kontakt zu kommen – das Problem
sehe ich bei Drogen zum Beispiel auch. Andersherum, wenn es um Kommunikation geht –
vorhin wurde gesagt, dass es natürlich nicht gut wäre, in Jugendzentren solche Spielrunden zu
eröffnen. Darum geht es auch gar nicht. Ich denke, es geht eher darum, auf Jugendliche
zuzugehen, die sowieso schon spielen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
Döring:
Darf ich dazu direkt etwas sagen? - Schauen Sie. Immer genau aufpassen. Ich habe doch nicht
gesagt, dass man mit dem Verbot das Problem lösen kann. Das Versenden von AnthraxBakterien ist in den USA auch verboten und trotzdem wird es von irgendeinem wahnsinnigen
Täter getan. Wir haben sehr viele Verbote und trotzdem werden die Verbote überschritten.
Niemand behauptet doch, dass gesetzliche Bestimmungen, die irgendetwas verbieten, ein
Problem lösen. Nichts dergleichen habe ich gesagt oder gedacht. Wohl aber ist es eine
Message in die Gesellschaft hinein, etwas zu verbieten. Das Versenden von Anthrax ist ein
Verbrechen. Die Stigmatisierung dieser Tat als Verbrechen ist eine soziale Botschaft! Wir
müssen die Überlegung anstellen, dass, wenn sich die Gesellschaft durch solche
Medienangebote – die übrigens kommerziellen Hintergrund haben – brutalisiert, dann ist die
Frage, die wir gesellschaftlich aus Verantwortung für die nächsten Generationen prüfen
müssen, ob wir nicht gesellschaftliche Botschaften auch über die Gesetzesschiene
aussprechen müssen. Die sagen: Gewaltverherrlichung ist asozial, ist schwerwiegend, ist für
eine bestimmte Gruppe von Menschen gefährlich und führt zu gesellschaftlich schädlichen
Verhältnissen. Das ist gemeint. Das ist doch etwas anderes, als wenn Sie mir unterstellen, ich
wolle das Problem gesetzlich lösen.
Zuhörer:
Das wollte ich Ihnen nicht unterstellen. Aber ich denke, dass Ihr Vergleich mit Anthrax nicht
gut ist, weil Counter-Strike spielen kein Verbrechen ist und weil es viele andere
gesellschaftlich akzeptierte Dinge sind, die auch gefährlich sind und Probleme aufwerfen –
wie zum Beispiel Alkohol trinken, Zigaretten rauchen, schnell Auto fahren und all diese
Dinge – aber wenn wir das alles kriminalisieren würden, würden wir mehr Probleme schaffen.
Ich denke, es ist auch eine Frage der Position. Denn eine Position des Verbietens ist in
gewisser Hinsicht auch eine Form, in der Gewalt ausgeübt wird, denn Verbieten ist auch eine
Form von Gewaltausübung und ich denke, dass dieser Druck, der ausgeübt würde, auch
Gegendruck erzeugen würde. Insofern würde er eher zu einer Eskalation von Gewalt führen
als zu einer Reduzierung.
Wolf:
Sie müssen ja, Herr Döring, auch einen gewissen gesellschaftlichen Konsens voraussetzen,
um überhaupt Verbote nicht nur durchsetzen zu können, sondern auch die entsprechende
Akzeptanz zu finden. Es gibt meines Wissens keine Gesetze in unserem Rechtssystem, die
absolut von allen, oder auch nur von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt werden. Sie
brauchten dann schon die allgemeine Akzeptanz, um so etwas dann auch gesetzlich
umzusetzen. Unabhängig jetzt von der Frage der Verfolgung des Verstoßes.
Döring:
Verfassungswidrige Vereinigungen sind von der Verfassung her ausgeschlossen und wir
können gesetzlich gegen sie vorgehen. Es ist ja die Frage, ob wir hier auf einem Terrain sind,
das so grundsätzlicher Natur ist, dass wir sogar verfassungsrechtlich Bedenken haben müssen,
dass Menschen Geld damit verdienen, Gewalt zu verherrlichen. Das ist doch eine seriöse
Frage.
Gottberg:
Gewaltverherrlichung ist verboten. § 131 Strafgesetzbuch. Es geht letztlich um die Frage:
Was ist Gewaltverherrlichung? Deshalb sagte ich: Wir müssen genau gucken: Was ist das für
ein Film, wie ist er aufgebaut und sind wir der Meinung, dass er gewaltverherrlichend ist.
Man kann das nicht so allgemein sagen – das war mein Reden.
Döring:
Da ich gehen muss, würde ich gerne noch einen persönlichen Satz sagen. Ich würde mir sehr
wünschen, dass die Medienwirkungsforschung sich in der Weise entwickelt, dass die
Lernforschungsfragen, die ich aufgeworfen habe und die ich als kritische Fragen verstanden
wissen wollte - nicht als moralische -, in die Medienwirkungsforschung integriert werden.
Das würde ich mir wünschen. Das sind ja Grenzbereiche, die es in anderen
Wissenschaftensbereichen auch gibt. Dass wir uns mehr auch mit anderen Bereichen befassen
müssen, um sozusagen uns selbst richtig zu positionieren. Das ist, was ich ein Stück weit
sagen wollte – die Medienwirkungsforschung anzuregen, auch davor zu gucken, vor das, was
sie dann als Medienwirkung betrachtet. – Danke. Ich muss mich jetzt leider hier
verabschieden, weil ich gleich wieder eine Veranstaltung habe.
Wolf:
Frau Witting muss auch gleich gehen. Ein Schlusswort?
Witting:
Ganz kurz, weil die Frage zweimal aufkam. Was ist mit dem Ego-Shooter im Jugendzentrum?
Und auch wir haben dieses Problem in Köln natürlich auch und überlegen, was man da tun
kann. In Köln hat man in Jugendeinrichtungen die Lösung gefunden, dass es den gewaltfreien
Ego-Shooter gibt. Es gibt nämlich Spiele wie „Nerf Arena“5 – da wird nicht geschossen, es
wird niemand verletzt, sondern man hantiert mit Gummigeschossen. Und man kann damit das
Angebot machen, dass man die Spieler dort versammeln kann, die sagen: Am Ego-Shooter
interessiert mich Teamarbeit, am Ego-Shooter fasziniert mich strategisches Denken. Die
findet man dort. Man wird sicherlich auch Jugendliche haben, die sagen: Das ist Pipikram, da
mache ich nicht mit. Aber dann hat man die Gelegenheit zu sagen: Dann komm‘ doch rein
und sag warum Du da nicht mitmachst und dann erklär mir, warum für Dich neben diesem
Spielprinzip das Blut auch so wichtig ist. - Dann hat man Jugendliche beisammen, die sich
ernst genommen fühlen und mit denen man diskutieren kann.
Teilnehmer:
Sie haben in Ihrer Untersuchung einen Aspekt, den sogenannten moralischen Aspekt, nach
dem Sie Ihre Jugendlichen befragen oder diejenigen, die die Spiele ausprobiert haben. Mich
würde interessieren: Wenn Moral oder Moralität in dieser Diskussion nur eine untergeordnete
Rolle spielt oder nur als Randerscheinung auftaucht: weshalb stellen Sie dann so eine Frage?
Witting:
Ich hatte gehofft, das wäre in der Ausführung deutlich geworden. Moral spielt für bestimmte
Spielertypen keine Rolle und für andere Spielertypen spielt sie eine Rolle. Deshalb habe ich
das Beispiel von „Diablo“ gebracht, wo gesagt wurde: In dieser Fantasy-Welt Fantasy-Gegner
zu metzeln, macht mir garnichts. Aber in dem Augenblick, wo die Abbildungen realen
Menschen ähnlich sehen, kommt Moral rein. – Da gibt es einfach unterschiedliche
Empfindlichkeiten auch bei Spielern. Und Sie werden auch Computerspieler finden, die
sagen: Echtzeit-Strategie, das ist mein Genre, ich würde niemals einen Ego-Shooter anfassen,
ich als Spieler lehne dieses Genre ab. Man kann nicht alle Computerspieler über einen Kamm
scheren. Es gibt durchaus moralische Empfindlichkeiten auch auf seiten von
Computerspielern. Und die sind ganz unterschiedlich ausgeprägt.
Zuhörer:
Bei der Bewertung müsste das dann ja auch irgendeine Rolle spielen, oder verstehe ich Sie da
falsch? Sagen wir mal so: Wenn verschiedene Computerspiele moralische Diskussionen
auslösen können, dann muss das doch für die Bewertung eine Rolle spielen. Und deswegen
verstehe ich auch Herrn Höschen nicht – und da würde ich übrigens gern noch eine Frage
stellen: Worin besteht bei ihm, bei diesem Spiel, der Spielcharakter? Da bin ich ganz naiv. Ich
verstehe dieses Spiel nicht.
Witting:
Das ist immer auch eine Frage der Abgrenzung, die die Spieler selber vornehmen. Inwieweit
können diese Spieler wirklich die virtuelle von der realen Welt trennen. Es gab durchaus
Counter-Strike Spieler, die im Planspiel dieses Spiel hoch schätzen, die nach dem 11.
September für einige Monate gesagt haben: Ich kann es nicht mehr anfassen. Auf einmal ist
für mich reale Welt in meine virtuelle Welt eingebrochen und ich sehe diese virtuelle Welt auf
einmal ganz anders. – Wobei es andere Counter-Strike Spieler gegeben hat, die gesagt haben:
Das ist für mich nach wie vor virtuelle Welt. Niemand von uns geht hin und tut so etwas. – Da
gibt es einfach unterschiedliche Empfindlichkeiten.
5
Das Spiel „Nerf Arena Blast“ wurde von der USK mit geeignet ab 12 Jahren eingestuft
Höschen:
Ganz kurz. Ich kriege das immer mit bei der Diskussion in der USK. Wenn wir uns jetz
wirklich dann darüber unterhalten: Für welche Altersgruppe kann man ein Spiel freigeben, für
welche Altersgruppe kann man ein Spiel nicht freigeben? Es ist unheimlich schwierig
klarzumachen, warum in solchen themenbasierten Ego-Shootern die Gewalt im Grunde
genommen vollkommen in den Hintergrund tritt. Ich persönlich zum Beispiel – deshalb habe
ich auch dieses „Battlefield 1942“ zeigen müssen – finde es viel schlimmer, wenn man
Kriegsszenarien zum Beispiel aufbaut und wenn da spezielle Ziele verfolgt werden. Oder wir
haben uns vom Deutschen Kinderhilfswerk gegen „Americas Army“ gewandt. Das ist
nämlich ein Ego-Shooter, der von der amerikanischen Armee veröffentlicht worden ist – und
übrigens kostenlos im Internet downzuloaden -, mit dem Ziel, Werbung für die USStreitkräfte zu machen. Anders in Counter-Strike muss man da vorher eine Übung machen,
man kann besondere Fähigkeiten entwickeln, man darf natürlich nur die amerikanischen
Soldaten machen. Das ist ein Spagat, den sie gemacht haben, der ganz witzig ist. Es gibt da
zwar auch Gegner, aber jeder sieht sich selber immer in der Rolle als guter Amerikaner. Und
so etwas finde ich zum Beispiel moralisch viel – na gut, viel bedenklicher als ein Spiel, wo
eigentlich Moral ausgespart bleibt. Weil – das ist eigentlich nur -, es ist ein Spiel, es ist
Taktik.
Zuhörer:
Vielleicht bin ich ja auch wirklich nur so naiv. Wissen Sie, sie sagen auf der einen Seite, dass
Sie in ihrem realistischen Leben Pazifist sind. Auf der anderen Seite, und da kann ich Ihnen
nicht folgen, setzen Sie sich, wenn Sie von der Arbeit kommen – aus welchen
Verdrängungsmechanismen auch immer – vor den Computer und beginnen ein Spiel zu
spielen, in dem, in einer virtuellen Welt, von mir aus Kegelköpfe oder was auch immer, die
aber mehr oder weniger wie Menschen aussehen, ganz einfach abgeknallt werden.
Höschen:
Ja, die Welt ist virtuell, das haben Sie ja selber gesagt. Ich würde zum Beispiel „Gotcha“ oder
dieses „Paintball“ – ist glaube ich in den USA sehr beliebt – sowas würde ich nie spielen. Das
hat für mich einen anderen Charakter. Es ist schwer, das begreiflich zu machen.
Wolf:
Wir kommen ja jetzt schon in die Dimension schlimm und schlimmer. Sie haben das auch so
formuliert: Viel schlimmer ist für mich.. – dann kommen die Beispiele.
Höschen:
Nein. Für mich sind solche Shooter überhaupt nicht schlimm.
Wolf:
Aber genau das ist jetzt die Stufung. Sie begründen das auch: da sind Kriegsszenarien, da sind
realistische Gegner. Und die Schwelle kann man einfach auch ein bisschen tiefer hängen. Das
ist eben die Frage der Definition dieser Schwelle oder der Verabredung über eine solche
Schwelle, wenn man es denn gesamtgesellschaftlich als Konsens definieren wollte.
Zuhörer:
Ich wollte eine Anregung geben. Und zwar, dass wir uns über die Wurzeln der Gewalt – das
ist mir bei der Diskussion zu kurz gekommen -, unterhalten müssten. Was ist überhaupt
Gewalt, was sehen wir als Gewalt an, wie kommt überhaupt Gewalt ins menschliche Leben
hinein. Es wird nämlich immer so getan, als seien Menschen grundsätzlich friedfertig – was
sie nicht waren und was sie nie sein werden. Geschichte kann man genauso gut als
Gewaltgeschichte oder als Militärgeschichte sehen oder konstruieren. Wieso brauchen
Menschen überhaupt Gewalt? Was ist das, was allen Menschen - und ich behaupte, das ist ein
Grundthema des Menschlichseins überhaupt -, soviel Lust an Gewalt bereitet? Und müssen
wir nicht an dieser Stelle mit Kindern und Jugendlichen anfangen zu reden und zu
diskutieren?
Sehen sie, ich bin Psychologe in einer Kinder- und Jugendeinrichtung. Und was ich täglich
mitbekomme ist, dass es den Kindern und Jugendlichen an Gesprächspartnern fehlt. Es fehlt
ihnen an Partnern, um sich über die Dinge, die sie beschäftigen, zu unterhalten. Und ich denke
an dieser Stelle – leider ist Herr Döring nicht mehr da – bringt Verbieten einfach wenig.
Verbieten, das hat ja Freud schon erkannt, schafft in erster Linie einen Zusatzanreiz, die
Dinge gerade zu tun. Kinder aus, ich sage mal sozial verwahrlosten, Familien, haben an
bestimmten Bildern Leerstellen. Da fehlt es zum Beispiel innerlich an Objekten oder
Menschen, mit denen sie sich identifizieren konnten in einer positiven Weise. Sie haben statt
dessen ganz massive Gewalterfahrungen und zwar reale Gewalterfahrungen gemacht. Und das
sind auch Kinder, die sich unter anderen von solchen Gewaltspielen angezogen fühlen. Aber
da ist die Frage nicht, sollen wir das verbieten oder mit 16 oder 18 erlauben, sondern da ist die
Frage: Setzen wir uns nicht mal an der Stelle damit auseinander, wie wir die Eltern und die
Kinder zusammenbringen und dazu kriegen, sich miteinander zu unterhalten? Und wie
können wir, die wir in der Kinder- und Jugendhilfe tätig sind, statt verbieten – damit kriegen
wir die Kinder weg von uns -, damit so umgehen, dass wir diese Themen thematisieren? Und
vielleicht auch mit uns selbst ehrlicher umgehen und uns einmal fragen: Wie kommen wir
dazu, dass wir vielleicht auch Gewalt in irgendeiner Form faszinierend finden? Über diese
Selbstreflexion kommt man dann vielleicht auch näher an das Thema heran, weshalb Gewalt
ein so konstitutioneller Faktor in unserer Gesellschaft ist.
Zuhörerin:
Da ist eben schon viel von dem gekommen, was ich sagen wollte. Was mir insgesamt an dem
ganzen auch fehlt: Die Kinder setzen sich nicht heute mit 15 oder 16 an den Computer und
fangen an, von vorneherein Counter-Strike zu spielen. Die haben vorher schon andere Spiele
gespielt. Und, dank m.a.u.s.6 auch, führen wir Kinder – auch im Haushalt – immer mehr und
immer früher an dieses Medium heran. Dieses Problem, was wir heute mit Jugendlichen
diskutieren - in der Sekundarstufe II habe ich immer wieder diese Diskussion „Warum dürfen
wir hier in der Schule nicht Counter-Strike spielen, obwohl wir doch so eine Gruppe
betreiben?“ -, damit muss ich mich als Lehrer auseinander setzen. Wenn ich nun Jugendliche
und Kinder immer weiter an dieses Medium heranführe, dann wird dieses Problem auch
immer weiter nach unten verlagert, bei den Kindern. Und da denke ich, es ist ganz wichtig,
damit nicht uns als Lehrern wieder hinterher diese schwarze Peter zugeschoben wird „Die
Kinder sind als erstes in der Schule mit dem Computer in Berührung gekommen!“, dass wir
im Gespräch mit den Eltern bleiben. Und da nützt mir nichts, ob so ein Spiel ab 16 oder ab 18
freigegeben ist, wenn es im Internet irgendwo downloadbar ist. Sondern ich muss im
Gespräch bleiben. Und ich muss insbesondere nicht nur mit dem Kind im Gespräch bleiben,
sondern auch mit den Eltern. Da müssen wir sensibilisieren, meiner Meinung nach. Denn
Eltern wissen häufig nicht, was ihre Kinder in der Zeit von 13:00 Uhr bis die Eltern um 17:00
Uhr nach Hause kommen wirklich am Rechner gemacht haben.
Zuhörer:
Ich bin traurig, dass Herr Döring den Raum schon verlassen hat, weil mir diejenigen, die so
laut schreien und dann gehen, die liebsten sind. Er hat von Verharmlosung in bestimmten
6
m.a.u.s. („Medien an unsere Schulen“) Medienoffensive an Schulen des Landes Brandenburg
Bereichen gesprochen und sich da sehr aufgeregt, ist aber selber ein sehr polemischer
Mensch. Und diese Argumentation finde ich nicht sehr schlüssig.
Ich bin selber Journalist und arbeite bei Radio Fritz. Dort mache ich regelmäßig eine
Sendung, ein „Blue moon“ heißt das, eine Talk-Sendung, die drei Stunden dauert. Da mache
ich in der Regel einmal im Monat einen Spiele-„Blue-moon“. Da wird über Spiele geredet.
Und es ist mit eine der wenigen Sendungen, wo der Altersdurchschnitt 14-15 Jahre beträgt,
wo die wirklich anrufen und wo die was erzählen können. Das wichtige ist nämlich, das
wurde auch hier gesagt, dass die Inhalte, über die man sich unterhalten kann, in diesem
Bereich sehr stark vorhanden sind. Wenn sie mit irgendeinem 14- oder 15-jährigen über
Literatur reden wollen, wo sie als meinetwegen 50-plusiger meinen, das wäre jetzt so das, was
man wissen sollte, da wird er nicht viel zu sagen können. Reden sie mit dem aber mal
darüber, wie man eine map für ein warcraft 3-Spiel erstellen kann, da wird er ihnen drei
Stunden lang was erzählen. Er wird ihnen sagen, er hat eine Internetseite dafür erstellt, er wird
sagen, er hat dazu skins erstellt, er hat maps gemacht und so weiter und so fort.
Das heißt, die kreativen Aspekte sind nicht zu vernachlässigen. Jetzt hat Herr Döring
angeführt, dass es eine Minderheit gibt – über die er ja immer auch nur redet, deswegen kann
er es sich auch erlauben, so schön polemisch zu sein -, diese 10%, die geschützt werden
müssen, die labilen 10%. So. Was soll das? Ich weiß nicht, wo das hinführen soll! Ich bin
Scheidungskind, ich bin Alkoholikerkind, ich bin ab meinem achten Lebensjahr mit diesen
Spielen aufgewachsen. Es ist echt alles in Ordnung! – Ich werde jetzt ein bisschen laut, wie
Herr Döring, aber das ist nur, weil er mich so aufgeregt hat, die ganze Zeit! Es ist natürlich so,
dass es labile Charakter gibt. Aber dieser Familienaspekt ist einfach wichtiger, als dass diese
Spiele verboten werden müssten. Es muss die Familie geschützt werden, die Familie muss
auch als Institution wieder hervorgehoben werden. Das passiert nach dem 11. September auch
immer stärker. Männer mit behaarter Brust sind jetzt wieder in, habe ich gehört, weil jetzt der
Vater-Typ wieder gefragt ist.
Es ist aber einfach so, dass sich jemand darum kümmern muss, mit ihnen redet. Ich habe so
oft den Fall, dass ich einen 15-jährigen am Telefon habe in dieser Sendung und es geht darum
„Ja, meine Mutter versteht das nicht“ und so weiter. Dann sage ich „Gib mir doch mal Deine
Mutter.“ Dann reden wir zusammen darüber und dann stellen die älteren in der Regel fest,
dass man mit seinen Kindern darüber reden kann. Und meistens ist es so, dass im Bereich
dieser Computerspiele eine gewisse Relativierung stattfindet, weil die Spieler selber, wenn sie
bestimmte Sachen erklären müssen, auch noch einmal feststellen, dass es nicht so ganz
koscher ist, wenn man auf Leute schießt. Und das ist auch total wichtig. Aber es gibt so viele
Aspekte. Wir tanzen auf ziemlich vielen Hochzeiten. Man kann deswegen jetzt auch nicht
alles sagen. Aber zum Beispiel Counter-Strike. Als das indiziert werden sollte, war dass das
erste Mal, dass die BPjS, die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, gesagt hat:
Wir setzen uns mit den Spielern zusammen und reden mit ihnen darüber, warum sie meinen,
dieses Spiel wäre nicht zu indizieren. Die waren eigentlich schon ziemlich weit nach der
Erfurt-Geschichte. Da hab ich gedacht – Scheiße, diese Erfurt-Kiste prescht dazwischen und
damit ist die Sache gelaufen. Da hatten sie eigentlich schon beschlossen, wir machen es so,
haben die noch reden lassen, wollten ihnen fünf Minuten geben, haben ihnen eine halbe
Stunde gegeben. Ich habe mit den Jungs selber gesprochen, die da vorgesprochen haben. Und
sie haben es daraufhin gelassen, es zu indizieren. Weil diese Community so wichtig ist.
Deshalb bin ich traurig, dass Frau Witting die Online-Spiele nicht so angesprochen hat, weil
da 10.000de von Leuten – Herr Höschen hat es ja schon gesagt – online miteinander treffen
und da was machen und da Kommunikation besteht.
Höschen:
Ja, nicht nur online. Es gibt ja diese LAN-Partys. Wer jemals auf einer LAN-Party war: Da
sitzen hunderte von Jungendlichen. Ich war garantiert schon auf 20, 30 LAN-Partys und ich
habe nicht eine gesehen, wo es zu Gewaltausbrüchen gekommen ist, ich habe nicht eine mit
einer Prügelei gesehen, mit Alkoholleichen oder Drogenleichen oder sonst was. CounterStriker kiffen mal ganz gerne, aber ich glaube, zum Beispiel Alkohol ist dort absolut tabu.
Zuhörer:
Vor allen Dingen deswegen, das wissen die meisten Leute nicht - die glauben, das wäre da so
eine Drogenhöhle -, wenn ich mir irgendwas reinpfeife, was meine Sinne trübt, kann ich mich
nicht konzentrieren. Das ist Gift für jeden Spieler. Ich muss ja schnell sein. Wenn ich mir
irgendwas gebe - die meisten trinken da Cola, ist schlecht für die Leber, ok – aber Alkohol
wird da nicht getrunken. Das geht einfach nicht.
Zu Herrn Hinze wollte ich noch sagen. Herr Hinze hat gesagt, er könne es sich nicht
vorstellen, das im Jugendzentrum zu haben. Ich glaube schon, dass da bestimmte Spiele
angesiedelt werden könnten. Sie haben doch lieber, wenn die Kinder im Jugendzentrum sind
und das spielen, statt dass sie auf der Straße sind und Autos auf brechen. Das sage ich Ihnen
ganz ehrlich. Genau in dem Bereich vor allen Dingen, wo sie problematisch sind. Da sind wir
wieder bei den 10%.
Wolf:
Das wird jetzt aber immer plakativer. Klar, man kann auf so einer Ebene...
Zuhörer:
Nö. Plakativ kann ich gerne sein, wenn wir uns länger darüber unterhalten. Aber ich will die
Zuhörer hier nicht strapazieren, einige gucken schon wie gehetzte Schafe. Ich höre jetzt auf.
Aber es ist so: ich finde es schade, dass da die Hälfte den Raum verlässt und solche Sachen
mitnimmt und diese plakativen Weisheiten unter anderem von Herrn Döring mitnimmt und
dann nicht die Zeit ist, das zu revidieren. Es waren wirklich fünf, sechs verschiedene
Hochzeiten, wo man verschiedene Sachen hätte zu sagen können. Ich sage, genauso wie Herr
Brunner: Gucken sie sich mit jemandem, der dieses Spiel spielt, eines dieser Spiele an und
spielen sie es mit ihm. Denn der Multiplayer-Effekt, dieses intime miteinander etwas zu
machen, das ist scharf! Besser als jede Fußballmannschaft. Und das sollte man einfach mal
gesehen haben und ein bisschen begriffen haben, um da mitreden zu können und dann
nehmen die das auch ernst.
Wolf:
Danke. Herr Döring hat zwar viel geredet, aber er hat nicht ausschließlich geredet und da ist
viel relativiert worden. Wir haben ihn auch aus diesem Grunde eingeladen. Wir wollten
natürlich auch eine interessante Diskussion. Ich denke, die Gegenpositionen sind deutlich
geworden und jeder, der gegangen ist, hat auch die Möglichkeit, es von zwei Seiten zu
betrachten, mitgenommen.
Hackenberg:
Ich war genau so erbost teilweise über die Äußerungen von Herrn Döring. Ich sage das jetzt
mal aus wissenschaftlicher Sicht heraus, weil ich es unverantwortlich finde, dass man hier mit
Lern- und Lehrmodellen von vor 35 Jahren argumentiert und die als neue Modelle bezeichnet.
Ich bin Erziehungswissenschaftler. Da hat sich einiges getan in den letzten 35 Jahren. Und
auch unser Projekt, wie wir es ja heute vormittag darstellen konnten, denke ich mal, greift das
ja ein bisschen auf, was so im Bereich der konstruktivistischen, systemtheoretischen
Forschung passiert ist und eigentlich ja auch so diese, ich nenne es jetzt mal diese
selbstgesteuerten Lernprozesse die eben sehr viel mit Persönlichkeits- und
Selbstkonzeptsstrukturen zu tun haben, einfach aufgreifen. Ich finde es, das muss ich ganz
ehrlich sagen, aus wissenschaftlicher Sicht heraus, unverantwortlich so zu argumentieren,
weil wir da nämlich Tür und Tor öffnen für letztendlich Zensur. Da würde ich mich ganz
vehement wehren. Wir können letztendlich sicherlich verbieten. Wir können auch aus
moralischer oder ästhetischer Sicht zensieren aber aus wissenschaftlicher Sicht können und
dürfen wir es nicht, aufgrund unserer Geschichte in Deutschland.
Hinze:
Ich will mal weg von Counter-Strike. Weil sich für mich die Medienentwicklung insgesamt
auch als ein Prozess der Veränderung von Werten darstellt. Das ist ja auch ok. Für mich stellt
sich als Konsequenz von heute die Frage: Wie kriegen wir diesen gesellschaftlichen Konsens
über Schwellen hin?
Ich bin begeisterter Tatort-Seher und ich habe gesehen, wie sich die Tatorte nach und nach so
entwickelt haben, dass sie mir keinen Spaß mehr machen. Ich denke, es finden
Veränderungen statt. Auch der Erhöhung von Reizschwellen und so weiter. Für mich ist die
Frage: Wie kriegen wir in unserer Gesellschaft den gesellschaftlichen Konsens hin? Den
müssen wir aus meiner Sicht nicht über Verbote hinkriegen, sondern im Gespräch mit
Anbietern aber auch mit gesellschaftlichen Gruppen. Was ich mir wünschen würde, wäre im
Prinzip so was wie ein Kuratorium oder irgendwie ein regelmäßiges Treffen von Anbietern,
von privaten und auch öffentlichen Fernsehanstalten, aber auch der Software-Industrie, wo
diese Fragen wie „Welche Schwellen halten wir ein?“ diskutiert werden und da auch so eine
Art gesellschaftlicher Konsens entwickelt werden kann. Das würde ich mir wünschen. Das
Internet haben wir dann trotzdem noch am Hals, aber ich denke, das ist dann ein zweiter
Schritt.
Von Gottberg:
Natürlich haben wir so etwas in der Art in unserer Vereinigung, in der FSF. Herr Wiedemann
zum Beispiel sitzt in dem Kuratorium und diverse Herr Dörings, so in der Art, aber auch
viele, die aus dem Produktions- und Senderbereich kommen. Das heißt also eine pluralistische
Gruppe aus verschiedenen Bereichen, verschiedenen Facetten. So etwas gibt es. Aber das
Problem ist natürlich, wenn sie sehen, dass etwa 90% der Produktionen, die in Deutschland
auch im Fernsehen laufen, aus Amerika kommen, dann merken sie, wie schwierig so etwas
ist.
Es wird schon sehr viel getan. Aber ich warne ein bisschen davor zu glauben, wir könnten
alles steuern. Das kann man dummerweise nicht steuern. Im Endeffekt befinden wir uns ja in
einem evolutionären Prozess. Wir versuchen gerade – insofern fand ich das sehr vernünftig,
dass vorhin gesagt wurde, dass die Gewalt ja nicht durch die Medien in die Welt kommt – wir
versuchen ja gerade durch die Medien die Gewalt loszuwerden. Die Gewalt ist immer
dagewesen. Wenn sie in die griechische Literatur schauen, wenn sie sonstwohin schauen, die
ersten künstlerischen Äußerungen des Menschen waren Äußerungen über Sexualität und
Gewalt. Da hat sich also nicht soviel geändert.
Es geht letztlich darum, sie loszuwerden, die Gewalt. Und da müssen wir natürlich eins sehen.
Wir müssen sie in der Phantasie bearbeiten, sie ist irgendwo in uns drin, wir müssen sie
bearbeiten. Ob das immer die richtige Art und Weise ist, darüber kann man streiten. Jedenfalls
ist diese Art des Spielens für uns, denke ich mal, wichtig. Ich glaube, wenn sozusagen die
Reizschwellen in der Phantasie soweit ausgereizt sind, dass Sie glauben, Herr Hinze, da
kommt jetzt noch irgendwas obendrauf – ich glaube, dass es eher irgendwann anfängt,
langweilig zu werden. Selbst unser Kollege Schwarzenegger – der größte Wirkungsforscher
aller Zeiten -, hat sich neulich zu dem Thema geäußert. Er sagte, dass die Action-Filme nicht
mehr so recht laufen. Wir brauchen mehr Story, wir brauchen mehr Inhalte. – Das heißt,
bestimmte Dinge entwickeln sich einfach. Ob wir Pädagogen jetzt großen Einfluss nehmen
oder nicht – obwohl wir es gerne möchten. Aber sie entwickeln sich eben irgendwie und sie
entwickeln sich häufig gar nicht so schlecht. Etwas optimistisches zum Schluss! – Wichtig ist
natürlich immer thematisieren. Nicht nur die Technik oder „Dein Kind spielt
Computerspiele“, sondern auch die Frage danach, was dahintersteckt, wie man eigentlich mit
Gewalt oder Konflikten umgeht. Das sind Thematisierungsfunktionen von Medien, die auch
nicht so unwichtig sind.
Wolf:
Danke. Das war ein gutes Schlusswort. Wir sind lange über die Zeit. Ich fand es trotzdem
wichtig, bestimmte Dinge möglichst weit zu diskutieren. Wir haben sie nicht ausdiskutiert,
aber ich denke, wir haben die Dinge wieder so gut eingefangen, dass jetzt jeder auf den
Heimweg gehen kann und auf seinem Hintergrund die Dinge, die er hier gehört hat, auswerten
kann. Die Ergebnisse werden möglicherweise sehr unterschiedlich ausfallen.
Ich möchte mich noch bedanken: Bei den Kollegen des Ministeriums für Bildung, Jugend und
Sport, Herrn Kruse und Herrn Ostrower, beide im zuständigen Referat für Jugendschutz. Sie
haben zu der fachlichen Vorbereitung und auch der Finanzierung der Veranstaltung einiges
beigetragen, - bei Herrn Dr. Lacher, der im MBJS für Medien zuständig ist, bei Frau Könen,
die leider auch schon weg ist, sie vertritt das „Tolerante Brandenburg“ und bei Herrn Hirschle
und Frau Fell aus dem MPZ, die die organisatorischen Vorbereitungen zu tragen hatten. Ich
bedanke mich bei den Diskutanten, bei den Referenten und nicht zuletzt bei denen, die so lang
geblieben sind. Besten Dank!

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