inbrief 37 - Berufsverband Deutscher Markt
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inbrief 37 - Berufsverband Deutscher Markt
inbrief Organ des Berufsverbandes Deutscher Markt- und Sozialforscher e.V. August 2013 Fokus Best Paper 2013 Wahljahr 2013 90 Nicht nur Bundes- und Landtagswahlen stehen in Kürze ins Haus. Vom 14. September bis zum 4. Oktober läuft die Wahl der Delegierten zum Fachbeirat. Der BVM bittet alle seine persönlichen Mitglieder, zu wählen, und stellt die Kandidaten noch einmal vor. Excellence 2013 16 Auf der festlichen Gala zum diesjährigen BVM-Kongress wurden die Sieger im Wettbewerb zum Preis der Deutschen Marktforschung geehrt. Lesen Sie mehr zu den hervorragenden Leistungen der Sieger und Nominierten. Profession 2013 Die Diskussion darüber, wo die Marktforschung heute steht und wohin es in Zukunft gehen wird, hält an. Dazu Beiträge von Hartmut Scheffler und Dr. Benedikt Köhler und ein Interview von Dr. Michael Bartl mit Edward Appleton, Avery Dennison Zweckform. 6 Identität geprüft. Per Bankdaten. t r e i d i l a V Nicht nur die Bilder unserer Panelisten sind echt. Consumerfieldwork validiert die Identität der Mitglieder seines Online-Panels: Wir zahlen nicht per Paypal oder Gutscheincode aus, sondern nur per Überweisung. Dabei übermitteln uns die Banken die Namen der Empfänger. Wir gleichen ab und sperren Duplikate und alle Teilnehmer mit falscher Identität. Consumerfieldwork GmbH Validated sample from reliable online research panel [email protected] | 040/740 41 98-0 | www.consumerfieldwork.com INHALT Editorial Liebe Leserinnen und Leser, dieses Heft steht ganz im Zeichen des BVM-Kongresses im April dieses Jahres, der sich aus unterschiedlichsten Perspektiven mit dem Thema Innovation beschäftigt hat. Neben einer kurzen Rückschau auf die spannenden Keynotes der Professoren Christian Blümel huber, Universität der Künste in Berlin, Gunter Dueck, langjähriger Chief Innovation Officer IBM i.R., und Marc Hassenzahl, Folkwang Universität der Künste, sowie von Dr. Tobias Hildenbrand, SAP, und Dr. Karlheinz Steinmüller, Z_punkt, informieren wir Sie über die Arbeiten der Sieger und Nominierten im diesjährigen Wettbewerb zum Preis der Deutschen Marktforschung. Im Schwerpunktthema dieser Ausgabe finden Sie darüber hinaus die meisten der in diesem Jahr eingereichten Kongressbeiträge für das Best Paper 2013. Und unter dem Stichwort „Profession“ führen wir mit Beiträgen von Hartmut Scheffler, ADM-Vorsitzender, sowie von Dr. Benedikt Köhler, d.core, die Diskussion über die zukünftige Entwicklung unserer Branche weiter. Lesen Sie zu diesem Thema auch das Interview, das Dr. Michael Bartl, BVM-Vorstand, mit Edward Appleton, Avery D ennison Zweckform, geführt hat. Pilotprojekt: BVM inbrief digital Das Thema „Innovation“ spielt auch für die Redakton des BVM inbriefs eine wichtige Rolle: Der inbrief 2013/2 erscheint erstmals sowohl als gedruckte als auch als elektronische Ausgabe. E-Magazine stellen aktuell noch ein absolut neues Terrain des Publizierens und auch der redaktionellen Gestaltung dar – mit vielen Möglichkeiten, aber auch mit dem Handicap, dass die Leser anspruchsvollerer Fachtexte diese lieber in gedruckter Version lesen. Die elektronische Version des BVM inbrief ist eine erste, mit bescheidensten Mitteln realisierte Pilotversion, die nicht im Mindesten die Möglichkeiten eines professionell gestalteten E-Magazins nutzen konnte. Sie ist als ein Anfang zu verstehen, die sich mit Ihrer Hilfe und mit zunehmender Erfahrung sowohl redaktionell, gestalterisch und – vor allem – auch technisch weiterentwickeln wird. Das wird mit Sicherheit noch einiges an Arbeit und Investition erfordern. Der BVM-Vorstand bittet Sie, sich neben der gewohnten Printausgabe auch die elektronische Pilot-Ausgabe anzusehen und dazu ihre Meinung sowie Wünsche und Anregungen zu äußern. Sie helfen uns damit, dieses noch junge Pflänzchen zu verbessern und zukunftsfähig zu machen. Fachbeiratswahlen: Wählen Sie die Delegierten Sehr wichtig: In diesem Jahr stehen nach vierjähriger Amtsperiode wieder die Fachbeiratswahlen auf der Tagesordnung. Die Wahlunterlagen gehen allen persönlichen Mitgliedern, auch denen, die im Rahmen einer korporativen Mitgliedschaft als persönliches Mitglied gemeldet sind, bis zum 14. September zu. Die 20 Kandidaten stellen sich in dieser Ausgabe des BVM inbriefs vor. Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen dieser Ausgabe und bitten Sie nochmals, sich auch die elektronische Ausgabe anzuschauen und uns über [email protected] mitzuteilen, was Sie davon halten und was an Verbesserungen Sie sich wünschen. Ihre Dr. Ulrike Schöneberg BVM inbrief August 2013 3 Inhalt Profession 6 Marktforschung 2013: 6 Etwas mehr Selbstbewusstsein, bitte! „Das Ende unserer Profession ist nah!” Wenn man die vielen Artikel und Vorträge über Anforderungen an die Marktforschung und ihre Zukunft liest und hört, so muss einem angst und bange werden. Ein Appell von Hartmut Scheffler, ADM New Market Research 8 Von Modeerscheinung kann keine Rede sein, so Edward Appleton, Avery Dennison Zweckform, in einem Interview mit Dr. Michael Bartl, BVM, und fordert ein Umdenken der „klassischen Marktforschung” Editorial3 13 BVM-Services BVM-Seminare im Herbst 2013 – BVM-Handbuch 2013/2014 – Gerichtsurteile auf der BVM-Website – BVM auf der Research & Results-Messe in München – Rabatt für BVM-Mitglieder für den ESOMAR-Kongress 2013 BVM-Regionalgruppen96 Berlin – Regionalgruppenveranstaltungen Impressum99 BVM-Verbandsarbeit 84 Dank an langjährige Mitglieder des BVM Ferner: Richtlinie für Studien im Gesundheitswesen – ADM-Veranstaltung zur IT-Sicherheit – Wahlausschuss – Geschäftsbericht ADM und BVM – Rat der Deutschen Markt- und Sozialforschung Mitgliederversammlung 2013 Fachbeiratswahlen 2013 AKQua-Planning-Team – Plenumveranstaltungen 2013 Preis der Deutschen Marktforschung 2013 16 Kongress der Deutschen Marktforschung 2013 26 Vorbilder, Vorreiter und Innovatoren. Kongressrückblick: Wirkliche Innovation braucht so viel Energie wie der Kampf um eine Goldmedaille Auf der festlichen Gala anlässlich des 48. BVM-Kongresses wurden zum neunten Mal die Sieger im Wettbewerb um den Preis der Deutschen Marktforschung in den Kategorien „Persönlichkeit des Jahres“, „Innovationspreis“, „BVM/VMÖ Nachwuchsforscher“ und „Best Paper“ geehrt. Informationen zur Persönlichkeit 2013 und den Arbeiten der Sieger und Nominierten in den Kategorien Innovationspreis und BVM/VMÖ-Nachwuchsforscher. 4 BVM inbrief August 2013 Abgrenzung oder Öffnung – 10 das ist die Frage Dr. Benedikt Köhler, d.core, zu den aktuellen Entwicklungen im Markt der Informationsdienstleistungen und den möglichen Auswirkungen für die Profession – Anmerkungen zur Neupositionierung des niederländischen Marktforscherverbands MOA Premiere: BVM zeichnet erstmals gelungene Präsentationen auf dem Kongress aus Von Eisbergen, Cola-Flaschen und der Sexyness der Marktforscher. FAMS-Auszubildende schildern, wie Marktforscher von morgen den Kongress der „MaFo-Szene“ erobern. Im Fokus: Best Paper 2013 – Die vielen Gesichter der Innovation Best Paper 2013: Dr. Alexander Fink, SCMI, Gudrun Kneißl, MAN Truck & Bus, und Hanna Rammig, SCMI: Gemeinsam Branchenzukünfte vor ausdenken. Szenarien zur Zukunft von urbaner Mobilität, Nutzfahrzeugen und busbasiertem Reiseverkehr Nominiert: Dr. Josef Köster, BMW, und Frank Schomburg, nextpractice Das gefühlte Morgen. Simulation zukünftiger Alltagswelten als Werkzeug der Zukunftsforschung Nominiert: Michael Schießl, eyesquare, und Dr. Steffen Schmidt, Universität Hannover Bridging the gap Integriertes Modelling von impliziten und expliziten Messmethoden zur Vorhersage von Verhaltensentscheidungen Gabriele Hildmann, ARGE InnovationsPlattform, und Professor Dr. Ulrich Vossebein, TH Mittelhessen Wissen, was die Kunden nicht wissen können – zur Bedeutung der internen Unternehmenskultur im Innovationsprozess Dr. Thomas Rodenhausen, Harris Interactive Wie Smartphones die Onlinemarktforschung verändern. Konsequenzen des Fortschritts der mobilen Kommunikation 35 Gerald Neumüller, SevenOne Media ROI Analyzer – ein Modelling-Ansatz zur Erfassung der langfristigen Werbewirkung Petra Fetzer, Hucon, und Dr. Steven Schuh, MAN Truck & Bus Betroffene zu Beteiligten machen. Zum Innovations potenzial der Marktforschung in Unternehmen Dr. Martin Neumann, KSPG, und Dr. Andreas Riel, ILI Consulting Ideation and Fuzzy Front-End. Strukturierte Ideen generierung im Innovationsmanagement eines Tier-1-Automobilzulieferers Karin Immenroth, L’Équipe L’Oréal, sowie Catrin Klein und Andreas Neef, L’Oréal Mediaplanung 3.0. Real-Time-Beobachtung, Steuerung, Optimierung und Prognose von Werbekampagnen durch LIVE-Monitoring Mark Schiefelbein, Wakoopa Unser Leben – online und in Farbe. Zur Motivation und den Unterschieden im Nutzungsverhalten von Konsumenten bei Online-Aktivitäten und Kaufentscheidungen Detlef Happel, Dialego Bretter vorm Kopf. Über Geht-Nicht-Paradigmen zum Thema Innovation und zur Frage, wie es trotzdem funktioniert Nominiert: Mathias Streicher, Universität Innsbruck From the Hand to the Mind – zur Relevanz haptischer Eigenschaften von Marken StühmeyerStr. 16 · 44787 Bochum BUNDESWEIT UND INTERNATIONAL: IhR DIENSTLEISTER FÜR FELDARBEIT UND DATENERhEBUNg. UNABhäNgIg · kOmpETENT · zUvERLäSSIg ALLES IM GRÜNEN BEREICH: www.ftmafo.de Im verbund: www.ft-group.de BOChUm · DÜSSELDORF · hANNOvER · BERLIN · DRESDEN · WIEN · BARCELONA · BUENOS AIRES BVM inbrief August 2013 5 INHALT Profession Marktforschung 2013 Etwas mehr Sel Hartmut Scheffler, ADM-Vorsitzender, zum Thema Innovation und Marktforschung auf dem BVM-Kongress 2013 „Das Ende unserer Profession ist nah!” In Anbetracht der vielen Artikel und Vorträge über Anforderungen an die Marktforschung und ihre Zukunft muss einem angst und bange werden. Manchmal entsteht der Eindruck, unsere Branche bestünde aus rückwärtsgewandten Menschen, die Herausforderungen der Zeit verkennen, sich im Elfenbeinturm von Methoden und Statistik verlieren und über die die Geschichte eher früher als später hinweggehen wird: Als gehöre Marktforschung in einigen Jahren zur Vergangenheit, als Erscheinung mit einer Blütezeit zwischen 1980 und 2010. Um nicht der Naivität gescholten zu werden: Es ist absolut richtig, dass sich unsere Branche sehr schnell verändern und in ihren Geschäftsmodellen umfassend neu aufstellen muss. Die Frage ist nur, ob man uns dies zutraut und ob wir selbst uns dies zutrauen oder nicht. Wenn ich all die Nachrufe in spe lese, dann erkenne ich umfassend, wo wir uns ändern sollten und ändern müssen. Aber ich erkenne überhaupt nicht, wer denn, wenn nicht wir selbst, die unbesetzten Felder sofort besetzen und sich der offenen Aufgaben annehmen sollte oder könnte. Natürlich gibt es Aufgabenstellungen, die mehr mit IT und Technologie zu tun haben und von entsprechend spezialisierten Unternehmen übernommen werden können – Teile von Big Data sind hier nur ein Beispiel. Aber Marktforschung war, ist und wird deutlich mehr sein als die optimale Nutzung von Technologie oder eine Profession, die endlich knapper formuliert, schöner bebildert und dem immer wieder geforderten und von vielen nicht ernst gemeinten Trugschluss eines Unternehmensberaters hinterherläuft. Die Marktforschung hat sich immer als Anbieter eines ganzheitlichen Prozesses von Verstehen, Operationalisieren und Umsetzen, Analysieren und Interpretieren verstanden, an dessen Ende die Abgabe von Ergebnissen und Empfehlungen steht, die auf bestmöglicher Datenbasis und auf hoher Qualität basieren. Dass sich dabei Methoden ändern, dass der Methodenstrauß bunter, valider geworden ist: geschenkt. Dass viele Fragen mit vorhandenen Daten anstelle von neu zu erhebenden Daten beantwortet werden können: geschenkt. Dass lange verbale Interviews durch non-verbale, qualitative, ethnografische etc. Verfahren ersetzt werden: geschenkt! 6 BVM inbrief August 2013 INHALT Aber dass die umfassenden, die Existenz und die Wichtigkeit von Marktforschung begründenden (neuhochdeutsch:) Skills auch von anderen in dieser Kombination zur Verfügung gestellt werden könnten, die die Marktforschung bzw. die entsprechend ausgebildeten Marktforscher überflüssig machen sollten: nicht geschenkt! Betrachten wir doch einmal ganz objektiv und durchaus optimistisch unseren USP. Ich bitte diejenigen, die eine andere Profession, eine wirkliche Alternative dagegensetzen können, sich zu melden. Ich möchte nur sieben Punkte erwähnen, und diese Liste ist sicherlich nicht vollständig: 1.Marktforscher müssen Menschen-Versteher sein. Wir haben als Soziologen und Psychologen gelernt, Menschen, Gruppen, Gesellschaften in ihrem Verhalten und ihren Einstellungen zu verstehen. Eine Fähigkeit, die in Zukunft in einer immer komplexeren und komplizierteren Welt an Bedeutung zunimmt. 2. Marktforscher kennen die methodologischen und methodischen Anforderungen an eine qualitativ hochwertige Datensammlung. Diese Kenntnis wird quantitativ an Bedeutung verlieren, aber als wichtiges Thema nicht verschwinden. 3. Marktforscher haben schon immer Informationen verknüpft (Connect), mal durch „Nebeneinanderlegen” aller wichtigen Quellen, mal durch entsprechende statistische Verfahren der Datenfusion. Diese Fähigkeit wird u.a. als Teil der Big-Data-Thematik weiterhin gefragt sein: Und hier geht es weniger um die Maschinen (IT) als um das Verstehen. 4.Durch Ausbildung und tägliche Praxis, ja auch durch Richtlinien und Qualitätsnormen konnten und können Marktforscher bewerten: die Datenqualität, damit die Aussagekraft der Daten und damit die Verwendbarkeit für Empfehlungen. Müßig zu sagen, dass bei zunehmenden Datenmengen diese Fähigkeit an Bedeutung gewinnt ... oder Informationen beliebig werden. 5.Und klingt es noch so langweilig: Daten müssen analysiert werden. Statistische Kenntnisse sind notwendig, um das Sinnvolle und Richtige bewusst zu tun und den Daten relevante Erkenntnisse zu entlocken: eine an Bedeutung zunehmende Qualifikation. 6.Noch versuchen Marktforscher zu bewahren, nämlich Qualität, Ethik und grundsätzliche Fragen des Datenschutzes. Profession bstbewusstsein, bitte! Unterschätzen Sie diese Verantwortung gegenüber Politik und Gesellschaft, gegenüber Befragten, Zielpersonen und Kunden und auch gegenüber den Mitarbeitern nicht! Es wird so oft von CSR gesprochen: Dies ist immer noch gelebte gesellschaftliche Verantwortung unserer Profession, und sie ist – blicken wir einmal über die Grenzen dieser Profession hinweg – durchaus nicht Allgemeingut. 7.Marktforschung ist innovativ. Hier zeigt die aktuelle Diskussion, zeigen Vorträge, Artikel, Bücher und die globale Marktforschungspraxis eine im Diskurs befindliche lebendige Profession mit einer Unzahl von sinnvollen – ja, manchmal auch nicht sinnvollen, weil nicht inkrementellen – Entwicklungen. Sieben Aspekte, von denen die meisten in Zukunft an Relevanz gewinnen. Welche dieser Aspekte können marktforschungsfremde Anbieter, IT-Löser, Do-it-yourself-Paketlieferanten ebenfalls liefern? Einzelne sicher, und manchmal einzelne sogar besser (für so etwas gibt es Kooperationen!). Das Paket aber ist unique. Wenn ich all die Nachrufe in spe lese, dann erkenne ich umfassend, wo wir uns ändern sollten und ändern müssen. Aber ich erkenne überhaupt nicht, wer denn, wenn nicht wir selbst, die unbesetzten Felder sofort besetzen und sich der offenen Aufgaben annehmen sollte oder könnte. Es mag ja zuweilen schön sein, morbide den eigenen Untergang zu diskutieren und sich für diesen immer kürzer werdende Zeithorizonte auszumalen. Wie wäre es mit dem Gegenteil: mit größter Offenheit in Bezug auf die neuen Herausforderungen argumentieren, aber dabei auch mit dem Selbstbewusstsein, das auf den eben genannten Stärken basiert. Der Kongress ist ein Beleg hierfür. Weitere Belege können nur wir, kann nur jeder einzelne von uns in der täglichen Arbeit und begleitend in der internen und in der externen Kommunikation liefern. In diesem Sinne und im Namen aller ADMMitglieder: einen selbstbewussten Kongress! BVM inbrief August 2013 7 INHALT Profession Interview New Market Research? Von Modeerscheinung kann keine Rede sein, so Edward Appleton, Avery Dennison Zweckform, und fordert ein Umdenken der „klassischen Marktforschung” Aus der Sicht des Kunden ist die klassische Marktforschung nur eine der möglichen Informationsquellen, die Basis für Entscheidungen unterschiedlichster Art sind. Immer häufiger ist auch zu hören, dass sie sich auch der Möglichkeiten, die ihnen die sogenannte New Market Research bietet, bedienen, um produkt- und marktbezogene „Insights” zu gewinnen. Dr. Michael Bartl, BVM-Vorstand, hat Edward Appleton, Avery, zum Stellenwert dieser neuen Methoden in der Arbeit eines „Insight-Managers” auf Kundenseite interviewt. Herr Appleton, was bedeutet New Market Research für Sie? „New Market Research” ist für mich marktforscherisches Weiterdenken jenseits der klassischen Befragungsmethodik. Ich sehe zwei Facetten: Erstens umfasst New Market Research diverse neue Messmethoden, die sich ernsthaft bemühen, das Gefühlte, das Irrationale, Unausgesprochene und Unterbewusste in unseren Entscheidungsprozessen herauszukitzeln. Wie uns die Verhaltensökonomie beweist: unsere Entscheidungsprozesse sind häufig von nicht-rationalen Faktoren gesteuert. Oft haben wir keinen geistigen Zugang dazu, wie wir entscheiden, so sehr dominiert das Intuitive in unserem Gehirn, oder wie es der Nobelpreisträger Professor Daniel Kahneman nennt, „System 1”-Denke. Methodologisch muss die Marktforschung auf diese psychologisch fundierten Erkenntnisse reagieren – uns also bewusst werden, dass viele Menschen die Frage „Warum glauben Sie das?” gar nicht sinnvoll beantworten können. Ich war neulich überrascht von den Empfehlungen anderer betrieblicher Marktforscher auf die Frage, welches Institut sie für eine genannte Aufgabenstellung empfehlen würden. Es waren mehrere kleinere und eher jüngere, mir unbekannte Institute dabei, die bei ihren Auftraggebern aber offensichtlich eine hohe Zufriedenheit bewirkt haben. Das bedeutet den sehr bewussten Umgang mit – und die Abkehr vom naiven Gebrauch von – direkten Befragungsmethoden und einen verstärkten Einsatz von Messmethoden mit höherer Validität. Unser Verhalten beispielsweise können wir präzise beobachten – die Marktforschung kann das durch ethnographische Ansätze darstellen. Auch Social Media Listening bietet die Möglichkeit zuzuhören, ohne eine Frage zu stellen, ebenso wie Netnography. Mit biometrischen Messungen wie Eye-Tracking oder Facial Imagery Recognition Software können körperliche Reaktionen erfasst werden, die nicht künstlich durch einen Postrationalisierungseffekt beeinflusst sind. 8 BVM inbrief August 2013 Zum Zweiten ist New Market Research für mich der Ansatz, Menschen – Endverbraucher – aktiv in das unternehmerische Tun und Denken einzubeziehen. Dieses iterative, kollaborative Vorgehen eröffnet uns die Kreativität und Kooperationsbereitschaft unserer Endkunden. Co-Creation und Crowdsourcing sind zentrale Konzepte dieses neuen marktforscherischen Denkens. Market Research Online Communities (MROCs) sind bei Innovationsprozessen enorm nützlich, schnell und kosteneffizient, Open-Innovation-Projekte ebenso. Denken Sie, dass Marktforschungsinstitute gut genug auf die von Ihnen beschriebenen Facetten der neuen Marktforschung vorbereitet sind? Es gibt eine große Bandbreite: Manche Institute gehen offen mit dem Wandel um, andere – so mein Eindruck – verdrängen lieber, ziehen Bewährtes vor. Die Frage der Geisteshaltung scheint mir hier eher entscheidend als die Firmengröße. Nichtsdestotrotz: der Wandel bietet durchaus Chancen für Newcomer, die von Natur aus kleiner sind; ich war neulich überrascht von den Empfehlungen anderer betrieblicher Marktforscher auf die Frage, welches Institut sie für eine genannte Aufgabenstellung empfehlen würden. Es waren mehrere kleinere und eher jüngere, mir unbekannte Institute dabei, die bei ihren Auftraggebern aber offensichtlich eine hohe Zufriedenheit bewirkt haben. Edward Appleton Senior European Consumer Insights Manager, AVERY Dennison Zweckform, Holzkirchen Sie selbst sind ja auch Auftraggeber: Was wird sich für die Kundenseite durch New Market Research verändern? Einiges. Ich würde sogar von Aufbruch reden, im positiven Sinne. Früher war man eine Art neutraler Instanz, oft mit wissenschaftlichem Touch, weit weg vom Geschehen im Markt und im Vertrieb. Heute wird das nicht mehr gewünscht, „Actionability” – aus einer Studie eine klare Handlungsempfehlung ableiten zu können – ist immer gefordert; man wünscht sich eine stärkere operative Einbindung. Häufig spielt die Marktforschung in interdisziplinären Teams eine zentrale Rolle; bei Innovationsprozessen zum Beispiel wird man früh eingebunden. Auch der Fokus ist leicht anders – die Betonung liegt mehr auf der Identifizierung von Wachstumschancen. Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Vorteile von New Market Research? Die Qualität der Information ist dadurch eindeutig gestiegen, und damit auch die interne Glaubwürdigkeit. Marktforschung hat ein etwas trockenes Image, teilweise sind wir unter Kreativen als Ideen-Killer unbeliebt. Mit den neuen Methoden bringen wir eine Frische in unser Tun, die früher gefehlt hat. Wir sind schneller mit Antworten da, beweisen durch unsere Nutzung von Web 2.0 – Social Media, Online Communities, Netnography –, dass wir durchaus aktuell handeln und denken. Wir sind nicht „out-of-touch”. Es gibt zwei Lager, die man auf den ersten Blick in „jung” und „älter” einteilen könnte. Auf den zweiten Blick sollte man zwischen Menschen unterscheiden, die offen sind für Wandel, und anderen, die sich an bestehende Strukturen klammern, getreu dem Motto: „Das machen wir schon immer so.” Marktforscher sind von Natur aus vielleicht eher zurückhaltende Menschen. Wir verabscheuen die Eigenvermarktung, alles Marktschreierische ist uns fremd. Diese Qualitäten sind bewundernswert, aber vielleicht eine Bremse. New Market Research polarisiert – so mein Empfinden. Manche Institute vermarkten ihre New-Market-Research-Services sehr aggressiv, erwecken damit den Eindruck, dass alles andere keinen Wert hat. Das kann durchaus irritieren, weil es pauschalisierend und simplifizierend ist. Andere Institute tun New Market Research als modische Erscheinung ab: „Die kochen auch nur mit Wasser”, so lautet zumindest nach außen die Beurteilung. Ob diese Reaktion eher durch Verunsicherung geprägt ist? Welche neuartigen Tools oder Instrumente finden Sie besonders spannend? Insbesondere Online Market Research Communities sind Tools, die bereits als erfolgreich bezeichnet werden können. Sie sind im Mainstream gelandet, bei Innovationsprozessen sind sie von zentraler Bedeutung. Beim Crowd-Sourcing sehe ich eine positive Entwicklung, vor allem wenn End-User mit Designern und Produktentwicklern zusammengebracht werden. Ich bin ein Fan von Netnography als Shortcut einer echten Ethnographie: sie ist schneller, kostengünstiger und teilweise ideenreicher. Schauen Sie sich Pinterest an – da gewinnt man sehr schnell einen Einblick in idealisierte Welten, die schon visualisiert sind, da treffen sich Insights mit Inspiration, eine tolle Kombination. Aus Kundensicht begrüße ich New Market Research als eine erfrischende Ergänzung des verfügbaren Instrumentariums. Je nach Aufgabestellung, Budgetgröße und Timing-Druck kann man eine neue Methode zur internen Validierung einsetzen. Für sehr wichtige, strategische Projekte geht sicherlich niemand ein Risiko ein. Bei kleineren Projekten oder in Bereichen wie Innovationsprojekten, wo eher nichts gegeben ist als „die richtige Antwort”, sehe ich durchaus die Notwendigkeit zum Experimentieren. Welchen Stellenwert haben aus Ihrer Sicht die angesprochenen Methoden, aber auch die Idee des New Market Research bei den Marktforschern? Vernetzung muss großgeschrieben werden. Im Rahmen von Big Data ist es der IT-Bereich, in der Produktentwicklung ist es der F&E-Bereich etc. Marktforscher sind von Natur aus vielleicht eher zurückhaltende Menschen. Wir verabscheuen die Eigenvermarktung, alles Marktschreierische ist uns fremd. Diese Qualitäten sind bewundernswert, aber vielleicht eine Bremse. Wir müssen künftig mit vielen Datenströmen arbeiten, um ernsthaft das Wort Insights zu verwenden. Solche andere Daten – Umsatz- und Profitabilitätszahlen, Kundenfeedback, Metrics aus anderen Abteilungen wie zum Beispiel Internet-Marketing – sind oft in den Fachabteilungen zu finden. Um von den anderen Abteilungen den nötigen Support zu bekommen, sogar den Zugriff auf die Daten, muss die Marktforschung proaktiv handeln, einen Schulterschluss suchen – sonst bleiben uns die Datastreams eher verschlossen. Das stille Kämmerlein des Zahlen-Gurus muss sich öffnen, wir müssen uns zeigen. Dr. Michael Bartl BVM-Vorstand Profession INHALT Herr Appleton, noch eine abschließende Frage: Wie würden Sie die Beziehung zu anderen Disziplinen und Fachabteilungen beurteilen, wird es hier auch Veränderungen geben müssen? Besten Dank für das Interview. BVM inbrief August 2013 9 INHALT Profession Marktforschung 2013 Abgrenzung od Dr. Benedikt Köhler, d.core, zu den aktuellen Entwicklung im Markt der Informationsdienstleistungen und den möglichen Auswirkungen auf die Profession Der niederländische Verband MOA hat sich in den letzten drei Jahren intensiv mit Entwicklungen im Markt der Informationsdienstleistungen beschäftigt, zu dem ja nicht nur die Marktforschung gehört, sondern eine wachsende Zahl nicht unter dem Etikett „Marktforscher” auftretender, ebenfalls hoch qualifizierter Dienstleister und Spezialisten. Auf dem diesjährigen BVM-Kongress in Berlin bezog Benedikt Köhler Position zu den Thesen, die der Generaldirektor von MOA, Wim van Slooten, zur neuen Verbandspolitik vorgetragen hatte (siehe dazu auch den ausführlichen Bericht im BVM inbrief 1/2013) Dr. Benedikt Köhler, Director Data & Innovation, d.core, München, studierte an der LMU München Soziologie, Ethnologie und Psychologie. 2008 war er Mitgründer der Arbeitsgemeinschaft Social Media e.V., dem ersten Branchenverband für Social Media in Deutschland, deren stellvertretender Vorstand er gegenwärtig ist. Er war unter anderem als COO bei dem Hamburger SocialMedia-Monitoring-Anbieter ethority für das operative Geschäft zuständig und leitete als Director Digital Strategy & Research die Marktforschungs- und Strategiebereiche. Er bloggt unter blog.metaroll.de und beautifuldata.net über Data Science und Visualisierung. 10 BVM inbrief August 2013 INHALT Vor fast 20 Jahren habe ich Organisations- und Berufssoziologie studiert. Ich hätte nie gedacht, dass ich die Studien und Forschungsfragen, denen ich mich damals gewidmet habe, je wieder brauchen würde. Doch die gegenwärtige Entwicklung im niederländischen Marktforschungsverband MOA scheint mir ein perfekter Anlass zu sein, mich wieder mit diesen Themen zu beschäftigen. Wim van Slooten beschreibt die aktuelle Situation der Branche wie folgt: Zwei Ereignisse hätten die Marktforschung in den vergangenen Jahren vor allem erschüttert, einerseits das wirtschaftlich katastrophale Jahr 2009, andererseits die Folgen der Entstehung neuartiger Forschungsmethoden, neuer Dienstleister und Datenquellen. Plötzlich sehe es aus der Perspektive der etablierten Marktforschungsinstitute so aus, als hätten all diese neuen, sehr hippen Konkurrenten das große Los gezogen: sie generieren neues Geschäft, gewinnen Kunden und verdienen mit Marktforschung gutes Geld. Natürlich ist das eine große Bedrohung für einen professionellen Verband, der bis dahin das Berufsfeld der Marktforscher repräsentiert hat. Denn das Problem ist, dass diese neuen Unternehmen sich selbst nicht Marktforscher nennen. Sie firmieren als Insight-, Analyse-, Data-Mining- oder Market-Intelligence-Dienstleister und nicht als Marktforschungsinstitute. Noch schlimmer ist, dass den Kunden offensichtlich egal ist, unter welcher Bezeichnung die Forschung, die sie in Auftrag geben, firmiert. Solange ihre Dienstleister geltende Rechts- oder Verhaltenskodizes beachten und praktisch umsetzbare Insights liefern, spielt es keine Rolle, ob die Ergebnisse von einem Marktforschungsinstitut oder von einem irgendeinem angesagten Data-orientierten Dienstleister stammt. Ich glaube, dass eine solche Debatte um Relevanz und Reinheit der Marktforschungsprofession auch in Deutschland geführt werden wird und dass der Druck wächst, strategische Entscheidungen zu treffen. Dazu eine Anmerkung: Im Februar war ich im Silicon Valley und besuchte dort die „Strata Conference”, die wohl weltweit größte Konferenz zu den Themen Big Data, Datenanalyse und Profession er Öffnung Market Research Reloaded Der niederländische Marktforschungsverband MOA unternimmt einiges, um die Anbieter der sogenannten New Market Research in den Verband zu integrieren. Angesichts des derzeit atemberaubenden technologischen Fortschritts erlebt nach Ansicht des niederländischen Marktforscherverbands MOA die Branche eine beispiellose Phase der Veränderung. Da neue Anbieter von Informationsservices gegenwärtig mit Macht auf den Markt drängten, müsse – so der Verband – die Branche schnell reagieren. Sie sollte die revolutionäre technologische Entwicklung als eine konstruktive Kraft auffassen, die der Marktforschung insgesamt Nutzen bringe. Genau damit hat der MOA Ende 2009 begonnen. Er hat sich zugunsten der Alternative entschieden, seine Grenzen auszuweiten, und ist überzeugt, dass es für die Marktforschungsbranche von höchster Bedeutung ist, sich den neuen Anbietern zu öffnen und die Neulinge davon zu überzeugen, dass MOA ihre Interessen am besten vertreten kann. Siehe dazu den Beitrag von Wim van Slooten im BVM inbrief 1/2013 Intelligence. Ich traf dort buchstäblich niemanden, der sich Marktforscher nannte, obwohl die Teilnehmer in ihren Unternehmen – von Electronic Art bis hin zu Wallmart – allesamt Aufgaben erfüllten, die wir in Deutschland Marktforschung nennen würden. Sie alle waren sogenannte Data Scientists. Jetzt komme ich zurück auf die Berufssoziologie. Wenn eine Profession durch eine Situation wie die oben beschriebene bedroht wird, gibt es grundsätzlich zwei Optionen. Die erste scheint zunächst widersinnig zu sein, ist historisch betrachtet aber die häufigere – noch mehr Konzentration auf die professionellen Standards, ethischen Normen und Zuständigkeitsbereiche, kurz: die verstärkte Abgrenzung der eigenen ProfesBVM inbrief August 2013 11 Profession INHALT sion gegenüber anderen. Dieses Verhaltensmuster kann man häufig bei Sekten und religiösen Vereinigungen beobachten. Wenn etwas nicht eintrifft oder nicht funktioniert – beispielsweise der Weltuntergang, der nie stattfand, oder UFOs, die nicht gelandet sind –, dann ändern die Mitglieder nicht ihre Meinungen, sondern intensivieren ihren Glauben an ihr (bedrohtes) Glaubenssystem. Die zweite Option hat eine disruptive Wirkung. Sie bedeutet, dass man einige der Standards aufgibt und sich neuen Mitgliedern gegenüber öffnet, um für die Profession ein bisschen Glamour zurückzugewinnen. Natürlich funktioniert diese Option nicht nach dem Schema Business as usual. Die Mitglieder müssen harte Entscheidungen treffen, um zu retten, was sie als den Kern ihrer Werte ansehen. Grundsätzlich ist das eine Abwägung zwischen Relevanz und Reinheit der Überzeugungen. Ich bin überzeugt, dass es inspirierende neue Formen Data-orientierter Forschung in Deutschland geben wird. Und ich fühle – oder hoffe –, dass die Entscheidung darüber noch nicht gefallen ist, ob die Profession gewillt ist, sich zu verändern und sich zu öffnen, oder ob sie sich weiterhin abgrenzen und auf ihre Kernüberzeugungen zurückziehen will. Ich glaube, dass eine solche Debatte um Relevanz und Reinheit der Marktforschungsprofession auch in Deutschland geführt werden wird und dass der Druck wächst, strategische Entscheidungen zu treffen. Die Herausforderungen der „neuen Marktforschung” sind allgegenwärtig: 1.Passive Datensammlung und Data Mining in Sozialen Netzwerken, Blogs und Twitter Diese Ansätze erfüllen zwar in der Regel die Servicebedingungen der jeweiligen Plattformen, eröffnen jedoch neue Problemfelder in Datenschutz und Urheberrecht. In diesem Zusammenhang aktuell interessant: Beim Social-MediaMonitoring von marktforscherlich orientierten Unternehmen werden die hinter den Kommentaren stehenden Personen als Verbraucher betrachtet. Ganz anders die eher am Mediamonitoring orientierten Unternehmen, die zum Beispiel klassische Presse-Clippings erstellen: für sie sind die hinter den Posts stehenden Menschen öffentliche Kommunikatoren. Das Lustige ist, dass beide die gleichen Leute beobachten. Während jedoch für die ersten der Schutz persönlicher Daten die wesentliche Herausforderung ist, ist es für die zweite Gruppe das Urheberrecht. 12 BVM inbrief August 2013 2.Neue berufliche Anforderungen seitens der „Data Scientists” Die Mitglieder der neuen Profession haben nicht nur gelernt, Forschungsprojekte durchzuführen und Daten zu interpretieren, sondern sie sind auch in der Lage, Big-Data-Software zu implementieren und zu programmieren. Das ist für die Profession ein ganz entscheidender Punkt, denn er definiert die Art und Weise, wie Wissen und Erkenntnisse der Profession weitergegeben werden und was die zur Marktforschung gehörenden Menschen praktisch tun – und nicht, was sie meinen zu tun und darzustellen. 3.Wachsender Widerstand der Verbraucher gegenüber langen und langweiligen Marktforschungsprojekten und die höchst problematische Entstehung einer Befragungsteilnehmer-„Profession” Befragungsteilnehmer repräsentieren keinesfalls mehr den „durchschnittlichen” Verbraucher. Denkt man diese Entwicklung weiter, ist nicht nur eine Profession von Marktforschern denkbar, die ihren Lebensunterhalt mit guter Forschung verdient. Es könnte ebenso gut eine Profession von Studienteilnehmern geben, die davon lebt, gute Fragebögen zu beantworten. Außerdem nimmt die Faszination der Daten allseits zu. Das bedeutet unzählige Möglichkeiten, inspirierende Marktforschung zu betreiben, die aussieht und sich anfühlt wie ein Spiel und die dem Studienteilnehmer einen realen Gegenwert für seine Mitarbeit vermittelt: nicht nur in Form von Fünf-Euro-Gutscheinen, sondern auch durch ein besseres Verständnis des eigenen Lebens. Diese drei Themen werden Kern der sich abzeichnenden Debatten über die Zukunft der Marktforschung sein: erstens Standards und Richtlinien, zweitens Qualifikation und Fertigkeiten sowie drittens Ethik und Engagement gegenüber der Allgemeinheit. Ich glaube sogar, dass der dritte Punkt die eigentliche Herausforderung sein wird, weil er unmittelbar mit guter Forschung und validen Ergebnissen zusammenhängt, während Fragen des Datenschutzes von Juristen bearbeitet werden können. Und da ist die neue Profession, die in den Marktforschungsmarkt eindringt und Lösungen liefert. Wenn es um die Frage geht, was es heißt, gute Forschung zu betreiben, dann sind es in dieser Situation in erster Linie die Marktforscher, die eine Lösung liefern müssen. Ich bin überzeugt, dass es inspirierende neue Formen Dataorientierter Forschung in Deutschland geben wird. Und ich fühle – oder hoffe –, dass die Entscheidung darüber noch nicht gefallen ist, ob die Profession gewillt ist, sich zu verändern und sich zu öffnen, oder ob sie sich weiterhin abgrenzen und auf ihre Kernüberzeugungen zurückziehen will, in der Hoffnung, dass die UFOs schließlich doch noch landen und das goldene Zeitalter mitbringen werden. Research & Results 2013 Neuer Service Besuchen Sie uns auf der Messe im Oktober in München Sammlung von Gerichtsurteilen auf der BVM-Website Am 23. und 24. Oktober findet im Münchner MOC die Research & Results 2013 statt. Auch bei der achten Auflage der Marktforschungsmesse ist der BVM wieder mit einem Stand vertreten. Wir laden alle BVM-Mitglieder und Messebesucher herzlich ein, uns in Halle 1 zu besuchen und sich persönlich über die neuesten Angebote und Services des Verbandes zu informieren. In der Markt- und Sozialforschung gibt es viele schwierige Rechtsfragen. Einen ersten Überblick über die aktuelle juristische Auffassung eines Falls erhält man mit wegweisenden Entscheidungen eines ähnlich gelagerten Prozessausgangs. Auf der Website des BVM gibt es nun mit der Urteilssuche den passenden Service. Treffen Sie hier andere BVM-Mitglieder, Vertreter des Vorstands und die Mitarbeiter der Geschäftsstelle persönlich und teilen Sie uns Ihre Anliegen, Wünsche und vielleicht auch Ideen mit, welche Themen der Verband verfolgen und in seiner Arbeit berücksichtigen sollte. Das Team der BVM-Geschäftsstelle freut sich auf Sie! Sie finden uns in diesem Jahr in Halle 1 am Stand 123. BVM-Services INHALT Möglich wurde die Einrichtung der Urteilssuche durch die Unterstützung der Kanzlei Prof. Schweizer, die hierfür ihre Urteilsdatenbank zur Verfügung stellt. In der Suchmaske kann mit Schlüsselbegriffen im Urteilsarchiv der Kanzlei recherchiert werden. Neben der Markt- und Sozialforschung stehen auch Entscheidungen aus anderen relevanten Rechtsgebieten wie Datenschutz-, Internet- und Markenrecht zur Verfügung. Ein Urteil ersetzt zwar keine Rechtsberatung für den jeweiligen Einzelfall, verschafft aber einen Überblick über die gegenwärtige Rechtsprechungspraxis, auch wenn sich jeder Fall in seinen Feinheiten unterscheidet. Den neuen Service finden Sie unter www.bvm.org/urteilssuche. BVM-Jobbörse Branchenspezifische Stellenangebote beim BVM Seit der Einführung der Jobbörse ist die BVM-Website auch für Stellensuchende im Bereich betrieblicher und Institutsmarktforschung eine wichtige Anlaufstelle. Unternehmen und Institutionen aus der Markt- und Sozialforschung, die eine Festanstellung, einen Aus bildungsplatz oder ein Praktikum anbieten wollen, treffen hier auf die passende Zielgruppe. Die Einstellung eines Jobangebots kostet bei einer Laufzeit von acht Wochen zwischen 80 und 250 Euro, korporative Mitglieder erhalten Mitgliedsrabatte. Für Stellensuchende ist die Nutzung des Portals kostenlos. Weitere Informationen: www.bvm.org/jobboerse BVM inbrief August 2013 13 INHALT BVM-Services BVM-Seminare Programm im Herbst 2013 Der BVM bietet in diesem Herbst wieder ein hochwertiges und thematisch differenziertes Seminarprogramm mit 32 Veranstaltungen an. Das Angebot ist auf die Bedürfnisse von Einsteigern, Fortgeschrittenen und Profis ausgerichtet. Es beinhaltet neben den Grundlagenkursen Seminare in den Bereichen qualitativ-psychologischer Forschung, Statistik, Marketingforschung, betrieblicher Marktforschung und Management. Detaillierte Beschreibungen und wichtige Auskünfte zu den einzelnen Seminaren sind auf der BVM-Website unter www.bvm.org/seminare abrufbar. Bei einer Entscheidung für das passende Weiterbildungsangebot kann das entsprechende Seminar gleich online gebucht werden. Das geht sowohl über ein Buchungsformular als auch über einen Account im persönlichen Nutzerbereich „Mein BVM“. Ein eigener Account in „Mein BVM“ macht eine Buchung einfach. Denn die für die Registrierung nötigen Daten müssen nur einmal eingeben bzw. können jederzeit aktualisiert werden. Über eine webbasierte interaktive Seminarplattform erhalten Teilnehmer organisatorische Hinweise zu ihrem Seminar und zur Anreise. Darüber hinaus können sie dort ihre Seminarunterlagen herunterladen und Kontakt zu den Referenten aufnehmen. In Berlin finden die Seminare im zentral gelegenen Hotel NH Berlin-Mitte in der Nähe des Potsdamer Platzes oder in der BVM-Bundesgeschäftsstelle in der Friedrichstraße statt. Anmeldung und weitere Informationen: BVM-Geschäftsstelle Tel. 030-49 90 74 20 [email protected] www.bvm.org/seminare BVM-Seminare im Herbst 2013 NEU 12. – 13.09.2013 Online Marketing für Markt forscher 15. – 16.10.2013 Grundlagen der Statistik 16. – 18.09.2013 Präsentationstechniken o ptimieren 17. – 18.10.2013 Aktualisierung der Markt forschungspraxis 19. – 20.09.2013 Beratertraining für betriebliche Marktforscher: Top-Management- Kommunikation und Verhandlungstechnik 23. – 23.09.2013 Open Innovation und Co-Creation 24. – 25.09.2013 Grundlagen der qualitativen F orschung 26. – 27.09.2013 Auswertung qualitativ-psycho- logischer Untersuchungen 30.09. – 01.10.2013 Aktuelle Trends in der Werbe wirkungsforschung 07. – 08.10.2013 Competitive Intelligence NEU 18. – 18.10.2013 Marktforscher = Rechtsexperte? 21. – 22.10.2013 Conjoint Analyse – Modelle und Anwendungsbeispiele 28. – 29.10.2013 Multiple Erklärungsmodelle – Regressions- und Varianzanalysen NEU 12. – 12.11.2013 Professionelle Preisoptimierung 13. – 15.11.2013 Einführung in die Marktforschung 18. – 19.11.2013 Mobile Research 21. – 22.11.2013 Frage- und Explorationstechniken 25. – 26.11.2013 Social Media NEU 29. – 29.11.2013 Datenschutz NEU 02. – 03.12.2013 Finanzmarktforschung 28. – 29.10.2013 Betriebliche Marktforschung 30. – 31.10.2013 Beratertraining für betriebliche Marktforscher 30. – 31.10.2013 Morphologische Markt- und M edienwirkungsforschung 09. – 10.10.2013 Insight- und Concept-Generation 05. – 06.11.2013 Vertiefung der quantitativen Marktforschungspraxis 10. – 11.10.2013 Beratungskompetenz für I nstitutsmarktforscher 07. – 08.11.2013 Moderation von Gruppen diskussionen und Workshops 14 BVM inbrief August 2013 11. – 12.11.2013 Marktforschung mit impliziten Messverfahren 04. – 04.12.2013 Online-Panels Inside 05. – 06.12.2013 Kreativitätstechniken für die q ualitative Forschung NEU 09. – 10.12.2013 SPSS für Marktforscher – Anwendung der Statistik 11. – 12.12.2013 Kundenzufriedenheit und Servicequalität als Erfolgsfaktor Marktforschung 2013/2014 ESOMAR-Kongress BVM Handbuch soeben erschienen 15 Prozent Rabatt für BVM-Mitglieder Die aktuelle Ausgabe des vom BVM Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher e.V. herausgegebenen Nachschlagewerks „Marktforschung 2013/2014“, gibt einen nahezu vollständigen Überblick über die relevanten Dienstleister aus der Marktforschungsbranche. „Think Big“ heißt das Thema des 66. Esomar-Kongresses, der vom 22. bis zum 25. September 2013 in Istanbul stattfindet. BVM-Services INHALT Esomar bietet BVM-Mitgliedern in diesem Jahr einen Sonderrabatt an: Bei Buchung des Gesamtkongresses erhalten BVM-Mitglieder eine Ermäßigung von 15 Prozent. Wichtig zu wissen: Diejenigen, die sowohl Mitglied bei Esomar als auch im BVM sind, können nur eine der Rabattvergünstigungen in Anspruch nehmen. Für die Registrierung ist die Eingabe eines Codes erforderlich, der bei der BVM-Geschäftsstelle angefordert werden kann. Das Angebot gilt bis zum 22. September. Weitere Informationen zum Kongress und Anmeldung: www.esomar.org Neue Veranstaltungsreihe BVM-Anwender-Workshop Für Nutzer wie für Anbieter von Markt- und Sozialforschung in Wirtschaft, Industrie und Institutionen ist das Handbuch damit eine wichtige Informationsquelle bei der Suche nach dem richtigen Dienstleister und Partner. Neben den Angebotsprofilen der Unternehmen bietet der über 500 Seiten starke Band weitere Fachinformationen zum Nachschlagen: nationale und internationale berufsspezifische Regelwerke mit Mustertexten, ein Glossar der Marktforschungsbegriffe, Zahlen zur Entwicklung der Branche, Informationen zu Ausbildungsmöglichkeiten sowie weiteren Branchenverbänden und Initiativen. Alle im BVM Handbuch präsentierten Unternehmen sind auch im BVM NET auf www.bvm-net.de vertreten. Hier können online Leistungen recherchiert und weitere aktuelle Firmeninformationen abgerufen werden. Das BVM Handbuch erscheint jährlich neu mit einer Auflage von 2000 Exemplaren. Bis zum 31. August 2013 gilt ein Subskriptionspreis von 60 Euro netto. Zu beziehen ist es beim BVM Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher und im Fachbuchhandel. Preise und Bezugsadresse: Subskriptionspreis bis 31.8.2013: 60 Euro zzgl. Mwst. Preis ab 1.9.2013: 75 Euro zzgl. Mwst. Bestellung online unter www.bvm.org/handbuch oder im Fachhandel (ISBN 978-3-935149-13-6) In Zusammenarbeit mit verschiedenen Anbietern der Branche führt der BVM eine neue Veranstaltungsreihe ein. Im Mittelpunkt eines eintägigen Anwender-Workshops stehen aktuelle Tools oder Produkte eines Unternehmens. Zielsetzung ist die praktische Erprobung, inwieweit diese für die Marktforschung genutzt und als Ergänzung zu klassischen Forschungsansätzen herangezogen werden können. In einem umfangreichen Praxisteil haben die Teilnehmer Gelegenheit, die jeweiligen Tools zu testen und erste eigene Ergebnisse zu erzielen. Die BVM-Anwender-Workshops richten sich an Fach- und Führungskräfte aus Marktforschung und Marketing sowie an Mitarbeiter in Kommunikations- und Mediaagenturen. Marktforschung von und mit Google – Verfügbarkeit, Einsatzmöglichkeiten und Ergebnisse ist der Titel des ersten Anwender-Workshops, der gemeinsam mit Google Deutschland am 10. September 2013 in Berlin stattfindet. Ein weiterer Workshop mit Tobii findet am 4. November 2013 ebenfalls in Berlin statt: Die Welt mit den Augen des Konsumenten sehen – Mehrwert durch Eyetracking als integrativer Bestandteil von Marktforschungsstudien BVM inbrief August 2013 15 Preis der Deutschen Marktforschung INHALT Excellence Vorbilder, Vorreiter und Innovatoren Der Preis der Deutschen Marktforschung ist eine Auszeichnung für hervorragende Arbeit und für Engagement Auf der festlichen Gala anlässlich des 48. BVM-Kongresses im Tipi am Kanzleramt ehrte der Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher zum neunten Mal die Sieger im Wett bewerb um den Preis der Deutschen Marktforschung. Moderiert wurde die Preisverleihung, wie schon vor zwei Jahren, von Timo Wopp, Kabarettist und Jongleur, und Sabine Menzel, Henkel AG und Jury-Mitglied. In diesem Jahr wurden neben der Persönlichkeit des Jahres in drei weiteren Kategorien Wettbewerbsbeiträge prämiert. Folgende Personen und Arbeiten wurden ausgezeichnet: 16 BVM inbrief August 2013 Als Persönlichkeit des Jahres wegen seiner besonderen Leistungen für die Markt- und Sozialforschung wurde Richard Hilmer, Geschäftsführer von Infratest dimap, Berlin, ausgezeichnet. Preis der Deutschen Marktforschung INHALT v.l.n.r. Timo Woop und Sabine Menzel (Moderatoren), Johannes Hercher, Rogator (Innovationspreis), Dr. Stefan Hattula (BVM/VMÖ Nachwuchsforscher Dissertation), Martin Krautsieder, SevenOne Media (Innovationspreis), Carmen Wilhelms (BVM/VMÖ Nachwuchsforscher Diplomarbeit), Richard Hilmer (Persönlichkeit), Michael Pusler, BVM-Vorstand und Laudator, Gudrun Kneißl, MAN Truck & Bus, und Dr. Alexander Fink, ScMI (Best Paper) Mit dem Innovationspreis werden Methoden oder Verfahren ausgezeichnet, die methodisch innovativ sind und gegenüber bestehenden Ansätzen Effektivitäts- und Effizienzvorteile aufweisen. In diesem Jahr ging der Preis an die Unternehmen Rogator, Nürnberg, und SevenOne Media, München, für ihren Beitrag zur Entwicklung einer neuartigen Hybridtechnologie, mit der Online-Umfragen via HbbTV durchgeführt werden können. In der Kategorie Best Paper wurde zum zweiten Mal der beste Beitrag prämiert, der im Rahmen des Call for Papers zum Kongress der Deutschen Marktforschung eingereicht wurde. Die Jury entschied, in diesem Jahr Gudrun Kneißl, MAN Truck & Bus, München, und Dr. Alexander Fink, ScMI, Paderborn, für ihren Beitrag „Gemeinsame Branchenzukünfte vorausdenken – Szenarien zur Zukunft urbaner Mobilität, Nutzfahrzeuge und busbasierten Reiseverkehrs“ auszuzeichnen. BVM/VMÖ Nachwuchsforscher des Jahres Dieser gemeinsam mit dem österreichischen Marktforscherverband VMÖ vergebene Preis geht an jüngere Wissenschaftler, die herausragende Dissertationen sowie Master- und Diplomarbeiten verfasst haben. Preisträger in der Kategorie Dissertation ist Dr. Stefan Hattula mit der Arbeit zum Thema „Effektivität des Signaling in Erfahrungsgütermärkten“ und in der Kategorie Diplomarbeit Diplom-Kauffrau Carmen Wilhelms mit ihrer Arbeit „The Dark Side of Word-of-Mouth“. Weitere Informationen zu den Preisträgern und Nominierten im diesjährigen Wettbewerb finden Sie unter www.preisderdeutschenmarktforschung.de BVM inbrief August 2013 17 Preis der Deutschen Marktforschung INHALT Richard Hilmer, Geschäftsführer Infratest dimap, Berlin So unstetig sich die Wähler inzwischen zeigen, Richard Hilmer gehört zu den Stetigen in der Welt der Markt- und Sozialforschung. Der heute 61-Jährige ist nicht nur einer der profiliertesten Meinungsforscher des Landes, er arbeitet auch seit dem Studium bei ein und demselben Arbeitgeber. In den 70er-Jahren hatte er Soziologie, Psychologie und Wirtschaftsgeschichte in München studiert und begann seine Berufskarriere 1982 als Projektleiter bei Infratest Burke. 1990 ging er nach Berlin und baute dort Infratest Burke Berlin auf, das seit 1996 als Infratest dimap firmiert und auf Politik- und Wahlforschung spezialisiert ist. Infratest dimap ist im Bereich der Wahlforschung exklusiver Partner der ARD und arbeitet für eine Reihe namhafter Tageszeitungen. Neben Meinungen zu aktuellen Themen erhebt und analysiert das Institut regelmäßig politische Trends. Seit 1997 ist Richard Hilmer Geschäftsführer des Unternehmens. 18 BVM inbrief August 2013 Persönlichkeit des Jahres 2013 Vorbild unserer Branche Richard Hilmer, Infratest dimap, für seine herausragenden Leistungen für das Image der Branche im Wahljahr 2013 ausgezeichnet Der diesjährige Preisträger ist sicher einer der Protagonisten der Wahlforschung, der die Profession zu hohem Ansehen geführt hat und dem das Prädikat des Herausragenden in seiner Zunft gebührt. Mit ihm ehrt die Jury im Wahljahr 2013 mit einer Bundestags- und einzelnen Landtagswahlen eine Persönlichkeit, die zugleich viel für das Renommee der Markt- und Sozialforschung im Bild der Öffentlichkeit geleistet hat und weiterhin leistet. Die Relevanz und Leistungsfähigkeit der Markt- und Sozialforschung einem breiten Publikum anschaulich gemacht und durch seine Arbeit nachhaltig deren Bedeutung für das Verständnis gesellschaftlicher Prozesse geprägt zu haben, ist aus Sicht der Jury zum Preis der Deutschen Marktforschung nicht nur preiswürdig, es ist auch ein besonderes Verdienst der „BVM-Persönlichkeit 2013“. Wahlforschung sorgt für Transparenz im politischen Willensbildungsprozess. Und dies sowohl für die Vertreter aus der Politik, die sich beispielsweise mit ihren laufend aktualisierten, immer exakteren Hochrechnungen an den Wahlabenden regelmäßig einem belebenden Wechselbad der Gefühle aussetzen, als auch für die Bürger selbst, die dies lustvoll nachempfinden. Sie hatte in der Vergangenheit nicht zuletzt auch deshalb entscheidenden Anteil an der Diskussion mit politischen Entscheidungsträgern über den Paragraphen 30a BDSG und unter anderem so dem Berufsstand seine wissenschaftlich fundierte Existenzberechtigung weiter ermöglicht. Dadurch, dass Wahlforschung Themen des Alltags aufgreift, wird die wissenschaftliche Grundlage der Gesellschafts- und Sozialwissenschaften konkret, anschaulich und greifbar und bleibt nicht trockene akademische Theorie. Das erfordert vom Wahlforscher eine hohe Kunst der Einordnungs- und Interpretationsleistung ebenso wie die verständliche Vermittlung an ein breites Zielpublikum. Dies versteht unser diesjähriger Preisträger Richard Hilmer, Infratest dimap, meisterhaft. Richard Hilmer kann eine über zehnjährige mediale Präsenz im Fernsehen mit regelmäßig hohen Einschaltquoten vorweisen und ist in dieser Zeit zu einem Gesicht der Marktforschung geworden. Einst von der Financial Times Deutschland als „öffentlich-rechtlicher Volksvermesser Deutschlands“ tituliert, bietet er über die Vermittlung von Marktforschungsergebnissen dem Zuschauer Politik zum Anfassen. Seine Analysen kommen immer auf den Punkt, er ist verbindlich in seiner Art und ist mit über 30 Jahren Berufserfahrung zudem mit Sicherheit einer der Profiliertesten und Anerkanntesten, wenn man ergänzend seine Präsenz auf Fachtagungen und Foren mit heranzieht. Preis der Deutschen Marktforschung INHALT Ich freue mich und es ist mir zugleich eine große Ehre, Herrn Richard Hilmer als Marktforscherpersönlichkeit 2013 auszeichnen zu dürfen. Herr Hilmer, Ich darf Sie auf die Bühne bitten. Michael Pusler, BVM-Vorstand und Mitglied der Jury „Ich komme von der Soziologie, verbinde aber seit meinem Berufseinstieg bei Infra test im Jahr 1982 Sozial- und Politikforschung mit „klassischer Marktforschung“. Nur die Gewichtung beider Ansätze hat sich immer wieder verschoben. Überwog anfangs die Politikforschung, dominierte bei meinem Umzug von München nach Berlin die Marktforschung. Hier bestand meine Hauptaufgabe darin, in den neuen Bundesländern die Umfrageforschung aufzubauen. Als dies erfolgreich abgeschlossen war, konzentrierte ich mich wieder stärker auf meine alte Leidenschaft, die Politikforschung – was bei dem Standort Berlin als künftiger Hauptstadt und Regierungssitz ja nahe lag. Erst mit der erfolgreichen Bewerbung um die ARD-Wahlberichterstattung neigte sich das Pendel endgültig in Richtung Wahlforschung – denn diese Art von öffentlich sichtbarer Forschung erfordert volle Aufmerksamkeit.“ Richard Hilmer in einem Interview in der Juliausgabe der Research & Results 2013 BVM inbrief August 2013 19 Preis der Deutschen Marktforschung INHALT Innovationspreis 2013 Rogator und SevenOne Media Neue Hybridtechnologie Online-Umfragen via HbbTV Die Verfügbarkeit und Stabilität des Internets haben sich in den letzten Jahren enorm verbessert. Die Konsumgüterindustrie hat diese Entwicklung genutzt und immer neue Produkte auf den Markt gebracht. Seit etwa zwei Jahren verfügen auch Fernseher über Internetverbindungen und andere intelligente Zusatzfunktionen, die „Fernsehen online“ attraktiv machen. Durch den Fortschritt der Smart-TVs wuchsen die Möglichkeiten und es entstanden neue Ideen. Es sollte eine Möglichkeit geschaffen werden, Online-Befragungen über internetfähige TV-Geräte durchzuführen. Die Umsetzung dieser Hybridtechnologie wurde von einem deutschen Vermarktungsunternehmen für audiovisuelle Medien und einem Marktforschungsunternehmen durchgeführt. Bereits in diesem Jahr werden die ersten Online-Umfragen über die Smart-TVs ausgestrahlt. Mit dieser Hybridtechnologie steht jetzt ein weiterer Kanal zur Zielgruppenansprache zur Verfügung. In einer Teststudie konnte zum ersten Mal eine Online-Umfrage eingespielt werden, die zeitgleich mit TV-Programmen und Werbespots angezeigt wurde. Die Teilnahme an der Befragung erfolgte über die Fernbedienung des TV-Gerätes. Neben der Meinung der Befragten zu HbbTV-Fernsehen wurden auch Informationen über die soziodemographischen Daten des Nutzers (Alter, Geschlecht, Beruf etc.) oder besondere Wünsche und Programmideen erfasst. Die daraus gewonnenen Ergebnisse lieferten wertvolle Informationen über das Nutzerverhalten der Fernsehzuschauer und die Einschaltquoten einzelner Fernsehsendungen. Der große Vorteil dieser Befragungsmethode liegt in einer zeitgleichen und unmittelbaren Befragung der Zuschauer, die bisher in dieser Form nicht möglich war. Insbesondere werbungtreibende Unternehmen können diese Vorteile nutzen, um die Werbemaßnahmen zukünftig zielgruppengerechter zu steuern. Damit könnte die Erfassung von Nutzerdaten via CATIInterviews oder Handgeräten in den Hintergrund rücken. Bereits in diesem Jahr werden die ersten Online-Umfragen über die Smart-TVs ausgestrahlt. Mit dieser Hybridtechnologie steht jetzt ein weiterer Kanal zur Zielgruppenansprache zur Verfügung. 20 BVM inbrief August 2013 Eine Befragung von Fernsehnutzern über Connected TVs, insbesondere unter Nutzung der HbbTV-Standards und -Möglichkeiten, ist nach Ansicht der Preisträger einmalig und auch, angesichts der noch recht jungen Technik, als erstmalig anzunehmen. Die Anpassung der Befragungssoftware und des Userinterface an die speziellen Bedingungen (Lesbarkeit am TV-Bildschirm, Integration des Live-TV-Bildes, Verwendung der TV-Fernbedienung mit nur wenigen Pfeil- und Farbtasten) ist ebenfalls als Alleinstellungsmerkmal zu sehen. Die mehrmonatige Realisation bedurfte des Zusammenspiels von mehreren Programmierern, Sendetechnikern und Marktforschern. Das Erstellen einer HbbTV-Befragung erfolgt über eine etablierte Befragungssoftware, und die Umsetzung ist weitestgehend ohne Programmierkenntnisse möglich. Sie ist mit der üblichen Expertise bei der Erstellung von Online-Befragungen durch Marktforscher ohne Zusatzaufwand möglich. Die Durchführung bei dem Befragten erfordert lediglich ein an das Internet angeschlossenes Smart-TV- bzw. Connected-TVGerät. Fast alle in den letzten zwei Jahren auf den Markt gekommenen Smart-TV-Geräte erfüllen diese technischen Voraussetzungen. Die Einblendung der Befragungs-Werbemittel erfolgt zentral über den Adserver bzw. das HbbTV-Redaktionssystem. Herauszuheben ist bei diesem Befragungskonzept vor allem der unmittelbare (zeitliche) Zusammenhang von Stimulus (Fernsehprogramm, Werbung) und Befragungsdurchführung sowie die Vermeidung eines Medienbruchs. Dadurch werden Forschungsergebnisse möglich, die vorher nicht oder nur unter sehr hohem Kostenaufwand ermittelt werden konnten. Besonders die natürliche Untersuchungssituation der Befragten und die einfache, seit Langem etablierte Bedienung über die TV-Fernbedienung ermöglichen einen weitestgehend barrierefreien Zugang zu den Einstellungen und Antworten der befragten TV-Zuschauer. Johannes Hercher, Rogator, und Martin Krautsieder, SevenOne Media In der Laudatio, die Rainer Valentin, Leiter Forschung & Entwicklung bei der Basler Versicherungen und Mitglied der Jury vortrug, heißt es: Seit 2005 vergibt der BVM den Innovationspreis und selten war sich die Jury so schnell einig, wer ihn diesmal verdient hat. Und was sagt die Jury zum Preisträger? Ich zitiere: W irklich neu, genial für die Werbeforschung, für Reichweitenmessung, für Programmforschung, von Tiernahrung bis Automobilforschung, alles geht. Methodisch sinnvoll, der Befragungszeitpunkt kann optimal gewählt werden Komplett neue Technologie und neuartige Erhebungsmethode Pop-up-Befragung ohne Medienbruch im TV, und diesmal, überraschenderweise, nicht im Internet. Preis der Deutschen Marktforschung INHALT Stellen Sie sich einmal vor: Es ist Montag, der 22. April, abends, 21:15 Uhr. Sie sehen fern. Ziemlich cool: Ihr neues internetfähiges Smart-TV-Gerät, 106 cm Bildschirmdiagonale. Günther Jauchs „Wer wird Millionär“ war heute etwas langatmig, es läuft gerade die Werbung. Katzenfutter, toll … Und dann passiert es: Auf Ihrem 106cm-Bildschirmdiagonale-TV öffnet sich ein Fenster und lädt Sie zu einer Befragung ein: Sollte Günther Jauch besser „Wetten, dass …“ moderieren? Oder: Haben Sie in letzter Zeit Werbung für Tiernahrung beobachtet? Oder: Irgendein anderes sinnvolles Thema. Sie nehmen Ihre Fernbedienung zur Hand und beantworten die Fragen, ist ja sowieso gerade Werbepause. Der Werbeblock läuft im Hintergrund weiter. Eine neue Hybrid-Technologie – Online-Umfragen via HbbTV sind 2013 Realität. Und sie eröffnen ungeahnte Möglichkeiten: Der große Vorteil liegt in der zeitgleichen, unmittelbaren Befragung der Zuschauer. Posttestergebnisse eines Werbespots könnten wenige Minuten nach der ersten Ausstrahlung vorliegen. Oder die Messung von Einschaltquoten nicht mehr aus der Erinnerung heraus, am Tag danach, sondern online, gleich nach – was sage ich – während der Sendung. Oder stellen Sie sich mal die Fallzahlen vor, die Sie bei einem Millionenpublikum in wenigen Minuten beisammen haben. Oder die TV-Programmforschung: Wer kommt bei Dieter Bohlen DSDS in die nächste Runde? Entscheidung über die Fernbedienung. Meine Damen und Herren, auch wenn es sich bei dieser Einreichung noch um einen Testpiloten handelt, auch wenn HbbTV heute noch nicht jeden erreicht: Das ist innovativ, das ist preiswürdig. Johannes Hercher, Rogator, und Martin Krautsieder, SevenOne Media BVM inbrief August 2013 21 Preis der Deutschen Marktforschung INHALT Nominiert für den Innovationspreis Ströer Media Deutschland, Deutsche Telekom AG und eye square ATLAS – Ein kurzer Blick mit langer Wirkung Messung der Werbekontaktqualität in der Außenwerbung durch ATLAS Die Anzahl der Kundenkontaktpunkte für Werbung steigen immer weiter und weisen mittlerweise eine recht breite Spanne auf. Um bei den sehr gut messbaren „digitalen Kanälen“ mitzuhalten, besteht auch für Out-of-Home-Medien der Anspruch, Wirksamkeit nachzuweisen und sich damit von anderen Kundenkontaktpunkten abzugrenzen. Speziell für den bisher schlecht untersuchten Roadside-Bereich ergeben sich damit die Fragen: Wie unterscheiden sich Plakatwerbeträger in ihrer Wirkung und wie kann man die Wirkung von Plakatkreationen unter realistischen Bedingungen testen? Um die oben gestellten Fragen beantworten zu können, wurde ein innovatives Verfahren eingesetzt: Fahren im Fahrsimulator unter experimentell kontrollier- ten Bedingungen. Den eingeladenen Probanden wurde gesagt, dass sie an einer Studie zur Erforschung des Fahrverhaltens in Innenstädten teilnehmen. Bereits nach kürzester Zeit befindet sich der Fahrer im Autofahr-Modus, da das Gerät fast wie ein normales Auto zu steuern und zu bedienen ist. Bei dem Stadtbild handelt es sich um einen 3DDatenraum, der frei bearbeitet werden kann, nicht um einen Film. Werbeträger Mit dieser Untersuchungsmethode lässt sich eine Reihe von detaillierten Fragestellungen rund um das Thema Wirkung im Bereich Außenwerbung beantworten, sowohl in der WT-Forschung als auch in der Kreationsoptimierung für Werbekunden. (WT) und –mittel können frei im Raum programmiert werden. Der Fahrer interagiert mit dem System, er muss also auf die anderen Verkehrsteilnehmer reagieren. Während der Fahrt können die Blickbewegungen mittels Eye Tracker aufgezeichnet werden. Mit dieser Untersuchungsmethode lässt sich eine Reihe von detaillierten Fragestellungen rund um das Thema Wirkung im Bereich Außenwerbung beantworten, sowohl in der WT-Forschung als auch in der Kreationsoptimierung für Werbekunden. Fahrsimulator der Firma Foerst GmbH. 22 BVM inbrief August 2013 System 1: In einem Test zur Wirkung verschiedener OoH-WT wurden in einer vorab definierten Strecke WT der vier wichtigsten Plakatformen platziert. Als Kreationen wurden reale Kampagnen von fünf bekannten Marken aus ver- schiedenen Branchen eingesetzt. Kreationseinflüsse auf die Wahrnehmung der einzelnen WT können durch isolierte Variation ausgeschlossen werden. Einzelne Einflussvariablen, wie Verkehrsdichte, Kontakthäufigkeit, Motive und WT, wurden isoliert und zwischen den Versuchsgruppen variiert. Wirkungsdimensionen: Die Betrachtungsdauer wurde mit einem Eye Tracker gemessen. In einer anschließenden CAPI-Befragung wurden KPIs in den Bereichen Awareness, Image und Impact erhoben. Bei Image und Impact handelte es sich sowohl um explizite als auch um implizite KPIs. System 2: In einem Kreationstest werden mehrere Kreationen in verschiedenen Gruppen untereinander getestet, die in der Strecke auf den gleichen WT zu sehen sind. Alle Probanden fahren die gleiche Strecke (ceteris paribus). Jede Kreation wird monadisch getestet. Es ergeben sich Erkenntnisse zu: Durchsetzung der Kreation in der Umgebung, Blickführung und Blickverlauf, Vergleich zu anderen Testmotiven, Gestaltung und Aktivierung. Mit diesem Test konnte die unterschiedliche Wirkung der beiden Motive, ihre Stärken und Schwächen, sehr gut hervorgehoben werden, die in der künftigen Kreationserstellung berücksichtigt werden. Georg Schotten, Ströer Media Deutschland Nominiert für den Innovationspreis VERBI Software. Consult. Sozialforschung. Mobile Visual Coding & Transfer (MVCT) Datenerhebung mit MAXApp, visuelles Codieren mit emoticode und webbasierter Datentransfer zu MAXQDA Interviewnotizen schnell unterwegs mit dem iPad festhalten, Fotos und Videos erstellen oder Audio aufnehmen und alle Daten sofort kategorisieren. Viele Apps ermöglichen die einfache Datenerhebung unterwegs, allerdings ist das Überführen der Daten in ein Analysewerkzeug meist umständlich und muss im schlimmsten Fall für jede Datei einzeln vorgenommen werden. Das MVCT-Verfahren bietet hierfür eine unkomplizierte und zeitsparende Lösung. Es ist eine neuartige Verbindung mobiler Datenerhebung mit der weltweit ersten QDA-App: MAXApp für iOS. Es verfügt über ein völlig neuartiges Codierverfahren mit emoticode und ermöglicht den direkten Transfer und die weitere Analyse der erhobenen Daten in der zugrunde liegenden Basissoftware zur Datenanalyse MAXQDA. Das Verfahren ist extrem einfach zu handhaben und stellt eine direkte Verbindung aus dem Feld in das Zentrum der Forschung zur Verfügung. Alle erhobenen Daten können jederzeit per Cloud an die Forschungszentrale übermittelt und zur Weiterbearbeitung direkt in MAXQDA eingelesen werden. MAXApp ist ein speziell für die Anforderungen der mobilen Datenerhebung und -kategorisierung in der Markt- und Sozialforschung entwickeltes Tool, das perfekt mit MAXQDA zusammenarbeitet. Es handelt sich um eine Software für die Analyse qualitativer und Mixed- Preis der Deutschen Marktforschung INHALT Methods-Daten. Sie ist eine ideale Ergänzung für alle, die mobil forschen, und kann sowohl für iPhone und iPad kostenlos im iTunes App Store heruntergeladen werden. Eine Android-Version ist in Vorbereitung. MVCT ist für viele Felder der qualitativen Markt- und Sozialforschung geeignet, und besonders effizient in Situationen, in denen Daten mobil erhoben und kategorisiert werden sollen, unter anderem bei Online-Diaries oder Konzepttests. Hierbei können viele Arten von Daten erhoben werden: Bilder, Texte, Filme oder Audiodokumente. Die Kategorisierung erfolgt mit Visual Coding. So können Daten mit Hilfe von Symbolen sehr schnell klassifiziert werden und das umständliche Tippen auf der Smartphonetastatur wird ersetzt durch ein jedem Laien unmittelbar zugängliches System, das schnelle, verständliche Bewertungen zulässt, so z.B. ein fröhliches oder trauriges Smiley. So werden Datenerhebung und -bewertung zu simultan verlaufenden Prozessen. Nach dem Transfer der so vorkategorisierten Daten zu MAXQDA stehen alle Möglichkeiten einer professionellen Analysesoftware zur Verfügung, um die Daten einer State-of-theArt-Analyse zuzuführen. Anne Kuckartz, Geschäftsführerin VERBI Software. Consult. Sozialforschung. BVM inbrief August 2013 23 Preis der Deutschen Marktforschung INHALT BVM/VMÖ Nachwuchsforscher 2013, Kategorie Master-/Diplomarbeit Carmen Wilhelms The Dark Side of Word-of-Mouth Negative Auswirkungen der aktiven Einbeziehung von Konsumenten in den Vermarktungs prozess Im digitalen Zeitalter begreifen sich Konsumenten keinesfalls mehr als letztes Glied der Wertschöpfungskette, sondern greifen zunehmend in die Marketingaktivitäten der Unternehmen ein. Um diesem veränderten Rollenverständnis zu begegnen, gehen immer mehr Unternehmen dazu über, Konsumenten aktiv in die innerbetriebliche Wertschöpfung einzubinden. Während in der Fachliteratur bislang vor allem die Vorteile dieses aktiven Einbezugs betont werden, zeigt die Marketingpraxis, dass besonders die Einbeziehung in Vermarktungsaktivitäten mit schwerwiegenden, jedoch bisher kaum erforschten Risiken verbunden ist. So entwickelte sich z.B. aus dem Ideenwettbewerb der Marke Pril eine Welle von negativem Word-of-Mouth (WOM), weil involvierte Konsumenten sich nicht ausreichend wertgeschätzt fühlten. Diese öffentlich artikulierte Unzufriedenheit kann vom Unternehmen nicht mehr kontrolliert werden und schwerwiegende Imageschäden zur Folge haben. Die Arbeit setzt sich mit der Analyse und Erklärung dieser Problematik auseinander und untersucht, inwieweit der aktive Einbezug auch negative Auswirkungen im Sinne einer gestärkten Bereitschaft zu negativem WOM haben kann, falls konsumentenseitige Erwartungen an die Einbeziehung nicht erfüllt werden. Am Beispiel der Ermächtigung zur Auswahl der vom Unternehmen einzusetzenden Marketingkampagne eines Erfrischungsgetränks werden dabei negative Auswirkungen verschiedener konsumentenseitiger Erwartungsverletzungen adressiert: (1) Die ausbleibende Realisierung der persönlich präferierten Kampagne und (2) die vollständige Missachtung In der Laudatio von Professor Dr. Raimund Wildner, stellvertretender BVM-Vorsitzender und Jurymitglied, heißt es: Facebook, Twitter, Co-Creation: Beispiele für neue Instrumente des Marketings: ja, für neue Instrumente der Marktforschung: ja, auch das. Aber: All diese Dinge, bei denen im Idealfall die Konsumenten aktiv zum Erfolg eines Produkts oder einer Dienstleistung beitragen, haben auch eine dunkle Seite. Carmen Wilhelms hat dazu ein sehr sauber angelegtes Experiment durchgeführt. Die Ergebnisse dazu waren sehr klar und zeigten, dass die Einbeziehung des Konsumenten sinnvoll ist, solange man ihn nicht betrügt. Selten lassen sich die Ergebnisse der Marketingforschung so einfach zusammenfassen. Die Preisträgerin hat da eine sehr klare, innovative und praxisrelevante Arbeit geschrieben, welche der Jury der 1. Preis in der Kategorie Masterarbeiten/Diplomarbeit wert war. 24 BVM inbrief August 2013 der offerierten Beteiligungsmöglichkeit durch den Einsatz einer völlig anderen Kampagne. Auf Basis der empirischen Ergebnisse einer experimentellen Online-Studie kann zunächst eine „Entwarnung“ dahingegen ausgesprochen werden, dass trotz der ausbleibenden Realisierung der vom Konsumenten präferierten Kampagne kein unmittelbarer Effekt im Sinne einer negativen Welle an WOM zu erwarten ist. Aufgrund des durch die ausbleibende Realisierung ausgelösten „tendenziellen“ Rückgangs in zusätzlich erfassten Variablen (Kaufabsicht, Einstellung) sollten Unternehmen zwecks Vermeidung nicht vollständig ausschließbarer negativer Effekte die Einladung einer homogenen Partizipantengruppe1 und eine transparente Kommunikation tatsächlicher Einflussmöglichkeiten sicherstellen. In Bezug auf die vollständige Missachtung der anfänglich angebotenen Beteiligungsmöglichkeit zeigen die empirischen Ergebnisse, dass eine durch unzureichende Planung der Einbeziehungsmaßnahme erforderliche nachträgliche Einschränkung der offerierten Mitbestimmung negative Mundpropaganda auslöst. Bevor Konsumenten Beteiligungsmöglichkeiten eingeräumt werden, sollten sich Unternehmen daher den damit einhergehenden Kontrollverlust und folglich auch etwaige nicht intendierte Ergebnisse vor Augen halten sowie gewillt sein, auch diese zu akzeptieren. Andernfalls sollten geeignete Modalitäten (z.B. das Zwischenschalten einer internen Jury) festgelegt und entsprechend kommuniziert werden. Um die Limitationen der Untersuchung („convenience sample“, Abfrage von Verhaltenswahrscheinlichkeiten, künstliche Bedingungen eines Experimentaldesigns) zu adressieren, sollte zukünftige Forschung vor allem der externen Validität einen hohen Stellenwert einräumen und eine repräsentative Konsumentengruppe in einer realitätsnahen Situation mit erhöhten Beteiligungsmöglichkeiten ausstatten. Die Ergebnisse sollten weiterhin durch die Betrachtung zusätzlicher Produktkategorien (z.B. High-Involvement-Kategorien) und weiterer Ausgestaltungsformen der Mitwirkung (z.B. Ermächtigung zur Einreichung eigener Vorschläge) erweitert werden. 1) Vgl. hierzu auch Fuchs, Christoph / Prandelli, Emanuela / Schreier, Martin (2010): The Psychological Effects of Empowerment Strategies on Consumers’ Product Demand, in: Journal of Marketing, 74 (1), S. 77. BVM/VMÖ Nachwuchsforscher 2013, Kategorie Dissertation Dr. Stefan Hattula, Universität Stuttgart, Lehrstuhl für ABWL und Marketing Effektivität des Signaling in Erfahrungsgüter märkten Hersteller von Erfahrungsgütern sind mit besonderen Herausforderungen im Management von Stakeholder-Beziehungen konfrontiert. Aufgrund der Tatsache, dass die Qualität von Erfahrungsgütern vor dem Kauf nicht vollständig beurteilt werden kann, nehmen beispielsweise Konsumenten ein verstärktes Kaufrisiko wahr, das vom Kauf abhalten und damit unmittelbar negative Auswirkungen auf den ökonomischen Erfolg von Unternehmen haben kann. Es ist daher im Interesse von Unternehmen in Erfahrungsgütermärkten, die Diskrepanz zwischen sich und Stakeholdern bezüglich Qualitätsinformationen (Informationsasymmetrie) zu mindern. Dabei nimmt die Kommunikationspolitik und insbesondere das Signaling eine zentrale Rolle ein. Signaling bezeichnet die Bereitstellung von möglichst eindeutigen und verlässlichen Informationen über Fähigkeiten und Intentionen von Unternehmen, die den Stakeholdern eine Einschätzung der Qualität der Produkte ermöglichen. Hattula hat in zwei Studien die Dynamik der Effektivität von Signalen im organisationalen Lebenszyklus untersucht. Grundlage dafür bildeten objektive Sekundärdaten zu zwölf Sportvereinen über einen Zeitraum von mehr als 40 Jahren (Studie 1) sowie ein objektiver Sekundärdatensatz zu 25 kommerziellen US-Banken über einen Zeitraum von 18 Jahren (Studie 2). Beurteilt werden dabei die Signale Teamausgaben und Markenwert von Sportvereinen (Studie 1) sowie Werbeausgaben und Mitarbeiterausgaben von Banken (Studie 2) hinsichtlich ihrer Effektivität im Zeitverlauf. Die Ergebnisse beider Studien machen deutlich, dass die Effektivität von Signalen stark an die Phase im organisationalen Lebenszyklus gekoppelt ist. Da in frühen Phasen ihres Lebens Unternehmen noch relativ reputationslos sind und damit der Markenwert praktisch nicht verfügbar ist, stellt dieser in frühen Phasen kein glaubwürdiges Signal dar. Effektiv sind dagegen vor allem Informationen zu Investitionen von Unternehmen, wie Werbeausgaben und Mitarbeiterausgaben. Entsprechend theoretischen Überlegungen zum Cue Scope Framework werden daher mit der Verfügbarkeit von Signalen hoher Valenz, wie dem Markenwert, Signale geringer Valenz, wie finanzielle Investitionen, in späteren Phasen des Lebenszyklus von Stakeholdern nicht mehr so stark nachgefragt und büßen an Effektivität im Zeitverlauf ein. Basis der Untersuchung der Dynamik von Signaling im Konjunkturzyklus bildet Studie 2, die auf dem objektiven Sekundärdatensatz zu kommerziellen US-Banken basiert. Die Ergebnisse deuten an, dass die Effektivität von Signalen an die gesamtwirtschaftliche Situation (den Konjunkturzyklus) gekoppelt ist. In Bezug auf Konsumenten weisen sowohl das Signal Werbeausgaben als auch das Signal Mitarbeiteraus- Preis der Deutschen Marktforschung INHALT gaben eine antizyklische Effektivität im Sinne der besseren Stimulierung des Kaufverhaltens in Phasen der Rezession auf. Im Gegensatz dazu sind beide Signale tendenziell durch eine prozyklische Effektivität für Shareholder gekennzeichnet, womit insbesondere in ökonomischen Aufschwungphasen beide Signale relevanter sind. Schließlich deutet sich für Werbeausgaben eine prozyklische und für Mitarbeiterausgaben eine antizyklische Stimulierung des Ausgabeverhaltens von Wettbewerbern an. Somit sehen sich Wettbewerber v.a. in Expansionsphasen (Rezessionsphasen) veranlasst, als Reaktion auf hohe Werbeausgaben (Mitarbeiterausgaben) den Wettbewerb zu intensivieren. Abschließend bleibt festzuhalten, dass die vorliegende Arbeit einen ersten Schritt hin zu einem Verständnis für die Ursachen unterschiedlicher Effektivität von Signalen darstellt. Die gewonnenen Erkenntnisse tragen zu einem differenzierteren Umgang mit dem Einsatz dieses Kommunikationsinstruments in der Wissenschaft bei und bieten Managern Hilfestellungen bei der Optimierung ihrer Ressourcenallokationen. Dazu heißt es in der Laudatio, vorgetragen von Professor Dr. Raimund Wildner, stellvertretendender BVM-Vorsitzender und Mitglied der Jury: Hattula hat sich in seiner Dissertation damit beschäftigt, wie Signale im Konjunkturverlauf und im Lebenszyklus eines Angebots variiert werden müssen. Er wandte mehrere Ebenen von vector-autoregressiven Modellen und nichtlinearen Regressionen an, um diese Fragen am Beispiel der 1. Fußballliga und der Finanzbranche zu beantworten. Erstmals werden dabei Interaktionen zwischen zwei endogenen Variablen integriert. Die Methodik ist komplex und innovativ. Trotzdem sind die Ergebnisse klar. Die Kombination aus relevanter Fragestellung, anspruchsvollen und innovativen Methoden sowie klaren und für die Praxis nützlichen Ergebnissen war der Jury ein 1. Preis in der Kategorie Dissertation wert. BVM inbrief August 2013 25 Kongress INHALT Dr. Frank Knapp, BVM-Vorsitzender Gudrun Kneißl, MAN Truck & Bus Kongressrückblick Wirkliche Innovation braucht so viel Energie wie der Kampf um eine Goldmedaille Frank Schomburg, nextpractice Dr. Tobias Hildenbrand, SAP Stefan Grünewald, rheingold Die Frage, wie man die Zukunft mit neuen Ideen, Instrumenten und Erkenntnissen meistert, war zentrales Thema des diesjährigen BVMKongresses in Berlin Am 22. und 23. April dieses Jahres trafen sich rund 400 Anbieter und Nutzer von Marktforschung in Berlin, um sich unter dem Thema „Innovation. Motor für Märkte von morgen” mit Ansätzen und Fragen des Innovationsmanagements und mit der Rolle der Marktforschung in diesem Prozess in Zeiten technologischen, sozialen und wirtschaftlichen Umbruchs zu beschäftigen. Marc Hassenzahl, Folkwang Universität der Künste Kongress INHALT Professor Dr. Gunter Dueck, Chief Innovation Officer IBM i.R. Anna Cremers, nugg.ad Auf dem Kongress der Deutschen Marktforschung, den der BVM Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher in diesem Jahr zum 48. Mal veranstaltete, thematisierten Experten aus Instituten und Unternehmen, die Marktforschungsleistungen beziehen, sowie aus der Wissenschaft eine Vielzahl von Konzepten, Studien und Instrumenten des Innovationsmanagements, und diskutierten die Bedeutung, die der Marktforschung in solchen Prozessen zukommt. „Der Marktforschung erwachsen in diesen Zeiten des disruptiven Wandels eine Vielzahl von Chancen – allerdings mit der Folge, dass sie sich von einigen ihrer bewährten Ansätze und Methoden verabschieden muss.” Jan Hofer, ARD Dr. Karlheinz Steinmüller Darüber hinaus kamen auch wieder namhafte Experten aus Wissenschaft und Praxis zu Wort, die sich aus unterschiedlichen – nicht direkt zur Markt-, Medien- und Meinungsforschung gehörenden – Perspektiven mit dem Thema Innovation beschäftigten. Szenarien zukünftiger Marktforschungspotenziale Als erster Redner, der in das Thema des diesjährigen Kongresses einführte, leitete der Zukunftsforscher Dr. Karlheinz Steinmüller, Z_punkt, seine Analyse mit der folgende Hypothese ein: Der Marktforschung erwachsen in diesen Zeiten des disruptiven Wandels eine Vielzahl von Chancen – allerdings mit der Folge, dass sie sich von einigen ihrer bewährten Ansätze und Methoden verabschieden müsse. In drei „spekulativen” Szenarien Dr. Florian Kerkau, Goldmedia Custom Research Kongressplenum Detlev Happel, Dialego mit Jan Hofer, ARD Kongress INHALT Dr. Dieter Korczak, ESOMAR-Präsident ex ufficio Dr. Ralph Wirth, GfK zu den Themen „Big Data und deren Folgen für das Geschäft mit Umfragen”, „Gaming statt Forschung” und „Agenten statt Probanden – agentenbasiertes Modelling” setzte er sich kritisch mit den Zukunftspotenzialen und -optionen dieser Ansätze für die Marktforschung, aber auch mit den damit verbundenen Qualitäts- und Datenschutzfragen auseinander. Sein Fazit: „Es sieht so aus, als würde der Marktforschung in den nächsten Jahren eine hochinteressante Entwicklung bevorstehen. Dennoch sollten wir nicht ganz sicher sein, dass die Welt so bleibt, wie sie derzeit ist. Es gibt immer wieder disruptive Ereignisse, die zu Entwicklungen führen, die heute noch gar nicht erkennbar sind.” Andreas Neef, L’Oréal Dr. Steven Schuh, MAN Truck & Bus AG, und Petra Fetzer, M.A., hucon – human consulting Dr. Josef Köster, BMW Group Design Thinking und Experience Design Der SAP-Innovationsmanager Dr. Tobias Hildenbrand stellte das von immer mehr großen Unternehmen genutzte Konzept des „Design Thinking” vor und konkretisierte anhand eines Projekts für die deutsche Segelmannschaft, wie diese – strikt auf „multidisziplinäre” Teamarbeit und die Kooperation mit dem Kunden und Endnutzer setzende – Vorgehensweise in Innovationsprozessen angewendet wird. „Wir nutzen diesen iterativ vorgehenden Ansatz in der Entwicklung der Funktionalitäten unserer Produkte, mit dem Ziel, die versteckten Bedürfnisse von Nutzern herauszufinden und diese mit technischer Machbarkeit und wirtschaftlicher Rentabilität abzustimmen. Das hat sich insbesondere dort bewährt, wo es darum geht, sehr komplexe Problemlösungen zu erarbeiten oder neue Ideen in für die Bedürfnisse der Nutzer geeignete Lösungen umzusetzen.” Ganz ähnlich der Ansatz, den der Leiter der „Experience Design”Gruppe, Professor Dr. Marc Hassenzahl, Folkwang Universität Mark Schiefelbein, Wakoopa Kongress INHALT Dr. Karlheinz Steinmüller, Z_punkt Gerald Neumüller, SevenOneMedia der Künste, Essen, aus der Perspektive eines Produktdesigners vorstellte. Er thematisierte am Beispiel von Fragen, die sich mit den Einstellungen und der Nutzung von Automobilen beschäftigen, wie man technische Funktionen und Erlebnisse in der Gestaltung von Produkten miteinander verbinden kann. In den letzten zehn Jahren hat sich – so Hassenzahl – eine neue Sicht des Designs entwickelt, die Erlebnisse ganz selbstverständlich als gestaltbaren Teil eines jeden Produktes versteht. Seine These: „Technologische Möglichkeiten sind nur die Materialien. Was wir wirklich designen, sind Erlebnisse und Gefühle. Das ist das eigentliche Gestaltungsziel. Das Erleben ist also das eigentliche Produkt und damit auch der Gegenstand des Designs.” „Technologische Möglichkeiten sind nur die Materialien. Was wir wirklich designen, sind Erlebnisse und Gefühle.” Mathias Streicher, Universität Innsbruck Professor Dr. Marc Hassenzahl Es bedarf anpassungsfähiger Strategieportfolios Nach Ansicht des in Brüssel und seit kurzem auch an der Universität der Künste, Berlin, lehrenden Marketingexperten Professor Dr. Christian Blümelhuber erschweren immer neue Imperative sowohl seitens der Konsumenten als auch des Marketings die Gewinnung, Analyse und Interpretation von Daten. Diese unter anderem mittels Marktforschung gewonnenen Daten sind – so Blümelhuber – die wichtigste Hintergrundquelle des Marketing- und Zukunftsmanagements in Unternehmen. Seine These: Angesichts dessen, dass sich die Welt schneller ändert, als wir reagieren können, erweisen sich langfristig angelegte Ein- Wim van Slooten, Generaldirektor von MOA Dr. Benedikt Köhler, d.core, und Jan Hofer, ARD Doris Sibum, Deutsche Post DHL, und Jan Hofer, ARD Kongress INHALT v.l.n.r. Werner Dag, Foerster & Thelen, Dr. Ulrich Haspel, Haspel & Partner Teststudio, Uwe Förster, Ina Förster, Tim Thelen-Liesenfeld, Foerster & Thelen zelstrategien als untauglich. Vielmehr gehe es darum ressourcen, und bedürfnisorientiert zu denken, zu experimentieren und auf – ständig der jeweils neuen Entwicklung anzupassende – Portfolios von Strategien zu setzen. „Die Marktforschung spielt dabei eine entscheidende Rolle, indem sie den Unternehmen und ihren Entscheidern Hypothesen für deren Strategien liefert: sowohl zu den Gefühlen, Wünschen und Denk- und Verhaltensweisen der Konsumenten als auch zu der Art, wie Märkte und die Welt heute und zukünftig allgemein funktionieren.” „Angesichts dessen, dass sich die Welt schneller ändert, als wir reagieren können, erweisen sich langfristig angelegte Einzel strategien als untauglich.” Sandra Lades (GfK Verein, Presseleitung) und Petra Svamberk (Hostess) an der BrainFood Bar des GfK-Vereins Professor Dr. Christian Blümelhuber Professor Dr. Gunter Dueck Professor Dr. Christian Blümelhuber Wirkliche Innovationen haben viele Feinde Als letzter Redner auf dem Kongress beschäftigte sich der Mathematiker und Philosoph Professor Dr. Gunter Dueck mit der Frage, wie sich Innovationen in Unternehmen – trotz der vielen Widerstände von allen nur denkbaren Seiten – durchsetzen können. Und er ist überzeugt, dass Unternehmen wie nie zuvor in diesen Zeiten rapiden technischen Wandels gezwungen sind, innovativ zu sein. Seine Warnung: „Lachende Unternehmen gehen unter”. Als Beispiele führte er die Banken an, die über Internetbanken höhnten, Unternehmen wie Kodak, die Digitalkameras nicht ernst nahmen, oder den Buchhandel, der den Erfolg von E-Books nicht wahrhaben wollten. Wirkliche Innovatoren mit zukunftsweisenden Ideen stoßen in den Unternehmen, für die sie arbeiten, meist auf extremen Widerstand. Sie werden sich laut Dueck nur dann durchsetzen, wenn sie die Kunst beherrschen, das Neue mit unerschütterlicher Energie über alle Hindernisse hinweg durchzusetzen. „Innovationen brauchen so viel Energie wie der Kampf um eine Goldmedaille. Innovation, die sich lohnen soll, muss als Herkulesaufgabe betrieben werden, mit voller Kraft.” Und Innovation in der Marktforschung? Unter dem Titel „Market Research Reloaded – neue Wege in der Marktforschung?” stellte Wim van Slooten, Generaldirektor der niederländischen Marktforschervereinigung (MOA), die neue Verbandsstrategie vor. Angesichts des derzeit atemberaubenden technologischen Fortschritts erlebt – so der Referent – die Branche der Marktforschung und Informationsdienstleistung eine beispiellose Phase der Veränderung. Da neue Anbieter von Informationsservices gegenwärtig mit Macht auf den Markt drängten, müsse die Branche schnell reagieren. Genau damit habe die MOA Ende 2009 begonnen (siehe dazu den Beitrag von van Slooten in Ausgabe 1/2013 des BVM inbrief). Sie habe sich zugunsten der Alternative entschieden, sich den neuen Anbietern zu öffnen und ihnen das Gefühl zu vermitteln, ebenfalls von der MOA repräsentiert zu werden. Im Anschluss daran diskutierten Professor Dr. Raimund Wildner, stellvertretender BVM-Vorsitzender, und Dr. Benedikt Köhler, d.core, mit Wim van Slooten über die neue Verbandspolitik (siehe dazu die Replik von Köhler und das Interview von Michael Bartl mit Edward Appleton auf Seite 8 in dieser Ausgabe). INHALT Auszeichnung für gute Präsentationen auf dem Kongress Wie üblich wurden die Besucher unmittelbar nach dem Kongress gebeten, an einer Befragung teilzunehmen und ihre Meinung zum Kongress allgemein, zu den Referenten und zur KongressLocation, Organisation etc. abzugeben. Erstmals in diesem Jahr lobt der BVM die besten Präsentationen aus. An der Kongressbefragung hatte sich gut ein Drittel der Kongressbesucher beteiligt. Der Vorstand hat entschieden, auf Basis dieser Befragung eine seit langem diskutierte Idee in die Tat umzusetzen, nämlich diejenigen Referenten, deren Präsentationen von den Kongressbesuchern besonders gut bewertet wurden, auszuzeichnen. Die Keynote-Sprecher und der Moderator, die durchweg Bestnoten erhalten hatten wurden natürlich nicht in der Analyse berücksichtigt. Ebenso überdurchschnittlich gut wurden die folgenden Referenten und ihre Präsentationen bewertet: Wir beglückwünschen in diesem Jahr sechs Referenten mit fünf Beiträgen, die nach Ansicht der Kongressteilnehmer besonders gelungen präsentiert haben: Dr. Ralph Wirth, GfK If you can make it here, can you make it anywhere? An erster Stelle und gleichauf drei Referenten, die auch schon als Sieger im Wettbewerb um den Preis der Deutschen Marktforschung 2013 ausgezeichnet wurden: Kongress Premiere Dr. Benedikt Köhler, d.core Visual Intelligence und Big Data in der Marktforschung Gerald Neumüller, SevenOne Media ROI Analyzer – ein Modelling-Ansatz zur Erfassung der langfristigen Werbewirkung Die Videoaufzeichnungen der Vorträge dieser Referenten und die Charts dazu finden Sie ebenfalls unter www.bvm.org/ vortraege/. Carmen Wilhelms The Dark Side of Word-of-Mouth. Negative Auswirkungen der Einbeziehung von Konsumenten in den Vermarktungsprozess Johannes Herrcher, Rogator, und Martin Krautsieder, Seven One Media Neue Hybridtechnologie – Online-Umfragen via HbbTV Die Tonaufzeichnung der Vorträge der beiden Referenten und die Präsentationscharts finden Sie unter www.bvm.org/ vortraege/. BVM inbrief August 2013 31 INHALT Kongress BVM-Kongress 2013 Von Eisbergen, Cola-Flaschen und der Sexyness der Marktforscher Annika Benner und Isabella Maier, FAMS-Auszubildende und Schüler des Joseph-DuMont-Berufskollegs, schildern, wie Marktforscher von morgen den Kongress der „MaFo-Szene” erobern Vieles haben wir erleben dürfen in den mit spannenden Vorträgen, interessanten Gesprächen und gutem Essen gefüllten zwei Tagen in Berlin. Allem voraus erkannten wir, was die Markt forschung mit Pfauen, Chamäleons und den allseits beliebten Birkenfaltern gemeinsam hat. Aber zunächst einmal ein paar Worte zu uns: Wir sind die zukünftigen FAMS (Fachangestellte für Markt- und Sozialforschung) drei verschiedener Jahrgangsstufen des Joseph- DuMont-Berufskollegs in Köln – und dementsprechend alle noch recht grün hinter den MaFo-Ohren. Während des BVM-Kongresses zeigte die Innovation ihre verschiedenen Gesichter: Egal ob online oder offline, verbal oder non-verbal, open oder closed, in Form von Big Data und Small Data, gegenwärtig sowie zukünftig. Doch wie zeichnet sich Innovation in der Marktforschung nun aus? Führt die Sperm-Strategy wirklich zu mehr Glück? Ist der Hype um Neuroscience abgeebbt und wird nun überrollt von einer Big-Data-Welle? Werden Smartphones die Marktforschungswelt zukünftig verändern oder haben sie das bereits getan? Doch wie zeichnet sich Innovation in der Marktforschung nun aus? Führt die SpermStrategy wirklich zu mehr Glück? Ist der Hype um Neuroscience abgeebbt und wird nun überrollt von einer Big-Data-Welle? All diese Fragen stellten wir uns unmittelbar nach den vielzähligen Vorträgen und Impulsen, die uns der Kongress bot. So begleitet uns der BVM-Kongress auch bis in unseren Alltag, denn heute fragen wir uns beispielsweise beim üblichen Einkauf, ob wir uns durch die Haptik bestimmter Produkte beeinflussen lassen oder ob der Geschmack der Coca-Cola alleine für den Kauf ausschlaggebend ist. Es scheint demnach wichtig, bei der Entwicklung neuer Produkte die Haptik nicht außer Acht zu lassen. Aber nicht nur dies spielt im Rahmen von Innovation eine Rolle, da auch das „Unsichtbare” (der untere Teil des Eisbergs) von Bedeutung ist. Nicht nur die Eisbergspitze (die potenziellen Endkunden), auch Mitarbeiterstruktur und Unternehmenskultur können in den Innovationsprozess mit eingebunden werden. So gibt es das „Eisbergproblem” anscheinend heute wie damals, denn dazu passend haben wir am Abend der Gala eine wichtige Erkenntnis gewonnen: „Die Arche wurde von Amateuren gebaut, die Titanic von Profis.” Dies hat uns gezeigt, dass neben Profis auch Amateure in die Entwicklung und Umsetzung neuer Ideen mit einbezogen werden sollten, um diese erfolgreich zu gestalten und individuell anzupassen. Anpassungsfähigkeit in unserer schnelllebigen Welt ist, wie bereits bekannt, essenziell für gewinnbringendes Überleben in der Marktforschung. Doch nicht nur anpassungsfähig wie ein Chamäleon, sondern auch sexy wie ein Pfau soll er sein, der Marktforscher von heute ... Wir persönlich freuen uns besonders darüber, dass Träume bedeutend für die Marktforschung sind. Denn wer liebt es nicht, das Träumen? Ob Tag, ob Nacht, Träume sind letztlich Innovationsmotoren. Vermutlich waren sie auch Motor für die Entwicklung des HbbTV, dem wir bereits entgegenfiebern. Mit fernsehtauglichen Umfragen werden bestimmt die Werbepausen zwischen den geliebten Trash-TV-Formaten à la Dschungelcamp erträglicher. Wir Marktforscher schauen uns solche Sendungen selbstverständlich nicht an, sondern zählen auch in unserer Freizeit nur Erbsen. Annika Benner absolviert eine Ausbildung zur Fachangestellten Markt- und Sozialforschung (FAMS) bei MANUFACTS Research & Dialog GmbH, Isabella Maier beim SKOPOS Institut für Markt- und Kommunikationsforschung. Sie besuchten zusammen mit 13 anderen FAMS-Auszubildenden den BVM-Kongress 2013 und sprechen stellvertretend für die Fachangestellten für Markt- und Sozialforschung der Klassen FT12A, FT11A und FT10A des Joseph-DuMont-Berufskollegs, Köln. 32 BVM inbrief August 2013 INHALT FAMS-Auszubildende des Joseph-DuMont-Berufskollegs, Köln (v.l.n.r.): Marcel Palm, Jan Unverzagt, Dr. Jörg Maas, Lehrer am Berufskolleg, Florian Pering, Dr. Ulrike Schöneberg, BVM-Vorstand, Moritz Winterhager, Annika Benner, Mortimer Schlieker, Anna Schlösser, Isabella Maier, Nathalie Best, Gianni Balistreri, Tim Nawrath, Sandra Stetten, Matthias Föhrmann, Niels Christ. Aber da wir schon bei Klischees angelangt sind – die Deutschen erfüllen übrigens auch online sämtliche Klischees, zumindest wenn es um das Surfverhalten geht: Männer besuchen vermehrt Autoseiten, wohingegen Frauen Modeseiten bevorzugen. Eine Erkenntnis, die wir nun doch nicht ganz so überraschend fanden wie die Tatsache, dass Ampeln nicht nur auf Straßen und in der Politik, sondern auch im Live-Monitoring der Marktforschung existieren. terstützt haben, und bei unserem Bildungsgangleiter Herrn Dr. Maas, der uns in Berlin begleitet und die Vorträge mit uns im Unterricht nachbereitet hat. Gerne möchten wir den BVMKongress in Zukunft erneut besuchen, wer weiß, in welcher Funktion – die Wichtigkeit des Träumens haben wir zumindest nicht verlernt ... Gerne möchten wir den BVM-Kongress in Zukunft erneut besuchen, wer weiß, in welcher Funktion – die Wichtigkeit des Träumens haben wir zumindest nicht verlernt ... Abschließend möchten wir uns ausdrücklich bei Frau Dr. Schöneberg und Frau Didszus vom BVM bedanken sowie bei Herrn Prof. Dr. Raimund Wildner vom GfK-Verein, die es uns durch reduzierte Kongressgebühren und Sponsoring der Abend-Gala ermöglicht haben, an diesem spannenden MarktforschungsEvent teilnehmen zu können. Zudem bedanken wir uns herzlich bei unseren Ausbildungsbetrieben, die uns finanziell un- Wichtiger Termin 49. Kongress der Deutschen Marktforschung 19. und 20. Mai 2014 in Berlin BVM inbrief August 2013 33 Wichtiger Termin 49. Kongress der Deutschen Marktforschung 19. und 20. Mai 2014 in Berlin Fokus Best Paper 2013 INHALT Im Fokus Die vielen Gesichter der Innovation Die Beiträge der Teilnehmer am Wettbewerb zum Best Paper 2013 In diesem Jahr hat der BVM zum zweiten Mal den Call for Papers and Contributions für den Kongress der Deutschen Marktforschung verknüpft mit dem Wettbewerb zum Preis für den besten Kongressbeitrag. Der Jury lagen insgesamt 32 Bewerbungen vor, von denen sie 18 in das Programm aufnahm. Am Wettbewerb zum Best Paper, für das über eine Kurzfassung des Projektthemas hinaus ein ausführlicheres Manuskript eingereicht werden musste, lagen schließlich 15 Beiträge vor. Alle Kongressbeiträge wurden entweder als Video oder als Tonaufzeichnung mitgeschnitten. Die meisten dieser Aufnahmen und viele der Präsentationen können auf der BVMWebseite www.bvm.org/vortraege/ angesehen bzw. angehört sowie gegebenenfalls herunter geladen werden. Für Teilnehmer des diesjährigen Kongresses ist der Zugang zu den auf der Webseite vorhandenen Beiträgen kostenlos. Interessenten, die nicht am Kongress teilnehmen konnten, zahlen 25 Euro pro Manuskript, Präsentation oder Bild- bzw. Tonaufzeichnung und 250 Euro für die gesamten Kongressunterlagen. Drei Manuskripte, die wegen ihres Umfangs im Folgenden nicht wiedergegeben sind, können Sie von der Webseite www.bvm.org/inbrief herunterladen. Es sind die Beiträge von: Anna Cremers, nugg.ad, Berlin So surft das Netz – eine Studie zum Online-Surfverhalten der Deutschen Dr. Florian Kerkau, Goldmedia Custom Research, Berlin Neuroscience-Methoden für die angewandte Medienforschung – Welchen Beitrag leisten NIRS, EEG und Pupillometrie? Lisa-Charlotte Wolter, Hamburg Media School Soziale Netzwerke für klassische Medienmarken? Wirkungsweise von Facebook-Fan-Communities 12 der 15 eingereichten Papiere sind im anschließenden Fokus abgedruckt. BVM inbrief August 2013 35 Fokus Best Paper 2013 INHALT Best Paper 2013 Gemeinsam Branchenzukünfte vorausdenken Dr. Alexander Fink, ScMI, Gudrun Kneißl, MAN Truck & Bus, und Hanna Rammig, ScMI, stellen Szenarien zur Zukunft von urbaner Mobilität, Nutzfahrzeugen und busbasiertem Reiseverkehr vor Innovation kann nur dann gelingen, wenn Zukunft nicht mehr als Verlängerung der Vergangenheit verstanden wird. Daher müssen Marktforscher verstärkt in alternativen Zukünften denken. Die MAN Truck & Bus AG verfügt über fundierte Erfahrung dabei, solche Szenarien gemeinsam mit externen Partnern zu entwerfen. In dem Beitrag zeigen die Autoren anhand der Erfahrungen in drei unterschiedlich aufgesetzten Projekten, welche Nutzenpotenziale mit einer gemeinschaftlichen Szenarioentwicklung erschlossen werden können – und worauf Unternehmen bei der Vorausschau achten müssen. Zukunft vorauszudenken ist Bestandteil jeder Innovation, denn die reine Extrapolation vergangenheitsbezogener Daten führt selten zu Neuem und befördert einen statischen Ansatz der Marktforschung. Daher werden mit vielfältigen Werkzeugen wie Trendforschung, Trendmanagement, Trendanalyse, Trendradar oder Trendportfolios aktuelle Entwicklungstendenzen identifiziert, um so Marktmodelle oder Simulationen an zukünftige Veränderungen anzupassen.1) Dabei wird allerdings stillschweigend davon ausgegangen, dass sich Zukunft vorhersagen lässt. Dies mag bei kurzfristigen Fragestellungen – und in Einzelfällen auch darüber hinaus – funktionieren, bei der Suche nach innovativen Geschäftsmodellen sowie nach Strategien und Roadmaps für die Produktund Marketingplanung führt ein solches Vorgehen immer wieder zu kapitalen Fehlprognosen.2) Markt- und Wettbewerbsumfelder sind von zunehmender Komplexität und Ungewissheit geprägt.3) Dennoch neigen Unternehmen zunächst dazu, sich auf eine Prognose festzulegen – oder sie versuchen, kurzfristig möglichst flexibel reagieren zu können.4) Beide Ansätze führen dazu, dass sie strukturelle Veränderungen oft zu spät erkennen. Daher müssen Unternehmen vor allem zwei Denkweisen entwickeln:5) Zukunftsoffenes Denken: Aufgrund der Ungewissheit in politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und technischen Umfeldern sowie in konkreten Branchen und Handlungsfeldern wird nicht mehr versucht, die Zukunft exakt vorherzusagen. Stattdessen werden gezielt mehrere vorstellbare Zukunftsbilder entwickelt und beschrieben. V ernetztes Denken: Die Vielfalt der Einflüsse auf unternehmerisches Handeln hat sich durch Globalisierung, Digitalisierung und veränderte Ansprüche und Anspruchsgruppen stetig erhöht. Hinzu kommt die zunehmende Dynamik die- 36 BVM inbrief August 2013 ser Änderungsprozesse. Daher haben wir es in der Regel mit komplexen Systemen zu tun, die adäquat nur durch vernetztes oder systemisches Denken gehandhabt werden können.6) Die Kombination zukunftsoffenen und vernetzten Denkens führt zu alternativen Zukünften, die als Szenarien bezeichnet werden. Sie beschreiben eine von mehreren Möglichkeiten und beruhen auf einer schlüssigen Kombination denkbarer Entwicklungsannahmen verschiedener Einflussgrößen. Insofern sind Trends und Szenarien die Werkzeuge, die Veränderungsimpulse aufnehmen – wobei Szenarien aufgrund der Zukunftsoffenheit und Vernetzung als weitreichender angesehen werden können (Abbildung 1, links). Nur zu gerne möchte man nach der Szenarioentwicklung direkt mit dem gewohnten Prozess des Road Mapping oder der konkreten Produkt- und Marketingplanung beginnen – und möglichst kurzfristig zu konkreten Maßnahmen kommen. Dies gelingt aber nur selten, da wir den Umgang mit Ungewissheit und mehreren Zukünften nicht gewohnt sind. Zukunftsoffenheit kann nicht auf das Unternehmensumfeld beAbbildung 1: Szenarien als erweiterte Perspektive der Marktforschung grenzt werden, sondern verlangt nach einer Betrachtung der eigenen Handlungsalternativen. Fokus Best Paper 2013 INHALT Abbildung 2: Schritte der Szenario-Entwicklung und -Bewertung Insofern folgt einer Szenarioentwicklung stets das Durchdenken strategischer Konsequenzen. Im rechten Teil von Abbildung 1 ist dies über die vielfältig genutzten Begriffe Vision und Strategie ausgedrückt.7) Insofern wird deutlich, dass mit Szenarien auch eine Perspektiverweiterung der traditionell eher an der Analyse vergangenheitsbezogener Daten sowie in der Gegenwart erkennbarer Trends orientierten Marktforschung verbunden ist. Wie Szenarien entwickelt, bewertet und interpretiert werden Szenarien sind keine Strategien. Sie beschreiben klassischerweise die Frage, wie sich Rahmenbedingungen in der Zukunft verändern könnten – sie sind also so etwas wie der Wetterbericht für die Zukunft. Bei der Erstellung solcher Umfeldszenarien ist zunächst zu überlegen, ob und in welcher Form Wahrscheinlichkeiten im Szenario-Prozess berücksichtigt werden sollen. Hier trifft man auf zwei Denkschulen. früh und genau quantifizieren und in ihren Planungsprozess integrieren möchten. Nach unserer Erfahrung müssen Szenarien sowohl als Denk- als auch als Planungswerkzeuge verstanden werden. Dabei ist es notwendig, zwischen SzenarioEntwicklung und Szenario-Bewertung zu unterscheiden. Viele Szenario-Denker lehnen die Nutzung von Wahrscheinlichkeiten kategorisch ab – vor allem, da sie ihre Zukunftsbilder primär als Denkwerkzeuge verstehen. Dem stehen Planungsverantwortliche gegenüber, die Szenarien möglichst Im Rahmen der Szenario-Entwicklung werden alternative Zukunftsbilder entworfen – und zwar als Denkwerkzeuge ohne die Betrachtung von Wahrscheinlichkeiten. Dabei durchläuft man drei grundlegende Schritte (Abbildung 2): 8) Dr. Ing. Alexander Fink, Gründungsinitiator und Mitglied des Vorstands der ScMI Scenario Management International, Paderborn verfügt über langjährige Erfahrung bei der strategischen Beratung von Industrie- und Dienstleistungs unternehmen. Der promovierte Wirtschafts-Ingenieur ist Autor und Mitautor mehrerer Bücher. 1998 erhielt er den „Prize for Outstanding Paper” in „Technological Forecasting and Social Change”. Schwerpunkte seiner Arbeit sind Szenarienplanung und Zukunftsmanagement, visionäre Strategieentwicklung sowie die Integration von Früherkennung und Szenarien in Führungs- und Planungsprozesse von Unternehmen und Organisationen. Gudrun Kneißl, Leiterin des Bereichs Sales Long Term Projects, MAN Truck & Bus, München ist für strategische Langzeitprojekte im Vertrieb der MAN Truck & Bus AG verantwortlich. Die Diplom-Ökonomin begann ihre Konzernlaufbahn bei der auf Druckmaschinen spezialisierten MAN-Tochter m anroland AG als Head of Market Intelligence, wechselte dann zur MAN Truck & Bus in die Abteilung Business Intelligence, die sie bis 2012 leitete. Zuvor war sie 13 Jahre bei TNS Infratest in den Bereichen S ozialforschung und Stakeholder Management tätig. Dipl.-Kffr. Hanna Rammig ist seit 2002 als Beraterin bei der ScMI Scenario Management International AG tätig. Sie studierte Medienwirtschaft an der TU Ilmenau mit den Schwerpunkten Strategische Unternehmensführung und Marketing. Ihre Diplomarbeit schrieb sie über die Entwicklung von Szenarien zur Zukunft der Medienlandschaft in Deutschland. Hanna Rammig hat national und international Szenario-Projekte in verschiedenen Branchen betreut - darunter auch Projekte im öffentlichen Bereich. Ihre Spezialgebiete sind szenariogestützte Analysen zu gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungsprozessen sowie Strategieentwicklung. BVM inbrief August 2013 37 Fokus Best Paper 2013 INHALT Systemanalyse und Auswahl von Schlüsselfaktoren (Schritt 1): Zunächst wird das betrachtete Themenfeld in einem Systembild („Radarschirm”) visualisiert und durch eine Vielzahl konkreter Einflussfaktoren beschrieben. Aus diesen werden anschließend etwa 15 bis 20 langfristig wirkende Schlüsselfaktoren ausgewählt. Auf diesen Faktoren beruhen die späteren Szenarien – sie sind sozusagen „unsere Fragen an die Zukunft”. Viele Szenario-Denker lehnen die Nutzung von Wahrscheinlichkeiten kategorisch ab – vor allem, da sie ihre Zukunftsbilder primär als Denkwerkzeuge verstehen. E ntwicklung von alternativen Zukunftsprojektionen (Schritt 2): Hier werden je Schlüsselfaktor mögliche künftige Entwicklungen aufgezeigt. Diese Zukunftsprojektionen beschreiben strategisch relevante Entwicklungsalternativen. Dabei werden bewusst auch aus heutiger Sicht weniger wahrscheinliche Möglichkeiten einbezogen.9) Diese Zukunftsprojektionen können als „Bausteine der Szenarien” verstanden werden. Verknüpfung von Zukunftsprojektionen zu Szenarien (Schritt 3): Szenarien sind prägnante Darstellungen möglicher alternativer Zukünfte. Ihre Erstellung kann auf zwei Arten erfolgen: Bei einer modellgestützten Logik werden „bottom-up” einzelne Zukunftsprojektionen systematisch verknüpft, während bei einer intuitiven Logik die Themen der einzelnen Szenarien „top-down” definiert und später durch einzelne Zukunftsprojektionen zu kompletten Szenarien ergänzt werden.10) Insgesamt verfolgt man bei der Szenarioentwicklung zwei parallele Ziele: Zum einen soll jedes einzelne Szenario ein anschauliches Bild einer möglichen und relevanten Zukunft aufzeigen. Die Szenarien wirken dabei wie ein „Bildband” aus der Zukunft, anhand dessen Planer und Entscheider sich mit solchen Möglichkeiten vertraut machen können. Zum anderen soll die Gesamtheit der entwickelten Szenarien den Möglichkeitsraum soweit es geht aufspannen. Dabei entsteht so etwas wie eine „Landkarte der Zukunft”, anhand derer sich verschiedene Entwicklungsalternativen durchdenken lassen. Nachdem der Zukunftsraum ausgeleuchtet worden ist, stellt sich die Frage, welche der skizzierten Szenarien erwartet werden – und wie der Weg hin zu diesen erwarteten Zukünften aussehen könnte. Mit dieser Szenario-Bewertung wird aus den Zukunftsbildern zusätzlich ein Planungswerkzeug.11) Dazu ist es allerdings notwendig, dass die von den Szenarien ausgespannte „Landkarte” den Zukunftsraum möglichst weitreichend abbildet. 38 BVM inbrief August 2013 Szenarien müssen als Werkzeuge verstanden werden, um zu zukunftsrobusten Strategien, Geschäftsmodellen oder Innovationen zu kommen. Daher schließt sich an die Szenario entwicklung und -bewertung stets eine Interpretation im Rahmen eines „Szenario-Transfers” an. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Frage, ob man sich auf einzelne Umfeldszenarien konzentrieren kann (fokussierte Entscheidungen) oder ob man mehrere Umfeldszenarien zu berücksichtigen hat (zukunftsrobuste Entscheidungen). Wie MAN Truck & Bus in die Zukunft denkt Die MAN Truck & Bus AG agiert in komplexen und ungewissen Marktumfeldern. Mit der Durchsetzung neuer Antriebssysteme, der Globalisierung der Märkte sowie der veränderten Regulierung zeichnen sich strukturelle Veränderungen von Geschäftsmodellen und Branchenstrukturen ab. Dem entsprechenden Innovationsdruck begegnet die MAN mit verschiedenen Werkzeugen, darunter auch dem SzenarioManagement.12) Viele Unternehmen neigen bei der Vorausschau dazu, zu stark auf brancheninterne oder branchennahe Entwicklungen zu achten, obwohl etwa zwei Drittel aller relevanten Veränderungen durch Kräfte angestoßen werden, die außerhalb des gegenwärtigen Wettbewerberfeldes liegen.13) Daher ist es wichtig, dass in einem Szenarioprozess die äußeren Kräfte nicht ausgeblendet werden. Unternehmen, die an dieser Stelle sichergehen wollen, öffnen ihre Vorausschau-Aktivitäten und entwickeln Szenarien gemeinsam mit Externen. Die MAN verfügt dabei über fundierte Erfahrung, da sie in den vergangenen Jahren drei unterschiedliche Ansätze der gemeinschaftlichen Entwicklung von Zukunftsbildern genutzt hat. 1.Den Branchendialog pflegen – Zukunft Nutzfahrzeuge 2025 2008 wurde im Rahmen des Initiativkreises Forschung und Innovation der IHK Heilbronn-Franken angeregt, ein Szenarioprojekt „Zukunft Nutzfahrzeuge 2025” durchzuführen. Daraufhin haben sich sechs namhafte Unternehmen der Nutzfahrzeug-Branche – neben der MAN auch KS Kolbenschmidt, Knorr-Bremse, ZF Friedrichshafen, Robert Bosch und MAGNA Powertrain – zusammengefunden und ein Gemeinschaftsprojekt gestartet. Bereits im Rahmen des ersten von vier Workshops wurde deutlich, dass der notwendige Detaillierungsgrad nicht mit einem einzelnen Szenario-Satz erreicht werden kann. Daher wurde bei der Auswahl der Schlüsselfaktoren zwischen allgemeinen und den für die Teilmärkte „LKW” und „Bus” spezifischen Schlüsselfaktoren unterschieden. Anschließend wurden neun Szenarien für das allgemeine Umfeld der Nutzfahrzeugbranche entwickelt und zur besseren Kommunikation in vier Szenario-Cluster gegliedert. Abbildung 3 zeigt im oberen Teil die Landkarte der Zukunft für die allgemeinen Branchenszenarien. Abbildung 3: Zukunftsraum der Nutzfahrzeugbranche 2025 transport ist eine wesentliche Herausforderung an urbane Zentren und Ballungsräume. Gleichzeitig ist hier die gegenseitige Beeinflussung vieler Themen besonders hoch. Daher ist es angeraten, auch bei der Vorausschau einen interdisziplinären Ansatz zu verfolgen. Fokus Best Paper 2013 INHALT Insofern wurde für das von der ScMI AG initiierte SzenarioProjekt „Zukünftige Mobilität in deutschen Ballungsräumen 2030” ein branchenübergreifendes Team zusammengestellt. Ihm gehörten der Hamburger Verkehrsverbund und der Rhein-Main-Verkehrsverbund, Siemens, die Metro-Group und das Market Research und Service Center der Deutschen Post an. Der öffentliche Part wurde durch das Logistikportal und das Innovationszentrum Niedersachsen repräsentiert. Die MAN konnte noch einmal zwei Perspektiven in das Projekt einbringen, da hier sowohl Busse für den Personen- als auch LKW für den Gütertransport herstellt werden. Abbildung 4: Studienbericht als Werkzeug des offenen Dialogs Anschließend konnten auf Basis der segmentspezifischen Schlüsselfaktoren Subszenarien für die zwei Teilmärkte „Güterverkehr/LKW” sowie „Personenmobilität/Bus” aufbereitet werden. Eine Verknüpfung der allgemeinen und spezifischen Szenarien lieferte den Partnern die Zukunftsinformationen, die sie für ihre Planungsprozesse nutzen wollten. So gab es beispielsweise Antworten auf die Frage, welche Entwicklungsmöglichkeiten für den LKW- und den Bus-Markt in den einzelnen Umfeldern bestehen (Abbildung 3). Im Rahmen des Projektes wurden sieben Szenarien erarbeitet, die von einem Kollaps des Straßenverkehrs über multimodale Konzepte in wachsenden Ballungsräumen bis zu einer Abkehr vom Mobilitätsdenken und der Durchsetzung neuer Geschäftsmodelle reichen. Ein von allen Projektpartnern geäußertes Feedback war, dass in den jeweils bei einem der Partner vor Ort durchgeführten Workshops ein intensiver und auf Zukunftsthemen ausgerichteter Branchendialog ermöglicht wurde. Daraus haben sich im Nachgang auch bilaterale Entwicklungskooperationen zwischen einzelnen Partnerunternehmen ergeben. Im Rahmen des Projektes wurden sieben Szenarien erarbeitet, die von einem Kollaps des Straßenverkehrs über multimodale Konzepte in wachsenden Ballungsräumen bis zu einer Abkehr vom Mobilitätsdenken und der Durchsetzung neuer Geschäftsmodelle reichen.14) Diese Szenarien wurden von den Projektteilnehmern in einem gemeinsamen Studienbericht veröffentlicht, um sie so in den Dialog mit Kunden und Gesellschaft einbringen zu können (Abbildung 4). Darüber hinaus wurden die Szenarien von den meisten Teilnehmern gemeinsam bewertet. In einem Transfer-Workshop ging es dann abschließend darum, diese Sichtweisen abzugleichen und noch einmal von- beziehungsweise miteinander zu lernen. 2.Branchengrenzen überwinden – Zukünftige Mobilität in deutschen Ballungsräumen Im Jahr 2007 lebten erstmals mehr als die Hälfte der Menschheit in Städten. In Deutschland liegt der Verstädterungsgrad deutlich über dem weltweiten Durchschnitt. Die Bereitstellung einer geeigneten Infrastruktur für den Personen- und Güter- 3.Eigene Vorausschauprojekte öffnen – Busbasierter Reiseverkehr in Europa 2030 Ein führender Bus-Hersteller wie MAN beschäftigt sich kontinuierlich mit den Entwicklungsmöglichkeiten seines Markt umfelds – vor allem in den Segmenten Bus-Tourismus und busbasierter Fernlinienverkehr. Da dieser Zukunftsmarkt vor BVM inbrief August 2013 39 Fokus Best Paper 2013 INHALT Abbildung 5: Beispiel einer Zeitung aus der Zukunft Neben einer zu erwartenden breiten Rezeption im Unternehmen hat die MAN Truck & Bus AG die Studie für einen intensiven Branchendialog genutzt und die Ergebnisse in die Entwicklung neuer Fahrzeuge und Baureihen einfließen lassen. Nutzenpotenziale gemeinschaftlicher Szenarioentwicklung Die meisten in Unternehmen erfolgreich eingesetzten Szenarien sind keine zugekauften Studien, sondern entstehen in einem gruppendynamischen Prozess auf Basis des im Unternehmen vorhandenen Zukunftswissens. Damit verbunden ist sowohl eine höhere Identifikation mit den „eigenen” Szenarien als auch die Möglichkeit des gemeinsamen Lernens im Rahmen eines strukturierten Zukunftsprozesses. erheblichen Unsicherheiten steht, wurde 2010 ein Projekt „Busbasierter Reiseverkehr in Europa 2030” aufgesetzt (Abbildung 4). Um dabei nicht nur die herstellerspezifische Sicht einzunehmen, wurden 17 Player und Stakeholder aus den unterschiedlichsten Branchen eingeladen, sich an dem Prozess zu beteiligen. Dies waren zunächst Vertreter der eigenen Branche wie BMW, Volkswagen, Goodyear, Continental und Michelin – aber auch der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer und der RDA Internationale Bustouristik Verband. Darüber hinaus wurden aber auch branchenfremde Innovatoren wie Airbus, Henkel, Evonik, T-Systems und die Lechwerke (RWEGruppe) in den Szenarioprozess eingebunden. Mit der Zunahme von Komplexität und Ungewissheit werden Szenarien zu einem wichtigen Werkzeug der Entscheidungsunterstützung. Das dafür notwendige Wissen befindet sich zunächst in den Unternehmen, die es durch geeignete Prozesse erschließen und vernetzen müssen. In sieben unterschiedlichen Szenarien wurden der Einfluss von Reisegewohnheiten, Umweltschutzanforderungen, Nutzerprofilen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auf den Reisemarkt untersucht. Hier reicht das Spektrum von allgemeinen Wachstumsszenarien über spezifische Zukunftsbilder wie das Premium-Szenario bis hin zu eher negativen Zukünften, die von einer Fragmentierung der Branche oder einem Abrutschen in eine Nischenrolle für Senioren ausgehen. Parallel zu den fachlichen Szenario-Beschreibungen wurden eine Reihe von Szenario-Geschichten formuliert sowie Interviews und Zeitungen aus der Zukunft aufbereitet (Abbildung 5).15) 40 BVM inbrief August 2013 Wie in den drei Beispielen gezeigt, nutzen viele Unternehmen ihre Szenario-Prozesse darüber hinaus dazu, mit Kunden, Lieferanten, Innovatoren oder gesellschaftlichen Gruppen in einen Dialog zu kommen. Mit solchen gemeinschaftlichen Szenario-Entwicklungen lassen sich verschiedene Nutzenpotenziale erschließen:16) Ausbrechen aus dem Unternehmens- und Branchendenken: Durch den vorwettbewerblichen Austausch mit Branchenvertretern wird dafür gesorgt, dass man nicht allein auf die im eigenen Unternehmen vorhandenen Denkmuster zurückgreift. Die Etablierung eines branchenübergreifenden SzenarioTeams stellt darüber hinaus sicher, dass in der eigenen Branche dominante Denkschablonen aufgebrochen und vollständig neue Perspektiven auf die Art der eigenen Wertschöpfung gewonnen werden.17) Gemeinsame Generierung von Orientierungswissen: In gemeinschaftlichen Szenario-Projekten entsteht Orientierungswissen, das alle Teilnehmer individuell nutzen können.18) Im Mobilitäts-Projekt hat ein Partner darauf aufbauend spezifische Szenarien für seinen Handlungsbereich entwickelt und diese gegen verschiedene Mobilitätsumfelder abgesichert. Abgleich von Zukunftserwartungen: Szenarien sind zunächst Denkwerkzeuge. Daher werden bei ihrer Entwicklung bewusst keine Wahrscheinlichkeiten betrachtet. Für die Nutzung in Strategie- und Innovationsprozessen schließt sich aber eine Szenario-Bewertung an, so dass Tendenzen und Entwicklungspfade erkennbar werden. Diese Bewertung kann – wie in allen drei Projekten geschehen – gemeinsam erfolgen. So können die Partner nicht nur ihre „Weltbilder”, sondern auch ihre Erwartungen miteinander abgleichen. Schaffung einer Grundlage für Umfeld-Monitoring: Durch den systematischen Prozess werden Schlüsselfaktoren und Indikatoren identifiziert, die eine geeignete Grundlage für eine systematische Marktbeobachtung im Sinne einer strategischen Früherkennung darstellen.19) Schaffung eines Forums für Dialog und Konfliktlösung: Szenarien sind stets ein Instrument für strategische Dialoge.20) Dabei ist es auch möglich, dass in einem Szenario-Prozess Unternehmen oder Organisationen zusammenarbeiten, die gegenläufige Interessen verfolgen oder sich in operativen Konflikten befinden. Teilweise lassen sich solche Differenzen durch den „Umweg” langfristiger Vorausschau sogar auf einen Nenner bringen21) und regen dazu an, gemeinsam über strategische Konsequenzen zu sprechen. Wer den Gedanken gemeinschaftlicher Szenario-Projekte konsequent weiterdenkt, stößt auf das Konzept des Open Foresight.22) Darunter werden Vorausschau-Aktivitäten verstanden, über deren Teilnehmerkreis weder das Unternehmen selbst noch ein Dritter im Vorfeld entscheidet, sondern die grundsätzlich offen sind. Dazu zählen verschiedene OnlineFormate, aber auch Bar Camps und andere Großgruppenformate. Inwieweit diese sich für zukunftsoffenes und vernetztes Denken eignen, wird sich in der Zukunft zeigen. Fazit Mit der Zunahme von Komplexität und Ungewissheit werden Szenarien zu einem wichtigen Werkzeug der Entscheidungsunterstützung. Das dafür notwendige Wissen befindet sich zunächst in den Unternehmen, die es durch geeignete Prozesse erschließen und vernetzen müssen. Darüber hinaus kann über gemeinschaftliche Szenario-Prozesse auch externes Zukunftswissen eingebunden werden. Dadurch lassen sich interne Denkmuster überprüfen, zusätzliche Impulse generieren und Dialogoptionen schaffen. Anmerkungen 1.Beispiele hierfür sind: Eberl, Ulrich: Zukunft 2050. Wie wir schon heute die Zukunft erfinden. Beltz & Gelberg, Weinheim, 2011; Opaschowski, Horst W.: Deutschland 2030. Wie wir in Zukunft leben. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, 2008; Randers, Jorgen: 2052. Der neue Bericht an den Club of Rome. Eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre. Oekom, München, 2012; Rinke, Andreas / Schwägerl, Christian: 11 drohende Kriege. Künftige Konflikte um Technologien, Rohstoffe, Territorien und Nahrung. C. Bertelsmann, München, 2012 2.Brater, Jürgen: Keine Ahnung, aber davon viel. Die peinlichsten Prognosen der Welt. Ullstein, Berlin, 2011; Fink, Alexander / Siebe, Andreas: Handbuch Zukunftsmanagement. Werkzeuge der strategischen Planung und Früherkennung. 2. Auflage, Frankfurt, New York, 2011, S. 18ff; Gardner, Dan: Future Babble. Why Expert predictions are next to worthless. And You can do better. Penguin, New York, 2011 3.Johansen, Bob / Institute for the Future: Get there Early. Sensing the Future to Compete in the Present. San Francisco, 1997 4.Courtney, Hugh: 20|20 Foresight. Crafting Strategy in an Uncertain World, Harvard Business School Press, Boston, 2001 5.Fink, Alexander / Siebe, Andreas: Handbuch Zukunftsmanagement. Werkzeuge der strategischen Planung und Früherkennung. 2. Auflage, Frankfurt, New York, 2011 6.Scharmer, C. Otto: Theorie U. Von der Zukunft her führen. Carl-Auer, Heidelberg, 2009, S. 79ff; Ulrich, Hans / Probst, Gilbert J.B.: Anleitung zum ganzheitlichen Denken und Handeln. Ein Brevier für Führungskräfte. 3. Aufl., Haupt, Bern, 1995 7.Zum Visions- und Strategiebegriff siehe u.a.: Gälweiler, Aloys: Strategische Unternehmensführung, zusammengestellt, bearb. und erg. von Markus Schwaninger. 2. Aufl., Frankfurt/New York, 1991; Hinterhuber, Hans A.: Strategische Unternehmensführung, I. Strategisches Denken. 6. Aufl., de Gruyter, Berlin/New York, 1996; Malik, Fredmund: Strategie. Navigieren in der Komplexität der neuen Welt, Campus, Frankfurt/New York, 2011 8.Steinmüller, Angela / Steinmüller Karlheinz: Wild Cards. Wenn das Unwahrscheinliche eintritt. 2. Aufl., Murmann, Hamburg, 2004; Taleb, Nassim Nicholas: Der Schwarze Schwan. Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse. Hanser, München, 2008 9.Da der Bottom-Up-Ansatz (Szenariotechnik) vor allem in Kontinentaleuropa und der Top-Down-Ansatz (Scenario planning) im anglo-amerikanischen Raum Verwendung finden, wird umgangssprachlich auch vom „German way of scenario construction” und dem „Californian way of scenario construction” gesprochen. 10.Steinmüller, Angela / Steinmüller Karlheinz: Wild Cards. Wenn das Unwahrscheinliche eintritt. 2. Aufl., Murmann, Hamburg, 2004; Taleb, Nassim Nicholas: Der Schwarze Schwan. Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse. Hanser, München, 2008 11.Fink, Alexander / Siebe, Andreas: In Zukünften denken. Change X, Folge 16 der Serie Zukunft der Zukunft, 18.01.2013, http://www.changex.de/ Article/serie_zukunft16_fink_siebe_zukuenfte/6G3gvI0eeEkA25S7x2 QsO9wAJAF7Od 12.Fink, Alexander / Schlake, Oliver / Siebe, Andreas: Erfolg durch Szenario-Management. Prinzip und Werkzeuge der strategischen Vorausschau, Campus, Frankfurt/New York, 2001 13.Schoemaker, Paul J.H.: Profiting from Uncertainty. Strategies for Succeeding No Matter What the Future Brings. Free Press, New York, 2002 14.ScMI Scenario Management International AG: Zukünftige Mobilität in deutschen Ballungsräumen 2030 – Szenario-Studie, Paderborn, 2010 15.MAN Truck & Bus AG: Busbasierter Reiseverkehr in Europa 2030 – Interne Szenario-Studie, München, 2012 16.Fink, Alexander / Siebe, Andreas: Handbuch Zukunftsmanagement. Werkzeuge der strategischen Planung und Früherkennung. 2. Auflage, Frankfurt, New York, 2011, S. 95ff; Fink, Alexander / Siebe, Andreas / Bergfeld, Katharina: Future Scenarios as a tool for Collaborative Strategizing. Strategic Management Society, Special Conference – Intersections of Strategy processes and strategy practices, Levi/Finland, 2010; Fink, Alexander / Siebe, Andreas: Gemeinschaftliche Szenarioentwicklung als Option für mittelständische Industrieunternehmen. In: Gausemeier, Jürgen (Hrsg.): Vorausschau und Technologieplanung, 6. Symposium, 28./29. Oktober 2010, HNI-Verlagsschriftenreihe, Band 276, Paderborn, 2010, S. 237-253 17.Day, George S. / Schoemaker, Paul J.H.: Peripheral Vision. Detecting the Weak Signals That Will Make or Break Your Company. Harvard Business School Press, Boston, 2006; Besonders intensive wird dieser Ansatz von Shell genutzt. Siehe dazu u.a.: 40 years of Shell Scenarios, http://www.shell.com/global/future-energy/scenarios/40-years. html 18.Beispiele hierfür sind auch die Szenarioprojekte des World Economic Forum. Siehe dazu: http://www.weforum.org/issues/strategic-foresight 19.Bazerman, Max H. / Watkins, Michael D.: Predictable Surprises. The Disasters you Should have seen coming and how to prevent them. Harvard Business School Press, Boston, 2004; Fink, Alexander / Schlake, Oliver / Siebe, Andreas: Erfolg durch Szenario-Management. Prinzip und Werkzeuge der strategischen Vorausschau, Frankfurt, New York, 2001, S. 182ff; Müller, Adrian W. / Müller-Stewens, Günter: Strategic Foresight. Trend- und Zukunftsforschung in Unternehmen – Instrumente, Prozesse, Fallstudien. Schäffer Poeschel, Stuttgart, 2009 20.Ogilvy, James A.: Facing the Fold. Essays on scenario planning. Triarchy Press, Axminster, 2011; Van der Heijden, Kees: Scenarios. The Art of Strategic Conversation. Wiley, Chichester, 1996 21.Siehe dazu: Kahane, Adam: Transformative Scenario Planning. Working together to Change the Future. Berrett-Koehler, San Francisco, 2012 22.Miemis, Vanessa / Smart, John / Brigis, Alvis: Open Foresight. In: Journal of Futures Studies, September 2012, 17(1): S. 91-98 Fokus Best Paper 2013 INHALT BVM inbrief August 2013 41 Fokus Best Paper 2013 INHALT Nominiert für das Best Paper Das gefühlte Morgen Dr. Josef Köster, BMW Group, und Frank Schomburg, nextpractice, zur Simulation zukünftiger Alltagswelten als Werkzeug der Zukunftsforschung Die Globalisierung und die neuen Kommunikationstechnologien haben in den letzten Jahrzehnten die Vernetzung zwischen den Lebens- und Erlebenswelten der Menschen unaufhalt sam vorangetrieben. Die Instabilität und Unvorhersagbarkeit der dadurch entstandenen komplexen Dynamik erhöhen den Druck auf die Entscheidungsträger. Die Autoren stellen ein Untersuchungsdesign vor, das Menschen virtuell mit 3D-Welten konfrontiert, die zukünftig zu erwarten sind, um aus deren Reaktionen und Assoziationen Empfehlungen für Trendaussagen und strategische Entscheidungen abzuleiten. Mittels der sukzessiven Änderung von Prämissen können auf diesem Weg neue Erkenntnisse zu den Auswirkungen von Umfeldvariablen auf das Verhalten von Konsumenten in unterschiedlichen Zukunftsszenarien gewonnen werden. Fragen an die heutige kundenbezogene Zukunftsforschung (Customer Foresight) beginnen häufig mit den Worten: „Wie würden die Kunden reagieren, wenn …”. Um sie belastbar zu beantworten, müsste man Kunden in die Zukunft schicken und ihre Verhaltenspräferenzen unter den entsprechend veränderten Umfeldbedingungen untersuchen. Da dies unmöglich ist, haben die BMW Group und nextpractice in den letzten Jahren gemeinsam ein Untersuchungsdesign entwickelt und mehrfach erfolgreich angewendet, das denkbare Zukunftsszenarien simuliert: „Simulated VIEWtureS”. Dabei werden Probanden in virtuelle 3D-Welten versetzt und die über eine spezielle Befragung gewonnenen Assoziationen und Bewertungen zu Zukunftsperspektiven verdichtet. Über eine sukzessive Änderung der Prämissen können auf diesem Weg neue Erkenntnisse über die Auswirkungen von UmfeldVariablen auf das Kundenverhalten in den unterschiedlichen Zukunftsszenarien gewonnen werden. Ist die Simulation von Wirklichkeit möglich? Die Idee der Simulation von Wirklichkeit ist nicht neu, doch noch nie waren wir dem erklärten Ziel, die Grenze zwischen „Fact und Fiction” verschwimmen zu lassen, so nahe wie jetzt. Das enorme Suchtpotenzial, das virtuelle Welten inzwischen entfalten, spricht in diesem Zusammenhang Bände. Die Idee der Simulation von Wirklichkeit ist nicht neu, doch noch nie waren wir dem erklärten Ziel, die Grenze zwischen „Fact und Fiction” verschwimmen zu lassen, so nahe wie jetzt. Das enorme Suchtpotenzial, das virtuelle Welten inzwischen entfalten, spricht in diesem Zusammenhang Bände. In Wahrnehmung und Handeln wird eine hohe Erlebnisintensität erreicht, die zu tiefgreifenden emotionalen Reaktionen 42 BVM inbrief August 2013 und nachhaltigen Lernprozessen führen kann. Kommen die simulierten Welten der Realität sehr nahe, sind sie weit mehr als originelle Erlebnisräume. Dann eröffnen sie möglicherweise auch die Chance, mit überschaubarem Risiko Handlungskonsequenzen abzuschätzen und zukünftige Entwicklungen vorherzusagen. Was also liegt näher, als die Gestaltung virtueller Realitäten für die Zukunftsforschung einzusetzen? Ist es also möglich, Menschen virtuell mit Situationen zu konfrontieren, die in Zukunft zu erwarten sind, und dann aus ihren Reaktionen in der künstlichen Wirklichkeit Empfehlungen für strategisches Handeln abzuleiten? Inwieweit Konsumenten tatsächlich in eine andere, virtuell erschaffene Umgebung hineinversetzt werden können und welche Gestaltungsprinzipien und Stimuli sich gegebenenfalls dafür besonders eignen, haben die BMW Group und nextpractice in einem aufwendigen Methodentest evaluiert, der nachstehend beschrieben wird. Der experimentelle Methodentest zum Thema City-Maut Aus Erkenntnissen, die anhand des menschlichen Verhaltens in der virtuellen Realität gewonnen werden, Antworten für die Wirklichkeit abzuleiten, ist in erster Linie eine psychologische Problemstellung. Ob eine virtuelle Realität den Anspruch erheben kann, für die Menschen „wirk”-lich zu sein, wird davon bestimmt, wie sehr die künstliche Erlebniswelt dem alltäglichen Lernumfeld der Menschen entspricht. Für den Methodentest fiel die Wahl deshalb auf ein natürliches Experiment in Schweden rund um das Thema „City-Maut”: Im Rahmen des Tests sollte mit einer speziellen Befragung ermittelt werden, wie Stockholmer und Göteborger Bewohner Mobilität in ihrer Stadt wahrnehmen, bewerten und welche Rolle die City-Maut dabei spielt. In Stockholm gab es bereits seit längerem eine City-Maut, in Göteborg zu dem Zeitpunkt des Tests hingegen noch nicht. Bewohner von Göteborg dien- ten somit als Experimentalgruppe, die City-Maut über verschiedene Stimuli-Settings erlebte, während Bewohner von Stockholm, die reale Erfahrungen mit der City-Maut hatten, als Vergleichsgruppe fungierten. Das eigentliche Ziel dieser Methode, Aussagen über zukünftige Kundenbewertungen zu gewinnen, wurde also zum Zweck des methodologischen Tests erweitert: Die zeitliche Varianz der Rahmenbedingungen (Göteborg heute vs. Göteborg morgen) wurde durch eine räumliche Varianz (Göteborg vs. Stockholm) ergänzt, so dass sich unmittelbar Schlussfolgerungen über die Ähnlichkeit von Ergebnissen herstellen ließen, die einerseits unter realen, andererseits unter virtuellen UmfeldBedingungen zustande kamen. Rekrutiert wurden einheitlich Neuwagenfahrer (Kaufentscheider). Die Probanden in Göteborg waren Personen, die eine ausgewählte Strecke – einen üblichen Arbeitsweg in die Stadt hinein – regelmäßig zumindest abschnittsweise mit dem Auto zurücklegten. Unterschiedliche strukturgleiche Gruppen wurden mit verschiedenen Stimuli-Settings konfrontiert: Die Gruppe 1 „Göteborg Maut virtuell” (n=30) erhielt als Stimulus eine aufwendig erstellte 3D-Animation von ausgewählten Straßenzügen in Göteborg, durch die die Probanden am PC – ausgerüstet mit Lenkrad und Pedale – fahren konnten. Die technische Basis dieser Simulation war eine „Spiele-Engine”, anhand derer es nicht nur möglich war, realitätsgetreue Abbildungen von Straßen und Gebäuden zu erzeugen, sondern die es auch gestattete, ein realitätsähnliches Bewegen eines Fahrzeugs im Verkehr erlebbar zu machen. Erstellt wurde die Simulation von der französischen Firma enodo, die sich auf industrielle Anwendungen dieser SpieleEngine (z.B. zum Erlebbarmachen von Architekturentwürfen) spezialisiert hat. Auf der Strecke der Simulation wurden sowohl Fußgänger als auch Straßenverkehr dargestellt. Die Probanden konnten in begrenztem Umfang Einfluss auf die Steuerung des Autos nehmen – oder alternativ sich für die Nutzung der Straßenbahn entscheiden. In die 3D-Simulation wurden City-Maut-typische Merkmale wie Bezahlstationen, Hinweisschilder und Kontrollsysteme eingebaut. Nach einer Einleitung und unter Aufsicht sollten die Probanden im Studio die ihnen bekannte, in 3D dargestellte Strecke durch die Stadt Göteborg eigenständig befahren und dabei Erfahrungen mit der simulierten City-Maut machen. Die Gruppe 2 „Göteborg Maut-Broschüre” (n = 30) erhielt – im Sinne einer klassischen „Information Acceleration” – als Stimulus eine offiziell wirkende Informationsbroschüre des Schwedischen Straßenverkehrsamts, in der über die geplante Einführung einer City-Maut in Göteborg berichtet wurde. Mit dieser setzten sich die Probanden initial auseinander. Fokus Best Paper 2013 INHALT Die Gruppe 3 „Göteborg real ohne Maut” (n=30) diente als Kontrollgruppe ohne reale Erfahrung mit City-Maut. Die Probanden begannen ohne Stimulus direkt mit den Interviews. Im Rahmen des Tests sollte mit einer speziellen Befragung ermittelt werden, wie Stockholmer und Göteborger Bewohner Mobilität in ihrer Stadt wahrnehmen, bewerten und welche Rolle die City-Maut dabei spielt. Die Gruppe 4 „Stockholm Maut real” (n=30) in Stockholm diente ohne Stimulus als Vergleichsgruppe. In Stockholm wurde eine City-Maut bereits im Jahr 2006 eingeführt. Anforderungen an das Befragungsverfahren In der Konzipierungsphase der Simulated VIEWtureS stellte sich prominent die Frage, wie die eigentliche Messung des Feedbacks der Probanden vorgenommen werden sollte. Einerseits wurde eine Methode gebraucht, die offen für unvorhergesehene Effekte durch die Simulation ist. Denn es konnte nicht davon ausgegangen werden, dass sich alle denkbaren Effekte apriorisch vorwegnehmen und als standardisierte Frage vorformulieren lassen. Eine standardisierte quantitative Befragung erschien daher ungeeignet. Andererseits wurde ein Verfahren benötigt, das sensibel misst und einen einfachen und objektiven Vergleich von Subgruppenergebnissen gestattet – was gegen die Verwendung eines klassischen qualitativen Ansatzes spricht. Darüber hinaus ist die praktische Nutzung animierter Szenarien in der Zukunftsforschung angesichts der zu erwartenden Störeffekte durch kognitive Dissonanz an Messverfahren gebunden, die die Wirkung von Simulationen jenseits bewusster Eindrücke und akzeptierter Bewertungen erfassbar machen. Das Verfahren muss daher in der Lage sein, Änderungen in den verhaltenswirksamen Einstellungen und Präferenzen von Experimental- Dr. Josef Köster, Head of Customer Foresight, BMW Group, München studierte Sozialwissenschaften und ist seit 2002 bei der BMW Group tätig. Er verfügt über langjährige Erfahrungen in der Automobilbranche und hat sich unter anderem auf Trend-Scouting und Konsumenten-Verhalten spezialisiert. Seit 2008 arbeitet er in seiner jetzigen Position. Frank Schomburg, Mitbegründer und Gesellschafter, nextpractice, Bremen war nach dem Studium der Informatik in verschiedenen Industrieunternehmen als Projektleiter für produktionstechnische EDV-Systeme tätig. 1991 gründete er zusammen mit weiteren Gesellschaftern ein Softwareentwicklungsunternehmen. In einem interdisziplinären Team aus Informatikern und Psychologen entwickelte er gemeinsam mit Professor Dr. Peter Kruse die Basiskonzepte für die nextpractice-Werkzeuge. Als Berater erarbeitet er heute Konzepte für den Methodeneinsatz in Unternehmen und leitet deren Umsetzung. BVM inbrief August 2013 43 Fokus Best Paper 2013 INHALT gruppen zu erfassen, noch bevor die Schwelle zur kritischen Selbstwahrnehmung überschritten wird. Dabei sollte das Verfahren nicht nur quantitative Auswertungen gestatten, sondern die Möglichkeit eröffnen, über die Erkennung qualitativer Musterbildungen Entwicklungstendenzen abschätzbar zu machen. Dafür ist notwendig, die unbewussten emotionalen Präferenzen einzelner Probanden zu überindividuellen und bedeutungshaltigen kulturellen Kraftfeldern zu verrechnen. Auch zu diesem Zweck ist es erforderlich, die Vergleichbarkeit standardisierter Fragebögen mit der inhaltlichen Aussagekraft frei geführter Interviews zu verbinden. Nur wenn die Menschen Erlebtes weitgehend ohne Vorgaben und unter Verwendung ihrer eigenen Wortwahl beschreiben können, können unbewusste emotionale Inhalte Eingang in die Datenerhebung finden. Und nur, wenn die individuell erzeugten Bedeutungen mathematisch zu einem einheitlichen Bezugsrahmen verrechnet werden können, lassen sich die Dynamiken abschätzen, die hinter der Vielzahl scheinbar unabhängiger Einzelwirklichkeiten die Grundlage synchronisierter Aktivität in sozialen Systemen bilden. Kurz gesagt: Gelingt die vergleichende Messung der unbewussten emotionalen Beeinflussungen, die durch ein simuliertes Zukunftsszenario ausgelöst werden, öffnet sich ein Fenster, durch das wir erkennen können, wie sich zukünftige kulturelle Muster bilden, die das Verhalten der Menschen bestimmen werden. Das qualitativ-quantitative Interviewverfahren nextexpertizer Vor diesem Hintergrund wurde für die Befragung das von nextpractice entwickelte qualitativ-quantitative InterviewverAbbildung 3: Matrize eines einzelnen Interviews fahren nextexpertizer eingesetzt, das sich in den vergangenen Jahren als sehr sensibel erwiesen hat, die Auswirkungen von Veränderungen auf die „Wirklichkeitskonstruktion” von Menschen zu messen. Das dem Befragungsinstrument zugrunde 44 BVM inbrief August 2013 liegende Verfahren ist sprachgebunden und erlaubt dennoch die Erfassung unbewusster emotionaler Bewertungsmuster. Zur Anwendung kommen dabei drei wissenschaftlich gut begründete Prinzipien: 1.Die Probanden bilden über assoziative Paarvergleiche in einer Befragung Beschreibungsdimensionen in ihrer eigenen Sprache und nicht in vorgegebenen Antwortkategorien. Dadurch entsprechen die Beschreibungen viel besser ihrer jeweiligen unbewussten Gefühlslage. Hierauf beruht letztlich die inhaltliche Aussagekraft frei geführter Interviews. Nur wenn die Menschen Erlebtes weitgehend ohne Vorgaben und unter Verwendung ihrer eigenen Wortwahl beschreiben können, können unbewusste emotionale Inhalte Eingang in die Datenerhebung finden. 2.Die Probanden werden in einem rechnergestützten Befragungsritual dazu veranlasst, auf der Basis ihrer selbst erzeugten Beschreibungsdimensionen eine unüberschaubar große Zahl von intuitiven Einzelentscheidungen zu treffen. Das reduziert die Möglichkeit, die Ergebnisse willkürlich rational zu beeinflussen. Hierauf beruht letztlich ja auch die Aussagekraft von Choice-Based-Conjoint-Analysen. Mit dem an Wittgensteins Sprachtheorie (Philosophi3. sche Untersuchungen) orientierten Prinzip der Wortverwendungsähnlichkeit lässt sich das Problem der Mehrdeutigkeit von Sprache lösen: Aus der Summe der auf der Basis der eigenen Beschreibungsdimensionen getroffenen Einzelentscheidungen ergibt sich ein mathematisch weiter zu verarbeitendes Profil der jeweiligen persönlichen Wortverwendung der Probanden. Auf diesem Wege ist es möglich, die Ähnlichkeit der Verwendungsprofile verschiedener Menschen zu berechnen und unterschiedliche Worte einem einheitlichen Bedeutungskonzept oder ein gleiches Wort unterschiedlichen Konzepten zuzuordnen (z.B. clever=hinterlistig oder clever= intelligent). Eine Messung mit diesem Verfahren beginnt mit der Bestimmung von Vergleichselementen, die den Suchraum der Erhebung definieren und das assoziative Gerüst der einzelnen Befragung bilden (Schritt 1: Festlegung des Elemente-Sets). Die im engen Diskurs mit den Auftraggebern ausgewählten Elemente definieren das Untersuchungsfeld. Bei einer Untersuchung mit nextexpertizer werden dann die für die Befragung geeigneten Probanden bestimmt (Schritt 2: Bestimmung der Probanden). Die Probanden müssen für die Vergleichselemente einen ausreichenden Kenntnisstand mitbringen, das heißt, sie sollten für die Fragestellung »Erfahrungsexperten« sein oder eben in der Interviewsituation mit unbekannten Stimuli konfrontiert werden. Ein mit dieser Vorgehensweise durchgeführtes Interview läuft in dem von Kruse und Raeithel entwickelten Bremer Verfahren (s. Kruse et al. 1992, 1994a,b) nach einem festen, auf dem robusten Prinzip des assoziativen Paarvergleiches basierenden Erhebungsritual ab (Schritt 3: Durchführung der Interviews). Zu Beginn des Erhebungsrituals wird der Proband aufgefordert, zwei der speziell für die Befragung ausgewählten Elemente – beispielsweise »urbane Lebensqualität für mich« und »Großstädte mit Maut-System« – als ähnlich oder unterschiedlich einzustufen (zu vergleichen). Hat sich die Person für eine Alternative entschieden, bekommt sie die Aufgabe, den Unterschied bzw. die Gemeinsamkeit mit einer für sie persönlich bedeutsamen Beschreibungsdimension zu qualifizieren – beispielsweise »freie, unbeschwerte Beweglichkeit« versus »zwangsgeregelt bewegen«. Der initiale Vergleich und die Benennung der polaren Konstrukt-Dimension werden als »Evokationsphase« bezeichnet. Im Anschluss an die Konstrukt-Evokation werden nun alle übrigen Elemente des Sets schnell und ohne langes Nachdenken einem der selbst definierten Konstrukt-Pole zugeordnet. Den Probanden stehen als Antwortalternativen zudem die Bewertungen »beides«, »keins von beidem« und »keine Aussage« zur Verfügung. Das gesamte Vorgehen wird solange wiederholt, bis der Proband alle ihm zur Beschreibung des interessierenden Untersuchungsbereiches wichtig erscheinenden KonstruktDimensionen hervorgebracht hat. Gelingt die vergleichende Messung der unbewussten emotionalen Beeinflussungen, die durch ein simuliertes Zukunftsszenario ausgelöst werden, öffnet sich ein Fenster, durch das wir erkennen können, wie sich zukünftige kulturelle Muster bilden, die das Verhalten der Menschen bestimmen werden. Das in der so entstandenen Matrize enthaltene relationale Muster von Elementen und Konstrukten wird über eine Eigenstrukturanalyse (ESA) nach Slater (1977) in einen leicht interpretierbaren mehrdimensionalen Bedeutungsraum umgerechnet und dem Probanden rückgemeldet (Schritt 4: Konsensuelle Validierung). Für Gruppenvergleiche oder Zeitverlaufsanalysen werden mehrere dieser Bedeutungsräume zusammengefasst (Multi-ESA) und nach Inhaltskategorien oder Kenngrößen (z.B. Elementdistanzen) ausgewertet (Schritt 5: Analyse der Musterbildungen). Mit nextexpertizer können auf diese Weise die unbewussten emotionalen Präferenzen einzelner Probanden systematisch erfasst und zu überindividuellen und bedeutungshaltigen kulturellen Kraftfeldern verrechnet werden. Das Instrument ver- bindet die Vergleichbarkeit standardisierter Fragebögen mit der inhaltlichen Aussagekraft frei geführter Interviews und ermittelt die assoziativen Anker, die beachtet werden müssen, um aus einem virtuellen Szenario einen maximalen Transfer auf die Realität zu gewährleisten. Das dem Werkzeug zugrunde liegende Verfahren ist sprachgebunden und erlaubt dennoch die Erfassung unbewusster emotionaler Bewertungsmuster. Fokus Best Paper 2013 INHALT Darüber hinaus ist es möglich, die Wirkungen virtueller Szenarien auf die handelnden Menschen direkt zu überprüfen und die darin gemachten Erfahrungen zu mathematisch gestützten Trendaussagen zu verdichten, ohne Gefahr zu laufen, über unzulässige Rationalisierungen in die Irre geleitet zu werden, wie es bei Fragebögen nahezu unvermeidbar ist. Das dem Werkzeug zugrunde liegende Verfahren ist sprachgebunden und erlaubt dennoch die Erfassung unbewusster emotionaler Bewertungsmuster. Die Ergebnisse zusammengefasst Mittels des Pre-Post-Experiments konnte nachgewiesen werden, dass die in Göteborg durchgeführte Befragung in dem virtuell in 3D simulierten City-Maut-Umfeld zu ähnlichen Befragungsergebnissen führt wie die Befragung von Probanden in Stockholm, für die das City-Maut-Umfeld zur Realität ihres täglichen Erlebens gehörte – und das im Gegensatz zu Subsamples, die ohne Stimulus oder nach schriftlicher „Information Acceleration” befragt wurden. Zusammengefasst lassen sich folgende Aussagen festhalten: Die Simulation wird von den Probanden gut angenommen und hat den gewünschten Priming-Effekt Die Übereinstimmung der Gruppen „Stockholm Maut real” und „Göteborg Maut virtuell” ist sehr hoch Die in der Analyse identifizierten Unterschiede lassen sich auf Merkmale der Simulation zurückführen Der Einfluss der Informationsbroschüre („Information Acceleration”) auf Wahrnehmungsänderungen ist inhaltsanalytisch gering Simulated VIEWtureS hat das Potenzial, Auswirkungen von neuen Impulsen auf die Wahrnehmung des Bestehenden zu überprüfen. Insgesamt wurde mit dem Methodentest der Nachweis erbracht, dass sich auch komplexe Effekte veränderter UmfeldBedingungen – zu diesen gehören auch eigene Angebotsstrategien des Unternehmens! – auf die Einstellungsmuster von Kunden simulieren und erfassen lassen. Dadurch lassen sich Chancen-Risiko-Abschätzungen von Entwicklungen sehr viel breiter, feiner und empirisch begründet vornehmen. BVM inbrief August 2013 45 Fokus Best Paper 2013 INHALT nominiert für Best paper 2013 Bridging the gap Michael Schießl, eye square, und Dr. Steffen Schmidt, Leibniz Universität Hannover zu einem integrierten Modelling von impliziten und expliziten Messmethoden zur Vorhersage von Verhaltensentscheidungen Zunehmend betonen Marketingpraktiker sowie Marketingwissenschaftler die Relevanz impliziter Hirnprozesse bei Kaufentscheidungen. Für die Analyse des Kundenverhaltens ist aber nicht nur der Einsatz von neuartigen impliziten Erhebungstechniken relevant. Vielmehr liefert auch die klassische Markt- und Marketingforschung mit ihren etablierten expliziten Messverfahren einen wesentlichen Beitrag für ein umfassendes Kundenverständnis. Bisher mangelt es aber an gemeinsamen und systematischen Ansätzen. Die in diesem Beitrag vorgestellten Studien stellen integrierte Messansätze von impliziten und expliziten Indikatoren vor, welche einen im Vergleich zu einer isolierten Messung überlegenen prognostischen und diagnostischen Mehrwert aufweisen. In den letzten beiden Dekaden hat ein fundamentaler Paradigmenwechsel in der Ökonomie im Allgemeinen sowie im Marketing im Speziellen stattgefunden. Die traditionelle Verhaltensannahme, dass der Mensch in der theoretischen Modellrolle eines Homo oeconomicus ein vernunftbegabtes Wesen ist, das vollständig rational (Kauf-)Entscheidungen trifft und auf Basis rein sachlogischer Überlegungen Auskunft über die dahinterliegenden Motive geben kann, ist spätestens mit dem Aufkommen von modernen bildgebenden Verfahren der Hirnforschung Anfang der neunziger Jahre sowohl auf der wissenschaftlichen als auch auf der praktischen Seite zunehmend infrage gestellt worden. Relevanz der Thematik Klassische Experimente, wie der legendäre Cola-Blindverkostungstest aus dem Jahre 1975 („Take the Pepsi Challenge!”), haben in der Vergangenheit bereits mehrfach aufzeigen können, dass zwischen verbalisierten Urteilen und spontanen Entscheidungen – je nach Stimulikontakt – eine deutliche Wahrnehmungs-Verhaltenslücke liegen kann. Der Cola-Versuchsaufbau wurde verschiedentlich wiederholt, unter anderem auch mit neurophysiologischen beziehungsweise -psy- chologischen Methodiken. Insbesondere die fMRI-Studie von Montague und seinem Forscherteam brachte neue Erkenntnisse in Bezug auf das Blindverkostungsphänomen. In dieser Untersuchung konnte im Blindtest, also ohne Markendarstellung, keine eindeutige Präferenz für Pepsi oder Cola festgestellt werden. Beide Marken aktivierten die gleichen Hirnregionen, unter anderem nämlich Areale für sensorische Informationsverarbeitung sowie Belohnung. Völlig andere Ergebnisse ergaben sich beim Zeigen der Markenlogos. Nun wurde nicht nur Coke mehrheitlich bevorzugt, sondern die Präsentation des CokeMarkenlogos führte zu einer zusätzlichen Aktivierung von Hirnbereichen, die unter anderem mit Gedächtnisleistungen sowie dem Selbstbild assoziiert sind und stark durch soziokulturell erfahrene Informationen beeinflusst werden (z.B. Werbung). Beim Pepsi-Markenlogo zeigten diese Hirnbereiche keine derartigen Erregungsmuster. Das über Jahrzehnte dominierende Branding von Coca-Cola führt hier zu einem klaren Wettbewerbsvorteil, der sich auf neuronaler Ebene in den verschiedenen impliziten Hirnbereichen der Kunden niederschlägt. Michael Schießl, Gründer und Geschäftsführer von eye square, Berlin Er forscht und publiziert im Bereich User Experience und Markenforschung. Michael Schießl ist Experte für die Anwendung von impliziten Methoden für Kommunikation, Produktinnovation & Shoppergestaltung. Michael Schießl spricht regelmäßig auf Konferenzen. Für den BVM engagiert er sich als Leiter der Regionalgruppe Berlin. Dr. Steffen Schmidt, Akademischer Rat, Leibniz Universität, Hannover hat nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften im Bereich Marketing promoviert. In seiner gegenwärtigen Tätigkeit als Akademischer Rat und Habilitand am Institut für Marketing und Management der Leibniz Universität setzt er sich in Forschung und Lehre mit der neuro- und verhaltensökonomischen Marketingforschung auseinander. Des Weiteren berät er B2C- und B2B-Unternehmen mit Fokus auf S trategisches Marketing und Marketingforschung. 46 BVM inbrief August 2013 Die maßgeblichen Diskurse, die mit derartigen Studien einhergehen, lassen sich mit den Verschlagwortungen Neuromarketing und Behavioral Economics kennzeichnen. Im „new implicit neuro look” herrscht Übereinstimmung bei folgenden Im „new implicit neuro look” herrscht Übereinstimmung bei folgenden Punkten: Skepsis gegenüber der Existenz eines rationalen Entscheiders, die Renaissance der Emotionen und die Infragestellung des etablierten Methodenkanons. Punkten: Skepsis gegenüber der Existenz eines rationalen Entscheiders, die Renaissance der Emotionen und die Infragestellung des etablierten Methodenkanons. Für die Markt- und Marketingforschung stellt sich nunmehr die Herausforderung, diesem Paradigmenwechsel durch den kombinierten Einsatz von expliziten (z.B. schriftlicher Fragebogen, telefonisches Interview) und impliziten Messverfahren Rechnung zu tragen, um ein möglichst ganzheitliches (Meinungs-)Bild vom Kunden zu erhalten. Während sich in Bezug auf implizite Methodiken der Einsatz von neurophysiologischen Bildgebungsverfahren wie fMRI in der Regel als wenig praxistauglich herausstellt, da er auf der Anwenderseite einen hohen Zeit- und Kostenaufwand bedeutet (ganz zu schweigen Abbildung 1: Eingesetzte implizite Messtechniken von der Expertise bei der Methodenanwendung und Datenauswertung), überzeugen andere (weiter-)entwickelte implizite Messverfahren durch den einfachen und kostengünstigen Einsatz mit einer hohen Leistungsstärke beim alltäglichen Fokus Best Paper 2013 INHALT Praxiseinsatz. Zu nennen seien hier neben wohletablierten Messmethoden wie Eye Tracking und Hautwiderstandsmessung (elektrodermale Aktivität, kurz EDA) in erster Linie Elektroenzephalografie (EEG), softwaregestützte Gesichtserkennung (Facial Expression Coding) sowie Reaktionszeitmessungen (Abbildung 1). Eine systematische, integrierte Betrachtung von expliziten und impliziten Messindikatoren hat bis heute allerdings – sowohl was die Wissenschaft als auch die Praxis betrifft – nur in wenigen Einzelfällen stattgefunden. Dies liegt primär an verhärteten Ideologiefronten. Auf der einen Seite stehen die „Neuro-Hardliner”, die die Bedeutung der expliziten Ebene mit Bewusstsein und reflexiven Prozessen gänzlich infrage stellen (oder sie zumindest nicht näher betrachten wollen). Auf der anderen Seite befinden sich „Befragungs-Nostalgiker”, die unermüdlich Versuche unternehmen, implizite Messansätze mit den Standards der klassischen Forschung zu evaluieren. Die dabei häufig herangeführten Korrelationsanalysen, die per se schon nicht geeignet sind, irgendwelche UrsacheWirkungs-Zusammenhänge zu bestimmen – wie es eine erkenntnisleitende Marktforschung aber benötigen würde –, zeigen in der Regel keine bis niedrige Korrelationen zwischen impliziten und expliziten Daten auf, was dann, je nach originärer Forschungsgesinnung, zu Bestätigung oder Enttäuschung bzgl. der (Nicht-)Brauchbarkeit von impliziten Verfahren führt. Eine systematische, integrierte Betrachtung von expliziten und impliziten Messindikatoren hat bis heute allerdings – sowohl was die Wissenschaft als auch die Praxis betrifft – nur in wenigen Einzelfällen stattgefunden. In der Mitte des ideologischen Grabenkampfes halten sich vor allem Verhaltensökonomen und Psychologen auf, die aufgrund ihres biographischen Wissenschaftshintergrundes einen differenzierteren und damit entspannteren Blick auf das Thema werfen (können). Diese „Forschungs-Friedenstruppe” folgt einem situativen Ansatz: Geht es zum Beispiel um die Bestimmung der (in der Zukunft gelagerten) Kaufabsicht bei neuartigen High-Interest-Produkten, so stellen explizite Maße das primäre Analysewerkzeug dar, während implizite Maße unter anderem bei der Untersuchung des (in der aktuellen Situation gelagerten) spontanen und/oder automatisierten Kaufverhaltens vertrauter Low-Interest-Produkte zum Einsatz kommen (sollten). BVM inbrief August 2013 47 Fokus Best Paper 2013 INHALT Weder mentale Prozesse noch beobachtbare Entscheidungsreaktionen bestehen also in realitas vollständig aus schwarzen (impliziten) oder weißen (expliziten) Denk- und Handlungsvorlagen, sondern eher aus vielen „Grautönen”, die mal mehr, mal etwas weniger hell bzw. dunkel die Wahrnehmung bzw. das Verhalten „eintrüben” (bestimmen). So müssen zum Beispiel auch der menschlichen Natur entsprechend spontane Impulskäufe, die ursprünglich durch eine implizite Ebene gesteuert sind, nachträglich auf einer expliziten Ebene gerechtfertigt werden, damit sich der Mensch als konsistent verhaltendes Wesen verstehen kann, das alles unter Kontrolle hat. Vor diesem Hintergrund sind implizite und explizite Techniken gemeinsam einzusetzen. Auf diesem Wege kann die für die Wissensgenerierung verantwortliche Markt- und Marketingforschung die erkenntnisgetriebene und managementorientierte Handlungsfähigkeit der Unternehmen sicherstellen. Diesem ganzheitlichen Forschungsansatz haben sich eye square auf der Praxisseite und das Institut für Marketing und Management der Leibniz Universität Hannover auf der Wissenschaftsseite in verschiedenen Online- und Lab-Studien im vergangenen Jahr gewidmet, um damit auch den theoretischen Mehrwert eines integrierten Modelling impliziter und expliziter Maße empirisch zu überprüfen. Neben dem Heranziehen expliziter Indikatoren (z.B. Relevanz, Recall, Awareness) anhand bewährter Fragenbatterien sowie Freitextabfragen kam ein breites Toolset impliziter Indikatoren zum Einsatz: Eye Tracking, Facial Expression Coding, Reaktionszeitmessung, EEG (nur im Lab) und EDA (nur im Lab). Zwei Studien sollen im Folgenden zur Demonstration eines diagnostischen Analysemehrwertes näher vorgestellt werden. Während es bei der ersten Studie um die Vorhersage der Kaufentscheidung geht, betrachtet die zweite Studie eine motivbezogene Positionierung von Marken. Alle Daten wurden in einem kohärenten Single-Source-Modell integriert. Bei der Analyse wurden Strukturgleichungsmodelle und Choice-Modelling-Ansätze verwendet. Ziel war es, den Anteil der Prädiktion bzw. die Prognosestärke eines jeden Indikators zu bestimmen. Vorstellung der Studienergebnisse Erste Studie: Der Einfluss der expliziten und impliziten Touchpoint Experience auf die Kaufentscheidung In dieser explorativen Lab-Studie lag der Forschungsfokus auf der Prognose der Kaufentscheidung unter Zuhilfenahme expliziter sowie impliziter Messdaten. Befragt wurden insgesamt 120 Frauen zu Marken aus den Produktkategorien Kosmetik und Erfrischungsgetränke. Spezifisch sollte näher untersucht werden, welchen kommunikativen Markenmehrwert verschiedene Touchpoints liefern (Werbespots, Verkaufsregal, 48 BVM inbrief August 2013 Produktverpackung) und in welchem Ausmaß die explizit sowie implizit erhobenen Daten das Kaufentscheidungsverhalten vorhersagen können. Nach einer Nullmessung sahen die Probandinnen zunächst verschiedene Werbespots. Anschließend erfuhren sie eine Markenexposition durch eine computergestützte Darstellung von Verkaufsregalen und Produktverpackungen, gefolgt von einer Nachhermessung. Als explizite Messverfahren kamen standardmäßige Itembatterien und offene Fragestellungen zum Einsatz, um die üblichen expliziten Messindikatoren wie beispielsweise Recall, Awareness, Relevanz und Liking zu erfassen. Um die implizite Wirkungsebene umfassend zu bestimmen, wurden die in Abbildung 1 skizzierten vier impliziten Messtechniken eingesetzt: Eye Tracking, EEG, EDA und Facial Recognition, anhand derer implizite Messindikatoren wie zum Beispiel Aufmerksamkeitsstärke, Engagement und Erregung abgeleitet worden sind. Als zusätzlicher Vorteil von impliziten Verfahren stellt sich hierbei die synchrone Datenerfassung heraus. Während explizite Techniken lediglich eine nachgelagerte (asynchrone) Erfassung der kommunikativen Markenwirksamkeit ermöglichen, sind implizite Techniken zur simultanen Datenerhebung während der Touchpoint Experience fähig, wie in Abbildung 2 dargeboten. Weder mentale Prozesse noch beobachtbare Entscheidungsreaktionen bestehen also in realitas vollständig aus schwarzen (impliziten) oder weißen (expliziten) Denk- und Handlungsvorlagen, sondern eher aus vielen „Grautönen”. Als Analysetechnik wurde eine logistische Regression zum Zwecke eines binären Choice-Modelling-Ansatzes (hier: Kauf oder Nicht-Kauf) verwendet. In Abbildung 3 sind die Erklärungsgehalte der binär-logistischen Regressionsmodelle für Kosmetik und Erfrischungsgetränke im Detail wiedergegeben. Die Prognosegüte (McFaddens R²) der aufgestellten Modelle erreicht beim alleinigen Einsatz von expliziten Daten zufriedenstellende Werte von 0.28 und 0.38, was auf eine ausreichende bis gute Modellanpassung schließen lässt. Unter zusätzlichem Heranziehen von impliziten Daten wird mit Werten von 0.73 und 0.75 sogar eine sehr gute bis ausgezeichnete Modellgüte erreicht. Diese Gütewerte zeigen eindrucksvoll auf, dass der Einbezug von impliziten Daten zu einer deutlichen Verbesserung der Prognose von Kaufentscheidungen führt. Zwar erklärten die expliziten Daten bereits einen wesentlichen Teil des Kaufentscheidungsverhaltens, die impliziten Daten erhöhten die Erklärungskraft der Entscheidungspro- Abbildung 2: Simultane Erhebung impliziter Messdaten – Eye Tracking (links), EDA und EEG (rechts) Abbildung 3: Erklärungsgehalte der binär-logistischen Regressionsmodelle gnosemodelle aber noch einmal um etwa den Faktor 2. Des Weiteren erwiesen sich die eingesetzten impliziten Indikatoren als unabhängig. So erwies sich Facial Recognition für die Erklärung der Kaufentscheidung von hoher Bedeutung, während EDA und EEG vor allem zusätzliche Insights zum Wirkungsverständnis der TV-Spots lieferten. Als stärkste Kaufentscheidungsprädiktoren erwiesen sich die Aufmerksamkeitsstärke (via Eye Tracking) und die affektive Erregung (via Facial Recognition). Zweite Studie: Der Einfluss von expliziten und impliziten Markenmotiven auf die Markenwahrnehmung und das Markenverhalten Bei dieser explorativen Online-Studie wurde der Fokus auf die Prognose der Markenwahrnehmung und des Markenverhaltens unter Rückgriff auf eine explizite und implizite Markenmotivmessung gelegt. Hierzu wurden 339 aktive Motorradfahrer zu sechs bekannten Motorradreifenmarken befragt, wobei jeder Motorradfahrer jeweils nur eine Marke bewertet hat. Im Detail sollte bestimmt werden, welchen Einfluss die Motivdimensionen auf zentrale Erfolgsgrößen der Marken- Fokus Best Paper 2013 INHALT wahrnehmung (z.B. Image, Vertrauen) und des Markenverhaltens (z.B. Treue, Kaufabsicht) ausüben, um darüber Aussagen über eine leistungsstarke Markenmotivpositionierung ableiten zu können. Hierzu wurde für alle Motivdimensionen (hier: Freude, Stärke, Sicherheit) ein spezifischer MarkenKunden-Motivfit nach der Formel ‚Motivausprägung Marke’ minus ‚Motivausprägung Kunde’ [M(brand)–M(customer)] berechnet. Ein positiver Motivfit zeigt eine hohe Belohnungskompetenz der Marke an, da die Marke das jeweilige Motivbedürfnis des Kunden zu befriedigen vermag. Die Markenwahrnehmung und das Markenverhalten wurden unter Rückgriff auf validierte Messmodelle und eine 5er-Likert-Skala (1 = stimme überhaupt nicht zu bis 5 = stimme voll und ganz zu) erfasst. Jede der drei Motivdimensionen wurde a) einmal in Bezug auf die Marke sowie in Bezug auf die eigene Person und b) explizit und implizit bestimmt. Die explizite Motivmessung erfolgte mit Hilfe von 7-poligen semantischen Differentialen. Zur Bestimmung der impliziten Motivausprägungen kam mit dem i² BRANDREACT eine Reaktionszeitmessung zum Einsatz, wie sie in Abbildung 4 beispielhaft dargestellt ist. Die simultane Auswertung aller expliziten und impliziten Erhebungsdaten erfolgte unter Rückgriff auf das kausalanalytische Strukturgleichungsverfahren Partial Least Squares (PLS) und der Software SmartPLS 2.0. Die Pfadkoeffizienten und Bestimmtheitsmaße sind in Abbildung 5 abgetragen. Mit R²Werten von 0.32 (Markenimage) bis 0.82 (Markentreue) erzielt das aufgestellte Kausalmodell eine ausreichende bis hervorragende Modellgüte. Sowohl von einer expliziten als auch impliziten Ebene geht vom Marken-Kunden-Motivfit eine direkte Wirkung auf nahezu alle zentralen Erfolgsgrößen der Markenführung aus, die in dieser Studie herangezogen wurden. Sig- Menschliche Entscheidungsprozesse sind vielschichtig und keine Einbahnstraßen, die nur eine Richtung kennen. Konsumenten entscheiden sich nicht entweder nur bewusst oder unbewusst, sondern die Prozesse greifen ineinander. nifikante Totaleffekte (direkte plus indirekte Wirkungseffekte) konnten sogar auf sämtliche Erfolgsgrößen nachgewiesen werden. Als besonders interessant erweist sich hierbei das Ergebnis, dass unterschiedliche Motivfits auf der expliziten und impliziten Ebene wirksam sind, wie der Abbildung 6 entnommen werden kann. BVM inbrief August 2013 49 Fokus Best Paper 2013 INHALT Abbildung 4: Empirisches Untersuchungsmodell leistungsstarke Analyseverfahren eingesetzt werden). Folglich ist die von Teilen der Neuro-Fraktion zum Teil hysterisch anmutende Kritik an der klassischen Marktforschung weitgehend unbegründet. Auch die vorgebrachte Argumentation, dass ein Großteil der Verhaltensentscheidungen von rein unbewussten Prozessen determiniert ist, führt bei alleiniger Berücksichtigung eben dieser impliziten Prozesse zu einem Bias in den Insights. Menschliche Entscheidungsprozesse sind vielschichtig und keine Einbahnstraßen, die nur eine Richtung kennen. Konsumenten entscheiden sich nicht entweder nur bewusst oder unbewusst, sondern die Prozesse greifen ineinander. Die damit einhergehende Einsicht für die Praxis ist, dass nur Unternehmen nachhaltig und langfristig Erfolg haben, die einen implizit motivierten Kunden auch während seines Rechtfertigungsprozesses bewusst überzeugen können. Abbildung 5: Total-Effekte der Marken-Kunden-Motiv fitindikatoren Während auf der expliziten Motivebene vom Sicherheits- und Stärke-Motivfit ein signifikanter Wirkungseffekt ausgeht, beeinflusst auf der impliziten Motivebene der Freude-Motivfit die Markenwahrnehmung und das Markenverhalten signifikant. Diese empirische Erkenntnis deutet an, dass eine Motorradreifenmarke zum Zwecke einer starken Markenpositionierung auf einer bewussten Ebene vor allem Sicherheit und Stärke kommunizieren bzw. ausstrahlen sollte (z.B. textlastige Markenkommunikation, um eine deliberate bzw. kontrollierte Informationsverarbeitung hervorzurufen). Im Gegensatz dazu gilt es auf einer unbewussten Ebene Freude zu verkörpern (z.B. symbollastige Markenkommunikation, um eine automatische bzw. intuitive Informationsverarbeitung auszulösen). Fazit und Ausblick Mit Hilfe der beiden vorgestellten Studien konnte nachgewiesen werden, dass explizite und implizite Maße über eine voneinander unabhängige Vorhersagekraft für Kaufentscheidungen und Markenpräferenzen verfügen. Die Ergebnisse zeigen an, dass die klassische Marktforschung mit ihren rein expliziten Messansätzen keineswegs in dem ihr bisweilen nachgesagten Dunkeln tappt, sondern mit ihren Instrumenten eine valide Vorhersage des Kundenverhaltens und den zugrunde liegenden Entscheidungsprozessen leisten kann (sofern auch 50 BVM inbrief August 2013 Andererseits wurde bisher zum großen Teil unterschätzt, gerade auch von der klassischen Marktforschung, welche Wichtigkeit implizite Maße bei der Analyse des Kundenverhaltens spielen, um diese in all ihren Facetten zu verstehen. Wie die präsentierten Studien aufgezeigt haben, konnte die Prognose von Verhaltensentscheidungen durch das zusätzliche Heranziehen impliziter Maße deutlich verbessert werden. Ein weiterer Vorteil von impliziten Maßen, auf den in diesem Beitrag nicht näher eingegangen wurde, ist die höhere Sensitivität in der Abbildung von Markenkontaktpunkten (Touchpoint Experience). So ziehen Mediakontakte wie TV, Online oder Sponsoring deutlich stärkere Veränderungseffekte auf der impliziten Ebene nach sich, während auf der expliziten Ebene manchmal gar keine oder nur sehr geringe Effekte zu erkennen sind. Zusammengefasst liegt der entscheidende Stellenwert impliziter Messverfahren in einer präziseren und tiefergehenden Diagnose, indem räumlich und zeitlich hochauflösende Aufschlüsse über Entscheidungsprozesse erzielt werden können. Derartige Consumer Insights sind gerade bei der Gestaltung von Triggern, Farbwahl und Aufbau von Stories zur Umsetzung von Mediakampagnen sowie Produktgestaltungen von zentraler Bedeutung für ein wissensgetriebenes Marketingmanagement. Die in diesem Beitrag skizzierte diagnostische Leistungsfähigkeit eines integrierten Methodeneinsatzes soll die Diskussion über das Verhältnis von impliziten und expliziten Messansätzen anreichern bzw. beleben und darüber hinaus einen motivierten Ausgangspunkt zur konsequenten Integration beider Ansätze in der Praxis leisten. Referenzen zum Text sind auf Anfrage bei den Autoren erhältlich. Wissen, was die Kunden nicht wissen können Gabriele Hildmann, InnovationsPlattform, und Professor Dr. Ulrich Vossebein, Technische Hochschule Mittelhessen, zur Bedeutung der internen Unternehmenskultur im Innovationsprozess Fokus Best Paper 2013 INHALT Alle Neuerungen in der Marktforschungsmethodik der letzten Jahre haben im Bereich der Innovationen zu keiner merklichen Verbesserung des eigentlichen Ergebnisses geführt. Geradezu beängstigend ist die Stabilität des Misserfolgs im Bereich der Fast Moving Consumer Goods (FMCG). Je nach Berechnungsart schaffen es zwischen 70 und 85 Prozent der „neuen” Produkte nicht, mittel- und langfristig einen Beitrag zum Unternehmenserfolg zu leisten. Die Autoren diskutieren die Frage, ob durch weitere Verbesserungen der Markt- und Kundenanalysen das Kernproblem der Innovation gelöst werden kann. Allerdings sollte vor dem weiteren Auf- und Ausbau des Marktforschungsinstrumentariums im Tun eingehalten und die Frage gestellt werden, wie effektiv Innovationsmarktforschung heute eingesetzt wird. Dabei wird deutlich werden, dass sich die Innovationsmarktforschung aktuell – mehr oder weniger effizient – fast ausschließlich mit der Beschaffung von Informationen beschäftigt, die selbst nur partiell zur Lösung des eigentlichen Innovationsproblems beitragen können. Abbildung 1: Eisbergproblem in der Innovationsforschung Wahre Markt- und Kundenanforderungen sichtbar Wasserlinie unsichtbar Markt- und Kundenanforderungen, wie sie die Innovationsmarktforschung liefert Interne, nicht markt- oder kundenbezogene Erfolgsfaktoren, die noch nicht Gegenstand der Innovationsmarktforschung sind Bezeichnen wir dieses Problem als Eisbergproblem der Innovationsmarktforschung. Die Kenntnis der Markt- und Kundenanforderung ist nur der „sichtbare” Teil der Erfolgsfaktoren der Innovation. Die heutige Innovationsmarktforschung ist mehr oder weniger gut in der Lage, diesen sichtbaren Teil zu modellieren. Sicherlich ist es wünschenswert, das Instrumentarium weiter zu verbessern, so dass eine perfekte Übereinstimmung zwischen wahren Markt- und Kundenanforderungen und dem Bild, das die Innovationsmarktforschung davon liefert, erreicht wird. Allerdings kann aber auch die perfekte Abbildung dieser Begebenheiten nur 15–20 Prozent der gesamten Erfolgsfaktoren der Innovation abdecken. Ist es deshalb nicht wesentlich effektiver, sich marktforscherisch stärker diesen 80 – 85 Prozent der internen Erfolgsfaktoren zuzuwenden? Erfolgsfaktoren der Innovation sind bekannt Die Frage nach den relevanten Erfolgsfaktoren bzw. den größten Barrieren im Innovationsmanagement wird seit langem von den unterschiedlichsten Institutionen und Personen wissenschaftlich untersucht. Dabei erweisen sich die wesentlichen Erkenntnisse über die Ansätze hinweg als überraschend robust. Vereinfachend kann gesagt werden, dass die Probleme schon länger bekannt sind und es verschiedene Ansätze zur Überwindung dieser Probleme gibt. So präsentierte beispielsweise Trommsdorff in seinem Vortrag bei AUDI (Trommsdorff, Volker [2012]: Vortrag Innovationsmarketing bei AUDI) auf der Grundlage von Meta-Analysen, in denen hunderte Einzelstudien betrachtet wurden, dass es zwei Gruppen von Erfolgsfaktoren für Neuprodukte gibt. Zur ersten Gruppe gehören die Markt- und Umweltfaktoren, auf die sich die aktuelle Marktforschung überwiegend konzentriert, die aber vom Innovator nicht beeinflusst werden können. Es liegt auf der Hand, dass Unternehmen möglichst viel über diese exogenen Faktoren wissen sollen. Das erklärt aber nicht, weshalb die Marktforschung der zweiten Gruppe von Erfolgsfaktoren noch so wenig Beachtung zumisst. Zu dieser zweiten Gruppe gehören diejenigen Erfolgsfaktoren, die sich aus den internen Strukturen im Unternehmen ergeben und somit eigentlich vom Unternehmen gesteuert werden können. Die ersten Ergebnisse des Gi:ve-Projekts (z.B. Scholl, Wolfgang [2011]: Bedingungen der Innovationsfähigkeit kleiner professioneller Dienstleistungsunternehmen) zeigen, dass Organisation, Kommunikation, Motivation und Qualifikation der Mitarbeiter sowie die Integration von Kunden und Mitarbeitern in die unternehmerischen Innovationsprozesse wesentliche Erfolgsfaktoren sind. Bestätigt wird die hohe Bedeutung der „internen” Faktoren auch durch die Studie „Kritische Erfolgsfaktoren zur Steigerung der Innovationsfähigkeit”, die bereits 2007 die Fraunhofer-Institute IAO (Institut Arbeitswirtschaft und Organisation) und ISI (Institut System- und InnovationsBVM inbrief August 2013 51 Fokus Best Paper 2013 INHALT forschung) mit Unterstützung des BMBF durchgeführt haben. Von 28 identifizierten Erfolgsfaktoren beziehen sich 25 auf interne Aspekte. Wesentliche Erfolgsfaktoren bleiben unerfasst Alles klar mit den Erfolgsfaktoren der Innovation? Offensichtlich nicht, wie in der aktuellen Studie zur Innovationsmarktforschung in Deutschland (planung & analyse, Frankfurt / research tools, Esslingen, Oktober 2012) deutlich wird. Die Studie zeigt, dass die internen Erfolgsfaktoren weiterhin unberücksichtigt bleiben. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass einige der befragten Marktforschungsinstitute explizit anmerkten: „Ohne eine Veränderung der internen Abläufe werden die Innovationserfolge weiterhin ‚überschaubar’ bleiben”. Allerdings gab keines der vorgestellten Institute an, Lösungsansätze für die Integration der internen Prozesse im Angebotsportfolio zu haben. Eine deutliche Erhöhung des Innovationserfolgs ist nur möglich, wenn die Erkenntnisziele der Marktforschung auf die internen Bereiche ausgeweitet werden. Es ist an der Zeit, die interne Innovationsmarktforschung als eigenständigen Bereich der Marktforschung zu etablieren. Dabei ist es offensichtlich: Eine deutliche Erhöhung des Innovationserfolgs ist nur möglich, wenn die Erkenntnisziele der Marktforschung auf die internen Bereiche ausgeweitet werden. Es ist an der Zeit, die interne Innovationsmarktforschung als eigenständigen Bereich der Marktforschung zu etablieren. Die Marktforschung muss zukünftig den Kunden ganzheitliche Lösungen anbieten, die in der Lage sind, das gesamte Abbildung 2: Komponenten des Innovationserfolgs Marktund Kundenanforderungen Nutzung internen Wissens Abbau von internen Innovationsbarrieren Innovationsumfeld systemisch zu erfassen und damit die Innovationsbemühungen der Unternehmen zu kanalisieren und zu verbessern. Komponenten des Innovationserfolgs Wie soll die interne Innovationsmarktforschung aussehen und welche Bereiche sollen marktforscherisch erfasst werden? Die Innovationsforschung zeigt, dass zwei Bereiche im Fokus der internen Innovationsmarktforschung stehen müssen. Grundlegend für eine Verbesserung der Innovationsergebnisse ist zum einen die Identifizierung und Beseitigung von Innovationsbarrieren. Zum anderen muss das im Unternehmen vorhandene interne Wissen offengelegt werden. Beides sind Felder, die von der Innovationsmarktforschung bisher weitgehend ignoriert wurden. Erst wenn die gewonnenen Erkenntnisse aus diesen beiden Bereichen um die Kenntnis über die Markt- und Kundenanforderungen (klassische Innovationsmarktforschung) ergänzt werden, werden alle Komponenten des Innovationserfolgs erfasst. Abbildung 2 stellt die Komponenten des Innovationserfolgs und ihre Relevanz dar. Gabriele Hildmann, Projektleiterin, ARGE InnovationsPlattform, Kronberg war nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre zunächst im Research-Bereich einer Bank tätig und dort mit dem Aufbau des Quantitativen Researchs beauftragt. Sie wechselte dann zu einem Beratungsunternehmen, wo sie verschiedene Projekte in den Bereichen Strategisches Marketing, Marktforschung und Innovationsmanagement betreute. Seit vielen Jahren hat sie einen Lehrauftrag der Technischen Hochschule Mittelhessen. Professor Dr. Ulrich Vossebein, Lehrstuhl Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing, Technische Hochschule Mittelhessen, Gießen studierte in Frankfurt am Main Volkswirtschaftslehre und promovierte dort während seiner anschließenden Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter. Danach war er bei der Firma Eckes in der Marktforschung tätig. Er ist Mitbegründer des Instituts für Marktanalysen und Umfrageforschung an der Technischen Hochschule Mittelhessen. 52 BVM inbrief August 2013 Tabelle 1: Innovationsbarrieren und internes Wissen Erforschung der Innovationsbarrieren Nutzung internen Wissens Innovationskultur Marktgegebenheiten Innovationsziele und -strategie Technische Möglichkeiten Freiräume für Mitarbeiter Interne Prozesse Nutzung von Synergien Erfahrungswerte Ressourcenmängel Rahmenbedingungen Interne Kommunikation / Ideenaustausch Interne Kunden- und Service orientierung Kunden-und Serviceorientierung Promotoren Fehlerkultur / Interner Wettbewerb Fachwissen Handlungs-, Entscheidungs- und Umsetzungsfähigkeit Anreizsysteme Um endlich den Innovationserfolg merklich zu verbessern, muss das Unternehmen im Wesentlichen qualifizierte Informationen zu relevanten internen Aspekten der Innovationsfähigkeit haben. Die Unternehmen müssen also wissen, was die Kunden nicht wissen können. Die systematische interne Innovationsmarktforschung stellt damit die notwendige Bedingung für den nachhaltigen Innovationserfolg dar. In der Tabelle 1 sind beide Felder der internen Innovationsmarktforschung (Erforschung von Innovationsbarrieren und Nutzung des internen Wissens) beschrieben. Leider existiert zur Erfassung der in Tabelle 1 genannten Aspekte bisher noch kein einheitliches Messverfahren (vgl. Hölzle, Katharina: Vortrag Junge Spitzenforscher und Mittelstand, Forum Petersberg 23.06.10). Vereinfachend ist, dass in den meisten Fällen die Erhebungsinstrumente nicht neu erfunden werden müssen, da sie bereits in der klassischen Innovationsmarktforschung erprobt sind. Innovationskultur erfassen – Innovationsbarrieren abbauen Aufgrund ihrer besonderen Bedeutung ist die Erfassung der Innovationskultur eines Unternehmens wesentlich. Unter Innovationskultur wird die grundsätzliche Denkhaltung aller Organisationsmitglieder sowie die typischen Verhaltens- und Entscheidungsmuster verstanden, die im Unternehmen auftreten. Stimmt die Innovationskultur nicht, gehen viele gute Ideen verloren, die Prozesse werden behindert und der Innovationserfolg ist stark gefährdet. (vgl. z.B. Greiner, Oliver: Das Steuerrad der Innovation, Ganzheitliches Innovationsmanagement realisieren, Horváth & Partners, White Paper April 2009). Viele Aspekte spielen für die Innovationskultur eines Unternehmens eine Rolle. Beispielhaft sei der Komplex der übergeordneten Zielstellungen und Werte genannt. Mit Hilfe der (internen) Imageanalyse lässt sich ein profundes Bild dieses Komplexes zeichnen. Das Ergebnis der Analyse liefert Antwor- Fokus Best Paper 2013 INHALT ten auf die zentralen Fragen, wie die Mitarbeiter das Unternehmen und seine Innovationsfähigkeit bewerten und welche Innovationsbarrieren im Unternehmen gesehen werden. Mit Hilfe bekannter qualitativer und quantitativer Forschungsmethoden wird ein umfassendes internes Imageprofil des Unternehmens erstellt. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich konkrete Handlungsempfehlungen ableiten, die zur Verbesserung der Innovationskultur im Unternehmen führen. Mitarbeiterfokusgruppen wiederum können zur Erfassung von Innovationsbarrieren, der Erforschung der internen Akzeptanz von Prozessänderungen oder der Bewertung von Innovationen, um nur einige Einsatzgebiete zu nennen, eingesetzt werden. Sie leisten damit einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung des Innovationsprozesses. Letztlich kann die gesamte Breite des marktforscherischen Instrumentariums sinnvoll eingesetzt werden, um das Zusammenspiel der einzelnen Unternehmensbereiche zu erfassen, interne Barrieren abzubauen und internes Wissen zu nutzen. Die Behauptung, ein Unternehmen wisse auch ohne Marktforschung, was der Kunde will, gehört inzwischen der Vergangenheit an. Die Behauptung, ein Unternehmen wisse auch ohne interne Marktforschung, wie es um die Innovationskultur in seinem Unternehmen bestellt ist, ist leider noch normale Praxis. Um endlich den Innovationserfolg merklich zu verbessern, muss das Unternehmen im Wesentlichen qualifizierte Informationen zu relevanten internen Aspekten der Innovationsfähigkeit haben. Die Unternehmen müssen also wissen, was die Kunden nicht wissen können. Der -Fehler im Innovationsprozess Ein besonderes Problem im Innovationsprozess stellt die Bewertung der Innovationsideen dar. Das Risiko, ein Produkt zu entwickeln, das auf dem Markt durchfällt, ist bekannt. Kaum berücksichtigt wird dagegen die Gefahr, potente innovative Ideen aufgrund von internen Innovationsbarrieren zu verwerfen. Die Gefahr, marktfähige Innovationen nicht weiter zu verfolgen, kann als -Fehler der Innovationsentwicklung bezeichnet werden. Der Abbau von Barrieren durch zielgerichtete Informationen, beispielsweise über Mitarbeiterbedürfnisse, -einstellungen und -wünsche, verbessert den Selektionsprozess. Das Unternehmen muss zwingend wissen, wie anpassungs-, handlungs- und entscheidungsfähig es im Hinblick ––> Fortsetzung Seite 57 auf Innovationen ist. BVM inbrief August 2013 53 Fokus Best Paper 2013 INHALT Wie Smartphones die Onlinemarktforschung verändern werden Dr. Thomas Rodenhausen, Harris Interactive, zu den Konsequenzen des Fortschritts der mobilen Kommunikation Der Siegeszug des Apple iPhones hat den Markt für mobile Kommunikation und Informationsbeschaffung grundlegend verändert. Er wird auch die Marktforschung verändern. Die Kombination aus leistungsfähigem Computer, hoch auflösendem Farbbildschirm und mobilem Internetzugang macht Online-Interviews immer und überall möglich. Auf Smartphones spezialisierte Befragungsplattformen stoßen auf großes Interesse von Kunden und Instituten. Schon jetzt, so scheint es, haben sich mobile Befragungen als eigenständiger Befragungskanal neben den vorherrschenden CATIund Onlinebefragungen etabliert. Smartphones werden die Online-Marktforschung verändern ... Begünstigt wird dies durch die Dynamik der Marktdurchdringung und der Geräte- und Tarifentwicklung: Tatsächlich finden bereits jetzt mobile Zugriffsversuche auf konventionelle Befragungen statt: Im Online-Panel der Harris Interactive AG beträgt ihr Anteil an allen Zugriffen im Durchschnitt knapp 4 Prozent. Wir erwarten, dass dieser Anteil innerhalb kurzer Zeit zunehmen wird: Bereits jetzt sind in einzelnen Studien mobile Zugriffsraten von mehr als 10 Prozent zu beobachten. Mit anderen Worten: Die Trennung zwischen Smartphone- und Onlinebefragungen entspricht offensichtlich nicht mehr der Lebenswirklichkeit aller Befragungsteilnehmer. Die Bildschirme der Smartphones werden größer und nähern sich denen kleinerer Tablet-PCs an. Die Darstellung von Online-Inhalten wird dadurch verbessert und die Interaktion mit Websites erleichtert. Mobile Teilnahmen an konventionellen Befragungen: Die Wahl zwischen Not und Elend? Die Marktforschung steht damit vor der Entscheidung, mobile Befragungen an konventionellen Befragungen zuzulassen oder zu unterbinden. Beide Alternativen bedrohen die Qualität von Befragungsergebnissen: Schließt man mobile Teilnahmen an dafür nicht optimierten Befragungen nicht aus, so können Probleme in der Fragebogendarstellung und -handhabung zu einer verminderten Antwortqualität führen. Werden sie hingegen unterbunden, kann der Befragungszugriff für einen Teil der potenziellen Teilnehmer schwieriger und weniger attraktiv werden. Eine verzerrte Abbildung der Grundgesamtheit in der Stichprobe würde die Folge sein. Ein immer größerer Teil der Bevölkerung besitzt Smartphones. Dabei werden diese nicht nur unterwegs genutzt, sondern auch zu Hause anstelle von konventionellen Computern. Damit entfällt ein immer größerer Anteil der Onlinezeit insgesamt auf Smartphones. Deshalb führten wir 2012 und 2013 zwei Studien durch, um das Ausmaß dieser beiden Bedrohungen der Ergebnisqualität abzuschätzen. Ihre Basis sind panelrepräsentative Stichproben aus dem deutschen Teil des Online-Panels von Harris Interactive. … aber vielleicht nicht so, wie erwartet Wenn aber immer mehr Menschen mit Smartphones immer mehr Zeit im Internet verbringen, stellt sich die Frage, inwieweit die Trennung zwischen konventionellen Onlinebefragungen und Befragungen mittels Smartphones überhaupt noch aufrechtzuerhalten ist oder ob Onlinebefragungen zunehmend durch mobile Befragungen ersetzt werden. Studie 1: Smartphones – Nutzungsverhalten und Einstellungen Die Nutzung von Smartphones und die Einstellungen ihnen gegenüber waren Gegenstand der ersten Studie. Es wurde eine Zufallsstichprobe von ca. 4.000 Mitgliedern des HarrisInteractive-Panels eingeladen. Dieser Einladung folgten knapp 1.800 Mitglieder, von denen sich knapp zwei Drittel durch die private Nutzung von Smartphones für die Befragungsteilnah- Die mobile Internetnutzung ist preiswert geworden: Mobilfunkverträge mit Online-Flatrates sind mittlerweile für weniger als 10 Euro im Monat erhältlich. Flatrate-Tarife haben die mobile Internetnutzung verändert: Es gibt keine einzelnen Internetzugriffsereignisse mehr, die separat abgerechnet werden. Smartphones sind zunehmend „always on”. 54 BVM inbrief August 2013 me qualifizierten. Insgesamt beendeten 1.059 Teilnehmer die 20-minütige Befragung. Studie 2: Experimentelle Prüfung der Auswirkungen auf die Teilnahmequalität von Smartphoneteilnahmen an konventionellen Onlinebefragungen Eine Zufallsstichprobe aus dem Harris-Interactive-Panel wurde zu ihrer Bereitschaft befragt, an einem Interview per Smartphone teilzunehmen. Diejenigen, die hierzu grundsätzlich bereit waren, wurden per Zufall gebeten, entweder konventionell oder mobil eine weitere Befragung mit einer Länge von fünf, zehn oder zwanzig Minuten zu beantworten. Die Trennung zwischen Smartphone- und Onlinebefragungen entspricht offensichtlich nicht mehr der Lebenswirklichkeit aller Befragungsteilnehmer. Mobile Teilnahmen an konventionellen Befragungen: sieben Fakten Fakt 1: Smartphones werden bereits zur Teilnahme an konventionellen Befragungen genutzt 64 Prozent der Mitglieder des Harris-Interactive-Panels nutzen privat ein Smartphone. Von diesen greifen wiederum 71 Prozent mehrere Male am Tag per Smartphone auf das Internet zu. Computer werden mit 80 Prozent insgesamt zwar noch häufiger verwendet, der Anteil für konventionelle Desktop-PCs beträgt jedoch nur noch 35 Prozent. Internetzugriffe per Smartphone erfolgen dabei sowohl unterwegs über das Mobilfunknetz (74 Prozent) als auch zu Hause über W-Lan (76 Prozent). 61 Prozent glauben, dass ihre Internetnutzung via Smartphone in der Zukunft etwas oder stark zunehmen wird, während eine Abnahme nur 2 Prozent erwarten. 12 Prozent nahmen bereits per Smartphone an einer Onlinebefragung teil. Drei Viertel von ihnen wurden hierzu aus einem Fokus Best Paper 2013 INHALT Online-Panel per Mail eingeladen. Grundsätzlich eine Befragungsteilnahme per Smartphone vorstellen können sich 62 Prozent aller Befragten, und 60 Prozent hätten gerne bei jeder Befragung die Wahl zwischen mobiler und konventioneller Teilnahme. Fakt 2a: Durch Unterbindung von Smartphoneteilnahmen drohen Stichprobenverzerrungen Die private Smartphonenutzung ist stark altersabhängig: Während der Anteil privater Smartphonenutzer in der Altersgruppe bis 30 Jahre 77 Prozent beträgt, sind es in der Altersgruppe ab 50 nur 46 Prozent. Zudem wird das Smartphone durch jüngere Panelmitglieder deutlich intensiver genutzt: Mehr als 80 Prozent von ihnen besuchen das Internet mehrere Male am Tag mit dem Smartphone, während dies unter älteren Panelmitgliedern nur knapp 60 Prozent tun. Die Aufgeschlossenheit gegenüber mobilen Befragungsteilnahmen ist dementsprechend umso höher, je jünger die Befragten sind: In der Altersgruppe ab 45 Jahre können sich nur 41 Prozent vorstellen, per Smartphone teilzunehmen, während es in der Altersgruppe bis 34 Jahre 76 Prozent sind. Fakt 2b: Durch Zulassung von Smartphoneteilnahmen drohen ebenfalls Stichprobenverzerrungen In der experimentellen Studie reagierten Smartphoneteilnehmer deutlich schneller auf die Befragungseinladung: Während bei ihnen zwischen Einladung und erstmaligem Befragungszugriff im Durchschnitt 17 Stunden vergingen, waren es bei konventionellen Teilnehmern 23 Stunden. Fakt 3: Zwischen Smartphoneteilnahme und Antwortqualität besteht kein zwangsläufiger Zusammenhang Internetbrowser übermitteln automatisch Angaben zu Hardund Software, anhand derer die instruktionsgemäße mobile bzw. konventionelle Befragungsteilnahme an der experimentellen Studie geprüft wurde. Während sich in der konventionellen Teilnahmegruppe 97 Prozent der Befragten an die Instruktion hielten, waren es in der Smartphonegruppe nur 64 Prozent. Dabei wurde gegen die Instruktion umso eher verstoßen, je höher das Alter war: Während sich in der jüngsten Dr. Thomas Rodenhausen, Vorstandssprecher Harris Interactive AG, Hamburg hat bereits vor einer Dekade mit namhaften Kunden aus der Konsumgüterindustrie strenge Qualitätsrichtlinien für die Arbeit mit Online-Panels formuliert und in Fach- und Kongressbeiträgen zu neuen Methoden, insbesondere der internationalen Online-Marktforschung, Stellung bezogen. Er ist Psychologe und nimmt gelegentlich Lehraufträge wahr, zuletzt an der Hochschule Fresenius in Hamburg. BVM inbrief August 2013 55 Fokus Best Paper 2013 INHALT Altersgruppe bis 24 Jahre 74 Prozent instruktionsgemäß verhielten, waren es in der ältesten Altersgruppe ab 55 Jahre nur 33 Prozent. Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer ohne Unterbrechungen war in der Smartphonegruppe mit 14,7 Minuten deutlich länger als in der konventionellen Teilnahmegruppe mit 10,9 Minuten. Diejenigen, die gegen die Smartphoneinstruktion verstießen, bearbeiteten die Befragung mit 10,5 Minuten nochmals ein wenig schneller. Die Unterschiede in der Teilnahmequalität auf Gesamtbefragungsebene spiegeln sich in Qualitätsunterschieden in der Bearbeitung der einzelnen Fragen wider: Insgesamt war die Qualität in der Gruppe, die entgegen der Instruktion konventionell auf die Befragung zugriffen, am geringsten. Auch die gesamte Teilnahmedauer vom erstmaligen Befragungszugriff bis zur Beendigung der Befragung war in der konventionellen Teilnahmegruppe mit 42,9 Minuten im Durchschnitt am kürzesten. Befragte, die instruktionsgemäß mit dem Smartphone teilnahmen, benötigten 64,3 Minuten. Nochmals mehr Zeit ließen sich diejenigen, die gegen die Smartphone-Instruktion verstießen: Ihre durchschnittliche Teilnahmedauer betrug 125,8 Minuten. Die Unterschiede in der Teilnahmequalität auf Gesamtbefragungsebene spiegeln sich in Qualitätsunterschieden in der Bearbeitung der einzelnen Fragen wider: Insgesamt war die Qualität in der Gruppe, die entgegen der Instruktion konventionell auf die Befragung zugriffen, am geringsten. Im Vergleich zu regulär konventionell Teilnehmenden fielen ihre offenen Nennungen kürzer aus, sie wählten weniger Antwortmöglichkeiten in Multiple-Choice-Fragen und ihre Angaben zur Markenbekanntheit, -nutzung und -wahl waren weniger konsistent. Ihr Antwortverhalten in einer Matrixabfrage mit Einstellungsaussagen und einer fünfstufigen Zustimmungsskala war ebenfalls qualitativ schlechter: Sie wählten häufiger immer dieselbe Antwortkategorie in der gesamten Matrix und übersahen Fangfragen. Smartphoneteilnehmer hingegen bearbeiteten die meisten Aufgaben ebenso gut wie Befragte, die instruktionsgemäß konventionell teilnahmen. Selbst ihr Wahlverhalten in einer wahlbasierten Conjointabfrage mit zwölf Aufgaben und vier Alternativen pro Aufgabe war ebenso gut mathematisch modellierbar wie das der anderen Teilnehmer. Fakt 4: Die Teilnahme an einer konventionellen Befragung per Smartphone ist unattraktiv Die Einstellung der Panelmitglieder gegenüber Internetbesuchen per Smartphone ist ambivalent: 57 Prozent von ihnen sagen, dass viele Internetinhalte und -angebote auf Smart- 56 BVM inbrief August 2013 phones nur schlecht nutzbar sind, 50 Prozent bevorzugen Websites speziell für mobile Geräte und 48 Prozent finden, dass Applikationen in der Regel komfortabler zu bedienen sind als die zugehörigen Websites. Die hohe Antwortqualität der mobilen Teilnehmer an der experimentellen Befragung ging mit einer deutlich längeren Bearbeitungsdauer einher. Dementsprechend beklagten knapp 40 Prozent von ihnen Probleme in der Befragungshandhabung. Fakt 5: Ohne Qualitätsmanagement drohen Einbußen der Ergebnisqualität durch Smartphoneteilnahmen an konventionellen Befragungen Diejenigen Befragten, die mobil hätten teilnehmen sollen, den erhöhten Aufwand dafür aber nicht in Kauf nehmen wollten, wechselten in der experimentellen Studie vom Smartphone auf einen konventionellen Computer. Wie lange werden sie dies aber noch tun? Die bei Smartphoneteilnehmern um sechs Stunden kürzere Latenzzeit zwischen Befragungseinladung und erstmaligem Befragungszugriff unterstreicht, wie viel spontaner Smartphones im Vergleich zu konventionellen Computern mittlerweile genutzt werden, um auf das Internet zuzugreifen. Es ist deswegen zu erwarten, dass zukünftig vermehrt Panelmitglieder per Smartphone an einer Befragung teilnehmen, auch wenn sie nicht dazu bereit sind, den dafür notwendigen erhöhten Einsatz zu zeigen. Ohne qualitätssichernde Maßnahmen wird darunter die Ergebnisqualität leiden. Fakt 6: Der Bedienungskomfort von Smartphones wird in den nächsten Jahren stark zunehmen Smartphoneanbieter arbeiten intensiv an innovativen UserInterfaces, die den berührungsempfindlichen Bildschirm als derzeit wichtigste Schnittstelle zwischen Gerät und Nutzer unterstützen und möglicherweise ablösen werden. Zukünftige Smartphonegenerationen werden über Sprache, Gestik, Mimik und Blickbewegungen gesteuert werden können. Zugleich werden die Bildschirme größer. Die Nutzung von konventionellen Websites inklusive Onlinefragebögen wird dadurch deutlich vereinfacht werden. Fakt 7: Smartphones eröffnen der Befragungsmarkt forschung völlig neue Datenquellen und Untersuchungs ansätze Neben größeren Bildschirmen, besseren Kameras, schnelleren Prozessoren und komfortableren User-Interfaces sind Sensoren, mit denen Smartphones ihre Umwelt „wahrnehmen”, ein weiterer Entwicklungstrend. Schon heutzutage gibt es eine Reihe von externen Sensoren im Zubehörhandel, mit denen ein Smartphone medizinische Parameter wie Puls, Blutdruck und Blutzuckerspiegel messen, analysieren und dokumentieren kann. Zukünftige Generationen von Smartphones werden über eine Vielzahl von Sensoren verfügen, dank derer sie immer passgenauere orts- und situationsadäquate Dienste werden anbieten können. Der Marktforschung eröffnen sich damit völlig neuartige Möglichkeiten, um Interviews situationsabhängig auszulösen, die Befragungen mit Umgebungs- informationen anzureichern und die Angaben der Befragten durch objektive Messwerte zu ergänzen. Die Annahme, dass mobile und konventionelle Onlinebefragungen gezielt und überschneidungsfrei eingesetzt werden können, muss revidiert werden. Zwar ist die mobile Teilnahme an einer konventionellen Befragung noch unkomfortabel und findet insgesamt eher selten statt. Fazit und Ausblick Die Annahme, dass mobile und konventionelle Onlinebefragungen gezielt und überschneidungsfrei eingesetzt werden können, muss revidiert werden. Zwar ist die mobile Teilnahme an einer konventionellen Befragung noch unkomfortabel und findet insgesamt eher selten statt. Es ist jedoch kein Zufall, dass die höchsten mobilen Zugriffsraten auf konventionelle Befragungen in B2B-Befragungen beobachtet werden: In diesen Zielgruppen wiegt der Vorteil, jederzeit und überall eine Befragung beginnen zu können, schwerer als der Nachteil des eingeschränkten Komforts beim Ausfüllen des Fragebogens. Fokus Best Paper 2013 INHALT In der Praxis wird die Entscheidung zwischen Ausschluss, begrenzter oder völliger Freigabe von Smartphoneteilnahmen deswegen vor dem Hintergrund der Fragestellung, vor allem aber der interessierenden Grundgesamtheit erfolgen müssen. Entwickeln sich Smartphones weiter wie zuletzt, wird die Fragestellung schon bald eine radikal andere sein: Sollen überhaupt noch Teilnahmen über konventionelle Computer zugelassen werden, wenn Smartphoneteilnahmen ihnen gegenüber so viele Vorteile bieten? ––> Fortsetzung „Wissen, was die Kunden nicht wissen können” von Seite 53 Nur die interne Marktforschung kann fundierte Antworten auf Fragen geben wie: Welchen Stellenwert hat die Kundenorientierung im Unternehmen? Wie ist die interne Kommunikation geprägt (z. B. durch Hoffnung auf Erfolg oder durch Furcht vor Misserfolg)? Welche Position nehmen Promotoren im Innovationsprozess ein? Wo entstehen Widerstände im Innovationsprozess? Welche Faktoren verhindern eine gemeinsame innovationsorientierte Einstellung aller Beteiligten? Instrumentarium der internen Marktforschung Nur durch die konsequente Anwendung der internen Marktforschung können diese Fragen verlässlich beantwortet werden. Zum Einsatz können hierbei – neben klassischen Mitarbeiter- und Führungskräftebefragungen – Gruppendiskussionen, Lead-Mitarbeiter-Diaries, Akzeptanztests, Mystery-Studien oder auch Conjoint-Analysen kommen. Die Komplexität der Erhebungsinstrumente wird hauptsächlich durch die mögliche Fallzahl begrenzt, die in kleinen Unternehmen z.B. multivariate Ansätze erschweren. Hauptansatzpunkt für die interne Marktforschung muss der einzelne Mitarbeiter sein. Um durch eine Längsschnittbetrachtung den Lernprozess im Unternehmen zu beschleunigen, empfiehlt sich die Definition von internen Panels. Ziel: Ein klares Bild des Eisbergs der Innovation Nur wenn das Innovationsmanagement auf ein festes informatorisches Fundament gestellt wird, kann der Eisberg der Innovation in seiner Ganzheit erfasst werden. Das Wissen um die „Gestalt” der 85 Prozent des Eisbergs, die unter Wasser liegen, ist gleichzusetzen mit der Kenntnis über die internen Erfolgsfaktoren der Innovation. Die Hypothese, die fehlende Berücksichtigung der internen Erfolgsfaktoren sei die Ursache für die bis zu 85 Prozent betragende Floprate bei Innovationen, steht im Raum und ist zu überprüfen. Gewiss ist bereits jetzt, dass ohne Beseitigung der Innovationsbarrieren und ohne Nutzung des internen Wissens der Verbesserung des Innovationserfolgs enge Grenzen gesetzt sind. Literatur Greiner, Oliver: Das Steuerrad der Innovation, Ganzheitliches Innovationsmanagement realisieren, Horváth & Partners, White Paper April 2009 Kirner, Eva, Spomenka Maloca, Thorsten Rogowski, Alexander Slama, Oliver Som, Anne Spitzley, Kristina Wagner: Kritische Erfolgsfaktoren zur Steigerung der Innovationsfähigkeit, Empirische Studie bei produzierenden KMU. Hrsg.: Fraunhofer IAO, Stuttgart; Fraunhofer ISI, Karlsruhe; Univ. Stuttgart, Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement IAT, 2. Aufl. 2007, Fraunhofer IRB Verlag planung & analyse (Hrsg.): Studie Innovationsmarktforschung in Deutschland, Frankfurt am Main 2012 Scholl, Wolfgang: Bedingungen der Innovationsfähigkeit kleiner professioneller Dienstleistungsunternehmen, Zeitschrift für Arbeitsforschung, Arbeitsgestaltung und Arbeitspolitik. Stuttgart: Lucius & Lucius Verl.-Ges, Vol. 21.2012, 2/3, S. 118–131 Trommsdorff, Volker (2012): Vortrag Innovationsmarketing bei AUDI, https://www.autouni.de BVM inbrief August 2013 57 Fokus Best Paper 2013 INHALT nominiert für das best paper 2013 From the Hand to the Mind Mathias Streicher, Universität Innsbruck, zur Relevanz haptischer Eigenschaften von Marken Im Konsumgüterbereich wird bei Produkten und Verpackungen im zunehmenden Maße auf haptisch wahrnehmbare Gestaltungselemente geachtet, mit dem Ziel, ein markentypisches taktiles Erlebnis beim Anfassen der Produkte zu schaffen. Anhand der Ergebnisse dreier Experimente und eines Pretests zeigt Mathias Streicher, dass vertraute haptische Empfindungen einer Marke die kognitive Verarbeitungsflüssigkeit einer Marke steigern, was wiederum Produktgefallen und Kaufbereitschaft positiv beeinflusst. Die Produkt-und Verpackungsgestaltung ist ein wichtiges Marketing-Tool, das dem Kunden ähnlich einer Visitenkarte erste taktile und visuelle Eindrücke von Produkten und Marken vermittelt. Heineken beispielsweise hat erst kürzlich ein frisch anmutendes Design für Bierdosen mit taktiler Tinte auf den Markt gebracht, um den Eindruck von kondensierten Tröpfchen auf der Dosenoberfläche zu evozieren und um ein einzigartiges haptisches Erlebnis mit der Marke zu schaffen. Im Laufe der Zeit können haptische Produkteigenschaften wie zum Beispiel die berühmte Coca-Cola-Flasche nicht nur zu einem für die Marke typischen Attribut werden, sondern buchstäblich die Persönlichkeit der Marke in den Köpfen der Konsumenten prägen (Lindstrom, 2005). In Zeiten von hochentwickelten Konsumgütermärkten mit einer Fülle an austauschbaren Produkten ist die kognitive Verankerung von sensorischen Merkmalen für eine Marke eine weitere Differenzierungsalternative, um sich vom Wettbewerb abzuheben. In Zeiten von hochentwickelten Konsumgütermärkten mit einer Fülle an austauschbaren Produkten ist die kognitive Verankerung von sensorischen Merkmalen für eine Marke eine weitere Differenzierungsalternative, um sich vom Wettbewerb abzuheben und um zusätzlichen Wiedererkennungswert am Point-of-Sale zu schaffen. Das Vorhandensein von einzigartigen haptischen Merkmalen, die dem Konsumenten beim Anfassen eines Produktes ein Gefühl der Vertrautheit geben, könnte aber auch dann effektiv sein, wenn die visuelle Erscheinung von Produktdesigns durch Produktdifferenzie- rung oder inkrementelle Produktverbesserung verändert wurde. Das Fühlen vertrauter haptischer Markensignaturen kann solche visuellen Diskontinuitäten beim Anfassen des Produktes abfedern und die Wahrnehmung neuer Produktdesigns positiv beeinflussen. In unserer Forschung zeigen wir auf, wie haptische Markensignaturen beim Anfassen von Produkten die visuelle Wahrnehmungsflüssigkeit von neuen Produktdesigns beschleunigen und dadurch die Produktbewertung und Kaufbereitschaft positiv beeinflussen. Wir stützen uns dabei auf Erkenntnisse über perzeptuelle Verarbeitungsflüssigkeit, deren hedonistische Eigenschaft seit der Beschreibung des Mere-ExposureEffektes durch Zajonc (1968) in zahlreichen Studien belegt wurde. Theoretischer Hintergrund Die Flüssigkeit, mit der Konsumenten produkt- und markenbezogene Informationen verarbeiten, ist vor allem am Pointof-Sale relevant, wenn Kaufentscheidungen auf Basis spontaner affektiver Reaktionen getroffen werden. Das Besondere an der kognitiven Verarbeitungsflüssigkeit ist, dass sie als eigenständige metakognitive Information grundsätzlich positiv erlebt wird (Schwarz, 2004; Winkielman & Cacioppo, 2001), einen Stimulus per se ästhetischer erscheinen lässt (Reber, Schwarz, & Winkielman, 2004) und dadurch Produkt- und Markenentscheidungen beeinflussen kann (Janiszewski & Mayvis, 2001; Labroo, Dhar, & Schwarz, 2008; Labroo & Lee, 2006; Lee & Labroo, 2004; Nedungadi, 1990; Shapiro, 1999; Shapiro, MacInnis, & Heckler, 1997). Verarbeitungsflüssigkeit kann aus verschiedenen Variablen resultieren, so zum Beispiel aus gutem Figur-Grund-Kontrast (Reber, Winkielman, & Schwarz, 1998), aus wiederholter Dar- Mathias Streicher, Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent am Institut für Strategisches Management, Marketing & Tourismus, Universität Innsbruck hat Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspsychologie an der LMU München und am Salt Lake Community College in Utah, USA, studiert. Unter anderem war er auch Dozent bei Siemens Education. 58 BVM inbrief August 2013 bietung des gleichen Reizes (Jacoby und Dallas, 1981) oder aus semantischem Priming, das durch Aktivierung assoziativer Netzwerkstrukturen die perzeptuelle Verarbeitung eines Reizes beschleunigt (Labroo et al., 2008). Werden beispielsweise Markennamen in einer vorgeschobenen Aufgabe geprimt und einige davon später zusammen mit neuen Markennamen erneut gezeigt, so werden die zuvor geprimten Markennamen beim erneuten Wahrnehmen visuell schneller verarbeitet als die nicht geprimten Markennamen (Lee, 2002). Labroo et al. (2008) zeigten in ihren Studien, dass auch das Primen semantischer Konzepte (z.B. das Wort Frosch) die visuelle Verarbeitung eines passenden visuellen Gestaltungselements auf einer Produktverpackung in einer nachfolgenden Situation beschleunigt (ein Frosch auf dem Etikett einer Weinflasche) und zu Markenentscheidungen zugunsten der visuell schneller verarbeiteten Produktdesigns führt. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang, dass visuelle Verarbeitungsflüssigkeit, die aus einer Aktivierung semantischer Netzwerkstrukturen resultiert, nicht davon abhängt, wie exakt der aktivierende Reiz dem zu verarbeitenden Reiz im perzeptuellen Sinne gleicht und ob Voraktivierung und Reizverarbeitung in unterschiedlicher Sinnesmodalität erfolgt (Winkielman, Schwarz, Fazendeiro, & Reber, 2003). Obwohl die Forschung bisweilen cross-modale Flüssigkeitseffekte wenig untersucht hat, gibt es Hinweise aus der Sozialpsychologie und der Embodiment-Forschung, dass haptische Reize Gedächtnisstrukturen nichtbewusst aktivieren können (Barsalou, 1999; Williams & Bargh, 2008). In unserer Forschung gehen wir deshalb der Frage nach, ob das haptische Gefühl einer Produktverpackung, sofern es mit der entsprechenden Produktmarke assoziiert wird, die Bewertung neuer Produktdesigns dieser Marke positiv beeinflusst, da eine Aktivierung der Gedächtnisstrukturen der Marke die visuelle Interpretation des ungewohnten Produktdesigns erleichtern könnte. Experimente In einem ersten Experiment wurde daher zunächst die Frage geklärt, ob das bloße haptische Gefühl einer Produktverpackung, das mit der dazugehörigen Marke assoziiert wird, tatsächlich die visuelle Verarbeitungsflüssigkeit beim Wahrnehmen markenrelevanter Stimuli beschleunigt. Auf der Basis eines Pretests wurden die klassische 0,25l-Coca-Cola-Flasche und die 0,25l-Red-Bull-Dose als markentypische haptische Stimuli bestimmt. In einem vorgeschobenen Gewichtseinschätzungstest wurden den Probanden dann mit verbundenen Augen entweder zwei Coca-Cola-Flaschen oder zwei RedBull-Dosen gereicht. Die Aufgabe bestand darin, den angeblichen Gewichtsunterschied der Objekte in maximal zwei Sekunden zu bestimmen. Fokus Best Paper 2013 INHALT Eine dritte Kontrollgruppe wurde keinem Gewichtseinschätzungstest unterzogen. Im Anschluss daran wurde gemessen, wie schnell die Versuchspersonen den Markennamen „Red Bull” visuell erkennen können, der mit langsam zunehmender Klarheit am Bildschirm gezeigt wurde. Die Studien zeigen, dass haptische Produktmerkmale, die mit ihrer Marke assoziiert werden, tatsächlich ganz automatisch die visuelle Verarbeitung von markenspezifischen Inhalten beschleunigen können. Tatsächlich zeigt die Auswertung einer univariaten ANOVA, dass die Gruppe, die die Red-Bull-Dosen in dem Gewichtseinschätzungstest bekam, im Vergleich zu allen anderen Gruppen signifikant schneller war: MRed Bull = 2.83 Sek. vs. MCoca-Cola = 3.03 Sek. vs. MKontrollgruppe = 3.04 Sek.; F(2, 149) = 7.37, p < .01, partielles ŋ2 = .090 (Tukey Post-Hoc-Analyse mit p < 0.5). Die Richtung und Signifikanz der Ergebnisse veränderte sich nicht, wenn die Analyse nur mit solchen Personen durchgeführt wurde, die sich in einer abschließenden Befragung nicht explizit an die Objekte des Gewichtseinschätzungstests erinnern konnten. Das gleiche Ergebnis stellte sich in einer Replikationsstudie ein, wo die Versuchspersonen mit einer klassischen 0,25l-Coca-Cola-Flasche und einer 0,25l-Römerquelle-Wasserflasche geprimt wurden. In der anschließenden visuellen Klarifikationsaufgabe wurde die Wortmarke Coca-Cola mit aufsteigender Klarheit eingeblendet. In diesem Fall war die Gruppe, die die Coca-Cola-Flaschen in dem Gewichtseinschätzungstest bekam, im Vergleich zu allen anderen Gruppen beim Erkennen der Wortmarke Coca-Cola signifikant schneller: MCoca-Cola = 3.09 Sek. vs. MRömerquelle = 3.24 Sek. vs. MKontrollgruppe = 3.27 Sek., F(2, 174) = 6.29, p < .01, partielles ŋ2 = .067 (Tukey Post-HocAnalyse mit p < .05). Beide Studien zeigen, dass haptische Produktmerkmale, die mit ihrer Marke assoziiert werden, tatsächlich ganz automatisch die visuelle Verarbeitung von markenspezifischen Inhalten beschleunigen können. Die Replikationsstudie zeigt zudem, dass spezifische haptische Eigenschaften, wie eine ganz besondere Oberflächentextur oder die volumetrische Form eines Produktes, haptische Identifikatoren für eine Marke sein können, da die 0,25l-Römerquelle-Wasserflasche wie die 0,25l-Coca-Cola-Flasche ähnlich schwer, dick und aus Glas ist. In einem dritten Experiment wurden Versuchspersonen im Rahmen einer Produktdesignstudie neuartige FlaschenBVM inbrief August 2013 59 Fokus Best Paper 2013 INHALT designs einer Coca-Cola-Flasche am Bildschirm gezeigt. Als Basis wurde die Kontur einer 0,25l-Coca-Cola-Aluminiumflasche verwendet, die Anfang 2007 von Coca-Cola als „Special Edition” auf den Markt gebracht wurde. Abbildung 1 zeigt die Flaschen, die eigens für das Experiment gestaltet und in einem Pretest geeicht wurden. Die Versuchspersonen bekamen per Zufallsauswahl eine der Flaschen am rechten Bildschirmrand zu sehen und sollten dabei die Flasche rechts hinter dem Bildschirm zusätzlich angreifen. Sowohl die Flasche auf dem Bildschirm sowie die hinter dem Bildschirm dargebotene Flasche waren in Echtgröße und in exakt gleicher Position und wurden für genau 3 Sekunden gezeigt (die Flaschen wurden auf einer versenkten Halterung arretiert). Blicke hinter den Bildschirm waren durch die Sitzposition und einen zusätzlichen Sichtschutz versperrt. Abbildung 1: Phänomen-Scribbling Abbildung 2: Haptische Stimuli in der Produktdesignstudie Classic Coca-Cola Aluminium Coca-Cola Die Manipulation bestand darin, dass eine Versuchsgruppe die klassische 0,25l-Coca-Cola-Flasche zum Angreifen bekam, eine andere Gruppe die 0,25l-Coca-Cola-Aluminiumflasche und eine dritte Kontrollgruppe das neuartige Flaschendesigns ohne haptischen Input begutachten sollte (Abbildung 2). Die Coca-Cola-Aluminiumflasche wurde in einem Pretest von nur 16 Prozent der Befragten mit verbundenen Augen mit der Marke Coca-Cola assoziiert, während die klassische CocaCola-Flasche immerhin von 87 Prozent der Befragten erkannt wurde. Entsprechend sollte nur das Angreifen der klassischen Coca-Cola-Flasche die visuelle Verarbeitungsflüssigkeit beim 60 BVM inbrief August 2013 Betrachten der neuartigen Flaschendesigns im Vergleich zur Kontrollgruppe beschleunigen und Produktgefallen und Kaufbereitschaft erhöhen. Als abhängige Variable wurden die neuartigen Flaschendesigns nach ihrem Gefallen und der Kaufbereitschaft bewertet (Einstellungsindex; Chronbach’s Alpha = .81). Zusätzlich wurden die Probanden gebeten, ihre subjektiv empfundene Verarbeitungsflüssigkeit beim Betrachten der neuen Flaschendesigns anzugeben (Index aus drei Items analog zu Labroo et al., 2008; Chronbach’s Alpha = .80). Die Ergebnisse einer signifikanten ANCOVA (F(2, 139) = 5.37, p < .01, partielles ŋ2 = .07) mit Präferenz für Coca-Cola als Kovariate zeigt, dass die neuartigen Flaschendesigns im Vergleich zur Kontrollgruppe nur dann signifikant besser bewertet wurden, wenn die Versuchspersonen die klassische Coca-ColaFlasche hinter dem Bildschirm in der Hand hielten: Mklassische Coca-Cola = 5.31 vs. MKontrollgruppe = 4.64, t(139) = -3.26, p < .01, r = .27. Das Anfassen der Aluminiumflasche erbrachte – im Vergleich zur Kontrollgruppe – keine signifikante Verbesserung der Einstellungen (MAlu Coca-Cola = 5.04, p > .05), obwohl die Aluminiumflasche in Form und Textur der visuellen Darstellung eigentlich viel besser entsprach als die klassische Coca-Cola-Flasche. Da die haptische Anmutung nach dem Anfassen der Flaschen ebenfalls gemessen wurde und ein Vergleich keine signifikanten Unterschiede erbrachte, kann eine bessere haptische Anmutung der klassischen Coca-Cola-Flasche als Ursache für diese Unterschiede ausgeschlossen werden. Um abschließend zu klären, ob eine höhere Verarbeitungsflüssigkeit die positiveren Einstellungswerte verursacht hatte, wurde eine multiple Mediationsanalyse nach Preacher und Hayes (2008) durchgeführt. Da das bloße Anfassen von Produkten auch den subjektiv empfundenen Besitz und dadurch Einstellungen beeinflussen kann (Peck & Shu, 2009), wurde zusätzlich der subjektiv empfundene Besitz für das Produkt nach der Präsentation der Flaschen abgefragt (zwei Items analog zu Peck & Shu, 2009; Chronbach’s Alpha = .94) und in das Mediationsmodell neben Verarbeitungsflüssigkeit als Mediator eingeschlossen (Abbildung 3). Das Ergebnis der Mediationsanalyse mit den zwei Faktorstufen „klassische Coca-Cola-Flasche” und „Kontrollgruppe” zeigt, dass die positiven Effekte durch das Anfassen der klassischen Coca-Cola-Flasche auf die Bewertung der neuartigen Flaschendesigns durch eine höhere Verarbeitungsflüssigkeit vermittelt wird, nicht aber durch den subjektiv empfundenen Besitz (95 % CIPfad_a1b1 = .1000–.7250 vs. 95 % CI Pfad_a2b2 = -0205– .1681). Außerdem ergab eine Kontrastanalyse der Schätzwerte der beiden indirekten Pfade a1b1 und a2b2, dass der indirekte Effekt durch Verarbeitungsflüssigkeit signifikant stärker ist als der indirekte Effekt durch subjektiv empfundenen Besitz (SchätzwertME1 = .4055 vs. SchätzwertME2 = .0604, 95% CI = .0364–.7068). Abb. 3: Multiples Mediationsmodell mit Regressions koeffizienten (Bootstrap, 5000 Stichproben) Zusätzlich wurde das autotelische Bedürfnis der Probanden nach haptischer Stimulation erfasst und als mögliche Einflussquelle berücksichtigt (Peck & Childers, 2003). Da in einer Spotlight-Analyse (Fitzsimons, 2008) mit haptischer Manipulation als unabhängiger Variablen und Produkteinstellungen als abhängiger Variablen das autotelische Bedürfnis nach haptischer Stimulation keinen Moderator-Effekt auf die Ergebnisse zeigte, kann ausgeschlossen werden, dass affektive Reaktionen durch taktile Stimulation den Unterschied zwischen den Gruppen erklären. Diskussion und Implikationen Haptische Merkmale von Produkten sind psychologisch wirksame Differenzierungsmerkmale für Marken, da sie ähnlich wie visuelle Wort- und Bildzeichen ein einzigartiger Bestandteil des Markenwissens sein können und einen taktilen Kontaktpunkt zwischen Konsument und Marke schaffen. In unseren Experimenten zeigen wir, dass die Wahrnehmung haptischer Markensignaturen assoziative Netzwerkstrukturen einer Marke aktivieren und zu visuellen Flüssigkeitseffekten beim Wahrnehmen markenrelevanter Stimuli führen. Darüber hinaus gefallen neue Produktdesigns besser und werden eher gekauft, wenn Produkte an bereits verankerten haptischen Signaturen festhalten, die mit der Marke assoziiert werden. In einfachen Worten ausgedrückt, kann ein für die Marke typisches haptisches Produkterlebnis als Katalysator fungieren, welcher beim Angreifen die visuelle Verarbeitung und Interpretation neuartiger Produktdesigns erleichtert und dadurch Produktgefallen und Kaufbereitschaft erhöht. Es ist daher empfehlenswert, dass Produktmanager zunächst einmal grundsätzlich haptische Signaturen entwickeln, die aus Kundensicht einzigartig für das Produkt und die Marke sind. Darüber hinaus ist bei der Produktneugestaltung darauf zu achten, dass eine Veränderung bestehender haptischer Markensignaturen unter Umständen wertvolles Markenkapital kannibalisiert. Literaturverzeichnis Barsalou, L. W. (1999). Perceptual symbol systems. Behavioral and Brain Sciences, 22, 577–660. Fitzsimons, G. J. (2008). Death to dichotomizing. Journal of Consumer Research, 35(1), 5–8. Hamann, S. B. (1990). Level-of-Processing Effects in Conceptually Driven Implicit Tasks. 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Der von ihm vorgestellte ROI Analyzer, ein Modelling, das die SevenOne Media in Kooperation mit dem GfK-Verein und der GfK Fernsehforschung konzipiert hat, setzt hier an. Für jede untersuchte Kampagne wird mittels logistischer Regression der Einfluss der Werbekontakte auf den Kauf der Marke über mehrere Jahre hinweg bestimmt. Ob Toastbrot, Tiefkühlpizza oder Körperlotion – beim Einkauf im Supermarkt greifen wir häufig zum Markenprodukt. Dass TV-Werbung daran einen ganz wesentlichen Anteil hat, ist naheliegend, und doch fehlte es bis jetzt an stichhaltigen Beweisen für die Leistungsfähigkeit des Mediums in puncto Abverkauf. Und Werbung steht ganz offensichtlich in engem Zusammenhang mit der Loyalität der Käufer, denn Marktanteilsgewinner investieren auch mehr in Werbung. Es spricht also vieles dafür, dass ein tragfähiges Modell zum Zusammenhang von TV-Werbung und Abverkauf eben solche langfristigen Aspekte der Markenbindung berücksichtigen muss. Grund dafür ist, dass bisherige Studien das Kaufverhalten der Verbraucher nur kurzfristig betrachten. Werbung, Preis oder auch Promotions nehmen unmittelbar Einfluss auf den Abverkauf und sind Bestandteil einer Vielzahl von Modellings zur Bestimmung des „Return on Investment” (ROI). Mittelbare Aspekte wie langfristige Präferenzbildung, Markensympathie oder auch Image, die letztlich anzeigen, ob der Verbraucher Vertrauen in eine Marke hat, werden dagegen vernachlässigt. Doch genau hier liegt die Stärke des Mediums Fernsehen – langfristig Markenvertrauen aufbauen, welches wiederum der entscheidende Schlüssel zum Abverkauf der Marke ist. Genau hier setzt der ROI Analyzer an, den die SevenOne Media in Kooperation mit der GfK konzipiert hat. Abbildung 1: Modell des ROI Analyzer Treue Käufer sind das Rückgrat einer Marke, denn sie generieren einen Großteil des Umsatzes. Es gilt, gerade diese Käufergruppe zu halten, um auf lange Sicht den Erfolg zu sichern. Ein Vergleich von Marken, die Marktanteile verloren haben, mit solchen, die Marktanteile gewonnen haben, zeigt sehr deutlich, dass vor allem die Stammkäufer ursächlich zu Gewinn oder Verlust von Marktanteilen beitragen. 62 BVM inbrief August 2013 Treue Käufer sind das Rückgrat einer Marke, denn sie generieren einen Großteil des Umsatzes. Es gilt, gerade diese Käufergruppe zu halten, um auf lange Sicht den Erfolg zu sichern. Das Modell der Werbewirkung Das Modell des ROI Analyzer (Abbildung 1) berücksichtigt neben den Kontakten mit der Werbung eine Vielzahl von unabhängigen Variablen, um den TV-Einfluss möglichst unverfälscht bestimmen zu können. Langfristige Einflüsse finden dabei als Stufe der Markenbindung Eingang in das Modell. In den folgenden Abschnitten wird dargelegt, in welcher Form die einzelnen unabhängigen Variablen in die Analyse eingehen und wie dabei auch langfristige Effekte berücksichtigt werden. 1. Die Kontakte mit der Werbung Der ROI Analyzer modelliert den Zusammenhang zwischen Werbekontakten im Fernsehen und dem Abverkauf von Marken. Das Einkaufsverhalten der Haushalte im Bereich Schnelldreher wird im Verbraucherpanel GfK ConsumerScan elektronisch erfasst. Das Panel selbst liefert jedoch keine Informationen über die Kontakte mit der Werbung. Der ROI Analyzer greift daher auf die Daten des AGF/GfK-Fernsehpanels zurück und fusioniert daraus Merkmale der TV-Nutzung ins Verbraucherpanel. Fusion Allgemein werden bei einer Fusion Datensätze von Personen aus zwei verschiedenen Erhebungen zusammengeführt. Da- bei werden einzelne Merkmale der einen Erhebung (DonorenStichprobe) in die andere Erhebung (Rezipienten-Stichprobe) überführt. Beide Datensätze enthalten einen Teil gleicher Informationen, die gemeinsamen Merkmale (Abbildung 2). Im Falle des ROI Analyzer handelt es sich dabei um soziodemografische Merkmale, um Freizeitaktivitäten sowie Genre präferenzen. Abbildung 2: Gemeinsame Merkmale, die in die Fusion beim ROI Analyzer eingehen Fokus Best Paper 2013 INHALT Im Gegensatz dazu stehen die spezifischen Merkmale, die nur Personen der Donoren-Stichprobe aufweisen. Die spezifischen Merkmale, in diesem Fall Merkmale der TV-Nutzung, werden auf die Personen der Rezipienten-Stichprobe übertragen, und zwar auf den jeweils ähnlichsten Befragten. Die Ähnlichkeit der Befragten wird auf Basis der gemeinsamen Merkmale bestimmt. Berechnung der Werbekontakte So können TV-Nutzungswahrscheinlichkeiten auf Basis von Werbeinseln (P-Werte) auf die Haushaltführenden im GfK Consumer Scan übertragen werden. Die P-Werte für die Werbung betrachten für jeden Zuschauer die gemessene Sehdauer einer Werbeinsel und vergleichen sie mit der Gesamtlänge des Blocks. Der P-Wert wird folgendermaßen bestimmt: P – Wert Sponsoring ij = gemessene Sehdauer Sponsoring ij Dauer Werbeinsel i i = Werbeinsel j = Zuschauer Die P-Werte für die Kontakte mit der Werbung werden mit den jeweiligen Kampagnenschaltungen nach Nielsen Media Research abgeglichen und ergeben in der Summe einen realistischen Schätzwert für die Anzahl der erzielten Kampagnenkontakte. Dabei gehen alle Kontakte in die Analyse ein, die jeweils 180 Tage vor einem Kaufakt erzielt wurden. Wird in einem Haushalt zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Marke gekauft, wird das gesamte Halbjahr vor diesem Kaufakt betrachtet und die Kontaktdosis für die Kampagne berechnet, die diesem einen Kaufakt zuzuordnen ist. Der Zeitraum von 180 Tagen ist nicht willkürlich gewählt, sondern basiert auf fundierten Erfahrungswerten, die besagen, dass die unmittelbare Wirkung eines Kampagnenkontakts maximal ein halbes Jahr anhalten kann. Auch Sponsoring-Kontakte werden bei der Bestimmung der Kontaktdosis berücksichtigt. Die Formel für den P-Wert Sponsoring ist: P – Wert Sponsoring ij = gemessene Sehdauer Sponsoring ij Dauer Sponsoring i i = Sponsoring j = Zuschauer Analog werden nicht nur die Kampagnenkontakte mit der jeweils analysierten Marke bestimmt, sondern auch Dachmarkenkontakte und Konkurrenzmarkenkontakte nach diesem Schema berechnet. Kontakte mit sonstiger Werbung ergeben sich aus den Werbeblöcken im AGF/GfK Fernsehpanel. Dachmarkenkontakte spielen eine Rolle, weil etwa im Fall von Bier bei der Analyse von Pils-Marken der Kauf von Jever Pils auch von Kontakten mit Kampagnen für andere Jever-Biersorten beeinflusst werden kann. Das gleiche gilt für Kontakte mit Kampagnen von Konkurrenzmarken. Auch diese können sich auf den Kauf auswirken, sei es positiv oder negativ. Dachmarkenkontakte spielen eine Rolle, weil etwa im Fall von Bier bei der Analyse von Pils-Marken der Kauf von Jever Pils auch von Kontakten mit Kampagnen für andere JeverBiersorten beeinflusst werden kann. Das gleiche gilt für Kontakte mit Kampagnen von Konkurrenzmarken. Die Kontakte mit sonstiger Werbung (= gesamte Werbenutzung der jeweiligen Person) sind ein Indikator dafür, wie viel Werbung eine Person ausgesetzt ist. Dieses Merkmal dient als Kontrollvariable innerhalb des Modells, da es hoch mit Gerald Neumüller, Director Research, SevenOne Media, München studierte BWL an der LMU München mit Schwerpunkt Marketing, empirische betriebswirtschaftliche Forschung und Werbepsychologie. Er startete seine Berufslaufbahn als Account Executive bei A.C. Nielsen in Frankfurt am Main, war dann Manager Marketinganalyse der MGM MediaGruppe München, danach Assistent der Geschäftsführung und, bevor er seine jetzige Position einnahm, Leiter Strategic Research bei SevenOne Intermedia (vormals Kirch Intermedia). BVM inbrief August 2013 63 Fokus Best Paper 2013 INHALT Persönlichkeitsvariablen der Zuschauer korreliert, wie etwa Einstellungen der Zuschauer, aber auch soziodemographische Variablen, die Einfluss auf die TV-Nutzung haben. Die explizite Berücksichtigung sonstiger Werbekontakte stellt damit sicher, dass solche Persönlichkeitsmerkmale nicht die eigentliche Analyse zum Zusammenhang von Werbekontakten und Abverkauf stören. Abbildung 3: Anteil der folgenden Kaufakte nach Stufe der Markenbindung ke wird er zum Gelegenheitskäufer, beim nächsten zum Wiederholungskäufer und beim übernächsten zum Treuekäufer. Kauft er weiter die Marke, bleibt der Haushalt auf dieser Stufe. Bei jedem Kauf eines Konkurrenzproduktes steigt er um eine Stufe herab, bis er wieder die Stufe Nichtkäufer erreicht hat. Welchen Einfluss die Stufe der Markenbindung hat, zeigt ein Beispiel aus dem Waschmittelbereich: Kaufakte, die auf der Stufe Nichtkäufer stattfinden, führen in diesem Fall nur bei 4,9 Prozent aller nachfolgenden Kaufakte zum Kauf der Marke, Kaufakte auf der Stufe Treuekäufer dagegen zu 80,4 Prozent (Abbildung 3). Durch die Berücksichtigung der Stufe der Markenbindung ist gewährleistet, dass die Nähe zur Marke nicht fälschlicherweise als Werbewirkung interpretiert wird. Zugleich können dadurch aber auch langfristige Werbeeffekte auf die Markentreue zuverlässig ermittelt und quantifiziert werden. Im Datensatz wird jeder Kaufakt eines Haushalts im Zeitverlauf einer Stufe der Markenbindung zugeordnet. Zusätzlich wird eine weitere Variable gebildet, die erfasst, ob in den letzten 12 Monaten die Marke gekauft wurde. Gewichtung der Kontakte Ein Werbekontakt unmittelbar vor einem Kaufakt hat eine stärkere Wirkung als ein Kontakt, der bereits einige Wochen oder sogar Monate zurückliegt. Daher gehen beim ROI Analyzer nicht alle Kontakte vor einem Kauf mit demselben Gewicht in die Modellierung ein. Vielmehr erfolgt eine Abzinsung der Kontakte, je nach zeitlichem Abstand zum Kaufakt. Die Gewichte für die Kontakte mit der Werbung sind so gewählt, dass der Werbekontakt einen Tag vor dem Kauf mit seinem vollen Gewicht von 1 eingeht. Das Gewicht für i Tage vor dem Kauf (i = 1,…., 180) berechnet sich durch gew(i) = 1 α i –1 Der Wert α wird für jede einzelne Kampagne so bestimmt, dass die Modellanpassung eines logistischen Regressionsmodells, bei der die Werbekontakte als unabhängige Variable und der Kauf der Marke (ja / nein) als abhängige Variable dienen, maximiert wird. Für die Kontakte mit sonstiger Werbung und mit der Konkurrenzwerbung wird für die Abzinsung ein mittleres a (Median) aus den bisher analysierten Marken gewählt, das alle rund 50 Analysen aktualisiert wird. Kontakte mit der Dachmarkenwerbung werden mit demselben a abgezinst wie die Markenwerbung. 2. Stufen der Markenbindung Eine zentrale Bedeutung im Modell haben die Treuestufen, denn über diese werden langfristige Effekte der Werbung berücksichtigt. Ein Haushalt, der die untersuchte Marke noch nicht gekauft hat, wird als Nichtkäufer eingestuft. Beim ersten Kauf der Mar- 64 BVM inbrief August 2013 3. Marktanteil Key Account Eine weitere Variable im Prognosemodell ist der Marktanteil der Marke im Key Account. Hier wird der nationale Marktanteil je Quartal für insgesamt 26 Key Accounts verwendet. 4. Anteil Kauf in Promotion Auch Promotion wird für alle analysierten Marken berücksichtigt und fließt als Aktionsanteil in die Modellierung ein. Der Aktionsanteil zeigt wochenweise, wie viel Prozent des Umsatzes der Marke in einer Preisaktion erzielt wurden. 5. Soziodemografische Variablen Der ROI Analyzer bezieht auch soziodemografische Variablen als unabhängige Variablen ein und nutzt dazu die Familienlebenswelten. Dabei handelt es sich um eine von Professor Kleining (Universität Hamburg) entwickelte Segmentierung, die den Lebenszyklus und die soziale Schicht eines Haushalts gleichzeitig berücksichtigt. Die Einteilung in die soziale Schicht erfolgt aufgrund des Berufs des/der Hauptverdieners/in des Haushalts. Folgende Familienwelten werden unterschieden, wobei die Zahlen angeben, welchen Anteil die Lebenswelten jeweils an allen Haushalten haben. Ein Werbekontakt unmittelbar vor einem Kaufakt hat eine stärkere Wirkung als ein Kontakt, der bereits einige Wochen oder sogar Monate zurückliegt. Daher gehen beim ROI Analyzer nicht alle Kontakte vor einem Kauf mit demselben Gewicht in die Modellierung ein. Modellierung der Werbewirkung im Analysejahr Für jede Kampagne im ROI Analyzer wird für den Zeitraum des jeweiligen Analysejahres (t0) mittels logistischer Regression der Einfluss der Werbekontakte auf den Kauf der Marke bestimmt. Neben den Werbekontakten gehen hierbei auch alle anderen unabhängigen Variablen ins Modell ein, die Einfluss auf das Kaufverhalten im Haushalt nehmen können. Die bisherigen Ergebnisse sind schon ein starker Hinweis auf die tatsächliche Wirkungskraft des Fernsehens. Aus dieser Regression resultiert jeweils pro Marke ein Vorhersage-Modell. Statistische Parameter geben Aufschluss darüber, wie gut die Regression gelungen ist (R2) und welches Gewicht den einzelnen Einflussfaktoren im Hinblick auf den Kauf zukommt (Beta-Gewichte und Signifikanz der unabhängigen Variablen – Abbildung 4). Fortschreibung des Modells für die Folgejahre Gleichzeitig ermöglicht das Modell, die Werbung des Analysejahrs (t0) auf Null zu setzen, das heißt, zu simulieren, was in t0 passiert wäre, wenn es keine Werbung gegeben hätte. Im Anschluss wird dann ebenfalls per Simulation die Entwicklung der Folgejahre t1 bis t4 fortgeschrieben. Die Prognose des Kaufverhaltens erfolgt in separaten Pfaden für die beiden Werbedruckalternativen „mit vs. ohne TV-Werbung im Jahr t0”. Dabei wird pro Haushalt fortschreitend jeweils der nächste Kaufakt prognostiziert und auf Basis dieser Vorhersage wiederum der nächste Kaufakt usw. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Analysepfaden besteht darin, dass bei den Vorhersagen in Pfad 1 die Werbung im Zeitraum t0 berücksichtigt wird, während die Vorhersagen in Pfad 2 unter der Prämisse „keine Werbekontakte” getroffen werden. 0,8, der Langfrist-ROI nach fünf Jahren dagegen bei 1,9 (Abbildung 6). Dabei ist auch der jeweilige Produktbereich eine entscheidende Einflussgröße, denn je nach Warengruppe werden unterschiedlich hohe ROIs erzielt. Die bisherigen Ergebnisse sind schon ein starker Hinweis auf die tatsächliche Wirkungskraft des Fernsehens. Um noch verlässlichere generalisierende Aussagen treffen zu können, wird der ROI Analyzer aktuell auf eine breitere Datenbasis gestellt. Bis Mitte des Jahres werden ca. 250 weitere Kampagnen analysiert, die neue spannende Ergebnisse zur Langfristwirkung von TV-Werbung liefern werden. Fokus Best Paper 2013 INHALT Abbildung 4: Ermittlung des Einflusses der Werbekontakte mittels logistischer Regression Abbildung 5: Berechnung des Langfrist-ROI Die Treuestufe des Haushalts wird dabei je nach Ergebnis der Prognose angepasst und geht dann in die Prognose des nächsten Einkaufs ein. Die Einkäufe des Haushaltes werden auch für alle Folgejahre simuliert. Im Ergebnis resultieren für beide Pfade unterschiedlich viele Kaufakte für die Marke. In der Regel werden unter der Bedingung „mit Werbung” deutlich mehr Einkäufe für die Marke prognostiziert. Die Differenz aus den beiden Pfaden ist eine Größe, die die Käufe des Haushalts quantifiziert, die auf die Werbung im Zeitraum t0 zurückzuführen sind. Abbildung 6: ROI von 31 Testmarken Der Langfrist-ROI für eine Kampagne errechnet sich aus dem erzielten Zusatzumsatz t0 bis t4 im Verhältnis zu den TV-Investitionen in t0. Der Kurzfrist-ROI lässt sich analog abbilden, indem man lediglich den Zusatzumsatz aus t0 verrechnet. Soweit vorhanden, wird bei der Berechnung ein tagesaktueller Durchschnittspreis verwendet, ansonsten der Durchschnittspreis (Abbildung 5). Erste Ergebnisse Die ersten ROI-Berechnungen auf Basis von 31 Kampagnen zeigen schon jetzt, dass sich TV-Werbung langfristig auszahlt: So liegt der Kurzfrist-ROI nach einem Jahr bei durchschnittlich BVM inbrief August 2013 65 Fokus Best Paper 2013 INHALT Betroffene zu Beteiligten machen Petra Fetzer und Dr. Steven Schuh zur Rolle der Marktforschung im Innovations- und Ideenmanagement des Unternehmens Innovation ist nicht nur der „Motor für Märkte von morgen”, sondern notwendige Voraussetzung für die Überlebensfähigkeit von Unternehmen. Denn Innovation bedeutet nichts anderes als eine Anpassungsleistung des Unternehmens an eine sich wandelnde Umwelt, und gut angepasste Systeme sind erfolgreich. Innovation kann demnach auch nur durch Impulse von außen entstehen. Der von den Autoren vorgestellte Ansatz zeigt das Potenzial der Marktforschung für den Erfolg des Innovations- und Ideenmanagements. Kein System, also weder Organismen noch Organisationen sind in der Lage, sich aus sich heraus zu erneuern. Dazu sind immer Umweltinformationen erforderlich, die von dem System aufgenommen, verarbeitet (= gelernt) und umgesetzt werden. Im Falle von Unternehmen sind es die Mitarbeiter, die dies durch eine mehr oder weniger effektive Zusammenarbeit tun. Ein schwieriger Mix aus Selbstverständnis, Fremdwahrnehmung und Positionierung Hier kommt nun die Marktforschung ins Spiel. Sie hat die explizite Aufgabe, Informationen aus der Umwelt in die Unternehmen hineinzutragen, und ist daher einer der wichtigsten Akteure im Unternehmen. Diese bedeutende Rolle, die die Marktforschung im Innovations- und Ideenmanagement von Unternehmen aufweist, wird ihr aber meist nicht (mehr) zugesprochen, und die Tragweite ihrer Bedeutung ist ihr häufig nicht einmal selbst bewusst. In vielen Fällen ist die mangelnde Relevanz der Marktforschung und ihrer Leistungen ein hausgemachtes Problem. Denn solange die Marktforschung sich selbst als Lieferant „objektiver” Daten und Wahrheiten im Gegensatz zu sogenannten subjektiven Interessen und Intuitionen ihrer (internen) Kunden positioniert, wird sie auch weiterhin mit Akzeptanzschwierigkeiten zu kämpfen haben. Im Gegenteil: Seit einiger Zeit kursiert eine hartnäckige Diskussion um die Relevanz und die Zukunftsfähigkeit der Marktforschung, nicht nur in den einschlägigen Fachmedien. Im aktuellen „marktforschung.dossier” beschäftigen sich verschiedene Experten der Zunft mit der wegweisenden Frage „Marktforschung 2020: Besser, anders oder gar nicht mehr da?”. Auch in einer Ausgabe der F.A.Z. vom 16. Januar 2012 „erhitzt die Bedeutung von Marktforschung die Gemüter”. Darin beklagt 66 BVM inbrief August 2013 sich Thomas Strerath, Deutschland-Chef der Agentur Ogilvy & Mather, dass die Marketingabteilungen die Gestaltung von Werbekampagnen zu sehr an Marktforschungstests ausrichteten und dass man als Werbetreibender zunehmend den Eindruck gewönne, man säße „in Besprechungen, in denen der gesunde Menschenverstand ausgeschaltet ist”. Die Ursache für die teils mangelnde Wertschätzung von Marktforschung formulierte Stefan Althoff, Lufthansa Technik, in seinem Artikel im inbrief 04/2011 so: „(…) Ursachen sind der Glaube, Betriebsmarktforscher seien eigentlich entbehrlich, und das wenig befriedigende Gefühl, dass häufig aus den Studienergebnissen zu wenig gemacht wird.” Und er liefert die Begründung dafür gleich nach: „Sie (die Betriebsmarktforscher) kämpfen häufig um ihre Position innerhalb der Betriebe – egal, wo sie in Organigrammen zu finden sind.” Seit Jahren hält sich hartnäckig das Vorurteil vom unkreativen Datensammler, der keine Ahnung vom Tagesgeschäft hat. Dies mag darin begründet sein, dass in vielen Unternehmen der Marktforschung aufgrund ihrer organisatorischen Anbindung in der Unternehmenshierarchie formal nur geringer Einfluss ermöglicht wird. In vielen Fällen ist die mangelnde Relevanz der Marktforschung und ihrer Leistungen aber ein hausgemachtes Problem. Denn solange die Marktforschung sich selbst als Lieferant „objektiver” Daten und Wahrheiten im Gegensatz zu sogenannten subjektiven Interessen und Intuitionen ihrer (internen) Kunden positioniert, wird sie auch weiterhin mit Akzeptanzschwierigkeiten zu kämpfen haben. Dies wird sich auch nicht dadurch ändern, dass der mangelnden Relevanz von Marktforschungsergebnissen mit neuen Methoden und noch mehr Daten (Stichwort Big Data) begegnet wird, solange diese Kundendaten über unternehmensinternes Know-how und Intuition gestellt werden. Unser Beitrag enttäuscht daher die Erwartung der Leser, die glauben, hier eine bahnbrechende neue Methodik zu finden. Wir verzichten bewusst darauf, uns in einer neuen Methodendiskussion zu verheddern, denn ein mehr desselben löst nicht das Problem. Wir wollen vielmehr den Blick darauf lenken, um was es eigentlich geht, nämlich die unbefriedigend verlaufen- de Vermittlung von Marktinformationen und deren Integration in den betrieblichen Entscheidungsprozess. Zwischen Information und Umsetzung gibt es eine breite Lücke, die nicht durch neue Methoden gefüllt werden kann, sondern nur durch eine grundlegend neue prozessuale und strukturelle Verankerung der Marktforschung in den betrieblichen Entscheidungsprozessen – und eine andere Haltung des Marktforschers! Die Notwendigkeit der Integration von Information, Entscheidung und Umsetzung Innovationsmarktforschung heute vollzieht sich in der Regel als einseitig lineare Vermittlung von Informationen aus dem Marktumfeld in das Unternehmen hinein. In den Prozess sind leider meist nur Produktmanagement und Marktforschung involviert, oder es werden Einzelstudien in den F&E-Abteilungen durchgeführt. Andere Abteilungen, die in den nachfolgenden Prozessen von möglichen Innovationen betroffen sind, wie etwa der Vertrieb, das Markenmanagement oder das Engineering, werden dagegen oft erst bei der Ergebnispräsentation einbezogen und dann ausschließlich mit den Resultaten konfrontiert. Umgekehrt ist auch die Marktforschung oft von den betrieblichen Entscheidungsprozessen abgekoppelt. Es werden keine Prozesse direkter Interaktion angestoßen, in denen die Anforderungen der Kunden, Visionen von Experten, Ressourcen des Unternehmens sowie der betroffenen Mitarbeiter abgeglichen und gebündelt werden. In der Folge entstehen zwar gute Ide- Fokus Best Paper 2013 INHALT Die Marktforschung ist oft von den betrieblichen Entscheidungsprozessen abgekoppelt. Es werden keine Prozesse direkter Interaktion angestoßen, in denen die Anforderungen der Kunden, Visionen von Experten, Ressourcen des Unternehmens sowie der betroffenen Mitarbeiter abgeglichen und gebündelt werden. en, die aber letztendlich viel zu langsam, manchmal widerwillig und oft gar nicht von den übrigen betroffenen Abteilungen mitgetragen werden. Marktforschung sollte aber als ein wichtiger Bestandteil des betrieblichen Innovations- und Ideenmanagements verstanden werden: weg „vom reinen Datensammler und Methodenhandwerker” und hin zum Moderator und Impulsgeber bei der Umwandlung von Marktinformationen in neue Produkte und Services. Dazu ist es notwendig, das jeweilige Forschungsanliegen in einen größeren Gesamtzusammenhang einzuordnen, auch interne Perspektiven einzuholen, aus dieser Sicht die Ergebnisse zu bewerten und erst dann zu einer Empfehlung zu kommen (absatzwirtschaft 01.07.1987!). Oder wie es Hendrik Steckhan, Deutschlandchef Coca-Cola, einmal formuliert hat: „Trauen Sie uns zu, dass wir kompetent sind, und bauen Sie das mit in die Art ein, wie Sie mit uns arbeiten. Und vergessen Petra Fetzer, M.A., Gründerin und Geschäftsführerin, hucon – human consulting, Heidelberg studierte Politikwissenschaften, Germanistik und Romanistik an den Universitäten Mainz und Heidelberg. Sie absolvierte Ausbildungen unter anderem in systemischer Beratung und Therapie und hat sich auf die Umsetzung des sogenannten „systemischen Paradigmas” in der Marktforschung spezialisiert. Dr. Steven Schuh, Leiter der Marktforschung der MAN Truck & Bus AG, München war bis 2011 im Marktforschungsteam für die internationale Kundenbindungsstudie des Unternehmens zuständig. Seit Herbst 2012 engagiert er sich außerdem als stellvertretender Leiter für die Regionalgruppe Bayern des BVM. Schuh hat am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz promoviert. BVM inbrief August 2013 67 Abbildung 1: Ideenphase LEAD USER + Mitarbeiter Fahrgastinnenraum Revolutionierung des Layouts/Modularität Knutsch-Kapseln Fahrgäste können die Sitze drehen und schieben Mehr Küche weniger Schlafkabine Surf- und Telefonierecke Sitzabstände auf die Anzahl der Passagiere anpassbar EXPERTEN + Mitarbeiter Fokus Best Paper 2013 INHALT Abgetrennte Bereiche im Innenraum Der eigentliche Prozess begann mit einer methodisch kon trollierten Klärung des Anliegens. Im Kreise der relevanten internen Stakeholder (Marktforschung, Produktmanagement, Engineering) wurde ein profundes gegenseitiges Verständnis für explizite und implizite Ansichten und Hypothesen in Bezug auf das Forschungsthema entwickelt. Fahrgastraum etwas niedriger, dafür Staufächer über dem Radlauf etwas höher Toiletten höher Abbildung 2: Konzeptphase – Fahrgastinnenraum LEAD USER + Mitarbeiter Raumkonzepte Lounge, Clubecke Separee Schlafbox Multimedia-Box Transportbox Küche Besprechungstisch Konzepte für Menschen mit eingeschränkter Mobilität Luxusklasse und Klassenfahrt mit einem Fahrzeug Bistrotisch Darauf folgte ein intensiver zweitägiger Kreativworkshop. In fünf Prozessschritten (Kritikphase, Ideenphase, Reduktion und Konkretisierung, Konzeptphase, Feedback) wurden interdisziplinär zusammengesetzte Arbeitsteams im Verlauf wiederholt neu gemischt und motiviert, unterschiedliche Erfahrungen, Kenntnisse und Idealbilder immer wieder aufs Neue miteinander zu vernetzen. Die Teams setzten sich wie folgt zusammen: Treppenlifter Lastenaufzug Dienstleistungskonzept: Baukastenservice von MAN Servicezentrum Sie nicht, dass wir am Ende des Tages Verantwortung tragen für Verkaufs- und Gewinnzahlen” (inbrief 08/2011). In die Praxis umgesetzt bedeutet dies, dass der Marktforschungsprozess bereits in den betroffenen Abteilungen des Unternehmens starten muss. Idealerweise werden sämtliche Abteilungen eingebunden und dann durch den Forschungsprozess geführt. Dort werden sie dazu angeleitet, inspirierende und gleichermaßen zielgerechte Diskurse zum Beispiel mit Kunden, Anwendern und Experten zu führen. Das daraus Erlernte fließt dann unverfälscht über den direkten FeedbackKanal der beteiligten Stakeholder wieder in die betroffenen Abteilungen des Unternehmens zurück. Ein Beispiel eines mehrstufigen vernetzten Ansatzes Der von MAN und hucon – human consulting gemeinsam entwickelte Ansatz ist ein Beispiel für eine derartige Herangehensweise. In einem mehrstufig aufgebauten Forschungsund Kreativprozess wurden durch die Vernetzung verschiedener Perspektiven nicht nur Ideen und Impulse, sondern konkrete realitätsbezogene Innovationen für den Geschäftsbereich Reisebus-/Überlandbus der MAN Truck & Bus AG generiert, die inhaltlich von allen Beteiligten in gleicher Weise verstanden und mitgetragen wurden. 68 BVM inbrief August 2013 Gleichzeitig wurde durch den sozialen Aspekt, insbesondere das gemeinsame Prozesserlebnis und die darin konsequent praktizierte wertschätzende Haltung gegenüber allen Beiträgen, die Bereitschaft der Beteiligten gefördert, an einem Strang zu ziehen und die Innovation innerhalb des Unternehmens zu vertreten. Lead User Reise-/Überlandbus: Besonders qualifizierte und motivierte Fahrer (Eigenschaften definiert nach Eric v. Hippel) Experten analoger Bereiche: Vertreter der renommiertesten Unternehmen bzw. Organisationen aus den Bereichen Luftfahrt, Automobilzulieferindustrie, Wissenschaft und Forschung (Human Machine Interface) Mitarbeiter der MAN Truck & Bus AG: Vertrieb, Produktmanagement, Design, Engineering, Innovationsmanagement Moderiert wurde der Prozess von externen und internen Moderatoren aus der Marktforschung, der Produktentwicklung und der Organisationsentwicklung. In der ersten Phase des Kreativworkshops, der Kritikphase, erarbeiteten zwei gemischte Teams, Lead User und Mitarbeiter auf der einen und Experten und Mitarbeiter auf der anderen Seite, Probleme und Bedürfnisse im Hinblick auf Fahrerarbeitsplatz und Fahrgast innenraum beim Reise-/Überlandbus. In der Ideenphase wurden dann, unter Missachtung jeglichen Machbarkeitsdenkens, Ideen zur Problemlösung gesammelt und der jeweils anderen Gruppe vorgestellt, um einen vergleichbaren Wissensstand herzustellen. Eine unter zahlreichen Ideen war die Vorstellung, das Layout des Fahrgastinnenraums zu revolutionieren. Das Prinzip, Betroffene zu Beteiligten zu machen und ihnen von Beginn an die Möglichkeit zu geben, ihre Interessen und ihre Kompetenzen einzubringen, ermöglichte erst eine effiziente Erweiterung des Unternehmenswissens und die schnelle Umsetzbarkeit in Produktinnovationen. Mit Rückgriff auf ihr Fachwissen und die internen Rahmenbedingungen reduzierten die beteiligten Mitarbeiter der MAN Truck & Bus AG zum Schluss die erfolgversprechendsten Ideen auf den wesentlichen Kern. In wiederum neu gemischten Teams wurden diese dann zu zwei realitätsbezogenen Kernkonzepten ausgearbeitet. Die Konzepte wurden detailliert verbal beschrieben und mit der Unterstützung der Designer der MAN Bus & Truck AG visualisiert. Nach der Präsentation der Konzepte im Plenum wurde unter allen Teilnehmern ein Feedback zum Prozess und zu den Ideenhighlights eingeholt. Im Hinblick auf den Prozess würdigten die Mitarbeiter der MAN Bus & Truck AG vor allem die konstruktive Zusammenarbeit zwischen den Gruppen. Dadurch konnten viele neue Erfahrungen gesammelt, andere Perspektiven kennengelernt und das eigene Wissen grundlegend angereichert werden: „Man fischt weniger im Trüben”. Es wurden viele schnell und unmittelbar umsetzbare Verbesserungsmöglichkeiten gefunden „wo man einfach bisher nicht richtig hingeschaut hat”. Die Aufmerksamkeit für Nachholbedarfe wurde geschärft und konkrete Probleme auf den Tisch gebracht, die schon längst hätten gelöst sein müssen. Resümee: Betroffene zu Beteiligten zu machen, erhöht den Lerneffekt Das hier gezeigte Konzept der Modularität des Fahrgastinnenraums stellte, wie einige andere Teilkonzepte auch, eine Abbildung 3: Konzeptphase – Fahrgastinnenraum Anforderungen Trennungssysteme Wegklappbar Flexibel Ausbaubar Zusammenfaltbar Räume abteilen können Einfache Handhabung Schnell einsetzbar Leicht verstaubar Formstabil Geräuschgedämmt Konturgerecht (Innenwand) Abbildung 4: Konzeptphase – Fahrgastinnenraum Trennungssysteme Lösungsansätze Aus allen gesammelten Ideen wurden in der Konkretisierungsphase die Ideen mit dem größten Problemlösungspotenzial ausgewählt und in neu gemischten Teams (Lead User/ Experten/Mitarbeiter) noch detaillierter ausgearbeitet. Unter anderem wurde auch der Vorschlag der Modularisierung des Fahrgastraums selektiert und weiterentwickelt. Durch Verlegung von Kreativphasen in bereitgestellte MAN/NEOPLAN-Reisebusse, gemeinsame Fahrten unter anderem auf der MAN-Teststrecke sowie dem Besuch eines Airbus 340 im Lufthansa-Wartungszentrum in München wurden alle Teilnehmer zusätzlich inspiriert und stimuliert. Fokus Best Paper 2013 INHALT Lösungskonzept Befestigung Rollos mit Durchgang Dicke/schall gedämte Rollos Mit Magneten befestigen Flexible Haut Trennungen aus dem Ladenbau Am Boden eingehämngt Druckluft anschluss Mit Druckknöpfen Wurfzelt Aufblasbare Zwischenwände, die die Kontur annehmen Aufbewahrung Einrollen in eine Stange Lamellenschrank Verschiebbare Trennwände Im Boden versenkbar ganz neue Sichtweise auf das Gesamtprodukt dar. Es ist aus heutiger Perspektive aufwändig zu realisieren, bietet aber Potenziale für zukünftige Innovationsfelder. In der abschließenden Ergebnispräsentation wurden der Projektleiter und sein Team in Anwesenheit der übrigen ProjektStakeholder über die Ergebnisse informiert, um weitere Prozesse anzustoßen und zu ermöglichen. Der direkte Kontakt der Mitarbeiter der MAN Truck & Bus AG mit den Sichtweisen ihrer Kunden und der Experten hatte einen hohen Lerneffekt, denn Marktforschung wurde für alle erlebbar und dadurch begreifbarer. Es wurde die Bereitschaft erhöht, die Ergebnisse mitzutragen, und die Mitarbeiter fungierten zudem als Promotoren aller erarbeiteten Konzepte in ihren Abteilungen. Das Prinzip, Betroffene zu Beteiligten zu machen und ihnen von Beginn an die Möglichkeit zu geben, ihre Interessen und ihre Kompetenzen einzubringen, ermöglichte erst eine effiziente Erweiterung des Unternehmenswissens und die schnelle Umsetzbarkeit in Produktinnovationen. BVM inbrief August 2013 69 Fokus Best Paper 2013 INHALT Ideation und Fuzzy Front-End Dr. Martin Neumann, KSPG Automotive Group, und Dr. Andreas Riel, Universität Grenoble und ILI CONSULTING, zur Entwicklung einer strukturierten Ideengenerierung im Fuzzy Front-End des Innovationsmanagements eines Tier-1-Automobilzulieferers Jede Innovation basiert auf einer Idee, deren Entstehung die Initialzündung nachfolgender Innovationsaktivitäten darstellt. Die Generierung und Auswahl von Produktideen, kurz „Ideation” genannt, geschieht in der Regel im sogenannten Fuzzy Front-End des Innovationsprozesses. Diese Phase zeichnet sich jedoch durch eine hohe Unsicherheit, Mehrdeutigkeit und Abhängigkeit von individuellen Einzelleistungen aus. Trotz alledem sehen Unternehmen – vor allem in der Automobilindustrie – genau in dieser Phase die Notwendigkeit, ihre Innovationsmanagement aktivitäten zu verbessern, um ihre Innovationskraft auch in Zukunft garantieren zu können. Die von den Autoren identifizierten Erfolgsfaktoren für Ideation sollen helfen, firmenspezifische Ideengenerierungsprozesse unter Berücksichtigung der jeweiligen Organisation und Innovationskultur ableiten zu können. Unternehmen agieren heutzutage – mehr als je zuvor – in einem immer komplexer werdenden Umfeld gesättigter Märkte mit hohem Konkurrenzdruck und sich immer rascher ändernder Marktbedingungen. Unter solchen Voraussetzungen entscheiden Innovationen maßgeblich über den Erfolg und Misserfolg im Geschäftsleben. Dies gilt insbesondere für Unternehmen, die ihren Wettbewerbsvorteil durch technologischen Vorsprung erzielen. Die Automobilindustrie gehört zu diesem technologiegetriebenen Sektor. Verstärkte Kundennachfrage nach Komfort, Sicherheit, Kraftstoffreduzierung etc. sowie der steigende internationale Wettbewerb und Umweltstandards bzw. gesetzliche Vorschriften sind die wichtigsten Treiber für Innovationen im Automobilbereich. Automobilhersteller (OEMs) sowie deren Zulieferer müssen offensiv mit diesem zunehmenden Innovationsdruck umgehen. Ideation in der Frühphase des FFE ist eine äußerst schwierige Aufgabe für das Innovationsmanagement, da Entscheidungen im Front-End nicht nur das Ergebnis des Innovationsprozesses – namentlich die Innovationen – maßgeblich bestimmen, sondern auch die hierfür anfallenden Kosten durch die benötigte Zeit und die Ressourcen zur Durchführung des Prozesses. Daher messen OEMs und Zulieferer Innovationsmanagementsystemen, die sich auf eine systematische Generierung von Ideen für kommerziell erfolgversprechende Produkte, Dienstleistungen oder Geschäftsmodelle fokussieren, eine immer größer werdende Bedeutung zu. Somit muss das In- 70 BVM inbrief August 2013 novationsmanagement eine gezielte Ideengenerierung und Ideenauswahl in den Mittelpunkt seiner Aktivitäten stellen, um den Neuproduktentwicklungsprozess zu unterstützen. Für diese zentrale Aufgabe des Innovationsmanagements soll hier der Begriff „Ideation” verwendet werden. Der deutsche Tier-1-Automobilzulieferer KSPG stand vor der Herausforderung, das Thema Ideation systematisch voranzutreiben (Neumann, Riel und Brissaud 2011a) und die am Beginn des gesamten Innovationsprozesses stehende undeutliche Phase – im Englischen „Fuzzy Front-End” (FFE) genannt – durch einen strukturierten Stage-Gate-Prozess (Cooper 2011) beschreiben zu können. Bei KSPG standen deshalb folgende Fragen im Raum (Neumann et al. 2012): Wie strukturieren andere Unternehmen ihren Ideengenerierungsprozess? Welche Best-Practice-Beispiele lassen sich ableiten? Welche „lessons learned” sind bei der Entwicklung und Umsetzung eines Ideengenerierungsprozesses zu beachten? Welche Quellen eignen sich besonders bei der Generierung von Ideen? Welche Methoden nutzen Unternehmen für die Ideengenerierung? Welche Schnittstellen und Verantwortlichkeiten sind erforderlich für die Ideengenerierung? Das Fuzzy Front-End: Herausforderung an das moderne Innovationsmanagement In der Literatur wird der gesamte Innovationsprozess in drei aufeinanderfolgende Phasen unterteilt: 1. in FFE, 2. in Neuproduktentwicklung (im Englischen „New Product Development” [NPD] genannt) und 3. in Kommerzialisierung (Koen et al. 2002). Die Findung und Auswahl von Ideen findet vorrangig in der frühen und oft unstrukturierten Phase des FFE statt (Khurana und Rosenthal 1998). Fokus Best Paper 2013 INHALT Abbildung 1: Aufbau der Forschungsmethode Ideation in der Frühphase des FFE ist eine äußerst schwierige Aufgabe für das Innovationsmanagement, da Entscheidungen im Front-End nicht nur das Ergebnis des Innovationsprozesses – namentlich die Innovationen – maßgeblich bestimmen, sondern auch die hierfür anfallenden Kosten durch die benötigte Zeit und die Ressourcen zur Durchführung des Prozesses. Ein effektives Management in der frühen Phase des Innovationsprozesses, d.h. die Qualität und die Wirksamkeit der Methoden bei der Auswahl der „richtigen” Ideen im FFE, beeinflusst nachweislich den Erfolg der nachfolgenden Prozessphasen und wurde in empirischen Studien belegt (Herstatt und Verworn 2007). Trotz des breiten Konsenses über die Bedeutung des FFE auf den gesamten Innovationserfolg fehlt vielen Unternehmen ein systematischer Ansatz, um diese ersten Impulse und/oder Chancen für ein neues Produkt oder eine Dienstleistung in der Frühphase der Innovation zu managen (Khurana und Rosenthal 1998; Herstatt und Verworn 2007). Es existieren zwar verschiedene theoretische Modelle, die versuchen, dieses Dilemma zu lösen, doch diese Ansätze setzen voraus, dass die Idee bereits existiert, und beschreiben nicht genauer, wie diese Idee geboren wurde. Hier besteht klar eine Lücke, die diese Forschungsarbeit schließen will. Die zentrale Frage lautet: Ist es möglich, einen strukturierten Ansatz für die frühe Phase des FFE zu finden, der Ideation fördert, ohne jedoch die immanenten Merkmale der Ideengenerierung – namentlich Dynamik und Kreativität – außer Acht zu lassen? Lernen aus Theorie und Praxis Die formulierte Forschungsfrage sollte sowohl im Allgemeinen als auch mit Fokus auf die spezifischen Anforderungen des Automobilzulieferers KSPG beantwortet werden. Dazu wurde eine Methodik gewählt, die theoretische Grundlagen mit Erfahrungen aus der Industrie verknüpft. Die wichtigsten Schritte zur Findung eines Ideation-Prozesses sind in Abbildung 1 dargestellt. Dr. Martin Neumann, Manager Innovation Services, KSPG Automotive Group, Neuss Arbeitet innerhalb der zentralen Abteilung Forschung und Technologie des Automobilzulieferers und ist seit vielen Jahren für KSPG und deren Tochtergesellschaft Pierburg in den Bereichen Marktforschung und Innovationsmanagement tätig. Berufsbegleitend promovierte Dr. Neumann am Grenoble INP und beschäftigte sich während dieser Forschungsarbeit eingehend mit der Entwicklung eines „Ideation Process Model”. Er hat zudem Berufserfahrung in den Bereichen Marketing, Consulting und Marktforschung und ist EU-zertifizierter Innovationsmanager. Dr. Andreas Riel, Universität Grenoble und ILI CONSULTING Riel hat zehn Jahre Berufserfahrung in Forschung und Entwicklung und Innovationsmanagement im Bereich Autotriebwerke. Er hat unter anderem VRL-KCIP, das europäische Exzellenz-Netzwerk für Innovative Produkt- und Systementwicklung koordiniert und für die International EMIRAcle Forschungsorganisation gearbeitet und an der Universität Grenoble zum Thema Produktentwicklung und Innovation habilitiert. BVM inbrief August 2013 71 Fokus Best Paper 2013 INHALT In einem ersten Schritt wurde eine umfangreiche Literaturrecherche zum derzeitigen Stand in den Forschungsdisziplinen Innovationsmanagement, FFE und Neuproduktentwicklung durchgeführt. Die Ergebnisse bestätigten, dass auch neueste Studien nicht explizit einen klar definierten Ideation-Prozess bei der Strukturierung des Innovationsprozesses berücksichtigen (Ernst 2002). Da eine allgemeingültige Prozessstruktur schwer in den verschiedenen, individuellen Unternehmenskontexten gelingen dürfte, haben Khurana und Rosenthal sogenannte Erfolgsfaktoren identifiziert, auf deren Basis eine unternehmensspezifische Neuproduktentwicklung gestaltet werden kann (Khurana und Rosenthal 1998). Doch auch bei diesen Ergebnissen der Erfolgsfaktorenforschung stand Ideation nicht im wissenschaftlichen Fokus. Umsetzung von Ideation-Aktivitäten und die hierfür benötigte Bereitstellung der Ressourcen garantieren kann. 2. Ideengenerierung braucht eine klare Fokussierung! Die systematische Analyse der Gesamtsituation zur Identifikation von Handlungsfeldern steigert die Effektivität bei der Ideengenerierung. Insbesondere die befragten Experten aus der Automobilindustrie drängten darauf, dass nur mit Hilfe einer Innovationsstrategie, die auf einer umfassenden Analyse der externen Marktbedingungen und internen Kompetenzen beruht, für alle am Ideation-Prozess beteiligten Akteure ein für den Erfolg des Prozesses wichtiges Ziel ausgerufen werden kann. Deshalb wurden in einem zweiten Schritt Experteninterviews durchgeführt, um die bisherigen Erkenntnisse aus der Theorie mit praktischen Best Practices zu validieren und sinnvoll zu ergänzen. Da es nicht möglich ist, eine unternehmensspezifische Best Practice 1:1 in einer anderen Organisation zu kopieren, wurde bei der Analyse darauf geachtet, universelle Erfolgsfaktoren zu extrahieren. Insgesamt wurden Interviews mit Experten aus den Bereichen F&E sowie Innovationsmanagement der nachfolgenden drei Gruppen von Unternehmen durchgeführt: 3. Ideengenerierung findet in Netzwerken statt! Eine gezielte Einbindung von internen und externen Akteuren erhöht das Innovationspotenzial und hilft, „Me-Too-Innovationen” zu verhindern. Bei der Ideengenerierung müssen alle Mitarbeiter des Unternehmens eingebunden werden. Der Prozess darf nicht nur auf den Schultern einer kleinen Kerngruppe von Entwicklern ruhen. Unternehmen müssen sich öffnen und bei der Ideengenerierung Netzwerke und externe Partnerschaften nutzen, um das mögliche Innovationspotenzial voll auszuschöpfen. Oder wie einer der Interviewpartner es treffend formulierte: „Kreativität entsteht aus vernetztem Arbeiten!” Auf Basis dieser Analyse konnten sechs universelle unternehmens- und branchenunabhängige Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Ideengenerierung und Ideenauswahl identifiziert werden. Diese sollen nachfolgend kurz beschrieben werden. 4. Ideengenerierung verlangt nach Kreativität! Die Förderung von Kreativität und deren Einbindung in die Unternehmensprozesse steigern die Qualität und Quantität der Ideen. Die Entwicklung von Ideen muss Bestandteil der Unternehmenskultur und täglichen Arbeit sein. Dies zeigten ganz klar die Best-Practice-Beispiele der untersuchten Innovationsführer. vier weltweit operierende deutsche Automobilhersteller drei weltweit agierende deutsche Automobilzulieferer sechs weltweit anerkannte Non-Automotive-Innovationsführer Auf Basis dieser Analyse konnten sechs universelle unternehmens- und branchenunabhängige Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Ideengenerierung und Ideenauswahl identifiziert werden. Diese sollen nachfolgend kurz beschrieben werden. Open Innovation bereichert Ideation 1. Ideengenerierung fängt beim Top-Management an! Ein Aufruf und klares Bekenntnis zur Ideengenerierung seitens des Top-Managements ist Grundvoraussetzung und muss für alle Mitarbeiter sichtbar sein. Alle Interviewpartner waren sich darin einig, dass nur das Top-Management-Commitment die 72 BVM inbrief August 2013 5. Ideengenerierung erfordert Unternehmertum! Der Wettbewerb von Ideen und deren Vermarktung im Unternehmen fördern den Reifegrad und die Qualität der Ideen. Die Ideengeber müssen zu ihren Ideen stehen und diese im Unternehmen vermarkten. Nur wer die besten Ideen liefern kann, bekommt auch die Mittel, die es erlauben diese umzusetzen. 6. Ideengenerierung braucht organisatorische Orientierung! Zielführende Entscheidungsprozesse mit transparenten Bewertungskriterien unterstützen die Kommunikation und Umsetzung von Ideen. Für die Interviewpartner – insbesondere für die Gruppe der deutschen OEMs – ist eine nachvollziehbare Entscheidungsfindung wichtig. Alle hier angeführten Erfolgsfaktoren tragen dazu bei, die Schaffung und Stärkung einer Organisationskultur in Richtung Abbildung 2: Generischer Ideation-Prozess Fokus Best Paper 2013 INHALT spezifischer Formen von Organisation, Kultur, Führungsstil, Prozessen und operativen Arbeitsmethoden. Dieser IdeationProzess konnte nahtlos in die bestehende Prozesslandschaft eingebunden werden. Durch diese Vorgehensweise konnten – abschließend gesagt – dem deutschen Tier-1-Automobilzulieferer KSPG Handlungsfelder im Bereich Ideation aufgezeigt und daran anknüpfend ein praktischer Mehrwert durch die Einführung eines KSPG-spezifischen Ideation-Prozesses geschaffen werden. Open Innovation, also der verstärkten Einbindung von internen und externen Akteuren, anzustreben. Zwischen den einzelnen Faktoren besteht eine klare logische Abhängigkeit. Dies kann als Indikator für deren Eignung und Konsistenz bewertet werden. Unternehmensspezifische Merkmale einbeziehen Mit Hilfe der Erfolgsfaktoren war es dann möglich, einen generischen Ideation-Stage-Gate-Prozess zu definieren, der die wesentlichen Prozessschritte für eine strukturierte Generierung und Auswahl von Ideen abbildet (siehe Abbildung 2). Diese Verallgemeinerung soll helfen, eine Reproduktion des Prozesses in unterschiedlichen Organisationen und Unternehmen möglich zu machen (Meboldt 2008). Der Ideation-Prozess durchläuft die folgenden drei Prozess phasen: 1. Grundvoraussetzungen schaffen, 2. Ideen generieren und 3. Ideen auswählen (Neumann et al. 2012). Ein besonderes Hauptaugenmerk muss auf der ersten Phase liegen, da die hier festgelegten Parameter das Fundament für den späteren Erfolg des Prozessablaufes bilden. Die Ideengenerierungsphase folgt dem modernen Paradigma der Open Innovation und muss die Entwicklung von Ideen zu einem Maximum vorantreiben (Neumann, Riel und Brissaud 2011b). In der letzten Phase – der Ideenauswahl – ist es wichtig, eine Wettbewerbssituation zwischen den Ideen zu schaffen, um hierdurch die Qualität der Ideen zu steigern. Die abschließende Bewertung der Ideen muss für alle Mitarbeiter im Unternehmen transparent ablaufen. Das allgemeine Prozessmodell wurde dann als Vorlage für die Formulierung eines auf KSPG zugeschnittenen Ideation-Prozesses verwendet, unter Berücksichtigung unternehmens- Quellen Cooper, Robert G. (2011): Winning at New Products: Creating Value Through Innovation. 4. Auflage, Basic Books, New York, NY. Ernst, Holger (2002): Success factors of new product development: a review of the empirical literature. In: International Journal of Management Reviews, Vol. 4, Iss. 1, S. 1-40. Herstatt, Cornelius; Verworn, Birgit (Hrsg.) (2007): Management der frühen Innovationsphasen: Grundlagen – Methoden – Neue Ansätze, 2. Auflage, Gabler, Wiesbaden. Khurana, Anil; Rosenthal, Stephen R. (1998): Towards Holistic ”Front Ends” in New Product Development. In: Journal of Product Innovation Management, Vol. 15, Iss. 2, S. 57-74. Koen, Peter A.; Ajamian, Greg M.; Boyce, Scott et al. (2002): Fuzzy Front End: Effective Methods, Tools and Techniques. In: Belliveau P., Griffen A., Somermeyer, S. (Hrsg.): The PDMA ToolBook 1 for New Product Development, John Wiley & Sons. Inc., Hoboken, New Jersey, S. 5-35. Meboldt, Mirko (2008): Mentale und formale Modelbildung in der Produktentstehung - als Beitrag zum integrierten Produktentstehungs- Modell (iPeM). IPEK Forschungsbericht, Band 29, Institut für Produktentwicklung Universität Karlsruhe (TH), Karlsruhe. Neumann, Martin; Riel, Andreas; Brissaud; Daniel (2011a): IT-supported innovation management in the automotive supplier industry to drive idea generation and leverage innovation. In: Journal of Software Maintenance and Evolution: Research and Practice. Doi: 10.1002/smr.578. Neumann, Martin; Riel, Andreas; Brissaud, Daniel (2011b): Sustainable innovation management in the automotive industry. In: International Journal of Technology Intelligence and Planning, Vol. 7, No. 4, S. 327-343. Neumann, Martin; Riel, Andreas; Brissaud, Daniel; Ili, Serhan (2012): Towards an Ideation Process Applied to the Automotive Supplier Industry. In: Winkler, D., O’Connor R., Messnarz R. (Hrsg.): Systems, Software and Services Process Improvement – 19th European Conference, EuroSPI 2012, Vienna, Austria, June 25-27, 2012, CCIS 301, Proceedings, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg, S. 229-240. BVM inbrief August 2013 73 Fokus Best Paper 2013 INHALT Mediaplanung 3.0 Karin Immenroth, L’Équipe L’Oréal, sowie Catrin Klein und Andreas Neef, L’Oréal, zur Real-TimeBeobachtung, Steuerung, Optimierung und Prognose von Werbekampagnen durch LIVE-Monitoring Werbung spielt bei FMCG-Produkten eine zentrale Rolle. In vielen Studien ist bewiesen worden, dass Werbebotschaften dann am effektivsten sind, wenn sie unmittelbar vor einer anstehenden Kaufentscheidung empfangen werden (Recency Planning). Dies stellt die Mediaplanung vor neue Herausforderungen und erfordert bei Agenturen ein Umdenken: der Abverkauf von Produkten rückt als härtester Key Performance Indicator (KPI) stärker in den Fokus. Agenturen müssen deswegen schneller auf Kampagnenentwicklungen reagieren können. Die Autoren stellen den gemeinsam entwickelten Ansatz des LIVE-Monitoring vor, der ihrer Ansicht nach diesen Anforderungen bestmöglich Rechnung trägt. Der im Folgenden dargestellte Ansatz des LIVE-Monitoring ermöglicht dem Marketing des Werbetreibenden, laufende Kampagnen wochenaktuell in Hinblick auf Absatzentwicklungen zu bewerten und zeitnah mit Werbung auf etwaige negative Entwicklungen zu reagieren. Dafür haben L’Oréal und L’Équipe L’Oréal ein mehrstufiges Forschungskonzept entwickelt, das mittels eines „Early Indicators” ein frühzeitiges Eingreifen auf Seiten der Mediaagentur, aber auch auf Kundenseite beispielsweise mit Promotions etc. ermöglicht. Zentraler KPI des Ansatzes ist die Entwicklung der härtesten Währung des Werbetreibenden: die Sales des Produkts am Point of Sales (POS). Zentraler KPI des Ansatzes ist die Entwicklung der härtesten Währung des Werbetreibenden: die Sales des Produkts am POS. Verschiedene Faktoren beeinflussen den Absatz einer Marke Das LIVE-Monitoring trägt den aktuellen Prozessen in der Mediaplanung Rechnung und ermöglicht es wegen seines mehrstufigen Ansatzes, ein umfassendes Bild einer Kampagne aufzuzeigen. Eine rein deskriptive Analyse der Absätze in Kombination mit den eingesetzten Media würde zu kurz greifen. Denn neben der Werbung gibt es viele andere Faktoren, die den Absatz einer Marke beeinflussen können. Dies können beispielsweise Preiseffekte, Promotion-Aktivitäten der Marke oder aber auch Saison- oder Wettereffekte sein. Multivariate Methoden wie Regressionsanalysen, die das Ursache-Wirkungs-Verhältnis untersuchen, können den Beitrag durch Werbung realistisch bestimmen und von den anderen Faktoren trennen. 74 BVM inbrief August 2013 Multivariate Methoden ermitteln den Absatzbeitrag von Werbung Ausgangspunkt im LIVE-Monitoring-Ansatz ist ein klassisches Sales-Modelling, das auf Basis der vorhandenen Daten (Absatz, Werbedruck, Werbeausgaben, Preise, Saisonabhängigkeit, Wetter etc.) aufzeigt, wie eine Marke „funktioniert” und welche Faktoren in welcher Stärke zum Absatz der Marke beigetragen haben. Das Sales-Modelling wird rückwirkend für drei Jahre aufgebaut, um über genügend Datenpunkte die Entwicklung der Marke detailliert aufzeigen zu können. Diese Herangehensweise ist zunächst Basis und Grundlage für das Verständnis der Marke sowie der beeinflussenden Faktoren auf den Absatz der Marke. Aufgrund der verzögerten Verfügbarkeit von Daten zu Werbe-Spendings (circa ein Monat Zeitverzug) eignet sich das klassische Sales-Modelling nicht für ein zeitnahes und kurzfristiges Monitoring, da eine schnelle Reaktion durch die Mediaplanung in Form von beispielsweise Veränderung des Sendermix oder Adaption des Zeitzonenmix nicht gewährleistet werden kann. Ein klassisches Sales-Modelling ist die Basis für das LIVEMonitoring Vom klassischen Sales-Modelling zum LIVE-Monitoring: Auf Basis wöchentlich erscheinender Absatzdaten eines Handelspartners kann der Kurzfristigkeit im Mediaplanungsprozess idealerweise Rechnung getragen werden. Mit dem entwickelten Monitoring-Modell adaptiert das Analyseteam die aus dem klassischen Marketing-Mix-Modell generierten, auf Nielsen-Basis gewonnenen Erkenntnisse auf Basis der wöchentlich aktuellen Handelspartner-Daten. Mit den aktuellen Daten und dem Monitoring-Modell kann während der laufenden Kampagne ein Modell-Absatz be- rechnet werden: So ergibt sich die Benchmark für die aktuelle Kampagne beziehungsweise die Möglichkeit, zukünftige Kampagnen zu simulieren und prognostizieren. Weicht der tatsächliche Absatz während der laufenden Kampagne vom Benchmark-Absatz ab, wird in Zukunft über einen „Early Alert” zeitnah „gewarnt”. In diesem Fall ist die Mediaplanung gefragt, die über diverse Stellschrauben wie Medienwahl, Zeitzonenmix, Sendermix etc. kurzfristig reagieren und gegensteuern kann. Das LIVE-Monitoring gibt Hinweise, ob die Wirkung von Werbekampagnen nachlässt. Eine zeitnahe beziehungsweise sofortige Reaktion mit Media ermöglicht die Optimierung und bestmögliche Aussteuerung der Kampagne im noch laufenden Kampagnenprozess. Das LIVE-Monitoring ermöglicht eine Prognose zukünftiger Kampagnen Die Simulation und Prognose zukünftiger Kampagnen revolutioniert den Mediaplanungsprozess. Kampagnen-KPIs sowie Sales-Entwicklungen lassen sich über das entwickelte LIVEMonitoring simulieren. Das LIVE-Monitoring verhindert somit „böse Überraschungen” in Hinblick auf die Sales-Entwicklung im Handel – zeitgleich wird kontinuierlich an einer Optimierung bzw. Steigerung der Sales-Entwicklung gearbeitet. Fazit: Das LIVE-Monitoring gewährleistet für Werbetreibenden und Agentur eine frühestmögliche, zeitnahe und aktuelle Identifikation nachlassender Absatzwirkung von Werbekampagnen. Fokus Best Paper 2013 INHALT Produktinnovationen erfordern eine Adaption des Ansatzes Innovationen und Produktlancierungen stellen Kunden und Agenturen häufig vor neue Herausforderungen. Innovationen sind für Werbungtreibende ein besonders wichtiger Treiber und häufig Mittelpunkt der Kommunikation. Produktlancierungen rücken daher meist in den besonderen Fokus der Unternehmensführung und werden vor allem beim Launch im Handel besonders beobachtet und analysiert. Bekannt ist, dass bei neuen Produkten Werbung vor allem in Hinblick auf Bekanntheit und Absatz eine sehr wichtige, wenn nicht sogar die zentralste Rolle spielt. Um diesen Gegebenheiten Rechnung zu tragen und um künftig auch valide Aussagen für Produktneueinführungen treffen zu können, wurde für diese Kategorie ein weiterer speziell auf Produkt-Lancierungen ausgerichteter Ansatz entwickelt. Dies ist vor allem deswegen notwendig, da diese die Schwierigkeit mit sich bringen, dass kein differenziertes, auf die Marke bezogenes Modelling aufgebaut werden kann, da zu wenig Datenpunkte vorhanden sind beziehungsweise auf keine rückwirkenden Daten zurückgegriffen werden kann. Ein Launch-Modelling ermöglicht das Monitoring von Produktlancierungen Das Launch-Modelling ist ein Modell, das auf der Basis von verschiedenen Innovationen oder Lancierungen aus einem definierten Produktbereich berechnet wird. Hier wird über mehrere Innovationen beziehungsweise das Ausweichen in benachbar- Karin Immenroth, Managing Partner/Head of Analytics&Insight, L’Equipe L‘Oréal – A GroupM Company, Düsseldorf hat Kommunikationswissenschaften studiert und anschließend mehrere Jahre in Agenturen gearbeitet. Vor ihrer jetzigen Tätigkeit war sie Leiterin der Marktforschungsabteilung bei einem großen deutschen Online-Vermarkter. Catrin Klein, Director Market & Consumer Insights, L’Oréal Deutschland, Düsseldorf ist seit 1999 bei L’Oréal Deutschland in unterschiedlichen Funktionen innerhalb der Marktforschung tätig und leitet diese seit 2006. Vorher war sie bei der GfK in der Kommunikationsforschung. Andreas Neef, Mediadirektor D/A/CH, L’Oréal, Düsseldorf war zuvor als Bereichsleiter Media bei der Metro Group Advertising tätig. Davor hat er in verschiedenen Werbeagenturen gearbeitet und Etats unter anderen von Coca-Cola und der Deutschen Telekom betreut. BVM inbrief August 2013 75 Fokus Best Paper 2013 INHALT te Produktkategorien oder die Betrachtung des Wettbewerbs ein maximales Benchmarking über diverse Kampagnen sichergestellt. Über diesen Ansatz wird die generelle Funktionsweise von Lancierungen aufgezeigt und das Launch-Modell fungiert als solide Benchmark für zukünftige Innovationen oder Lancierungen im untersuchten Produktbereich. Die Simulation und Prognose zukünftiger Kampagnen revolutioniert den Media planungsprozess. Des Weiteren kann die Modellformel des Launch-Modells als Grundlage genutzt werden, um den Absatz von Lancierungen zu benchmarken bzw. zu simulieren. Anhand des Launch-Modells wird der zu erwartende Absatz für das lancierte Produkt in Form eines Benchmarks berechnet und mit dem Ist-Absatz bei Produkt-Lancierungen verglichen. So kann zeitnah mit nur einer Woche Zeitverzug bewertet werden, ob die Launch-Kampagne für dieses Produkt unter- oder überdurchschnittlich abgeschnitten hat. Ein zeitnahes Gegensteuern/Reagieren im Launch-Prozess wird somit analog dem klassischen MarkenLIVE-Monitoring über die Mediaplanung gewährleistet. Ein tagesaktuelles Dashboard ermöglicht ein Live-Monitoring, das tatsächlich live ist Die Darstellung und Visualisierung des LIVE-Monitorings ist ein zentraler Faktor für die Nutzbarkeit auf Kunden- und Agenturseite. Die Mediaplanung wird komplexer, die Datenströme werden täglich größer, es entstehen permanent neue KPIs und Plattformen. Denn Unternehmen müssen nicht nur ihren eigenen Markt genau beobachten, sondern auch den des Wettbewerbs. Dies erfordert den Einsatz einer entwickelten Technologieplattform. Das LIVE-Monitoring wird in einem täglich aktualisierten Dashboard, dem sogenannten Marketing Intelligence Cockpit (MIC), dargestellt. So können zum einen der „Early Alert” des LIVE-Monitorings, aber auch die aktuellen Kampagnenentwicklungen wie beispielsweise Media-Mix, Sendermix etc. ideal beobachtet werden. Sowohl Kunde als auch Agentur greifen somit jederzeit auf die gleiche Datenbasis zu. Die Vorteile des MIC sind vielfältig. Zum einen wird die Geschwindigkeit der Datenverfügbarkeit deutlich erhöht. Außerdem liegen sämtliche Daten strukturiert und effizient nutzbar sowohl für Kunde und Agentur in einer Plattform vor. Durch Aggregation und Kombination verschiedener Datenströme wird des Weiteren maximale Übersichtlichkeit geschaffen, die zu einer effizienten Nutzung verschiedener Datenquellen beiträgt. Während bislang Daten häufig nur in das „Berichtswesen” eingehen, ermöglicht das MIC eine detaillierte 76 BVM inbrief August 2013 Datenanalyse. Dies bedeutet eine Revolution der Kampagnen-Reportings: die Zeit der Kampagnenreports nach Kampagnenende ist somit vorbei. Real-Time-Analyse lautet das Stichwort der Zukunft. Das LIVE-Monitoring zeigt „rot” – die Zukunft der Mediaplanung Planungsalltag: Jeden Freitag um 9 Uhr morgens erhalten die verantwortlichen Mediaplaner ein Monitoring-Update für ihre Marken. Produkt Y steht auf „grün”. Kein Handlungsbedarf. Produkt V steht auf „gelb”. Hier wird schon mal ein kurzer Blick in die anderen KPIs geworfen. Noch ist keine Reaktion notwendig. Klarer Handlungsbedarf jedoch bei einer anderen Marke: Das Produkt Z steht auf „rot”. Es wird sofort reagiert. Mittels des Dashboards MIC verschafft sich der Mediaplaner direkt ein Bild über den aktuellen Stand des Produkts. Er schaut sich die Entwicklungen des Wettbewerbs an und erhält einen detaillierten Eindruck von etwaigen Promotion-Aktivitäten. Außerdem schaut er sich die Entwicklung der Kampagne im Hinblick auf Media-Mix, Sendermix etc. an. Schnell wird klar: es muss reagiert werden. 9.15 Uhr – Telefonat mit dem zuständigen Produktmanager. Gemeinsam wirft man nochmals einen Blick in das MIC und bespricht die Entwicklungen für das Produkt Z. Real-Time-Analyse lautet das Stichwort der Zukunft. Sofort werden zentrale Stellschrauben besprochen: Kampagnenstopp, Veränderung der Kreation, Adaption des MediaMix oder beispielsweise eine besondere Promotion-Aktion könnten mögliche Entscheidungen sein. Was zu tun ist, wird schnell klar: Die Budgetverteilung in TV und Online wird verändert. Der TV-Share in den Nachmittagsschienen wird leicht gesenkt – der Online-Bewegtbild-Share wird um acht Prozent erhöht. Auf Basis der Simulationen im LIVE-Monitoring kann so schnell abgeschätzt werden, ob sich der „rote” „Early Alert” innerhalb der nächsten zwei bis drei Wochen in einen Positivtrend umkehrt. LIVE-Monitoring: Mediaplanung der Zukunft Die Entwicklung und Einführung des LIVE-Monitoring ist der erste Schritt in eine neue Ära der Mediaplanung. Der wichtigste KPI des Kunden – der Sales – wird in das Zentrum der Kampagnenbeurteilung gerückt. Schnellere Reaktionszeiten und ein tiefergehendes Verständnis für die Entwicklung von Produkten stellen eine Maximierung der Effizienz von Werbung sicher. Das LIVE-Monitoring ist der zentrale gemeinsame Schritt von Kunde und Mediaagentur in Richtung Zukunft. Unser Leben – online und in Farbe Mark Schiefelbein, Wakoopa, zur Motivation und den Unterschieden im Nutzungsverhalten von Konsumenten bei Online-Aktivitäten und Kaufentscheidungen Fokus Best Paper 2013 INHALT In seinem Beitrag berichtet Mark Schiefelbein über die Ergebnisse eines Experiments, das sozio-psychologische Profile und umfangreiche Daten aus passiver Messung kombiniert, um das Internetverhalten von Konsumenten zu beschreiben. Ein gutes Jahrhundert vorher hatte Alfred Adler die Individualpsychologie begründet, deren Ziel es ist, das Verhalten des Einzelnen in Abhängigkeit von der Gesellschaft und als Teil sozialer Prozesse zu interpretieren.2) Unter anderem bietet dieser individualpsychologische Ansatz einen sehr guten Ausgangspunkt für die Erforschung der Motivation bei Kaufentscheidungen von Konsumenten. Ein gutes Jahrhundert vorher hatte Alfred Adler die Individualpsychologie begründet, deren Ziel es ist, das Verhalten des Einzelnen in Abhängigkeit von der Gesellschaft und als Teil sozialer Prozesse zu interpretieren. Abbildung 1: Segmente des BSR-Modells VITALITY Psychological / Vertical axis differentiates an expansive, open-minded personality from the more defensive way of thinking (protective of one‘s values, image, traditions, etc). Expansive HARMONY Psychological axis CONTROL Sociological axis Protective Social Adaptive In dem Experiment, das hier vorgestellt wird, werden Elemente aus der Individualpsychologie Adlers mit sehr umfangreichen Daten aus passiven Messungen der Internetnutzung von Teilnehmern eines Konsumentenpanels kombiniert. Ausgangspunkt dafür ist das sogenannte BSR-Modell (Brand Strategy Research) SmartAgent, Niederlande, das dazu dient, Konsumenten anhand von sozio-psychologischen Merkmalen zu segmentieren.3) Diese Segmente sind eine gute Grundlage für die Erforschung der Motivation bei Kaufentscheidungen von Konsumenten. Die Teilnehmer der Studie werden gebeten, eine App zu installieren, die die passive Messung ihrer Internetnutzung ermöglicht, und einen Fragebogen auszufüllen, der das BSRSegment ermittelt, dem sie angehören. Die Applikation zur passiven Messung der Internetnutzung wurde von Wakoopa4) entwickelt, die seit Jahren in Zusammenarbeit mit Marktforschungsinstituten die Internetnutzung in Konsumentenpanels passiv misst. Diese Messtechnologie ist sehr komplex und erfasst das Onlineverhalten sowohl auf Desktop- und Laptop-Computern wie auf Smartphones und Tablets. Unter strikter Wahrung des Schutzes der Privatsphäre werden Besuche von Webseiten, Werbekontakte und die Nutzung von Apps registriert. Diese Daten sind über ein Dashboard zugänglich. Ego Assertive Bereits 2008 plädierte die World Federation of Advertisers (WFA) im Rahmen ihres „Blueprint for consumer-centric holistic measurement” für eine ganzheitliche, benutzerzentrierte Messung von Internetdaten.1) In diesem Entwurf definiert die WFA eine Zielsetzung sowie sehr konkrete Vorstellungen, wie das digitale Nutzungsverhalten von Konsumenten vollständig und präzise gemessen werden kann. Im Mittelpunkt dieser Ausführungen steht die passive Messung bei gleichzeitigem Schutz der Privatsphäre. Sociological / Horizontal axis differentiates personalities that are ego-assertive (separated from the crowd) from those that are more socially oriented (accepted as part oft the crowd). SECURITY 1.BSR-Modell Das BSR-Modell segmentiert Konsumenten in zwei Dimensionen: Die erste ist die soziologische Achse, die den Konsumenten in seiner Beziehung zu seiner sozialen Umgebung bewertet: egozentrisch oder gruppenorientiert. Die zweite ist die psychologische Achse, die eine Typisierung in extravertierte beziehungsweise introvertierte Menschen vornimmt. Die sich daraus ergebenden vier Segmente werden der Einfachheit halber farblich gekennzeichnet (Abbildung 1). Mark Schiefelbein, Produktmanager, Wakoopa, Amsterdam beschäftigt sich im Rahmen seiner Arbeit bei Wakoopa seit vielen Jahren mit der passiven Messung von Internetdaten. Er hat langjährige Erfahrungen als Produktmanager in einer Reihe von Internet- und Technologiefirmen. BVM inbrief August 2013 77 Aus dieser Einteilung ergeben sich vier Segmente: Das Segment der Vitalität (rot): Die wichtigsten Beweggründe der Menschen, die zu diesem Segment gehören, sind persönliches Wachstum, das Entdecken neuer Dinge und das Überschreiten von Grenzen. Typische Merkmale sind Aufgeschlossenheit, Selbstbewusstsein, Abenteuerlust, Leidenschaft, Energie und Kreativität. Das Segment der Kontrolle (blau): Personen aus dieser Gruppe wollen Kontrolle über ihre Emotionen und Gefühle haben und sich geistig und materiell von der Masse abgrenzen. Sie haben das Bedürfnis, als erfolgreich angesehen werden. Typische Merkmale sind Individualität, Ambition, Rationalität, Wettbewerb, Intelligenz und Karriere. Das Segment der Harmonie (gelb): Kontakt mit vielen, auch unbekannten Menschen ist ein Hauptmotiv dieses Segments. Personen dieses Typs teilen gerne ihr Leben, ihre Erfahrungen und Gefühle auf harmonische Weise mit anderen und werden mit Spontaneität, Enthusiasmus, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Fürsorge und Optimismus assoziiert. Das Segment der Sicherheit (grün): Personen in diesem Feld wollen sich sicher und geschützt fühlen und haben das Bedürfnis, zu einer bestimmten Kultur oder Gruppe zu gehören. Typische Eigenschaften sind Ordnung, Disziplin, Routine, Normen, Stabilität und Struktur. Sie können als ruhig, vorsichtig, konservativ und traditionell bezeichnet werden. 2. Passive Online-Messung Alle am Experiment teilnehmenden Probanden werden gebeten, für einen Incentive einmalig eine Applikation zu installieren, die ihr Browse- und Suchverhalten im Internet und Verhalten gegenüber Online-Werbung aufzeichnet. Probanden können diese App auf ihrem PC, ihrem Smartphone und ihrem Tablet installieren. Ein Proband, der sich entschließt, an der passiven OnlineMessung teilzunehmen, klickt auf einen Link und installiert diese App. Vor der Installation wird der Teilnehmer explizit um Zustimmung gefragt (opt-in). Die Installation ist einmalig, erfordert nicht mehr als einen Klick und dauert in der Regel maximal eine Minute. Nach erfolgreicher Installation beginnt das Registrieren der Internetdaten des Probanden. Der Proband hat über ein Symbol in der Systemleiste jederzeit Zugriff auf die Applikation, um die Registrierung zu unterbrechen, auf bestimmte Webseiten zu beschränken oder komplett zu beenden. Er kann auch einsehen, welche Daten registriert werden. Diese Technologie, mit der Online-Nutzungsdaten passiv erfasst werden, kann sehr gut mit traditionellen Umfragewerkzeugen kombiniert werden. Gemessenes Verhalten ist bei weitem präziser als behauptetes Verhalten und bietet im Zusammenhang mit Befragungen über Beweggründe bisher unbekannte Einblicke in das digitale Leben der Verbraucher. 78 BVM inbrief August 2013 Abbildung 2: Internetnutzung nach BSR-Segment Overall internet usage (PC) 120% attention span index Fokus Best Paper 2013 INHALT 100% 80% 80% 100% time on site index 120% 3. Website-Nutzung nach BSR-Segment Webseiten werden oft anhand zweier Kernzahlen bewertet, nämlich nach der mittleren Dauer und der Tiefe eines Besuchs. Die Dauer wird in Sekunden gemessen, die Tiefe anhand der Anzahl der angeklickten Seiten bei einem Besuch. Die vier BSR-Segmente unterscheiden sich sehr deutlich in ihrer Internetnutzung (Abbildung 2). Wie die folgende Abbildung zeigt, ist beispielsweise bei Personen, die dem grünen Sicherheitssegment angehören, die durchschnittliche Dauer eines Besuches sehr hoch, dagegen die mittlere Tiefe sehr niedrig. Das heißt: Sicherheitsorientierte Menschen nehmen sich also viel Zeit für den Konsum einer relativ begrenzten Anzahl von Informationsquellen. Es lassen sich darüber hinaus Webseiten bewerten, indem man die BSR-Profile der Webseite erstellt und mit deren allgemeiner Nutzung vergleicht. Gemessenes Verhalten ist bei weitem präziser als behauptetes Verhalten und bietet im Zusammenhang mit Befragungen über Beweggründe bisher unbekannte Einblicke in das digitale Leben der Verbraucher. Das folgende Profil von Facebook zeigt zum Beispiel, dass die Angehörigen des gelben Harmonie-Segments deutlich mehr Zeit auf Facebook verbringen als auf einer durchschnittlichen Webseite (Abbildung 3). Das Mitteilungsbedürfnis dieser Gruppe wird durch Facebook hervorragend befriedigt. Eine zusätzliche Stärke von Facebook ist, dass es gelingt, auch die Angehörigen des innovativeren roten Vitalitäts- und des blauen Kontroll-Segments zu binden. Diese Nutzergruppen haben Facebook groß gemacht. Sie sind in der Regel die ersten Nutzer von neuen Diensten und auch die ersten, die diese Dienste wieder verlassen, wenn sie für sie nicht mehr als interessant und innovativ genug sind. Dieser Effekt ist bis jetzt bei Facebook noch nicht eingetreten. Abbildung 3: Facebook-Nutzung nach BSR-Segment Abbildung 5: Internetauftritt von Apple nach BSR-Segment facebook.com apple.com search: apple -15 -10 -5 0 5 10 15 20% -15 -10 -5 0 5 10 15 20% apple banner ads attention span index 150% 100% Unique visitor index Unique visitor index Fokus Best Paper 2013 INHALT -15 -10 -5 0 5 10 15 20% Unique visitor index Abbildung 6: Internetauftritt von Volvo nach BSR-Segment 50% 50% 100% time on site index volvocars.com search: volvo -15 -10 -5 0 5 10 15 20% -15 -10 -5 0 5 10 15 20% volvo banner ads 150% Abbildung 4: LinkedIn-Nutzung nach BSR-Segment linkedin.com Unique visitor index attention span index 200% -15 -10 -5 0 5 10 15 20% Unique visitor index Ein weniger optimales Bild ist beispielsweise bei der Marke Volvo zu erkennen (Abbildung 6). Die Profile der verschiedenen Internetbereiche sind stark fragmentiert. Zum Beispiel dominiert in der Suche die gelbe Harmoniegruppe, während Volvo mit ihren Online-Kampagnen hauptsächlich das grüne Sicherheits- und das blaue Kontroll-Segment erreicht. 100% 0% 0% Unique visitor index 100% time on site index 150% Ein noch deutlicheres Bild des Verhaltens der verschiedenen Segmente zeigt sich bei der Nutzung des Business-Netzwerks LinkedIn (Abbildung 4). Das Netzwerk ist mit seinem starken Fokus auf das blaue Kontroll-Segment und dessen typische Ausprägung von Ambition und Karriere außerordentlich erfolgreich. Die Angehörigen des Kontroll-Segments verbringen fast doppelt so viel Zeit auf LinkedIn wie durchschnittlich auf anderen Webseiten. 4. BSR-Profile von Marken Der Messungsansatz mittels BSR-Profile lässt sich auch auf den Internetauftritt von Marken ausweiten, und zwar in Bezug auf deren Webseite, die Suchmaschinenoptimierung und die Online-Werbekampagnen. Ein Blick auf den Internetauftritt von Apple zeigt ein sehr positives Bild (Abbildung 5). Die BSR-Profile erweisen sich über die verschiedenen Online-Kanäle hinweg als konsistent und passen perfekt in die Ausrichtung der Marke. Apple erreicht erfolgreich die durch Kreativität charakterisierten Angehörigen des roten Segments der Vitalität. 5. Kombination von passiver Messung und BSR-Segmenten im Online-Marketing BSR-Profile und passive Messung sind ein sehr wertvolles Werkzeug für das Online-Marketing. Denn BSR-Profile charakterisieren Zielgruppen besser als soziodemografische Merkmale, weil sie stärker auf Motivationen und Beweggründe unter anderem von Kaufentscheidungen eingehen. Und die passive Messung erlaubt extrem detaillierte Einsichten in wirkliches Verhalten von Konsumenten. Die Einsatzgebiete sind entsprechend breit gefächert. Beispiele dafür sind: Marken, die ihren Onlineauftritt optimieren wollen Produktentwicklungsabteilungen, die mit dem Lebenszyklus-Management von Produkten befasst sind Mediaagenturen, die eine neue und effektive Methode für die Medienplanung anwenden wollen Verlage, die eine Optimierung von Inhalten, Werbung und Lesern erzielen wollen Anmerkungen und Quellenhinweise 1)Siehe http://www.wfablueprint.org/Blueprint_English_June_2008.pdf 2) Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Adler 3) Siehe http://www.smartagent.nl/ 4) Siehe http://wakoopa.com/ BVM inbrief August 2013 79 Fokus Best Paper 2013 INHALT Bretter vorm Kopf Konsumenten konsumieren. Marktforscher forschen Detlef Happel, Dialego, über Geht-Nicht-Paradigmen zum Thema Innovation und zur Frage, wie es trotzdem funktioniert Von Henry Ford stammt der berühmte Satz „Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt schnellere Pferde.” Ein deutliches Statement, dass vom Fußvolk keine Ideenimpulse zu neuen Produkten zu erwarten sind. Die Grundannahme hier ist, dass Konsumenten quasi mit einem Brett vorm Kopf durch die Welt laufen und außerhalb ihrer Erfahrungswelt keine oder eine nur sehr begrenzte Vorstellungskraft besitzen. Dass sie also nicht selbst in der Lage sind, ihr Leben zu verbessern, sondern angeleitet werden müssen von jemandem, der ihnen den Weg zeigt (Abbildung 1). „Seit Joseph Schumpeters Theorie der ökonomischen Entwicklung von 1934 gilt der Lehrsatz, dass Innovationen von den Herstellern ausgehen. Schumpeter ging sogar davon aus, dass die Produzenten gar Bedürfnisse beim Verbraucher erschaffen.” (Quelle: Technology Review 03.2011, Interview mit Professor Eric von Hippel, MIT Sloan School of Management, Cambridge MA, USA) Konsumenten konsumieren, sonst noch was? Diese Grundannahme hat in den Unternehmenskulturen eine nachhaltige Wirkung hinterlassen: Innovationen können nur von Experten entwickelt werden, von den R&D-Hohepriestern. Diese Grundannahme ist von den Marktrealitäten längst überholt. Abbildung 1: Ein berühmtes Brett: Wer will denn die Beatles hören? „Uns gefällt Ihr Sound nicht, und Gitarrenmusik ist ohnehin nicht gefragt.” Begründung von DECCA 1962, warum sie die Beatles nicht unter Vertrag nehmen wollten. 80 BVM inbrief August 2013 Wieder von Hippel: „Die übliche Herangehensweise an Innovationen in einer Firma ist, erst einmal Marktforschung zu betreiben, eine Zielgruppe zu finden und dann die Entwicklung im eigenen Hause anzuschieben. Das Problem daran ist, dass Marktforscher oft verkennen, dass in den Erzählungen der Verbraucher schon Lösungen enthalten sind.” Das bestätigt auch eine globale Grand-Thornton-Studie, die 2009 zentrale Innovations-Treiber in Unternehmen untersucht hat: „Customers are the # 1 source of best innovation ideas”, weit vor R&D-Abteilungen oder Innovation-Teams. Hier ist ein klarer Wandel sichtbar, heraus aus dem ExpertenElfenbeinturm, hin zur Orientierung an echten VerbraucherBedürfnissen bei der Produktentwicklung. Die Frage ist nur, wer kann das? Marktforscher forschen, geht noch mehr? Kann ein Marktforscher auch Impulse setzen, Welten eröffnen, innovieren? Laut Aussage vieler Experten ein Paradoxon, liegt die Kernkompetenz des Marktforschers doch eher im Zählen von Mehrheiten. Innovationen sind per se aber zunächst einmal eher zarte Pflänzchen, scheue Seltenheiten. Wenn die Kompetenz des Marktforschers derart begrenzt ist, stellt sich die Frage: Wie kann ein Marktforscher überhaupt neue Ideen finden bzw. beim Konsumenten finden oder fördern, wenn er doch Kraft seines Amtes hauptsächlich bereits Existentes verifiziert – oder eben falsifiziert? Albert Einstein wird eine erhellende Erkenntnis zugeschrieben: „Insanity is doing the same thing over and over again expecting different results”. Auf unsere Branchenroutine bezogen lässt sich feststellen: Der Marktforscher erhebt Bedürfnisse beim Konsumenten und präsentiert diese dem Unternehmen. Dort leiten „Experten” aus den Bedürfnissen Nutzen- oder Wirkversprechen ab, die anschließend wieder vom Marktforscher auf Akzeptanz beim Verbraucher geprüft werden. Dieses immer noch vielfach übliche Vorgehen kann nicht verhindern, das etwa 80 Prozent aller Produktneueinführungen nach einem Jahr wieder aus den Supermarktregalen ver- Fokus Best Paper 2013 INHALT schwunden sind. Um bei Einstein zu bleiben: Warum sollte bei diesem immer gleichen Vorgehen etwas wirklich Neues herauskommen? Wie geht denn noch mehr? Wie kann die Marktforschung wirklich neue Dinge (mit)entwickeln? Indem Menschen nicht nur als Herdentiere betrachtet werden, sondern als reflektierte Menschen, deren kreativer Geist geweckt werden kann. Indem sehr viele Menschen befragt werden: Denn viel hilft viel. Indem der Blick bewusst von den Mehrheiten auf die Besonderheiten umgelenkt wird. Aber was genau ist damit gemeint? Wie kann die Marktforschung wirklich neue Dinge (mit)entwickeln? Indem Menschen nicht nur als Herdentiere betrachtet werden, sondern als reflektierte Menschen, deren kreativer Geist geweckt werden kann. Wir erweitern das Methodenspektrum der Marktforschung gezielt um CrowdSourcing- und CoCreation-Ansätze. Hiermit sind wir sehr nah bei sehr vielen Konsumenten, wir hören auf ihre wertvollen Erfahrungen. Wir regen ihre Gedanken an und animieren sie, in Richtungen auch außerhalb der untersuchten Kategorie zu denken. Wir nehmen ihnen hiermit bewusst das passive Konsum-Brett vom Kopf und machen sie zu aktiven Mitgestaltern. Um echte Innovationen zu entdecken, stellen wir das klassische Marktforschungsprinzip, also die Suche nach Mehrheiten, bewusst auf den Kopf. Indikatoren für starke Innovationen sind in Anlehnung an die Longtail-Theorie (Chris Anderson, Wired Magazine 2004) eher die vielen kleinen Seltenheiten, ungewohnte Einzelnennungen in großen Datenmengen. Und nur diese werden für die Weiterentwicklung genutzt. Aus den ungewöhnlicheren Ideenfunken – also den Seltenheiten – werden im Weiteren Prozess-Benefits abgeleitet und Concept-Boards entwickelt. Detlef Happel, Leiter der Abteilung Hello!Innovation, Dialego, Aachen Der Diplom-Ingenieur für Werbewirtschaft und Werbetechnik hat in seiner Funktion als Strategischer Planer in den letzten 20 Jahren konsumentenzentrierte Kommunikation für namhafte Kunden in großen Agentur-Networks vorangetrieben. Seit 2012 arbeitet Happel in seiner jetzigen Position. BVM inbrief August 2013 81 Fokus Best Paper 2013 INHALT Wie finden wir die Stecknadel im Heuhaufen, wie werden aus dem riesigen Datenwust die spannenden Seltenheiten gefiltert? Mit einem semantischen Textalgorithmus, der laut Prof. Frank Piller, Inhaber des Lehrstuhls Technologie- und Innovationsmanagement an der RWTH Aachen und am MIT Cambridge zum Forschungsschwerpunkt Mass Customization tätig, einzigartig ist. Was Menschen zugetraut werden kann, auch wenn sie keine „Experten” sind. Im Rahmen des CoCreation-Prozesses decken wir Consumer Insights auf, lassen Konsumenten eigene Ideen entwickeln, scheuen uns aber bewusst nicht davor, die Konsumenten auch in die Entwicklung konkreter Benefits einzubinden. Insight ist wichtig für das Zielgruppenverständnis, erst ein relevanter Benefit schlägt die Brücke zum erfolgreichen Neuprodukt. Wie Menschen angeregt werden mitzugestalten Geht es darum, die wahren Bedürfnisse von Verbrauchern kennenzulernen, laden wir Teilnehmer ein, in einem mehrtägigen Online-Forum ihre Gedanken zu einem bestimmten Produkt- oder Service-Angebot mit anderen Menschen auszutauschen. Hierbei gewinnen wir Tausende von interessanten Abbildung 3: Ideengenerierung und Filterprozess an einem Workshop-Tag lemstellung auseinanderzusetzen und hierzu eigene Lösungen zu entwickeln. Hier erhalten wir viele Ideen, sozusagen Rohdiamanten, die im Anschluss wieder gemeinsam mit Auftraggeber und Verbrauchern so lange geschliffen und poliert werden, bis sie in Konzept-Boards münden. Marktforscher können über Online-CoCreation-Methoden mit Konsumenten einen wertvollen Beitrag zur Innovationsentwicklung leisten. Im kollaborativen Prozess lassen sich Innovationskonzepte mit einem wesentlich höheren Durchsetzungspotenzial im Markt entwickeln. Ergänzend werden Diskussionen im Social Web analysiert. Menschen, die sich im Netz austauschen, sind stark involviert und diskutieren viel, Content-Analysen generieren aber oft nur riesige unverdauliche Datenhaufen mit Häufigkeiten. Die Erfahrung zeigt: Wer unspezifisch sucht, erhält unspezifische Antworten, überraschende Erkenntnisse oder Ideen bleiben Fehlanzeige. Wie lässt sich hier die Nadel im Heuhaufen finden? Intelligente Keyword-Kombinationen sind der Schlüssel zum Erfolg, sie wirken wie ein starker Magnet und ziehen die interessantesten Einträge aus Social-Media-Kanälen an. Diesmal ist der „Experte” gefragt, denn hier hat der semantisch begabte Marktforscher mit dem richtigen Werkzeug sprichwörtlich den Schlüssel in der Hand! Abbildung 4: Online Filter Dashboard Wie CoCreation erfolgreich für ein Innovationsprojekt im Bereich AutoMobilität genutzt wurde. Die Untersuchung ging der tagtäglichen Pein der von Dauerstaus, roten Ampelphasen und Baustellen geplagten deutschen Autofahrer auf den Grund (Abbildung 2). Zentrale Frage war hier, wie kann mit Hilfe von innovativen Fahrzeugideen das Wohlgefühl beim Autofahren wiederhergestellt werden? Das Wohlgefühl, das heutige Generationen nur noch aus Heinz-Erhard-Film-Szenen der 50erJahre kennen. Einträgen aus dem echten Leben der Menschen. Sehr viel Inhalt, der viele Insights beinhaltet, aber auch bereits Ideen, die Konsumenten spontan zu einem bestimmten Thema äußern. Beauftragt wurde das Forschungsprojekt vom Deutschen Marketing-JuniorenVerband im Rahmen der Jahrestagung 2011. An dem multidisziplinären Projekt beteiligt waren Konsumenten, Verbandsmitglieder, Kollegen der Innovationswerkstatt eines Autoherstellers mit Stern und Mitarbeiter des Instituts. Produktspezifisch regen wir Teilnehmer mit DeBono-Kreativitätstechniken dazu an, sich aktiv mit einer konkreten Prob- In einem Live-Workshop mit 15 Teilnehmern unterschiedlichster Disziplinen und einer simultan geschalteten Online- 82 BVM inbrief August 2013 CoCreation-Session mit 300 Menschen wurden innerhalb eines Tages Hunderte von „Ideenfunken” entwickelt. Ergänzt um eine umfangreiche Social-Media-Analyse wurden Stimmen von Menschen gesichtet und gesammelt, die sich in sozialen Netzwerken zum Thema Autofahrer-Missmut und -Wohlfühlwünschen auseinandersetzen (Abbildung 3). Die Online-CoCreation-Session wurde zweistufig angesetzt. Zunächst wurde jeder einzelne Online-Beteiligte gebeten, spontan und unabhängig von anderen Teilnehmern erste Problemlösungen und Ideenansätze zu entwickeln, stimuliert durch Kreativitätstechniken, die verstecke Potenziale offenlegen. Die Ansätze wurden anschließend selektiv von anderen Teilnehmern online kommentiert und gemeinsam weiterentwickelt. In einem ersten Filterprozess wurde die Spreu vom Weizen getrennt. Die sehr umfangreichen Einträge aus der OnlineCoCreation-Session und aus den Social-Media-Quellen wurden mit Hilfe von automatischen semantischen Textanalysen aufbereitet, kategorisiert und nach echtem Innovationspotenzial durchforstet. Aus der Online-CoCreation-Session wurden 40 Benefit-Statements abgeleitet, aus der Social-Media-Erhebung 18 Idea-Boards. Beide Quellen ergaben Impulse unter anderem zu Themen wie Raumgefühl, Lichtstimmungen, Spracherkennung oder Farbharmonie. Die Ergebnisse beider Quellen dienten den Marketing-Junioren im Workshop als Stimulus zur Live-CoCreation. Hier wurde kreativ aufgedreht. Aufgeteilt in vier Gruppen wurden innerhalb kürzester Zeit 23 Konzepte entwickelt, u.a. „Fußklimapedale”, „Kindernavigationsstimme”, „Rückenmassagesitze”, „Aromaluftfilterspender”, „Primafahrstil-Autosprachkomplimente” und weitere. Die Konzepte wurden noch am Workshop-Tag in einem Online-Filter ca. 250 Autofahrern zur kritischen Bewertung vorgestellt. Mit Hilfe eines visuellen Heatmap-Instruments konnten diese spontan und intuitiv Stärken und Schwächen der Konzepte markieren und sie konnten kommentieren, was sie zu den Konzepten denken und fühlen, was ihnen gefällt und was nicht (Abbildung 4). In die engere Auswahl kamen sechs Idea-Boards. Aus insgesamt 230 Ideenfunken zu Beginn des Prozesses ergaben sich zwei Semi-Finalisten im Funktionskontext Windschutzscheibe (Abbildung 5). Die Frostschutz- und Antibeschlagscheibe: Da die Scheibe nicht mehr beschlägt, ermöglicht sie freie Sicht bei jeder Wetterlage. Da das Eiskratzen entfällt, ist der Fahrer nicht mehr den eisigen Temperaturen ausgesetzt und spart obendrein noch Zeit. Abbildung 5: Online Filter: Heatmap-Ergebnisse der Konzept-Finalisten Fokus Best Paper 2013 INHALT Beide Konzepte wurden im Online-Filter weiter bewertet und optimiert. Gewinner war die restlichtverstärkende Autofrontscheibe. Dieses Fallbeispiel zeigt CoCreation mit dem Verbraucher im Driver Seat von Anfang bis zum Ende. In nur einem Tag realisiert, ist das Workshop-Ergebnis ein wertvoller Impuls für am Verbrauchernutzen orientierte Innovationen des Automobilherstellers. Learnings: Jeder Mensch ist kreativ, es kommt auf den Stimulus an. Konsumenten co-kreieren längst selbst und müssen nicht erst von Unternehmen dazu animiert werden. Nutzen wir es. Den Schlüssel hat der Marktforscher in der Hand: Kaum jemand ist näher am Verbraucher. Auch der Marktforscher kann echte Ideen generieren. Indem er innovativ denkt und forscht. Und damit sein Brett vorm Kopf verliert. Bei der Ideenfindung gibt es keine richtige oder falsche Methode. Die Ansicht, Konsumenten seien nicht kreativ, ist spätestens seit „Mass Customization” ad absurdum geführt. Resümee: Marktforscher können über Online-CoCreation-Methoden mit Konsumenten einen wertvollen Beitrag zur Innovationsentwicklung leisten. Im kollaborativen Prozess lassen sich Innovationskonzepte mit einem wesentlich höheren Durchsetzungspotenzial im Markt entwickeln. Diese co-kreierten Konzepte sind von Beginn an von denen mitentwickelt worden, die das spätere Käuferpotenzial darstellen. Schlussbemerkung: Wir alle können die Bretter vorm Kopf abreißen: Kunde, Marktforscher und Konsument. Die restlichtverstärkende Autofrontschreibe: Sie hilft bei schlechten Sichtverhältnissen tags oder nachts. Durch einen Verstärker wird die Fahrstrecke bei Dunkelheit so hell wie bei Tag wahrgenommen. So kommt der Autofahrer sicherer und entspannter ans Ziel. BVM inbrief August 2013 83 Verbandsarbeit INHALT 10 Jahre Firmenmitgliedschaften AachenMünchener Lebensversicherung AG abs Marktforschung Stefan Ströhle Bayer Animal Health BOGESTRA Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG BP Europe SE Danone GIM Gesellschaft für Innovative Marktforschung Grohe Holding Happy Thinking People IMR Institute for Marketing Research INDEX Gesellschaft für Kommunikationsforschung INNOFACT AG Lilly Deutschland MANAGEMENT consult Dr. Eisele + Dr. Noll Mediascore Gesellschaft für Medien- und Kommunikationsforschung Reislöhner Marktforschung Sparkasse Hannover SPORTFIVE Süddeutsche Zeitung SV SparkassenVersicherung Holding AG TransMarket Pharma Research & Consulting VivaKi 84 BVM inbrief August 2013 INHALT Herzlichen Dank an alle BVM-Angehörigen für ihre langjährige Mitgliedschaft und Treue gegenüber dem BVM Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher e.V. Verbandsarbeit Jubilare 2013 20 Jahre Wilhelm H. Ennemann Dieter Franke Kurt Galler Werner Ott Thomas Ansorge Ralph Hartmann Klaus-Dieter Knoll Dr. Petra Knöß Wilfriede Pirovsky Gabriele Ritter Theo Schuchardt 45 Jahre 10 Jahre Volker Gehrke Dr. Klaus Haupt Klaus Kastin Dr. Ulrich Lachmann Michael Albers Jörg Anderer Carsten Bach Simone Baecker-Neuchl Eva Balzer Jens Bartels Yvonne Blunck Kai Bruns Wolfgang Bücherl Martin Cyrus Petra Fetzer Uta Formeseyn Holger Geißler Michael Götzinger Harald Hasselmann Heidemarie Hendzlik Jürgen Heno Frank Olaf Homburg Dagmar Junge Wilhelm Kampik Bettina Klumpe Gudrun Kneißl Tobias Köhler Daniela Korf Laura Lamieri Sandra Leible Frank Lüttschwager 50 Jahre 40 Jahre Dr. Dieter Korczak Totila Zapf 35 Jahre Volker Coester Ulrich C. Heckner Ute Löffler 25 Jahre Dr. Walter Bertl Andreas Bruckert Wolfgang Burkhardt M.A. Frank H. Gehre Prof. Dr. Werner Hagstotz Siegfried Högl Frank Jaenecke Thomas Keller Joachim Klöfers Hans Joachim Lulay Jutta Rietschel Peter Wippermann Thomas Margott Eveline Mathe Jürgen Meixner Klaus Miller Hans Mumme Herbert Neumaier Manfred Niesel Edzard Nitzsche Albert Pappenheimer Heinrich Rademacher Tobias Reislöhner Claudia Rummel Stefan Ruthenberg Hartmut Scheffler Anja Schneider Damian Schnyder v.W. Katja Schröder Detlef Schröter Andreas Schubert Katja Schultheis Oliver Sievers Thomas Starsetzki Wolfgang Stippler Dr. Detlef Struck Jörg Thiele Katrin Thom Beate Waibel-Flanz Thomas Wiemers BVM inbrief August 2013 85 INHALT Verbandsarbeit MITGLIEDERVERSAMMLUNG 2013 Herausforderungen mit Offenheit, Kreativität und Professionalität begegnen Rund 80 Verbandsmitglieder informierten sich über die aktuelle Entwicklung des BVM auf der diesjährigen Mitgliederversammlung am 21. April in Berlin. Traditionell fand die Mitgliederversammlung wieder am Vortag des Kongresses der Deutschen Marktforschung statt. Nach der Ehrung langjähriger Mitglieder und Danksagung an die Gremien, an den Verband unterstützende Kollegen, Partnerverbände und die Kanzlei Prof. Schweizer stellte Vorstandsvorsitzender Dr. Frank Knapp zunächst den Geschäftsbericht 2012/2013 vor und berichtete über Verbandshighlights des vergangenen Jahres. Bericht und Entlastung des Vorstands Der BVM hat mit 1.500 Mitgliedern weiterhin eine starke Basis. Besonders hervorzuheben ist, dass der BVM im Altersdurchschnitt ein relativ junger Verband ist, dem seine Mitglieder trotzdem über lange Jahre die Treue halten. Mit der Einführung des Siegels „Marktforscher BVM“ Anfang dieses Jahres haben nun auch persönliche, in der Berufsrolle eingetragene Mitglieder die Möglichkeit, ihre Verbandszugehörigkeit optisch zu unterstreichen. Die Veranstaltungen des Jahres 2012 – Kongress, Symposium, Seminare, Fachtagungen, Regionalabende und Fachgruppen – fanden mit rund 2.500 Teilnehmern großen Zuspruch. Ein Erfolgsfaktor ist dabei, dass die thematische Bandbreite der Veranstaltungsangebote stets an die Bedürfnisse der Mitglieder und an aktuelle Trends angepasst wird, so Dr. Knapp. Viele seit langem geplante Projekte konnten 2012 final umgesetzt werden. Hierzu gehört in erster Linie der vollständige Relaunch der Website, mit dem eine größere Benutzerfreundlichkeit geschaffen und der Zugriff auf die Verbandsdienste erheblich vereinfacht wurde. Damit konnten nun auch neue Services wie die Jobbörse und der Open-BVM-Blog realisiert werden. Nach und nach werden weitere Services für die Mitglieder dazukommen. Die Zugriffszahlen haben sich seit dem Relaunch mehr als verdreifacht. Zu den gemeinsamen Aktivitäten der Verbände gehört die Ini tiative Markt- und Sozialforschung. Nach der vom BVM angekündigten Beitragsreduzierung erfolgte eine Überprüfung Der BVM-Vorstand: Dr. Frank Knapp, Vorsitzender, Dr. Ulrike Schöneberg, Michael Pusler, Ellen Didszus, BVM-Geschäftsführerin, Joerg Ermert, Dr. Michael Bartl, Dr. Florian Bauer, Professor Dr. Raimund Wildner, Stellvertretender Vorsitzender, Dr. Sven Dierks, als Sprecher des Regionalrats kooptiertes Mitglied des BVM-Vorstands 86 BVM inbrief August 2013 Verbandsarbeit INHALT Dr. Frank Knapp, BVM-Vorsitzender des Gesamtkonzeptes durch den Vorstand der Initiative. Beschlossen wurden aktuell eine personelle Neubesetzung der Geschäftsstelle und eine Überarbeitung der Kommunikationsstrategie. Der finanzielle Rahmen für 2013 wird bei einer Budgetobergrenze von 100.000 Euro liegen. Angesichts dessen wird der BVM sein Engagement wieder erhöhen und zurückführen auf den ursprünglichen Beitragssatz von 10.000 Euro. Martina Winicker und Sabine Menzel, Ex-Mitglieder des BVM-Vorstands Jahres-Mitgliedsbeiträge für Persönliche Mitglieder in E Mitglied Vollmitglied seit 2012 ab 2014 310* 333*) Pensionär 80 unverändert Erwerbslos 50 unverändert Studierende 50 unverändert *Mitarbeiter eines korporativen Mitglieds: beitragsfrei Mit Blick auf die zukünftigen Aktivitäten des BVM führte Dr. Knapp für den Vorstand aus, dass die Erschließung neuer Zielgruppen und das Aufgreifen neuer Trends und Strömungen im Vordergrund stehen. Außerdem sollen z.B. durch die Planung von Hochschultagen sowie gemeinsamen Branchenaktivitäten im Rahmen der Initiative Markt- und Sozialforschung und beim Rat der Deutschen Markt- und Sozialforschung mehr Praxistransfer erreicht und interne Prozesse bei inbrief und BVM NET modernisiert werden. Jahres-Mitgliedsbeiträge für Korporative Mitglieder in E Zahl der Mitarbeiter Erhöhung der Mitgliedsbeiträge beschlossen Die Mitgliederversammlung entschied darüber hinaus über die turnusmäßig fällige Erhöhung der Mitgliedsbeiträge für persönliche Mitglieder. Der Vorstand erläuterte, dass mit einer Beitragsanpassung eine größere finanzielle Sicherheit für die Zukunft des Verbandes geschaffen und der Verband zudem in die Lage versetzt werde, wichtige Zukunftsinvestitionen anzustoßen und die gemeinsamen Branchenaktivitäten wie die Initiative und den Rat unter den aktuellen Gegebenheiten adäquat zu unterstützen. Seinem Vorschlag, die Beiträge ab 1. Januar 2014 für persönliche und korporative Mitglieder um durchschnittlich 7% anzuheben, wurde von den Mitgliedern mit großer Mehrheit zugestimmt. Die Beiträge für Erwerbslose, Mitglieder im Ruhestand und Studierende bleiben unverändert. Beitrag Euro bis 5 0,5 695 6 bis 9 1,0 1.050 10 bis 14 1,5 1.750 15 bis 25 2,5 2.625 26 bis 49 5,0 4.175 50 bis 249 25 6.250 25 – 50 10.500 > 50 13.400 250 bis 499 Nach Antrag des Fachbeirats und auf Empfehlung der Rechnungsprüfer wird der Vorstand durch die Mitgliederversammlung einstimmig entlastet. Umsatz Mio. Euro 500 und mehr BVM-Gremien Wahlausschuss neu gewählt Turnusmäßig wurde auf der diesjährigen Mitgliederversammlung der Wahlausschuss neu gewählt. Aufgabe des Wahlausschusses ist die ordnungsgemäße Abwicklung der Wahlen der verschiedenen Gremien des BVM. Die bisherigen Amtsinhaber Wolfgang Bücherl, Thomas Helmreich und Gabriele Lehmann stellten sich wieder zur Wahl und wurden von der Mitgliederversammlung einstimmig in ihrem Amt bestätigt. Das Protokoll der Mitgliederversammlung und der Geschäftsbericht 2012/2013 stehen den Mitgliedern im Mitgliederbereich unter www.bvm.org zum Download zur Verfügung. Ellen Didszus, BVM-Geschäftsführerin Wolfgang Bücherl, Project Leader Non-Interventional Studies, Winicker Norimed Medizinische Forschung, Thomas Helmreich, Research Manager, GfK, Gabriele Lehmann, Manager Consumer Research, Johnson Controls (v.l.n.r) BVM inbrief August 2013 87 INHALT Verbandsarbeit NEU Richtlinie für Studien im Gesundheitswesen veröffentlicht Die Verbände der Markt-, Meinungs- und Sozialforschung in Deutschland haben gemeinsam die „Richtlinie für Studien im Gesundheitswesen zu Zwecken der Markt- und Sozialforschung“ veröffentlicht. Sie ersetzt mit ihrem Inkrafttreten am 1. Juni 2013 die „Richtlinie für Befragungen von Ärzten“ aus dem Jahr 2007. Die Richtlinie enthält verbindliche berufsständische Verhaltensregeln für alle Studien im Gesundheitswesen zu Zwecken der Markt- und Sozialforschung unabhängig von der jeweiligen Zielgruppe sowie den eingesetzten Methoden und Techniken der Datenerhebung und Datenanalyse. Sie regelt, dass Interviews möglichst außerhalb der Dienstzeiten und Diensträume der Teilnehmer der Studie durchzuführen sind. Wenn die Teilnehmer diesbezüglich andere Wünsche äußern, sind sie auf sich aus dem Dienstvertrag möglicherweise ergebende Pflichten hinzuweisen. Ein generelles gesetzliches Erfordernis zum Einholen der sogenannten „Dienstherrengenehmigung“ gibt es aber nicht. Die Mitwirkung der Forschungsinstitute an Berichten von unerwünschten Arzneimittelwirkungen bei Studien zu Zwecken der Markt- und Sozialforschung ist nur im Rahmen der berufsständischen Verhaltensregeln möglich. Insbesondere muss dabei die Anonymität der Teilnehmer ausnahmslos gewahrt werden. Download der Richtlinie: www.rat-marktforschung.de oder www.bvm.org/recht-berufskodizes BVM ADM IT-Sicherheit in der Markt- und Sozialforschung Gemeinschaftsveranstaltung von TeleTrusT und ADM im Oktober 2013 Mit zunehmender Digitalisierung und weltweiter Vernetzung der Marktund Sozialforschung gewinnt die Frage der IT-Sicherheit stark an Bedeutung. Die Möglichkeiten des Internets als Instrument der Forschung können in ihrer ganzen Bandbreite nur genutzt werden, wenn die Daten vor externen Zugriffen geschützt sind. Dazu veranstalten TeleTrusT und ADM am 16. Oktober in Berlin eine Veranstaltung zum Thema „IT-Sicherheit in der Marktforschung“. Das gilt für Cybercrime und die Sammelwut privater und staatlicher Stellen gleichermaßen. „Als wir unseren gemeinsamen Informationstag geplant haben, konnten wir nicht ahnen, welche Aktualität die IT-Sicherheit durch die jüngsten Enthüllungen bekommen wird“, so Dr. Holger Mühlbauer, Geschäftsführer von TeleTrusT – Bundesverband IT-Sicherheit e.V. 88 BVM inbrief August 2013 Die Markt- und Sozialforschung in Deutschland hat in vielen Jahren ein umfassendes System der Selbstregulierung geschaffen, bei dem die Wahrung der Anonymität der Teilnehmer an Studien und die Trennung von Forschung und anderen Tätigkeiten an zentraler Stelle stehen. Die forschungsmethodischen und berufsethischen Verhaltensregeln der Markt- und Sozialforschung müssen jetzt durch konkrete Anforderungen an die Sicherheit der Informationstechnologie ergänzt werden. „Das ist eine zentrale Herausforderung für die Selbstregulierung der Profession, der wir uns zeitnah stellen müssen“, so Erich Wiegand, Geschäftsführer des ADM Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute e.V. Weitere Informationen: www.teletrust.de ADM BVM-Geschäftsbericht 2012/2013 Jahresbericht 2012 liegt vor Herausforderungen mit Offenheit, Kreativität und Professionalität begegnen Der ADM Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute e.V. hat seinen Jahresbericht 2012 vorgelegt. BVMMitglieder haben den Bericht zusammen mit dieser Ausgabe des BVM inbrief erhalten. Eine Druckversion kann über die ADM-Geschäftsstelle in Frankfurt am Main kostenfrei bezogen werden. Weitere Informationen und Download des Berichts unter www.adm-ev.de Das Jahr 2012 war für den BVM ein in dieser Hinsicht bewegtes und spannendes Jahr, in dem viele der von langer Hand geplanten Projekte erfolgreich realisiert und erste Weichen für den Start neuer Projekte gestellt wurden. Über diese und über die Entwicklung des Verbands informiert der BVM seine Mitglieder in seinem Geschäftsbericht 2012/2013. Verbandsarbeit INHALT Download unter www.bvm.org/mein-bvm/ Rat der Deutschen Markt- und Sozialforschung Eigenständige Beschwer- Personelle Änderungen destelle eingerichtet im Beschwerderat Weil in den letzten Jahren Komplexität und Formalisierungsgrad von Beschwerdeverfahren tendenziell zugenommen haben, hat der Rat der Deutschen Markt- und Sozialforschung neben der Geschäftsstelle eine eigenständige Beschwerdestelle eingerichtet, die den Prüfungsausschuss und den Beschwerderat bei der Durchführung von Verfahren organisatorisch und technisch unterstützen soll. Gleichzeitig wird insbesondere zu Beginn des Beschwerdeprozesses hinsichtlich der Beschwerde sowie am Ende des Beschwerdeprozesses (Beschluss)juristische Beratung eingeholt. Beschwerden sind ab sofort zu richten an: Rat der Deutschen Markt- und Sozialforschung e.V., Beschwerdestelle Kurt-Schumacher-Straße 16 53113 Bonn Telefon: 0228 96690740 Fax: 0228 96690741 [email protected] Wegen alters- bzw. berufsbedingter Veränderungen von gab es in beiden Kammern des Beschwerderats personelle Neubesetzungen. Neu in den Beschwerderat gewählt wurden Kurt Behrens, Hamburg, und Florian Wenzel, Nürnberg. Sie sind die Nachfolger der langjährigen Ratsmitglieder Dr. Werner Paul und Totila Zapf. Den beiden Kammern des Beschwerderates gehören an: Erste Kammer: Dr. Anne Niedermann (Vors.) Kurt Behrens Professor Dr. Paul Hill Dorothea Nowak Zweite Kammer: Dr. Almut Pflüger (Vors.) Professor Dr. Jürgen Schupp Roy Walsh Florian Wenzel Weitere Informationen: www.rat-marktforschung.de BVM inbrief August 2013 89 INHALT Verbandsarbeit Fachbeirat Wählen Sie Ihre Repräsentanten Als Organ des BVM repräsentiert der Fachbeirat die Mitglieder des Verbandes. Er ist ausschließlich der Mitgliederversammlung verantwortlich und frei in der Wahl seiner Aufgaben und Arbeitsweisen. Ihm gehören 15 Delegierte an, die ehrenamtlich tätig sind. Diese werden im September/Oktober dieses Jahres für eine Amtszeit von vier Jahren neu gewählt. Vom 14. September bis zum 4. Oktober 2013 werden die 15 Delegierten des Fachbeirats in schriftlicher und geheimer Wahl gewählt. Ihre Amtszeit beträgt vier Jahre. Für die diesjährige Wahl haben sich 20 Personen als Kandidaten gemeldet, die sich im Folgenden kurz persönlich vorstellen. Wer kann wählen? Wahlberechtigt sind alle persönlichen Mitglieder – das heißt auch die persönlichen Mitglieder im Rahmen der korporativen Mitgliedschaft. Jeder Wahlberechtigte verfügt über insgesamt 15 Stimmen, von denen er maximal 3 Stimmen für je einen Kandidaten abgeben kann. Welche Aufgaben hat der Fachbeirat? Die Hauptaufgabe des Fachbeirates besteht darin, die Organe des Verbandes zu beraten und Empfehlungen auszusprechen. Er wirkt an der Erstellung und Umsetzung von Konzepten für die Arbeit des Verbandes mit. Mindestens zweimal im Geschäftsjahr tritt er im Plenum zusammen. In der vergangenen Amtsperiode beschäftigte sich der Fachbeirat neben seinen in der Satzung festgeschriebenen Aufgaben mit weiteren Feldern, die die Fachbeiratsmitglieder selbst erarbeiteten und entwickelten. Dies waren unter anderem: Erarbeitung von Struktur und Inhalt des Aus- und Weiterbildungsangebotes des BVM (Seminare, Fachtagungen) Behandlung von Fragen und Aufgaben rund um den Verband bzw. die Mitgliedschaft, z.B. Entwicklung des Berufsbildes des Marktforschers, Leitbildentwicklung, Aufwertung der Mitgliedschaft und Maßnahmen zur Mitgliedergewinnung Aktive Neu- und Weiterentwicklung verschiedener Standesregeln und Qualitätsnormen in Zusammenarbeit mit anderen Verbänden Schaffung neuer Angebote speziell für betriebliche Marktforscher, um auch diese stärker in den Verband einzubinden 90 BVM inbrief August 2013 Die Termine zur Fachbeiratswahl Wahlbeginn und Versand der Wahlunterlagen: 14. September Letzter Wahltag: 4. Oktober Bekanntgabe des Wahlergebnisses: ca. Mitte Oktober Die meisten Themen werden in den vom Fachbeirat gebildeten Fachgremien behandelt. Dies waren in der vergangenen Amtsperiode folgende Gremien: Aus- und Weiterbildung Mitglieder Standesregeln/Qualität/Methoden Betriebliche Marktforscher Fachbeiratsdelegierte sind verpflichtet, über die allgemeinen Tätigkeiten hinaus in mindestens einem der Fachgremien aktiv mitzuarbeiten. Bei allen diesen Aufgaben erwarten die Mitglieder und der Vorstand des BVM von den Fachbeiratsmitgliedern konkrete, direkt umsetzbare Arbeitsergebnisse. Kontakt: Frank Lüttschwager Vorsitzender BVM-Fachbeirat [email protected] Nutzen Sie Ihr Stimmrecht. Wir freuen uns auf eine rege Beteiligung an der Wahl. Die Unterlagen zur Wahl werden allen Mitgliedern postalisch zugeschickt. INHALT Fachbeiratswahl 2013: Andreas Bruckert Inhaber und Geschäftsführer des MAFO-Instituts, Schwalbach am Taunus Seit 1987 beim MAFO-Institut. Zuvor als Marktforscher bei Burke, Cincinnati, USA und ISL, Toronto, Canada, tätig. Studium der Volkswirtschaftslehre in Heidelberg. Seit 1988 persönliches Mitglied im BVM, seit 2005 Mitglied im BVM-Fachbeirat, seit 2005 stellvertretendes Mitglied im Beschwerderat des Rates der Deutschen Markt- und Sozialforschung, Mitgliedschaft bei ESOMAR, ADM-Vertreter des MAFO-Instituts. Dr. Kai Bruns Consultant, Global Market Research & Teamleader Germany & Japan, LMR Diabetes bei Lilly Deutschland, Bad Homburg Von 1987 bis 1994 als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit verschiedenen Forschungsaufträgen und als Entwickler der Datenbank “Waldbodeninformationssystem”, WaBIS, für Hessen. Seit 1994 Tätigkeit bei Lilly Deutschland; seit 1997 in der Marktforschung. Tätigkeitsbereiche: Primärund Sekundär-Marktforschung, Indikationsgebiete mit wechselnden Schwerpunkten. Promotion an der Justus-Liebig-Universität Gießen und an der Biologischen Anstalt Helgoland. Seit 2003 persönliches Mitglied im BVM, seit 2005 Mitglied im BVM-Fachbeirat. Prof. Dr. Matthias Fank Professor an der Fachhochschule Köln, Institut für Informationswissenschaft Prof. Matthias Fank lehrt ein großes Fächerspektrum der Marktforschung im Masterstudiengang Markt- und Medienforschung an der FH Köln und leitet diesen Studiengang. Er ist zudem Initiator und jetziger Leiter der Weiterbildung zum Social Media Manager an der FH Köln. Mitherausgeber der Zeitschrift Social Media Manager und Gesellschafter des Social-Media-Monitoring-Unternehmens infospeed. Seit 2011 persönliches Mitglied im BVM. Verbandsarbeit Die Kandidaten, die sich zur Wahl stellen Stefan Gerhardt Global Manager Corporate PR bei der GfK, Nürnberg Seit mehr als 17 Jahren Pressesprecher und Kommunikationsexperte für Marktforschungsunternehmen. Erste berufliche Station war das B-to-B-Marktforschungsunternehmen Frost & Sullivan, darauf folgten A.C. Nielsen Deutschland und phaydon | research+consulting. Seit 2009 bei der GfK. Studium der Soziologie an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg. Seit 2008 persönliches Mitglied im BVM. Thomas Helmreich Research Manager bei der GfK Consumer Experiences Germany, Opinions & Perceptions, Nürnberg Seit 1992 bei der GfK. Studium der Betriebswirtschaftslehre (FH) in Nürnberg. Seit 1994 persönliches Mitglied im BVM, seit 1995 stellvertretender Regionalleiter der BVM-Regionalgruppe Bayern, kommissarischer Leiter der BVM-Regionalgruppe Franken, seit 1998 Regionalleiter der BVM-Regionalgruppe Franken, seit 1997 Mitglied im BVM-Fachbeirat, seit 2001 Mitglied im BVM-Wahlausschuss, seit 2006 Mitglied in der Satzungskommission des BVM. Jürgen Hofrichter Bereichsleiter Wahlforschung bei Infratest dimap, Berlin Zunächst wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Mannheim, danach mehrjährige leitende Tätigkeit am Zentrum für Europäische Umfrageanalysen und Studien und bei MARPLAN in Offenbach. Seit 1997 bei Infratest dimap. Verantwortet dort bundesweite und regionale Umfragen sowie nationale und internationale Studien zu Wahl,- Sozial- und Politikforschung. An Wahlwochenenden verantwortlich für das infratest dimap TV-Studio-Team in Regionalprogrammen der ARD. Studium der Soziologe, Politischen Wissenschaft und international vergleichenden Sozialforschung an der Universität Mannheim. Seit 1995 persönliches Mitglied im BVM. BVM inbrief August 2013 91 Verbandsarbeit INHALT Kerstin Klär Geschäftsführerin/Gesellschafterin Q | Agentur für Forschung GmbH, Mannheim Von 1999 bis 2008 tätig als Senior Research & Consultant bei Sinus Sociovision. 2008 gründete Kerstin Klär gemeinsam mit Oliver Tabino die Full-Service-Agentur Q | Agentur für Forschung. Seit 2002 Lehrtätigkeit als Dozentin für „Qualitative und Psychologische Marktforschung“ an der Hochschule Pforzheim und seit 2006 am BBDO-Lehrstuhl für Medienwissenschaften an der Zeppelin University in Friedrichshafen. Seit März 2010 Mitglied des Beirats der Fakultät für Wirtschaft und Recht an der Hochschule Pforzheim. Studium der Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Markt- und Kommunikationsforschung an der Hochschule Pforzheim. Seit 2005 persönliches Mitglied im BVM. Christoph Knappik Senior Projektleiter bei V ocatus Consulting AG & Co. KG, München Seit 2007 bei Vocatus tätig. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Preisoptimierung und -strategie, die Modellierung von Entscheidungsprozessen und Implementierung komplexer statistischer Verfahren. Davor war er bei Icon Added Value in der qualitativen Forschung tätig. Studium der Psychologie an der Universität Regensburg und Aufbaustudium in Statistik an der LMU München.. Seit 2013 persönliches Mitglied im BVM. Ilka Kuhagen Gründerin und Inhaberin von IKM – Ilka Kuhagen Marketingforschung. International Qualitative Marketing Research llka Kuhagen gründete 1994 IKM, nachdem sie mehrere Jahre in Deutschland als Unternehmensberaterin und Institutsmarktforscherin tätig war. Studium der Betriebswirtschaftslehre (Schwerpunkt Marketing und Psychologie) an der LMU in München. Ilka Kuhagen ist seit 1994 persönliches Mitglied im BVM, seit 2009 Mitglied des BVM-Fachbeirats. 92 BVM inbrief August 2013 Holger Liljeberg, Dr. jur. Geschäftsführender Gesellschafter des Meinungsforschungsinstituts INFO GmbH, Berlin Nach seiner Promotion auf dem Gebiet der sozialwissenschaftlichen Jugendforschung gründete er das Meinungsforschungsinstitut Info GmbH. Seit 2001 außerdem Geschäftsführer des IFM Institut für Markt- und Medienforschung Berlin GmbH, seit 2007 auch geschäftsführender Gesellschafter von LILJEBERG Research International in Berlin und Antalya/Türkei sowie der ARGE TrafficResearch International (INFO Research Group). Seit 1992 persönliches Mitglied im BVM, von 1996 bis 2005 Mitglied im BVM-Bundesvorstand, zuletzt als Vorstandsvorsitzender. Seit 2009 Leitung der BVM ExpertenServiceLine. Frank Lüttschwager Geschäftsführender Gesellschafter von EARSandEYES, Hamburg Der gelernte Kommunikationselektroniker stieg 1995 während seines Studiums bei g/d/p Markt- und Meinungsumfragen in die Marktforschung ein. 1998 gründete er zusammen mit zwei Partnern EARSandEYES – Institut für Markt- und Trendforschung, seit 2002 fungiert er als geschäftsführender Gesellschafter und leitet den Bereich Marktforschung. Er ist seit 2003 persönliches BVM-Mitglied und seit 2009 aktiv im BVM-Fachbeirat tätig, zu dessen Vorsitzenden er 2012 gewählt wurde. Dr. Jörg Maas Leiter des Bildungsgangs Fachangestelle(r) für Markt- und Sozialforschung am JosephDuMont-Berufskolleg, Köln, und Lehrbeauftragter an der Rheinischen Fachhochschule Köln (RFH) 1995 bis 2006 leitende Tätigkeiten im Bereich qualitative Forschung bei acos, München, psychonomics, Köln, und der RSG Marketing Research, Düsseldorf, von 2006 bis 2009 Senior-Projekt-Manager und Leiter Unternehmensentwicklung bei phaydon I research+consulting. 2008 Beginn der Lehrtätigkeit am Joseph-DuMont-Berufskolleg in Köln. Seit 2005 persönliches Mitglied im BVM, seit 2009 Mitglied im BVM-Fachbeirat, zuvor bereits 4 Jahre Mitarbeit als Ersatzdelegierter in den Fachgremien Aus- und Weiterbildung und Mitglieder. Sandra Meiers Betriebliche Marktforscherin Telekom Deutschland Seit 2008 Marktforscherin im Konzern der Deutschen Telekom AG. Davor Strategischer Planer auf Agenturseite, sowie Marktforscher auf Instituts- und Unternehmensseite. Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität des Saarlandes, Master-Studium Strategic Marketing an der Henley Business School UK. Seit 2011 persönliches Mitglied im BVM. Dr. Thomas Rodenhausen Vorstandssprecher und Präsident bei Harris Interactive, Hamburg 2000 Einstieg in die Institutsmarktforschung bei MediaTransfer Netresearch & Consulting, 2002 Berufung in den Vorstand. Seit 2005 ist er Vorstandssprecher. 2007 koordinierte er die Übernahme durch Harris Interactive Inc. Studium der Psychologie an der Technischen Universität Berlin, Promotion in Psychologie an der Freien Universität Berlin. Seit 2002 persönliches Mitglied im BVM. Er gehört seit 2012 dem Fachbeirat an und hat seitdem mehrere BVMFachtagungen koordiniert und moderiert. Klaus-Peter Schulze-Holz Marktforscher BVM i.R. 1958 bis 1999 bei Infratest, München (und Folgegesellschaften) tätig, zuletzt als Mitglied der Geschäftsleitung der Infratest Sozialforschung. Studium am Deutschen Institut für Film und Fernsehen, München. Seit 1967 persönliches Mitglied im BVM, Ehrenmitglied seit 2009, 1977–1978 Mitglied des BVM-Vorstandes. Mitbegründer des BVM-Fachbeirates, seit 1981 Mitglied im BVM-Fachbeirat; von 1981–1983 und von 1989 –1997 dessen Vorsitzender; seit 1979 Mitglied der BVM-Satzungskommission, seit 2000 Rechnungsprüfer beim BVM. Jürgen Schunter Senior Lead Projektmanager bei Markt- und Sozialforschungsinstitut, Forschung und Beratung, USUMA, Berlin Verbandsarbeit INHALT Jürgen Schunter war 2002 bis 2004 zunächst als Projektleiter bei dem wirtschaftspsychologischen Beratungsunternehmen Intelligenz-System-Transfer in Potsdam tätig. Seit 2004 bei USUMA, er verantwortet von der Akquisition bis zur Präsentation qualitative Markt- und Sozialforschungsprojekte. Studium der Psychologie an der Freien Universität Berlin, seit 2009 Promotion an der Leibniz Universität Hannover. Seit 2012 persönliches Mitglied im BVM. Dr. Detlef Struck Inhaber der alegas ag, München Mehrjährige Tätigkeit als Berater bei McKinsey und im zentralen Marketing von Siemens ICN, bei der Infratest Gruppe in München als Bereichsleiter und in London als Managing Director und Board Member, Geschäftsführer bei Simpson Carpenter in München, zurzeit Inhaber der alegas ag. Studium der Informatik und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Kaiserslautern, Promotion in Volkswirtschaft an der E.N.S.T Paris. Seit 2003 persönliches Mitglied im BVM, von 2005 bis 2009 Mitglied im Fachbeirat; Mitarbeit im Fachgremium „Aus- und Weiterbildung“. Bastian Verdel Geschäftsführender Gesellschafter bei Blauw Research, Nürnberg Sein Einstieg in die Marktforschung begann 1998 als Senior-Projektleiter bei Psyma im Bereich qualitativer und auch quantitativer Konsumforschung. 2003 bis 2005 wechselte er zur Online-Forschung bei Psyma. 2006 gründete er zusammen mit Wout van der Wijk Blauw Research, wo er bis heute tätig ist. Studium der Betriebswirtschaftslehre (FH) in Nürnberg. Seit 2002 persönliches Mitglied im BVM, seit 2006 persönliches Mitglied bei ESOMAR. BVM inbrief August 2013 93 Verbandsarbeit INHALT Peter Wiegelmann Geschäftsführer der Interrogare GmbH Peter Wiegelmann blickt auf langjährige Erfahrung in der Marktforschung und im Management zurück. 1992 während seines Studiums Einstieg in die Marktforschung bei TNS Infratest (damals Emnid). Er arbeitete dort zuletzt als stellvertretender Abteilungsleiter. 1998 gründete er zusammen mit einem Partner Interrogare. Seit Beginn fungiert er als geschäftsführender Gesellschafter und leitet den kaufmännischen Bereich des Marktforschungsinstitutes. Studium der Biologie. Seit 2013 persönliches Mitglied im BVM, Mitglied bei DGOF, Initiative D21, Bikonet (Vorstand). Martina Winicker, IFAK Miteigentümerin und Geschäftsführerin des IFAK Instituts GmbH & Co KG in Taunusstein 1987 Einstieg in die Marktforschung bei der GfK, zunächst in die Fernsehforschung, später in die Medienforschung. Seit 1994 Miteigentümerin und Geschäftsführerin des IFAK Instituts. Sie hat langjährige Kompetenz im Bereich der Medien- und Sozialforschung. Studium der Psychologie in Landau/Pfalz und Würzburg Seit 1994 persönliches Mitglied im BVM und ESOMAR. Von 2005 – 2011 Mitglied im BVM-Vorstand, dort zuständig für das Ressort Weiterbildung. Seit Etablierung des Rats der Deutschen Marktforschung Mitglied des Prüfungsausschusses. AKQua 2013 finden zwei Plenumsveranstaltungen statt Erste Plenumsveranstaltung am 14. September in Köln zum Thema „PR für Qualitative Marktund Sozialforschung Wer die BVM-Fachgruppe AKQua kennt, der kennt auch die Plenumsveranstaltungen, zu denen interessierte und aktive qualitative Forscher zweimal jährlich zusammenkommen. Sie sind das Herzstück von AKQua. Sie bieten Raum für Networking und inhaltlichen Austausch. Das erste der diesjährigen Plenen mit dem Thema „Die Darstellung der Qualitativen Forschung in unterschiedlichen Medien“ findet am 14. September statt. In zwei Impulsvorträgen mit anschließender Diskussion werden wir diesmal aus unterschiedlichen Perspektiven zweier erfahrener PR-Experten beispielhaft beleuchten: 1.W ie PR für qualitative Markt- und Sozialforschung aktuell aussieht. 2. Was zur optimalen PR wichtig ist (Do’s and Don’ts). Natürlich werden wir auch die BVM/AKQua-Vision für die Zukunft vorstellen und gemeinsam weiterentwickeln: Überblick zum Status von BVM/AKQua 2013 Aspekte zum Umbau des BVM/AKQua-Hauses und der Ziele für 2014 Aktuelle Kernthemen und Projekte (Medialer Auftritt / Ausund Weiterbildung) Neue Kommunikationsplattformen für Interessierte und Aktive Die Veranstaltung findet im rheingold salon statt, im ehemaligen Stollwerkhaus im Herzen von Köln. Noch zentraler wäre 94 BVM inbrief August 2013 nur der Dom. Die Atmosphäre der Räume soll bewusst Networking und kreativen Austausch fördern – also eine perfekte Umgebung für engagierte, qualitative Forscher. Wir sind sicher, dass Sie an diesem Tag spannende Impulse für den eigenen Unternehmensauftritt mitnehmen können und wir freuen uns auf zahlreiche Teilnehmer aus der qualitativen Markt- und Sozialforschung. Die Teilnahme am AKQua-Plenum ist unabhängig von einer BVM- Mitgliedschaft möglich und kostenlos. Für Organisation, Betreuung und Bewirtung fallen lediglich 20 Euro pro Person an, die vor Ort in bar bezahlt werden. Aufbauend auf Plenum I/2013 wollen wir in Plenum II das Thema „Qualitative Studien erfolgreich beim Kunden platzieren“ behandeln. Im Fokus dieser Veranstaltungen stehen die Erwartungshaltungen von Unternehmensmarktforschung, Marketing, Einkaufsabteilungen und Agenturen, wobei es bei der Angebotserstellung gilt, diese vielen Facetten optimal zu berücksichtigen. Der geplante Impulsvortrag wird darauf eingehen, welche Hürden es dabei zu nehmen gilt, und auch erfahrenen Forschern Ideen vermitteln, wie das (noch besser) zu bewältigen ist. Die Anmeldung erfolgt über die BVM-Webseite www.bvm.org. Anmeldschluss ist der 10. September 2013 INHALT AKQua Planning-Team neu gewählt Der Arbeitskreis Qualitative Markt- und Sozialforschung (AKQua) hat Anfang 2013 das neue Planning-Team für die nächsten zwei Jahre gewählt. Das AKQua Planning-Team trifft sich zwei- bis dreimal im Jahr, um die Belange des AKQua zu diskutieren und erfolgreich weiterzuentwickeln. Dabei werden Status quo und Next Steps bereichsübergreifend besprochen und aufgeteilt. Natürlich stehen die Mitglieder des Teams darüber hinaus regelmäßig telefonisch und via Mail oder Forum in Kontakt miteinander. Die Mitglieder des AKQua Planning-Teams Astrid Meier, Geschäfts führende Gesellschafterin, mindline Gruppe, Hamburg Astrid Meier verantwortet seit 2002 die qualitative Forschung bei mindline. Mitglied in AKQua ist sie seit 2005, seit 2010 außerdem Mitglied im AKQua Planning-Team. Ihr Schwerpunkt ist dort der Bereich Kommunikation und Community mit dem Ziel, den Austausch unter den AKQua-Aktiven und -Interessenten zu intensivieren. „Die Weiterentwicklung und Verbreitung der qualitativen Verfahren und Ansätze ist für mich ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Dabei spielt die nationale und internationale Vernetzung der qualitativen Forscher eine große Rolle, um so dem vielfältigen gesellschaftlichen Wandel und der veränderten Medienlandschaft forscherisch zu begegnen. Für den AKQua wünsche ich mir, dass wir gemeinsam eine lebendige Plattform zum Austausch schaffen, die uns qualitative Forscher inspiriert und der qualitativen Markt- und Sozialforschung Impulse gibt, die den Kunden und Forschenden über alle Kanäle zugänglich gemacht werden können. Ich freue mich auf den Austausch und die Möglichkeit, mich für die AKQua-Veranstaltungen zu engagieren, von interessanten Fachtagungen bis zu regionalen Stammtischen und der stärkeren Einbindung des OnlineAustausches“. Christine Liebers, Senior Consultant bei rheingold salon, Köln Christinie Liebers leitete von 2008 bis 2012 das Team „Depth Psychology“ bei Ipsos, Hamburg und hat 15 Jahre Erfahrung in der qualitativpsychologischen und quantitativen Markt- und Medienforschung, unter anderem bei rheingold und im Monheimer Institut. Seit acht Jahren ist sie bei AKQua aktiv und dort für das Thema Aus- und Weiterbildung zuständig. Sie ist BVM-Referentin für „Morphologische Markt- und Medienwirkungsforschung‘“ und seit 2010 Verbandsarbeit AKQua gewähltes Mitglied des AKQua Planning-Teams, wo sie die Tätigkeit der Projektgruppen koordiniert. „Qualitative Markt- und Medienforschung ist der Schlüssel, wenn es um ein tiefgreifendes Verständnis von menschlichem Verhalten und Erleben geht. AKQua-Mitglied zu sein bedeutet für mich, an der positiven Entwicklung dieses Forschungszweiges in Deutschland mitzuarbeiten. Darüber hinaus ist Networking mit anderen qualitativen Forschern sinnvoll, es schafft Verständnis für die Gesamtsituation und die neusten Entwicklungen und macht einfach Spaß. Meine AKQua-Vision ist es, den Kommunikationsraum für Qualitative Forscher zu erhalten und AKQua zu dem Ansprechpartner für alle Aspekte der qualitativen Forschung zu machen.“ Andreas Möller, CEO der AnswerS AG, Berlin Andras Möller betrachtet sich als Marktforscher aus genetischer Disposition, denn schon seine Eltern waren und sind in der Marktforschung aktiv. Anfang der 80er Jahre startete das Mafo-Leben, zunächst als freier Mitarbeiter für die Studiengruppe Naether (Hamburg) und später im väterlichen Institut TransMarket. Ende der 80er Jahre kam schnell der Fokus auf die qualitative Marktforschung im pharmazeutischen Bereich. 1997 verließ er TransMarket und gründete mit AnswerS sein eigenes Pharma-Marktforschungs-Institut. Seit 2013 ist er gewähltes Mitglied des AKQua Planning-Teams und zuständig für die interne Kommunikation mit dem BVM. „Rekrutierer, Transkribierer, Teststudios, Analisten, Interviewer und Moderatoren – sie alle leben von der qualitativen Marktforschung. Ich möchte über den BVM-AKQua mehr Miteinander und Vernetzung erreichen und so die Position der qualitativen Marktforschung weiter stärken. Ich wünsche mir, dass der Austausch deutlich wächst – von einem offenen und kollegialen Austausch profitieren wir alle.“ Kontakt: AKQua Planning-Team: Christine Liebers, Senior Consultant, rheingold salon Kontakt: Tel. 0221 912 77761, E-mail: [email protected] Astrid Meier, Geschäftsführerin, mindline Kontakt: Tel. 040 790 907 02, E-mail: [email protected] Andreas Möller, Vorstand, AnswerS Pharmaceutical Marketing Research & Consulting Kontakt: Tel. 030 200 045 23, E-mail: [email protected] Weitere Informationen zu AKQua: ww.bvm.org BVM inbrief August 2013 95 BVM-Regionalgruppen INHALT Regionalgruppe Berlin Big-Data-Trend- und Marktforschung im Web 2.0 Dr. Benjamin Kettner und Martin B. Schultz, ixto, präsentierten eine Fallstudie Das 21. Jahrhundert ist durch einen Überfluss an Informationen gekennzeichnet – die Menge an Daten wächst rasant, Prognosen zufolge verdoppelt sich deren Volumen alle zwei Jahre. Die riesige Datenfülle, ihre Analyse und Auswertung haben den Begriff „Big Data“ geprägt. Big Data ist ein aktuelles Trendthema der Marktforschung. Im Fokus stehen hier vor allem jene Daten, die aus Quellen des Web 2.0 stammen, wie zum Beispiel Beiträge aus sozialen Netzwerken, Internet-Foren und Blog-Einträgen. In der Verwertung dieser Informationen wird großes Potenzial gesehen, spiegeln sie doch in Echtzeit qualitative Aspekte, individuelle Meinungen und Trends wider und können so einen besonderen Einblick in die Märkte bieten. Doch so vielversprechend die Möglichkeiten von Big Data scheinen, ihre Auswertung und Analyse stellt eine große Herausforderung dar. Genau dieser Problematik widmeten sich die Referenten Dr. Benjamin Kettner und Martin B. Schultz der ixto GmbH in ihrem Vortrag „Big-Data-Trend- und Marktforschung im Web 2.0“ auf dem Regionalabend im April in Berlin. Zusammen mit einem großen Einzelhandelsunternehmen entwickelte die ixto GmbH eine Strategie, mit der frei verfügbare Big Data aus Martin B. Schultz und Dr. Benjamin Kettner, ixto GmbH dem Internet im Rahmen einer herkömmlichen IT-Infrastruktur analysiert werden und aus den gewonnen Daten Trends erkannt werden sollen. Diese Strategie und ihr Potenzial für die Markforschung galt es vorzustellen. Der Anspruch der Referenten lautete: „Wir wollen hier eine Machbarkeitsstudie vorstellen und zeigen, was auch mit einfachen Mittel möglich ist.“ Denn: Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts sehen sich viele Unternehmen nicht ausreichend mit Ressourcen für die Nutzung von Big Data ausgestattet. So mangelt es beispiels- 96 BVM inbrief August 2013 weise an der personellen Expertise, dem notwendigen Budget oder der technischen Infrastruktur. Zur besseren Einordnung der Problematik widmete sich Mathematiker Kettner zunächst der Frage: Was ist eigentlich Big Data und was macht ihre Analyse so schwierig? Er bediente sich hierbei der sogenannten 3 Vs, mit denen sich Big Data folgendermaßen beschreiben lässt: Big Data zeichnen sich dadurch aus, dass die anfallenden Daten mit hoher Geschwindigkeit (Velocity), in großen Mengen (Volume) und in unterschiedlichen Formaten (Variety) anfallen. Daher lautet, so Kettner, das oberste Gebot: „Wir müssen vorab entscheiden, welche Daten für uns von Interesse sind.“ Nur so sei eine Auswertung und Analyse auch mit herkömmlichen Standardtools möglich. Big Data zeichnen sich dadurch aus, dass die anfallenden Daten mit hoher Geschwindigkeit (Velocity), in großen Mengen (Volume) und in unterschiedlichen Formaten (Variety) anfallen. Wie dies in der Praxis aussieht, erklärte Kettner am konkreten Projekt. Hierbei ging es um ein klassisches Unternehmen des Einzelhandels – einen Getränkemarkt. Durch die Nutzung von Big Data sollte der bisher an Erfahrungen orientierte Einkauf systematisiert und auf eine verlässliche Datenbasis gestellt werden. Die große Frage also für den Kunden: Wie erkennen wir Trends am Markt, um unser Produktangebot daran zu orientieren? Im vorgestellten Beispiel wurde die Marktentwicklung eines koffeinhaltigen Erfrischungsgetränks anhand von Google-Suchanfragen und „Gefällt mir“-Angaben bei Facebook beobachtet. Das soziale Netzwerk bietet ein Werkzeug an, mit dem die tägliches „Likes“ einer Facebook-Seite registriert werden können. Das Tool Google Trends ermöglicht es, die aktuell beliebtesten Suchanfragen zahlenmäßig zu erfassen. Auf Grundlage dieser beiden Datenquellen entwarf Kettner vier unterschiedliche Szenarien und leitete daraus Empfehlungen für den Getränkemarkt ab. Wenn beispielsweise die Zahl der täglichen Facebook-„Likes“ steigt, gleichzeitig das Produkt auch zunehmend bei Google gesucht wird, sei dies ein klarer Hinweis für den Getränkemarkt, den Einkauf des entspre- Regionalgruppe Berlin Meinungsforschung in Wahlkämpfen: USA und Deutschland im Vergleich BVM-Regionalgruppen INHALT Alexander Mauß, Institut Mauss Research, zur Rolle der Meinungsforschung in den USA und Deutschland chenden Produkts zu erhöhen. Die gegenteilige Empfehlung sprach Kettner in einem anderen, von ihm beobachteten Fall aus. Die täglichen Suchanfragen zum Getränk stiegen schlagartig an, die Zahlen der täglichen Facebook-„Likes“ wiederum sanken. Zugleich zeigte auch ein Blick auf die „People talking about“-Zahlen von Facebook, dass das Produkt ein großes Thema in dem sozialen Netzwerk war. Betrachtete man nun den entsprechenden Zeitraum, war die Erklärung schnell gefunden. Der Getränkehersteller hatte ein virales Video verbreitet, in dem ein Konkurrent bloßgestellt und dessen Werbeclips ins Lächerliche gezogen wurden. Dies stieß offenbar – so Kettner – nicht auf den Geschmack der Kunden. Die aggressive Werbestrategie war gescheitert. Sein Fazit daher: „Der Getränkemarkt sollte den Einkauf dieses Getränks verringern.“ Ergebnisse, inwieweit sich die an den Getränkemarkt gegebenen Empfehlungen auch in den Verkaufszahlen widerspiegeln, konnten die Referenten noch nicht präsentieren. Das durchgeführte Pilotprojekt befindet sich derzeit noch in der Auswertung und Weiterentwicklung. Doch eines steht nach Aussage der Referenten bereits fest: Das Web 2.0 bietet einen reichen Schatz an Daten für die Trend-Forschung, und dieser lässt sich auch mit einer herkömmlichen IT-Infrastruktur heben. In der anschließend regen Diskussion rückten jedoch auch die Grenzen der vorgestellten Untersuchung in den Fokus. Fragen nach der Repräsentativität und Aussagekraft der erhobenen Daten kamen auf. Die Analyse eigne sich nach Meinung der Teilnehmer nur für bestimmte Kundengruppen und Marktsegmente. Zudem bleibe fraglich, welche Handlungen und Kaufentscheidungen letztendlich aus einer „Gefällt mir“Angabe folgen. Trotz aller Bedenken waren sich die Zuhörer aber über die Potenziale der Big-Data-Forschung einig. Auch wenn solche Methoden nicht universell einsetzbar sind, können sie doch eine sinnvolle Ergänzung zur klassischen Marktforschung bieten. Eine Teilnehmerin brachte es auf den Punkt: „Also ich finde das wirklich spannend.“ Heiko Gothe, Regionalleitung Berlin (c/o Infratest dimap), und Laura Leißner, Infratest dimap 1) Fraunhofer-Institut für intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS (2013). Big Data – Vorsprung durch Wissen. Innovationspotenzialanalyse. Abgerufen am 29.05.2013 von http://www.bigdata.fraunhofer.de/content/dam/bigdata/de/documents/FraunhoferIAIS_Big-Data-Analyse_Doku.pdf Die Bundestagswahl naht, die Programme der Parteien sind beschlossen und der Wahlkampf ist in die heiße Phase gestartet. Die Meinungsforschung schafft Entscheidungsgrundlagen für die strategische Ausrichtung einer Kampagne und die zielgerichtete Ansprache bestimmter Wählergruppen. Besucher des Veranstaltung Als Vorreiter gelten hier vor allem die US-Wahlkämpfe, die auch den deutschen Wahlkämpfern immer wieder als Beispiel dienen. Inwieweit sich einzelne Instrumente übertragen lassen und wo die zentralen Unterschiede liegen, wurde auf dem Berliner Regionalabend im Juni diskutiert. Referent Alexander Mauß, Institut Mauss Research, widmete sich in seinem Vortrag auf dem Regionalabend am 13. Juni 2013 der Rolle von Meinungsforschung in US-Wahlkämpfen und stellte die dort eingesetzten Methoden vor. Ausgehend davon analysierte er die Differenzen zu den deutschen Wahlkämpfen und erörterte die Entwicklungspotenziale hierzulande. Ein zentraler struktureller Unterschied liegt in der Rolle, welche die Meinungsforscher im Wahlkampfteam einnehmen. In den USA sind sie fester Bestandteil des Wahlkampfteams und kontinuierlich als Berater tätig. Zudem stehen ihnen umfangreichere finanzielle Ressourcen zur Verfügung. US-Wahlkämpfer wenden laut Mauß rund fünf bis zehn Prozent ihres geBVM inbrief August 2013 97 BVM-Regionalgruppen INHALT samten Budgets für Meinungsforschung auf, in Deutschland werden nur zwei bis drei Prozent in Forschung investiert – angesichts deutlich größerer Budgets in den USA ein immenser Unterschied. Auch hinsichtlich des Einsatzes und der Verwendung verschiedener Forschungsinstrumente verdeutlichte Mauß Unterschiede. So werden zwar in beiden Ländern sowohl qualitative als auch quantitative Methoden angewandt. Jedoch Im Rahmen von quantitativen Erhebungen stehen vor allem Stärken-und-Schwächen-Profile der Kandidaten sowie die Wirkungen der vorgebrachten Argumente im Vordergrund. Die Ergebnisse der Befragungen dienen als direkter Input für die Entwicklung von Wahlkampfinstrumenten wie zum Beispiel Fernsehspots oder Direct-Mailings. „Es geht hier um Sprache und um Emotionen“, so Mauß. Dieser Fokus wird auch bei einem weiteren Instrument deutlich – der Real-Time-Response-Messung. Der Ansatz zielt darauf, kontinuierlich Messdaten zur Wahrnehmung eines bestimmten Stimulus, wie einer Rede oder eines Videos, zu erhalten. Zuschauer können mit Hilfe von Dreh- oder Schiebereglern kontinuierlich ihr spontanes, intuitives Urteil zum präsentierten Material abgeben. In den USA bei Präsidentschafts- und Senatorenwahlen bereits eingesetzt, findet es in deutschen Wahlkämpfen noch keine Verwendung. Dies sollte sich nach Mauß jedoch ändern. „Es ist ein tolles Instrument, um Stimmungen zu analysieren und sonst im Verborgenen liegende emotionale Motive zu ergründen“, zeigte sich der Referent begeistert. Ein weiteres Verfahren der US-Wahlkämpfer ist das sogenannte Microtargeting. Hierbei werden „klassische“ Umfragedaten zusätzlichen mit personenbezogenen Informationen, wie Parteipräferenz, Kreditwürdigkeit oder Konfession, angereichert. Diese Daten werden entweder selbst erhoben oder vom kommerziellen Dienstleistern angekauft. Auf Grundlage des Microtargeting-Verfahrens werden dann Prognosemodelle für das individuelle Wahlverhalten entwickelt, die den Kampagnenstrategen zur zielgenauen, themenspezifischen und effektiven Wähleransprache dienen. Networking zum Ausklang der Veranstaltung ist der Stellenwert und inhaltliche Fokus dieser Instrumente ein anderer. Während zum Beispiel Gruppendiskussionen in den USA zum Standardrepertoire gehören, stehen sie in Deutschland hinsichtlich ihrer Bedeutung immer noch hinter den quantitativen Methoden. Diese qualitative Herangehensweise eignet sich laut Mauß jedoch besonders gut, um tieferliegende Einstellungen von potenziellen Wählergruppen an die Oberfläche zu bringen. Meinungsforscher legen den Teilnehmern einer Gruppendiskussion beispielsweise Konzeptpapiere oder Broschüren zur Bewertung vor und nutzen ihre Reaktionen direkt zur Weiterentwicklung ihrer Programme und strategischen Ausrichtung. 98 BVM inbrief August 2013 In Deutschland sind solche Praktiken aufgrund der strengeren Datenschutzbestimmungen in diesem Umfang nicht möglich. Laut Mauß liegt jedoch hierzulande eine große Chance im geografischen Targeting. Parteipotenziale werden dabei auf Basis von vorherigen Wahlergebnissen und sozio-strukturellen Merkmalen für kleinere Gebiete geschätzt. Eine selbst entwickelte Anwendung stellte Mauß am Beispiel von Häuserblocks in Rostock vor. Die daraus entwickelten Modelle ermöglichen die strategische Planung von Hausbesuchen, Postwurfsendungen und Plakatstellplätzen. In seinem abschließenden Fazit und mit Blick auf die kommende Bundestagswahl vermutete Mauß, „dass das geografische Targeting zukünftig eine größere Rolle spielen wird.“ Auch werden aus seiner Sicht Online-Forschung und Social-Media-Analyse zunehmen. Dennoch schlussfolgert Mauß: „Die Parteien hierzulande schöpfen das Potenzial, das Meinungsforschung für die Wahlkampfplanung bietet, nicht aus.“ Heiko Gothe, Regionalleitung Berlin (c/o infratest dimap), Laura Leißner, infratest dimap INHALT Wichtiger Termin 49. Kongress der Deutschen Marktforschung 19. und 20. Mai 2014 in Berlin Impressum Herausgeber: BVM Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher e.V. Friedrichstraße 187 10117 Berlin Tel.: 030-49 90 74 20 Fax: 030-49 90 74 21 [email protected] www.bvm.org V.i.S.d.P.: BVM-Bundesvorstand Lektorat Dr. Gisela Hack-Molitor Druck: Druckerei Seubert, Nürnberg Chefredaktion: Dr. Ulrike Schöneberg Gestaltung: Stephan Hasselbauer Design Büro, Fürth Anzeigen in dieser Ausgabe: Consumerfieldwork Foerster & Thelen IWD Assistenz und Koordination: Ulrike Großmann Sabine Steig Bildmaterial: Annette Hornischer, Berlin Diverse Bildarchive BVM inbrief August 2013 99 Handelsmarktforschung Europaweit Zustellqualität von Haushaltswerbung Preiserfassung Kundenbefragung Einzugsgebietsmessung Mystery Shopping Wettbewerbsbeobachtung closer to life www.iwd-marketresearch.de/handelsbefragung.htm IWD market research GmbH Lorenzweg 42 39124 Magdeburg Tel.: +49 (0) 391 7347053 [email protected]