Erinnerungen

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Erinnerungen
Ramona Gossow
Erinnerungen
Eine »Babylon 5«-Fanfiction
Talia
saß in ihrer Arrestzelle und versuchte sich klarzumachen,
was in den letzten Minuten geschehen war.
Vor ihrem inneren Auge spielte sich die Szene erneut ab. Nachdem sie von Lyta als Verräterin entlarvt worden war, hatte man sie
hier in diese Zelle eingesperrt. Als Susan zu ihr in die Zelle gekommen war und eine Aussprache gewollt hatte, hatte sie Susan
niedergemacht und verletzt. Susan hatte das alles nicht wahrhaben
wollen, weswegen Talia noch herablassender zu ihr gewesen war.
Talia würde diesen entsetzten Ausdruck in Susans Gesicht wohl eine Weile nicht vergessen können. Dann hatte Susan sich plötzlich
umgedreht und war verschwunden.
Sie hatte erreicht, was sie wollte, oder doch nicht?
Das Psi-Corps war ihre Familie, und sie konnte und wollte niemand anderem vertrauen. Aber wieso hatte das Psi-Corps sie zu
einem heimlichen Spion gemacht? Wieso wurde es ihr nicht einfach angeboten? Warum vertraute man ihr dort nicht – sie tat es
doch auch?
Tief in ihrem Inneren hörte sie eine Widerstimme. Wieso hatte
sie Susan gesagt, daß sie ihr als einziger vertraute? Warum hatte sie
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versucht Susans Vertrauen zu erlangen? Warum hatte sie sich
manchmal so leicht, so unbeschwert in Susans Nähe gefühlt? Was
war mit ihr geschehen, seit sie von Jason Ironheart diese Gabe erhalten hatte?
Etwas hatte sich verändert; nein, nicht etwas, ihre Gefühle hatten sich verändert! Sie spürte schon eine Weile, daß sie dem PsiCorps nicht mehr so loyal gegenüberstand, wie sie es vorher getan
hatte. Sie war froh, daß alles so gekommen war, immerhin konnte
sie nun das Psi-Corps noch effizienter unterstützen und würde
dank der Offenlegung ihrer programmierten Verräter-Rolle bald
keine unnützen Gefühle mehr zeigen müssen.
Wieder sah sie Susans Gesicht, das sie traurig anschaute. Bei diesem Gedanken zog sich ihr Herz schmerzhaft zusammen.
Resolut stand Talia auf und ging durch die Zelle. Sie mußte endlich diese Gedankenfetzen an Susan vergessen!
Sie stellte ihre Tasse auf die kleine Kommode, die vor ihr stand. Langsam
erhob sie sich von ihrem Stuhl und ging auf Susan zu. Aus dieser mit Susan
angenehm vertrauten Situation heraus vertraute sie Susan ihre Gefühle an:
»Ich vertraue nur einer Person . . . dir!« Von ihren Gefühlen überwältigt
nahm sie Susans Gesicht sanft in ihre Hand. Susan schmiegte sich an Talias warme Hand. Für beide stand die Zeit still.
DAS PSI-CORPS IST MEINE FAMILIE! Je mehr Talia versuchte ihre
Gedanken zu ordnen, desto öfter tauchte Susan auf.
Susan stand mit Garibaldi am Tresen. Talia ging ohne Umschweife auf
Susan zu, sie wollte ihre Diskrepanzen aus der Welt schaffen. Für einen
Augenblick schauten sich die beiden Frauen direkt in die Augen, dann
wand sich Susan ab, leerte ihren Wodka in einem Schluck und marschierte
zielstrebig auf den Ausgang zu. Talias Schritte wurden langsamer; wieder
hatte sie eine Möglichkeit verpaßt. Wieder war Susan ihr entwischt und
ließ sie allein stehen. Was hatte Susan gegen sie?
Talia setzte sich wütend auf ihre Pritsche und versuchte an etwas
anderes zu denken. Bester!
Als Ironheart auf der Station war, führte er ein hartes Verhör mit ihr. Er
und seine Kollegin scannten Talia, weil sie ahnten, daß Talia mehr wußte
als sie sagte. Sie wußte was Bester hören wollte, jedoch war sie nicht bereit,
ihren langjährigen Freund und Mentor zu verraten.
Susan stand mit Sheridan auf der anderen Seite des Tisches. Sie waren
beide zugegen, weil es das Protokoll verlangte. Ein telepathisches Verhör
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durfte nur in Gegenwart von zwei Offizieren gemacht werden. Aber Susans
Anwesenheit half Talia, ihre Blockade aufrechtzuerhalten. Während sie
von Bester verhört wurde, konzentrierte sie sich auf Susan.
Sie war eine wunderbare und starke Frau. Mit ihren langen, braunen
Haaren, die sie leider viel zu selten offen trug, und ihren grünen Augen
hatte sie Talia vom ersten Augenblick an fasziniert. Ihr Körper und ihr
Wesen strahlten Stärke und Selbstsicherheit aus.
Talia war kurz davor zusammenzubrechen, sie konnte sich nicht mehr
lange gegen Bester wehren. Sie hielt sich vor Schwäche am Tisch fest. In
dem Moment reichte ihr Susan ein Glas Wasser. Überrascht sah Talia Susan an. Die Frau, die sie von ganzem Herzen haßte, reichte ihr ein Glas
Wasser. War es möglich, daß das Eis gebrochen war? Konnten sie eine
Freundschaft aufbauen?
Talia wünschte es sich so sehr, war jedoch bis zu diesem Augenblick von
Susan immer zurückgewiesen worden. Durch diese Susans kleine Geste
schaffte sie es, das restliche Verhör zu überstehen.
Talia seufzte. Egal wie sehr sie sich bemühte, nicht an Susan Ivanova zu denken, ihre Gedanken wanderten zu der einzigen Person,
die sie mochte. Monatelang hatte sie versucht Susans Aufmerksamkeit zu wecken, hatte versucht ihre Freundin zu sein, und nun
wollte sie all das wegwerfen?
Ihr kamen die Tränen. Sie hatte gerade noch Susan verhöhnt und
ihr Sachen an den Kopf geworfen, die sie wohl nicht mehr rückgängig machen konnte. Sie hatte ihre einzige Freundin absichtlich
verletzt. Freundin? War es denn wirklich nur Freundschaft, die sie
für Susan empfand?
Susan fragte Talia: »Wie ist es, Telepathin zu sein?«
Worauf Talia ihr traurig erklärte: »Es ist wie in einem Hotelzimmer, wo
man ständig Leute im Zimmer nebenan reden hören kann. Man kann versuchen es zu ignorieren, aber es ist immer da. Das wichtigste ist, nicht zu
lauschen, es sei denn, es wird einem erlaubt . . . normale Gedanken sind
einfach zu blocken, aber starke Gefühle finden ihren Weg.«
Talia wußte nicht, was sie dazu bewog, daß sie fortfuhr: »Wissen Sie,
wie es ist, wenn Telepathen Liebe machen, Commander? Man läßt jede Blockade fallen und ist voller Spiegel, die die Gefühle des anderen widerspiegeln, tiefer und tiefer, bis irgendwo auf diesem Weg die Seelen verschmelzen und ein so intensives Gefühl entsteht, daß es wehtut. Das ist der einzi-
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ge Moment im Leben eines Telepathen, in dem er die Stimmen nicht mehr
hört.«
Erzählte man so etwas einer Freundin? Wieso hatte sie das damals Susan mitgeteilt? Sie versuchte sich einzureden, daß sie das
nur getan hatte, weil sie sonst niemanden zum Reden hatte, aber
was waren das dann für Gefühle, die sie in Susans Nähe spürte?
Sie kam nach einem langen Arbeitstag an den Tresen und wollte in Ruhe
einen Feierabenddrink zu sich nehmen, als sie Susan an der Bar sitzen sah.
Ihr Herz machte einen Sprung – zwei glückliche Zufälle auf einmal.
Da Susan öfter in der Bar saß, war das zwar kein großer Zufall, jedoch
wie sie so dasaß . . . Ihre langen Haare lagen offen auf ihren Schultern. Ihre grünen Augen fixierten traurig einen Punkt im Unendlichen. Zwischen
ihren Augenbrauen lag eine Unmutsfalte, die Talia ihr gern weggewischt
hätte.
Talias Blick glitt hinunter. Sie war überrascht, daß Susan ihre Uniform
nicht trug – das war ein sehr seltener, aber schöner Anblick. Susans schlanker Hals wurde von einer Kette aus Bernsteinen geschmückt. Ihre langärmlige Bluse und die Weste betonten durch die Brauntöne Susans Typ hervorragend. Talias Blick wanderte wieder zu Susans Gesicht und ihrem zartgeschminkten Mund . . . Ein Mund, der zum Küssen einlud.
Der Barkeeper lenkte Talia zum Glück kurz ab, so daß sie ihren Gedanken nicht weiter folgen konnte. Sie hatte ein Wasser bestellt, und er schob
es ihr auf den Tresen. Mit dem Glas in der Hand und einer großen Portion
Mut ging sie zu Susan hinüber. Sie wußte, daß Susan sie ablehnte, und befürchtete, daß Susan gleich wieder mit einer Ausrede aufstehen würde.
Talia stellte sich ein Stück entfernt von Susan hin.
Susan schaute sie nicht sehr freundlich an.
Talia erschauerte. Sie sah den Haß in Susans Augen. Dennoch setzte sie
sich neben sie, als Susan unerwartet mir ihr sprach. Die Geschichte von Susans Mutter, die ebenfalls eine Telepathin gewesen war, erschütterte sie. Im
Gegensatz zu Talia, die vom Psi-Corps aufgezogen worden war und nichts
anderes kannte, war die Fähigkeit bei Susans Mutter erst sehr spät entdeckt
worden. An ihrem 35. Geburtstag. Susans Mutter hatte nicht ins Psi-Corps
gewollt und auch nicht ins Gefängnis, die zweite Möglichkeit für unregistrierte Telepathen, die nicht ausgebildet waren. So blieb nur noch die
dritte Möglichkeit, nämlich die Fähigkeit zu unterdrücken. Mit Medikamenten oder wohl richtiger: sehr starken Drogen, Psychopharmaka.
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Dafür hatte Susans Mutter sich entschieden, aber sie hatte die furchtbaren Nebenwirkungen nicht ausgehalten. Sie war nur noch ein Zombie. Bevor sie ihren Geist ganz verlor, hatte sie sich umgebracht.
Nachdem Talia ihre Erschütterung überwunden hatte, drängte sich ihr
eine Frage auf. »Ich verstehe nicht, warum Ihre Mutter sich auf die Behandlung mit den Medikamenten eingelassen hat. Wieso ist sie nicht ins
Psi-Corps gegangen? Da wäre sie perfekt ausgebildet worden.«
Susan warf ihr nur einen Blick zu. Ablehnung und Haß.
Talia merkte, daß sie zu weit gegangen war. »Es tut mir sehr leid, daß
Sie Ihre Mutter auf diese Art verloren haben«, sagte sie bedauernd.
»Was in der Vergangenheit passiert ist, ist nicht Ihre Schuld, aber es ist
ein Teil von dem, was Sie sind.« Susan stand auf und verließ die Bar.
Talia blickte ihr noch lange nach. Sie spürte, daß sich etwas zwischen
ihnen verändert hatte, und wünschte sich sehr, daß Susan ihren Haß gegen
sie ablegen konnte, obwohl sie für das Psi-Corps arbeitete.
Talia fühlte, daß etwas mit ihr geschah. Sie wollte endlich verstehen, warum sie ständig an Susan denken mußte. Wieso wollte
ihre Persönlichkeit nicht von Susan ablassen? Sie selbst war, seit
Lyta das Codewort gesendet hatte, eine neue Persönlichkeit. Aber
wieso kreisten ihre Gedanken nur um Susan? Warum konnte sie
Susan nicht einfach vergessen? – Sie, Talia, brauchte Susan doch
eigentlich nicht mehr.
Talia lag in ihrem Bett und wälzte sich von einer Seite auf die andere.
Seit Stunden versuchte sie zu schlafen. Kaum daß sie dann einnickte, begegnete ihr Susan. Susans Gesicht kam dem ihren immer näher. Talia sehnte sich nach einem Kuß, doch kaum daß sich ihre Lippen näherkamen,
schreckte sie aus dem Schlaf. Ihre Hände versuchten Susan beim nächsten
Einnicken festzuhalten. Das Kribbeln in ihren Fingerspitzen nahm so stark
zu, daß sie Susan wieder loslassen mußte. Und wieder endete der Kuß im
Aufwachen.
Ihr wurde heiß, als sie an Susans Quartier dachte. Die Erinnerungen überfluteten sie erneut.
Ihr war das Quartier gekündigt worden. Sie war obdachlos und wußte
nicht, wohin. Talia erzählte Susan von ihrem Dilemma, und Susan überraschte sie wieder einmal – sie lud Talia zu sich ein. Aus einem Reflex heraus wollte Talia schon ablehnen. Wie sollte sie ihre Gefühle für Susan verstecken, wenn sie auf engstem Raum zusammenwären? Ihre Gefühle ließen
jedoch ein Nein nicht zu. Sie nahm Susans Angebot an.
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Als sie am Abend bei Susan klingelte, brachte sie eine Flasche Weißwein
mit. Sie zog nur sehr selten im Beisein einer anderen Person ihre Handschuhe aus. Susan schaute auf Talias Corps-Abzeichen. Es fiel Talia schwer
sich von dem Abzeichen zu trennen, denn das hatte sie noch nie abgelegt.
Sie wollte Susan aber auch nicht verärgern, weswegen sie bedächtig das
Emblem von ihrem Revers nahm und es zu den Handschuhen legt.
Sie unterhielten sich eine Weile locker, bis sie Susan fragte, ob sie duschen dürfte.
Talia wehrte sich nicht mehr gegen ihre Gefühle und Gedanken.
Durch die warme Dusche war Talia vollkommen entspannt. Beschwingt
und nur mit einem dünnen Morgenmantel bekleidet ging sie zu Susan zurück. Susan war mittlerweile auch nur noch mit einem blauen Morgenrock
bekleidet. Ihre offenen Haare fielen weich über ihre Schultern. Der Mantel
ließ Talia tief blicken. Sie stellte sich vor, am Gürtel zu ziehen. Das Bild
das sich Talia bot, ließ sie erzittern. Nur zu gern hätte sie Susan umarmt –
nur einmal ihre Nähe spüren.
Jetzt noch ließ der Gedanke an Susan sie erbeben.
Als Talia am Tisch saß, bereitete Susan einen Tee zu. Susan meinte gerade, daß sie niemandem vertraute, woraufhin Talia kurz nachdachte. Sie
traute auch niemandem, jedoch . . .
Sie stand auf, und während sie auf Susan zuging, meinte sie: »Ich vertraue nur einer Person . . .« Schon hatte sie den kurzen Abstand zwischen
ihnen überbrückt. Ihre Hand glitt langsam zu Susans Wange. Sachte hielt
sie Susan fest, als sie ihren Satz beendete: »Dir.«
Sie mußte über Susans überraschtes Gesicht lächeln. Die Worte,
die sie noch vor kurzem aus tiefster Überzeugung gesagt hatte, waren sie die Wahrheit, oder waren es die, mit denen sie Susans Gefühle lächerlich gemacht hatte?
Immer schneller kreisten ihre Gedanken. Sie wußte nicht mehr,
was Wahrheit und was Lüge war. Es kam ihr vor, als würden zwei
Personen in ihr um den Besitz ihres Körpers kämpfen. Sie fühlte
sich hin- und hergerissen. Die Kräfte, die an ihr zogen, wurden
immer stärker. Sie konnte dieses Ringen um ihren Verstand und
ihren Körper nicht länger ertragen – Talia brach zusammen.
Sie wußte nicht, wie lange sie auf dem Boden gelegen hatte, als
plötzlich die Tür aufging und Bester und einige vom Sicherheitspersonal ins Zimmer traten. Ehe sie sich umschauen konnte, wurde sie vom Sicherheitspersonal abgeführt. Niemand sagte ein
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Wort. Stoisch folgte sie Bester zu seinem Schiff. An der Schleuse
ließen die Sicherheitsbeamten die beiden zurück – ihr Teil war getan.
Talia blickte nicht zurück, die Station und vor allem Susan Ivanova würden bald Vergangenheit sein. Die Schleusen schlossen
sich hinter ihnen, als Bester sie kurz benachrichtigte, daß sie nun
wieder zu ihrer Familie käme.
Plötzlich kam Leben in Talias Körper – das war nicht mehr ihre
Familie – Susan war ihre Familie! Die Fähigkeiten, die sie von
Ironheart erhalten hatte, halfen Talia aus dem Schiff zu kommen.
Vom Schiff würde sich niemand mehr an Talia erinnern können –
für sie war sie tot.
Sie wartete stundenlang, bis niemand mehr in der Nähe war.
Dank Ironheart wußte sie, daß es einen geheimen Gang gab, der
nicht bewacht wurde. Auf Umwegen schlich sie sich auf Susans
Deck. Auch hier mußte sie warten, da gerade Schichtwechsel war.
Sie wußte noch nicht, wie sie Susan überzeugen konnte, daß sie die
alte Talia war. Wie sollte Susan auch verzeihen, was Talias zweites
Ich ihr entgegnet hatte? Aber Talia war sich bewußt, daß sie es
wenigstens versuchen mußte! Wenn sie Susan nicht für sich gewinnen konnte, mußte sie gehen. Sie müßte sich dann verstecken,
sie wäre eine Flüchtige.
Wenn sie sich Susans Dienstplan richtig eingeprägt hatte, würde
Susan erst spät in der Nacht in ihrem Quartier eintreffen. So konnte Talia noch einiges vorbereiten. Durch Ironhearts Geschenk verschaffte sie sich Zutritt zu Susans Quartier. Bis spät in die Nacht
hatte Talia alles für ihr Wiedersehen vorbereitet. Nun saß sie an
dem Tisch, an dem Susan ihr einen Tee gereicht hatte, und
schwelgte in weiteren Erinnerungen an Susan, als plötzlich die Tür
aufging.
Von ihrem Platz konnte sie die Tür gut einsehen, wurde jedoch
nicht so schnell entdeckt. Eine fluchende Susan stand in der Tür.
Talia hatte das Licht präpariert und somit ging auf Susans Anweisung kein Licht an. Dafür standen überall brennende Kerzen, die
ein warmes Licht spendeten. Susan stand weiterhin an der Tür.
Bevor sie den Sicherheitsdienst rufen konnte, ertönte Talias
Stimme leise aus dem Hintergrund: »Bitte nicht. Ich muß mit dir
reden.«
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Susan erstarrte in ihrer Bewegung. Kalt fragte sie: »Was willst
du hier?«
Leise erwiderte Talia: »Ich liebe dich!« Sie schluckte hart. »Bitte
glaub mir!«
Das Lachen, das aus Susans Richtung kam, konnte das Blut gefrieren lassen.
»Gib mir fünf Minuten, und wenn ich dich nicht umstimmen
kann, werde ich dich nie wieder belästigen«, hörte sich Talia heiser
flüstern. Sie spürte Susans Zögern –
Die Zeit schien sich immer weiter auszudehnen, als Susan ihr eine Chance bot: »Mach das Licht an und versuch keine Tricks!« Sie
setzte sich weit entfernt von Talia hin.
Fünf Minuten waren keine lange Zeit, weswegen Talia begann
ihre Erlebnisse in der Zelle zu erzählen. Wie sie sich anfangs gegen
die Gedanken gesträubt hatte, wie sie immer stärker und intimer
an Susan denken mußte.
Aus Susans Kehle drangen nur Knurrlaute; Talia schaffte es
nicht, Susan von ihrem Ich zu überzeugen. Auch wenn sie die
Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, meinte sie: »Es wäre einfacher, wenn du mich scannen könntest, dann wüßtest du, wie sehr
ich in der Zelle kämpfte. Dann könntest du sehen, daß zwei Menschen mir halfen, zu mir zu finden.«
Susans einzige Reaktion war eine hochgezogene Augenbraue.
»Ironhearts geschenkte Fähigkeiten und DU – ihr habt mich ins
Leben zurückgeholt!«
Talia wußte, daß sie verloren hatte. Mit gesenktem Kopf stand
sie auf. Sie konnte Susan nicht anschauen, denn die Tränen in ihrem Gesicht würden Susans Haß nur schüren. Langsam ging sie
durch den Raum, sie versuchte noch einmal Susans Duft in sich
aufzunehmen. Gerade als sie den Türöffner betätigen wollte, spürte Talia eine Präsenz, die um Einlaß bat.
Erschrocken drehte sie sich zu Susan um. Talia wollte irgend etwas sagen, dann widerstand sie und ließ Susan eintreten. Sie senkte
ihre Schilde.
Vorsichtig trat Susan in Talias Gedankenwelt ein. Es kam einem
zärtlichen Streicheln nach, das Talia vollkommen genoß. Obwohl
Susan keine Übung hatte, vertraute Talia ihr – sie senkte ihre
Schilde immer mehr.
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Erst waren es nur wenige Gefühle, die bei Susan ankamen – nach
und nach wurden es immer mehr. Sie spürte nichts von Talias
zweitem Ich; aber konnte sie das überhaupt? Sie mußte sich zurückziehen, wenn sie Talia nicht verletzen wollte; immerhin hatte
sie so etwas noch nie gemacht. Sie war schon auf dem Rückzug, als
sie plötzlich vor einer Mauer stand.
Talia spürte Susans Gedanken, obwohl Talia sie nicht scannte.
Susan hatte es jedoch nie gelernt, daß sie ihre Gedanken abschirmen mußte, wenn sie bei jemand anderem eindrang. Sie fühlte
auch, wie Susans Wut wieder stärker wurde. Erschrocken stellte
Talia fest, daß Susan ihre einzige noch stehende Mauer gefunden
hatte. Das, was hinter diesen Steinen stand, wollte sie eigentlich
mit Susan zusammen erleben, nun hatte sie jedoch keine Wahl –
sie mußte Susan Einlaß gewähren.
Gedanklich sendete Talia Susan eine Einladung, auch hinter diese
Mauer zu gucken. Talia mußte sich an die Tür lehnen, da sonst ihre Kräfte versagen würden.
Zaghaft folgte sie Talias Angebot und blickte überrascht auf.
Was sie dort spürte und sah, verlieh ihr eiskalte und heiße Schauer.
Talias geheimste Wünsche lagen ihr zu Füßen – sie sah sich und
Talia schweißgebadet in ihrem – Susans – Bett liegen. Schnell
schloß Susan diese Tür wieder.
Tiefe Trauer überfiel Talia über Susans freiwilligen Entschluß,
diese Tür schnell zu schließen, wahrscheinlich erwartete sie einfach zu viel von der Person, die sie so abgöttisch liebte. Liebe war
nicht immer gegenseitig.
Talias Knie gaben plötzlich nach. Sie spürte schon, wie sie fiel,
als zwei starke Arme sie umfaßten und festhielten. Überrascht öffnete Talia ihre Augen und sah Susan sehr nahe vor sich stehen. Sie
standen nur da, keine rührte sich, niemand sagte etwas – beide genossen einfach diese Nähe.
In Talias Gedanken hörte sie Susans Stimme: »Ich glaube dir.
Komm.«. Susan nahm Talia an ihre Hand und zog sie immer weiter
in Susans Gedankenwelt. Überglücklich strahlte Talia sie an. Susan
vertraute ihr, das spürte und erlebte sie, denn Susan hatte für niemanden freiwillig ihre Mauer fallenlassen.
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Eine Tür war auch bei Susan verschlossen. Es wäre zwar ein
leichtes für Talia gewesen, diese Tür zu öffnen, doch sie wollte Susan nicht vergewaltigen.
Susan lief bei Talias Frage rot an und ängstigte sich, Talia eintreten zu lassen. Auch wenn Susan Talias intimste Träume gesehen
hatte, so war das, was nun folgen würde, ein gewaltiger Schritt für
Susan. Sie öffnete etwas widerwillig die Tür zu ihren Träumen und
gewährte Talia Eintritt.
»Nicht, wenn du nicht willst«, hörte sie Talias Stimme.
Susan widerstand der Versuchung die Tür zu schließen – sie
wollte ja, daß Talia ihre geheimsten Wünsche erfuhr. »Du darfst.«
Langsam öffnete Talia die Tür und blieb überrascht im Türrahmen stehen. Ihr Herz setzte kurze Zeit aus. Die Szene, die sich ihr
dort bot, unterschied sich nicht großartig von der, die Susan in ihrem geheimsten Raum gesehen hatte. Engumschlungen lagen die
beiden auf Susans Bett und küßten sich innig.
Bedächtig schloß sie die Tür und öffnete ihre Augen. Sie sah eine
strahlende Susan, die sie in den Armen hielt. Mit einer Hand umarmte sie Susan; die andere bahnte sich ihren Weg zu Susans Gesicht. Sanft streichelten Talias Finger über ihre Wange. Sie fuhr
mit ihrem Daumen zärtlich über Susans Mund, welcher sie so oft
verlockend gerufen hatte.
»Komm in meine Welt, ich möchte mit dir eine wundervolle Zeit
verbringen.«
Mit diesen Gedanken küßte Talia Susan innig.
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