Neonazi als Ordner in Flüchtlingsheim

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Neonazi als Ordner in Flüchtlingsheim
EPA/MALDIVES PRESIDENCY/DPA
Land unter
Klassenfrage Klimawandel: Hauptverursacher der Erderwärmung sind die
Industrien des reichen Nordens – Leidtragenende vor allem die arme Bevölkerung des Südens. Statt Emissionen
zu reduzieren, wird mit ihnen Handel
betrieben. Von Wolfgang Pomrehn
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Dem Humanisten zu Ehren: In BerlinPankow gibt es endlich einen
Jürgen-Kuczynski-Park
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Abwehr bleibt Programm
Deutschland und Frankreich fordern Verteilung von Asylsuchenden in der gesamten
EU. Ausweitung des Militäreinsatzes im Mittelmeer geplant. Von Rüdiger Göbel
LASZLO BALOGH / REUTERS
D
ie Außenminister der EU-Mitgliedsstaaten kommen an diesem Freitag und Samstag zusammen, um das weitere Vorgehen im
Umgang mit Flüchtlingen zu beraten.
Konkret geht es um die Aufnahme wie
die Abwehr Zehntausender Menschen,
die um Asyl nachsuchen. Deutschland und Frankreich wollen verbindliche Quoten zur Zuweisung der Ankommenden an alle Länder der EU
durchsetzen. Es gehe darum, »uns die
Aufgaben zu teilen«, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am
Rande eines Besuchs in der Schweiz.
Außerdem verwies sie auf das »Prinzip der Solidarität«. Aus dem ÉlyséePalast in Paris hieß es, Gegenstand des
gemeinsamen deutsch-französischen
Vorschlags sei unter anderem »die Organisation der Aufnahme der Flüchtlinge und ihre gerechte Verteilung in
Europa«. EU-Ratspräsident Donald
Tusk (Polen) verlangte, man müsse
»mindestens 100.000 Flüchtlinge« fair
unter den Mitgliedsstaaten verteilen.
Aus dem Umfeld von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hieß es,
es gehe um etwa 120.000 Menschen.
Allein, der Luxemburger war im Juni
schon mit seinem Plan gescheitert, wenigstens 40.000 Flüchtlinge über verpflichtende Quoten zu verteilen.
Allein, viele EU-Mitglieder machen
nicht mit – und auch nicht diejenigen,
die vor Krieg und Elend fliehen. Das
wurde am Donnerstag in Ungarn deutlich, wo sich dramatische Szenen abspielten. Mehr als 1.000 Menschen, die
meisten mutmaßlich dem vom Westen
mit beförderten Krieg in Syrien entkommen, versuchten im Ostbahnhof in
Budapest einen Platz in einem der Züge gen Österreich und Deutschland zu
ergattern. Wenige Kilometer außerhalb
Polizeieinsatz am Bahngleis: Ungarische Beamte verbrachten am Donnerstag Flüchtlinge in ein Aufnahmelager in Bicske
der ungarischen Hauptstadt wurden die
Reisenden von der Polizei gestoppt und
zum Aussteigen aufgefordert. Presseberichten zufolge haben Polizisten,
Dolmetscher und Busse auf die Flüchtlinge gewartet, um sie in ein Aufnahmelager zu bringen. Nach Angaben der
Agentur Reuters setzten sich viele von
ihnen dagegen zur Wehr.
Ungarns Präsident Viktor Orban
erklärte derweil, die Flüchtlingskrise
sei »nicht ein europäisches«, sondern
»ein deutsches Problem«. Keiner der
Flüchtlinge wolle »in Ungarn bleiben«,
»alle möchten nach Deutschland«. Der
vielgescholtene Rechtsaußen liegt mit
dieser Feststellung wohl richtig.
Die baltischen Staaten Lettland und
Litauen sowie die Slowakei argumentieren ähnlich. »Quoten halten keine Migranten auf, sie verhindern nicht, dass
sie in Lkw oder auf Schiffen umkommen«, sagte der slowakische Außenminister Miroslav Lajcak in der Bild.
»Unsere bisherige Erfahrung zeigt, dass
diese Menschen nicht in die Slowakei
kommen und bleiben wollen.«
Tchechien trug dieser Haltung in der
Praxis Rechnung. Dort entließ man am
Donnerstag die ersten von rund 230 syrischen Flüchtlingen aus der Abschiebehaft und brachte sie zu Bahnhöfen.
»Wir wollen nach Berlin«, zitierte AFP
den 28jährigen Amer aus Syrien.
In der Europäischen Union wird
derweil die Ausweitung des Militäreinsatzes »Eunavfor Med« gegen Schlepper im Mittelmeer vorbereitet. »In den
kommenden Wochen« könne »Phase
zwei« starten, sagte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini am Donnerstag nach einem Treffen der Verteidigungsminister in Luxemburg. Ziel
sei es, Schiffe von Menschenhändlern
aufzubringen und zu zerstören. Die
Bundesregierung bereitet ein Mandat
für eine Beteiligung der Bundeswehr
daran vor – und wird nicht müde zu behaupten, Bürgerkriegsflüchtlinge aus
Syrien seien »willkommen«.
n Siehe Seiten 7 und 8
Neonazi als Ordner in Flüchtlingsheim
Sicherheitsfirma beschäftigte rechten Hetzer in Heidenau. Brandstiftung in Witten
U
nbekannte haben in der Ruhrgebietsstadt Witten einen
Brand in einem leerstehenden Gebäude gelegt, das demnächst
als Flüchtlingsunterkunft genutzt werden soll. Der am Donnerstag morgen
entdeckte Schwelbrand konnte schnell
gelöscht werden und richtete keinen
größeren Schaden an, wie die Polizei in Bochum mitteilte. Die Ermittler
fanden heraus, dass die Täter eine Fensterscheibe des städtischen Gebäudes
eingeschlagen hatten. Zudem entdeckten die Beamten Reste von Brandbeschleunigern. Die Ermittlungen in
dem Fall übernahm der Staatsschutz
des Bochumer Polizeipräsidiums.
Wegen Sympathien für rechte
Hetze im Internet ist ein Wachmann
von der Flüchtlingsunterkunft in
Heidenau abgezogen worden. Der
Mann sei »nur für kurze Zeit« für
den Schutz der Asylbewerber in dem
alten Baumarkt zuständig gewesen,
sagte Bernd Weiler von der Sicherheitsfirma Securitas am Donnerstag. Der Mann sei vom »Antifa Recherche Team Dresden« am Tor der
Erstaufnahmeeinrichtung Heidenau
erkannt worden, schrieb die Süddeut-
sche Zeitung (SZ) in ihrer Donnerstagausgabe.
Bereits Ende August hatte Securitas festgestellt, dass der Wachmann
»in sozialen Medien mit fragwürdigem
Gedankengut sympathisiert«, sagte
Weiler. Anschließend sei er sofort nicht
mehr in der Flüchtlingsunterkunft in
der sächsischen Kleinstadt beschäftigt
worden. Wie SZ weiter berichtete, bekennt sich der Mann auf Facebook zur
neofaschistischen NPD und der rechtslastigen Hooligan-Gruppierung »Army
of Dresden West«. Im Internet habe er
auch Hetze gegen Flüchtlinge betrie-
ben, nannte sie »Asylschmarotzer« und
unterstützt »Kastration und Zwangsausweisungen«. Laut dem Blatt ist der Neonazi 22 Jahre alt und kommt aus Dresden. Weiler wollte das nicht bestätigen.
Der Mann ist bei einem Subunternehmen von Securitas angestellt. Ob
die Firma ihn mittlerweile entlassen
hat, ist unklar. Laut Weiler hatte Securitas vor dem Dienstantritt in Heidenau die Personalunterlagen sowie
polizeiliche Führungszeugnisse des
Mannes überprüft. »Es gab dort keine
Auffälligkeiten. Die waren einwandfrei«, sagte Weiler. (AFP/dpa/jW)
UNICEF warnt: »Bildung
unter Beschuss«
AP PHOTO/HUSSEIN MALLA
China erinnert mit Militärparade an
Befreiung vom Faschismus.
Truppenverkleinerung geplant
Beirut. Mehr als 13 Millionen Kinder
können nach UN-Angaben wegen
der Kriege im Nahen Osten und in
Nordafrika nicht zur Schule gehen.
Damit würden sie ihrer Hoffnung
und ihrer Zukunft beraubt, heißt
es in einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht des Kinderhilfswerkes UNICEF. »Wir stehen kurz
davor, eine gesamte Generation von
Kindern zu verlieren«, sagte Regionaldirektor Peter Salama und rief
zu schnellem Handeln auf. Angriffe
auf die Schulen seien der Hauptgrund, warum viele Kinder nicht
zum Unterricht gehen könnten,
heißt es in dem Bericht unter dem
Titel »Bildung unter Beschuss«.
Häufig würden die Schulgebäude
zudem als Obdach für vertriebene
Familien benötigt oder als Unterschlupf von Kämpfern missbraucht.
Allein in Syrien, im Irak, im Jemen
und in Libyen könnten fast 9.000
Schulen nicht für den Unterricht
genutzt werden. Tausende Lehrer in
der Region hätten aus Angst vor den
Kämpfen ihre Arbeit aufgegeben.
(Reuters/jW)
Libyen ringt
um Friedenslösung
Tripolis. Das in Tripolis ansässige
libysche Parlament beteiligt sich an
einer neuen Runde der Friedensgespräche unter UN-Vermittlung.
Der international nicht anerkannte
Allgemeine Nationalkongress
(GNC) stimmte am Mittwoch für
die Teilnahme an den Verhandlungen, die am gestrigen Donnerstag
und am heutigen Freitag in Genf
stattfinden sollten, wie der Abgeordnete Mahmud Abdelasis der
Nachrichtenagentur AFP sagte. In
Libyen herrschen seit dem durch
die NATO herbeigebombten Sturz
des langjährigen Machthabers
Muammar Al-Ghaddafi im Herbst
2011 Chaos und Gewalt. Die Städte
werden von rivalisierenden Milizen
kontrolliert, während zwei Parlamente und Regierungen die Macht
für sich beanspruchen. (AFP/jW)
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