Jeremy Bentham - wissen bloggt

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Jeremy Bentham - wissen bloggt
®
Jeremy
Utilitarismus
Bentham:
Die wenigsten kennen Jeremy Bentham und
seine Thesen. Doch erst mal kurz seine Vita:
Geboren in einem wohlhabenden Elternhaus am 17. Februar 1748
in Spitalfields, London, verstorben am 06.Juni 1832 ebenda. Er
war Jurist, Philosoph und Sozialreformer.
Bentham war der Begründer des „Utilitarismus“ also der
Philosophie der Nützlichkeit und war auch der Kopf des
politischen Arms, der English radicals.
Seine Radikalität ging vielen seiner berühmten Zeitgenossen
viel zu weit. Sogar Goethe echauffierte sich derart über ihn
mit dem Zitat: Ein höchst radikaler Narr. In seinem Alter
derart radikal zu sein, ist der Gipfel der Tollheit. Man darf
nicht vergessen, es war die Zeit des Biedermeier und der
Friede, Freude, Eierkuchen-Heimeligkeit. Da waren die Burschen
noch Burschen und die Männer noch Männer. Die Frauen hatten
gefälligst gehorsam, sittsam und zart zu sein und wehe wenn
eine der Ladies aufmuckte! Und die Kirche hatte ihren
wohlzementierten, angestammten Platz in der Gesellschaft.
Selbst Karl Marx, dieser Tunichtgut an seiner Familie, man
muss das
einmal erwähnen, dass dieser Marx (nicht zu
verwechseln mit dem Bischof Marx in Bayern), ein sehr
schlechter und miserabler Ehemann und Vater war. Die
Berufstätigkeit von Frauen war damals nicht so gern gesehen.
Nur in den untersten Gesellschaftsschichten waren die Frauen
gezwungen, für den Lebensunterhalt ihrer Familien zu arbeiten
und das meistens mit 8 bis 12 Kindern im Durchschnitt, von
denen eh die meisten starben aufgrund der miserablen
Lebensverhältnisse.
Gerade dieser Karl Marx schlenderte tagein und tagaus und
jahrein und jahraus in den verschiedensten Caféhäusern und
Kneipen der Stadt umher und kümmerte sich einen Dreck um seine
Familie. Seine Frau musste arbeiten, aber das Geld reichte
hinten und vorne nicht. Herrn Marx war das egal, Hauptsache er
konnte sein „Kapital“ fertig schreiben. In der Zwischenzeit
verhungerten mindestens 2 oder sogar noch mehr Kinder aus
seiner Familie. Gerade dieser Ausbund an „treusorgender
Vaterfürsorge“, sagte über Bentham: Wenn ich die Courage
meines Freundes Heine hätte, würde ich Herrn Jeremias ein
Genie der bürgerlichen Dummheit nennen. Fragt sich, wer ist
hier der Dümmere?
In Deutschland wurde Bentham besonders heftig angefeindet,
wegen seiner kompromisslosen Radikalität, die den meisten
miefigen Spießbürgern entschieden zu weit ging. Im
postrevolutionären Frankreich 1792, wurde ihm mit anderen
Berühmtheiten aus seiner Zeit wie: George Washington,
Friedrich Schiller, Johann Friedrich Pestalozzi usw. die
Ehrenstaatsbürgerschaft angetragen. In seiner Heimat Merry old
England wurde er erst Anfang des 19. Jahrhunderts bekannter.
Man fragt sich: Was verursachte bei seinen Zeitgenossen derart
heftige Reaktionen? Was sogar einen Herrn von Goethe so
ausflippen ließ, schließlich waren die beiden Herren im selben
Alter.
Er hatte, für die damalige Zeit, aber auch für unsere Zeit
sehr fortschrittliche, absolut moderne Thesen:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
Allgemeine Wahlen
Frauenstimmrecht
Errichtung des modernen Wohlfahrtsstaates
Tierrechte
Abschaffung der Todesstrafe
Legalisierung der Homosexualität
Pressefreiheit
Er war nicht nur ein Vordenker des Feminismus. Er trat auch
für direkte Demokratie, Liberalismus und Laizismus ein. Er war
ein radikaler und kompromissloser Atheist. Und das in einer
Zeit, wo auch die hochgebildeten Honoratioren dem Klerus
kräftig den Hintern puderten. Tja, der Mann hatte Mut und
Rückgrat.
In den feinen Salons der Zeit wurde zwar hochgestochen auf
Französisch über die verschiedensten philosophischen Aspekte
parliert, aber Konsequenzen zog man daraus nicht. Es lebte
sich doch so bequem und es verursachte den feinen Herrschaften
immer wieder einen Schauder, der über den voll gepuderten
Rücken lief, wenn sie radikale Ansichten diskutierten.
Bentham kritisierte auch scharf die französische
Menschenrechtserklärung und war sehr enttäuscht, dass einige
seiner Thesen nicht einbezogen wurden. Wenn man sich einmal
anschaut, was im revolutionären Frankreich ablief, dann kann
man ihm im Nachhinein nur Recht geben.
Die später berühmtesten Köpfe der großen Revolution in
Frankreich waren Georges Danton, Antoine St. Just, Jean-Paul
Marat. Diese Männer haben sich damals in England aufgehalten
und waren fleißige Zuhörer und auch Anhänger von Bentham.
Besonders Georges Danton war angetan von seinen Thesen. Aber
wie die Geschichte zeigt, wurden er und seine Anhänger von
Robespierre gestürzt. Selbst den radikalen Jakobinern in Paris
gingen sie zu weit. Außerdem konnten sie von einem derart
verklemmten Frauenhasser wie Robespierre nicht erwarten, dass
dieser Gnom für den Feminismus eintrat.
Er trat auch für Wucherzinsen ein und lieferte Argumente für
den legitimen Einsatz der Folter. Für diese beiden
letztgenannten Punkte, wurde er scharf angegriffen.
Die Ehtik von Bentham kann man folgendermaßen definieren:
Das größte Glück der größten Zahl – greatest happiness
principle.
Eine Handlung bewertet sich demnach allein nach ihren sozialen
Folgen.
Eine Handlung ist moralisch richtig, wenn
Allgemeinheit (bzw. der größten Zahl) nützt.
sie
der
Eine Handlung erweist sich als moralisch falsch, wenn sie der
Allgemeinheit schadet.
In diesem Sinn ist die utilitaristische Ethik eine
Konsequenzethik, d. h. innere Beweggründe spielen für die
Bewertung einer Handlung keine Rolle.
Als
logische
Konsequenz
dieser
Ethik,
forderte
er
Rechtsgleichheit und zwar für alle Gesellschaftsschichten.
Ich persönlich finde dieses Prinzip richtig und kann daran
absolut nichts Verwerfliches sehen.
In der damaligen Zeit war dies natürlich ungeheuerlich. Sägte
es doch an den Stützen der Gesellschaft und stellte somit die
„sogenannte Gott gewollte Ordnung“ in Frage.
Bentham war auch radikaler Atheist und stellte alles in Frage
was mit dem Glauben zu tun hat. Man könnte ihn wie Kant als
Anthropozentriker bezeichnen.
Hier übrigens eine interessante Aussage über die Tierrechte,
die er so vehement auch verteidigte: Der Tag wird vielleicht
kommen, an dem der Rest der belebten Schöpfung jene Rechte
erwerben wird, die ihm von der Hand der Tyrannei vorenthalten
werden konnten. (Anmerkung von der Autorin: Da soll mir bloß
keiner kommen und sagen, die Christen hätten auch den
Tierschutz propagiert und wir hätten doch unseren Franzl von
Assisi. Natürlich habt ihr den, aber dieser Mann war eine
rühmliche Ausnahme. Ansonsten steht doch in der Bibel: Macht
die Erde euch untertan. Wie sie das wörtlich auslegten, sieht
man an den katastrophalen Ergebnissen)
Weiter in seiner Aussage: Die Franzosen haben bereits
entdeckt, dass die Schwärze der Haut, kein Grund ist, ein
menschliches Wesen hilflos der miesen Laune eines Peinigers
auszuliefern. Vielleicht wird eines Tages erkannt werden, dass
die Anzahl der Beine, die Behaarung der Haut und die Endung
des Kreuzbeines ebenso wenig Gründe dafür sind, ein
empfindendes Wesen diesem Schicksal zu überlassen. Was sonst
sollte die Fähigkeit des Verstandes oder die Fähigkeit der
Rede? Ein voll ausgewachsenes Pferd aber oder ein Hund ist
unvergleichlich verständiger und mitteilsamer als ein einen
Tag oder eine Woche alter Säugling. Doch selbst wenn es anders
wäre, was würde das ausmachen? Die Frage ist nicht: Können sie
verständig sprechen oder: Können sie verständig denken?
Sondern: Können sie leiden?
Diese letzte Frage kann man sicher mit einem großen JA
beantworten. Insofern waren seine Thesen in seiner Zeit ein
geistiger IMPACT und zwar im positiven Sinne. Auch wenn seine
Zeitgenossen sich kräftig das Maul zerrissen haben, ändert es
doch nichts an seiner Aktualität.
Bentham war und ist cool, um es mal in unserem Zeitjargon
auszudrücken.
Die Meinung des Gastautors muss nicht der Redaktionsmeinung
entsprechen.
Hingerichtet (2)
Es hat wahrscheinlich niemals in
der Geschichte der Menschheit eine Zeit gegeben, in der nicht
Menschen Menschen Böses antaten. Im Überlebenskampf der
Spezies Mensch muss Verbrechen eine der möglichen Strategien
sein, die zum Erfolg führt, sonst gäbe es keine Verbrechen.
Keine Zivilisation, keine Kultur und auch keine Religion haben
jemals etwas daran ändern können: Verbrechen gab es schon
immer und vermutlich wird es immer Verbrechen geben. Gewandelt
hat sich die Art und Weise, wie die Gesellschaft auf
Verbrechen reagiert.
Ein großer Unterschied zu früher liegt bereits in der heutigen
medialen Konfrontation mit dem Verbrechen, die es damals noch
nicht in diesem Umfang gab. Grosse Untaten wie die des
Massenmörders Hamann wurden auch ehemals schon breit in der
Presse ausgewalzt, damit dem Publikum ein heiliger Schauer
über den Rücken fuhr. Heute jedoch, im Zeitalter der
schnelllebigen Informationsverkaufs tickert es sofort um die
ganze Welt, wenn irgendetwas irgendwo passiert und sei es die
geringste Nebensächlichkeit.
Pardon, wenn ich es so
ausdrücke: selbst wenn ein Waschbär in Kassel furzt und dann
ein Eichhörnchen gekillt wird, oder wenn es noch so unsinnige
und unwichtige Nachrichten sind. Es wird über alles berichtet
und auch mächtig übertrieben.
Wenn dann wirklich furchtbare und grausame Verbrechen
geschehen, dann wird dies wochenlang in den Weltmedien
aufgebauscht, dass es einen graust.
Wir verfügen heute über ein Informationsspektrum, wie wir es
noch nie in unserer Geschichte hatten.
Doch zurück zur Reaktion der Gesellschaft auf kapitale
Verbrechen. Was sind das für Menschen, die in den Todestrakten
z. B. der USA sitzen? Es stimmt, die meisten haben gemordet
oder waren an einem Mord beteiligt. Manche von ihnen haben
mehrere Menschen auf dem Gewissen. Man muss auch erwähnen,
dass manche Verbrechen so grausam sind, dass man sich zu Recht
fragt: Wie soll man so einen Schwerverbrecher überhaupt in der
menschlichen Gemeinschaft belassen? Falls so ein Unhold wieder
frei
kommt,
besteht
da
nicht
Rückfallund
Wiederholungsgefahr? Wie kann sich die Gesellschaft am besten
nachhaltig vor solchen Unmenschen schützen, ohne selbst
unmenschlich zu werden? Ist es inhuman, ihnen das Leben zu
nehmen?
Was soll man tun?
Es ist zweifellos ein großer
Fortschritt für den Humanismus,
dass die Körperstrafen wie
Folter
und
Züchtigung
abgeschafft
wurden.
An
vorderster Front kämpften die
Humanisten für Menschlichkeit.
Nicht aber die Kirche. Sie
stellt lieber die Gefängnispfarrer, die sich um das
„Seelenheil“ des Delinquenten kümmern, wenn es zum Galgen
geht. Dies zeigt, dass sich Kirche nie vollständig vom
Mittelalter gelöst hat.
Einer der wichtigsten Gründe für die Abschaffung der
Todesstrafe war nicht nur die mögliche Grausamkeit der Strafe
als solche, sondern auch, um die Folgen von Fehlurteilen zu
vermeiden.
Es muss erwähnt werden, dass es immer wieder zur Hinrichtung
von Unschuldigen kam. Auch nutz(t)en skrupellose Machthaber
die Todesstrafe dazu, um unliebsame Gegner auszuschalten. Die
Todesstrafe ist also auch ein furchtbares Machtinstrument und
Druckmittel, um Angst und Schrecken in der Bevölkerung zu
verbreiten. Beispiele gab es in der Vergangenheit und es gibt
sie auch heute noch immer wieder.
Es kommt häufig zu leidenschaftlichen Diskussionen und
Auseinandersetzungen um dieses Thema, dass immer wieder
aufflammt und kein Ende findet, solange es die Todesstrafe auf
der Welt gibt.
Andererseits muss man auch die Seite des Opfers und seiner
Hinterbliebenen betrachten, die auch ein Recht auf Sühne
haben. Wie furchtbar ist es z. B. für eine Mutter oder einen
Vater, wenn sie entweder eines ihrer Kinder oder ihr einziges
Kind verlieren.
auszuhalten.
Der
Schmerz
ist
unerträglich,
nicht
Da war doch dieser spektakuläre Fall der Marianne Bachmeier,
dessen kleine achtjährige Tochter ermordet wurde. Der Mörder
berichtete grinsend, wohlgemerkt grinsend, dem Richter den
Tathergang und lachte dabei auch noch. Dass der Mutter und
einigen im Gerichtssaal die Galle überlief, das war sehr wohl
verständlich. Das Ende der Geschichte kennen wir alle. Die
Mutter erschoss diesen Kerl. Sie genoss große Sympathien in
der Bevölkerung. Sie hat es aber niemals verwunden. Frau
Bachmeier wurde nach ein paar Jahren vom damaligen
Bundespräsidenten von Weizsäcker begnadigt und verließ
Deutschland. Nach einiger Zeit erkrankte sie an Krebs und
starb daran.
Wenn ich mir unsere Rechtsprechung anschaue, dann muss ich
leider auch des Öfteren kotzen. Sorry für diesen Ausdruck.
Aber leider ist es so. Man gewinnt den Eindruck, dass weder
Gesetzgeber noch Richter in der Lage sind, Gerechtigkeit
herbeizuführen. Wenn ein Dieb härter bestraft wird als ein
Totschläger oder Vergewaltiger, dann frage ich mich: Habt ihr
Richter noch alle Tassen im Schrank?
Oder eine durchgeknallte Sozialpädagogin oder Psycho-Tante
macht gemeinsame Sache mit einem gefährlichen Mehrfach-Killer.
Noch dazu steht in der Zeitung dann die groß aufgemachte
Story, dass sich diese Knall-Charge in den Killermops verliebt
hat, weil er so schöne Kuschelaugen hatte und eine soooo
schwere Kindheit durchlitt. So frei nach dem Motto: Der
Hamster war aufsässig und die Katze war hochschwanger im
Sozius Motorrad gefahren. So witzig wie das klingt, ich möchte
da nur aufzeigen, dass diese Brüder um keine noch so blöde
Ausrede verlegen sind, und diese Psycho-Knaller glauben diesen
Leuten jeden Mist.
Außerdem frage ich mich. Was zieht Frauen an solchen Typen an?
Ist es der Effekt: Die „Schöne“ und das wilde Biest? Ich weiß
es nicht. Bleibt mir ein Rätsel und im Grunde genommen auch
egal.
Ich sage mir nur: Gleich und Gleich gesellt sich gern.
Nachtrag:
Die Todesstrafe wurde in der BRD am 20. Januar
abgeschafft und in der ehemaligen DDR am 17. Juli 1987.
1951
Die Meinung des Gastautors muss nicht der Redaktionsmeinung
entsprechen.
Hingerichtet (1)
Grausam und blutrünstig ist
Geschichte der Henker, wenn man ihren Spuren durch
Geschichte
folgt.
Deshalb
wurde
auch
in
Geschichtsschreibung nicht viel Aufhebens um sie gemacht,
für gewöhnlich bedeckt man diesen Beruf mit dem Mantel
Schweigens.
die
die
der
und
des
Ursprünglich wurde die Todesstrafe durch Angehörige des Opfers
vollstreckt und damit war die Sache erledigt. Aber bei den
Römern gab es schon berufsmäßige „Vollstrecker“. Dieser
wirklich schreckliche Beruf wurde meistens von ehemaligen
Sträflingen oder anderen Ausgestoßenen der Gesellschaft
ausgeübt.
Später dann im Hochmittelalter und noch bis in die Neuzeit
hinein, wurde diese Tätigkeit von sogenannten Angehörigen der
ehrlosen Berufe ausgeübt. Die Angehörigen der „ehrbaren Berufe
und der Stände“, wollten mit dieser Klientel absolut nichts zu
tun haben. Ein kleines Beispiel: Angehörige der ehrbaren
Berufe waren z. B. Bäcker, Schmiede, Tuchhändler, Kaufleute
etc. Die Angehörigen der Ehrlosen waren z. B.: Abdecker,
Bader, Anisölbrenner, Aschenbrenner, Arzt (Feldscher,
Wundarzt) und auf der untersten Stufe die Henker und die
Prostituierten. Auch mussten der Henker und seine Familie
außerhalb der Stadtmauern wohnen, oder wie in Nürnberg z. B.
auf der Pegnitzinsel. Der Richtplatz war auch meistens vor den
Toren der Stadt und nicht immer am Marktplatz.
Vor den Toren der Stadt waren auch die Henkersgehilfen (die
sogenannten Abdecker) mit ihrem Chef, dem Henker, mit einer
anderen Tätigkeit beschäftigt: dem Abdecken und Verarbeiten
von verendetem Vieh. Eine ekelhafte und stinkende Tätigkeit,
die noch dazu gesundheitlich sehr gefährlich war. Etliche
Henker und ihre Gehilfen haben sich durch diese scheußliche
Tätigkeit den Milzbrand zugezogen und verstarben elendig
daran. Das Herrichten und Abdecken des Viehs wurde auf dafür
vorgesehenen Wiesen vor der Stadt gemacht. Diese Abdeckerorte
wurden Wasen genannt. Heutzutage findet man dieses Wort Wasen
in vielen Ortsnamen, wie z. B. Eichwasen, Cannstatter Wasen
usw. usf.
Eine andere unappetitliche Tätigkeit, die der Henker und seine
Gehilfen verrichten mussten, war die Reinigung der
Kanalgruben. Man kann sich vorstellen, wie gut der „Odeur“ der
Personen war, die dies machen mussten, 4711 war nichts
dagegen. Mit einem Wort: Es stank entsetzlich.
Eine weniger unangenehme Aufgabe war, die Aufsicht über die
sogenannten Frauenhäuser sprich Bordelle. Der Henker hatte
dort Hausrecht und jede der Hübschlerinnen oder
Freudenmädchen, musste einen Teil ihres Lohnes an den Henker
bezahlen.
Immer wieder hört man auch den Begriff „Scharfrichter“. Die
Erklärung ist die: Der Henker richtete noch vor langer Zeit
„trocken“ also mit dem Seil und der Scharfrichter richtete
„nass“, also blutig mit dem Schwert. Später hat man diese
Bezeichnung nicht mehr getrennt, sondern der Henker musste
auch die „nasse“ Hinrichtung beherrschen.
Die Henkers- und Abdeckerfamilien vererbten ihre Tätigkeit
meistens vom Vater auf den Sohn. Geheiratet wurde auch in
andere Henkersfamilien hinein. Keiner, von den Angehörigen der
ehrbaren Berufe, wollte schließlich ein Mitglied dieser Sippe
in seiner Familie haben. So entstanden ganze Henkerdynastien,
vor allem im Süden von Deutschland und bis in die Schweiz und
Österreich hinein. Eine ganz berühmte Familie war die Sippe
der Hamberger, dessen Ur-Ur-Ur-Ur-Enkel ein alter Schulkumpel
von mir war.
Die Angehörigen des Henkers mussten sich auch dementsprechend
auffällig kleiden, am besten in den Farben Grün und Rot. Oder
sie mussten an den Ärmeln ihrer Bekleidung einen aus Stoff
gefertigten Galgen anhängen und Glöckchen tragen, damit man
nicht nur visuell sondern auch akustisch die Sippe bemerkt.
Eine Anmerkung zu der Bedeutung der Farben: Rot und Grün. Rot
steht für das Blut und Grün für die Erde (der Arme beißt im
wahrsten Sinne des Wortes ins Gras).
In der Kirche mussten der Henker und seine Familie hinten
abseits sitzen. Auf dem Friedhof wurden er und seine Sippe
abseits begraben und durften nicht mit verstorbenen
Angehörigen der Ehrbaren in Berührung kommen. Ein richtiges
Paria-Dasein. Ausgestoßen und verfemt von der Gesellschaft.
Das Verrückte an der Sache war aber: Der Henker und seine
Sippe standen auch in dem Ruf, besonders begabt in
Heilungsangelegenheiten zu sein. Was den Aberglauben und die
Zauberei anging, da ging man nachts klammheimlich zum
Henkerhaus und besorgte sich die entsprechenden Utensilien.
Zum Beispiel so makabre Sachen wie abgehackte Gliedmaßen zum
Schutz vor Diebstahl etc. Bäh!
Oder ein ganz widerlicher Brauch war, das Blut von
Enthaupteten aufzufangen und den Blutbecher den Epileptikern
zum Trinken zu geben. Der Aberglaube sagte, dass dieses Blut
die Epilepsie nicht nur lindern sondern auch heilen kann – was
für ein Graus!
Man fragt sich natürlich, ob diese Zunft so was wie eine
Ausbildung genoss. Dies war tatsächlich der Fall. Der
zukünftige Henker musste bei seinem Meister regelrecht in die
„Lehre“ gehen. Es dauerte so 2 bis 3 Jahre, bis der
Henkerslehrling zum Gesellen wurde. Geübt wurde an Tieren. Die
Leichen der Hingerichteten dienten als Anschauungs- und
Anatomieobjekt. Die Henker hatten im Mittelalter viel bessere
anatomische Kenntnisse als die Ärzte, verbot doch die Kirche
bei Todesstrafe das Obduzieren des Leichnams. Seine
Gesellenprüfung bestand der zukünftige Henker dadurch, dass er
eine Enthauptung sauber und schnell durchführen konnte. Es war
damals keine Seltenheit, so makaber es klingen mag, eine
Enthauptung in mehreren Schritten durchzuführen, was ohne
Zweifel grauenhaft für den bedauernswerten Delinquenten war.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Hinrichtung der
berühmtesten Königin der Schotten, an Maria Stuart.
Der Henker war bei ihr so stümperhaft, dass er erst beim
sechsten Schlag ihren Kopf abhacken konnte.
Diese Stümperei bei Enthauptungen,
hatte erst ein Ende, als Dr. Joseph
Ignace Guillotin am 10. Oktober
1789, einen – wir würden heute
sagen – Bauplan vorführte von einer
Maschine, die anatomisch gerecht
schnell den Menschen um einen Kopf
kürzer machte. Die Ironie der
Geschichte war, dass damals Ludwig
XVI., diese Maschine als sehr human
erachtete
für
zukünftige
Hinrichtungen und er erlaubte auch mit Billigung des obersten
Henkers von Paris, Charles Henri Sanson, der übrigens ein sehr
gebildeter und kultivierter Mann war mit Medizinstudium in
Leiden, den Bau dieser Maschine, die dann am 20. März 1792 in
Auftrag gegeben wurde. Mit dieser Maschine wurden auch der
König und die Königin später hingerichtet. In der
Französischen Revolution hatte sie nicht nur ihre Premiere,
sondern wurde auch massenhaft eingesetzt. Später wurde das
sogenannte Fallbeil in fast ganz Europa verwendet. Außerdem
schaffte Frankreich erst 1969 die Todesstrafe offiziell ab.
Bis dahin war das Fallbeil immer wieder im Einsatz.
Die Todesstrafe im geteilten Deutschland hatte ihr Ende mit
der Alliiertenregierung der 3 Westmächte nach dem 2.
Weltkrieg. Im damaligen Ostteil von good old Germany war die
Todesstrafe noch vorhanden. Dies nur beiläufig erwähnt.
Wie bereits erwähnt, die Henker mussten eine regelrechte Lehre
machen, um nicht nur sauber und schnell eine Hinrichtung zu
vollziehen, sondern auch in den Foltermethoden wurden sie
unterwiesen.
Auch die Henker hatten so eine Art Ehrenkodex: Dem
Delinquenten so wenig wie möglich Schmerz, weder bei der
Hinrichtung, noch bei der Folter zuzufügen. Bei der Folter war
es bei einem „gut ausgebildeten Henker“ Brauch, den
Gepeinigten nicht zu Tode zu foltern. Er wurde auch deswegen
in der Wundheilung unterwiesen. Es war paradox, aber dies war
tatsächlich der Fall.
Soweit ein kleiner Überblick über das Leben und die Arbeit des
Henkers.
Heutzutage sollte man nicht vergessen, dass es in vielen
Ländern auf der Welt die Todesstrafe immer noch gibt und zwar
in 64 Ländern, sowie in vielen Bundesstaaten der USA, wird die
Todesstrafe immer noch vollstreckt.
Der Henker heißt heutzutage „Justizvollzugsbeamter“, reine
Wortkosmetik und ist genauso lächerlich wie „Bodenmasseuse“
für Putzfrau.
Die Hinrichtungsmethoden sind nur in den Golfstaaten genauso
blutig und archaisch wie im Mittelalter. Dort werden die
Delinquenten öffentlich in einer Sandarena hingerichtet und
zwar mit dem Schwert. Der Henker dort ist hochangesehen und
verkündet öffentlich, dass er den Willen „Allahs“ vollstreckt.
In den USA werden die Hinrichtungen noch zusätzlich von dem
Gefängnisarzt durchgeführt. Er setzt die Nadel für die Venüle
des Giftcocktails, der dann per Knopfdruck von dem
Justizvogel-Beamten ausgeführt wird. Ende der Fahnenstange.
Danach wird der Leichnam untersucht und im Knastfriedhof
beigesetzt.
In den anderen Ländern wird erschossen und aufgeknüpft,
entweder klassisch mit Galgen oder am Baukran wie im Iran.
Wie man sieht, haben sich die Methoden ein wenig geändert und
sind z. T. nicht mehr so blutig. Aber sie sind nicht weniger
grausam.
Allen Delinquenten ist gemeinsam: Die Angst vor dem Sterben,
was ja verständlich ist.
Im zweiten Teil meines Artikels soll das Für und Wider der
Todesstrafe erörtert werden.
Die Meinung des Gastautors muss nicht der Redaktionsmeinung
entsprechen.
Die Türkei vor der Wahl
Die Türkei wird am Sonntag
wählen. Seien wir einmal gespannt, was als konkretes Ergebnis
dabei herauskommen wird. Schließlich hat dieses Land, allein
schon durch seine geographische Lage, eine Brückenfunktion
zwischen Orient und Okzident.
Was wird kommen? Eines kann man mit Sicherheit sagen: die
Partei von Ministerpräsident Erdogan, die AKP, wird gewinnen.
Ob dieser Sieg dazu ausreichen wird, eine die Verfassung
ändernde Mehrheit im Parlament zu erringen, bleibt abzuwarten.
Den Wirtschaftsboom hat diese Regierung dem Land beschert. Ob
dieser Boom aber nachhaltig sein wird, das wird sich bald
herausstellen. Namhafte Wirtschaftsexperten sagten dem Land
einen baldigen Crash voraus. Dies ist nicht von der Hand zu
weisen.
Die Ölstaaten und auch der Iran haben in türkischen Banken
ihre Gelder angelegt. Ein Immobilienkauf-Boom war in den
letzten Jahren zu beobachten. Viele Reiche aus den Golfstaaten
kauften in den besten Lagen von Istanbul und auch in anderen
türkischen Großstädten, Häuser und Grundstücke usw. usf.
Der Boom hält noch an und deswegen wird auch Erdogan die Wahl
wieder gewinnen.
Der Weg nach Europa aber und die Einhaltung
Menschenrechte, kann man getrost vergessen.
der
Die Partei der AKP hat eine streng nationalistische und
religiös ausgerichtete Zielrichtung.
Das besondere Menetekel ist die erste Kopftuch-First-Lady,
Hanim-Effendi Hayrünnisa Gül.
In der Beurteilung der Zustände in der Türkei findet langsam
ein Wandel in der deutschen Presse statt. Wurde vor nicht
allzu langer Zeit noch reichlich Lob ausgeschüttet über die
angeblichen Demokratisierungsbemühungen des Herrn Erdogan,
greift nunmehr Ernüchterung um sich. Man erkennt die große
Gefahr, dass neben der Wirtschaft nun auch die Religion wieder
floriert und von der AKP ganz offen gefördert wird. Die
Konsequenzen aus dieser Entwicklung sind unübersehbar, so dass
sogar Die Welt die Frage stellen kann, ob die Türkei sich in
eine islamistisch-faschistische Richtung bewegt. Lesen Sie
dazu bitte auch den Artikel Erdogan führt Opposition als
Gotteslästerer vor, in dem die Perfidie der Vorgehensweise
überdeutlich wird.
Die Meinung des Gastautors muss nicht der Redaktionsmeinung
entsprechen.
Schwul in Istanbul
„Na und“ würden wir zu diesem
Titel mit Recht sagen. Jeder soll schließlich so leben, wie es
ihm gefällt. Und das ganze „Gender-Getue“ ist schlicht unnötig
wie ein Kropf am Hals. In dieser Beziehung ist West-Europa
schon längst aufgeklärt. Ausnahmen finden sich allenfalls in
den hinlänglich bekannten Publikationen wie z. B. dem
„Schwarzen Kanal“ (Politically Incorrect), in denen häufig
primitivstes Homo-Bashing betrieben wird.
In diesem Beitrag möchte ich über ein lesbisches Paar in
Istanbul erzählen und mich überhaupt über die Situation der
Homosexuellen dort auslassen. Wer Istanbul das erste Mal
sieht, ist begeistert und auch erstaunt über die vielen
Gesichter der Stadt. Eine uralte Megapoli, vormals Byzanz /
Konstantinopel, die Griechen bezeichnen heute noch Istanbul
„Konstantinopoli“. Der Name Istanbul kommt von Islam bol und
erinnert an die Bemerkung von Fatih Sultan, dem Eroberer, das
Byzanz nicht mehr christlich sei, sondern voll der Religion
des Propheten, also wörtlich übersetzt: „voll Islam“.
Die Knabenliebe war bei den alten Griechen und auch bei den
nachfolgenden Sultanen am Hof, ein sehr beliebter
Zeitvertreib. Man sollte nicht vergessen, dass der jüngere
Bruder des späteren Fürsten Vlad III., bekannter unter dem
Namen Fürst Dracula, zusammen mit seinem Bruder am türkischen
Hof des Sultans als Geisel lebten. Der jüngere Bruder hieß
Radu der Schöne und war einer der Lieblinge des Sultans. Wie
man an diesem historischen Beispiel sieht, war dies im Serail
keine „exotische Lustbarkeit“ sondern gang und gäbe.
Mit der Geschichte von meinem unglücklichen Paar möchte ich
daran erinnern, dass in der heutigen Türkei, verschlimmert
durch den in den letzten Jahren leider erstarkten religiösen
Fanatismus und Nationalismus, das Leben der Minderheiten, egal
ob es ethnische, religiöse oder auch Menschen, die in ihrer
sexuellen Orientierung eben anders sind, das Leben zunehmend
zur Hölle gemacht wird.
Man wird es nicht glauben. Die Türkei war in den 60er, den
70er und den 80er Jahren wesentlich liberaler und
prowestlicher ausgerichtet als heute. Diese fatale Entwicklung
haben wir unter anderem der Fetullah-Gülen-Bewegung zu
verdanken. Die Auswirkungen der dauernden Indoktrination sind
leider zu sehen, wie das negative Beispiel von Sibel Üresin
zeigt. Man kann darüber nur den Kopf schütteln.
Meine beiden Ladies, dessen Identität ich natürlich nicht
preisgeben werde, stehen stellvertretend mit ihrem Leben für
hunderte anderer Pärchen: Wie kommen sie zurecht?
Ganz einfach, sie verstecken ihre Neigung so gut es geht.
Außerdem gibt es in der türkischen Gesellschaft so eine Art,
ja wie kann man es am besten bezeichnen, ich nenne es mal
„schizoides Verhalten“, das eine heimliche Beziehung von 2
Frauen akzeptiert, natürlich verspottet, aber diesen Frauen
nichts antut. Die Beziehung von zwei Männern ist dagegen etwas
anderes. Verrückt, nicht wahr? Diese Homo-Beziehung wird
sanktioniert und auch gesellschaftlich geächtet, dass den
betroffenen Männern sogar der Ehrenmord droht. Es ist absolut
zum Haare ausraufen.
Ich muss ganz ehrlich sagen, mir geht das nicht in den Kopf
und ich will es eigentlich gar nicht verstehen.
Das Leben dieser beiden Frauen ist geprägt von Notlügen und
Versteck spielen. Wenn sie ihre Familien besuchen, dann wissen
nur die engsten Familienangehörigen oder auch nur ganz enge
Freunde von ihrer Neigung. Sie leben zusammen und wenn die
Nachbarn mal neugierig nach ihrem Leben oder ihrer Sulale /
Familie fragen, dann antworten sie: Ja sie haben Familie und
die eine davon war schon mal verheiratet aber es wird
verheimlicht, dass sie von ihrem Mann geschieden wurde. Die
andere hatte gar nicht geheiratet. So leben nun diese beiden
Frauen in einer Art Schicksalsgemeinschaft zusammen und hoffen
jeden Tag und beten deswegen auch fleißig zu „Allah“, dass sie
ihr Leben in Ruhe fortsetzen können. Es ist tragisch. Bei
großen Familienfesten erscheinen beide nur getrennt in ihren
Familien. Es soll ja nichts an die Öffentlichkeit kommen. Der
Nachbarschaft erzählt man dann, dass man in enger Freundschaft
und wie Geschwister zusammenlebt und sich deswegen gegenseitig
hilft. Zwei Frauen sind schließlich keine Gefahr, vor allem,
wenn sie schon älter sind und nicht mehr so jung und knusprig.
Die beiden Frauen kämen auch gar nicht auf die Idee, sich
einem Imam anzuvertrauen, schließlich würde dieser
Würdenträger die Frauen sofort ermahnen und ihnen bei
Strafandrohung der Dschehenna, die Rückkehr zu einem „normalen
Leben“ befehlen. Dieser Kerl hätte absolut kein Verständnis,
geschweige denn den Intellekt dazu.
Bei Männern ist die Lage noch wesentlich schwieriger. Manche
vertrauen sich dem Imam an und sind tatsächlich verzweifelt
über ihre Neigung, weswegen es auch zu Suiziden kommt. Ich
habe mich mal mit einem Betroffenen unterhalten: er hatte sich
auch dem Imam anvertraut. Der Imam sagte ihm, er solle auch
einen Psychiater und Nervenarzt aufsuchen und sich behandeln
lassen. Zusätzlich solle er den Koran studieren und seine
5maligen Gebete besonders inbrünstig ausführen. Wenn er dies
befolge, dann helfe ihm Allah hundertprozentig. Auf die Idee
wie die katholischen Ärzte in Deutschland, Homosexuelle durch
Homöopathie zu heilen (siehe Homohomöopathie), sind die Imame
allerdings noch nicht gekommen. Außerdem solle er so schnell
wie möglich heiraten und eine Familie gründen. Das, so meinte
der Imam zusätzlich, könne ihm auf den richtigen Weg helfen.
Das Tragische an dieser Geschichte ist aber folgendes: Dieser
junge Mann hatte geheiratet und eine Familie gegründet, hatte
sämtliche Ratschläge des Imam befolgt, aber es hat nur eine
kurze Zeit lang genützt und die eigentliche Neigung kam
eruptiv durch. Er ließ sich scheiden und verließ seine
Familie. Wo er heute lebt, weiß niemand.
In der großen Schwulen-Szene in Istanbul leben viele der
Betroffenen sehr gefährlich. Sie sind Freiwild für die
türkische Macho-Gesellschaft und etliche bezahlen immer wieder
mit ihrem Leben. Die Polizei macht keinen Hehl aus ihrer
Verachtung für die Leute und dementsprechend sind ihre so
genannten „kriminologischen Untersuchungen“ sehr schlampig.
Aber wenn dann einer von den Schwulen zu einem großen Künstler
aufsteigt, dann wird er verehrt. Ich erinnere in diesem
Zusammenhang an Bülent Ersoy oder an den ebenso unvergessenen,
aber leider verstorbenen Zeki Mürren. Diese Frauen/Männer sind
und waren großartige Sänger und Musiker. Ihre SchauspielKarriere war ein bisschen, na ja, drollig. Aber als Musiker
waren sie unvergleichlich. Bei Bülent Ersoy war der Weg auch
recht steinig. Er hatte schon als Mann ein sehr feminines
Aussehen und hat sich dann Jahre später in London zu einer
Frau umwandeln lassen. Dass er dies öffentlich gemacht hatte,
ist schon klasse und mutig an sich. Die Türkei hat ihm sogar
nach der Geschlechtsumwandlung eine Zeitlang die Einreise
verweigert, die dann später natürlich wieder zurückgenommen
wurde.
Eine kleine Anmerkung am Schluss:
Meine persönliche Erfahrung und Meinung ist die, dass die
Türkei sich sehr weit entfernt hat was Fortschritt und
Toleranz angeht. Ich befürchte sogar, dass es in Richtung
einer Theokratie hinausläuft wie im Iran. Es wäre gut, wenn
meine Befürchtungen nicht einträten, aber die Erfahrung zeigt
mir keine Alternative. Auch wenn Istanbul noch Boomtown ist:
Wer weiß wie lange, und was kommt danach? Inshallah das
Beste…..
Es gibt aber auch immer wieder Türken, die mit hohem
persönlichen Einsatz für die Rechte der Homosexuellen in der
Türkei eintreten: „Wir haben die Eier, es laut zu sagen“
berichtet das Magazin Café Babel und weiter:
Die Homophobie in der Türkei
habe Fälle physischer und sexueller Gewalt zur Folge. Die
Morde an mehreren Transsexuellen und Transvestiten seien
beunruhigende Entwicklungen, stellt der Bericht der EUKommission von 2009 über die Erweiterung und den Beitritt der
Türkei fest. Trotzdem gibt sich die Schwulenszene in Istanbul
zunehmend offener. An der Gay Pride 2010 nahmen in diesem Jahr
5.000 Leute teil; die erste Transgender-Parade fand im Juni
statt. Wir haben zum ersten Geburtstag der Schwulenbar mit
einem der Gründer des Frappé Istanbul gesprochen: …
Die Meinung des Gastautors muss nicht der Redaktionsmeinung
entsprechen.
Eine
Frau
allen!
allein
gehört
Ein
provokanter Titel, ok, aber mal sehen, was dies bedeutet.
Dieser Ausspruch ist im Orient gang und gäbe. In meinem
Erlebnisbericht will ich die Alltagssituationen schildern, die
ich mit den Frauen dort selbst erfahren habe. Wir kennen alle
die Szenen auf der Straße, Frauen mit Kopftüchern oder
sonstiger Verschleierung und immer in Gruppen. Für mich
persönlich, man soll mich ruhig steinigen und von mir aus auch
böse angiften, kein fremdes oder ungewöhnliches Bild, da ich
weiß, wie ein Großteil dieser Frauen lebt. Wer wie ich
jahrelang im Ausland, vor allem im Orient war, der weiß, was
Sache ist.
Es fängt schon in der Kindheit an. Die Erziehung der Mädchen
ist wesentlich restriktiver als die der Jungen. Das heißt aber
nicht, dass die orientalischen Väter ihre Töchter nicht
liebten. Ich habe auch im Laufe der Jahre sehr viele gute und
herzliche Menschen kennen und lieben gelernt, mit denen ich
heute noch in engem Kontakt bin. So schön wie die Länder und
die ganze Atmosphäre dort unten sind, so schwierig sind die
Lebensbedingungen der einfachen Bevölkerung, besonders der
Frauen. Die gebildete Oberschicht ist da anders und passt sich
sehr der westlichen Lebensweise an und verinnerlicht sie auch.
Dies hat zum Glück auch Auswirkungen auf die Erziehung der
Mädchen.
Außerdem ist es in der Oberschicht nicht
ungewöhnlich, dass ausländische Ehepartner gewählt werden.
Die einfache Bevölkerung hat da weniger Möglichkeiten sich zu
entfalten. Der Familienzusammenhalt ist zwar im Allgemeinen
sehr stark und ausgeprägt, aber dies erfordern die schweren
Lebensbedingungen zwangsläufig. Wenn kein Geld für Essen und
Medikamente usw. da ist, wer springt dann in die Bresche? Die
Familie, sprich die Verwandtschaft.
Die Grund- und Hauptschule dauert in den meisten Ländern des
Orients nur knapp 5 Jahre. Wer dann weiterhin seine Kinder in
die Schule schicken will, benötigt Geld und zwar nicht wenig,
das die meisten nicht haben. Sie sind froh, wenn sie genug zum
Essen auf dem Tisch haben. Da liegt natürlich auch der Hase im
Pfeffer, wie man bei uns so schön sagt. Die Bildung fehlt. Es
gibt auch rühmliche Ausnahmen im orientalischen Sprachraum.
Das ist Tunesien und man sollte das auch erwähnen. Israel ist
ebenfalls eine rühmliche Ausnahme. Ich will mich aber mehr auf
den muslimisch orientierten Kulturkreis beschränken.
Wenn die Familien kein Geld haben, um alle ihre Kinder auf die
Schule zu schicken, dann wird es folgendermaßen gehandhabt:
Der älteste Sohn darf weiterhin auf die Schule gehen und die
Töchter bleiben dann bis zu ihrer Verheiratung zuhause. Die
Ehe wird natürlich von den Eltern arrangiert. Zum großen Teil
wird in der eigenen Verwandtschaft nach einem passenden
Partner gesucht, weil, so das Argument, man kennt sich
schließlich und ist angeblich vor bösen Überraschungen sicher.
Tja, was sollte ich als Ausländerin da schon sagen. Die
linguistische Variante ist da schon interessanter. Wenn
jemand, wie gesagt, einen Partner für seine Kinder sucht,
sollte er aus der „Sulale“, also aus der Verwandtschaft
kommen.
Wenn eine Frau geschieden wird oder verwitwet ist, geht sie
meistens in ihre Ursprungsfamilie zurück. Eine verwitwete Frau
wird bedauert, aber bei einer geschiedenen Frau hält sich das
Mitleid in Grenzen. Wer weiß, wie schlecht sie war, weil der
Mann sich hat scheiden lassen müssen. Es ist eine Doppelmoral,
die mir oft die Haare zu Berge stehen ließen.
Ein Beispiel aus dem Türkischen: Dul Kadin = Witwe, Bosanmis
Kadin = Geschiedene.
Diese beiden Frauen haben eines gemeinsam. Na klar, keinen
Mann! Insofern heißen sie auf türkisch auch, man staune:
Sahibsiz Kadinlar, also „Herrenlose Frauen“, ich habe mich
damals weggeschmissen vor Lachen, aber nicht weil es so lustig
war. Es war die pure Ironie. Ich konnte es nicht fassen. Bei
dem Begriff herrenlos, denke ich automatisch an streunende
Hunde und Katzen. Dass dieser Begriff auch auf allein stehende
Frauen angewandt wird, war für mich einfach nicht zu
verstehen.
Ein anderes Erlebnis war auf einer Busfahrt in Istanbul mit
meinen Leuten. Der Bus war wie immer rappelvoll und die Hitze
und Ausdünstungen ließen die Stimmung im Bus auf den Nullpunkt
sinken. Es ist tatsächlich eine komische Marotte in vollen
Bussen in Istanbul, den Frauen einfach fest in den Hintern zu
kneifen. Ich wurde, bevor wir in den Bus einstiegen, extra von
meinen Leuten darauf aufmerksam gemacht. Dies ist halt so,
wurde mir gesagt. Ok dachte ich mir, lass mal den
Poppeskneifer an mich herantreten, dann gibt’s Zoffff…
Wir stiegen in den Bus und ich konnte tatsächlich beobachten,
wie andere Schnurrbartträger die Weibsen vor uns in den
Vollmond kniffen. Mir und meinen Leuten liefen die Tränen vor
Lachen herunter und ich musste mich so zusammenreißen, um
nicht laut loszuprusten. Auf einmal spürte ich ein Kneifen in
meinem Sitzpolster und der Kerl grinste mich an und sagte:
Hallo du schöne blonde Frau. Ich drehte mich abrupt um und
packte den Schnurrbart an der Gurgel. Ich sagte dann auf
Türkisch zu ihm, dass ich ihn zur Frau machen werde. Der ganze
Bus tobte und alle gackerten wie Hühner wild durcheinander. Es
war einfach herrlich – Satire pur. Der arme Busfahrer kam
sofort und entschuldigte sich bei mir und schmiss den Mann
raus. Ich sagte ihm, dass dies natürlich nicht seine Schuld
war und solche Deppen überall anzutreffen sind. Aber ich
denke, ich habe einiges bewirkt. Bei der Weiterfahrt kamen wir
ins Gespräch mit den anderen betroffenen Frauen und die gaben
mir Recht und sagten zu mir: „Sen Aslan gibi Kadinsin.“ Das
bedeutet, du bist eine Frau, wie ein Löwe. Der Schnurri hat
mit Sicherheit an diesem Tag keine Frau mehr in ihren Vollmond
gezwickt. Aber es ist schon bezeichnend, dass die Frauen nicht
gekniffen wurden, die einen männlichen Begleiter bei sich
hatten.
Moderne Frauen in Tunesien
In Tunesien war das nächste lustige Erlebnis, lieber Wim. Es
war wieder zum Brüllen. Wir waren in Hammamet. Eine tolle
Küsten- und Piratenstadt mit einer ummauerten Medina. Meine
Freundin und ich schlenderten am Abend die Küstenstraße
entlang und wollten noch einen Pfefferminztee trinken und
evtl. eine Shisha rauchen. Na ja, wie es so ist in diesen
Touristenstädten, eine Menge heißblütiger junger und nicht
mehr ganz so taufrischer „Kobolde“ lauerten auf weibliche
Beute. Etliche habe ich ganz cool und lässig abweisen können,
nur 2 besonders hartnäckige, die wichen zum Henker uns nicht
von der Seite. Sie bezirzten und beschleimten uns über eine
Stunde. Wie sind wir doch so schön und wir wären wie die
Blumen der Nacht. Das Augenrollen ging bei meiner Freundin hin
und her. Dann hatte ich eine Idee und gab meiner Freundin ein
Zeichen, dass ich den Burschen ein wenig Dampf machen würde.
Ich habe nach dem ganzen Geschleime dann eine todernste Miene
gemacht und den Kobolden sagte ich: „Hört mal her Jungs. Ich
muss euch was sagen.“ Die Kobolde waren ganz Ohr. Ich sagte zu
ihnen, dass meine Freundin eine echte Frau sei, aber ich in
Wirklichkeit ein Transvestit. Auf einmal trafen mich alle
möglichen Beschimpfungen auf Arabisch und die Kobolde liefen
schnurstracks davon. Wir lachten uns schlapp und tranken dann
weiter unseren Tee und genossen die Shisha. Der Wirt fragte
uns dann freundlich, warum wir so lachten. Ich erzählte ihm
die ganze Geschichte und versicherte ihm, dass ich aber in
Wirklichkeit doch eine echte Frau sei. Der Mann lachte sich
kaputt und sagte dann zu uns, dass dies eine sehr gute Idee
von mir war, um diese Strolche loszuwerden. Er würde sich das
merken und diesen Tipp an andere Touristen weitergeben, damit
die ihre Ruhe hätten.
Ich bereiste auch Algerien und Marokko. Marokko gefiel mir
sehr gut, Algerien war auch teilweise sehr schön, aber die
politische Situation damals zwang mich, das Land schleunigst
wieder zu verlassen. Es war einfach traurig.
Im Großen und Ganzen muss ich sagen, die Situation der Frauen
ist nach der Jasmin-Revolution in Tunesien vielleicht, und
dies sage ich mit leiser Hoffnung, besser geworden. Aber in
den anderen orientalischen Ländern eben nicht. Die Türkei wird
fundamentalistisch
werden,
mit
einem
verurteilten
Volksverhetzer und Islamisten als Staatspräsident, kein
Wunder. In Syrien geht der Punk ab. Im Libanon ist die
Hizbollah die starke Kraft. Wenn ich an diese beiden Länder
denke, bin ich betrübt. Damaskus ist eine tolle Stadt und der
Libanon ein herrliches Land mit einer sehr gebildeten
Französisch sprechenden meist christlichen Elite. Jordanien
sitzt auf dem Pulverfass und Israel genauso. Von der
arabischen Halbinsel möchte ich gar nicht erst reden.
Ägypten wird seine Muslimbrüder bekommen. In Libyen tobt der
Irre immer noch umher.
Und in diesen Ländern sind die Frauen diejenigen, die die
Hauptlast in der Familie tragen.
Der Ausspruch: Eine Frau allein gehört allen, existiert
tatsächlich. Er besagt, dass eine Frau ohne Mann oder
männlichen Schutz ein Nichts ist, mit der man machen kann, was
man will.
Die Frauen dort definieren sich nur dann als vollwertige Frau,
wenn sie mindestens ein Kind geboren haben, wenn möglich,
einen Sohn. Im Nahen Osten wird die Frau immer mit dem
Vornamen ihres ältesten Sohnes angesprochen – es ist eine Form
der Ehrerbietung. Wie z. B.: Die Frau von Hassan xy hat einen
Sohn mit Namen Abdul, dann heißt die Frau nicht Frau
xy
sondern Umm Abdul, also Mutter des Abdul.
In der Familie hat die Frau zu dienen, auf türkisch vazife.
Erst dem Ehemann, dann den Schwiegereltern vor allem der
Schwiegermutter, dann den Schwestern des Mannes und den
Brüdern also der ganzen Sippschaft des Ehemannes. Sie muss den
ganzen Haushalt schmeißen, denn dazu ist sie da. Dafür hat sie
den lebenslangen Schutz ihrer Sippe. Wehe sie verliert ihn,
dann ist sie verloren und wird von der Gesellschaft geächtet.
Jeder kann also mit ihr machen was er will. Viele Frauen sind
deswegen in die Prostitution hineingeraten aufgrund dieser
patriarchalischen Familienstruktur, die keine Gnade kennt. Nur
Ehre, lebenslanger Dienst an der Familie und Gehorsam. In den
Moscheen wird das immer wieder gepredigt. Die gehorsamen
Frauen behaltet und beschützt sie, aber die Widerborstigen,
jagt sie davon!
Ich habe viele traurige Gesichter im Nachtleben von Istanbul
gesehen und konnte darin lesen wie in einem Buch. Mit vielen
bin ich ins Gespräch gekommen und mit einigen bin ich noch
heute eng befreundet. Ich denke, es wird noch lange dauern,
bis die Türkei und auch der Orient den Humanismus und
Laizismus als selbstverständlich annehmen wird. Die jetzige
Entwicklung sagt nichts Gutes voraus.
Einen lieben Gruß an Kantomas-Kardesim. Istanbulu dinliyorum,
Gözlerim kapali.
Die Meinung des Gastautors muss nicht der Redaktionsmeinung
entsprechen.
Titelillustration von Azrail