moped macht mobil
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VINTAGE DER CHARME DES MOPEDROLLERS TEXT PROF. DI (FH) FRITZ EHN FOTOS ARCHIV ÖSTERREICHISCHES MOTORRADMUSEUM 1 2 3 (1) Die Sissy S erscheint 1963 und ist gleichzeitig der letzte Lohner Mopedroller (2) HMW setzt auf den Schlagerstar Conny Froboess (3) Zeitgenössische HMW-Reklame (4) Die neuen Mopedroller sollen auch die Weiblichkeit ansprechen. Zum Beispiel der seltene Maya-Mopedroller MOPED MACHT MOBIL Der große Aufbruch: Als mit dem Roller die Welt ins Haus kam D as Moped ist in Österreich – und in ähnlicher Form auch in Deutschland – eigentlich ein „Nachkriegskind“. Damals geht es darum, ein motorisiertes Fahrzeug zu schaffen, das möglichst billig in der Herstellung, aber auch möglichst rationell im Gebrauch sein soll. Die wesentlichen Impulse gehen von Deutschland aus, als dort etwa um 1950 eine eigenständige Mopedentwicklung einsetzt, die eindeutig weg vom Fahrrad mit Hilfsmotor hin zum Kleinmotorrad führt. 68 www.motomobil.at 1954 einigt sich die deutsche Fahrzeugindustrie anlässlich der IFMA (Internationale Fahrrad und Motorradausstellung) in Köln auf den Na- Das Moped ersetzt nun das Fahrrad mit Hilfsmotor men „Moped“ (MOtorisierte PEDale) für jene neue Fahrzeugkategorie, die aus dem Fahrrad mit Hilfsmotor entstanden ist. Die Gesetzgebung ist in deutschen Landen von einigen Absonderlichkeiten geprägt, wie beispielsweise dem maximalen Eigengewicht von 33 Kilogramm. Diese Gewichtsformel beschert den heutigen Sammlern allerdings Raritäten wie die mit Aluminiumgussrahmen versehene Heinkel Perle! Das Hubraumlimit von 50 Kubik und eine erlaubte Höchstgeschwindigkeit (Bauartgeschwindigkeit) von 40 Stundenkilometern hat für den Rest der Welt Gewicht und wird auch in Österreich übernommen. D ass seitens der Konstrukteure sehr schnell den Bedürfnissen vor allem der männlichen Jugend Rechnung getragen wird, versteht sich aufgrund des riesigen Marktes, der sich nach der bereits zu erkennenden Absatzkrise des Motorrades hier eröffnet, von selbst. So wird einerseits das Sportmoped mit großem Tank und Sitzbank – möglichst für den zweisitzigen Betrieb, damit auch die Freundin mitfahren kann – forciert. Dass diese durchaus maskulinen Geräte im Zeichen des Zeitgeists mit viel Chromleisten, Weißwandreifen und bunten Lackfarben angeboten werden, erhöht ihre Attraktivität. Die österreichischen Hersteller wie beispielsweise HMW, Puch, Junior, Glockner, Capo, Delta-Gnom haben gegen Mitte der 1950er-Jahre bereits ein reichhaltiges Line-up, wobei jede Firma mehrere Modelle anbietet. Die Fahrzeuge sind in erster Linie für Burschen gedacht, die wegen der Altersgrenze noch kein Motorrad lenken dürfen (Mopeds dür- fen ab dem 16. Lebensjahr führerscheinfrei gefahren werden) oder sich aus finanziellen Gründen noch kein Motorrad kaufen können. Die Welt im Kleinen bildet die große Welt ab und 1956 fahren wesentlich mehr Menschen Roller als Motorrad. Es ist nur mehr eine Frage der Zeit, bis die Hersteller den Rollerboom in der 50-KubikKlasse lostreten. Erstaunlich, dass Der Roller erschließt auch die weibliche Käuferschicht der Mopedroller eigentlich eine österreichische Spezialität ist und es kaum deutsche Konkurrenz gibt. Auch in Italien setzt (mit wenigen Ausnahmen wie Vespa oder Garelli) niemand auf den Charme der kleinen Blechhummeln. Denn sie erschließen zusätzlich zur bisherigen Klientel eine völlig neue Kundenschicht: Mopedfahrerinnen! Diese wollen die maskulinen und aggres- 4 siven Sportmopeds nicht, sondern verlangen ein karossiertes Moped mit freiem Durchstieg, Komfort und Schmutzschutz – eben einen Mopedroller. Am konsequentesten beschreitet im Jahr 1957 der älteste österreichische Mopedhersteller HMW mit dem Mopedroller Conny den neuen Weg des Mopedrollers in Optik und Technik und spricht gezielt das weibliche Publikum an. HMW setzt www.motomobil.at 69 VINTAGE DER CHARME DES MOPEDROLLERS 5 1 in der Werbelinie auf den Namen und die Person der Schlagersängerin Conny Froboess. Sie ist ein Fixstern am Schlagerhimmel und ein Jugendidol. Doch der Mopedroller kommt für die Firma zu spät: Man hatte dem Lockruf einer – seinerzeit ebenso wie heute – grassierenden Unart, nämlich Fördergelder für Betriebsansiedlungen zu lukrieren, nicht widerstanden. So wird 1957 die gut laufende, eingespielte und mit Facharbeitern bestens be- 3 Aufstieg und Fall: Die Zweiradmarke HMW sperrt zu setzte Fabrikation von Hallein in Salzburg nach Kottingbrunn in Niederösterreich verlegt. Was dann im Jahr 1959 für HMW den Konkurs bedeutet. Die Landesförderung ist längst aufgebraucht und die Facharbeiter sind in Hallein geblieben … Was uns heutigen Sammlern zwar äußerst rare Conny-Mopedroller beschert, diese weisen aber viel Rost und kaum noch Originallack auf. Denn um schnell zu verkaufen, werden die Fahrzeuge nicht einmal mehr grundiert und der Decklack direkt aufs Blech gespritzt … 4 K TM, der junge und dynamische Motorradhersteller in Mattighofen, steigt mit einem Mopedroller namens Mecky ins Mopedgeschäft 70 6 2 www.motomobil.at ein. Das Fahrzeug stammt aus der Feder des genialen österreichischen Motorenkonstrukteurs „Mister Vierventil“ Ludwig Apfelbeck, der unter anderem auch bei BMW die Motoren der Rekordwagen konstruierte. Apfelbeck verwirklicht innerhalb von nur vier Wochen (!) das Wunschprojekt des Firmeninhabers Hans Trunkenpolz. Das Mecky-Moped ist gemäß der ursprünglich geltenden Gesetzeslage einsitzig konstruiert, es hat ein Zentralrohr-Fahrgestell mit zwei Langarmschwingen für Vorder- und Hinterrad sowie einen eigenständigen Apfelbeck-Motor. Das Fahrzeug kommt 1957 vom Reißbrett auf die Straße – und flopt. Mit der kurz darauf folgenden Möglichkeit der zweisitzigen Zulassung wird das Moped grundlegend umkonstruiert. Das „Sachs Mecky“ ist mit Doppelsitzbank und zwei Zusatzfedern für das Hinterrad ausgestattet. Angetrieben wird es vom bewährten Sachs-Motor (Lizenzfertigung durch Rotax). Doch auch dieser Mopedroller entspricht nicht den Erwartungen, welche die vorwiegend junge Käuferschicht inzwischen als Maßstab anlegt. Erst das 1960 eingeführte KTM Ponny I schlägt sensationell ein. Mit äußerst ansprechender Optik, bequemer Doppelsitzbank und dem robusten Puch-Gebläsemotor wird es schnell zum Verkaufsschlager. D er im Jahr 1962 folgende Mopedroller Ponny II, der in seinen Dimensionen auf den Zuschnitt der Wohlstandsbürger in der Wirtschaftswunderzeit angewachsen ist und zum Unterschied vom Ponny I einen freien Durchstieg aufweist, ist dann der Dauerbrenner schlechthin. Generationen von Fischern, Schrebergärtnern Der KTM-PonnyRoller ist Dauerbrenner bis 1986 und Kleintierzüchtern leben mit ihm. Erst im Jahr 1986 kommt das Aus für den in Österreich am längsten gebauten Mopedroller. Der Ponny-II-Kleinroller ist auch ein Thema in Deutschland: Es gibt Lizenzfertigungen bei Hercules, Gritzner und Kayser. Dass dabei Badge-Engineering in einer frühen Form betrieben wird, liegt auf der Hand – denn in den späten 1950erund frühen 1960er-Jahren ist es bereits viel billiger, die Fahrzeuge am Fließband bei KTM in Mattighofen fertigen zu lassen und dann lediglich mit den Firmenemblemen der deutschen Hersteller zu versehen. Einen gänzlich anderen Zugang zum Thema Moped hat die Wiener Firma Lohner, die seit 1950 Motorroller baut. Thomas Lohner, der ZUM AUTOR PROF. DI (FH) FRITZ EHN (das Foto zeigt ihn im Jahr 2006 beim 21. Seiberer Bergpreis in der Wachau) ist die Instanz im deutschsprachigen Raum, wenn es um die Geschichte der individuellen, motorgestützten Mobilität geht. Dass seine besondere Liebe der einspurigen Fortbewegung gilt, zeigt eine Unzahl an Buchveröffentlichungen, zum Beispiel „Das große PUCH Buch“ (H.Weishaupt Verlag, Graz) . Das von Ehn gegründete und geleitete „Erste Österreichische Motorradmuseum“ in Sigmundsherberg bietet auf 1300 Quadratmetern Ausstellungsfläche 250 wertvolle und richtungsweisende Exponate (1) Das Mecky-Moped von KTM (2) Ponny I, ebenfalls eine KTM (3) Ein Bus voll mit KTM-Rollern verlässt gerade Mattighofen (4) Ponny II mit freiem Durchstieg schafft dann den großen KTM-Erfolg (5) Konstrukteur Apfelbeck und Firmenchef Trunkenpolz im Technikbüro (6) Ponny I bei der Weltausstellung im fernen Amerika Sohn des damaligen Firmenchefs Richard Lohner, erzählte mir die Geschichte so: Sein Vater sah am Abend immer die Lehrlinge, die in der Lohner Waggon-, Karosserieund Rollerfertigung tätig waren, mit ihren Puch-, HMW- oder sonstigen Mopeds wegfahren und dabei saßen oft ihre – zumeist weiblichen – Kollegen hinten auf. Was ja in Österreich bis zum Jahr 1957 illegal ist. Da Richard Lohner jedoch mit dem untrüglichen Blick fürs Wesentliche den Bedarf für einen legalen zweisitzigen Betrieb eines Mopeds erkennt, schöpft er als www.motomobil.at 71 VINTAGE DER CHARME DES MOPEDROLLERS 5 1 4 3 (1) Baukastenprinzip: Modell Sissy I von Lohner (2) Die etwas unglückliche Sissy III (3) Ein Sissy-I-Prototyp, die Dame trägt den „Gepäcktank“ (4) Und hier eine frühe Sissy in voller Ausstattung (5) So sehen die Messestände der Wirtschaftswunderzeit aus (6) Sissy-Hommage in Fritz Ehns Zweiradmuseum in Sigmundsherberg Großindustrieller alle Mittel aus, um eine Gesetzesnovelle für den zweisitzigen Betrieb von Mopeds herbeizuführen. Die anderen österreichischen Marken sind ebenso an dieser Gesetzesänderung interessiert, in erster Linie Puch und KTM. D as neue Gesetz besagt, dass ein zweisitziges „Motorfahrrad“ (wie die korrekte gesetzliche Bezeichnung für Moped lautet) „eine Sitzgelegenheit für jede Person, einen festen Haltegriff für den Beifahrer und ein Paar Pedale pro Person“ haben muss. Das auf der Wiener Frühjahrsmesse 1957 72 6 2 www.motomobil.at präsentierte Produkt von Lohner trägt den Namen „Sissy“ (eine Anlehnung an die populären SissyFilme mit Romy Schneider und Karl-Heinz Böhm), es ist von Haus aus für zwei Personen konstruiert Gepresstes Blech: Die Sissy-Serie fasziniert bis heute und technisch innovativ wie kein anderes: Das Rückgrat des Sissy-IMopeds (wie es heute infolge der dadurch ausgelösten Modellreihe genannt wird) besteht aus einem aus zwei Blechpresshälften gefertigten Zentralrohrkörper, der an der Unterseite den Motor aufnimmt und oben den eigentlichen Benzintank trägt. Auf diesem Benzintank thront die Doppelsitzbank für zwei Personen. Vorderradund Hinterradschwinge (sowie teilweise der Mittelständer) sind ebenfalls mit Blechpresstechnik gefertigt, sie weisen eine dreifache Federbeinaufnahme zur Verstellung der Federhärte auf und sind baugleich. Das Lohner Sissy I ist das erste Moped, das im Baukastenprinzip gefertigt wird. Die Moped-Grundausstattung kann auf Kundenwunsch mit Gepäckträger, „Gepäcktank“, Blechschürze samt Trittbrettern sowie mit einer Bugverkleidung zum komfortablen Mopedroller ausgebaut werden. Als Triebwerk dient der 50-KubikSachs-Motor mit Gebläsekühlung. Der Grundpreis des Lohner-SissyMopeds in der einfachsten Ausführung beträgt im Jahr 1957 3790 Schilling, als zweisitzige Luxusversion mit Bughaube 5691 Schilling. Es liegt also in der Hand des Kunden, wie weit sein Sissy-Moped zum Mopedroller wird. Das Konzept ist ein enormer Erfolg: Von 1957 bis 1959 werden 30.000 Exemplare verkauft. W arum es dann im Jahr 1960 völlig unmotiviert zum Verkaufsflop Sissy 60 (oder Sissy II) kommt, kann nur mit der Vorliebe des Firmeninhabers für den Karosseriebau oder vielleicht mit der Notwendigkeit der Auslastung der Blechpresserei erklärt werden. Denn in die badewannenförmige Karosserie des martialisch aussehenden Sissy-II-Mopedrollers muss das Hinterrad mit einer Art „Fahr- schemel“ eingebaut werden. Dass man damit nur eine sehr schlechte Zugänglichkeit zum Motor hat, versteht sich von selbst. Diese Blechbanane mit der serienmäßigen Bughaube dreht alle Vorteile der von Oberingenieur Hladik geschaffenen Sissy I – wie leichte Zugänglichkeit zu den Verschleißteilen, Servicefreundlichkeit und klare Baugliederung – ins Gegenteil um. 1961 folgt eine weitere Karosserieänderung beim Modell Sissy 61 (in der Typologie Sissy III), bei der auf Kosten einer geschmäcklerischen „Verschönerung“ sogar der Benzintank unter einer Verkleidung verschwindet. 1963 kommt endlich mit dem Modell Sissy S (Sissy IV) das von den Puristen heiß ersehnte Revival der klassischen Sissy-Idee: Es bleibt die Scheinwerfermaske der Sissy III, aber der alte Zentralrohrrahmen lebt (allerdings als simples Rundrohr) wieder auf. Doch es ist bereits zu spät: Der Lohner-Mopedbau wird im Jahr 1963 eingestellt, der Sissy-S-Mopedroller ist heute die Blaue Mauritius unter den Sammlern. Marktführer Puch kommt – ein bisschen spät – erst 1958 mit dem Mopedroller DS 50 auf den Markt. Doch das ist eine andere Geschichte. „AUF ZWEIRÄDERN INS WIRTSCHAFTSWUNDER“ Als Erfindungsgeist und Optimismus den Lebensalltag einer ganzen Generation prägten: „motomobil“-Vintage-Autor Fritz Ehn präsentiert in seinem im Jahr 2006 im GeraMondVerlag erschienenen Buch „Auf Zweirädern ins Wirtschaftswunder“ mit einzigartigen zeitgenössischen Fotos den zweirädrigen Lebensstil der Nachkriegszeit in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Lagernd bei Bestseller im SCS Multiplex, 2334 Vösendorf, Tel.: 02236/614 22, OnlineBestellung auf www.bestseller. co.at und www.motorbox.at oder direkt vom Autor im Österreichischen Motorradmuseum in Sigmundsherberg zum Sonderpreis von e 15,– (statt e 30,80); www.motorradmuseum.at www.motomobil.at 73