PDF Trendtage Convenience
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Trendtage «Convenience-Shops» «Herumhängen mit Raststätten-Tarnung» Das Thema «Convenience» belegt, dass das alte Sprichwort «Handel im Wandel» nichts von seiner Aktualität eingebüsst hat. Im Rahmen der 8. Jahrestagung unter dem Titel «Trendtage Convenience», durchgeführt vom EUROFORUM im GDI Rüschlikon, eröffneten kompetente Referenten noch kurz vor Jahresende einen aufschlussreichen Blick über die Ladentische verschiedener Convenience-Shops. (Auszüge aus Referaten von Claude Bürki) Keine Sparte im Schweizer Detailhandel ist in den letzten Jahren so stark gewachsen wie der Bereich Convenience. Insgesamt geht die Marktforschung in diesem Bereich von einem Volumen von rund 4,5 Milliarden Schweizer Franken Umsatz aus. Das bedeutet: Einer von zehn Franken, den der Detailhandel mit Lebensmitteln umsetzt, geht in einem Convenience Shop über den Ladentisch – Tendenz steigend! Hans-Jürgen Krone, Moderator der Veranstaltung, sagte in seiner Begrüssungsansprache: «Convenience funktioniert weltweit. Die Märkte wachsen zusammen – Schweizer Konzepte beginnen in Deutschland Erfolg zu haben; denn sie haben einiges voraus. Die Themen ‹Frische› und ‹Stand-alone› setzen sich langsam durch.» Es darf «getankt» werden Birgit Walker, Senior Account Executive bei USP market intelligence GmbH, München, durchleuchtete das «Convenience-Verhalten an Tankstellen in der Schweiz» und folgerte u.a.: Frische ist in der Schweiz von zentraler Bedeutung. Bei der Warengruppe Food kleidete Walker das Kaufverhalten in Zahlen, die aufhorchen lassen: 58% sind Käufer von Artikeln aus der Warengruppe Food an den Tankstellen; 40% kaufen an Tankstellen aus Mangel an Alternativen (abends, wochentags, nach Ladenschluss); 64% sagen, die Kaufentscheidung falle zu Hause, wo denn auch nahezu alle Einkäufe konsumiert werden. Das heisst: Die Leute sind nicht zwingend unterwegs, wenn sie einkaufen, sondern weil sie bewusst an Tankstellen einkaufen wollen! Bei den Süsswaren sieht die Sache wie folgt aus: 57% sind Käufer von Süsswaren (mindestens einmal im Monat), in Deutschland liegt dieser Wert sogar bei 70%. 61% der Kaufentscheide fallen in diesem Bereich erst vor Ort in der Tankstelle. 56% der Ware wird direkt in der Tankstelle oder anschliessend im Auto konsumiert. Was «löckt» die Konsumenten zu den ConvenienceShops? Tabakwaren: 50% werden vormittags und abends an Wochentagen verkauft (Berufsverkehr). Walker spricht dabei von Routinekäufen. 35% der Frauen wählen Kioske als Einkaufsort für Tabakwaren. Bei den Heissgetränken sieht die Sache so aus: 64% der Konsumenten kaufen Heissgetränke nie an Tankstellen. 53% fällen die Kaufentscheidung erst an Ort der Tankstelle selbst (Grossteil wird auch dort getrunken). 63% der Nicht-Käufer gehören der Altersgruppe 18 bis 34 Jahre an; sie stellen den grössten Anteil an Nicht-Käufern. «Unordentliche» Lebensweise hinter Aufsteiger-Image tarnen Den Begriff «Convenience» definiert Walker – als Zusammenhang – wie folgt: Convenience ist je nach Produkt- und Outletbereich stets anders. So sind etwa U-Electronics, PCs, Autos in anderem Sinn «bequem» als Convenience-Food. Beim Beispiel Convenience-Food nennt Walker: vereinfachte Zubereitung, Ersparung von Arbeitsschritten – bis hin zu ready to eat. Die Convenience-Kunden geben sich eine Aura des Vielbeschäftigtseins, sie haben keine Zeit zum Kochen, aber mehr Geld als Zeit... Auch Nichtbacken- und Kochenkönnen steht zur Diskussion – es gelingt nicht, etwas anderes auf den Tisch zu bekommen... Fazit Benefits von Convenience Shops sind beträchtlich und für Kunden wichtig: echte Zeitersparnis, Service und Bequemlichkeit für Eilige und Beschäftigte; Möglichkeit, «unordentliche» Lebensweise hinter dem Aufsteiger-Image zu verbergen. Das rechtfertige Mehrpreise zwischen 20% und 50% über «normal» – und höher. Dieser Mehrpreis wird von «Tarnern» bereitwilligst bezahlt. migrolino AG – 120 m2 bis 280 m2 Nutzfläche migrolino-Geschäftsführer Markus Laenzlinger sprach zum Thema «‹migrolino›, die Convenience-Antwort der Migros». In dieser Position ist er unter anderem verantwortlich für die migrolino-Shop-Konzepte. Bei Jahresende zählten hierzu 125 Betriebe, davon 100 Shell/Migrolino- und 25 Stand-alone-Betriebe. migrolino: bis 2014 an 250 Standorten... migrolino definiert sich als spezialisierte Unternehmung im Convenience-Geschäft für Betriebe von 120 m2 bis 280 m2 Nutzfläche. Migros bietet mit migrolino die komplette Wertschöpfungskette für kleinflächige Betriebe, so CI/CD für den Marktauftritt, Standortauswahl, Planung des Standortes, Wahl und Ausbildung des Franchisepartners, Sortimentierung, Logistik, Monitoring und Controlling. Hochgesteckte Ziele Quantitativ verfolgt migrolino folgende Ziele: zirka 250 Standorte bis Ende 2014 (160 Tankstellen Shell/migrolino und 80 bis 90 Bahnhöfe bzw. Hochfrequenzlagen, ebenfalls bis 2014); umsatzmässige Marktführerschaft im Convenience-Geschäft; rentable Betriebe (für den Franchisenehmer und die migrolino AG); Qualitativ: höchster Convenience-Grad aus Sicht der Kunden; grösste Auswahl ohne Premium (bestes Preis-Leistungs-Verhältnis im Convenience-Bereich); attraktivstes Convenience-Konzept für Franchisenehmer. Der Umsatz im Convenience-Markt betrage 4,5 Milliarden Schweizer Franken, so Laenzlinger, das entspricht 9% des Gesamtmarktes. Dieser Markt soll sich in den kommenden 5 bis 10 Jahren verdoppeln, ist sich Laenzlinger sicher. Laut Laenzlinger (und aus Sicht der Kunden) sind drei Top-Einkaufsparameter entscheidend: die Annehmlichkeit, die Qualität der angebotenen Produkte, das Preis-LeistungsVerhältnis. «Annehmlichkeit» wurde als stärkster Erfolgsfaktor ausgewiesen. Wettbewerbssituation nach Standorten Coop Pronto, ca. 215 Standorte; avec (Valora AG), ca. 50; Alimenta Sista, ca. 30; Volg, ca. 600; Agrola, ca. 60; migrolino, Shell-migrolino, eff. 129. Coop Pronto ist am Markt erfolgreich implementiert; Volg Arola wachsen still weiter; übrige Tankstellenbetriebe verhalten sich eher zurückhalten. Spannungsfelder als Chancen Als Spannungsfelder bezeichnet Laenzlinger den Bereich Convenience versus klassischer Retail-Bereich aufgrund einer Diskrepanz zwischen Verständnis und Konkurrenzsituation. Sodann ortet er weitere Spannungsfelder, etwa: Standorte versus Standorte (speed is the name of the game); Super-Öffnungszeiten und hohe Mieten versus Supermieten mit eingeschränkten Öffnungszeiten; Sortimentsausweitung (ready to consume, ready to cook, ready to heat) versus nachhaltiger Rentabilität (operativ); Bedarfsdeckung versus Bedarfsweckung und vice versa; Baukosten versus Rentabilität (investorseitig); Franchisierung versus Filialisierung. Agips Convenience-Herausforderung Jean-Sébastien Génot ist Mitglied der Geschäftsleitung bei Agip (Schweiz). Seit 2007 leitet er 270 Agip-Tankstellen in der Schweiz. Darunter befinden sich hundert in einem Shop, die in letzter Zeit den Wandel vom einfachen SB-Laden hin zum echten Convenience-Store geschafft haben. Agip beinhaltet: 100+ Shops, 60+ Bar, 8 Tankstellen an der Autobahn, 1000+ Mitarbeiter, Umsatz über 600 Millionen Schweizer Franken. Das erklärte Ziel: mehr Einkaufserlebnis. Génot ist vom Erfolg «seiner» Convenience-Shops angetan, er erzählte sogar eine Anekdote, wonach in der Westschweiz schon Leute in einem Shop gesichtet worden seien, die im Pyjama ihr Sonntagsfrühstück eingekauft hätten... Erklärtes Ziel: Einkaufserlebnis. Keine Zeit... Die Convenience-Herausforderung lautet gemäss Génot: Wir haben keine Zeit! Es gelte, die vom traditionellen Handel gelassene Lücke zu besetzen. Das heisst insbesondere: kundenfreundliche Öffnungszeiten von 6 bis 22 Uhr, 7 auf 7 bzw. 365 Tage im Jahr. Und sich mit Vorschriften arrangieren können: begrenzte Verkaufsflächen bei eingeschränktem Sortiment. Zudem: An der Tankstelle Frequenz erzeugen und Cross-Selling, denn eine Tankstelle mit geschlossenem Shop verliere die Hälfte seines Treibstoffumsatzes; und eine Tankstelle ohne Treibstoffverkauf wiederum verliere 30% des Umsatzes. Man gibt sich nicht mehr so ölgläubig bei Agip. (Auch der Firmenname soll in Kürze geändert werden – von Agip zu ENI.) Welche Erfolgskriterien sieht er sonst noch? Eine einfache Regel sei besonders wichtig: das Pareto-Gesetz. (Das Pareto-Gesetz ist die Theorie der Einkommensverteilung, entwickelt von Vilfredo Pareto. Das Pareto-Gesetz besagt, dass die Einkommensverteilung in allen Ländern ähnlich ist, ungeachtet der politischen oder steuerlichen Bedingungen.) Das bedeutet u.a. auch: 20% des Sortiments machen 80% des Umsatzes; ein reduziertes Sortiment deckt noch 80% der Wünsche; hoher «Produktdruck» ist wichtiger als eine grosse Auswahl. Bezogen auf die Produkte meint Génot: Das Produkt muss Leader seiner Kategorie sein; das Produkt muss zum Verkaufskanal passen; das Produkt muss Alleinstellungsmerkmale aufweisen; das Produkt muss genug Potenzial in der Marge haben. Zudem: der Shop muss sauber und aufgeräumt sein (Verbot von Displays, Drehreklamen und anderen Werbematerialien; den Verkaufsraum entrümpeln und dem Kunden Luft zum Atmen geben; Regalhöhe auf max. 1,40 m begrenzen, Sichtbarkeit des Angebots als Gesamtes erhöhen; eingebettete und standardisierte Promotionen: Klarheit und einfacher Zugang zur Information für den Kunden. Der Bedarf... ... liege heute klar bei mehr frischen Produkten (Obst, Gemüse, Fleisch und Brot), einem grösseren Einkaufserlebnis. Tankstellen seien heutzutage Orte zum Leben geworden (!). «Non-Oil» biete mehr Wachstum und ein Potenzial, das noch nicht erschöpft sei, so Génot. «Eine gute Bar kann mehr Marge als ein Shop bringen; eine Tankstelle mit Shop, in der Schweiz, muss mehr absolute Marge mit seinem Shop generieren als mit dem Treibstoff. Der Kunde bleibt nur ca. 7 Minuten im TankstellenShop, also muss er die Produkte sofort auffinden können. Wir müssen uns klar auf die wesentlichen Dinge fokussieren: Umsatz und Volumen. Erfreulich: Die Leute treffen sich zu einem Agip-Kaffee, nutzen die Verweildauer dort auch immer mehr zum Arbeiten und kaufen etwas.» Schweizer Ergebnisse, eine Studie von Prof. Dr. Sabine Möller Seit Mai 2008 ist Prof. Sabine Möller Inhaberin des Lekkerland-Stiftungslehrstuhls für Convenience und Marketing sowie Leiterin des Competence Centers for Convenience an der European Business School (EBS) in Oestrich-Winkel. Möller präsentierte Schweizer Ergebnisse der Convenience-Studie 2009. Worüber reden wir?, so die erste Frage überhaupt. Es bestünden, so Möller, nach wie vor Probleme mit dem Begriffsverständnis, es gelte zu unterscheiden zwischen Convenience-Stores und Convenience-Produkten. Convenience habe einen Zeitund Aktivitätsbezug und brauche daher ein Bezugsobjekt. Möller: «Convenience ist das vom Kunden wahrgenommene Ausmass der Vermeidung von Zeit und Mühe im Einkaufs- und Konsumprozess. Die Tankstelle sei nach wie vor der Convenience-Kanal, Convenience finde vor allem an klassischen Convenience-Kanälen statt.» Unterwegsversorgung ist auch ein Freizeitphänomen. Diese gestaltet sich in der Schweiz gemäss der Studie wie folgt: Auf dem Weg zur Arbeit versorgen sich 41,9%; während der Arbeitszeit 54,1%; auf dem Weg nach Hause 46,6%; an freien Tagen 59,6%. Unterwegs Gekauftes wird in der Schweiz wie folgt gegessen oder getrunken: direkt in der Einkaufsstätte: 9,8%; im Auto: 32,1%, im ÖNV: 15,5%; während des Gehens; 18,5%; am Arbeitsplatz: 25,0%; zu Hause 7,7%. Treiber der Unterwegsversorgung sei vor allem der Zeitdruck. Die wahrgenommene Qualität sei indes als Treiber als schwach einzustufen. ■