sis-februar2013_pittsburgh

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***080_081_Reise:Programm
23.01.2013
14:46 Uhr
Seite 80
reise
What a feeling
Vor 30 Jahren tanzte sich Jennifer Beals
durch den Kultfilm „Flashdance“. Robert
Niedermeier erkundet die Originalschauplätze in Pittsburgh
„Flashdance“, USA
1983, CIC Video/Paramount Home Ent.,
Regie: Adrian Lyne
Weitere Infos:
visitpittsburgh.com
pittsburghpride.org
80 siegessäule 02|2013
• „All alone I have cried silent tears full of pride“, singt Irene Cara
in dem von Disco-Pionier Giorgio Moroder komponierten Welthit
„Flashdance – What a Feeling“ – der Titelsong des Films mit der
damals erst 19-jährigen Jennifer Beals. Aus der gedoubelten Tänzerin ist inzwischen eine lesbische Alpha-Frau geworden – als Hauptdarstellerin von „The L Word“. Auch ich habe mitgesungen und
identifizierte mich mit der jungen Alex Owens im Arbeiter-Outfit, die
vor der Kulisse der Stahl- und Kohlestadt Pittsburgh ihren Traum von
einer professionellen Tanzkarriere wahr macht. Heute stehe ich
genau an jenem Ort, an dem sie mit einem kleinen Kätzchen spielt,
bevor sie auf ihrem Fahrrad weiterfährt zur Arbeit. Damals wie heute
bestimmt roter Backstein die Architektur im Strip District von
Pittsburgh. Ich gehe auf die St.-Stanislaus-Kirche zu, und als ich die
Straße mit den vielen Läden überquere, eröffnet sich das gleiche
Panorama auf die Skyline in Downtown wie im Kinofilm.
„Flashdance“ beginnt mit einer Szene, in der Jennifer Beals am
Allegheny Krankenhaus vorbei, die James Street entlang und den
Hochhäusern von Pittsburgh entgegenradelt. „In einer Welt,
erschaffen aus Stahl und Stein“, heißt es im Titelsong, und die
poetische Zeile beschreibt treffend, dass Steinkohle den Aufstieg
Pittsburghs zur Stahlstadt befeuerte.
Schon kurz nach dem US-Kinostart im Februar 1983 schloss das
letzte Stahlwerk am Ohio River, und die 300.000-Einwohnerstadt
erlebt ihren Niedergang just, als Jennifer Beals dank ihres
Hollywood-Debüts zum Star emporsteigt. Inzwischen hat Pittsburgh
den Strukturwandel gut überstanden. Schwarzer Ruß schwängert
die Luft längst nicht mehr. Vielmehr steigt der Duft von frisch gebackener Pizza in meine Nase und die Auslagen der Geschäfte sind
mit exotischen Früchten reichlich befüllt. Finanz- und Gesundheitsdienstleistungsunternehmen und Robotikfirmen haben die
Luftverschmutzer abgelöst. Die Zentrale des weltbekannten
Ketchup-Herstellers Heinz steht nach wie vor im Stadtzentrum,
doch die im Film für Alex so wichtige Tanz-Universität suche ich
vergebens, die hat es in Wirklichkeit nie gegeben.
Mit dem Taxi fahre ich Richtung Central Northside, vorbei an
einem hundert Jahre alten Industriegebäude, in dem 1994 das
Andy Warhol Museum eröffnete. Auch das bereits Mitte der 70erJahre im damals verrufenen Stadtteil Central Northside errichtete Mattress Factory Museum lockt Besucher an. Es liegt in dem
Quartier, wo in „Flashdance“ Alex Owens’ Wohnhaus steht. Der
als Arbeitersiedlung errichtete Stadtteil befand sich bereits in
den 80ern im Wandel. Je mehr Arbeiter ihre Jobs in der Schwerindustrie verloren hatten, desto billiger wurden die Mieten.
„Danach haben sich junge Kreative dort angesiedelt“, erklärt
Peter J. Karlovich. „Viele von ihnen waren lesbisch oder schwul“,
weiß der gesellige Pittsburgher, der mit einer Software-Firma zum
Multimillionär avanciert ist. Der Schatzmeister der hiesigen PrideOrganisation lobt den Strukturwandel, den Pittsburgh in den letz-
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FOTO: ISTOCKPHTO.COM/VENI (1), ROBERT NIEDERMEIER (2,3)
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Foto oben: Die 82-jährige Margaret Sommerer
arbeitet seit vielen Jahren im Souvenirladen
der Schienenseilbahn
von Pittsburgh
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WLAN kostenlos,
Shuttle Service,
Bahnhof, ÖPNV, Zentrum,
Szeneviertel KTV fußläufig
erreichbar u.v.m.
Das Hotel an der Stadthalle
Platz der Freundschaft 3 - 18059 Rostock
Tel. 0381/4445666 - www.sommerluft.de
ten 30 Jahren bewältigen konnte. „Heute finden Studienabgänger aus New
York oder Philadelphia Jobs im Kultursektor von Pittsburgh, das stärkt auch
die Gay-Community meiner Heimatstadt“, sagt er beim Dinner im Restaurant Grand Councourse. Inmitten der historischen Bahnhofshalle/Halle der
Square Station zeigt er mir genau den Restaurantstuhl, auf dem die unbedarfte Alex in einer „Flashdance“-Szene versucht, einen Hummer zu
verspeisen. Auch er liebt den Film – und seinen Titelsong, der in den drei
Gay-Lokalen, die er sein eigen nennt, regelmäßig gespielt wird. Für den
Song heimste Giorgio Moroder übrigens einen Musik-Oscar ein. Jennifer
Beals zeigt indes im Musikvideo ebenso wie im Film von künstlichem
Arbeiterschweiß benetzte Haut.
Am Rande von Downtown überquere ich die Kreuzung von Liberty Avenue
und Wood Street, wo der tanzende Verkehrspolizist im Film gute Laune
verbreitet. Der 2010 im Alter von 92 Jahren verstorbene Polizist Vic Cianca
war übrigens echt und zum Zeitpunkt des „Flashdance“-Drehs tatsächlich
für seine außergewöhnlichen Moves überregional bekannt.
Margarete Sommerer kannte ihn persönlich. Die betagte Lady ist so
etwas wie das Maskottchen der Duquesne-Schienenseilbahn am Ufer des
Monongahela River. Auch ich fahre, wie Alex, mit der Schienenseilbahn,
blicke hinab auf die Stadt, wo die beiden Flüsse in den mächtigen Ohio münden. Margarete, die im Souvenirshop an der Bahnstation arbeitet, zeigt mir
alte Bilder, die Pittsburgh als kohlenschwarzen Industriemoloch zeigen: „Je
nach Windrichtung war es auch tagsüber stockfinster“, erinnert sie sich und
verrät mir ein „Flashdance“-Geheimnis: Eine Szene kann gar nicht auf der
nördlichen Sixth Bridge gedreht worden sein, wie es der Filmschnitt suggeriert. Die Sonne geht schließlich im Osten auf, deshalb wurde hier unten am
Monongahela auf der Smithfield-Street-Brücke gefilmt.“ Robert Niedermeier
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