Untersuchungen zu Bearbeitungen des Päpstin-Johanna

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Untersuchungen zu Bearbeitungen des Päpstin-Johanna
Katharina Kirchhoff
Untersuchungen zu Bearbeitungen des
Päpstin-Johanna-Stoffes
unter besonderer Berücksichtigung der
englischsprachigen Literaturen
und Autorinnen
Universität Konstanz — Fachgruppe Literaturwissenschaft
Konstanzer Online-Publikations-System (KOPS)
URL: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-138951
Katharina Kirchhoff
Untersuchungen zu Bearbeitungen des
Päpstin-Johanna-Stoffes
unter besonderer Berücksichtigung der
englischsprachigen Literaturen
und Autorinnen
Universität Konstanz
Fachgruppe Literaturwissenschaft
Als Magisterarbeit eingereicht im März 2002
Prof. Dr. Sylvia Mergenthal (1. Prüferin)
PD Dr. Ulrike Landfester (2. Prüferin)
Diese Arbeit wurde im Rahmen des
»Anreizsystems zur Frauenförderung« von der Universität Konstanz unterstützt.
INHALT
3
1. EINLEITUNG
2. SECHS AUTOREN ZU PÄPSTIN JOHANNA
2.1 Ältere Formen und Variationen der Päpstin-Legende
2.2 Giovanni Boccaccio, »De claris mulieribus«
7
7
11
2.3 Dietrich Schernberg, »Ein schoen Spiel von Frau Jutten«
15
21
2.4 Elkanah Settle, »The Female Prelate«
28
2.5 Achim von Arnim, »Die Päpstin Johanna«
39
2.6 Emmanuil Rhoidis, »Päpstin Johanna«
3. SECHS AUTORINNEN ZU PÄPSTIN JOHANNA
3.1 Renée Dunan, »La papesse Jeanne«
48
50
3.2 Caryl Churchill, »Top Girls«
3.3 Emily Hope, »The Legend of Pope Joan«
57
Exkurs – Mythos in der feministischen Literatur
65
3.4 Sara Maitland, »The Dreams of the Papess Joan«
68
3.5 Banuta Rubess, »Pope Joan«
71
74
3.6 Donna Woolfolk Cross, »Pope Joan«
4. RESÜMEE
85
5. LITERATUR
86
Primärtexte und Quellen
Forschungsliteratur
86
86
2
48
1. EINLEITUNG
Der Topos eines weiblichen Papstes, der im 9. Jahrhundert für die Dauer von
etwas mehr als zwei Jahren auf dem Stuhle Petri gesessen haben soll, blickt auf
eine lange literarische Tradition zurück. Der Stoff zieht sich seit dem 14. Jahrhundert quer durch alle Epochen und Literaturgattungen, wobei es Kernelemente der Legende gibt, die, wenig abgewandelt, in fast allen Bearbeitungen wiederkehren. Diese Kernelemente sind große Weltläufigkeit und Gelehrtheit der Päpstin, ihre Papstwahl, die Geburt eines Kindes und Tod oder Verschwinden infolge dessen. Die Annahme liegt nahe, dass die Legende ursprünglich mündlich
tradiert wurde.1 Aus den ersten schriftlichen Zeugnissen lässt sich somit zwar
eine zentrale Aussage der Legende rekonstruieren, welche der dort wiedergegebenen Inhalte jedoch der mündlichen Tradition entstammen, und welche von
diesen ersten Chronisten hinzugefügt wurden, ist kaum nachvollziehbar. Daraus
entsteht eine problematische Einschätzung des Stoffs.
Da alle Texte von Anfang an von der außergewöhnlich hohen Bildung, den
rhetorischen Fähigkeiten und der großen Beliebtheit der Päpstin sprechen,
könnte es sich in nuce um eine Variation der Legende der heiligen Katharina gehandelt haben, eine Legende von einer gelehrten Frau, die kraft ihrer Intelligenz
gegen konkurrierende Männer besteht. Ihr Tod allein, auch wenn es ein gewaltsamer ist, spricht nicht gegen eine positive Lesart, da der Tod am Ende vieler
Helden-, Heiligen- und Märtyrergeschichten steht.2 Die ersten Texte sind allerdings schon nicht mehr in diese Richtung lesbar, da sie oft mit moralisierenden
Zusätzen versehen sind, die Frauen vor einem ähnlichen Schicksal wie dem der
Päpstin Johanna warnen wollen, also auch vor einer ähnlichen Vermessenheit, es
zu wagen, in eine Männerdomäne, wenn nicht die Männerdomäne, eindringen
zu wollen.
Aber auch wenn ein solch expliziter Zusatz fehlt, ist die Ausrichtung tendenziell negativ. Ihr Tod hat nichts heldenhaftes, er dient vielmehr als Bestrafung
für den Betrug, den sie mit ihrer Verkleidung als Mann an der Kirche und dem
Volk begangen hat. Neben dieser negativen Grundaussage wurde die Figur der
Päpstin, deren Name besonders in den frühneuzeitlichen Texten noch variiert,
seit dem 18. Jahrhundert jedoch generell mit Johanna benannt wird, in den verschiedenen Jahrhunderten und unter den verschiedensten soziokulturellen Bedingungen auf unterschiedlichste Art und Weise besetzt und instrumentalisiert.
Diente die Geschichte der Päpstin anfänglich in erster Linie der warnenden Dar1
2
Meine Untersuchung gilt nicht der Päpstin-Johanna-Legende als Gattung, sondern dem Stoff,
wie er in der Legende zur Darstellung gekommen ist. Ziel dieser Arbeit ist deshalb keine formale Märchen- oder Mythosanalyse im Sinne Wladimir Propps oder Claude Lévi-Strauss’,
sondern eine stoffgeschichtliche Analyse der Päpstin-Johanna-Legende.
Vgl. hierzu Erhard Dorns Untersuchung zu den ›sündigen Heilige in der Legende des Mittelalters‹, wo nachgewiesen wird, dass sich viele Heilige vor ihrer Buße der unterschiedlichsten
Fehltritte und Tabubrüche schuldig gemacht haben. Dazu zählen Teufelsbündler, Buhlerinnen
und Buhler, Blutschänder, Räuber und (Vater-)Mörder. Signifikant ist auch der Fall der Jeanne
d’Arc oder Jungfrau von Orléans, deren Legende Parallelen zur Päpstin Johanna aufweist. Sie
gelangt durch ›cross-dressing‹ in eine Männer-Position, die des Heerführers, und wird als
Ketzerin verbrannt; allerdings ist Jeanne heute die Nationalheilige Frankreichs, nachdem sie
1920 von der katholischen Kirche heiliggesprochen wurde (dazu ausführlich Wienker-Piepho).
3
stellung dessen, was geschehen kann, wenn eine Frau männliche politische und
geistige Gewalt gegenüber Männern ausübt, so erfuhr die Figur während der
Reformation eine erste grundlegende Neuinterpretation. Von der generellen
Gleichsetzung der Römischen Kirche mit der großen Hure Babylon ausgehend
(vgl. Offenbarung 17), wurde die Legende von der Päpstin dankbar als weiteres
Argument gegen die katholische Kirche aufgegriffen. So kam eine Identifizierung der babylonischen Hure mit der mulier papa zustande.
Viele dieser Bearbeitungen zeichnet ein anekdotischer, häufig sarkastisch-satirischer Charakter aus, der oft mit stark sexuellen Konnotationen angereichert
ist und die Päpstin als Monstrum darstellt. Monströs wirkt sie dabei nicht nur
durch ihr biologisches Geschlecht, das sie unter Männerkleidung versteckt, und
durch ihre Bildung, die stets die der mit ihr konkurrierenden Männer übertrifft,
sondern oft auch durch eine extrem promiskuitive Sexualität, die sie letztendlich
zu Fall bringt. Die Figur der Päpstin macht sich so einer Vielzahl von Tabubrüchen schuldig. Zu allererst handelt sie durch ihre bloße Verkleidung als
Mann gegen alttestamentarische Vorschrift, in Luthers Worten: »EJn Weib sol
nicht Mans gerete tragen / vnd ein Man sol nicht Weiberkleider anthun / Denn
wer solchs thut / der ist dem HERRN deinem Gott ein Grewel.« (5. Mose 22, 5).
Dieser erste Tabubruch wird durch ihr ›unnatürliches‹ Streben nach ›männlicher‹ Bildung und die Tatsache, dass sie diese auch in hohem Maße erlangt,
verstärkt. Der Schritt nach Rom und ihre Erhebung auf den Stuhl Petri ist, von
diesem orthodoxen Standpunkt aus betrachtet, die ultimative Vermessenheit,
derer sich eine Frau schuldig machen kann. Sie handelt nicht nur wider die gesellschaftlichen Normen, sondern auch gegen den Willen Gottes, dem sie bereits
durch ihre Maskierung zum Greuel geworden ist. Viele Texte schieben hier
explizit ein Eingreifen Gottes ein, der solche Blasphemie nicht auf sich beruhen
lassen kann. Die Besteigung des heiligen Stuhls wird ebenso häufig auf einen
Teufelsbund zurückgeführt, den die Päpstin eingegangen ist, um an ihr Ziel zu
gelangen, womit sie ihre Schuldigkeit absolut macht. Die Promiskuität, derer sie
in vielen Texten bezichtigt wird, geht oft einher mit einer allgemeinen Kritik an
der Römischen Kirche und dem Zölibat, zielt oft jedoch eindeutig auf die Brisanz ihrer männlichen Verkleidung und ihres weiblichen Geschlechts, das sich
darunter verbirgt, ab und wird durch die Gleichsetzung von weiblicher Gelehrsamkeit und ›unnatürlichem‹ Geschlechtstrieb erweitert. Die Romantik bildet
eine gewisse Ausnahme und kennzeichnet eine kurze Abkehr von solch einseitig
negativer Beschreibung der Päpstin. Dieser Ansatz gewinnt jedoch keinen weiterreichenden Einfluss auf die Päpstinliteratur und bis ins frühe 20. Jahrhundert
hinein bleibt sie Vehikel für Kirchenkritik und/oder Obszönität.
Seit Ende der 1970er Jahre bildet sich die Tendenz heraus, dass sich hauptsächlich Autorinnen der englischsprachigen Literaturen mit der Päpstin auf
literarischer Ebene beschäftigen.3 Ich spreche hier bewusst von Tendenz, da es
natürlich auch Ausnahmen zu dieser Regel gibt. In Bezug auf die von mir im
Rahmen dieser Arbeit untersuchten Texte ist eine Grundströmung zu beobachten. Einerseits enthalten sie viele der zentralen Elemente der Legende, die sich
3
Auf theoretischer Ebene gab es in den letzten Jahren von AutorInnen aus verschiedenen Ländern Untersuchungen zu diesem Thema; diese würden jedoch eine eigenständige Behandlung
erfordern und sollen im Rahmen dieser Arbeit lediglich zitiert werden, sofern sie relevant sind.
4
bereits in der männlichen Erzähltradition herauskristallisiert haben. Andererseits nehmen die Autorinnen eine mal stärker, mal schwächer ausgeformte Reinterpretation4 der Legende vor, die das Hauptziel verfolgt, die der Figur der
Päpstin anhängende Monstrosität zu zerstören und eine ehedem einseitig negative in eine differenzierte Charakterisierung umzuformen. Manchen Autorinnen
versuchen dabei, aus der ehemaligen Hure Babylon eine feministische Heldin
oder Leitfigur zu entwerfen. Betrachtet man die bis zu diesem Zeitpunkt fast
ausschließlich männliche Erzähltradition der Legende, wird das Bedürfnis dieser
Autorinnen offenkundig. Eine der großen Bestrebungen der frühen feministisch
orientierten Literatur der 1970er und 1980er Jahre war es, angestammt männliche ›Bilder von Weiblichkeit‹ generell und individueller Frauengestalten im
speziellen einerseits zu entmythisieren, andererseits neu zu interpretieren und
aus einer anderen, möglicherweise ›weiblichen‹ Perspektive zu betrachten.5
Dieses Bedürfnis nach Umformung männlich tradierter Frauenbilder erwächst aus der Tatsache, dass »an der Produktion dieser Bilder […] das weibliche Geschlecht in nur sehr geringem Maße beteiligt [war]: einem großen und
breiten Panoptikum imaginierter Frauenfiguren stehen nur einige imaginierende
Frauen gegenüber.«6 In Bezug auf die Darstellungen der Päpstin Johanna in der
Literatur bedeutet das, dass ihre Charakterisierung tatsächlich bis in die letzten
Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts ausschließlich durch eine männliche Erzähltradition gebildet wurde. Die wenigen Schriftstellerinnen jedoch, die auf die Figur
der Päpstin stießen, behandelten sie entweder der männlichen Tradition entsprechend oder entschlossen sich gegen eine Thematisierung der Legende. Im
ersten Fall spielt die weibliche Autorschaft keine weiterreichende Rolle, da sie
keine von der allgemeinen Sicht abweichende Perspektive erschließt und lediglich die männliche Deutung der Legende reformuliert. Diesen Umstand werde
ich am Beispiel Renée Dunans, einer Autorin aus den 1930er Jahren, schildern.
Die bewusste Umgehung der Legende von der Päpstin jedoch spricht davon,
diese durch eine lange, einseitig negative Interpretation belegte Figur nicht positiv umdeuten zu können. Dies geschah am augenscheinlichsten im Fall von
Christine de Pizans »Das Buch von der Stadt der Frauen« (1404/1405), das sich
unter anderem stark an Boccaccios »De claris mulieribus« orientiert. Boccaccio
stellt in seiner Sammlung berühmter Frauengestalten die Päpstin vor; de Pizan
verzichtet darauf, sie aufzunehmen, obwohl das Ziel ihres Buchs darin besteht,
»den Frauen ihrer Zeit […] Mut zu machen, ihnen Selbstbewusstsein einzuflößen, indem
sie auf große Frauenfiguren der Bibel, der Geschichte und der Mythologie verweist; sie
möchte die Frauen ferner dahin bringen, eine eigene, das heißt: nicht-fremdbestimmte
Vorstellung von sich selbst, von der Bedeutung des weiblichen Geschlechts zu entwickeln.
Und schließlich macht Christine den Versuch, ›korrigierend‹ in die geschichtliche
Überlieferung einzugreifen, diffamierenden Vorstellungen von bestimmten Frauengestalten
(etwa von Sappho oder Xanthippe) den Garaus zu machen.«7
4
5
6
7
Vgl. Lindhoff. S. 10–17 zum Konzept feministischer ›Relektüre‹ und ›Reinterpretation‹ vormals männlich perspektivierter Erzählmuster und Stoffe.
Die Gefahr der wiederholt dualistischen Remythisierung, die bei derartigen Lesarten besteht,
wird noch Thema des Exkurses zum Thema Mythos und Feminismus sein.
Bovenschen, S. 12.
Margarete Zimmermann im Vorwort zu De Pizans Das Buch von der Sadt der Frauen, S. 17.
5
Eine andere Erklärung für die Leerstelle bei de Pizan ist womöglich die Tatsache, dass ihr eine Figur wie die Päpstin nicht als Vorbild geeignet schien, da sie
selbst die ›diffamierende Vorstellung‹, die über den weiblichen Papst herrschte,
teilte und nicht die Unmöglichkeit, sondern vielmehr der Unwille zur Umdeutung dafür sorgte, dass die Legende der Päpstin Johanna von de Pizan unbehandelt blieb.
Der Zeitpunkt der verstärkten, oder beinah ausschließlichen Beschäftigung
mit der Legende der Päpstin Johanna seitens weiblicher Autorinnen, die an
deren Umdeutung und Reinterpretation schreiben, deutet auf einen, zumindest
hypothetisch annehmbaren Zusammenhang mit der frühen Frauenforschung allgemein und der feministischen Literaturwissenschaft im speziellen. Dieser
Aspekt wird, neben anderen, im Rahmen der einzelnen Textinterpretationen
von Belang sein.
Es ist mir natürlich nicht möglich, an dieser Stelle einen kompletten Überblick über die Rezeptionsgeschichte der Päpstin Johanna zu geben.8 Aus diesem
Grunde habe ich einige zentrale Texte ausgewählt, die die eingangs aufgestellten
Thesen über den Wandel der Darstellung der Päpstinfigur illustrieren sollen. Somit werde ich mit einer kurzen Darstellung der ersten Texte beginnen (wobei in
diesem Fall die Grenze zwischen fiktionalem und non-fiktionalem Text bereits
Interpretationssache ist) und dann im zweiten Teil in chronologischer Reihenfolge sechs Texte unterschiedlichster Ausrichtung und Zielsetzung der männlichen Erzähltradition diskutieren. Der dritte Teil der Arbeit dient der Untersuchung und Diskussion von sechs Bearbeitungen weiblicher Autorinnen, wobei
ebenfalls ihre unterschiedlichen Ausrichtungen, so sie eine solche aufweisen
können, analysiert werden. Bei den inhaltlichen Darstellungen und Interpretationen der einzelnen Texte werde ich auf zwei Dinge eingehen. Zum einen auf
besagte Kernelemente der Legende und wie sie jeweils von Text zu Text variieren, unterschiedlich gedeutet und instrumentalisiert werden. Zum anderen auf
die Präsentation der Hauptfigur. Speziell in Hinblick auf den zweiten Teil der
Arbeit ist es von größtem Interesse, Spuren der alten, männlichen Tradition in
den Werken der neuen, weiblichen Auseinandersetzung mit der Figur der Päpstin nachzuweisen und zu beobachten, ob aus den traditionellen Eckpunkten
einer Legende ein neues Bild entstehen kann.
8
An dieser Stelle seien exemplarisch noch einige weitere prominente Beispiele literarischer Behandlung des Päpstin-Johanna-Stoffs in chronologischer Reihung angeführt: Martin Le Francs
»Le Champion des Dames« (1530), Thomas Murners Satiren in der »Badenfahrt« (1514) sowie
der »Geuchmatt« (1519), Hans Sachs’ »Historia von Johane Anglica, der Bäpstin« (1558),
Alexander Cookes »Dialogue between a Protestant and a Papist« (1625), Pierre Légers »La
Papesse Jeanne« (1793), Stendhals »Promenades dans Rome« (1830), Friedrich W. Bruckbräus
»Der Papst im Unterrocke« (1832), Adolf Bartels’ »Die Päpstin Johanna« (1905), Alfred Jarrys
»Le Moutradier du pape« (1907; Jarry übersetzte auch Rhoidis’ »I Papissa Ioanna« 1908 ins
Französische), Rudolph Borchardts »Die Päpstin Johanna. Ein dramatisches Gedicht. Teil I,
Verkündigung« (1920), Bertold Brechts »Päpstin Johanna« (Entwurf von 1922), Claude
Pasteurs »La Papesse« (1983) oder sein »Le Manuscrit d’Anastase« (1986). Hinzu kommen
freilich noch Anspielungen wie in Italo Calvinos »Il castello dei destini incrociati« (1973) oder
auch in David Lodges »Small World« (1985), wo der Stoff dergestalt aufgenommen wird, dass
eine Angelica Papst die Männerdomäne der akademischen Welt stürmt, während ihre Zwillingsschwester Lily sich als Striptease-Tänzerin und Pornodarstellerin prostituiert.
6
2. SECHS AUTOREN ZU PÄPSTIN JOHANNA
Ältere Formen und Variationen der Päpstin-Legende
Gemäß dem heutigen Forschungsstand gibt es unter den ersten Texten, die die
Päpstin Johanna erwähnen, zwei inhaltliche Strömungen, von denen sich nur
eine als rezeptionshistorisch wichtig herauskristallisiert hat. Im Sinne Genettes
ließe sich so von einem ›Hypotext‹ sprechen, zu dem sich die von mir besprochenen Texte als ›Hypertexte‹ verhalten.
Bei den beiden ersten Quellen zur Existenz eines weiblichen Papstes, von
deren Echtheit man ausgeht, die also nicht im nachhinein interpoliert sind,9 handelt es sich um einen Passus aus der Chronica universalis Mettensis des Dominikaners Jean de Mailly aus der Mitte des 13. Jahrhunderts und einer daran anknüpfenden erweiterten Version aus dem Jahr 1261 von Etienne de Bourbon,
ebenfalls ein Dominikaner. Beide Chronisten siedeln die Päpstin jedoch erst im
11. Jahrhundert an und liefern nur wenige der später zentralen Punkte. De
Mailly erwähnt jedoch bereits die große Begabung der papissa und die Kindsgeburt, die ihr wahres Geschlecht enthüllt habe, welche jedoch beim Reiten eingetreten sei. Die Päpstin kommt hier zu Tode durch Schleifen und Steinigung und
wird an der Stelle, wo sie stirbt, begraben. Es gebe an dieser Stelle eine Inschrift,
die an dieses Ereignis erinnere, und hier taucht bereits der sich aus sechs alliterierenden ›P‹ zusammensetzende Satz auf, der in fast jeder Version anders interpretiert wird.
Bei de Mailly lautet er: »Petre, pater patrum, papisse prodito partum«, also
»Petrus, Vater der Väter, du sollst das Gebären der Päpstin verraten«10. De
Bourbon übernimmt die Version im Kern und fügt sowohl eine Intervention des
Teufels hinzu, mit dessen Hilfe die Frau zum Papst gewählt worden sei, als auch
einen moralisierenden Schlusssatz, der da heißt: »Ecce ad quem detestabilem
finem ducit tam temeraria praesumptio«, also »Seht, zu welch verabscheuungswürdigem Ende eine so unbesonnene Vermessenheit führt«11. Auch de Bourbon
bringt die sechs ›P‹, allerdings in abgeänderter Form. Bei ihm steht nun auf
einem Stein auf dem Grab der papissa: »Parce, pater patrum, papissae prodere
partum.«, also »Hüte dich, Vater der Väter, das Gebären der Päpstin zu
verraten.«12
Als Zwischenstufe zwischen diesen beiden ersten Quellen und der Version,
von der sich als ›Hypotext‹ so gut wie aller nachfolgenden Bearbeitungen
9
10
11
12
Quellen, bei denen man heute davon ausgeht, dass sie im nachhinein um die Person der Päpstin
erweitert wurden, sind beispielsweise die Chronik des Marianus Scotus aus dem 11. Jahrhundert oder die Chronographia von Sigebert von Gembloux, vgl. Gössmann, S. 51ff. Allein die
Tatsache, dass die Texte von de Mailly, de Bourbon und Polonus nicht interpoliert sind, sagt
jedoch noch gar nichts über ihre historische Verlässlichkeit aus. Schließlich besteht eine Zeitspanne von mehreren hundert Jahren zwischen diesen Quellen und der angenommenen
Amtszeit der Päpstin.
Zitiert nach Gössmann, S. 25.
Ebd., S. 27.
Ebd.
7
sprechen ließe, gilt ein Passus aus der Chronica minor eines Erfurter Franziskaners aus der Zeit zwischen 1261 und 1265, der eine erste Umdatierung vornimmt und das Jahr 897 nennt, in dem ein pseudopapa eingeführt worden sei. Bei
diesem habe es sich um eine durch besondere Schönheit und Weisheit ausgezeichnete Frau gehandelt, die jedoch schwanger geworden sei. Während dieser
Schwangerschaft habe dann im Konsortium vor allen Anwesenden ein Dämon
dem Papst zugerufen: »Papa, pater patrum, papisse pandito partum«, also
»Papst, Vater der Väter, du sollst das Gebären der Päpstin kundtun«.13 Diese
Version endet jedoch an dieser Stelle und erwähnt weder die Niederkunft oder
den Tod der Päpstin. Während vormals die sechs alliterierenden ›P‹ das gebotene Verschweigen und den Verschluss der peinlichen Begebenheit eines weiblichen Papstes zum Gegenstand hatte, wendet sich die Lesart nun in Richtung
Vorahnung und Weissagung durch dämonische Kräfte. Das Element der Weissagung wird in späteren Varianten der Geschichte oft im Rahmen einer Engelserscheinung verarbeitet, bei der die Päpstin vor die Wahl zwischen irdischer
Schande und ewiger Verdammnis gestellt wird. Die Elemente der Erscheinung
und der dämonischen Vorankündigung ihres schändlichen Endes schließen einander jedoch nicht grundsätzlich aus.
Eine neue und den Hauptüberlieferungsstrang darstellende Version, die bereits stark prosahaften Charakter hat, stammt nun von Martinus Polonus, auch
Martin von Troppau, und wird in der dritten Redaktion seiner Papst- und Kaiserchronik aus dem Jahr 1278 überliefert. Sie enthält alle zentralen Elemente,
wie sie noch in den aktuellen literarischen Bearbeitungen enthalten sind. Aus
diesem Grund zitiere ich die Übersetzung von Gössmann in voller Länge:
»Nach diesem Papst Leo V. […] habe Johannes Anglicus aus Mainz für zwei Jahre, sieben
Monate und vier Tage den Papststuhl innegehabt und sei in Rom gestorben, worauf einen
einmonatige Sedisvakanz eingetreten sei. Wie man versichere, sei dieser (Papst) eine Frau
gewesen, die als junges Mädchen von ihrem Liebhaber in männlicher Kleidung nach Athen
geführt worden sei und dort in verschiedenen Wissenschaften solche Fortschritte gemacht
habe, daß niemand ihr gleichkam. Später habe sie in Rom das Trivium gelehrt und berühmte
Lehrer als Schüler und Hörer gehabt. Da sie in der Stadt Rom wegen ihrer Lebensführung
und Gelehrsamkeit großes Ansehen genossen habe, sei sie einstimmig zum Papst gewählt
worden, und da sie die Zeit der Geburt nicht gewußt habe, sei sie auf dem Weg von St.
Peter zum Lateran zwischen Kolosseum und Klemenskirche von den Wehen überrascht
worden und habe (ein Kind) geboren. An der gleichen Stelle sei sie gestorben und, wie man
sage, auch begraben worden. Da der Papst aber diesen Weg immer meide, würde man
glauben, daß dies aus Abscheu vor dem Ereignis geschehe. (Sie) werde auch nicht in den
Katalog heiliger Päpste aufgenommen, da dem weiblichen Geschlecht in dieser Hinsicht
eine Deformität zukomme.«14
Neben der genauen zeitlichen Einordnung nach Papst Leo (den Polonus jedoch
als den V., statt des IV. anführt) und der genauen Dauer ihrer Amtszeit, führt
diese Version auch den Namen und die Herkunft der Päpstin ein. Des weiteren
gehen somit auf Polonus die Reise mit dem Liebhaber nach Athen zu Studien13
14
Ebd., S. 29.
Ebd., S. 33f.
8
zwecken zurück, ebenso die bereits dort geschehene Verkleidung als Mann, die
Niederkunft aus Unkenntnis über den genauen Zeitpunkt der Geburt, die
Niederkunft selbst und deren Ort, jene Gasse, die seitdem von der päpstliche
Prozession gemieden wird.
Abb. 1
Die sedes stercoraria (aus Boureau, S. 58)
Das Argument, die Päpstin sei aufgrund ihrer deformierenden Weiblichkeit in
keinen offiziellen Aufzeichnungen zu finden, dient hier in erster Linie der
eigenen Absicherung, wurde jedoch in den folgenden Jahrhunderten von Befürwortern der Historizität der Päpstin als Beweis für ihre Existenz gewertet.15
15
Generell ist das eine der signifikantesten Tendenzen im Streit um die Wahrheit hinter der Legende. Sowohl Gegner als auch Befürworter bedienen sich stets derselben Argumente, die je-
9
Polonus erwähnt die sechs alliterienden ›P‹ nicht, was spätere Autoren jedoch
nicht daran gehindert hat, sie in der ein oder anderen Form in ihre Erzählungen
einzubauen und somit auf die Versionen von de Mailly, de Bourbon und dem
namenlosen Franziskaner zurückzugreifen.
Neben diesen ersten Textzeugnissen der Legende um die Päpstin Johanna
gibt es noch ein anderes ›Beweismittel‹, welches bereits seit der frühen Neuzeit
das Herzstück fast jeder Päpstindichtung ist: die sedes stercoraria, wörtlich übersetzt Kotstuhl (vgl. Abb. 1). Bei diesem Stuhl handelt es sich um einen marmornen Sessel, der in der Mitte ein Loch hat. Einer dieser Sessel existiert bis
heute im Vatikanmuseum, ist allerdings nicht in der regulären Ausstellung zu
sehen.16 Um diesen Stuhl ranken sich immer noch ebenso viele Mythen wie Erklärungsversuche,17 zentraler Punkt dabei ist, dass sich angeblich nach dem
Skandal um den weiblichen Papst alle neugewählten Päpste einer Testikelschau
unterziehen, also auf diesem Stuhl sitzend ihr Geschlecht überprüfen lassen
mussten.18
16
17
18
weils entsprechend der Ausrichtung gelesen und interpretiert werden. Ich werde im Rahmen
dieser Arbeit nicht näher auf den Historizitätsstreit eingehen, da es für meine Untersuchung
der literarischen Bearbeitungen dieses Stoffs nicht von Relevanz ist, ob Johanna historisch ist
oder nicht. Lediglich in den Fällen, in denen die entsprechenden AutorInnen mit der Aufnahme der Päpstin deren Existenz zu beweisen versuchen, werde ich gesondert auf diesen Umstand eingehen.
Vgl. Stanford, S. 16ff.
Vgl. beispielsweise Cesare D’Onofrios La Papessa Giovanna, der eine Ähnlichkeit zwischen
den Porphyrstühlen und Geburtstühlen entdeckt haben will, wie sie im Mittelalter und der
frühen Neuzeit verbreitet waren. In seinem Buch sind alle Elemente der Legende um die Päpstin, besonders die, die mit der Stadt Rom in Verbindung stehen, aufgeführt und werden auf
ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft. D’Onofrio verfolgt dabei das Ziel der Widerlegung der
Historizität der Päpstin.
Vgl. auch Fuhrmann, für den die Historizität Johannas ebenfalls ausgeschlossen ist, wo es
heißt: »An die Legende von der Päpstin Johanna hat sich angehängt die Geschichte des sogenannten ›Kotstuhls‹, der sedes stercoraria. Wie dem neuen Papst bei den Krönungsfeierlichkeiten mit dem Verbrennen des Wergbüschels die Vergänglichkeit der Welt (Sic transit gloria
mundi […]) vor Augen gestellt werden sollte, so auch sein Aufsteigen aus ›Dreck‹ […]. Wahrscheinlich seit Paschal II. (1099–1118) nahm der Papst mit dieser Sinndeutung auf dem ›Kotstuhl‹ Platz; der letzte Papst, der diesen Akt vollzog, war Pius IV. (1560).
10
Giovanni Boccaccio, »De claris mulieribus«
»Über berühmte Frauen«, verfasst 1361–62, ist eine Sammlung chronologisch
geordneter Biographien teils literarischer, teils historisch dokumentierter Frauengestalten. Von Eva bis zur Königin Johanna von Sizilien werden in 106
Kapiteln 104 berühmte Frauen, die im Guten wie im Schlechten für Aufsehen
gesorgt haben, vorgestellt. Das 101. Kapitel handelt von »Johanne Anglica, der
baebstin«.19 Da diese Sammlung einer offensichtlichen Chronologie folgt, d.h.
die Kapitel 3–40 ausschließlich literarische Frauengestalten vorstellen, die übrigen sich jedoch mit historisch dokumentierten Frauen der Antike (Kapitel 41–
100) und des Mittelalters (Kapitel 101–106) befassen, ist es durchaus möglich,
dass Boccaccio von der Historizität der Päpstin Johanna überzeugt war.20
Der Text, der kaum zwei Seiten umfasst, beginnt mit den Worten: »Johannes,
wie wol der nam ains mannes ist, so ward doch ain wyb also genennet. Ain junkfroelin zu Mencz (als etlich sagen), Giliberta gehaissen, lernet in vaetterlicher
wonung von ainem jungen studenten vil der anfeng latinischer kuensten.«
(Boccaccio, S. 302) Da sich zwischen den beiden eine »unordenliche lieby«
entspinnt, entledigt Giliberta sich jungfräulicher Zucht und Scham und flieht
mit ihrem Liebhaber nach England, »wann in jünglings gewand behielt sie den
namen Johannes.« (ebd.) Bald nach ihrer Ankunft stirbt der Buhle, und
Giliberta alias Johannes widmet sich nur noch der Wissenschaft und »wolt fürbas mit kainem andern me unzimliche gemainsamy haben«. (ebd., S. 303) In
kürzester Zeit erlangt sie so viel Wissen, dass sie »für all ander wonder hoch
geachtet ward.« Sie zieht von England nach Rom, hält dort in »offner schul«
Vorlesungen und scheint eines »guten erlichen hailigen lebens« zu führen. Jedermann ist sie als Mann bekannt und auch als solcher anerkannt, bis sie schließlich
nach dem Tod Papst Leos von den Kardinälen einstimmig zu dessen Nachfolger
erwählt und Johannes der Achte genannt wird.
Giliberta hat keinerlei Skrupel oder Angst, »den stul desz fischers zebesiczen«, obwohl dies doch keiner Frau je gestattet ist. So regiert sie einige Zeit,
bis sich Gott selbst genötigt sieht, ihrem Tun Einhalt zu gebieten, denn das
Volk sei »in grossem irrsal von ainem wyb betrogen« worden und Gott »wolt
soelchen gewalt lenger nit in ieren henden lassen.« Die Päpstin soll nun von
demselben Teufelsrat, der ihr auch schon die »truczlikait« eingegeben hatte, mit
der sie den Stuhl Petri bestiegen hatte, so mit Wollust erfüllt werden, dass »ir
alle künst, die sie gnugsamglich hette das babsttum ze erwerben, nit hilflich syn
mochten« und sie infolge dessen schwanger würde, wodurch sie als Frau enttarnt und so gestraft sei. Eines Tages, nachdem sie die Messe gelesen hat und
sich nun auf dem Weg zwischen Kolosseum und »desz babsts Clemens alten sal«
befindet, gebiert sie »vor allem volk on hilf der hebamen« ihr Kind. Daraufhin
19
20
Die bis heute einzige, leicht zugängliche, deutsche Ausgabe ist eine Reproduktion aus dem
Jahr 1895, die auf der Übersetzung von Heinrich Steinhöwel aus dem Jahr 1473 basiert.
Vgl. Gössmann, die in Bezug auf die Päpstin-Texte des ausgehenden Mittelalters und der Frührenaissance von einem »Nebeneinander von schwerer Belastung und naiver Akzeptanz« (S. 66)
spricht.
11
wird sie »von den gewaltigen in die ussern fynsternusz geworfen und vergieng
sie mit dem kind in der Insel.« (ebd., S. 304) Seit dieser Zeit machen Päpste und
Volk bei »gemainen krüczgeng« einen Umweg um die Stelle, an der sich das Beschriebene zutrug, »die süntlichen stat ze verfluchen«.
Abb. 2
Illustration zu Bocaccios »De claris mulieribus«, Ulm 1473
(aus Boureau, S. 334)
Zentral für den Niedergang Johannas bzw. Gilibertas ist bei Boccaccio vor allen
Dingen die Tatsache, dass sie sich über die herrschende Ordnung der Geschlechter einerseits und die der Kirche andererseits erhoben hat und mit
Ehrgeiz und Hochmut die ihr als Frau nicht zustehende Position auf dem Stuhl
12
Petri eingenommen hat. Dieses Verhalten sei nur durch Teufelwerk zu erklären
und bedürfe des direkten Eingreifens Gottes. Neben der offensichtlichen ›Verteufelung‹ der Päpstin hat dieses Argument aber auch die Entlastung derer zur
Folge, die sich von Gilibertas Maskierung haben täuschen lassen. So wird neben
der eindeutigen Schuldhaftigkeit der Frau noch eine eindeutige Schuldlosigkeit
der Männer bezeugt, die sie an ihrem Aufstieg nicht gehindert haben. Der
Tatbestand des Verstoßes gegen den Zölibat und die öffentliche Niederkunft
sind zweitrangig und stellen, neben ihrer Funktion zur Denunziation der biologischen Geschlechtszugehörigkeit der Päpstin, eine Strafe für sich dar.
Diese Sichtweise deutet zum einen auf ein elementares Misstrauen gegenüber
Frauen hin, die sich nicht nur in die Männerdomäne der Wissenschaften ›einschleichen‹, sondern von dieser ausgehend rein männliche Machtpositionen ›an
sich reißen‹ wollen. Boccaccio argumentiert hier gemäß dem Hauptprinzip, das
sich durch »De claris mulieribus« zieht, dass die Eigenschaften der Weiblichkeit
einerseits und der Gelehrsamkeit andererseits nicht oder nur schwer miteinander vereinbar sind: »Furthermore, it makes explicit what other histories imply,
that is, that the womanly virtue of silence is bound up with a second vitue
proper to women: chastity. The woman who speaks is often the woman who
lusts after men; if she speaks well, her lust is likely to be more intense.«21 Gelehrsamkeit und rhetorische Fähigkeiten, verbunden mit einem offenbar starken
Durchsetzungswillen, den Boccaccio, ebenso wie vergleichbare Autoren, durchaus erwähnt, gewinnen in Zusammenhang mit dem weiblichen Geschlecht eine
eindeutig negative Konnotation und verdienen nicht Bewunderung, sondern
Ablehnung und Verachtung.
In Francesco Petrarcas »Chronica delle vite dei Pontifici …«, einer um das
Jahr 1370 entstandenen Chronik, findet sich ebenfalls eine kurze Eintragung zur
Päpstin Johanna. Diese kann in gewisser Hinsicht als Weiterführung von
Boccaccios »De claris mulieribus« verstanden werden, da Petrarca die Auswirkungen ihres Pontifikats detailliert um bei Boccaccio nicht vorkommende Elemente erweitert hat. Dabei handelt es sich um quasi-apokalyptische Plagen:
»Tempore illius [nachdem Johanna zum Papst erwählt worden war] in civitate
Brixia tres dies, et tre noctes pluit mirabiliter sanguine, et in Gallia apparuerunt
monstrosae locustae, habentes sex alas et sex pedes, dentesque durissimos,
volantes per aerem mirabiliter: quae postea omnes in mare Brittanico suffocatae
sunt. Hinc cadavera earum ad littora appulsa, adea aera corruperunt, ut magna
pars hominum ibi moreretur.«22 Petrarca verbindet hier sowohl Elemente aus
dem Alten Testament, nämlich die Heuschreckenplage, welche über Ägypten
hereinbricht, als auch aus der neutestamentarischen Offenbarung in Anlehnung
an die sieben Plagen. Der Gedankensprung zur Großen Hure Babylon ist von
dort aus nicht mehr weit, eine Assoziation, der man später besonders in reformatorischen Polemiken gegen das Papsttum begegnet.23
21
22
23
Jordan, S. 33.
Zitiert nach Gössmann, S. 69f.
Vgl. Pardoe, S. 29f.; Gössmann, S. 70.
13
Abb. 3
Illustration zu einer französischen Übersetzung von Boccaccios
»De claris mulieribus«, Paris zu Beginn des 15. Jahrhunderts
(aus Boureau, S. 322)
Überraschenderweise erwähnt Petrarca weder die Schwangerschaft der Päpstin,
noch die Niederkunft coram populo, deutet aber ein unrühmliches Ende an,
welches in direktem Zusammenhang mit ihrem tatsächlichen Geschlecht steht:
»Iste non ponitur in catalogo Paparum, quia fuit faemina.«24 Tenor auch dieser
Ausführung ist die Feststellung, dass es gilt, Frauen von Machtaneignungen
dieser, absolut unnatürlichen und monströsen Art abzuhalten, da eine solch
eklatante Verletzung der (christlichen) Ordnung zu Unheil und Verderbnis für
alle führt, nicht nur für die Sünderin selbst.
24
Zitiert nach Gössmann, S. 69.
14
Dietrich Schernberg, »Ein schoen Spiel von Frau Jutten«
Bei diesem geistlichen Versdrama handelt es sich vermutlich um eine der ersten
längeren literarischen Behandlungen des Päpstin-Johanna-Stoffs.25 Ursprünglich
verfasst um das Jahr 1480, ist das Stück nur noch in einer Veröffentlichung aus
dem Jahr 1565 erhalten.26 Problematisch dabei ist die Tatsache, dass der damalige Herausgeber Hieronymus Tilesius, im Gegensatz zu Schernberg selbst, in
seiner Eigenart als Lutheraner und Reformator eindeutig anti-Römische, d.h.
also auch anti-Päpstliche Ansichten vertrat und mittels dieses Stücks die »Dekadenz, Idolatrie und allgemeine Verderbtheit der Alten Kirche« und nicht zuletzt
die »Gefahren des Zölibats«27 aufzeigen wollte. Das war auch in anderen Fällen
häufig das Hauptmotiv für ein protestantisches Interesse an Päpstin Johanna
(vgl. Abb. 4). Vorgenommene Veränderungen am Originaltext sind also nicht
auszuschließen, obwohl gemeinhin davon ausgegangen wird, dass Tilesius das
Stück Schernbergs aufgrund der ohnehin eindeutig negativen Darstellung der
Päpstin in seiner ursprünglichen Form übernommen hat28 und sich bei der Verdeutlichung seines rigiden reformatorischen Standpunkts auf die Formulierung
des Deckblatts und des Vorworts beschränkt hat. Hier äußert er sich wie folgt:
»FReundlicher lieber Leser / wir erfaren teglich / mit hoechstem betruebtem gemuet / Ob
wol Got der allmechtige der Antichristischen Rotten / dem Baepstischen hauffen / den grewel jrer Abgoetterey / Superstition / Falscher lehr vnd erdichten Gottes dienst / damit sie
die Kirchen gleichsam eine Sindflut vberschwemmet / durch den Geist seines mundes reichlich entdecket / Vnd fuer aller welt an das liecht gebracht / Das gleichwol dessen vngeacht
die Prelaten / Vermeinten Bischoff vnd andere fuerneme glieder der Roemischen Geistlichkeit / von dem Wein der Hurerey/ grewels vnd vnsaubrigkeit / welchen jhnen die grosse
Babilon die Mutter der Hurerey vnd aller grewel auff Erden / gemischet vnd eingeschenckt
/ Auch von dem blut der heiligen vnnd zeugen Jhesu/ also truncken worden sind. […]
Denn des sind wir aller ding gewis / das alle Welt jetzt weis / das die Baepst zu Rom / nicht
allein Sodomiten / Weichling / Schwartzkuenstler / Teuffelsbanner / Zeuberer / Ehebrecher
/ Todtschleger / Meister auff gifft geben / Simoniaci / Stiffter aller meuterey / und Blutsuergiesser in gantz Europa / zwitracht vnd krieg zwischen Keyser / Koenig / Fuersten vnd
Herren / Jn summa Huren vnd Buben / vnd die groesten vnfletter auff Erden vnd lauter
Monstra sein (welchs doch nicht das fuernemst ist) sondern auch die hoechszen abgoetter /
falsche Propheten / Verfuererische lehrer / Diebe vn Moerder / welche vnserm geliebten
heiland / dessen Stadhalter sie sich mit vngrund ruehmen / seine lehr / Gottesdienst vnd
Sacrament fast in allen puncten vnd Artikeln schrecklich verfelscht / deprauiert / verkert /
vnd verdunckelt vnd eine newe Heidnische Religion gekocht vnd gebrawen.«29
Hier wird ganz deutlich, dass es Tilesius nicht um die Geschichte der Päpstin
speziell geht, sondern dass diese für ihn nur ein weiteres Zeichen für die Ver25
26
27
28
29
Vgl. Hotchkiss, S. 199; Lemmer, S. 17.
Vgl. Lemmer, S. 16; van der Helder, S. 5.
»Hieronymus Tilesius […] published the play for no other purpose than to show the world an
example of the decadence, idolatry and general depravity of the Old Church, and the dangers
inherent in celibacy.« (van der Helder, S. 6)
Vgl. Hotchkiss, S. 198.
Schernberg, S. 89; 94f.
15
kommenheit des Katholizismus und des Papsttums generell ist. Zu beachten ist
hierbei, dass weder von katholischer noch von reformatorischer Seite an der
Historizität der Päpstin gezweifelt wurde. Selbst Luther berichtet von einer
Romreise im Jahr 1510, eine Skulptur der Päpstin mit ihrem Kind gesehen zu
haben, und er notierte dazu: »Es nimmt mich Wunder, daß die Päpste solch
Bilde leiden können; aber Gott blendet sie, daß man sehe was Papstthum sei:
eitel Betrug und Teufelswerk!«30 Auch von ihm keinerlei Zweifel an der Historizität, lediglich ein weiteres Indiz, das gegen die Alte Kirche spricht. In dem
Punkt jedoch, dass eine Frau auf dem Stuhle Petri Schreckensutopie und Teufelswerk sei, waren sich Katholiken und Protestanten einig. Ein dem Text vorangestelltes Titelblatt spiegelt nochmals Tilesius’ preferierte Lesart wieder:
»Apotheosis Iohannis VIII. Pontificis Romani.
Ein schoen Spiel / von Fraw Jutten /
welche Babst zu Rom gewesen /
und aus ihrem Bebstlichen Scrinio pectoris auff dem Stuel zu Rhom /
ein kindlein zeuget.
Vor 80. Jharen gemacht und geschrieben /
jetzt aber newlich funden /
und aus ursachen / in der vorrede vermeldet in druck gegeben.«
Es folgt eine Stelle aus der Offenbarung, Kapitel 18, 6–7: »Apocalip. XVIII. /
Bezalet sie / wie sie euch bezalet hat und machts jr zweifeltig nach ihren
wercken / den sie spricht in jrem hertzen / Ich sitze und bin ein Königin.«31
Hierbei gilt es zu beachten, dass die, auch in späteren Texten noch oft gezogene
Parallele zwischen der Päpstin und der Großen Hure Babylon in vorliegendem
Fall allein von dem Herausgeber evoziert wird; in Schernbergs Text selbst findet
sich diese Gleichsetzung nicht.
Der 1600 Reimpaarverse umfassende Text ist im wesentlichen eine mehr
oder minder kunstvolle Zusammenstellung von Elementen aus dem niederdeutschen »Theophilus« und den darin vorkommenden Motiven des Teufelsbunds32
und der Rettung durch Maria sowie Oster- und Passionsspielen, besonders des
»Alsfelder Passionsspiels«.33 Obwohl Schernberg sich grob an die traditionellen
Vorgaben der Geschichte hält, entwirft er durchaus die ein oder andere neue
Perspektive.
30
31
32
33
Zitiert nach Hotchkiss, S. 197.
Ebd.; Offenbarung 17–19 handelt von der ›Großen Hure Babylon‹, dem ›Untergang Babylons‹
und dem ›Jubel über den Untergang Babylons‹.
Was einen willkommenen Anschlusspunkt an die bereits in der Version des Etienne de
Bourbon angelegte Kooperation zwischen Johanna und dem Teufel bietet.
Vgl. Lemmer, S. 17; Hotchkiss, S. 199. Zur eigentlich Qualität des Stücks finden sich stets
dieselben, und durchaus zutreffenden Feststellungen, es handele sich »nicht um literarisch Belangvolles« (Lemmer, S. 5) und über Schernbergs »praktisch-dichterische Eigenpotenzen« sei
»nicht viel Rühmliches zu sagen. Seine Schwächen treten vor allem da zutage, wo es ihm an
unmittelbaren Vorbildern mangelte. Da quält sich die Erzählung voran, elende Flickverse und
formelhafte Wendungen […] häufen sich dann bis zum Verdruß, der dramatische Atem geht
aus und die Darstellung gerät leicht hölzern. […] Aufs Ganze gesehen ist Schernberg indes
kein großer Dichter gewesen.« (ebd., S. 18)
16
Abb. 4
Titelvignette zu »Das die Jesuiter … vergeblich streiten / Papst
Johannes VIII sey kein Weib gewesen«, 1598 (aus Völker, S. 37)
Noch bevor Jutta das erste Mal den Plan betritt, ist ihr Schicksal bereits besiegelt: »Luciper rueffet seinen Hellischen Gesinde zuhauff« (Schernberg, S. 30)
und beauftragt, unter tatkräftiger Unterstützung seiner Großmutter Lillis, die
beiden Teufel Sathanas und Spiegelglantz, die »schoen Jungfrawe / Die ist Jutta
genant« (ebd., S. 32) durch ein Bündnis an den Teufel und die Hölle zu binden.
Jutta, welche Luzifer zufolge bereits ihre Reise (oder Flucht) aus England nach
Paris zwecks Gelehrtenstudium zusammen mit ihrem »Bulen Clericus« ebenso
plant wie ihre Verkleidung als Mann und die damit einhergehende Namensänderung in Iohannes aus Engellandt, willigt freudig in den Vorschlag ein:
»Sathanas. […]
Ihr sollet werden klug vnd weise. Auch sage ich euch mehre / Ihr sollet komen zu grossen
ehren / Vnd sollet vnuermeldet bleiben / Nu vnd zu allen gezeiten.
Juttha.
Deine rede mir gar wol behaget / Ist es / als du mir hast gesaget / Vnd bindes von gantzem
hertzen fro / Vnd wil gern zu gebotte stehn do / Vnd wil folgen deinem rath / Beide / frue
und spat.« (ebd., S. 35)
Im Gegensatz zu anderen Bearbeitungen ist Jutta hier die treibende Kraft, nicht
sie folgt ihrem Liebhaber, sondern er ihr; Clericus wird insgesamt als ein Mann
ohne eigenen Willen dargestellt, der Jutta ergeben folgt: »Clericus. / Gern allerliebste Jungfraw fein / Was du gebeutest das sol sein / Ich wil gern mit dir wandern / Von einer Stadt zu der andern.« (ebd., S. 38)
Juttas Karriere geht von nun an steil bergauf, in Paris werden sie und ihr
Liebhaber von einem Magister mit Doktorwürden ausgestattet, ziehen daraufhin, wieder auf alleiniges Betreiben Juttas, nach Rom, um sich dem Papst zu
17
Diensten anzustellen. Papst Basilius macht sie unversehens zu Kardinälen, und
Jutta verspricht in ihrer Dankesrede Tugendhaftigkeit und Ehre: »Jutta Cardinalis. / Heiligster Vater und Herre / Wir dancken ewer guetigkeit sehre / Die jhr
an vns hat geleyt. Des wollen wir sein bereit / Vns zu tugenden zu halten / So
mag vns folgen ehre und solde / Mir vnd liebsten Bruder mein / Das sprich ich
gantz on alle pein.« (ebd., S. 51)
Kurz darauf stirbt Papst Basilius, »vnd Jutta wird zu Bapst erwelet.« Kurz
darauf geschieht folgendes: »Hie fueret ein Roemischer Rathsherr seinen Sohn /
welcher mit dem Teufel besessen war / zu Bapst Jutten/ mit Gott den Teufel aus
zu treiben / vnd der Teuffel offenbaret es / das Bapst Jutta ein Kind tregt / vnd
schwanger ist.« (ebd., S. 51) Derweil beklagt sich Christus bei seiner Mutter
über den weiblichen Papst und beschließt ihr Ende:
»Saluator.
Maria liebe Mutter zart / Ich klage dir auff dieser fart / Das das Weib / welchs ein Bapst ist
/ Nicht abzuwenden ist zu keiner frist / Von ihrer boesen missethat / Die sie lang wider vns
begangen hat / Vnd hat sich noch nie wolt bekeren / Das klage ich dir Mutter heere.
Darumb wil ich das nu abwenden / Vnd jhr leben sol nemen ein ende / Vnd sol klegelich
ersterben / Vnd mein vngnade erwerben.« (ebd., S. 58)
Der Erzengel Gabriel wird beauftragt, Jutta vor die Wahl zwischen irdischer
Schande und ewiger Verdammnis zu stellen (ebd., S. 60), und diese entscheidet
sich so: »Auch wil ich lieber zur weltlichen schande kiesen / Denn das ich
Gottes gnad solt ewig verliesen.« (ebd., S. 61) In Anbetracht der bevorstehenden Geburt und des damit einhergehenden Todes ruft Jutta die Jungfrau Maria
an, für sie zu bitten, was diese ihr zusagt. (ebd., S. 66f.)
Nachdem Jutta, offensichtlich coram populo, niederkam, stirbt sie und ihre
Seele wird vom Teufel Vnuersuen zu Luzifer geführt; ihr Kind indessen wird
vom Volk »aufgehoben« (ebd., S. 68), Schernberg führt dessen Schicksal nicht
weiter aus, schreibt aber auch nichts von dessen Tod. In der Hölle nun wird
Jutta von den Teufeln mit anzüglichem Spott überschüttet und soll manigfachen
Qualen ausgesetzt werden für das, was sie »wider Gott [hat] begangen« (ebd., S.
71). Jutta ruft auch hier wiederholt Maria um Rettung an.34 In einer Parallelhandlung versuchen die verbliebenen Kardinäle – ebenfalls unter Anrufung
Mariens – die Schande, die die Päpstin über Rom und die Kirche gebracht hat,
abzuwenden und für die Zukunft vorzubeugen:
»Primus Cardinalis.
Dieweil der Bapst vns hat gelogen / Vnd vns all miteinander betrogen / Das er ist gewest ein
Frawe / So muessen wir wol zuschawen / Das solchs nicht mehr geschehe / Vnd vns hohn
vnd spott vbergehe. Darumb wollen wir keinen zum Bapst han / Wir seies den gewis das er
sey ein Man. Wir wollen einen stul lassen machen / Der da dienet zu solchen sachen / Da
sol sich der new Bapst begreiffen lahn / Wie es ist vmb jhn gethan / Das man da erkenne /
Ob er sey ein Han oder eine Henne.« (ebd., S. 75)
34
Zum Aspekt der Anrufung Mariens als Mittlerin in Buß- und Reuesituationen vgl. Dorn, S.
126ff., zum sündigen Heiligen als Teufelsbündler, vgl. ebd., S. 44–49.
18
Maria bittet währendessen bei ihrem Sohn für die »arme Suenderin« (ebd., S.
80), unterstützt von dem heiligen Nikolaus. Der »Saluator« läßt sich allerdings
erst erweichen, als Maria ihn an ihre aufopferungsvollen Leistungen als seine
Mutter erinnert. Der Engel Michael letztendlich erlöst Jutta aus der Hölle, und
diese erweist sich in ihrem Abschlussmonolog als reuige Sünderin:
»Bapst Jutten Seele.
Ich spreche das in kurtzer frist / Gebenedeiet seistu HErr Jesu Christ / Ich auch heut vnd
zu aller zeit benedeie Die reine Jungrawe Mareie / Mit Nicolao dem Bischoff heere / Die
mich haben versuent gegen Gott dem Heren / Vmb meine missethat vnd suenden / Des lob
ich sie zu aller stunde. Auch lobet Marien Frawen vnd Man / Denn aller vnser seligkeit ligt
daran. Auch ist es offenbarlich an mir worden schein / Des dancket jhr die Seele mein /
Denn ich hatte mich vergessen zu seehre / Das ich mit dem Teuflischen heere / Manche
ewige zeit hett muessen wesen / So hat sie mir geholffen das ich bin in freuden genesen.
Darumb sol jhr mein heubt jmmer neigen / Mein zunge sol jhr auch nimmer schweigen /
Sondern sie teglich loben vnd preisen / In Goettlichen wercken vnd weise / Mit Gott vnd
aller Engelischer schar / Das rede ich hie all offenbar.« (ebd., S. 88)
Obwohl Schernbergs Stück oft als Variation des Faust-Themenkomplexes gehandelt wurde35, liegt die Hauptmotivation Schernbergs, im Gegensatz zu dem
Herausgeber des Stücks, Tilesius, nicht in einer eindimensionalen Darstellung
der Päpstin Jutta als Teufelsbündlerin oder gar Inkarnation des Bösen; das
eigentliche Leitmotiv seines Stücks sollte vielmehr die tröstliche Botschaft sein,
»daß kein Sünder an der göttlichen Gnade verzweifeln solle und daß Christus
nicht der gnadenlose, sondern ein verzeihender Gott ist, sofern der sündige
Mensch die Kraft zu echter Reue bewahrt habe.«36 Dass er jedoch zum Zwecke
des möglichst dramatischen Vorführeffekts den weiblichen Papst wählte, um
dies am Beispiel der »an Sündhaftigkeit kaum noch zu überbietenden Johanna«37
aufzuzeigen, verbietet jede Unterstellung etwaiger Frauenfreundlichkeit.
Dasselbe gilt für seine frauenzentrierte Umschreibung der Erlösungsallegorie.
Jutta wird in zwei Punkten mit Eva verglichen: einerseits wird das aus Eitelkeit,
Ehrgeiz und Hochmut eingegangene Teufelsbündnis der einen mit dem Genuss
des Apfels vom Baum der Erkenntnis der anderen gleichgesetzt; andererseits
gleicht die Bestrafung Juttas, welche vor dem eigenen Tod die schmerzhafte Geburt eines Kindes und die damit einhergehende Festschreibung ihrer Weiblichkeit vorsieht, der Evas.38 Maria als jungfräuliche Mutter Gottes wird, in Opposition zur Sünderin Jutta als entscheidende Vermittlerin bei der Rettung und Erlösung der Päpstin entworfen. Und letztendlich kann man des Teufels Großmutter als eine der treibenden Kräfte hinter Juttas Fall ansehen. Hotchkiss formuliert es folgendermaßen:
35
36
37
38
Vgl. hierzu u.a. Ricklefs, S. 17, der sich auf Gottsched, Grimm und Arnim bezieht; Pardoe, S.
84; Völker, S. 23; Gössmann, S. 86.
Lemmer, S. 17.
Ebd.
Vgl. dazu 1. Mose III, 16, wo es in Luthers Worten heißt: »VND zum Weibe sprach er / Jch
will dir viel schmertzen schaffen wenn du schwanger wirst / Du solt mit schmertzen Kinder
geberen / Vnd dein wille sol deinem Man vnterworfen sein / Vnd Er sol dein Herr sein.«
19
»This is not to say that Schernberg was a proto-feminist author by any means. Indeed, he is
not even a champion of womankind; after all, the crisis of the play depicts the exposure of
the woman who dared to infiltrate male dominion. […] Though the play’s moral lesson is
universally applicable, its focus on the feminine offers a unique expression of the special
place of women in mankind’s fall and redemption.«39
Die Betonung auf Juttas Platz in einer Genealogie der leicht verführbaren,
fehlgeleiteten Frauen zeigt letztendlich, dass trotz der tröstlichen Botschaft, die
Schernberg mit seinem Stück angestrebt haben mag, und trotz der auf ihre rein
symbolischen Rolle als Inkarnation der Hure Babylon beschränkten Lesart, eine
grundnegative Strömung des Stücks vorliegt. Auch in diesem Fall enthält das
Stück über die Päpstin einen großen Anteil genereller Ablehnung der Frau, speziell der gebildeten Frau, was die Gleichsetzung von Evas Fehltritt, als sie vom
Baum der Erkenntnis aß, mit dem ebenfalls aus Lust am Wissen und an der Erkenntnis entstandenen Teufelsbündnis verdeutlicht.
39
Hotchkiss, S. 205.
20
Elkanah Settle, »The Female Prelate«
Mit diesem im Jahr 1680 im Theatre Royal in London uraufgeführten und in den
Jahren 1680 und 1689 in mehreren Auflagen veröffentlichten Stück40 verhält es
sich in mancher Hinsicht ähnlich wie mit dem »Schoen Spiel von Frau Jutten«.
Zum einen gilt auch diese Tragödie weniger ihres literarischen Wertes wegen als
beachtenswert,41 zum anderen stellt aber auch sie einen gewissen Wendepunkt in
der literarischen Rezeption (zumindest der englischen Literatur) der Päpstin
Johanna dar. Das Stück entstand unter dem Eindruck der sogenannten pope
burnings der 1670er bis 1690er Jahre, d. h. prozessionsartigen Spektakeln, in
deren Verlauf Papst-, Kardinals-, und Nonnenfiguren produziert und verbrannt
wurden42.
»The Female Prelate: Being the History of the Life & Death of Pope Joan, A
Tragedy« ist die erste literarische Bearbeitung in England, die sich mit der Päpstin auseinandersetzt, und der Titel zeigt, trotz des auf den ersten Blick ungereimt erscheinenden Nebeneinanders von history und tragedy, dass sich hier ein
Wandel vom Historischen zum Fiktionalen vollzogen hat. Ein Indiz hierfür ist
das Fehlen historischer Quellenzitate zur Untermauerung der Argumentation
sowie die Auslassung zeitlicher Eckdaten der Handlung allgemein und der Regierungszeit der Päpstin im speziellen.43 Mit dieser temporal ungebundenen
Darstellung sollte offensichtlich eine Übertragung auf herrschende Verhältnisse
nicht nur ermöglicht, sondern vielmehr erzwungen werden: »The Female Prelate
expands the legend’s traditional focus on clerical corruption to dramatize ecclestical threats to temporal rulers. In doing so, it appropriates the legend’s concern with sexuality, gender confusion, and the feminine autonomy to manifest,
if not fuel, the political anxieties that the pope burnings staged.«44
»The Female Prelate« spiegelt eine ganze Palette von Ängsten, Befürchtungen, Aggressionen und Anschuldigungen wieder, die das damalige Verhältnis der
Protestanten zum Katholizismus generell und insbesondere der Institution
Kirche und dem Papsttum gegenüber charakterisierte. So begegnen uns hier wieder einige Elemente, die sich schon bei der Lektüre des »Schoen Spiel von Frau
Jutten« herausstellen ließen, insbesondere natürlich in Verbindung mit dem
nachträglich hinzugefügten Vorwort des Tilesius.
In Bezug auf die Tudorzeit kann man getrost von einer offenen Gleichsetzung von Römischer Kirche, der Hure von Babylon und der Figur der
Päpstin sprechen (vgl. Abb. 5). So lautete beispielsweise der Titel einer Schrift
zu dem ersten Restauration pope burning im Jahr 1673 »The Burning of the
40
41
42
43
44
Vgl. Rustici, S. 272.
Die dahingehenden Bewertungen aus heutiger Sicht reichen von »polemic attack« der Römischen Kirche (Rustici, S. 298) über »Although not a great work, The Female Prelate remains
the most interesting of Elkanah Settle’s prolific output« (Pardoe, S. 85) bis hin zu »Daß dieses
platte und banale Schauerstück den Namen Tragödie nicht verdient, bedarf keiner Erwähnung.« (Gössmann, S. 339)
Vgl. Rustici, S. 272.
Vgl. Rustici, ebd.
Ebd.
21
Whore of Babylon«, und das Frontispiz eines Traktats aus dem Jahr 1675 mit
dem Titel »A Present for a Papist« trägt unter anderem die Zeilen »A Woman
Pope (as History doth tell) / In High Procession Shee in Labour fell, / And was
Delivr’d of a Bastard Son; / Thence Rome some call The Whore of Babylon.«45
Hure von Babylon ist nicht die einzige Titulierung, mit der The Female
Prelate bedacht wird. In diesem Stück wird Päpstin Johanna zu einer ausgemachten Schurkin, einer villainess, die sich im Rausch der Intrigen, Giftmorde und
Ränkespiele ihren größtenteils fleischlichen Gelüsten hemmungslos hingibt.
Über ihre Herkunft und ihren Werdegang gibt bereits die Vorstellung der Charaktere vor Beginn des Stückes ausreichend Auskunft: »John, Lord Cardinal of
Rhemes, originally a German Lady, named Joanna Anglica; afterwards disguis’d
in the Habit of a Priest of the Benedictine Order, next a Cardinal, and lastly
Created Pope.« Die verschiedenen Stadien ihrer Karriere werden hier als verschiedene Formen des diguise gewertet, so dass jedes Stadium für sich die Päpstin mehrfach belastet und nicht als logische Konsequenz der ersten Verkleidung gewertet wird.
Das Stück selbst beginnt, rein chronologisch betrachtet, in der Mitte der
Geschehnisse. Der junge Duke of Saxony erzählt seiner frischvermählten Braut
Angeline46 von seinem Vater, dessen Mord nach etlichen Jahren immer noch
ungesühnt sei. Er schildert ihr, wie ein Priester, »his savage Confessor«, ihn
vergiftete, »Whilst the canting Villain / Was whispering Heaven into his Ear,
could lift / Damnation to his Lips.« (Settle, S. 2) Schon betreten der Lord
Cardinal of Rhemes, John, und einige Begleiter den Plan. Young Saxony erkennt
ihn sofort, »By all my Hopes, by the dear Charms of Vengeance, / My Fathers
Poysoner« (ebd., S. 3), und sinnt auf Rache. Angeline versucht, ihn zur Vernunft zu bringen, was ihr jedoch nicht gelingt.
Die zweite Szene präsentiert sogleich John, alias Joanna, Lorenzo, ihren Liebhaber, und Amiran, den Pagen, der allerdings ebenfalls ein Mädchen ist und in
männlicher Verkleidung reist. John brüstet sich mit seinen bisherigen Erfolgen
als verkleidete Frau in männlich dominierter Umgebung: »Thus far has my
Disguise, and my Designs / Decieved the blinded World; for seven long years /
My Arts and Sex concealed: nay, and to heighten / The Miracle, I have lived an
undiscovered Woman, Bred amongst Priests, high-fed, hot-blooded Priests, /
Those long-wong’s Hawks at all the Female Game: / Yet I’ve defyed their
keenest Eyes to track me: / I could grow prow proud with the imagination, /
And talk as big as a victorious Lover.« (ebd., S. 4)
Abgesehen von einer ebenso deutlichen wie einseitigen Charakterisierung der
Hauptfigur des Stücks bietet diese Passage noch einiges an anti-Päpstlichem und
anti-Römischem auf, wie die von Lust und Gier getriebenen Priester, vor denen
kein Rock sicher scheint, sowie die Feststellung, dass Joanna mitten unter ihnen
und unter ihrem Zutun zu dem Monster herangewachsen ist, das sie zu werden
45
46
Zitiert nach Rustici, S. 274.
Welche nicht nur aufgrund ihres Namens, sondern auch ihres naiv-simplen, reinen Charakters
immer wieder als engelhafter Counterpart zu Joanna dienen muss, vgl. Settle, S. 1: »Blush on,
sweet Innocence, …«.
22
verspricht. Der übertrieben plakative Stil, mit dem Settle seine Intention permanent zu unterstreichen sucht, zieht sich durch das gesamte Stück. Joannas Liebhaber Lorenzo dient ihr stets als Stichwortgeber und forciert ihre selbstsüchtigen und machthungrigen Ausbrüche noch:
»Lor.: But how much prouder would you talk, should Romes / Great Lottery in this
Election throw / Her Diadem at your Feet?
Joh.: That were Fates Master-piece. / Glory, betwitching Glory; oh, for the Popedom! /
Bring me some God, or what else Power beside, / Some kinder Devil, but toth’ Roman
Chair, / And I am thy slave for ever. […] Could I but reach the Roman Diadem; / I’d fit
within my Romes seven Hills as glorious / As once the fam’d Semiramis within / Her
Babylonian Towers. Her Female Hand / Did the Worlds Scepert guide, and why not mine?«
(ebd., S. 5)
Joanna wird hier mit aller Macht als negativer Charakter gezeichnet. Nicht nur,
dass sie einen Teufelsbund herbeisehnt, um an das Ziel ihrer Wünsche zu gelangen; sie leidet auch an unvorstellbarer Hybris und Machtgier. Als reine Metapher auf die Römische Kirche gelesen spiegelt dies natürlich nur die Verwerflichkeit dieser über unvorstellbaren Einfluss und ebensolchen Reichtum verfügenden Institution wieder. In dem Moment, in dem jedoch Bezüge zu anderen
weiblichen Herrscherinnen gezogen werden, entsteht, ähnlich wie bei Schernberg, der eindeutige Eindruck einer generellen Frauenfeindlichkeit, die mit bekannten und gefürchteten, ›typisch weiblichen‹ Eigen- und Abarten argumentiert. Nachdem Joanna erfolgreich ein Komplott gegen Young Saxony gestrickt
hat, der sie als den Mörder seines Vaters beschuldigte, phantasiert sie sich sogar
selbst in die von allen Frauenrollen am belastendste, die Rolle der Eva, an deren
Stelle sie ganz anders reagiert, die Schlange besiegt und so das Weltengeschick
von Grund auf verändert hätte.
In der Folge gelingt es Joanna nicht nur, die Anschuldigungen des Young
Saxony abzuschmettern, sondern sich noch als Retterin Roms hinzustellen, die
den alten Duke getötet hat, nachdem dessen Verschwörung mit einem
deutschen Heretiker ruchbar wurde. Young Saxony landet im Kerker, während
Joanna zum Dank für ihre Heldentat zum Papstnachfolger gekrönt wird. In
einem Gespräch mit Lorenzo und Amiran beichtet Joanna nun ihr ganze Geschichte, angefangen mit ihrer ehemaligen Existenz als private Mistress am Saxon
Court, als die sie noch Frauenkleider trug. Damals sank sie nach zwei Jahren
plötzlich in der Gunst des alten Duke und war gezwungen, den Hof zu verlassen. Als Mönch verkleidet, kehrt sie zurück.
»Page.: But why a Monk? Why not t’a Nunnery? […]
Pope.: No; that had been t’have publish’d my despair, / And given th’insulting Duke too
great a Triumph. […] Back to the Court I went, in hopes, if possible / To trace the haunts
of that perfidious Duke, / And learn the fatal Frace that had destroyed me.« (ebd., S. 24)
23
Abb. 5
Illustration Lucas Cranachs d. Ä. zu Martin Luthers
»Apokalypse«-Übersetzung, Wittenberg 1522 (aus Boreau, S. 368)
Getrieben von dieser unversöhnlichen Eifersucht diente sie sich nun als des
Dukes confessor an, um ihm seine innersten Geheimnisse zu entlocken:
»Lor.: But could you keep your Person and your Voice / Still undiscovered?
Pope.: Oh, an absolute Proteus! / Bore my Disguise so well. – In short, his Love / To this
new Face, unlike my harder Fate, / Took every day new Fire, out-ran all Bounds, / And
flow’d as fast as e’er it ebb’d to Me. / Whilst I by being his Priest, his Conscience
Confident, / Was Bawd to that Intrigue that had undone Me. / This swell’d my Gall into
the rankest Malice, / And made my Blood ferment into a fury. / And then I laid the Plot for
his Destruction. In the Duke’s Name I held a Correspondence / With Damasus the German
Heretick.« (ebd., S. 25)
24
Lorenzo ist hellauf von seiner Geliebten begeistert, ebenso wie sie selbst von
sich: »Lor.: Beyond all President! / Never was slighted Lady so revenged, / Or a
lost Game so play’d. / Pope.: ’Twas great, ’twas excellent. / And the Success
rewards me with a Diadem.« Doch das Schicksal meint es nicht gut mit der
Päpstin, denn auf eigentümliche Art und Weise verliebt sie sich plötzlich in den
jungen Duke, da sie sich an seinen Vater erinnert fühlt. Gleichzeitig versucht
Lorenzo, die unschuldige Angeline sexuell zu erpressen, indem er ihr für den
Fall, da sie sich ihm hingibt, verspricht, ihren Gemahl Young Saxony aus dem
Kerker zu befreien. Die Holde wiedersteht, Päpstin Joanna jedoch hat die vergeblichen Versuchen ihres Liebhabers belauscht und denkt laut »Excellent.«
(ebd., S. 29) Joanna weiss sich im Folgenden die Angst ihres Liebhabers vor
ihrer Rache zunutze zu machen, indem sie ihm einen Handel vorschlägt. Wenn
es ihm gelingen sollte, sie dem jungen Duke zuzuführen, würde sie es ihm ermöglichen, Angeline zu bekommen. Lorenzo willigt freudig-überrascht ein:
»know, Madam, / I’ll bring you to his Arms with as much pleasure / As ever
recieved you in my own.« (ebd., S. 34)
Somit wird Angeline am Tage von Lorenzo zu Young Saxony in dessen Zelle
geführt. Dort erfahren beide, dass ein Treffen bei Tageslicht zu gefährlich sei,
und dass sie bei Nacht wieder zueinander geführt würden. In der Nacht geht
Lorenzo zu Angeline, die in ihm ihren Mann vermutet, und Joanna ihrerseits zu
Young Saxony, »in her Woman’s Habit«. (ebd., S. 38) Nach vollendeter Tat
brüsten sich Lorenzo und Joanna voreinander mit ihrem jeweiligen Abenteuer,
und sie kommt zu dem Schluss, »Well, my Lorenzo, this soft Feast of Pleasure /
Has been too full of wonder and delight, / For the short Riot of one Night of
exhaust. / Let us resolve then to play out the Game / Like wanton Reveilers,
glut our fierce desires; / And when this old Intrigue grows stale, and tires, /
We’ll seek out new.« (ebd., S. 39)
Von hier an scheint sich Joannas Selbstüberschätzung und ihr nicht zu
stillender Hunger nach Sex und Macht ins Unermessliche zu steigern, »Pope.: If
the cold Bones of a dull Roman Saint / Can sleep in Treasures, whilst his
sensless Marble / Sweats in embroider Gems and molten Gold, / Shall my warm
Bed and warmer Lovers want it? / No. / I’ll melt the Crown from the gilt
Martyr’s Head, / And ransack even his Tomb t’adorn my Bed. / I’ll rifle Saints
to make my Lovers shine, / And steal from Heav’n to make the Joy divine. /
Lovers, by Lucifer, I’ll not want one day, / Whilst the rich Church shall both
procure and pay.«47 Als nun die beiden höllischen Liebhaber ihren Trick ein
zweites Mal ausspielen wollen, bricht ein Feuer im Gefängnis aus. Joanna wird
von Young Saxony erkannt als der Giftmörder seines Vaters, nachdem Old
Saxony seinem Sohn als Geist erscheint und an die Decke das Wort »MURDER«
schreibt.48 Bezeichnenderweise kniet sich Joanna in Anbetracht dieser großen
47
48
Ebd., S. 40; auch hier gilt es wieder die offensichtliche Parallele zur Hure Babylon zu beachten,
welche »truncken vom Blut der Heiligen / vnd von dem blut der zeugen Jhesu« auf dem scharlachroten Tier mit den sieben Köpfen und den zehn Hörnern ritt, vgl. Offenbarung 17, 3–6.
Ebd., S. 43; spätestens an dieser Stelle sind die gewollten Parallelen zwischen Settles Young
Saxony und Shakespeares Hamlet nicht mehr zu leugnen.
25
Bedrohung nieder und stößt folgende Anrufung aus: »Adored dear Devil, save
me but this once.« (ebd., S. 43) In dem Moment, in dem Young Saxony die
Identität seines Zellengenossen in dieser Nacht entdeckt, kommen drei Priester
in besagte Zelle und retten die Päpstin.
Nur knapp dem Tod entronnen, ist das Schicksal des jungen Duke und seiner
Frau Angeline besiegelt. Beide sollen den Gifttod sterben, damit sie Joanna
nicht verraten können. Amiran, der weibliche Page der Päpstin, wird mit dem
Auftrag, von einem Priester die tödliche Giftmischung zu besorgen und Young
Saxony damit zu ermorden, in die Zelle geschickt. Dort erfasst sie jedoch das
schlechte Gewissen, und sie verrät Young Saxony nicht nur das wahre Geschlecht der Päpstin, sondern auch deren Mordkomplott an sowohl seinem Vater als auch nun an ihm und an seiner Frau:
»That Lust-burnt Hag / Began her Game with your unhappy Father. / You may remember
in the Saxon Court, / A fatal Beauty call’d Joanna Anglica, That Syren first defil’d your
Father’s Bed, / And then by Jealousie transform’d t’his Priest, / And by Revenge t’his
Murderer. […] The Bestial Lust of her incestuous Fires / Trac’d your dead Father’s
Beauties in your Eyes; / And the same Sulphurous Mine that blew his Soul up, / Was light
to Sacrifice the Martyr’d Son. […] By the same Stratagem / That has deceiv’d her Lord, was
your poor Princess, / By false Lorenzo’s Lust, enjoy’d and ravish’d.« (ebd., S. 50f.)
In diesem, von Young Saxony kaum unterbrochenen, Anschuldigungsmonolog
der Amiran wird Joannas Schlechtigkeit in ihrer ganzen Bandbreite noch einmal
vorgeführt, ihr Werdegang von der fatal Beauty zum von Schwefelgerüchen umgebenen Teufelsweib und der von Bestial Lust getriebenen Hure wird nachgezeichnet. Amiran endet mit der Erkenntnis, dass die Päpstin sterben muss. Im
Folgenden stirbt Angeline vor Scham und Schande, als sie von Lorenzos Trick
erfährt, und Young Saxony versucht erneut, durch Bloßstellung den Papst zu
denunzieren, diesmal natürlich in Hinblick auf sein wahres Geschlecht. Sein
Plan misslingt zum wiederholten Male, er wird, unter Ausstoß wüster Verwünschungen gegen den Papst und die Kirche im allgemeinen, zum Scheiterhaufen
abgeführt. Bevor er jedoch verbrannt wird, erreicht alle die Nachricht, dass der
Papst an den Konvulsionen einer verfrühten Kindsgeburt gestorben und deshalb
die Vorwürfe berechtigt seien. Die Kardinäle verfluchen Joanna als Hure und
Hexe und beraten sich zum Schluss, wie sie in Zukunft solche Schande von dem
Stuhl Petri fernhalten können.
»Card. 1.: […] No Mitred Prelate in Divine Procession, / Presume to pass through that
Street / Where this curst Sorceress fell.
Card. 2.: But my good Brothers, / How shall we guard our Mother Churches Brightness /
From new pollutions; fence her holy Throne / From new impostors; from all future
Sorceries?
Card. 1: Oh Brothers, by immediate revelation, / Touch’d with a Spark from yon Celestial
Orb, / I’ve have [sic] found that happy glorious great design, / For which our yet even
unborn Heirs shall thank me.
Card. 3.: Oh speak!
26
Card. 1.: Thus then the Coronation Porphyry, / On which Romes installed Bishop, Heavens
/ Lieutenant takes his great Comission, / Shall thro’ it have that subtle concave from’d /
Thr’ which a reverend Matrons hand –
Card. 2.: Now by yon Stars inspired by some good Angel, / I guess thy glorious purpose.
Card. 1.: Now Devils we defie your utmost power, / Romes awful Throne shall be profan’d
no more: Put Whores and Bawds upon us, if you can, / Romes Mitred Head henceforth shall
be a Man.« (ebd., S. 60)
In dieser letzten Szene zwischen den römischen Kardinälen kommen noch einmal einige der traditionellen Elemente aus der Päpstin-Johanna-Legende zum
Tragen, von der sich Settle in diesem anti-Römischen Machwerk ja weitgehend
entfernt hatte. Die Niederkunft der Päpstin erfolgt ohne Vorgeschichte und
wird nicht weiter ausgeführt, außer, dass sie den Tod Joannas bedingt. Sowohl
der Weg, den die Prälaten seit dieser Zeit nicht mehr nehmen, um nicht an die
durch die Päpstin entstandenen Schande erinnert zu werden wird ebenso kurz
erwähnt wie der Porphyrstuhl und die Testikelschau.
Bemerkenswert an letzterer ist hier, dass sie von einer »reverend Matrons
hand« durchgeführt werden soll, was den ganzen Akt, zusammen mit der Bemerkung eines der Kardinäle über »yet even unborn Heirs« in die Nähe von Hebammentätigkeit und Kindsgeburt rückt.49 Beides war zu Zeiten Settles stark
tabuisiert und als ausschließliches womens’ business angesehen, Hebammen
wurden nicht selten der Hexerei bezichtigt50 – somit ist die von den Kardinälen
in der letzten Szene angestrebte Besserung für die Römische Kirche nicht in
Sicht, da sie sich auch nach dem Skandal um Päpstin Joanna nicht aus ihrem
Teufelskreis aus Sünden, Hurerei und Machtmissbrauch befreien wird. Die
bereits zitierten Schlussworte des Cardinal 1 sollen nun zeigen, dass »The Female Prelate« die Quintessenz enthält, die die Kardinäle, stellvertretend für die
gesamte Römische Kirche, nicht erkennen wollen: dass es weitaus mehr war als
Joannas Geschlecht und ihre Promiskuität, die die Kirche verdorben haben.51
Auch wenn sich Settles Stück eindeutig gegen die Römische Kirche richtet
und Päpstin Joanna, gleich der Hure Babylon oder Semiramis, lediglich exemplarisch für eine offen angefeindete Institution stehen sollen, strotzt diese Tragödie nur so vor Frauenfeindlichkeit. Beachtenswert ist jedoch die so beispiellos
negative Darstellung der Päpstin als skrupellose, kaltblütige und berechnende
Machtfigur, die ihre Weiblichkeit einzig in einer geradezu absurd nymphomanen
Sexualität auslebt. Dass eine solche Figur irgendeine Art von Sympathie erwecken könnte, ist absolut ausgeschlossen. Abgesehen von der eindeutigen Intention, den Hass und die Verachtung gegen die Römischen Kirche zu schüren,
ist der gewünschte Effekt klar ersichtlich. Auf das weibliche Publikum soll eine
möglichst abschreckende Wirkung ausgeübt werden und Frauen ebenfalls, auf
einer viel persönlicherer Ebene, zur Ablehnung der weiblichen Figur, die trotz
allem hinter der Symbolik steht, gebracht werden.
49
50
51
Vgl. hierzu Rustici, S. 276; Pardoe, S. 85.
Vgl. Rustici, S. 274f.; vgl. auch die Feststellung D’Onofrios, dass besagter Porphyrstuhl an
Geburtstühle erinnere.
Vgl. Rustici, S. 286.
27
Achim von Arnim, »Die Päpstin Johanna«
Obwohl die Manuskripte zu der ganz im Sinne der Spätromantik verfassten
»Päpstin Johanna« bereits im Jahr 1813 fertiggestellt waren, wurden sie, sowohl
aus Zeit- als auch Geldgründen erst posthum unter der Redaktion von Bettine
von Arnim im Jahr 1846 veröffentlicht.52 Der in seiner endgültigen Fassung 462
Seiten starke, in einer Mischform aus Prosa und Vers verfasste Roman war nicht
die erste Auseinandersetzung Arnims mit der Legende um den weiblichen
Papst. Bereits aus dem Jahr 1810 existieren Skizzen zu einem »Päpstin Johanna
Spiel« im Rahmen von Arnims erstem Roman (»Armut, Reichtum, Schuld und
Buße der Gräfin Dolores«), die jedoch in ihrer Ausführung noch sehr stark an
Arnims erste Quelle der Päpstin-Legende erinnert, das bereits besprochene
»Schoen Spiel von Frau Jutten« von Schernberg.53 Mit Schernbergs Stück kam
Arnim vermutlich auf seiner Suche nach alten deutschen Dramen erstmals in
Berührung. Gottsched hatte »Ein Schoen Spiel von Frau Jutten« in seinen
»Nöthigen Vorrath zur Geschichte der deutschen Dramatischen Dichtkunst«
im Jahr 1765 als »das älteste tragische gedruckte deutsche Originalstück«54 aufgenommen, wo es Arnim auch entdeckt haben dürfte.55 Zur Motivation Arnims,
sich dieses Stoffs anzunehmen, schreibt Ricklefs folgendes:
»Als Arnim noch 1817 von der Herausgabe des Buches sprach, wollte er in ihm das ›Elend
der Gelehrten‹ recht deutlich demonstrieren; er meinte damit die Lebensferne, die geistige
Eigentumssucht dieses Standes und damit seine Entfernung vom ›Allgemeinen‹. […]
Tatsächlich hatte […] die Arbeit an dem Stoff ihn auf Zusammenhänge geführt, die an die
Grundlagen des eigenen poetischen und geistigen Selbstverständnisses rührten und die
darüber hinaus den Subjektivismus, grenzenlosen Magismus und Titanismus der früheren
Romantik in Frage stellten und auf einen symbolischen Realismus wiesen als Überwindung
jener frühromantischen Positionen, die in bezeichnender Modifikation und theoretischer
Anschwächung auch den jungen Arnim und Brentano bestimmt hatten.«56
Die Verbindung zum Faust-Themenkomplex liegt in Bezug auf das häufig angeführte, von Johanna bewusst eingegangene Teufelsbündnis nah, das ihr zu Bildung und Erfolg verhelfen soll. Von Arnim selbst wird angenommen, er verstehe seine »Päpstin Johanna« »zweifellos als seine Art einer Faust-Dichtung«.57
Durchsetzt nicht nur von dem erwähnten Wechselspiel zwischen Prosa und
Vers, sondern auch von antiken Religionen, Mythologie und Mystik einerseits
und dem Christentum andererseits, und nicht zuletzt den Geschlechterverwirrnissen um die Päpstin Johanna und andere Figuren des Romans, hat Arnim ein
Exemplar der literarischen Behandlung der Päpstin-Johanna-Legende geschaffen, das sich nicht nur durch sein katastrophenloses Ende angenehm von
den bisher besprochenen Werken absetzt.
52
53
54
55
56
57
Vgl. Ricklefs, S. 15.
Vgl. Ebd., S. 79.
Zitiert nach Lemmer, S. 14.
Vgl. Ricklefs, S. 59.
Ebd., S. 15.
Ebd., S. 17.
28
Im Grunde ist Arnims »Die Päpstin Johanna« ein Bildungs- und Entwicklungsroman vor dem Hintergrund des 10. Jahrhunderts.58 Die/der LeserIn begleitet die Hauptfigur von ihrer Geburt mythischen Ursprungs – sie ist die
Tochter der Melancholia und des Oferus59 – über ihre ebenso entbehrungs- wie
lehrreichen Jugendjahre, die sie auf Wanderschaft durch Europa verbringt in Begleitung ihres von Luzifer, »eine[m] der dummsten Teufel«60 eigens hierfür angestellten Lehrers Spiegelglanz,61 bis hin zu ihrer Entdeckung der eigenen, unbewussten Schuldigwerdung und dem gütlichen Ende, dem die Geschichte entgegen geführt wird.
Bereits die mythische Herkunft der Johanna, die durch die Adoption und
Aufzucht im Auftrag des Teufels noch verstärkt wird, entzieht den Charakter
vom Anfang an dem Zugriff christlicher Normen. Die Einfügung der Figur in
gerechte Moral- und Wertevorstellungen wird nur durch einen langen, von Fehlhandlungen begleiteten Weg erreicht. Durch das den ganzen Roman durchziehende Motiv des unschuldig Schuldigseins jedoch setzt Arnim einen ganz neuen
Maßstab an die Figur an, der in den bisherigen Päpstindichtungen keinerlei Verwendung fand. Seine Johanna bleibt, trotz ihrer Schuld, die sie auf sich lädt, rettbar im Sinne der Wiederherstellung christlicher und gesellschaftlicher Standards.
Die erste Stufe des Schuldigwerdens, der Teufelsbund, den Arnim aus den
traditionellen Bearbeitungen übernommen hat, geht somit bereits von einer
ganz anderen Prämisse aus. Johanna, die bereits kurz nach ihrer Geburt von
ihrer Mutter Melancholia dem Luzifer überlassen wurde, hat keinen Einfluss auf
die Pläne, die der Teufel mit ihr hat. Der will sie, da er glaubt, sie erschaffen zu
haben (vgl. Arnim, S. 6),62 in seinem Sinne höchste Macht auf die Christenheit
ausüben lassen und plant ihre Karriere als Päpstin vor. Die Figur des Lehrers
Spiegelglanz repräsentiert die Art des althergebrachten, spezifisch männlichen
Gelehrtentums, gegen das sich Arnim in diesem Roman wendet, was sowohl in
seiner charakterlichen als auch der physiognomischen Darstellung widergespie58
59
60
61
62
Vgl. Arnim, S. 208, wo Arnim explizit das Jahr 956 als das Jahr nennt, in dem Johanna die
Priesterweihe erhält; auch die Nennung der Figuren der Marozia und der Reinera weisen auf
das 10. Jahrhundert hin, vgl. ebd., S. 51; 207. Die Figur der Marozia wird häufig in Verbindung
mit Päpstin Johanna gesetzt, wobei eine Parallele zwischen dem Papsttum der Johanna und
dem sogenannten Weiberregiment der Theodora, Marozias Mutter, im 10. Jahrhundert gezogen
wird, vgl. Gössmann, S. 103–108, 224; eine direkte Rückführung der Päpstin-Legende auf besagte weibliche Schattenherrschaft findet sich heute noch in Lexika, bspw. in Reclams Lexikon
der Päpste von J. N. D. Kelly, welches die Päpstin im Anhang thematisiert. Dort heißt es:
»Wahrscheinlich trug auch die Erinnerung an die Beherrschung des Papststums durch skrupellose Frauen wie Theodora d. Ä., Marozia und Theodora d. J. im 10. Jh. dazu bei, die Legende in
Umlauf zu bringen.«, S. 348. Vgl. auch Zimmermann, S. 129: »Das Negativkonto jener Epoche
ist unübersehbar. Zwar gehört die erst seit dem Spätmittelalter verbreitete Legende von der
Päpstin Johanna in frühere Jahre, aber für die ersten Dezennien des 10. Jahrhunderts wurde
wiederum in arger Übertreibung vom ›Weiber- und Hurenregiment‹ in Rom gesprochen, vom
›Zeitalter der Pornokratie‹«.
Zu näherer Bedeutung, insbesondere in Bezug auf die Christophorus-Legende s. Ricklefs, S.
82ff., 108ff.
Ebd.
Bei Schernberg der Name eines Unterteufels.
Zum Homunculus-Motiv bei Arnim s. Ricklefs, S. 109f.
29
gelt wird.63 Die Erwartung jedoch, dass Arnim die Päpstin Johanna, vielleicht im
Sinne einer Katharinengeschichte, als positives, weibliches Gelehrtenpendant
entwickelt, wird nicht erfüllt. Vielmehr verhält es sich so, dass Johanna den
Großteil ihrer Kindheit, bis zum Einsetzen der Pubertät, in Ignoranz über ihr
biologisches Geschlecht verbringt. Auch ihre Namengebung ist teuflisch beeinflusst, und Spiegelglanz, obwohl des eigentlichen Geschlechts des Kindes bewusst, folgt Luzifers Gebot:
»Bald wirds erblühn [das Kind] in der Schönheit Himmelsgaben, / Doch
nennst du so keck sein Geschlecht! – / Der Weltengeist deutet nicht Geschlechter / Denn beide sind ihm gleich gerecht, / Von beiden ist ihm keines schlechter.
/ Das Kind ruht in schaffenden Händen, / Das kann noch zu beiden sich wenden. – Johannes benenne das Kind, / Belehr es wie geistliche Knaben! –« (ebd.,
S. 38). Diese aus teuflischem Mund gesprochenen Worte zur Geschlechtergleichheit sind weniger Vorausschau auf dauerhaft überwundene Geschlechterrollen als vielmehr Anzeichen einer diabolischen Konzeption, die von der
Gleichheit der Geschlechter spricht. Insofern kennzeichnet die Darstellung der
Johanna als anfänglich androgynes Wesen lediglich einen verfehlten Ansatz auf
dem Weg zu ihrer rechtmäßigen Frauwerdung.
Johanna, die Arnim allerdings erst zu Ende des Romans, in dem Moment, in
dem sie sich auch durch ihre äußere Erscheinung als Frau zu erkennen gibt, mit
ihrem weiblichen Namen bezeichnet,64 wird bereits während ihrer Kindheit von
Wahrsagungen und Vorahnungen auf ihr späteres Schicksal hingewiesen. So begibt es sich auf einem Schloss, in dem sie und Spiegelglanz Unterkunft finden
und Johannes seinen Kindheitsfreund Ludwig, den kleinen Pfalzgrafen, kennenlernt, dass die Geschichte von einem Fischer und seiner Frau, die in den wesentlichen Punkten der Erzählung vom »Fischer und syner Fru« ähnelt, erzählt wird.
Diese handelt von einem sprechenden Wasserstaar, der dem Fischer zufliegt und
ihm die Erfüllung seiner Wünsche verspricht. Am Ende der Geschichte steht der
Wunsch der Frau, zuerst Papst und dann Gott zu werden, was den Fischer und
seine Frau natürlich in den Untergang treibt. Johannes »fühlte in dieser sonderbaren Einwirkung des Wasserstaars auf sein eignes Schicksal das ganze Mährchen von dem Weibe, das Papst und Gott wurde, wie seine Geschichte und
wußte doch nicht warum und weinte entsetzlich darüber.« (ebd., S. 73) Der
sprechende Wasserstar jedoch, der tatsächlich auf dem Schloss erschien, war
Luzifer in der Gestalt des Vogels. Er begleitet Johannas Leben in den verschiedenen Erscheinungsformen, meist jedoch als Gelehrter griechischer Herkunft,
ihr weiteres Leben. Das Verhältnis zu ihrem Lehrer Spiegelglanz ist durch
63
64
Er hat »röthliche Augäpfel, die das Licht der Sonne nicht ertragen konnten und sich rastlos bewegten«, »weißes Haar, durch welches röthliche Haut glänzte«, und »seine Kleider, die er nie
auszog, bis sie zerrissen, starrten von dem Schmutze, in welchem seine Neugierde wie ein
wilder Eber wühlte.« (Arnim, S. 8) Somit ist Spiegelglanz nur ein weiterer Vertreter für Arnims
notorische Negativzeichnungen von Juden, wobei auf der anderen Seite bei Teufelsbündlern in
der Legendentradition häufig auch Juden als Vermittlerfiguren auftreten (vgl. Dorn, S. 46f.).
Dies geschieht tatsächlich erst auf S. 429.
30
dessen Eifersucht auf ihr Können, das sich bereits in frühen Jahren zeigt, als
auch in einer unerfüllten Liebe zu dem Kind gezeichnet, die jedoch voll und
ganz auf Spiegelglanz’ Kenntnis des biologischen Geschlechts seines Zöglings
basiert. Johanna, die »außer dem Kreise der Natur stand« (ebd., S. 113), entzieht
sich nicht nur aufgrund ihrer fehlenden, eindeutigen Geschlechtszugehörigkeit,
sondern auch durch ihre mythische Herkunft und der Unterstützung der
Teufels jeglichem Bewertungsmaßstab. Sie selbst jedoch erhält keinerlei Möglichkeit, sich im Vergleich zu ›normalen‹ Kindern und Jugendlichen zu beobachten, da Spiegelglanz eifersüchtig und ängstlich zugleich darauf achtet, dass sie
keinen engen Kontakt mit Mitschülern oder anderen Lehrern hält. Wie naiv und
unwissend Johannes seiner Existenz gegenüber steht, verdeutlicht eine Prüfungsszene, in der Luzifer in der Gestalt des Chrysoloras ihn mit einer Fangfrage zu locken versucht:
»Chrysoloras.
Nicht schlecht. / Doch sprich, von welchem genus bist denn du, / Damit ich weiß, was du
einst kannst regieren?
Spiegelglanz (verlegen).
Nun lassen wir dem Knaben heute Ruh.
Johannes.
Ich bin kein Wort, das nenne ich verführen / Zu Übereilung, wenn man frägt verfänglich.«
(ebd., S. 138)
In Szenen wie dieser stellt Arnim zwar das Wissen und auch die rhetorische
Gewandtheit, diese traditionellen Merkmale der Päpstin, heraus, verdeutlicht
gleichzeitig damit aber auch die Unmöglichkeit der intellektuellen Erfassung des
eigenen Selbst, wenn kein Bewusstsein über die eigene Geschlechtszugehörigkeit vorhanden ist.
Aus der intellektuellen Konkurrenz mit Spiegelglanz erwächst auch eine weitere Situation, in der Johanna unschuldig Schuld auf sich lädt. Bei einem großen
Examen, einem Wettstreit im Vortragen lateinischer Verse zwischen Schülern,
lässt Spiegelglanz Johannes ein von ihm verfasstes Gedicht vortragen. Es ist die
Frühlingsfeier, »wie sie Spiegelglanz nach dem Traumschatten des schlafenden
Johannes geordnet und mit emsiger Eile ins Lateinische übertragen hatte«.
(ebd., S. 149) Das Kind entdeckt seine eigentliche Autorschaft an den Versen,
»O dieses Werk gehöret zu den meinen« (ebd., S. 141), und erkennt sowohl die
eigene Hilflosigkeit angesichts dieses Betrugs als auch die Ausweglosigkeit seiner gesamten Situation: »Was hilft die Ehre mir, ich bin im Bann, / Hab keinen
Freund so viel der Knaben sind, / Auf Erden bin ich doch das ärmste Kind. /
Das schöne Buch, es ist mir ganz verhaßt, / Ich trage es wie eine schwere Last, /
31
Ich hab es nicht verdient« (ebd., S. 175).65 Dennoch gewinnt er auch diesen
Wettbewerb und als Spiegelglanz und er zur Belohnung nach Rom ziehen
dürfen, bringt Johannes es auch dort »bald zu einem Reichthum von Gelehrsamkeit, der ihm in den verschiedenen Schulen großen Ruf erwarb« (ebd., S. 205).
Durch die auch hier anhaltende Abschottung gegen die Außenwelt wird ihm
eine »seltsame Scheu gegen alle neue Bekanntschaft« (ebd.) zu eigen. Spiegelglanz wagt jedoch kaum mehr, ein »hartes Wort […] zu sagen«, denn Johannes
war »in der Blüthe seines hohen Wuchses, sein Ansehn nur durch den Ernst
seiner Beschäftigung und durch die Schönheit seines Wuchses männlich, sonst
[…] reizend« (ebd., S. 208). In dieser Beschreibung der äußeren Erscheinung
Johannes’ kommt nun auch eine körperliche Androgynität zum Tragen, die bislang nur implizit und hauptsächlich durch Auslassung eindeutig zuordbarer Geschlechtszuweisungen evoziert wurde. Dieser ersten Ausstellung der mentalen
und körperlichen Androgynität folgt eine Phase der expliziten Maskulinisierung
der Johanna, die in der Konfrontation mit dem weiblichen Geschlecht ihren
Höhepunkt erreicht. Die Weiblichkeit, der Johanna bis dahin völlig unbekannt,
erscheint ihr in der Figur der Stephania, in die sie sich prompt verliebt.
Spiegelglanz entdeckt die beiden poussierend in der Küche des Hauses und sieht
gezwungen, Johannes über sein eigentliches Geschlecht aufzuklären:
»Ich darf nicht mehr schweigen, es wäre sonst zu spät, / So nahe dem Ziele alles mißräth; /
So wisse – – – O daß ichs aus geheimster Tiefe / In dich mit zerschmetternder Stimme
hineinriefe: / Du bist eine Jungfrau, du bist kein Mann, / Du stiegest über die Grenzen
hinan / Zur ewigen Kirche durch mich geleitet, / Ohne mich ist dir der Fall bereitet, Du
hast die Weihe fälschlich empfangen, / Darum bleibst du im Kerker gefangen, / Und die
Geliebte, was wird sie sagen, / Wenn die Leute nach ihrem Bräutigam fragen.
Johannes.
Ich starre, ich bin vernichtet; weh, was sagst du mir? / O nimm mich Tod in deine Arme
von hier, / Ich bin eine Jungfrau, bin auch vom Geschlecht, / Das alle Welt verführt zu dem
Unrecht, / Und bin verführt, und habe verführt, / Eine Jungfrau mit wildem Verlangen
berührt, / Widernatürliche, unmögliche Sünde, O wenn ich je von dir mich entbinde, / Was
könnte ich lieben, was wäre mir eigen, / O gott, du konntest die Welt erzeugen, /
Verwandle mich, laß mich werden ein Mann, Treu will ich dienen, wenn ich lieben kann, /
Verwandle oder vernichte mich, / Vermagst du’s nicht, so verfluche ich / Nicht meine
Mutter, die mich geboren, / Nicht Spiegelglanz, der mich in Trug erkoren, / Nein dich, den
Gott, den Weltenregierer, / Du liegst im Herzen als ein Verführer, / Das [sic] du dem
Mädchen mich hast geschenkt, / Daß du sie in mein Herz gesenkt.« (ebd., S. 235f.)
Dieser Ausbruch Johannes’ ist eine, wenn nicht die zentrale Stelle des Romans.
Es spricht daraus nicht nur eine Verzweiflung über das Unvorstellbare, das mit
ihm geschieht – der Konzeption des Romans nach hegte Johannes bis zu diesem
Zeitpunkt keinerlei Zweifel an seiner Identität als Junge –, Johannes gibt in
65
Später sagt er im Hinblick darauf: »Mich schreckt nichts mehr, seitdem ich sündenschuldig.«
(S. 181)
32
seiner Reaktion auch die ganze christliche, indoktrinäre Verurteilung des Weiblichen wieder, die er nun, da er selbst eine (Jung-)Frau sein soll, selbstzerstörerisch gegen sich selbst richtet. Durch diese durch den Charakter der Johanna
selbst formulierte Ablehnung gegenüber der weiblichen Existenz wird der
anfänglich formulierte Ansatz der Irrelevanz von Geschlechtszugehörigkeiten
endgültig negiert und damit auch die oben zitierte Behauptung Luzifers, dem
Weltengeist seien beide Geschlechter gerecht und man solle warten, in welche
Richtung das Kind sich entwickele.
Von einem anderen Standpunkt jedoch illustriert diese Passage einen
entscheidenden Unterschied zu anderen Johanna–Texten. Johannes geht von
sich als genuin männlich aus, bzw. als nicht unterschiedlich zu den anderen Knaben. Als er entdeckt, dass er eigentlich ein Mädchen ist, verliert er die Fassung
und ist in seiner ganzen Existenz zutiefst erschüttert. Dies ist die exakt konträre
Konstruktion zu der gängigen Version, die Johanna als Frau entwirft, die bewusst und klar intendiert die Verkleidung als Mann wählt, um ihre Ziele zu erreichen. Die extremen Selbstzweifel und auch die Selbstverachtung, mit der
Johannes auf die Offenbarung Spiegelglanzes reagiert, spricht erneut für den
zentralen Zug der unschuldigen Schuldigwerdung in der Charakterisierung der
Figur bei Arnim.66
Überwältigt von der grauenvollen Nachricht wendet sich Johannes von Gott
ab und wechselweise dem Teufel und alten römischen Gottheiten zu, denn da er
im christlichen Glauben weder Erlösung aus seinem Unheil – oder dem, was von
ihm als solches empfunden wird – noch Trost erwartet, »Verlaß ich dieser
Christen Sklaventräume« (ebd., S. 244).
Nachdem Johannes wieder Vernunft, also den christlichen Glauben,
angenommen hat, lässt er sein bisheriges Leben Revue passieren (ebd., S. 253–
256).67 Entscheidend dabei sind die ersten Anzeichen einer gedanklichen Umorientierung, die sich in Johannes abzeichnen, »denn so stellte Johannes jetzt,
nachdem Spiegelglanz so rasch, so unvorbereitet ihn vom Thron der gottähnlichen Mannheit hinabgestoßen sich selbst in einen tieferen Bund mit der Natur«
(ebd., S. 255). Die hier erfolgte Gleichsetzung von Männlichkeit = gottähnlich
oder gottnah, und Weiblichkeit = gottunähnlich oder naturnah (Mutter Natur)
liegt die seit der Aufklärung stetig rezipierte Gleichsetzung von weiblichem und
66
67
Zum Aspekt des ›Unschuldig-Schuldigwerdens‹, der ignorantia, in den Legenden der sündigen
Heiligen vgl. Dorn, wo es auch heisst: »Dennoch wird in keiner Weise das Maß der Verschuldung dieser Heiligen durch ihre ›Unwissenheit‹ herabgesetzt, – das beweisen zur Genüge die
reuevollen Sündenbekenntnisse ebenso wie die kompromisslosen Bußwege gerade dieser Heiligen.« (S. 124)
Diese Passage dient gleichzeitig der Bestandsaufnahme und ersten Interpretation der bisherigen Geschehnisse. Interessant dabei ist, dass es sich bei diesen Seiten um einen eindeutig zuzuordnenden Einschub Bettine von Arnims handelt, der völlig frei von Achims Vorgaben entstanden ist, vgl. Ricklefs, S. 68, 364. Festzustellen ist, dass dieser Part ebenfalls zum Verständnis der nachfolgenden Handlungen entschieden beiträgt, die ohne ihn schwer nachzuvollziehen wären.
33
männlichem Prinzip in der Polarität von Natur und Kultur zugrunde. Gestützt
auf die These aus Rousseaus »Emile«, »Der Mann ist nur in gewissen Augenblicken Mann, die Frau ist ihr ganzes Leben lang Frau«,68 wurde eine »Gegensatzkonstrunktion von weiblicher Statik, die in aller Regel naturmetaphorisch
ausgedeutet wird, und männlicher Dynamik, die die historischen Momente von
Fortschritt und leidvoller Entfremdung in sich birgt«69, entworfen, der Arnim
trotz der anfänglich als überkommen präsentierten biologischen Geschlechterdifferenz nachhängt.
Die kontinuierliche Verwandlung Johannes’ äußert sich auch zunehmend in
seinen Reaktionen auf die Umwelt: »Jetzt klopfte es an der Thüre und das Herz
fiel dem armen Johannes wie ein ausgebranntes Haus zusammen und herunter,
seit er wußte daß er ein Mädchen sei, fürchtete er die Nähe jedes Bekannten,
denn er fürchtete roth zu werden und sich zu verrathen.« (Arnim, S. 258), und
wenig später überfällt Johannes plötzlich Sorge, »ob er wohl den Muth habe,
seine Verkleidung als Knabe überall durchzuführen.« (ebd., S. 262) Diese Sorge
kennzeichnet ein sich stetig veränderndes Selbstbild des Johannes einerseits, die
Abkehr vom Prinzip der unschuldigen Schuld andererseits. War er bislang ohne
Einfluss auf seine Dasein als verkleidetes Mädchen, und hatte er kürzlich noch
befürchtet, entdeckt zu werden, was von einer passiven Hingabe in die von anderen geschaffenen Umstände zeugte, so versteht er seine Verkleidung nun als
eine aktiv von ihm gelenkte und begangene Tat.
Eine erneute, von Johanna befürchtete Begegnung mit Stephania, der ehemaligen Geliebten, enthüllt den zweiten, schwerwiegenden Fall von crossdressing
in diesem Roman. Stephania ist in Wirklichkeit der kleine Pfalzgraf Ludwig, der
sich als Mädchen verkleidet vor dem Zugriff bösartiger Verwandter schützen
musste. Daraus ergibt sich, dass Stephania, ein als Mädchen verkleideter Junge,
sich genau wie Johannes, welcher ein als Junge verkleidetes Mädchen ist, ganz
ihrer äußeren Erscheinung und den damit verbundenen Erwartungen der
Außenwelt entsprechend verhält. Hinzu kommen nun allerdings die weitaus
vielschichtigeren Erwartungen, die diese beiden, Gender- und Geschlechtergrenzen überschreitenden Figuren einander gegenüber hegen und von welcher Prämisse sie jeweils ausgehen. Stephania geht wissentlich von sich als Junge aus und
nimmt dasselbe für ihren Kindheitsgefährten Johannes an. Dieser, von seinem
Lehrer über sein eigentliches Geschlecht aufgeklärt, weiß nun aber, dass sich die
wahrhaftigen Geschlechterverhältnisse genau entgegen der jeweiligen Verkleidung verhalten.
Dies gilt jedoch nicht für die Szene des erstmaligen Kennenlernens zwischen
Stephania und Johannes. Zu diesem Zeitpunkt ging Johannes noch von seiner
Männlichkeit und Stephanias Weiblichkeit aus, wohingegen es für Stephanias
Verhalten, die sich unabhängig von dem tatsächlichen Erkennen Johannes’ ihrer
68
69
Jean-Jacques Rousseau, »Emile oder Über die Erziehung«, zitiert nach Bovenschen, S. 27.
Bovenschen, S. 27.
34
eigenen Männlichkeit bewusst war, nur zweierlei Erklärung gibt. Entweder sie
hatte sich zu diesem Zeitpunkt so in ihre Rolle als Frau hineingefunden, dass sie
die Annäherungen an Johannes als natürlich und den Umständen entsprechend
empfand, oder aber hegt homosexuelle Neigungen. Dem gänzlich konträr steht
jedoch die Prämisse gegenüber, von der der/die LeserIn an dieser Stelle ausgehen muss. Noch nicht in das Geheimnis der Stephania eingeweiht, wird an
dieser Stelle ebenfalls eine homoerotische, nun jedoch lesbische Konnotierung
erkennbar. Die Verkleidung wird in beiden Fällen durch die Charaktere selbst
negativ bewertet. Stephania beispielsweise gerät über einer Bibelstelle in Verzweiflung ob ihrer Verkleidung, in der es heißt: »Ein weib soll nicht Mannesgeräthe tragen und ein Mann soll nicht Weiberkleider anthun, denn, wer solches
thut, der ist dem HERRN deinem Gott ein Gräuel.« (ebd., S. 329)70 Auch erfüllt
den jungen Pfalzgrafen ein Traum mit großer Scham, in dem »Johannes als eine
schöne Jungfrau gekleidet [erschien], die ihn an sich zog und zärtlich umhalste.«
(ebd., S. 280) Johanna jedoch, in ihrer Gewissheit des eigenen Geschlechts und
desjenigen der Stephania, scheint auf dem besten Wege, ihr neugewonnenes Dasein als Frau anzuerkennen und zu umarmen: »Ich bin Jungfrau, ich will es sein,
/ Ihr könnt mich dabei nicht mehr verwirren, / Ein Mann zu sein wäre mir Pein,
/ Ich fühle meine Macht, ich kann nicht mehr irren, / Heut befehl ich, meine
Zeit ist gekommen.« (ebd., S. 281f.)
Der Moment der ersten Annahme weiblicher äußerer Attribute in Form von
Ring und Spange jedoch, die Johannes einst für Stephania kaufte, und der damit
einhergehenden Bekundung, dass Gott nun, da Johanna langsam zu dem würde,
was sie wirklich sei,71 zufrieden mit ihr wäre, geht zeitlich einher mit der Nachricht, dass Johannes zum Nachfolger des verstorbenen Papstes Anaklet gewählt
wurde (ebd., S. 314). Johannes jedoch »war zu betäubt, um zu widersprechen,
ganz froh war er nicht, aber er ließ mit sich geschehen, wurde bekleidet und
keiner fand diese Stummheit in so außerordentlicher Lage, bei solcher Jugend
auffallend oder ungewöhnlich.« (ebd., S. 314f.) In der Investitur mit Mantel,
Ring, Stab und Krone wiederholt sich nun der Prozess des von den äußeren Begebenheiten gelenkten unschuldigen Schuldigwerdens, wie er von Anfang
Johannes’ Schicksal bestimmt hat. Auch legt er den päpstlichen Eid ab, »ohne zu
wissen, was er nachsprach« (ebd., S. 318) Spiegelglanz, der mittlerweile von dem
Teufel Asmodi besessen ist, gerät in die Zeremonie, gebärdet sich wie ein Wilder
und droht Johannes mit der Aufdeckung seines Geheimnisses. Der Teufel
70
71
Es handelt sich um die bereits zitierte Stelle in 5. Mose 22, 5, die im Grunde eines der Hauptvergehen des Päpstin bezeichnet und hier auf einen männlichen Charakter, der sich als Frau
verkleidet, ausgeweitet wird. Fraglich ist dabei, ob es sich um einen Akt der Gleichstellung
handelt, oder vielmehr um die Verschärfung des Arguments wider die Rechtmäßigkeit der Annahme der Kleidung des anderen Geschlechts.
»Doch fühlet er [Gott], daß er Johanna treu / In ihrer Schönheit Licht die weite Welt erfreu. /
Er fühlt sich froh in ihrem schönen Leib, / Er liebet Ludwig denn er ist ein Weib / Er will auch
ihn in seinem Feuer brennen, / Und eine Ewigkeit soll beide dann nicht trennen.« (S. 298)
35
spricht aus ihm die Worte »Nicht früher bis du Fürst ein Weib, / Trennt der
Teufel sich vom Leib.« (ebd., S. 317)72
In dieser im Vergleich zu anderen Päpstin-Erzählungen milden Prophezeiung
ist ganz klar der Unterschied zwischen Arnims Version und seinen Vorläufern
zu erkennen, denn er führt auch hiermit die Geschichte zielstrebig ihrem katastrophenlosen Ende zu. Der Teufel droht ihm nicht mit ewigen Höllenqualen
oder ewiger Schande auf Erden, auch bleibt die notorische Kindsgeburt unausgesprochen.73 Was von Johannes an dieser Stelle verlangt wird, ist ein Bekenntnis
zu seinem biologischen Geschlecht. Spiegelglanz’ Orakel zieht jedoch keinerlei
Konsequenzen nach sich, da zwar alle von seiner Besessenheit, nicht jedoch von
der Möglichkeit, der Papst könnte ein Weib sein, überzeugt sind: »Da ginge
wohl die Ewigkeit verloren, / Eh wäschen wir wohl rein den schwärzesten
Mohren.« (ebd., S. 339), ein weiteres Zeichen für die Blindheit und mangelnde
Vorstellungskraft derer, die sowohl der Ansicht sind, man könne eher die
Hautfarbe, als das Geschlecht eines Menschen verändern, als auch den bloßen
Gedanken an einen weiblichen Papst absurd finden. Der Text plädiert hierbei
aber nicht etwa für eine Frau auf dem Papststuhl, da er die hypothetische Möglichkeit aufzeigt; er weist diese Vorstellung, wie zu seinem Ende ersichtlich
wird, als absurd und nicht dem Naturell der Frauen entsprechend aus.
Die Kritik an dieser Stelle gilt, ähnlich der der Reformatoren, der Blindheit
und Angreifbarkeit der Kleriker, die sich von Johannas äußerer Erscheinung
haben täuschen lassen. In diesem ganz speziellen Fall jedoch, da der weibliche
Papst schon gewählt war, wünscht sich die Erzählinstanz, die sich an dieser
Stelle mit einem Kommentar zu Wort meldet, dass wenigstens »ein würdiger
Mann in dieser Zeit um ihn gewesen [wäre], der Einsicht mit Frömmigkeit verbunden hätte, vielleicht wäre seine Herrschaft von den Lastern und Elend frei
geblieben, welche die Geschichte ihm vorwirft.« (ebd., S. 328) Da aber weder
diese ›Geschichte‹ noch die allgemeine ›umschreibbar‹ sind, nimmt Johannas
Abstieg seinen Lauf.
Aus ihrer verborgenen Liebe zu Ludwig heraus, der sich, im Gegensatz zu ihr,
von seiner Verkleidung gelöst hat, veruntreut sie Gelder und gerät in den Bann
der machthungrigen und intriganten Schattenherrscherinnen Reinera, genannt
Fürstin Venus, und Marozia. Von Oferus (dem leiblichen Vater der Johanna,
der in der Zwischenzeit zum Christentum bekehrt wurde) und König Otto
werden schließlich Neuwahlen ausgerufen, die Oferus für sich entscheiden kann
und als Papst Leo die Nachfolge Johannes’ antritt. Dieser ist, gemeinsam mit
Ludwig, auf der Flucht und findet während eines langen Winters in einer
Einsiedelei zu seinem wahren Ich. »Johannes schämte sich seiner männlichen
72
73
Dies in Anlehnung an die sechs alliterierenden ›P‹. Die Passage dient ebenfalls der Vorhersage
des zukünftigen Schicksals der Päpstin.
An späterer Stelle heißt es von Chrysoloras, »ihm fiel die Prophezeiung des tollen Spiegelglanz
ein, er werde vom Teufel befreit werden, wenn der Papst von einem Kinde befreit werde.« (S.
339)
36
Kleider, er lernte vom Pfalzgrafen auch das Nähen, er schnitt aus seinem weißen
Jagdmantel ein weibliches Gewand, das er mit rothem Saum und Gürtel versah;
viel mußte er ändern, ehe es passen wollte, und so verzögerte sich die Vollendung des Kleides über den harten Winter hinaus bis zum Frühlingsanfang.«
(ebd., S. 428)
Somit steht Johannes nun also seine letzte De- und Re-Investitur bevor,
durch die er sich auf seine wahre Natur und sein wahres Geschlecht besinnen
soll. Die Farbgebung des Kleides, das er sich näht, ist von stark symbolischer
Bedeutung: Weiß und Rot, Unschuld und Schuld, Reinheit und Sexualität;
Gegensatzpaare, die der konservativen Weiblichkeitscharakteristik voll entsprechen. In der Nacht vor ihrer Lebensbeichte träumt Johanna sich »in ihrem
weißen Kleid, das mit Blumen besteckt, auf einem weißen Pferd hinter dem
Pfalzgrafen sitzend«, und »sie selbst gefiel sich wohl in dem Traumbild, sie sah
es sich an, daß ihr viel traurige Tage bis dahin aufgegangen waren.« (ebd., S. 429)
Die christliche und gesellschaftliche Ordnung ist nun beinah wieder hergestellt,
Johanna selbst von der Sehnsucht nach einem geordneten, weiblichen Leben an
der Seite von Ludwig, der um ihre Hand angehalten hat, erfüllt. Arnim gesteht
seiner Hauptfigur jedoch keines der Attribute mehr zu, die sie vorher charakterisierten. Ihre Bildung und ihre Erfahrungen als Mann, die unweigerlich einen
festen Bestandteil ihres Lebens ausmachen, haben in ihren Zukunftsphantasien
keinen Platz mehr.
Johannas neue Eigenschaften sind die der Zurückhaltung, der Unscheinbarkeit und der Bescheidenheit. Sie selbst wird zur gelebten Antithese dessen, was
sie vorher war und für ihr Hochzeitsgebinde »wählte [sie] sich nur eine unscheinbare Blume, die Zeitenlose, weil sie ihr im Traume der letzten Nacht als
ein Bild der Dauer und Freiheit von dem Drange des Jahres erschienen, dem die
Heiden unterworfen.« (ebd., S. 442) Spiegelglanz erscheint auf dem Weg zu
dieser Hochzeit ein letztes Mal, und wie er vorhergesagt hatte, entweicht der
Teufel in Form einer Fledermaus aus ihm, als Johanna als Frau erscheint. Bevor
Johanna und Ludwig das Land gen Deutschland verlassen, segnet Papst Leo
Johanna mit den Worten:74 »Du sollst Vater und Mutter verlassen und deinem
Manne folgen; ziehe heim in Frieden, dein Vater segnet dich. Es ist Gottes Wille
gewesen, daß du zur Welt zurückkehrtest. Gott ist in allem Leben. Lobe denn
Gott, der alles so freudig endet, in dem Vertrauen das allen Streit der Gedanken
besiegt. Gott segnet Euch. Amen.« Ob Ludwig und Johanna gemeinsam die
allerletzten Worte dieses Roman sprechen oder ob Johanna sich in unterwürfi74
Leos Segen enthält dabei eine signifikante Umwertung der ›klassischen‹ Formulierung, wie sie
in Mattheus 19, 4–5 zu finden ist von Jesus geäußert wird: »Er antwortet aber vnd sprach zu
jnen / Habt jr nicht gelesen / Das / der im anfange den Menschen gemacht hat / der macht /
das ein Man vnd Weib sein solt? / Vnd sprach / DARUMB WIRD EIN MENSCH VATER VND
MUTTER LASSEN / VND AN SEINEM WEIBE HANGEN / VND WERDEN EIN FLEISCH SEIN«.
Dabei kommt Leo nicht nur im spirituellen Sinn als Pater Patrum das ›Verlassenwerden des
Vaters‹ zu, sondern auch im biologischen; schließlich ist er Johannas leiblicher Vater.
37
ges Schweigen ergibt, ist nicht mehr ersichtlich: »Gott wollen auch wir vertrauen bis zu unserem Ende. Um diesen Segen flehen wir am heutigen Sonntag.«
(ebd., S. 462)
Arnim entwickelt in der Tat ein anderes Bild der Päpstin als seine Vorgänger;
ein grundlegend neues entwirft er jedoch nicht. Sein Hauptbestreben ist es,
seine Heldin schadlos zu halten und er tut dies, wie besprochen, durch das zentrale Motiv der unschuldig erworbenen Schuldigkeit. Von ihrer Geburt an war
die Johanna seines Romans Teil einer Fehlentwicklung, die sie zu keinem Zeitpunkt selbst steuern oder beeinflussen konnte. Ihre Verkleidung als Mann, ihre
Bildung und den Papststuhl hat sie nur durch das massive Zutun anderer, die
klar ersichtlich als negative Charaktere gezeichnet werden, erlangt, ohne dass sie
selbst dieser Verfehlungen, die auch von Arnim als solche angesehen werden,
beschuldigt werden kann. Das katastrophenfreie Ende der Geschichte, so wohltuend es sich von dem üblichen, brutalen oder zumindest tragischen absetzt,
kommt nur durch die vollkommene Rückführung der Hauptfigur in bestehende
Normen der Geschlechterzugehörigkeit und damit verbundener Rollenzuweisungen zustande. Arnims Johanna ist von ihrer eigenen, männlichen Vergangenheit komplett abgetrennt, sie findet sich in das treuesorgende Leben der folgsamen Ehefrau ein und gilt somit als gerettet.
Eine, wie auch immer geartete, gewinnbringende Erfahrung aus ihrem bisherigen Leben wird ihr nicht zugestanden, sie soll vergessen, um wenigstens in eine
bessere Zukunft schauen zu können. Ihre Bildung wird zugunsten weiblicher
Tugenden aufgegeben, zumal Intellekt sie, wie Arnim an einigen Stellen aufzuzeigen bemüht ist, vor Fehltritten und dem Verkennen ihrer wahren Identität
als Frau nicht bewahren konnte. Die Möglichkeit, einen positiven, femininen
Gegenpart zu der negativ konnotierten Gelehrtenfigur des Spiegelglanz zu entwerfen, hat Arnim ebenso wenig genutzt wie die einer versöhnlichen Verbindung zwischen biologischem Geschlecht und soziokultureller Identität. Johanna
wird erst in dem Moment als Einheit angesehen, in dem sie sich durch ihre
Kleidung und durch ihr Verhalten als eindeutig weiblich definiert. Die typische
Frauenrolle, in die Johanna sich zu Ende des Romans einfindet, mag damaligen
Idealvorstellungen entsprochen haben; von der Päpstin bleibt der Hauptfigur
jedoch nichts, weder in positiver noch negativer Hinsicht.
Einer Einschätzung wie der Völkers, der in Arnims Johanna eine »mögliche
Leitfigur der Frauenbewegung« sieht, kann ich aus diesen Gründen nicht
zustimmen, zumal er die These aufstellt, dass »in ihrem Kampf um Erkenntnis
und Lebensglück […] die Arnimsche Päpstin tatsächlich ein weiblicher Faust
[ist]«75. Völker berücksichtigt die Ausrichtung dieses ›Kampfes um Erkenntnis
und Lebensglück‹ nicht und übersieht, dass Johanna in diesen Bestrebungen von
äußerlich oktruierten Normvorstellungen ebenso geleitet und bestimmt wird,
wie sie vormals von fremden Zielen und Machtansprüchen gelenkt wurde.
75
Völker, S. 43.
38
Emmanuil Rhoidis, »Päpstin Johanna«
»I Papissa Ioanna« von Emmanuil Rhoidis gilt bis zum heutigen Tag als eine der
gelungensten und amüsantesten literarischen Bearbeitungen der PäpstinJohanna-Legende. Gerade an diesem nicht nur humorvollen, sondern in weiten
Teilen extrem sarkastischen und ironischen Zugang scheiden sich jedoch die
Geister. Rhoidis’ Roman dient in der Tat nicht im geringsten einer Heroisierung
der Johanna. Sein Hauptanliegen ist die Kirchenkritik, hauptsächlich die der
Griechisch-Orthodoxen Kirche, und zu diesem Zwecke nahm er sich der Päpstin, diesem eigentlich der Römisch-Katholischen Kirche zu eigenen Schandfleck, an. Neben den negativen Aspekten dieses in eindeutiger Tendenz verfassten Romans existieren allerdings auch einige positive.
Rhoidis hat, was man einem Roman vorangestellten, in den meisten Fällen
jedoch nicht mitpublizierten Studienteil entnehmen kann,76 der Niederschrift
seines Romans eine intensive Quellenuntersuchung vorangehen lassen. Diese
führte dazu, dass viele Details, die Rhoidis erstmals in die Geschichte einflechtet, später als durch die Legende selbst gegeben angesehen wurden.77 So orientieren sich einige der von mir im zweiten Hauptteil dieser Arbeit besprochenen
Autorinnen an seiner Version der Legende, was von Banuta Rubess und Emily
Hope offengelegt wird, während andere, vermutlich tatsächlich in der Annahme,
es handele sich um ältere und oder historisch belegte Fakten, dies nicht tun.78
Auf der anderen Seite jedoch bietet Rhoidis’ Text, heute wie damals, große
Angriffsflächen. In dem Maße, in dem zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im
Jahr 1866 hauptsächlich die kirchen- und religionskritischen Seitenhiebe für
Aufruhr, aber auch große Beliebtheit des Romans sorgten79, verlagert sich das
76
77
78
79
Unter den momentan erhältlichen deutschen Ausgaben ist es überraschenderweise die des
Bastei-Lübbe-Verlages aus dem Jahr 2000, die als einzige besagten Studienteil enthält. Offensichtlich hatte man ausgerechnet dort keine Befürchtung, die Leserschaft zu überfordern oder
gar zu langweilen, während an anderer Stelle »für die vorliegenden Ausgabe […] die trockenen
wissenschaftlichen Kapitel der ›Studie‹ (Einleitung und Anmerkungen) fast gänzlich dem
ungetrübten Vergnügen an der kurzweiligen literarischen Satire ›geopfert‹« wurden (Manfred
S. Fischer in seinem Nachwort zur Ausgabe von 1985, S. 231).
Vgl. Pardoe, S. 87.
Das ändert allerdings nichts an der eingangs getroffenen Bestimmung, die Legendenfassung
von Polonius als ›Hypotext‹ einzuführen, da diese über Rhoidis’ »Papissa« auch wieder in allen
Texten enthalten ist, die sich ›nur‹ auf Rhoidis beziehen.
Einerseits wurde Rhoidis von der Griechisch-Orthodoxen Kirche exkommuniziert und sein
Buch auf den Index gesetzt, andererseits erfolgten bereits kurze Zeit nach Veröffentlichung
der Originalausgabe zahlreiche Übersetzungen ins Italienische, Deutsche, Französische und
Englische. Einige dieser Übersetzungen wurden für so kongenial erklärt, dass sie in erster Linie
mit dem Übersetzer, nicht mit Rhoidis in Verbindung gebracht werden. Dies ist beispielsweise
bei Alfred Jarry und seiner Übertragung ins Französische aus dem Jahr 1908 der Fall, ebenso
wie bei Lawrence Durrell, der die zweite, bis heute maßgebliche Übersetzung ins Englische im
Jahr 1948 veröffentlichte. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Texte, die, nicht als solche
gekennzeichnete, Quasi-Übersetzungen von »I Papissa Ioanna« sind, da sie sich nur geringfügig vom Original unterscheiden. Dies ist beispielsweise bei »The Book of Joan« von George
Borodin aus dem Jahr 1947 der Fall, der Rhoidis’ Text weitestgehend und stellenweise wortwörtlich übernimmt und, abgesehen von einem selbstgeschriebenen und gründlich misslungenen Eingangs- und Schlusskapitel, lediglich die Erzählperspektive von der dritten in die erste
39
Augenmerk der heutigen Leserschaft merklich von der Präsentation der Kirchen
auf die der Hauptfigur und der Frauen generell. Rhoidis spart auch hier nicht
mit raumgreifenden Boshaftigkeiten und vergreift sich auch in eindeutig antisemitischen Charakterisierungen jüdischer Geistlicher und der notorischen Kaufleute.
Nicht nur Charakterisierungen der Hauptfigur Johanna, sondern Frauencharakterisierungen generell nimmt der Erzähler wiederholt zum Anlass, Exkurse über mutmaßliche Verhaltensmuster und Eigenarten des weiblichen Geschlechts zu unternehmen. Diese fügen sich in ihrem sarkastischen, teilweise
aber auch sadistischen Ton nahtlos in seine Darstellung kirchlicher und religionsspezifischer Missstände ein. Schon nach wenigen Seiten bedenkt Rhoidis
seine Leser mit dem Kommentar zu der Vergewaltigung Juttas, der Mutter von
Johanna, dass »diese Grobiane […] die Gattin des Missionars auf dem Grase
aus[streckten] und […] ihr mit Gewalt die wahre Bestimmung des Weibes in
Erinnerung [brachten].« (Rhoidis, S. 31)
Gestützt auf einen Klassiker bemerkt er zu der Liebesfähigkeit der Frauen:
»Nach dem alten Plutarch kennen die Frauen nicht einmal den Schatten der
echten Liebe. Ich meinerseits glaube, daß es bei ihnen nur eine sekundäre
Krankheit ist, die sich aus der Langeweile und dem Alleinsein entwickelt. Die
Frauen von Welt, die jeden Abend aus dem Arm des einen Mannes in den eines
anderen übergehen (ich meine natürlich auf den Bällen), haben weder zum
Seufzen Zeit noch um etwas anderes als ihren Fächer zu lieben. Sie gleichen
jenem Esel, der inmitten von vier Kleehaufen nüchtern blieb, weil er nicht
wußte, welchem er vor den anderen den Vorzug geben sollte.« (ebd., S. 66f.)
Auch nutzt er den, ebenfalls von zahlreichen Dichtern bereits erbrachten, Vergleich von Religionen und Frauen für seine Zwecke: »Die Religionen gleichen
den Frauen. Solange beide jung sind, brauchen sie keine Schönheitsmittel und
keine Schminke, um von ergebenen Verehrern umringt zu sein, die bereit sind,
als Liebhaber oder erste Christen selbst das Leben für sie hinzugeben; wenn sie
jedoch altern, sind sie gezwungen, zum Schminktopf und anderen kosmetischen
Mitteln ihre Zuflucht zu nehmen, um wenigstens noch einige Zeit ihre an der
Zahl abnehmenden Anbeter festzuhalten.« (ebd., S. 78)
An einer Stelle, bei der Beschreibung eines Schiffs und seiner Sklavenfracht,
reflektiert der Erzähler die Unterscheidung zwischen Menschen und ›Weibern‹:
»die eben gekauften Sklaven […], sechzehn Stück, neun Menschen und sieben
Weiber. Ich habe eben Menschen und nicht Männer gesagt; denn in jener Zeit
zweifelte man noch, ob die Weiber zum menschlichen Geschlecht gehörten;
diejenigen, welche ihnen die Menscheneigenschaft absprachen, beriefen sich auf
ihre Liebschaften mit Böcken in Ägypten und mit Pferden in Thessalien, auf die
Meinung des Aristoteles, ihre Schlechtigkeit, die Tochter des Aristoxenus, welche Eselsfüße hatte, und eine Stelle des Buches Tobiä.« (ebd., S. 111)
Person umändert, um einen zusätzlichen, jedoch um so störenderen Effekt zu erzielen. Nun ist
es die Päpstin selbst, die sich kirchen- und frauenfeindlich äußert und insgesamt noch stärker
den Eindruck einer berechnenden und durchtriebenen Frau erweckt, als das bei Rhoidis jemals
der Fall ist.
40
Den Umgang der Frauen mit der Eifersucht der Männer skizziert er folgendermaßen: »Aber alle Frauen gleichen ohne Ausnahme jenen verwilderten
Römern der Dekadenz, welche von den im Zirkus abgeschlachteten Opfern verlangten, sie sollten mit Anmut fallen, indem sie ohne Klage ihren Hals dem
Messer boten« (ebd., S. 139). Ebenso unangenehme Eigenschaften entfalteten
sich im Angesicht der Macht:
»Die Weiber als personifizierte Mischungen von Liebe, Aufopferungsfähigkeit, Mitleid und
der übrigen zarten Tugenden verstehen es trotzdem, wenn es die Not gebietet, sich in Blut
zu baden wie in einem wohlriechenden Bade. Die heilige Irene ließ Tausende Menschen abschlachten und ihren eigenen Sohn blenden; die erhabenen Fürstinnen Elisabeth von England und Katharina von Rußland gebrauchten das Beil und die Knute mit derselben Leichtigkeit wie ihren Fächer.« (ebd., S. 163)
All diese, auf einen gewissen misogynen common sense bauenden und natürlich
satirisch überhöhten Charakterisierungen der Frau an sich und im Besonderen
lassen, in Verbindung mit der individuellen Charakterisierung Johannas, keinen
Gesamteindruck einer sympathischen oder gar wohlwollenden Darstellung der
Päpstin entstehen. Rhoidis entwirft das Bild einer auf der einen Seite naiven und
nicht von Grund auf bösartigen, etwa durch den Teufel beeinflussten Johanna,
die jedoch durch einen ausdrücklichen Appetit nach Wissen, Macht und
Liebschaften ausgestattet ist und sich davon nach und nach korrumpieren lässt.
Damit legt er auch einen Grundstein für eine Reihe lediglich auf die erotische
Doppeldeutigkeit der Geschichte abzielenden Weitererzählungen der Legende.
Die Welt, in die Rhoidis seine Johanna geboren werden lässt, ist die der von
der Römischen Kirche produzierten Ignoranz. Die Eltern Johannas, ein durch
die Unzulänglichkeiten seines Missionarslebens an Körper und Seele geschundener, englischer Mönch und seine Frau, leben in Westfalen, wo es »nur solche
Geistliche [gab], die in der Bierbereitung erfahrener waren als in der Dogmatik,
die z.B. die Kinder im Namen des Vaterlandes, der Tochter und des heiligen
Hauches tauften.« (ebd., S. 28)80 Die Charakterisierung Johannas fußt von Beginn des Romans an auf satirischen Übertreibungen wie ihre Angewohnheit, seit
frühester Kindheit an Fastentagen die Brust zu verweigern.
Nach dem Tod der Eltern entwickelt sie dank eines narzisstischen Erlebnisses
mit ihrem Spiegelbild im Wasser ein beachtliches Selbstbewusstsein und sie sinniert über ihre Zukunftsperspektiven und »wie sie ihre Schönheit und Weisheit
nutzen solle« (ebd., S. 36). Darüber schläft sie ein und hat in Anlehnung an
Lukian »einen Traum wie der Samosatenser« (ebd.), in dem ihr die heilige Lioba
80
Diese scherzhafte Anspielung auf die notorische Unkenntnis der lateinischen Sprache, die
selbst Mitglieder des höheren Klerus statt In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti eine
Segnung In nomine Patria et Filia et Spirita Sancta vornehmen ließ, kehrt in vielen späteren
Päpstin-Romanen wieder und wird auch in dem zuletzt erschienenen von Woolfolk Cross
wieder aufgenommen. Ein möglicher Urheber dieser Anekdote ist John Potter, der in seiner
History of Christianity aus dem Jahr 1875 von einer solchen Ignoranz im Zusammenhang mit
dem Jahr 864 berichtet, vgl. Stanford, S. 133; 268. Bereits Arnim deutete eine solche Unkenntnis bei einem Bischof an, hier jedoch in Bezug auf die griechische Sprache (vgl. Arnim, S. 82).
41
und die heilige Ida erscheinen.81 Diese werben jede für den Lebenswandel, den
sie selbst geführt haben, Ida für ein Dasein als höfische Dame mit Prunk und
Pomp und zahlreichen Liebhabern, Lioba für die stilleren Freuden des Klosterlebens, die jedoch nicht, wie anzunehmen, in einem keuschen Dasein als Braut
Jesu bestehen, sondern auch weltliche Genüsse und Liebschaften beinhalten, nur
dass man sie schadenfreier genießen könne als weltliche Damen. Johanna entscheidet sich für den Werdegang als Nonne, woraufhin sie sich in einem Traum
im Traum, »auf einem Thron [sieht], der so hoch war, daß ihr mit einer dreifachen Krone geschmücktes Haupt fast bis zu den Wolken reichte, während eine
weiße Taube um sie herum flatterte, ihr mit den Flügeln Kühlung zufächelnd,
und viel Volk sich zu Füßen des Thrones drängte und auf den Knien lag.« (ebd.,
S. 44)
Wie Jesus auf einem Esel reitend erreicht sie das Kloster der heiligen Blithrud
und wird sogleich zur Kustodin der Klosterbibliothek ernannt. Ihre erste Zeit
im Kloster ist gezeichnet von der »klösterlichen Langeweile, welche die Novizinnen ergreift wie die Seekrankheit diejenigen, welche zum ersten Male auf
einem Schiffe fahren.« (ebd., S. 56) Diese Langeweile ist es, die Johanna letztendlich in den Glauben treibt, denn »Langeweile und Müßiggang sind, glaube
ich, die Hauptantriebe zur Frömmigkeit.« (ebd.) Sie verbringt die nächste Zeit
mit »metaphysischen Spekulationen« (ebd.), welche sich zu einer bedenklichen
»metaphysischen Krankheit« (ebd., S. 59) auswachsen, von der man jedoch laut
Erzähler glücklicherweise nur einmal befallen wird. Als ihre Langeweile überhand zu nehmen droht, tritt Pater Frumentius in Johannas Leben. Mit diesem
naiv-unschuldigen Benediktinermönch soll sie für Rhabanus Maurus, den Prior
des Klosters Fulda, eine Abschrift der Paulusbriefe anfertigen. Nachdem
Johanna ihn mit der lauten Lektüre des Hohelied Salomos verführt hat, ist
Frumentius als ihr Liebhaber etabliert.82 Sie flieht mit ihm zusammen ins
81
82
Die heilige Lioba steht in engstem Zusammenhang mit der Stadt Fulda und bietet somit einen
schlüssigen Anknüpfungspunkt an die Geschichte der Johanna. Lioba war verwandt mit
Bonifatius, dem angelsächsischen Gründer des Klosters Fulda (744), und wurde von diesem
um das Jahr 750 zur Äbtissin des Klosters Bischofsheim ernannt und als Oberleiterin der anderen von ihm gestifteten Klöster eingesetzt. Sie starb um das Jahr 780. Darstellungen von ihr
sind jedoch erst seit dem 17. Jahrhundert aus dem Dom und dem Benediktinerinnenkloster
von Fulda bekannt, vgl. Keller, S. 335.
Das Maß des Anspielungsreichtums von Rhoidis’ Roman wird an dieser Stelle offensichtlich
und soll stellvertretend für andere Allusionen und intertextuelle Verfahren kurz dargestellt
werden: »Da hob Johanna den Kopf vom Buch, und die Augen der beiden Liebenden trafen
sich. Wenn man sich am Rand eines Abgrundes befindet (und das war, glaube ich, die Lage
unserer Heldin), muß man, wie gesagt wird, die Augen schließen, sonst wird man schwindelig
und fällt; sie aber schloß die Augen nicht, daher – fiel das Buch aus ihrer Hand, und Quel
giorno più non vi leggero avanti.« (S. 65) Das kursiv gesetzte italienische Zitat gibt die Quelle
an, Dantes »Divina Commedia«, allerdings auch gleich Rhoidis’ Verfahren, dort spricht Francesca schlicht von »Quel giorno più non vi leggemmo avante.« (Purgatorio, Canto 5, 138). Was
bei ihr noch die Erinnerung an den Ehebruch mit ihrem Schwager Paolo und die vorangehende
Verführung durch die Lektüre des »Lancelot« ist, nach deren Schilderung Dante ohnmächtig
wird und niederfällt, dient Rhoidis zum Material seiner Travestie. Bei ihm fällt nicht der Erzähler, sondern nur das Buch zu Boden, auch wenn Johanna metaphorisch ›fällt‹, entsprechend
wird auch das Zitat in die Stimme des Erzählers transformiert: ›An diesem Tag werde ich nicht
weiterlesen.‹ Die Menge an intertextuellen Verweisen sowie an Hypotexten, die Rhoidis’ Ro-
42
Kloster Fulda, wobei es auch hier, mit Frumentius, ein anderer ist, der ihr die
Verkleidung als Mann andient. Da sie jedoch die Möglichkeiten, die ihr diese
Verkleidung bieten, wohlwollend annimmt und im Fortlauf der Geschichte für
ihre Zwecke zunehmend schonungslos ausnutzt, dient ihr diese anfängliche
Fremdbestimmung nicht zur Entlastung, wie es bei Arnim der Fall ist.
Bis zu dem Moment, da Johanna und Frumentius auf ihrem Liebeslager von
einem Eunuchen, den der Erzähler in gewisser Weise mit Johanna gleichsetzt,
denn er sei neben ihr der einzige »andere bartlose Mönch« (ebd., S. 83) des
Klosters, überrascht und zur Flucht aus Fulda gezwungen werden, bleibt
Johanna unerkannt. Der Flucht aus Fulda folgt eine Irrfahrt, oder vielmehr ein
Irrritt, durch halb Europa, auf dem sie u.a. durch Mainz, St. Gallen, Zürich und
Luzern, Lyon und Arles kommen. In Toulon schließlich besteigen sie ein Schiff
nach Athen. Dort angekommen und sich nur mühsam mit den Gepflogenheiten
der Griechen anfreundend, beziehen sie schließlich eine Einsiedelei in der Nähe
eines unabhängigen Klosters. Zuerst herrscht noch Harmonie zwischen Johanna
und Frumentius, da sie anfänglich voll in ihrer Rolle als treusorgende Ehefrau
aufgeht. In dieser Zeit entwickelt Johanna eine »Art von erträglicher Religiosität«, die sie den Mönchen im benachbarten Kloster mehr als suspekt erscheinen
lässt, aber dank ihres »lebhaften, scharfsinnigen Geistes« (ebd.) erlangt sie
schnell einen Ruf als ebenso schöner wie kluger Bruder und wird von vielen Gelehrten aus der näheren und ferneren Umgebung Athens aufgesucht. Diese
Wertschätzung basiert jedoch nicht auf Gegenseitigkeit, denn Johanna strebt
nach Höherem und malt sich Situationen noch größeren Ruhms und Erfolges
aus. Hochmütig sehnt sie sich nach einer neuen Umgebung und besseren
Gelegenheiten, mit ihrer Schönheit und ihrem Wissen zu glänzen und sie weint
»über ihren Büchern bei dem Gedanken, daß ihre Weisheit in diesem Winkel
von Attika unbekannt und ungepriesen bleiben würde.« (ebd., S. 141)
Doch ihre Sucht nach Anerkennung erstreckt sich nicht nur auf theologische
und philosophische Disputationen. »Ein Abt, zwei Bischöfe und der Statthalter
von Attika wußten bereits, was unter ihrer Kutte verborgen war, viele ahnten es,
und die übrigen brachten dem ›Bruder Johannes‹ den Weihrauch ihrer platonischen Verehrung dar; …«. (ebd., S. 136) Das bislang so wohlgehütete Geheimnis droht publik zu werden. Darüber hinaus zieht sich Johanna zunehmend den
Zorn der anderen Mönche zu, die beginnen, in ihr »ein von den Franken gesandtes Ungeheuer [zu sehen], bestimmt, die orthodoxe Kirche zu verschlingen.«
(ebd., S. 140) Hier mutiert Johanna also bereits vor ihrer Wahl zum Papst zum
Monster. Diese Monstrosität resultiert allerdings nicht aus ihren intellektuellen
Fähigkeiten, sondern aus ihrer Rolle als Verführerin und ist ausschließlich an ihr
biologisches Geschlecht gebunden, nicht an das Zusammenwirken von weiblichem biologischen Geschlecht und männlichen sozialen Verhaltensmustern. Sie
beschließt daraufhin, beleidigt von Frumentius’ Eifersucht und der öffentlichen
Meinung, Athen zu verlassen und nach Rom zu gehen. Frumentius plant sie
nicht mitzunehmen, da »die launenhafte Eifersucht des armen Mönches, der die
man zusammenfasst, wäre mit Genette dann aber auch eine Erklärung für den satirisch-ironischen Charakter von »I Papissa Ioanna«.
43
veraltete Idee hatte, daß die Frauen nur einen Liebhaber besitzen dürften, wie
die Esel nur einen Sattel und die Völker nur einen König, […] ihn zu einem
lästigen, schwer zu transportierenden Gepäckstück« (ebd., S. 142) macht.
Als Johanna, »oder vielmehr Pater Johannes (denn der weibliche Name bildet
offenbar einen Mißklang)« (ebd., S. 148) Rom erreicht, wird sie alsbald von
Papst Leo IV. zum Lehrer der Theologie an der Martinusschule ernannt. Ihre
Tarnung als Mönch kann sie auch und vor allen Dingen in Rom aufrecht
erhalten, da »in Rom alle Gesichter glatt rasiert [waren], und bei den Mönchen
[…] nur die Nase aus der Kapuze heraus [ragte].« (ebd., S. 152) Darüber hinaus
führt der nun schon so lange praktizierte Betrug an der Öffentlichkeit zu einer
Art Selbstbetrug, der Johanna »im Taumel der Selbstliebe« glauben lässt, »sie sei
in einen Mann verwandelt, wie Tiresias in ein Weib.« (ebd., S. 152) Frumentius
ist längst vergessen, und sie zeigt auch keinerlei Ambitionen, »ihm einen Nachfolger zu geben.« Ihre Träume befassen sich vielmehr mit ihrer Karriere, und sie
strebt nicht nur nach dem Abtmantel und der Bischofsmütze, sondern auch
nach den »goldenen päpstlichen Pantoffeln« (ebd.).83
Als nächstes ernennt Papst Leo Johanna zu seinem Privatsekretär, und in
dieser Funktion zeigt sie Charaktereigenschaften, die gar nicht mit dem korrespondieren wollen, was man bisher über sie erfahren hat, denn »das Benehmen
des Pater Johannes war so freundlich und liebenswürdig und seine Uneigennützigkeit so groß, daß er binnen kurzem aller Herzen für sich gewann und alle
sich an ihn wandten, wenn sie irgendein Anliegen an den Heiligen Vater hatten.«
(ebd., S. 154) In Wahrheit jedoch betet sie nicht nur zur Madonna, »daß die
barmherzige Himmelskönigin die Tugenden des heiligen Papstes Leo durch
schleunigste Beförderung ins bessere Jenseits belohnen möge« (ebd.), sondern
sie »verschmähte […] auch die Beihilfe des Teufels nicht und nahm oft ihre Zuflucht zu den abscheulichen mittelalterlichen Künsten der Magie.« (ebd., S. 155)
Ganz eindeutig führt Rhoidis Johannas zunehmende charakterliche Verdorbenheit auf den Einfluss ihrer Umgebung, der Kirche als Institution und des Klerus,
zurück. Die so entstehende Falschheit, ihre Intriganz und das aus purem Machtwillen eingegangene Teufelsbündnis sind elementare Bestandteile der schriftlich
tradierten Legende, die Rhoidis jedoch an Stellen wie dieser so lustvoll übertreibt, dass sie in ihrer Übertreibung den ursprünglichen Schrecken verlieren.
Letzten Endes stirbt Papst Leo, durch wessen Zutun auch immer, und in
Aussicht auf die folgenden Neuwahl des Papstes hält sich Johanna, »die schon
längst alle Vorbereitungen für ein glückliches Gelingen ihrer ehrgeizigen Projekte getroffen hatte, auf einer hochliegenden Terrasse des Sankt-Martinsklosters auf, die Arme wie Napoleon auf der Brust gekreuzt und mit unruhigem
Blick das Auf und Ab des Wahlkampfes verfolgend.« (ebd., S. 158) Als endlich
das Ergebnis der Wahl bekannt wird, wirft »der neue Pontifex, vor Freude taumelnd, den Purpur über seine Schultern und zog die mit dem Kreuz gezeichneten Sandalen an, die jedoch, sei es, weil sie vor Weiberfüßen einen Abscheu
hatten, sei es, weil sie zu groß waren, ihr dreimal von den Füßen rutschten, als
83
Dies eine Parallele zu Boccaccios Version.
44
sie die Treppe des Klosters hinabstieg.« (ebd.) Johanna sieht nun »den Traum
ihrer Jugend erfüllt« und dankt der Heiligen, die sie seinerzeit auf diese Lebensschiene gesetzt hatte, überschwänglich: »Dank dir, Lioba, Dank!« (ebd., S. 159)
So groß Johannas Freude, so rebellisch zeigt sich bei Rhoidis, in Anlehnung an
die Version Petrarcas, die Natur: »Am Tag nach der Krönung wurden, obwohl
es mitten im Sommer war, die Straßen von Rom von einer Schneedecke verhüllt,
als ob die Ewige Stadt ihrer Trauer Ausdruck verleihen wollte, indem sie die
bleiche Hülle des Winters als Totengewand anlegte. Aber auch in Frankreich
und Deutschland erfolgten Zeichen und beunruhigende Omina; Erdbeben erschütterten das ganze Reich, in Bresse regnete es Blut, und in der Normandie
fiel ein Regen von toten Heuschrecken, deren Verwesung eine mörderische Pest
hervorrief.« (ebd., S. 159f.)
Johanna zeigt sich von allen schlechten Vorzeichen unbeeindruckt und gerät
nach ihrer Wahl in einen wahren Egozentrismusrausch. So will ihr keine Frau in
der Geschichte einfallen, die je etwas Vergleichbares erreicht hat, und »sie saß
kaum eine Woche auf dem apostolischen Thron, als auch schon jeder auf ihrer
Stirn deutlich geschrieben sehen konnte: Du sollst keine anderen Götter neben
mir haben.« (ebd., S. 162) Mit der Zeit zeigt sich jedoch die alte Langeweile.
Und so erwachen in ihr »die alten Begierden« (ebd., S. 166), und als »Seine
Heiligkeit Johann VIII. […] sich, der Geschäfte, Untertanen, Bullen, Bannflüche und anderen päpstlichen Zeitvertreibs überdrüssig, nach Ostia zurückgezogen [hatte], der Vergnügungsresidenz der damaligen Päpste« (ebd., S. 167),
geschieht es, dass sich Johanna, getrieben von der Torschlusspanik der Vierzigjährigen, entschließt, einen neuen Liebhaber aus den Reihen ihrer Höflinge zu
nehmen. Vorerst jedoch »scheute [sie] sich vor dem Skandal, der Schwangerschaft und den bösen Zungen, diesen drei Hütern weiblicher Tugend.« (ebd., S.
168) Von einem mangelnden Verständnis ihrer geschlechtsspezifischen Beschaffenheit kann bei dieser Johanna also nicht die Rede sein.
Sie ist sich sowohl des Skandals bewusst, den sie durch eine solche Liebschaft
erzeugen würde, als auch der Gefahr der Schwangerschaft. Trotzdem entscheidet sie sich dafür und ihre Wahl fällt auf Florus, der »blond [war] wie ein
lakonischer Hund und wie ein solcher Johanna ergeben« (ebd., S. 169), einen
Mann also, der ihr, nicht nur aufgrund des hierarchischen Gefälles, unterlegen
ist. Mit ihm verbringt der Papst einen Sommer in Ostia, doch »während unsere
Heldin mit vollen Segeln im Meer der Lust dahinfuhr, stieß sie plötzlich an ein
Riff, das sie längst zu fürchten aufgehört hatte. […] Da sie schon längst nicht
mehr die Heilige Schrift ausschlug, so hatte sie vergessen, daß fast alle Heldinnen der Bibel, Sara, Rebekka, Rahel und andere, bis ins Alter hinein unfruchtbar
gewesen waren und dann doch noch Patriarchen und Propheten geboren
hatten.« (ebd., S. 175f.) Bei Rhoidis ist es also allein eine Folge mangelnder Vorsicht und der Dummheit, dass Johanna schwanger wird. Während Johanna nach
einer Lösung für ihr Problem sucht, erscheint ihr der Engel, der sie vor die Wahl
zwischen irdischer Schande und ewiger Verdammnis stellt. In der Zwischenzeit
kündigen sich unter der Bevölkerung Roms Regungen des Unwillens gegenüber
dem Papst an, denn »die Kassen [waren] leer, die Kirchen verlassen, die Klöster
45
in Kneipen verwandelt« (ebd., S. 179), außerdem wird die Stadt von Sarazenen
und anderen Räubern bedroht, sodass sie nach Seiner Heiligkeit und deren
»weltlichen und geistlichen Waffen« verlangen.
Es kommt wiederholtermaßen zu denselben Naturerscheinungen wie nach
der Wahl der Päpstin, einschließlich einer Heuschreckenplage. Papst Johannes
soll nun mittels einer Prozession und Exkommunikation den Heuschrecken
Einhalt gebieten. Angsterfüllt und voller böser Vorahnungen erklärt sich
Johanna zu dieser Prozession bereit. Hier schließt sich die bekannte Szene der
Niederkunft an. Das Kreuz, das Johanna trägt, fällt zu Boden und zerbricht, was
als Indiz dafür angesehen wird, dass der Papst von Dämonen besessen ist. Sofort
kommt ein Exorzist herbeigeeilt, und während noch alle Umstehenden »erwarten, den unsauberen Geist seiner Gewohnheit gemäß aus dem Mund oder dem
Ohr entweichen zu sehen, [rollte] plötzlich ein unreifer, halbtoter Fötus unter
dem Gewand des Oberherrn der Christenheit hervor.« (ebd., S. 186f.) Johannas
Seele wird, nachdem Dämonen der Unterwelt und eine Phalanx von Engeln sich
gehörig um sie gezankt haben, von letzteren in den Himmel geführt. Die
Geschichte endet damit, dass »der Leichnam der armen Johanna […] mit ihrem
Kind da begraben [wurde], wo sie ihren Geist aufgegeben hatte, und auf dem
Grabe errichtete man ein Marmordenkmal, eine gebärende Frau darstellend.
Florus wurde Eremit, und die frommen Pilger begeben sich, um ihre Sandalen
nicht zu beschmutzen, wenn sie auf den Spuren der gottvergessenen Päpstin
gehen, seit jener Zeit auf einem anderen Weg nach dem Lateran.« (ebd., S. 188)
Die eindeutig satirische Ausrichtung von I Papissa Ioanna entzieht den
Roman in gewisser Hinsicht den bisher angewandten Bewertungsmaßstäben,
gerade in der Präsentation der weiblichen Hauptfigur, die für diese Arbeit von
hauptsächlichem Interesse ist. Gemäß der Bachtinschen Definition enthält
Rhoidis’ Text, in abgeschwächter Form, Elemente der Groteske: »Tatsächlich
präsentiert die Groteske [...] die Möglichkeit einer anderen Welt, einer anderen
Ordnung und Lebensweise. Sie führt aus der Allgemeingültigkeit, Unanfechtbarkeit und Stabilität der existierenden Welt heraus.«84 In dieser anderen Welt,
die Rhoidis in seinem Roman imaginiert, besteht die Möglichkeit eines weiblichen Papstes. Durch Unterwanderung sowohl religiöser patriarchaler Wertvorstellungen, als auch des allgemeinen Körperkanons, bricht er mit der satirisch
überhöhten Schilderung der Frau im Mönchs- und später im Papstgewand, die
offensiv ihre weibliche Sexualität auslebt, schwanger wird und gebiert, zahlreiche Tabus. Da besagter Leibeskanon Bachtin zufolge jedoch selbst hauptsächlich aus der Tabuisierung spezifisch weiblicher Körperfunktionen heraus gebildet wird85, bestätigt Rhoidis diesen.
Es trifft definitiv zu, dass mit »I Papissa Ioanna« eine der amüsantesten und,
im humoristischen Rahmen, gelungensten Bearbeitungen der Päpstinlegende
vorliegt. Da der Autor jedoch den frauenfeindlichen Kern der Geschichte selbst
84
85
Bachtin, S. 99.
»Die Normen der offiziellen und literarischen Rede, die von diesem Kanon bestimmt werden,
verbieten alles, was mit Schwängerung, Schwangerschaft, Geburt zusammenhängt, eben das,
was an die Unfertigkeit des Körpers und an Innerkörperliches erinnert.« (ebd., S. 362)
46
nicht parodiert, ihn im Gegenteil dazu mit Simplifikationen bezüglich Frauen
und Weiblichkeit anreichert, die auf eine, wenn auch amüsierte, Zustimmung in
Rückbesinnung auf allgemeingültige Rollenklischees baut, kann er nicht gänzlich vom Vorwurf der Misogynie freigesprochen werden. Innovativ ist deshalb
weniger Rhoidis’ Präsentation der Figur der Johanna, denn im Gegensatz zu
Arnim hat er ihr keinerlei neue Perspektiven und Charakteristika gegeben und
folgt ideologisch sowohl den Hauptaussagen non-fiktionaler als auch fiktionaler
Texte zur Päpstin Johanna. Seine Leistung besteht tatsächlich darin, historische
und kulturelle Fakten nicht nur der Zeit um 900, sondern der gesamten abendländischen Geschichte, ob sie nun nachweislich etwas mit der Legende der Päpstin Johanna zu tun hatten oder nicht, so zu verweben, dass sie ein faszinierendes Gesamtbild ergeben. Von diesem Gesamtbild hat sich sowohl eine Reihe
von Autoren der ersten Hälfte, als auch einige Autorinnen der zweiten Hälfte
des 20. Jahrhunderts inspirieren lassen. Dies geschah jedoch aus ganz unterschiedlichen Ambitionen heraus. Während das Hauptanliegen der letzteren
darin lag, von der Fülle der Informationen, die »I Papissa Ioanna« zweifels ohne
enthält, zu profitieren, den Inhalt jedoch fundamental umzuschreiben, begaben
sich die direkten Nachfolger Rhoidis’ bewusst in dessen Schatten, um von dem
Erfolg seines Buches zu profitieren.
An dieser Stelle möchte ich nur kurz auf einige Titel hinweisen, die in den
ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts veröffentlicht wurden, da diese Texte
weder in Hinblick auf die vorliegende Untersuchung neue Aspekte in der Betrachtung der Päpstin-Figur in sich bergen, noch literarisch von Bedeutung sind.
In den 1930er Jahren gab es eine merkliche Häufung von Veröffentlichungen
fiktionaler Texte zur Päpstin Johanna. So erschienen im Jahr 1931 sowohl der
Roman »The Woman who was Pope« von Clement Wood, als auch »When Joan
was Pope« von Richard Ince. Das vierhundert Seiten starke Werk Woods trägt
den Untertitel »A biography of Pope Joan, 853–855« und unterteilt sich, ebenso
wie Rhoidis’ Roman, in einen Studienteil und einen Romanteil. »When Joan was
Pope«, mit 260 Seiten etwas weniger voluminös, gibt sich als ein auf ein altes
Manuskript, welches der Autor in einem Bibliothekskeller gefunden haben will,
gestütztes Werk.
In Hinblick auf die Texte der Autoren bis in die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts lassen sich somit viele Gemeinsamkeiten, aber auch einige Unterschiede
feststellen. Gemeinsam haben sie die Verwendung der Kernelemente der Päpstin-Legende, fast alle Versionen greifen auf das Bild der gelehrten und weltgewandten Frau in Männerkleidung zurück, die zum Papst gewählt wird, schwanger wird, ein Kind gebiert und infolge dessen zu Tode kommt. Ebenso rekurrieren fast alle Versionen auf die Testikelschau und die dafür bestimmte sedes
stercoraria, die nach dem Skandal des weiblichen Papstes eingeführt worden sei
und den Umweg, der seit dieser Zeit um die Gasse gemacht wird, in der die Päpstin öffentlich niederkam. Die größten Unterschiede zeigen sich auf der Ebene
der Instrumentalisierung der Päpstin Johanna; die Legende wird für die unterschiedlichsten Zwecke und Aussagen benutzt, gemeinsam ist ihnen jedoch der
Grundtenor der Frauenfeindlichkeit.
47
3. SECHS AUTORINNEN ZU PÄPSTIN JOHANNA
Ebenso wie bei den vorhergehenden traditionellen literarischen Behandlungen
der Päpstin-Johanna-Legende, werde ich nun im dritten Teil dieser Untersuchung in chronologischer Folge die Bearbeitungen des Stoffs durch die von
mir ausgewählten Autorinnen vornehmen. Ich orientiere mich dabei an den Veröffentlichungsdaten, obschon sich dabei die durch ihre Entstehungszeit vorgegebene Reihenfolge der Texte verschiebt. Der erste Text, den ich vorstellen
möchte, ist »La papesse Jeanne« von Renée Dunan. Obschon von einer Frau
verfasst, transportiert dieser Text noch alle Merkmale der männlichen Erzähltradition. Aus diesem Grund erübrigt sich auch eine detaillierte inhaltliche Darstellung, Dunans Roman soll lediglich zeigen, dass männliche und weibliche
Erzähltraditionen nicht mit dem biologischen Geschlecht zusammenhängen.
Darüber hinaus macht »La papesse Jeanne« deutlich, dass die in meinem Überblick daran anschließenden Texte tatsächlich etwas grundlegend Neues darstellen. Dazu zählt »Top Girls« von Caryl Churchill aus dem Jahr 1982. Aus
dem Folgejahr stammen zwei Veröffentlichungen, »The Dreams of the Papess
Joan« von Sara Maitland und »The Legend of Pope Joan« von Emily Hope. Der
zweite Text muss jedoch aus der Zeit vor 1979 stammen, dem Todesjahr der
Autorin; wann genau er entstand, konnte ich leider nicht in Erfahrung bringen.
Meiner Einschätzung nach lassen sich jedoch bei Churchill keine merkbaren Beeinflussungen durch die Erzählung Hopes nachweisen. Das Theaterstück »Pope
Joan« von Banuta Rubess stammt aus dem Jahr 1983, und der Roman von
Donna Woolfolk Cross, »Pope Joan«, der aktuellste der hier behandelten Texte,
wurde im Jahr 1996 erstmalig veröffentlicht und bildet in dieser Untersuchung
den Schlusspunkt.
Renée Dunan, »La papesse Jeanne«
Im Jahr 1930 erschien in London der Roman »Pope Joan« von Renée Dunan als
Übersetzung eines französischen Originals von 1929. Auf diesen möchte ich
kurz eingehen, obwohl der Roman keinerlei neue Perspektiven auf die Päpstin
eröffnen, da das Erotisch-Zweideutige über die Maßen herausgestellt wird.
»Dunan reicherte die übliche antiklerikale Stoßrichtung der Berichte und Romane über Johanna mit einer neuen, leicht pornographischen Note an. Johanna
diente dem Autor als Mittel für seinen von einem freizügigen Standpunkt aus
vorgetragenen Angriff auf die strenge katholische Sexualmoral. Der ironische
Kern des Romans, der deutlich herausgearbeitet wurde, lag darin, daß hier ein
Papst nicht nur als eine Frau in Männerkleidern, sondern auch als Nymphomanin dargestellt wurde.«86
Abgesehen davon, dass die leicht pornographische Note keinesfalls eine Erfindung Dunans war, sondern höchstens eine logische Weiterführung dessen,
was seit mehreren Jahrhunderten in diese Legende hineingelesen wurde und als
86
Stanford, S. 217.
48
ständiger Subtext mitlief, ist dieser Kurzinterpretation von »Pope Joan« in der
Tat wenig hinzuzufügen – zumindest auf inhaltlicher Ebene. Eine im Internet
veröffentlichte Rezension eines anderen Textes aus ihrer Feder lässt einige
Rückschlüsse auf ihre »Pope Joan« zu.
»The second tale, Les Caprices du Sexe, was written by Renee Dunan, author of 50 novels.
She was called an anarchist, individualist, and pacifist during her lifetime. Ms. Dunan was
clearly a liberated woman who relished shocking her male colleagues by claiming complete
equality in all matters, especially when it came to sex.
Les Caprices du Sexe is described as the first modern erotic novel written by a woman. In
fact, some critics contend that her unblushing descriptions of sex transport it to the realm
of pornography. But as one critic noted, she only gives the illusion of following the male
formula for such writing in order to impose un philosophie de femme. The aristocratic protagonist of her work, Louise, is never a sexual victim of men but an unrepentant user.«87
Genau diesem Muster scheint Dunan bei ihrer Päpstin-Version gefolgt zu sein.
Auch hier nimmt sie die männlich interpretierende Sichtweise auf eine, sich als
Mann verkleidende, aber dennoch mit allen weiblichen Reizen und Gelüsten
ausgestattete Frau ein und versucht, durch Verlagerung des Machtverhältnisses
– auch Joan benutzt ihre Liebhaber stets zu ihren Zwecken – eine weibliche Philosophie daraus zu machen. Meiner Ansicht nach ist eine solche Herangehensweise per se zweifelhaft, da aus einer traditionell männlichen Position durch einfache Umkehrung nicht automatisch eine weibliche wird. Eine in diese Richtung
orientierte Interpretation läuft ihrerseits Gefahr, in biologistische Bewertungsschemata zu verfallen, die sich, unter geänderten Vorzeichen, an etablierten,
dualistischen Unterscheidungen von ›männlich‹ und ›weiblich‹ orientieren und
den jeweils zugeordneten Konnotationen im Sinne einer positiven oder negativen Bewertung orientieren. Fest steht, dass Kategorien wie ›weibliches Schreiben‹, aber auch ›weibliches Lesen‹, unabhängig vom biologischen Geschlecht bewertet müssen, welches hinter der Autorschaft oder Leserschaft steht.88 Dunan
treibt nur bisher Dagewesenes auf die Spitze, schafft aber nichts Neues, schon
gar keine spezifisch feminine Sichtweise auf die Päpstin. Spätere Autorinnen
sind ihr dankenswerter Weise nicht auf diesem Pfad gefolgt.
87
88
Quelle: Internet, www.pythiapress.com/2rave.htm, dort kein Verfassernachweis.
Vgl. Rippl, wo es heißt, »daß ›als-Frau-lesen‹ [...] und ›als-Frau-schreiben‹ nicht notwendigerweise das ist, was geschieht, wenn eine Frau liest und schreibt« (S. 317). Gegen eine solche
Gleichsetzung wendet sich auch Liebrand: »Daß die (historischen) Texte, die wir lesen, die
Konstitution der symbolischen Ordnung durch den Ausschluß der Frau beschreiben (manchmal betrauern sie ihn sogar), damit müssen wir leben – das ist nun einmal so. Und es ist auch
so, daß wir (wenn wir Texte lesen – und als LiteraturwissenschaftlerInnen ist das unser Geschäft) nicht umhin können, die Geschlechtermatrix, das kulturelle Bildrepertoire, das die Frau
an den Rändern der symbolischen Ordnung fixiert, immer wieder reproduzieren. […] / Ein
Ergebnis dieser Reflexion sollte m.E. die Entscheidung sein, die eigenen Lektüren (ob sie nun
die gender-Konfigurationen von Texten in eine ›dezentrierende‹ Perspektive rücken, ob sie
›kulturanthropologisch‹, ›dekonstruktiv‹, ›hermeneutisch‹, ›philologisch‹ oder wie auch immer
ausgerichtet sind) nicht als ›weiblich‹ zu etikettieren – mit der Rede vom ›Lesen als Frau‹ auf
dem Feld der Theorie eben jene binäre Logik nicht wieder zu instituieren, nach der die gesamte
abendländische literarische und philosophisch Tradition Weiblichkeit mit ›Randständigkeit‹
gleichsetzt.« (S. 399f.) Vgl. auch Culler, S. 46–69.
49
Caryl Churchill, »Top Girls«
Bei dem Theaterstück »Top Girls« von Caryl Churchill aus dem Jahr 1982
handelt es sich, als Ganzes betrachtet, um eine sozialistisch-feministische Kritik
an Klassen- und Geschlechterverhältnissen, die unter dem Eindruck der, von
Churchill betontermaßen als solche betrachteten, katastrophalen Politik der
Margaret Thatcher steht.89 Es ist aber auch eine offene Kritik an einer gewissen
Form des bourgeoisen, erfolgsorientierten und kapitalistischen Feminismus, wie
Churchill ihn zu Beginn der 1980er Jahre in Ansätzen in England, besonders
jedoch in Amerika ausmachen konnte.90 Die zwei zentralen Themen des Stücks
sind zum einen die Rückkehr von Frauen der Geschichte in unsere Gegenwart
und zum anderen Frauen des 20. Jahrhunderts in ihrem Arbeitsleben. »Top
Girls« analysiert die Beziehung zwischen Frauen und Arbeit unter extrem gegensätzlichen Bedingungen und Möglichkeiten, die für arbeitende Frauen sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart bestanden und bestehen.91
Aus dieser Zweiteilung ergibt sich eine äußere Struktur, die einerseits eine gewisse Chronologie spiegelt, diese jedoch mittels Vor- und Rückblenden unterläuft. Das Stück nun besteht aus drei Akten. Der erste Akt, der für diese Untersuchung von alleinigem Interesse ist, behandelt besagte Wiederkehr von Frauen
der Geschichte (sei sie nun historisch oder kulturell), unter denen sich auch
Pope Joan befindet, und deren Begegnung mit einer Frau des 20. Jahrhunderts.
Der zweite Akt beschreibt das (Arbeits-)leben verschiedener Frauen im London
der frühen 1980er Jahre, wobei Marlene, die im ersten Akt mit den historischen
Frauenfiguren zusammentraf, hier die Verbindungsperson zwischen den beiden
Teilen darstellt. Der dritte Akt ist eine Rückblende, die Marlene ein Jahr vor den
eigentlichen Geschehnissen in ihrem ganz privaten Lebenskampf zeigt. Im
Folgenden werde ich mich also auf eine Interpretation des ersten Akts beschränken, da alle Frauenfiguren dieses ersten Teils so in den beiden anderen
nicht mehr vorkommen.92
Die Konstellation dieses ersten Akts – Marlene hat anlässlich ihrer Beförderung zur leitenden Managerin der Arbeitsvermittlung Top Girls Employment
Agency fünf Frauen aus der Vergangenheit zum Dinner in ein Restaurant eingeladen – weist starke Parallelen mit einer Installation der Künstlerin Judy
Chicago mit dem Titel »The Dinner Party« auf.93 Interessanterweise nennt
Gössmann »The Dinner Party« als eine der Initialzündungen für eine neuerliche
89
90
91
92
93
Vgl. Aston, S. 42ff.
»It was also that Thatcher had just become prime minister; and also I had been to America […]
and had been talking to women there who were saying things were going very well: they were
getting far more women executives, women vice-presidents and so on. And that was such a
different attitude from anything I’d ever met here, where feminism tends to be much more
connected with socialism and not so much to do with women succeeding on the sort of
capitalist ladder.« Interview mit Caryl Churchill, zitiert nach Kritzer, S. 139
Vgl. Kritzer, S. 139
Ich schreibe hier, dass sie so nicht mehr vorkommen, da Churchill hier stark mit Zwei- und
Dreifachbesetzungen arbeitet, d.h. dass die Schauspielerin, die beispielsweise im ersten Akt
Pope Joan dargestellt hat, in dem darauffolgenden Akt als Louise auftritt.
Vgl. Eichler, S. 208, der in diesem Zusammenhang von einem theatralischen Analogon spricht.
50
Auseinandersetzung mit der Päpstin.94 Bei der Installation aus dem Jahr 1979
handelt es sich um eine Tafel monumentalen Ausmaßes, an der 39 individuell
ausgestaltete Gedecke für ebenso viele Gäste, alles historische Frauengestalten,
verteilt sind. Diese Tafel steht wiederum auf einem gefliesten Untergrund, auf
dem die Namen weiterer 999 Frauen stehen, angefangen bei Ajysyt und Atira
bis zu Katharine Hepburn und Anna Pawlowa. Pope Joan findet sich nicht unter
den Teilnehmerinnen der eigentlichen Dinner Party, sondern unter den 999.
Der Eintrag zu ihr lautet:
»Päpstin Johanna (gest. 855, Italien)
Johanna, eine brilliante Gelehrte, verkleidete sich als Mann, um in Athen Philosophie studieren zu können. Immer noch in Mönchskleidung, ging sie nach Rom, wo Papst Leo IV.
sie zum Kardinal ernannte. Nach Leos Tod im Jahre 853 wurde Johanna zum Papst gewählt.
Nach zwei Jahren, vier Monaten und acht Tagen entdeckte man, daß sie eine Frau war, sie
hatte ein Kind bekommen. Mutter und Kind wurden gesteinigt. Bis ins Jahr 1601 war sie
noch als Papst anerkannt, dann erklärte Clemens VIII. sie zur mythischen Figur und ließ
alle Aufzeichnungen, in denen sie erwähnt wurde, vernichten.«95
Abgesehen von den Elementen aus der bereits bekannten Päpstin-Literatur
überraschen bei dieser kurzen, aber mit Nachdruck formulierten Skizze des
Lebens und Schicksals der Johanna die wie historische Fakten vorgebrachten
Behauptungen, sie sei bis zum Jahr 1601 als Papst anerkannt und dann durch
Papst Clemens VIII. zur mythischen Figur erklärt worden, wodurch die Erinnerung an sie getilgt worden sei. Allein im Hinblick auf die Darstellung der Päpstingestalt in der Literatur seit der frühen Neuzeit kann man jedoch feststellen,
dass von einer tatsächlichen Akzeptanz oder gar offiziellen Anerkennung eines
weiblichen Papstes beileibe nie die Rede gewesen sein kann. Bei der beachtlichen
Fülle von über tausend Frauenfiguren stellt sich natürlich die Frage, woher
Chicago ihre Informationen zu den jeweiligen Viten hatte. Im Fall der Johanna
scheint die Frage erstaunlich leicht zu beantworten. In einer der sehr frühen
feministischen Arbeiten, die sich auch mit der Päpstin auseinandersetzten, »The
First Sex« (dt. »Am Anfang war die Frau«) von Elizabeth Gould Davis aus dem
Jahr 1977, finden sich genau diese Behauptungen wieder. Gould Davis schreibt:
»Aber ist die Päpstin nur eine mittelalterliche Legende? Wenn ja, so erscheint es sehr seltsam, daß die Kirche beinahe 800 Jahre wartete, um sie für legendär zu erklären. In der langen Zeit von 855, als sie starb bis 1601, als man sie auslöschte und mit dem Bann belegte,
hielt man Johanna für echt. […] Scheinbar hat sich Johanna, ein ›hübsches‹, junges, englisches Mädchen, als Mönch verkleidet, auf den Weg nach Athen begeben. […] Ausgestattet
mit einem philosophischen Titel, kam sie nach Rom, wo sie Papst Leo IV. zum Kardinal ernannte. Nach dessen Tod wurde sie im Jahre 853 zum Papst gewählt. Die Katholische Enzyklopädie fährt fort: ›Sie diente als Papst zwei Jahre, vier Monate und acht Tage, bis man
94
95
»Nicht erst und nicht nur durch das Kunstwerk ›Dinner Party‹ von Judy Chicago […] wird
versucht, der Päpstin einen Platz in der Geschichte zurückzuerobern, aber nun gleichsam unter
positivem Vorzeichen.«, Gössmann, S. 13. Top Girls erwähnt Gössmann jedoch nicht in ihrer
Rezeptionsgeschichte.
Chicago, S. 129f.
51
entdeckte, daß sie eine Frau war und steinigte.‹ Die Legende erzählt, man habe Johannas
Geschlecht erkannt, als sie bei einer päpstlichen Prozession ein Kind geboren habe, und
habe das Baby in ihren Armen zu Tode gesteinigt.«96
Abgesehen davon, dass Gould Davis den Eintrag der Katholische Enzyklopädie
falsch einordnet, da dieser lediglich den Inhalt der tradierten Legende referiert
und sie sich im Gegensatz dazu auf die eingangs besprochenen Versionen von de
Mailly und de Bourbon bezieht, tappt sie hier in eine Historizitätsfalle. Sie
versucht die Existenz und eine ehedem unangefochtene Akzeptanz der Päpstin
Johanna zu beweisen, was aber auch in Rückbezug auf diese Texte nicht historisch überzeugend ausfallen kann. Einige der Elemente, die Chicago für ihre
Skizze zur Päpstin Johanna offenkundig von Gould Davis übernommen hat,
werden ebenfalls von Churchill aufgegriffen.
Der erste Akt von »Top Girls« zeigt das festliche Abendessen, zu dem
Marlene ihre Gäste eingeladen hat. Diese sind Isabella Bird (1831–1904), eine
gebürtige Schottin, welche im Alter zwischen 40 und 70 ausgedehnte Reisen ins
Ausland unternahm; Lady Nijo (geboren 1258), die zuerst eine Kurtisane des
Kaisers, später eine Buddhistische Nonne war und zu Fuß Japan durchquerte;
Dull Gret, die Figur Dulle Griet von einem Gemälde Brueghels; Pope Joan und
zuletzt Patient Griselda, die gehorsame Frau, deren Geschichte von Boccaccio
(nicht als Teil von »De claris mulieribus«, sondern als Teil des »Decamerone«),
Petrarca und Chaucer (in ›The Clerk’s Tale‹ aus »The Canterbury Tales«) erzählt wurde. Das Gespräch, das diese Dinner Party bestimmt, zeichnet sich
dadurch aus, dass jede einzelne der geladenen historischen Frauenfiguren im
Verlauf des Abends die Geschichte ihres Lebens und ihres individuellen Schicksals erzählt und sich so weitestgehend selbst charakterisiert. Marlene stellt die
Frauen nur anfangs gegenseitig vor.
Pope Joan setzt sich von Anfang an sowohl durch ihr Verhalten als auch ihre
Redeweise von den anderen Frauen ab. Nachdem Marlene sie mit den Worten
»Joan was by way of an infant prodigy. Of course you were. What exited you
when you were ten?« eingeführt hat, antwortet sie: »Because angels are without
matter they are not individuals. Every angel is a species.« (Churchill, S. 4)
Gleich darauf steigt sie bereits in die ersten theologischen Exkurse ein, indem
sie, als Reaktion auf Nijos Erzählung vom Tod ihres Vaters, feststellt, »Death is
the return of all creatures to God.« und ihren Lieblingstheoretiker ins Spiel
bringt: »Damnation only means ignorance of the truth. I was always attracted
by the teachings of John the Scot, though he was inclined to confuse God and
the world.« (ebd., S. 4f.)97 Wenig später stellt Isabella, wohl im Sinne aller Anwesenden, fest, »I knew coming to dinner with a pope we should keep off
religion.«, worauf Joan antwortet, »I always enjoy a theological argument. But I
96
97
Gould-Davis, S. 273f.
Die Fußnoten der von mir verwendeten Ausgabe vermerken bei John the Scot: »John Duns
Scotus, thirteenth-century philosopher and theologian. His date indicates the extent of
Churchill’s inventiveness with regard to Pope Joan who didn’t really exist«, S. 89. Entspricht
diese Anmerkung Churchills Intention, so ist sie als klare Abgrenzung von einer Historizitätsdebatte um die Päpstin zu werten.
52
won’t try to convert you, I’m not a missionary. Anyway I’m a heresy myself.«
(ebd., S. 6) Dennoch verstrickt sie Marlene weiter in theologische Diskussionen:
»[…] the teachings of John the Scot, who held that our ignorance of God is the
same as his ignorance of himself. He only knows what he creates because he
creates everything he knows but he himself is above being – do you follow?«
(ebd., S. 10). Das nachfragende do you follow? ist charakteristisch für diese Joan;
sie bemerkt zwar, dass ihr ihre Gesprächspartnerinnen nur bedingt in ihren
Ausflügen in die Philosophie und Theologie folgen können und auch wollen,
setzt sich aber darüber hinweg und bewegt sich in der Konversation nur auf dem
Boden, auf dem sie sich sicher fühlt, auch wenn es der Boden ist, auf dem sie ihr
schreckliches Ende gefunden hat.
Den Beginn ihrer Geschichte erzählt Joan dann folgendermaßen: »I dressed
as a boy when I left home. […] It was easy, I was only twelve. Also women
weren’t allowed in the library. We went to study in Athens. […] I went with my
friend. He was sixteen but I thought I knew more science than he did and
almost as much philosophy. […] They noticed I was a very clever boy. And
when I shared a bed with my friend, that was ordinary – two poor students in a
lodging house. I think I forgot I was pretending.« (ebd., S. 8f.) Außer den Elementen, wie sie auch bei Chicago und Gould Davis vorkommen, finden sich hier
ebenfalls eindeutige Anleihen an den bekannten Text von Rhoidis, insbesondere
die Reise mit dem Freund, die gemeinsame Unterkunft als Mönche in einem
Haus und Joans Vergessen ihrer eigentlichen Identität. So war es auch ihre erste
Entscheidung nach dem frühzeitigen Tod ihres Freundes, als Mann
weiterzuleben, »First I decided to stay a man. I was used to it. And I wanted to
devote my life to learning. Do you know why I went to Rome? Italian men
didn’t have beards.« (ebd., S. 11) Auch dieses Detail ist wieder ganz klar aus »I
Papissa Ioanna« übernommen.
Churchills Joan hat insgesamt jedoch wenig mit der Johanna zu tun, wie wir
sie bisher, und vor allen Dingen bei Rhoidis und seinen direkten Nachfolgern,
kennengelernt haben. Ihr Leben sei einzig ihren Studien gewidmet gewesen.
»There was nothing in my life except my studies. I was obsessed with pursuit of
the truth. I taught at the Greek School in Rome, which St Augustine had made
famous. I was poor, I worked hard. I spoke apparently brilliantly, I was still very
young, I was a stranger; suddenly I was quite famous, I was everyone’s favourite. Huge crowds came to hear me. The day after they made me cardinal I fell ill
and lay two weeks without speaking, full of terror and regret. But then I got up
determined to go on. I was seized again with a desperate longing for the
absolute. […] Pope Leo died and I was chosen. All right then. I would be Pope.
I would know God. I would know everything.« (ebd., S. 12) Doch Joans Vision
von Allwissenheit erfüllt sich nicht, und aus ihrer Erklärung dafür spricht das
übergroße Maß an Indoktrinierung durch die männlich dominierte Kirche und
Religion insgesamt, der sie zum Opfer fiel: »I had thought the Pope would
know everything. I thought God would speak to me directly. But of course he
knew I was a woman.« (ebd., S. 14) Ob als Reaktion auf diese Erkenntnis oder
aus anderen Gründen, die sie nicht darlegt, erzählt sie daraufhin, »In the end I
53
did take a lover again. […] He was one of my chamberlains. […] He could keep
a secret.« (ebd.)
Mit der Erzählung von den bereits aus den Texten von Petrarca und Rhoidis
bekannten Plagen, die ihrer Wahl zum Papst folgten, kann Joan nun ihre
Tischnachbarinnen erheitern. »Yes, I enjoyed being Pope. I consecrated bishops
and let people kiss my feet. I received the King of England when he came to
submit to the church. Unfortunately there were earthquakes, and some village
reported it had rained blood, and in France there was a plague of giant grasshoppers, but I don’t think that can have been my fault, do you? [Laughter] The
grasshoppers fell on the English Channel and were washed up on shore and
their bodies rotted and poisoned the air and everyone in those parts died.
[Laughter]« (ebd., S.14f.)
Die gute Stimmung kippt jedoch, als Joan von ihrer Schwangerschaft und
derem hinlänglich bekanntem Ende erzählt. Auf Marlenes Frage »Didn’t you
think to get rid of it?« benennt Joan ihr Hauptproblem in dieser Angelegenheit.
Denn abgesehen davon, dass das eine noch größere Sünde für sie gewesen wäre
als es zu bekommen (wobei sie hier wiederholt streng katholische Doktrinen reformuliert), steht für sie gleichsam fest, »But a Pope with a child was about as
bad as possible.« Auf Marlenes Einwand, andere Päpste hätten auch Kinder gehabt, entgegnet Joan, »They didn’t give birth to them«, und Nijos Anmerkung,
dass sie ja schließlich eine Frau gewesen sei, bringt sie zu der Feststellung,
»Exactly and I shouldn’t have been a woman. Women, children and lunatics
can’t be Pope.« (ebd., S. 15) Joan stellt sich hier, ganz im Sinne ihrer Gegner, in
eine Reihe mit aufgrund ihres Alters oder Geisteszustands unmündigen Mitgliedern der Gesellschaft. Sie selbst sieht ihr Frausein als Manko an, als den Grund,
der es ihr nachhaltig verunmöglicht hat, das zu sein, was sie eigentlich sein
wollte. Auch die Tatsache, dass sie gar nicht gewusst hätte, wie sie das Kind
hätte loswerden sollen, und das Bekenntnis, dass sie die ganze Zeit über nicht
erkannt hätte, in welchen Umständen sie sich befand, sondern der Kammerdiener es war, der schließlich ihre Schwangerschaft erkannte, zeigt, wie weit entfernt sie von einer subjektiven Erfahrung ihrer selbst als Frau gewesen ist. Den
Moment ihrer enthüllenden, öffentlichen Niederkunft schildert sie so:
»I didn’t know of course that it was near the time. It was Rogation Day, there was always a
procession. I was on the horse dressed in my robes and a cross was carried in front of me,
and all the cardinals were following, and all the clergy of Rome, and a huge crowd of people.
We set off from [an dieser Stelle wirft Marlene ein »Total Pope« ein] St Peter’s to go to St
John’s. I had felt a slight pain earlier, I thought it was something I’d eaten, and then it came
back, and came back more often. I thought when it was over I’ll go to bed. There were still
long gaps when I felt perfectly all right and I didn’t want to attract attention to myself and
spoil the ceremony. Then I suddenly realised that it must be. I had to last out till I could get
home and hide. Then something changed, my breath started to catch, I couldn’t plan things
properly any more. We were in a little street that goes between St Clement’s and the
Colosseum, and I just had to get off the horse and sit down for a minute. Great waves of
pressure were going through my body, I heard sounds like a cow lowing, they came out of
my mouth. Far away I heard people screaming, ›The Pope is ill, the Pope is dying.‹ And the
baby slid out onto the road. […] One of the Cardinals said, ›The Antichrist!‹ and fell over
54
in a faint. [They all laugh] They took me by the feet and dragged me out of town and
stoned me to death. [They stop laughing. Marlene: Joan, how horrible. Joan: I don’t really
remember. Nijo: And the child died too? Joan: Oh yes, I think so, yes.]« (ebd., S. 16f.)98
In diesem Passus, der zwar alle bisher bekannten Elemente der früheren literarischen Bearbeitungen enthält, insgesamt jedoch eine ganz andere Wirkung erzielt
als diese, manifestiert sich die fundamental andere Sichtweise, die die von Frauen verfasste Päpstinliteratur transportiert. Bei der Schilderung derselben Geschehnisse wird durch die Verlagerung der Perspektive ein ganz anderer Gesamteindruck erweckt. Die Erzählung in der ersten Person einerseits (die in den
alten Texten höchstens zur Verstärkung eines negativen Eindrucks gewählt
wurde) und die Betonung auf die subjektive, leidvolle Schmerzerfahrung einer
Frau bei der Geburt ihres Kindes, welche sie zu allem Übel noch ohne Beistand
und mit sicherer Aussicht auf ihren Tod erfahren musste, nimmt der Legende
alle Monstrosität, die bisher hier ihren Höhepunkt erlangte. Churchill wertet
einen ehemaligen Tabubereich patriarchaler Prägung, Schwangerschaft und Geburt99, um und versucht gleichzeitig, eine Verbindung zwischen dem individuellen Erlebnis der Joan und einem allgemein weiblichen Erfahrungsschatz zu
ziehen. Jonathan Culler schreibt zum Appell an die Erfahrung der Leserin: »Der
Begriff der ›Erfahrung‹ hat aber immer diesen gespaltenen, doppelten Charakter; sie ist immer schon gemacht worden und muß dennoch erst geschaffen werden – ein unverzichtbarer Bezugspunkt, der aber niemals einfach gegeben ist.«100
Diese Bezugnahme allein kann also nicht der einzige Zugang sein. Vielleicht
ist dies der Grund, dass die Figur der Joan in Churchills Stück unabhängig von
dem Identifikationspotenzial, das sie trotz ihrer völligen Entfremdung sowohl
von der normalen Welt als auch von ihrer biologischen Identität als Frau durchaus besitzt, nicht zu einer ausgemachten Identifikationsfigur. Entgegen der Gesamtkonzeption des Stücks spräche allerdings eine solche Inszenierung, ebenso
wie die einer feministischen Heldinnenfigur. Ziel sämtlicher Frauendarstellungen ist es, ein differenziertes und vielschichtiges Bild weiblicher Existenz in
(männlicher) Geschichte und Gegenwart zu entwerfen. Churchill liegt, und das
spiegelt nicht nur der erste Akt, sondern das ganze Stück »Top Girls« wider,
nichts ferner, als in einen generellen Essentialismus zu verfallen, der da besagen
sollte, dass Frauen besser, weiser oder insgesamt positiver sind als Männer.101
Ihre Frauenfiguren zeichnen sich durch Ambiguität aus, welche auch für Pope
98
Joans Erzählung endet mit zwei letzten, bekannten Details aus der Päpstinlegende: »The procession never went down that street again [...] they had to go all round it to avoid it. And they
introduced a pieced chair. […] A chair made out of solid marble with a hole in the seat and it
was in the Chapel of the Saviour, and after he was elected Pope had to sit on it. […] Two of
the clergy made sure he was a man.«, ebd., S. 18f.
99
Vgl. die bereits genannten Normbrüche des Leibeskanon bei Bachtin, S. 20f.
100
Culler, S. 68, in seinem Kapitel »Als Frau lesen«.
101 Vgl. hierzu Rippl, S. 233, wo es heißt, »daß alle ›gynozentrischen‹ Tendenzen (Showalter
1977), die das Weibliche als dem Männlichen dem Wesen nach unterschiedlich definieren und
dem Weiblichen so eine intrinsisch überlegene Moralität zusprechen, als essentialistisch-metaphysische Deutung der Kategorie ›weiblich‹ einen Rückfall in biologistische Denkmuster darstellen.«
55
Joan charakteristisch ist. Sie wiederholt unreflektiert genau die Vorurteile der
männlich dominierten Kirche, die sie im Endeffekt umgebracht haben.
Vielleicht ist es dieses Bewusstsein, dass Joan zu Ende des Stücks dazu bringt,
eine längere Passage aus Lukrez’ »De rerum natura« im lateinischen Original zu
zitieren, welche mit den Worten endet: »What miserable minds men have! How
blind their hearts are! To waste their brief span of life in darkness, in peril!
Don’t they see all nature needs is for life to be lived without physical pain, while
mind, freed from cares, enjoys a sense of delight?«,102 und sich danach mit
Nachdruck in einer Ecke zu erbrechen. Dieser Akt der physischen Revolte des
eigenen Körpers, ob nun gegen die lateinische Sprache, die ja auch die Sprache
der katholischen Kirche ist, oder infolge der Erkenntnis des eigenen Scheiterns
und des erfahrenen Unrechts, umfasst die Figur der Joan in ihrer ganzen Trostund Hoffnungslosigkeit, in der sie hier dem Publikum präsentiert wird.
Die Präsentation der Päpstin Johanna in Churchills Text ist dennoch in einigen Punkten symptomatisch für viele Behandlungen dieser Figur in der Literatur der Autorinnen bis zum aktuellen Zeitpunkt. Ganz bewusst werden Kernelemente der durch die männliche Erzähltradition etablierten Geschichte um den
weiblichen Papst aufgenommen, um mithilfe eines radikalen Perspektivwechsels
die Legende wieder und neu zu schreiben. Dieser Perspektivwechsel beinhaltet
oft, wie auch bei Churchill, die Annahme einer subjektivierten Erzählperspektive der ersten Person. Adäquat dazu verhält sich eine Erzählperspektive, die
vormals als Tabubrüche betrachteten Handlungen der Hauptfigur umbewertet
und zumindest als nicht mehr belastend darstellt. Hinzu kommt jedoch eine
neue Einordnung der Päpstin in die Geschichte. Ob tatsächlich in der Stilisierung als feministische Heldin oder nur in einer positiveren Zeichnung, der Figur
wird die Monstrosität, die Obszönität genommen, konsequent tritt eine differenziertere Charakterisierung an deren Stelle.
102 Englische
Übersetzung in den Fußnoten von Churchill, S. 91.
56
Emily Hope, »The Legend of Pope Joan«
Der im Jahr 1983 veröffentlichte Roman »The Legend of Pope Joan« von der im
Jahr 1979 verstorbenen Emily Hope ist derjenige der von mir untersuchten
Texte, der am stärksten eine Reinterpretation der Päpstin Johanna als feministische Heldin intendiert. Die Erzählung basiert auf einer Grundidee, die Hope in
einem dem Roman angefügten historical essay näher erläutert. Hier diskutiert sie,
offensichtlich weitaus besser informiert und den verschiedenen Quellen entschieden vorsichtiger gegenüberstehend als beispielsweise Gould Davis, zwei
theoretische Arbeiten, die sich mit der Widerlegung der Historizität der Päpstin
einerseits, und dem Versuch der Erklärung der Legende andererseits beschäftigt
haben. Zum einen ist dies ein Text von S. Baring-Gould, der in dem Kapitel
»Antichrist and Pope Joan« seines Buchs »Curious Myths of the Middle Ages«
aus dem Jahr 1881103 die These aufstellt, die Legende um die Päpstin sei aus ihrer
Identifizierung mit dem Antichristen einerseits und der Hure Babylon andererseits erst entstanden. Zum anderen bezieht sich Hope auf »Die Papstfabeln des
Mittelalters« von Johann Joseph Ignaz von Döllinger aus dem Jahr 1863, der
anhand verschiedener historischer Texte, aber auch der manifesten ›Beweise‹
einer Existenz der Päpstin, wie dem durchlöcherten Marmorstuhl und dem Umweg der Päpste bei ihrer Prozession durch Rom, versucht, die Unmöglichkeit
ihrer Historizität nachzuweisen.
Hopes genereller Ansatz ist die Eventualität, sie versucht nicht, eindeutig
nachzuweisen, dass die Päpstin existiert haben muss, sondern zieht ihre Existenz nur stark in Betracht. So vermeidet sie es, sich allzu sehr in der tatsächlich
nicht zu entscheidenden Historizitätsdebatte zu verlieren. Als Hauptargumente
dienen ihr dabei die allgemein verbreitete These, dass insbesondere im frühen
Christentum auch Frauen Positionen im niederen und mittleren Klerus inne
hatten104, und die Annahme, dass im Rom des 9. Jahrhunderts immer noch Reste
der alten Religionen mit ihren Göttinnen, und vor allen Dingen der Großen
Göttin, im kulturellen Gedächtnis vorhanden waren.105 Judith Rodriguez
schreibt in dem Vorwort zu »The Legend of Pope Joan«: »She [Hope] illuminates historical possiblity with feminist and religious thinking beyond what we
are accustomed to see as christian orthodoxy; her Joan, chosen to head a
patriarchal church, is bidden to the worship of the Great Goddess, ›descending
into the depth of created things themselves.‹« (Hope, S. VII)
Hope selbst stellt in ihrem author’s note vor Beginn der Erzählung dar, was
der Roman in ihren Augen vor allen Dingen nicht ist: »It is not a ›great love
story‹, that is, a male and a female caricature with a complex and tormented
love, disturbed either by outward circumstances or by their own personalities. It
103
Vgl. Gössmann, S. 318
Vgl. u.a. Torjesen
105
Der Topos rund um die Große Göttin, oder auch die Große Mutter, ist besonders in den späten
1970er Jahren und den 1980er Jahren in der feministischen Literatur oft bei der Entwicklung
eines sogenannten Gründungsmythos zitiert worden, vgl. Rosenkranz-Kaiser, S. 34. Ich werde
im Anschluss an diesen Abschnitt noch stärker darauf und auf die Beziehung zwischen Feminismus, feministischer Literatur und Mythos eingehen.
104
57
is not a story of renunciation as the Passion of Christ is usually depicted, that is,
the good are born to suffer and their whole life is only a prelude to their death.
It is not a frivolous farce.« (ebd., S. IX) Besonders mit letztem Punkt trennt sie
ihren Roman nicht nur nachdrücklich von der Tendenz der bisherigen, männlichen Päpstin-Literatur ab, sondern distanziert sich auch von den bereits herausgestellten, großen Nachteilen des Romans von Rhoidis, den sie dennoch für
seine Arbeit, speziell seine historischen Recherchen, lobend erwähnt: »With all
the best of Emmanuil Royidis, I hope, but without his insensitivity. His book in
the first part is a delight, and he did much historical research from which I have
benefited.« (ebd., S. X)
Ihren Roman setzt Hope an einer von ihr angenommenen Schwelle in der
Entwicklung der Frauenrolle im Europa des 9. Jahrhunderts an. Pope Joan lebt
demnach in einer Zeit, in der die Möglichkeiten und Freiheiten der Frauen,
sowohl im öffentlichen als auch privaten Raum, zunehmend durch streng patriarchale Gesetze und kirchliche Erlässe beschnitten werden. Ihre Geschichte
wird von ihrer ersten Tochter erzählt, und diese erste eklatante Abweichung von
allen bisher besprochenen Texten macht deutlich, wie sehr sich Hope um eine
tatsächlich neue, andere Darstellung Johannas bemüht.
Joan wächst zunächst bei ihren Eltern auf, der Vater ist Mönch und reist,
zusammen mit seiner Frau und der Tochter, in einer Gruppe Gelehrter durchs
Land. Somit ist von Anfang an Joans Leben von Bildung und Wissenschaft geprägt. Im Alter von zehn Jahren wird Joan jedoch von ihren Eltern, der Sicherheit halber, im Konvent der heiligen Brigid untergebracht. Dort verbringt sie,
die bereits durch ihre Eltern eine fundierte geisteswissenschaftliche Erziehung
genoss, die Zeit mit Lesen und Lernen. Als Joan sechzehn ist, wird dem bislang
völlig autonom existierenden Konvent eine päpstliche Bulle zugestellt, die, auf
Betreiben des benachbarten Diözesanbischofs, besagt, das »No woman shall
preside at the altar, nor offer the Lord’s body and blood to the people. […]
Women are forbidden to dance in the Church of God, for this is unseemly. […]
Women shall not preach in the name of the Trinity, for females are not created
in the image of God as men are; women must be subjects to men and obey
them.« (ebd., S. 17) Effekt dieser Bulle ist, dass das Konvent von der nahen
Diözese vereinnahmt werden soll. Die Nonnen widersetzen sich dieser Entscheidung, und bei den anschließenden Auseinandersetzungen gerät Joan in eine
hitzige Debatte mit dem Bischof, der sie daraufhin festnehmen und einsperren
lässt. Frumentius, hier ein junger Mönch aus dem Haushalt des Bischofs Odo106
rettet Joan aus dem Kerker, indem er sich mit einem zweiten Habit und einem
Rasiermesser in ihre Zelle schleicht. Sie fliehen unerkannt als Mönche verkleidet
auf einem Maultier.
So ziehen sie für vier Jahre durch Franken, bevor sie zuerst nach England,
dann nach Spanien und schließlich nach Athen reisen. Dort hält Joan ihre
Verkleidung als Mann aufrecht, um die Philosophenschule besuchen zu können.
Es sei zwar zu dieser Zeit auch für Frauen möglich gewesen, so Hope, zu
106
Diesen bisher in keinem der Texte erschienenen Namen wird Woolfolk Cross später übernehmen.
58
studieren, sie hätten dazu jedoch Geld benötigt, um sich einen Privatlehrer
leisten zu können. Auch hier nimmt Joan ihre Verkleidung als Mann, die ursprünglich nicht aus ihrer Initiative heraus entstand, auf um ihr Lebensziel
weiter verfolgen zu können. Dieser Umstand wird jedoch nicht als negativer
Tabubruch angesehen, sondern vielmehr aus einer Reihe zwingender Umstände
heraus entstanden. In Athen entwickelt sich Joan schnell zu einem der besten
Schüler, und nur einer unter ihren Kommilitonen ist ihr nicht wohl gesonnen:
Anastasius von Rom.107 Joan und Frumentius, der in der Zwischenzeit als Maler
tätig war, entschließen sich nach einiger Zeit, nach Rom weiterzuziehen, denn
»Pope Leo is rebuilding the walls of Rome, and is building new churches. And
he is welcoming Greek scholars to his court – as many as he can find.« (ebd., S.
31) Auf der Reise nach Rom wird die Erzählerin der Geschichte, die Tochter
von Joan und Frumentius, geboren.
Joans Erfolg setzt sich in Rom fort, in kürzester Zeit wird sie Schreiber des
päpstlichen Hofes. Ihr alter Rivale Anastasius, der keinerlei Sympathien für
Papst Leo trägt und nur auf dessen schnellen Tod hofft, auf dass er ihm im Amt
folgen könne, denunziert Joan beim Papst. Doch der reagiert in unvorhergesehener Weise und gibt Anastasius zu verstehen, dass er seinen Verrat als weitaus schändlicher betrachtet als die mögliche Tatsache, dass Joan die Tochter
eines Mönchs und die Mutter des Kindes eines anderen Mönchs sein könnte.
Verärgert verlässt Anastasius Rom und wird, als er nicht zurückkehrt, von Leo
exkommuniziert. Joans Karriere kann sich daraufhin weiter ungestört entwickeln, sie wird von Papst Leo, unbeeinflusst von Anastasius’ Denunziation,
zum Kardinal ernannt und gewinnt langsam die Sympathien der gesamten römischen Bevölkerung, denn »most did not suspect her to be a woman, since they
did not expect her to be one.« (ebd., S. 41)
Dies spricht zwar einerseits für eine unausgesprochenen Akzeptanz einer
Frau in Kardinalswürden, andererseits aber auch dafür, dass die Menschen
damals nicht nur das glaubten, was sie sahen, sondern auch nur das sahen, was
sie glaubten. Und an die Möglichkeit einer Frau in dieser Position hätten auch
im 9. Jahrhundert nur die wenigsten noch geglaubt. Diese Gleichung kann man
auch getrost auf die heutige Debatte um die Legende und die Historizität der
Päpstin generell übertragen. Gemäß dem aktuellen Denkschema ist eine Frau
auf dem Papststuhl schlichtweg nicht vorstellbar, egal in welcher Zeit. Diese
Perspektive ist in erster Linie jedoch keine Frage der Position, sondern repräsentiert vielmehr eine reflexionslose Gewöhnung an den status quo und ent107
Auch diese Figur wird von Woolfolk Cross später aufgenommen werden. Es scheint fast, als sei
die Konstellation des Anastasius als Gegner der Päpstin eine Erfindung Hopes. Dabei handelt
es sich um eine interessante Doppelung, bei der zum einen der mit Benedikt III. (der allem
Anschein nach derjenige war, der in der Zeit zwischen 855 und 858 tatsächlich Papst war, vgl.
Davis, S. 161f.) um den Papststuhl konkurrierende Priester Anastasius und zum anderen der
mutmaßlichen Verfasser des »Liber pontificalis«, von dessen Einfluss auf die Historizitätsdebatte eingangs bereits die Rede war, zu einer Person vermischt werden. Diese Person trägt
jedoch beider Charakteristika, denn sowohl bei Hope als auch bei Woolfolk Cross ist es am
Ende der ewige Rivale, der dafür verantwortlich ist, dass die Päpstin in den offiziellen Aufzeichnungen nicht erwähnt wird.
59
spricht der Haltung, nur das zu sehen, was man glaubt. Nur zu glauben, was
man sieht, referiert auf die Fragen nach stichhaltigen Beweisen, wie sie in dieser
Angelegenheit an jedem Punkt gestellt werden.108
Papst Leo unterstützt Joan nach Kräften und dient ihr schließlich den Posten
seines Privatsekretärs an. Wie sich später herausstellen wird, hat er, trotz seiner
Ablehnung, Anastasius durchaus Glauben geschenkt und geht davon aus, dass
Joan eine Frau ist. Dies ändert jedoch seine Einstellung zu ihr nicht, im Gegenteil, er diskutiert mit ihr und unterrichtet sie. Hope entwirft ein Gesamtbild
von Leo als einem liberalen, nach allen Seiten toleranten Papst, der sich gerade
durch seine Wertschätzung der alten Religionen und der griechischen Philosophie und Kunst auszeichnet – und mit dieser Charakterisierung entwickelt sich
der Roman merklich immer weiter in Richtung Utopie, an deren Ende die verpasste Chance auf eine bessere, von Frauen gelenkte und geleitete Welt stehen
wird. Leo gibt Joan klar zu verstehen, dass er sie sich als seinen Nachfolger
wünscht, »You, We would wish to see occupy this throne, when the time
comes.« (ebd., S. 47); Hope nimmt Joan auf diese Weise die intriganten Charakterzüge, die ihr in anderen Texten, gerade in Bezug auf die Beziehung
zwischen ihr und ihrem Vorgänger, stets anhafteten. Dieses Bestreben, die Päpstin in eine positive Figur umzuinterpretieren, ist einerseits wohltuend, betrachtet man die einseitig negative Charakterisierung der alten Texte im Vergleich.
Andererseits läuft sie dadurch jedoch Gefahr, zu gut zu werden, so dass eine
genau konträre, einseitig positive Charakterisierung entsteht und somit dem bereits angesprochenen Essentialismus Vorschub geleistet wird. Hope läuft in
ihrem Roman in der Tat Gefahr, diesen Standpunkt einzunehmen. Da ihre Erzählung im Gesamteindruck jedoch eindeutig utopisch angelegt ist, verleiht sie
dem Argument eine spielerische Note; gleichzeitig entschärft sie so aber auch
ihr Leitmotiv, das ja in der Möglichkeit besteht, dass es im 9. Jahrhundert eine
Person wie die Päpstin gegeben haben könnte.
Besagte feministische Utopie entfaltet sich vollends in der Beschreibung von
Joans Reise nach Byzanz, wo sie im Auftrag Papst Leos Gespräche und Verhandlungen mit Kaiserin Theodora aufnehmen soll (vgl. Abb. 6). Diese Kaiserin,
die den Thron für ihren Mann bis zur Regierungsreife ihres Sohnes
eingenommen hat, entspricht einem idealischen Bild der schönen, klugen Frau,
die sich neben den üblichen Staatsgeschäften, die sie mit fester und sicherer
Hand tätigt, der Erziehung ihrer beiden Töchter und ihres Sohnes vollends
widmet. So bringt sie den kleinen Kaiser noch eigenhändig zu Bett, nachdem
Joan offiziell empfangen und danach von Theodora und ihren Töchtern in die
Privatgemächer geleitet wurde. Theodora konfrontiert Joan sogleich mit der
Erkenntnis »You are a woman!« (ebd., S. 55) Nachdem sich Joan als eine solche
zu erkennen gegeben hat, ist der Grundstein gelegt für die Verhandlungen
zwischen der weltlichen Herrscherin des Byzantinischen Reichs und der zukünftigen geistlichen Herrscherin der christlichen Kirche.
108
Vgl. in diesem Punkt auch Arnim, der zwar einen ähnlichen Ansatz formulierte, mit diesem
jedoch lediglich auf die Blindheit der Männer um Johanna herum abzielte, nicht auf den möglichen Fehler hinter einem automatischen Ausschluss weiblicher Kleriker.
60
Abb. 6
Emily Hope, The Empress and the Cardinal plan for the future of the
Empire (aus Hope, S. 57)
Papst Leo gibt in einem Brief an Theodora zu verstehen, dass er bewusst Joan
als Unterhändlerin gewählt hat, da sie, ebenso wie Theodora, eine Frau sei und
er sie als seine Nachfolgerin ansehe. Dass dies ein kluger diplomatischer Schachzug war, zeigt Theodoras Selbstauskunft, »As a rule, I find it impossible to talk
to papal legates« (ebd., S. 58), womit sie ganz offensichtlich allein die männlichen meint. Ziel der Verhandlungen ist nun eine engere Zusammenarbeit zwischen Rom und Byzanz, und Theodora, die bekennt, dass ihre Herrschaft
keinesfalls eine unblutige ist109, hat die Vision, »If we do what is necessary now,
a High Age will begin that will last a thousand years and more.« (ebd., S. 62)
Abgesehen davon, dass der Begriff einer tausend Jahre währenden Blütezeit unabsichtlich unangenehme Assoziationen weckt, wird hier zumindest der Ansatz
für eine differenzierte Sichtweise auf Frauen in Machtpositionen gemacht, der
oben erwähnter einseitig positiver Interpretation entgegensteuert. Theodora ist
in der Tat die Figur, der Hope ein gewisses Maß an Intriganz zugesteht. So erzieht sie ihre Kinder beispielsweise auf ein einziges Ziel hin: da sie in dem Moment, da ihr Sohn alt genug ist, selbst zu regieren, abtreten muss, sorgt sie dafür,
dass er, im Gegensatz zu seinen Schwestern, keinerlei fundierte Bildung genießt,
sondern nur zu einem Leben voller Gefühl und Freuden erzogen wird. So sollen
dann ihre Töchter an ihrer statt als Schattenherrscherinnen hinter ihrem Bruder
die eigentlichen neuen Kaiserinnen werden.
109
»When I became Regent, I managed to turn the tide the other way by various methods – one
involving much loss of life.« (Hope, S. 59)
61
Generelles Ziel der neuen Weltenordnung, die Theodora vorschwebt, ist es,
Frauen wieder mehr souveräne Entscheidungsmacht zu verleihen, sie aus dem
Schattendasein als Besitztümer ihrer Männer zu befreien und ihnen Zugang zu
breiter Bildung zu verschaffen. Von diesen befreiten Frauen verspricht sie sich
dann im Gegenzug Unterstützung und Beistand für eine rein weibliche Herrschaft. Der Roman präsentiert diese Visionen als ein eindeutig positives
Wunschbild; dass hinter einer solchen Idealvorstellung der gleiche egozentrische
Allmachtsanspruch steht, wie hinter allen exklusiven Machtpositionen, wird
nicht beleuchtet. Anstelle des als schwach und schlecht dargestellten Patriarchats tritt ein Matriarchat, welches eine exakte Kopie des Vorgängermodells
darstellt und deswegen nicht weniger anfällig ist gegen Ungerechtigkeit und
Ungleichheit. Ein weiteres Ziel sei es, gestützt durch Papst Leo, an die Tradition
der Sibyllen in Rom anzuknüpfen. Es gäbe bereits Pläne, ein Nonnenkloster auf
dem Hügel des Vatikans zu errichten, wo die Sibyllen des Apoll einst lebten.
Nach Beendigung der Verhandlungen reist Joan zurück nach Rom, wo kurz
nach ihrer Rückkehr Leo stirbt und sie als sein Nachfolger eingesetzt wird.
Doch kurz nach ihrer Wahl erreicht Anastasius Rom und setzt sich mit Unterstützung des Sohns King Lothairs, Louis, als Gegenpapst ein. Er nimmt die Mitglieder des Bürgersenats gefangen, um eine Entscheidung zu seinen Gunsten
von ihnen zu erpressen. Joan kann in eine Festung fliehen, wo sie Frumentius
und ihrem Kind begegnet. Kurz darauf verlässt sie ihr Versteck in Begleitung
ihrer Tochter und begibt sich zu Lothair. Dort gibt sie sich als der neugewählte,
rechtmäßige Papst zu erkennen und bittet Lothair um Hilfe. Dieser weiß von
dem von Anastasius verbreiteten Gerücht, bei dem Nachfolger Leos handele es
sich eine verkleidete Frau, und fordert von Joan den Gegenbeweis. Die Beschreibung der Art und Weise, wie sich Joan dem physischen Zugriff des Königs
widersetzt, liest sich dann jedoch eigentümlich misogyn: »Many women when
they raise their voices screech like egrets, in a shrill and whining tone that does
not inspire respect. But Joan knew how to pitch her voice in a tone of
command, that was terribilata.« (ebd., S. 78)
Verallgemeinerungen dieser Art, die einen tendenziellen männlichen common
sense widerspiegeln, passen nicht in das allgemeine Bild weiblicher Einigkeit, das
in diesem Roman beschworen wird. Joan wird hier als vom allgemein Weiblichen sich abgrenzende Frau dargestellt, die sich auf die männliche, offenbar einzig wirksame Weise Respekt verschafft, dies jedoch nicht im Sinne eines playing
by the rules, das patriarchale Strukturen unterhöhlen soll. Lothair unterwirft sich
dem Papst, allerdings auch, weil er, der noch die Erinnerung an die alten Religionen in sich trägt, auch den Fluch einer Frau fürchtet. Als Pope Joan und King
Lothair nach Rom marschieren, hat Anastasius bereits die Flucht ergriffen. Von
Lothair unterstützt nimmt Joan ihre Stellung als neuer Papst wieder ein und
anathematisiert Anastasius. Joans Herrschaft zeichnet sich nun hauptsächlich
dadurch aus, dass sie in den wesentlichen Punkten ihrem Vorgänger Leo folgt
und von ihm begonnene Arbeiten zu Ende führt.110 Dazu zählt neben der Be110
Auch dieses Element nimmt Woolfolk Cross später auf.
62
endigung der Mauer um Rom die Restauration alter Gebäude und Kirchen in
Rom. Auf der anderen Seite tut sie viel für den allgemeinen Reichtum der Stadt
und für die Gleichstellung von Männern und Frauen. So führt sie auch mit ihrer
Privatsekretärin die erste weibliche Angestellte im Heiligen Palast ein. Die
Beziehung der Päpstin zu ihrem Partner Frumentius und der gemeinsamen
Tochter funktioniert nach dem Schema der berufstätigen Frau, die sich mit
ihrem Mann, mit dem sie zwar freundschaftlich verbunden ist, jedoch getrennt
von ihm lebt, das gemeinsame Sorgerecht teilt. Die Erzählerin schreibt: »Now I
spent half my time with my father, helping him and learning his art, and half
with my mother.« (ebd., S. 99) Joan und ihre Tochter verbindet eine enge Beziehung, die sich stark auf der Weitergabe von Wissen begründet, insbesondere
dem von altem Wissen, Sagen und Mythen.111 Der päpstliche Hof geht davon
aus, dass das Mädchen die Tochter des Papstes ist; die wenigsten Personen
denken jedoch, dass sie die Mutter, nicht der Vater des Kindes ist.
Seinen utopischen und gleichzeitig mystischen Höhepunkt erreicht der Roman in der Beschreibung der Frauen von Rom und der Sibylle Sylvia. Hope beschreibt die Frauen Roms, besonders die einfachen Marktfrauen, als noch tief im
Glauben an die alte Religion und an die Große Göttin verhaftete Gemeinschaft.
Nachdem sich die Hinweise häufen, dass eine Frau auf dem Stuhle Petri sitzt,
ziehen sie zu der alten Sibylle Sylvia, die als gesellschaftlich Geächtete, aber
dennoch für ihre Weisheit und geheimen Kräfte geachtete Person am Rande
Roms haust. Sie wollen wissen, was es mit dem Saxon auf sich hat, der als Papst
regiert. Sibylle Sylvia spricht in ihrer Weissagung von Hinweisen, die tatsächlich
von einer Frau auf dem Thron sprechen. So fragen die Frauen sie, »Has the
Second Age of peace begun, when the gates of the Temple of Mars will be
closed for ever?« (ebd., S. 136), ob also die männliche Vorherrschaft gebrochen
sei und an die ›alte römische Tradition‹ der ›Domina Maxima‹ angeknüpft werden könne. Sylvia beschließt ihre Vision mit der Ansage, »I see in my vision that
the Domina is a great one, a child of Hera! The genius gladly enters his
daughter. Bring her to the caves, to the sacred place!« (ebd.) Da dies jedoch
kaum möglich ist, macht sich Sylvia selbst auf den Weg zu Joan in den päpstlichen Palast. Dort klärt Sylvia Joan über die Tradition auf, in der sie steht. Sie
zitiert eine Genealogie, die von Rhea Sylvia, »Mother of the verdant Earth« und
Dido, »the Trojan Queen« geht bis zu dieser Zeit. »Now you are here, noble
one, sacred one, bringer of the New Age!« (ebd., S. 140) Doch um ihren Heilsauftrag wirklich erfüllen zu können, muss sie sich den Frauen Roms durch einen
Ritus anschließen.
An diesem Punkt gleitet die Erzählung in New-Age-Kitsch ab, die Päpstin als
Friedensbotin und Heilsbringerin im Sinne einer alten römischen Ahnenreihe
aus Königinnen und Göttinnen entstammt im Kern den Untiefen dieser gedanklichen Bewegung, die als Leitmythos annimmt, »ein neues Zeitalter wird kommen, das den neuen Menschen hervorbringt, eine andere Chance hat die Erde
heute nicht, um zu überleben.«112 Joan jedoch willigt in diese Initiierung ein,
111
112
Vgl. hier das Verhältnis zwischen Joan und ihrer Mutter bei Woolfolk Cross.
Christof Schorsch, zitiert nach: Rosenkranz-Kaiser, S. 30. Die Aufnahme ideologischer Ele-
63
und begleitet von ihrer Sekretärin und ihren beiden Töchtern (das zweite Kind
wurde offensichtlich ohne weitere Komplikationen in der Zwischenzeit geboren) folgt sie der Sibylle Sylvia an den geheimen Ort der Zeremonie. Dort werden dann Joan und ihre beiden Töchter in einem mystischen Ritual zu Töchtern
der Römischen Erde gemacht.
»How close the world was at this moment to an era of comparative peace is
hard to guess now, but it was perhaps nearer to it than it had been or will be
again for many centuries.« (ebd., S. 153) Joan arbeitet weiter an ihren Beziehungen zu Theodora in Byzanz, und in Franken stehen derweil Äbtissinnen
und Kriegerinnen bereit, »to take charge of the situation and rule over, for the
most part, their own brothers, fathers, and sons.« (ebd., S. 154) Diese totale
weibliche Machtübernahme wird jedoch vereitelt. Anastasius intrigiert, zusammen mit Louis, sowohl gegen Joan als auch Theodora, indem er sich zunutze
macht, dass: »In the West, the greatest fear is of a female Emperor; in the
Byzantine empire, of a female priest. So Anastasius swiftly got to work, warning
the Easterners against the woman pope, and the Westerners against the woman
soon to be Basileus. […] People who had formerly been loyal, to one or the
other of the two women, fell away when they learned of the office of the one or
the aspirations of the other.« (ebd., S. 158) Pope Joan findet in dieser Version
ihr Ende, als sie von einigen ihrer Gegner auf dem Weg vom Kolosseum nach St.
Klemens attackiert und niedergeschlagen wird. Dabei habe sie eine Frühgeburt
erlitten, »True, her child was born then prematurely; it would not have been
otherwise.« (ebd., S. 159) Frumentius stirbt ebenfalls bei dem Angriff, die
beiden anderen Töchter überleben. Auch Theodora wird aus ihrer Position
entfernt: »Earlier in the previous year, Theodora had been deposed. With her
daughters, she was forced by her enemies to enter a convent, and her brother,
Bardas, seized power as Regent for the young Emperor.« (ebd., S. 160)
Auch Hope nimmt die Testikelschau auf, die bei ihr als Mittel der Beschämung von Anhängern des Anastasius bei der Wahl des Nachfolgers Joans,
Benedikt, eingeführt wurde. »Before his coronation, however, some Frankish
followers of Anastasius obliged him to sit on a throne with his legs apart. The
priests lifted up his robes, and felt with their hands the evidence that he at any
rate was a man and not a eunuch or a woman.« (ebd., S. 163) Anastasius selbst
wird, wie bereits dargestellt, zu dem Bibliothekar Anastasius, »for nearly fifteen
years he was Papal Librarian, and had charge of all the records. What an
opportunity to alter them. I doubt if Pope Joan is well represented there.« (ebd.,
S. 165) Abschließend nimmt Hope noch Bezug auf das bereits mehrfach angesprochene Hurenregiment der Theodora und ihrer Töchter Theodora der
Jüngeren und Marozia, die Rom mit genau der Art weiblicher Missherrschaft
bestraften, die damals hinter der Regierung von Pope Joan fälschlicherweise vermutet wurde.
Des Besondere an »The Legend of Pope Joan« liegt nicht unbedingt in seiner
literarischen Qualität. Dennoch leistet der Roman mit Abstand die grundsätzmente der New-Age-Bewegung ist ebenfalls Bestandteil der Mythologisierung in der feministischen Literatur der 1980er Jahre.
64
lichste Umformulierung der Figur der Päpstin Johanna von allen hier präsentierten Texten von Autorinnen. Emily Hope hat für ihre Erzählung nicht nur einen
ganz neuen Hintergrund für die Geschichte gefunden, sondern hat sämtliche
Szenerien, wie sie in den traditionellen Bearbeitungen zum Entwurf des durch
und durch negativen, monströsen Gesamtbildes der Päpstin herangezogen
wurden, uminterpretiert und dadurch radikal entschärft und ins Gegenteil umformuliert. So hatte ihre Joan beispielsweise bereits zwei Kinder zur Welt gebracht, bevor sie das dritte bei dem Attentat auf ihr Leben verliert. Sie hat weder
gegen ihren Vorgänger intrigiert, noch sich durch besondere Machtgier ausgezeichnet. Ihre Verkleidung hat sie zwar aus bereits dargelegten Gründen frei gewählt, tut dieses aber in einer transparenten Art, die sie vom Vorwurf der Verschlagenheit weitgehend freispricht. Sie wird generell als gute Frau charakterisiert, an manchen Stellen, die ich speziell hervorgehoben habe, sogar zu positiv.
Die treibende Kraft hinter der, teilweise direkt beängstigend anmutenden,
weiblichen Machtübernahme hat Hope der Figur der Theodora überlassen; Joan
hat sich lediglich ihr angeschlossen und kann zu jeder Zeit auf die besten Absichten verweisen. Dadurch gerät sie etwas farblos, was aber wiederum ein
Effekt der positiven Überzeichnung ihres Charakters ist. Diese Päpstin ist eine
Figur des Kompromisses, sie verursacht im Roman selbst von sich aus keine
Kontroversen. Sie führt ihre Herrschaft ganz im Sinne ihres Vorgängers Leo,
der als solcher allerdings mit für einen Papst dieser Zeit utopischer Liberalität
gezeichnet ist. Er wird als zwar männlicher, jedoch positiver Charakter behandelt, der der Päpstin den Weg bereitet. Sie ist jedoch diejenige, die diese Arbeit
in logischer Konsequenz vollendet, und die Autorin lässt absichtsvoll den Eindruck entstehen, dass ein männlicher Nachfolger dazu nicht in der Lage gewesen wäre. All diese Elemente des Romans führen zu dem Schluss, dass sich Pope
Joan im Rahmen dieser Erzählung durchaus zur Hauptfigur einer feministischutopischen Vergangenheitsfiktion eignet und durch ihre positive Zeichnung ein
hohes Maß an Identifikationspotenzial in sich birgt.
Exkurs – Mythos in der feministischen Literatur
Jutta Rosenkranz-Kaiser nimmt sowohl für die feministische Literaturtheorie,
als auch die feministisch orientierte Literatur der 1980er Jahre eine eindeutige
Tendenz zu »Rezeption und Weiterentwicklung archaischer Mythen und einzelner Mythologeme sowie ihre feministische Interpretation«113 an, die sie unter
dem Aspekt der Funktionalisierung betrachtet. Daneben ist speziell in der feministischen Literaturtheorie die Tendenz einer Ent- und Remythisierung männlicher Frauenbilder zu beobachten. Als Beispiel dazu dient die feministische Rezeption der Freudschen Psychoanalyse, die zuerst eine Entmythisierung des
Bildes vornahm, das Freud in seinem Werk von Frauen und Weiblichkeit entworfen hat. Als Folge dieser Entmythisierung, die auch an anderen Autoren wie
113
Rosenkranz-Kaiser, S. 9
65
C. G. Jung vorgenommen wurde, entstand jedoch eine feministische Remythisierung, die sich beispielsweise auf die Annahme ursprünglich matriarchaler
Mythologie in einer patriarchalen Umdeutung stützte oder den Bereich der
Hysterie positiv umdeutete und diese »im Zusammenhang einer weiblichen Kulturgeschichte«114 betrachtete.
Diese feministische Remythisierung wurde jedoch bald darauf von feministischer Seite selbst kritisiert, da sie die Wiederaufnahme einer auf biologischen
Geschlechtszugehörigkeiten basierenden Polarität bedeutete. Diese erneute Dichotomie führe nur zu weiterer Verfestigung der Geschlechterunterschiede und
diene keiner differenzierten Betrachtung vor dem Hintergrund sozio-kultureller
Kontexte.115 Diese theoretischen Überlegungen und Rezeptionsstrategien
männlicher Mythen und deren feministische Reinterpretation wirkten sich
ebenfalls auf die feministisch orientierte Literatur aus. Inge Stephan schreibt:
»Matriarchatsphantasien und Amazonengeschichten und damit verbunden die
Konstruktion weiblicher Heldenfiguren gewinnen zunehmend an Bedeutung in
der neueren Frauenliteratur.«116 Auch wenn sich diese Beurteilung in erster Linie
auf die deutsche Literatur bezieht, kann derselbe Maßstab durchaus auch auf die
Strömungen in der anglo-amerikanischen Frauenliteratur angelegt werden, wo
sich besonders in Hinblick auf die utopische Literatur schon früh eine »eigene
weibliche Sparte in den Genres von Utopie, Science Fiction und Fantasy
herausgebildet hat.«117 Zu möglichen Leistungen, aber auch Gefahren der
Aufnahme und Entwicklung feministischer Mythologien in der Frauenliteratur
schreibt Stephan weiter:
»Als utopische Entwürfe von Weiblichkeit und als polemische Kritik an einem verkürzten
Verständnis von Weiblichkeit finde ich Matriarchats- und Amazonengeschichten außerordentlich produktiv, als vermeintliche historische Rekonstruktionen matriarchalischer Gesellschaftsformen und als emphatische Rückbesinnung auf einen angeblich heroischen Zustand von Weiblichkeit finde ich sie ähnlich problematisch, wie den Rekurs auf Biologie und
Anthropologie für die Gewinnung einer Definition von ›männlich‹ und ›weiblich‹.«118
Wie die vorausgegangene Interpretation von »The Legend of Pope Joan« gezeigt
hat, sind dies genau die Punkte, die an dem Roman von Emily Hope zu
beobachten und zu kritisieren sind. Bereits der Titel spricht von einer fundamentalen Umdeutung, bzw. einer Neuschaffung der Legende um die Päpstin
unter eindeutig feministischen Vorzeichen. Nimmt man die Entstehungszeit des
Romans mit den Jahren 1978–1979 an, so fällt diese in exakt denselben Zeitraum, da die theoretische feministische Auseinandersetzung mit und Reinterpretation von ursprünglich männlich autorisierten Weiblichkeitsmythen ihre
stärkste Ausprägung erfuhr; andererseits hatte sich zu diesem Zeitpunkt noch
keine eigene feministische Kritik an der essentialistischen Herangehensweise
114
Vgl. Weigel 1990, S. 125.
Vgl. Lerner, Harriet 1991, nach: Rosenkranz-Kaiser, S. 16
116
Rosenkranz-Kaiser, S. 21
117
Weigel 1987, S. 311
118
Rosenkranz-Kaiser, S. 21
115
66
und der daraus folgenden, auf vergleichbaren Dichotomien von ›männlich‹ und
›weiblich‹ beruhenden Umdeutung herausgebildet. Der Text steht somit ideengeschichtlich mit einer Zwischenstufe sowohl der feministisch orientierten
Literatur, als auch der feministischen Literaturtheorie in engster Verbindung,
nimmt die Ausbildungen dieses Ansatzes jedoch ohne Reflexion einer möglichen Gegenposition auf und ist dadurch, nicht erst aus heutiger Sicht, durchaus
kritisierbar.
Die bereits aufgezeigte Verbindung zur New-Age-Bewegung ergibt sich
ihrerseits aus der stark feministischen Gewichtung der Bewegung selbst und
ihrer Betonung auf Prinzipien der Ganzheit, Spiritualität und Androgynität.119
Die New-Age-Bewegung erwartete zwar ein neues Zeitalter, orientierte sich in
ihren Vorstellungen und Zielsetzungen jedoch stark an feministischen Mythologemen von matriarchaler Spiritualität und einer Ganzheitlichkeit von natürlichen
und kulturellen Lebensinhalten und -formen. In ihrer Schilderung der Päpstin
Johanna als in einer, bereits zu ihren Lebzeiten patriarchal durchbrochenen,
Genealogie der archaischen Göttinnen und altrömischen Machthaberinnen
stehenden, neuen Herrscherinnenfigur folgt Hope genau dieser Denkrichtung.
Größter Angriffspunkt ist auch hierbei die biologistische Argumentation, die
ein vormals prinzipiell negativ eingestuftes Geschlecht nun auf derselben Diskursebene für prinzipiell positiv ansieht. Aber selbst die Abkehr von biologischen Maßstäben und eine Hinwendung zu einer Unterscheidungsebene im
Sinne von Vernunft und Natur bedeutet erneut einen Rückbezug auf etablierte
Dualitäten wie ›männlich = rational‹ und ›weiblich = natürlich und emotional‹,
die die zu kritisierenden Maßstäbe nur unter anderen Vorzeichen widerspiegeln.
In Bezug auf den Roman von Emily Hope bedeutet das, dass die Figur der Päpstin einerseits nicht nur neu interpretiert werden, sondern die ganze Legende im
Kern als ursprünglich profeministisch angesehen und nun an einen Punkt geführt werden soll, an dem sie die etablierte, patriarchal überschriebene Legende
ersetzt. Doch durch die einfach Umkehrung der Verhältnisse wird keine neue
Legende geformt, sondern nur die alte remythisiert und unter denselben Vorzeichen ausgestellt.
Somit könnte diesen Roman im Grunde derselbe Vorwurf der Funktionalisierung treffen wie die Texte männlicher Autorschaft, die die Legende der Päpstin im Sinne ihrer jeweiligen Zwecke und Aussagen interpretierten und sie mit
einer einseitig-intentionalen Charakterisierung belegten.
119
Vgl. Rosenkranz-Kaiser, S. 30
67
Sara Maitland, »The Dreams of the Papess Joan«
Der nur knapp sechs Seiten lange Text »The Dreams of the Papess Joan« von
der feministischen Theologin Sara Maitland erschien in ihrer Kurzgeschichtensammlung »Telling Tales« aus dem Jahr 1983. In dieser ebenso knappen wie
dichten Erzählung, die beinah eine gewisse Vorkenntnis der Legende bei
der/dem LeserIn voraussetzt, hat die Autorin, ideentechnisch betrachtet, die
von Churchill bereits eingeschlagene Relektüre weiter ausgeführt. Sie präsentiert die Päpstin (hier taucht auch das erste Mal seit Rhoidis wieder der weibliche Titel ›Papess‹ auf) als eine, bis zum Verlust der eigenen Identität, von sich
selbst und ihrer Weiblichkeit (nicht nur im soziologischen, sondern schon fast
biologischen Sinne) entfremdete Frau. Papess Joan träumt insgesamt fünf Träume, die sie im Rahmen der Erzählung referiert. Darin eingeflochten sind bruchstückhafte Erinnerungen an den Beginn ihres Lebens als Mönch, an ihre Familie
in England, besonders an ihre Mutter und Schwester, sowie Selbstreflexionen
über das Leben als Papst John VIII., in denen sie sich wiederholt voller Abscheu
und Selbstanklage gegen sich selbst wendet.
Der erste Traum versetzt sie zurück in ihr Elternhaus. Sie träumt von ihrer
Mutter, die sagt, »Poor Joan, she’s so sharp she’ll cut herself. This will end in
tears.« Dem will sie erwidern, »It didn’t begin for tears, it began for a laugh«
(Maitland, S. 61), erwacht jedoch. Sie muss an die Warnung ihrer Mutter denken, dass sie nie einen Mann bekäme, wenn sie so weitermache. Und in der Tat,
sie habe so weitergemacht und hätte jetzt zwar keinen Mann, jedoch ein Baby,
»I have a baby in my gut by a fat fingered cardinal, mummering and slobbering,
making the word ›your Holiness‹ into the obscenest joke in Christendom; and
the papal whiteness turned to red, the scarlet woman, the whore of the apocalypse«. (ebd., S. 61) Päpstin Johanna wird hier nicht durch ihren Charakter und
ihre Verstöße gegen religiöse und gesellschaftliche Tabus zur Hure Babylon,
sondern durch die sexuelle Erpressung eines Kardinals. Auf die Warnungen ihrer
Mutter habe sie stets geantwortet, sie wolle selbst ein Mann sein, woraufhin sie
von ihrer Schwester Meggie gefragt worden sei, »›Why, Joan? They don’t know
ANYTHING. They can’t do anything‹ But I thought I wanted it just the same. I
wanted to be anything I wasn’t and still I do; now I am not Joan anymore and
cannot find myself, I want, O how I want, to be Joan.« (ebd., S. 62)
Im zweiten Traum träumt sie, ihr Baby, ein Mädchen, werde geboren, und
zwar »already wrapped and painted like the Holy Child«. Doch das Kind atmet
nicht, was die Päpstin als Unwille zum Leben interpetiert, den sie gut nachvollziehen kann: »Even in the dream I thought that maybe she was right not to want
to start living, because what can possibly become of her. I can no longer be a
mother, because I am not a woman anymore, though I don’t know what I am.«
Der Vater des Kindes, der widerwärtige Kardinal, der sie mit der Kenntnis ihres
Geheimnisses erpresste, kommt in dem Traum nicht vor. Warum sie jedoch auf
diese Erpressung einging, weiß sie sich selbst nicht zu erklären, »Was it perhaps
a last desperate attempt to be myself again, a woman, to be what I really am? Or
was it because I knew that I was No-one, that what he did could not matter,
68
because he wasn’t doing it to a real person.« (ebd.)120 Papess Joan fühlt sich »not
fit« für dieses perfekte Baby, sie fühlt sich hilflos und bar jeden Wissens in
solchen weiblichen Angelegenheiten, »these precious things are hidden from me,
by me.« (ebd.) Sie hat sich also ihrer Weiblichkeit und dem sozio-kulturellen
Wissen, das damit zusammenhängt, selbst entzogen und entfremdet und empfindet nun Bedauern darüber, sieht sich aber außer Stande, diesen Zustand
noch zu ändern. Sie reist gedanklich zurück an die Anfänge ihrer Lebenslüge, »I
started on my adventure for truth with a lie. […] Sometimes I wonder if I had
gone honestly, not in disguise, not in a lie, if I had gone to Leo as a girl and
asked him to teach me, would he have, would it all have been different?« (ebd.,
S. 63). Doch jedesmal, wenn sie sein ›little brother‹ in ein ›sister, father‹ korrigieren wollte, hatte sie nicht den Mut; so wurde es mit jedem Mal schwieriger,
bis es kein Zurück mehr gab.
Im dritten Traum fällt Papess Joan, und sie weiß, was das bedeutet: »I was
falling away from myself. Outside was myself, was Joan, and I was falling away
from her.« (ebd.) Mit jedem Mal, da sie sich als ›I am brother John, a monk
from England‹ vorstellte, wurde sie etwas weniger Joan. Als sie dann zum Papst
gewählt wurde, hätte sie auch nein sagen können. Aber sie hatte Papst werden
wollen, »I had come all the way, I thought I want to be Pope. I said Yes. I
looked round to laugh with Joan, and she wasn’t there.« Bei dieser Erinnerung
an den schmerzlichen Verlust ihres Selbst beginnt die Päpstin, von Joan in der
dritten Person zu sprechen, »Joan would not see it, preferred lying, was too
stupid to see where it would land her, dressed up in a monk’s habit and set off
laughing down the road to Athens. […] She wanted to be a man. ›But why,
Joan, why?‹ and Why, Joan, Why, I ask myself, but I cannot ask Joan anymore
because she does not exist; I have come too far and there is no way back.« (ebd.,
S. 64) Als sie erwacht, ruft sie nach Joan, nach sich selbst, erhält jedoch keine
Antwort. Kurz überlegt sie, ob sie nicht doch nach einem Beichtvater rufen soll,
doch »John VIII has nothing to confess« (ebd., S. 65).
Der vierte Traum führt Papess Joan in ein Konvent. Die Szenerie strahlt
große Ruhe und Geborgenheit auf Joan aus, die Äbtissin erinnert sie an Papst
Leo, »but without the silly droop in the nose, and with a gentler ambition, not
to go to Rome, but to stay still and build up.« (ebd.) So fasst sie den Entschluss,
in dieses Konvent zu gehen, wenn sie ihre Schwangerschaft nicht länger verheimlichen kann. »I will find Meggie and give her the baby, and then I will go to
the convent, among women, and start to learn again, start to try and find myself.« Auf sich selbst kann sie sich bei dieser Unternehmung nicht verlassen, »I
don’t trust Pope John, he is a liar, but I can trust the baby, the baby will force
me to go. Soon, I hope, I should like to go home.« (ebd.)
Doch der fünfte und letzte Traum lehrt die/den LeserIn, dass auch diese Aussicht auf ein neues Leben, fern der Lügen und auf der Suche nach einer neuen
Identität, welche die ursprüngliche zurückbringen soll, auch nur ein Traum
gewesen ist. »It was a dream. She never went home to her convent. She mis120 Hier
ein bislang vernachlässigter Aspekt des body politic, oder vielmehr eines body clerical, der
für die gesamte Päpstindebatte von Belang sein könnte.
69
carried a son during a papal procession and was stoned to death, as an antiChrist, by the crowd.« (ebd., S. 66)
Die Anleihen an traditionelle Texte, derer sich Maitland für diese Kurzgeschichte bedient haben könnte, sind ebenso klar ersichtlich wie die Parallelen zu
Churchill und Gould Davis. Womöglich waren es die beiden letzten Arbeiten,
die ihr das Grundgerüst für ihre Bearbeitung des Päpstin-Johanna-Stoffs gestellt
haben. Dafür spricht insbesondere der Nachtrag zu Ende der Kurzgeschichte:
»The Papess Joan, as John VIII, is said to have held the pontifical office from
853–855 A.D. In 1601 she was anathematised and declared never to have existed.
That both should be necessary shows the confusion the Church felt about even
the possibility of a female intruder.« (ebd.) Interessant ist, abgesehen von der
offensichtlichen Quelle bei Gould Davis, die Vorsicht, mit der Maitland deren
Behauptungen wiederholt. Obwohl sie den letzten Satz mit spürbarem Nachdruck formuliert, hält sie sich der Historizitätsfrage fern. Wie bereits erwähnt,
folgt Maitland Churchill in der Darstellung Johannas als einer von sich selbst
entfremdeten Frau. Bei Maitland kommt jedoch der Aspekt der Selbstanklage
und -verachtung hinzu. Papess Joan beschreibt sich selbst in ihren Träumen als
eine Frau, die keine mehr ist, die das Frausein verlernt, oder vielmehr sich selbst
abgewöhnt hat. Sie hat einerseits erreicht, was sie sich als Kind immer gewünscht hatte, sie ist mehr Mann als Frau geworden. Doch in dem Moment, in
dem sie beginnt, diese Entwicklung zu realisieren und zu bereuen, ist ihr der
Weg zurück verwehrt durch ihr auf einem Berg von Lügen errichtetes Dasein als
Papst. Sie sehnt sich nach einer Unschuld zurück, die sie in einem Leben als
Frau vermutet, trägt jedoch in sich keinen Anschlusspunkt an ein solches, d.h.
in erster Linie lügenfreies Leben mehr. Einerseits reflektiert sie das Maß, in dem
sie von der Kirche und ihrer Umgebung misshandelt und an einem glücklichen
Leben gehindert wurde; andererseits traut sie sich oder vielmehr ihrem absolut
im Vordergrund stehenden männlichen alter ego nicht über den Weg. Für ihr
Kind entwickelt sie zwar einen gewissen Beschützerinstinkt, da sie es in Sicherheit bringen will, letztendlich gelingt es ihr jedoch nicht, sich zu befreien. Sie
verharrt in den starren Konventionen, die sie selbst als Oberhaupt der katholischen Kirche eine Zeitlang mitbestimmt hat und kommt darin um.
Maitlands Johanna ist keine Heldin. Diese Frau, die gefangen ist in einer fast
schizophrenen Selbstwahrnehmung, steht vor ihrem Leben, als sie dessen Ende
bereits vorausahnt und bereut die Wahl, die sie im entscheidenden Moment getroffen, und den Weg, den sie aufgrund dieser Entscheidung eingeschlagen hat.
Um so erstaunlicher ist es, dass diese Kurzgeschichte die/den LeserIn für die
wahrhaft tragische Figur der Päpstin einzunehmen vermag und so ein gewisses
Identifikationspotenzial entfaltet. Dies geschieht vermutlich aus ähnlichen
Gründen, aus denen bei Churchill die Niederkunftsszene plötzlich ihre Monstrosität verliert. Es ist der subjektivierte Blick auf ihren Charakter durch die
Päpstin selbst. Sowohl ihre negative Einstellung zu dem Leben, das sie geführt
hat, als auch der unbändige Ekel gegenüber dem Kardinal, dem sie sich trotz ihrer Abneigung hingegeben hat in der Hoffnung, auf diese Weise etwas von ihrer
Weiblichkeit wiederzuerlangen, sind im höchsten Maße nachvollziehbar.
70
Banuta Rubess, »Pope Joan«
»Pope Joan« von Banuta Rubess, untertitelt mit »A non-historical comedy«
entstand im Jahr 1984, wurde jedoch erst im Jahr 1993 in einer Anthologie zum
»New Canadian Drama« veröffentlicht. In der Einführung zu dem sechsten
Band, in dem Rubess’ Stück erscheint, schreibt die Herausgeberin Rita Much:
»The two plays selected for this anthology represent some of the chief formal and thematic
concerns of feminist drama produced by Canada’s foremost feminist theatre, Nightwood,
in the 1980s. […] In Nightwood’s 1984 production of Banuta Rubess’s POPE JOAN the
outside is an intelligent, learned girl of great faith who aspires to become the head of the
Roman Catholic Church. Given the flagrant and pervasive misogyny of the Church (rooted
in a male psychosis about female sexuality) which allows only men to live fully and to
exercise power, the only way she can achieve her goal is to become one of the boys, in every
sense but the literal. Inspired by historical and fictional accounts of a woman disguised as a
monk who became pope in 853 Rubess wrote a play to inform audiences who are still educated to believe ›women never did anything.‹ POPE JOAN is another example of Rubess’s
continuing interest in both creating good stage roles for women and re-visioning history,
recovering and reclaiming lost heroines from whose point of view the story is told. Rubess
does not alter history, however, for the sake of making a stronger, more inspired feminist
statement. […] Though the theme of the corruption of women in power is serious and
disturbing, the play is a picaresque burlesque, the raw, off-the-wall humour and bawdiness
of which are redolent of Monty Python.« (Rubess, S. VII–XII)
Besser man stellte das Stück nach der Lektüre dieser Einführung ungelesen
zurück ins Regal. Denn so vielversprechend die Präsentation, so enttäuschend
ist »Pope Joan« tatsächlich. Rubess selbst scheint einen möglichen negativen
Effekt ihres Stücks beizeiten vorausgesehen zu haben. In ihrer eigenen Einführung übt sie sich in Selbstkritik:
»Another revelation was the difficulty of writing a female heroine who is not boring.
Although I envisage Joan as a kind of 9th century Margaret Thatcher, she is by no means the
funniest character – as I now wish she were. I’d argue that Pope Leo and Frumentius are the
most enjoyable roles for a comic actor. The fact that these are both male roles simply indicates the extent to which my imagination was caught in the net of the status quo. This was
the beginning of my realization that the feminist heroine was sterilized; that I hankered for
female characters who swashbuckled, lied, cheated, broke and spilled things and made a
mess. This urge would have to wait for other productions. […] The show was dismally
received by the critics who were shocked that I hadn’t written a Seminal Feminist Drama.
Instead, they reviled my ›schoolboy humour.‹ Shurely shome mistake there.« (ebd., S. 83)
Aber genau das ist der Fall. Würden sowohl Much als auch Rubess nicht so beharrlich auf dem angeblichen Humor des Stücks herumreiten, könnte man den
flachen Witz, der sich quer durch das Stück zieht, vielleicht noch als besonders
subtile Art der Kritik an männlichen Denkstrukturen, bzw. an dem stark kritikanfälligen Sarkasmus eines Rhoidis verstehen. So jedoch fällt es schwer, dem
Stück überhaupt einen feministischen Ansatz zuzusprechen, oder viel weniger
noch von einer neuen Sichtweise auf die Figur der Päpstin.
71
Rubess bezieht sich in ihrer Einführung dann tatsächlich expressis verbis ›auf
das Buch von Lawrence Durrell‹ als Hauptinspirationsquelle für ihr Stück und
meint damit natürlich die Übersetzung Durrells von »I Papissa Ioanna«. Die
Vorlage ist klar erkennbar, die in Muchs Einleitung angeführten historischen
Quellen haben jedoch kaum Spuren hinterlassen. Nur in einem Punkt weicht
Rubess von ihrer Vorlage ab; sie führt die Figur der Marozia,121 die seither weder
bei Rhoidis und seinen direkten Nachfolgern, noch bei Churchill, Maitland oder
Hope eine Rolle gespielt hat, wieder ein. Marozia, die sich selbst als »harlot of
Rome« (ebd., S. 141) bezeichnet, wird zu Joans Verbündeter, nachdem sie sie
zuerst verführen wollte122 und dann feststellen muss, dass Joan eine Frau ist.
Das Stück nimmt einige zentrale Charaktere, wie sie bei Rhoidis erscheinen,
ebenso auf wie alle zentralen Eckpunkte der Geschichte. Die Heiligen Lioba und
Ida erscheinen ebenso wie Papst Leo und Frumentius als der Liebhaber Joans.
Der Vater Joans, hier genannt Mad Monk Reg, ist derselbe verstümmelte
Mönch wie bei Rhoidis, ihre Mutter Judith stirbt bei ihrer Geburt. Joan reist in
bekannter Manier mit ihrem Vater durchs Land: »We were poor, but we had our
pride. And that was a sin. And we had each other. We also had a precious relic –
the tooth of St. Sabina. We had some other things too. Warts. Lice. Day in, day
out, we roamed through markets, taverns, sometimes castles – on a good day-inday-out. I was sixteen and dying to get away from Daddy.« (ebd., S. 98), bis
Lioba und Ida erscheinen und Joan vor die Wahl der beiden Lebenswege stellen:
»LIOBA : Joan, choose between us. / IDA: Choose me, Joan. / LIOBA : Choose
me. / IDA : I asked her to choose me. / LIOBA : I don’t know why she should
choose you, Ida. If the girl has a brain in her head …« (ebd., S. 110)
Natürlich entscheidet sie sich schließlich für Lioba und geht ins Kloster der
heiligen Blittrude. Lioba verfolgt ihren Werdegang. »Calamity Joan. Well, she
finally made it to St. Blittrude’s and they welcomed her with open arms. She was
made a librarian, quick as a flash. Our Joanie is a real smart cookie, there are no
flies on Joan!« (ebd., S. 112f.) Aber nach einigen Monaten zeigt sie die bekannten Mangelerscheinungen durch das schwer vergeistigte Leben im Konvent,
und Lioba besucht sie: »LIOBA : I know it’s hard. This awful bed. And I’ve had
better food at Woolworth’s. / JOAN : Where? / LIOBA : In another life, dearie.«
(ebd., S. 115) So arrangiert sie die Ankunft Frumentius’, mit dem Joan zusammen eine Abschrift der Paulusbriefe anfertigen soll. Frumentius ist tatsächlich der Charakter in diesem Stück mit den am Abstand schlechtesten Texten.
Er verspricht sich ständig, was in unerträglichen Wortspielen endet. Einige
Beispiele: »This is excellent. You are a master, I mean a mistress, a hoyden, I
mean a doyen, of cartography. No. Ah yes: pornography. I mean to say – calligraphy.« (ebd., S. 118) – »That would enjoy me tremendously. I mean, pleasure
me. I mean turn me into taffy. I mean, yes, of course, the Bible is so crucifying,
ah, edifying, ah, read me.« (ebd., S. 119) – »I cried and cried until my eyes grew
red and farted, I mean, smarted, I mean, blow your nose.« (ebd., S. 156)
121
122
Vgl. Arnim
Diese Verführungsszene zwischen Marozia und Joan nimmt hingegen Woolfolk Cross wieder
auf.
72
Joan folgt Frumentius nach Athen, wo sie gemeinsam in einer Einsiedelei leben und Joan unterrichtet. Während Frumentius Grußkarten an den lieben Gott
betet, langweilt sich Joan sehr schnell. Lioba hilft ihr auch aus dieser Situation
heraus und bringt sie auf ein Schiff nach Rom. Dort trifft sie mit Papst Leo und
Marozia, welche anfangs dessen Geliebte ist, zusammen. Die beiden sind permanent damit beschäftigt, Intrigen zu spinnen oder solche in Form von Attentätern zu bekämpfen. Leo tötet einen assassin nach dem anderen, während er
zwischendurch seine Korrespondenz erledigt. Als Joan bei ihm vorsprechen will,
hält er sie erst für einen Giftmörder, lässt sich dann aber vom Gegenteil überzeugen. Er beklagt sein Leben als Papst, »You know, everybody thinks, pope,
great, yeah, I want to be pope, pope is fun, parties, power, trips, lots of holidays,
talks with God.« (ebd., S. 137)123 Nach bereits erwähnter Verführungsszene mit
Marozia kann Joan diese als Verbündete gewinnen. Sie schmieden zusammen
den Plan, Leo loszuwerden und Joan als seinen Nachfolger einzusetzen, was
Marozia für die punch line eines sehr, sehr guten Witzes hält (vgl. ebd., S. 141).
Kurz darauf liegt Leo auch schon im Sterben. Sein ganzer Hof, inklusive Joan,
kann es kaum erwarten, dass er endlich abtritt, doch er schläft immer wieder nur
ein und erwacht sofort, wenn jemand schreit, »He is dead!«. Joan versetzt ihm
schließlich den Todesstoß, indem sie ihre Robe lüftet und ihm ihren weiblichen
Körper enthüllt (vgl. ebd., S. 145). Sie folgt Leo ins Amt des Papstes und nimmt
dessen leiblichen Sohn Florus sowohl als Sekretär als auch, auf wiederholtes Anraten Liobas, als Liebhaber. Papst Leo hat dann doch noch einen letzten Auftritt, nun als der Überbringer der Wahl, die Joan treffen muss zwischen irdischer Schande und ewiger Verdammnis. Ihre Wahl der irdischen Schande kommentiert er mit einem markigen »Chosen like a man.« (ebd., S. 154) Als nächstes erscheint Frumentius in einer Privataudienz bei Pope Joan. Er erkennt sie
und droht ihr mit Verrat, wenn sie sich nicht wieder mit ihm zusammentut. Sie
aber versichert ihm glaubhaft, dass sie gar keine Frau mehr ist, sondern durch
ein göttliches Wunder zum Mann wurde (vgl. ebd., S. 157). Die petrarkischen
Plagen werde hier als positives Zeichen umgedeutet, die die Wahrheit der wunderbaren Geschlechtsumwandlung beweisen sollen. Das Ende der Päpstin wird
hier in einer visionären Vorschau durch Lioba gezeichnet, die sich im wesentlichen an die Vorlage hält, allerdings den Aspekt der Steinigung mit einbringt.
Ich bin prinzipiell nicht der Ansicht, dass sich die Päpstin Johanna nicht auch
als zentraler Charakter einer Komödie oder Satire eignet. Um jedoch in einem
solchen Rahmen einen anderen Blick auf sie zu gewinnen, als es Rhoidis mit
seinem Roman getan hat, wäre eine Grundvoraussetzung, dass man, wenn schon
nicht mit ihr, so doch wenigstens nicht über sie lacht. Genau diesen Effekt hat
Rubess’ Stück jedoch. Die Päpstin wird als Kuriosum vorgeführt, die Autorin
spielt lediglich mit den Versatzstücken der »Papissa Ioanna«, ohne diese jedoch
anders oder neu zusammenzufügen. Much schreibt unter anderem in ihrer Einleitung: »Rubess’s Joan plays by the old (the boys’) rules« (ebd., S. XI), und das
hat Rubess hier auch getan.
123 Leos
Texte sind die einzigen im ganzen Stück, in denen man tatsächlich noch eine gewisse Spur
des von Much vergleichend hinzugezogenen Humors der Monty Pythons entdecken kann.
73
Donna Woolfolk Cross, »Pope Joan«
Der im Jahr 1996 erschienene Roman »Pope Joan« von Donna Woolfolk Cross
(dt. »Die Päpstin«) hat das Interesse an Päpstin Johanna in der jüngsten Vergangenheit erneut entfacht. Besonders auf den deutschen Buchmarkt hatte der
große Erfolg dieses Historienromans seine Auswirkungen. So kamen sowohl
der Roman von Rhoidis124 als auch die Rezeptionsgeschichte von Gössmann125
zu erneuten Auflagen. Aber auch die englische Übersetzung von »I Papissa
Ioanna« von Lawrence Durrell wurde neu aufgelegt.126 Dieser Roman richtet
sich wieder an eine weitaus breitgefächertere Leserschaft als es die Texte taten,
die in den späten 1970er Jahren und den frühen 1980er Jahren entstanden (das
Theaterstück von Rubess einmal ausgenommen). Wie ich im Rahmen der vorangegangenen Interpretationen der Texte von Churchill, Hope und Maitland dargestellt habe, verfolgten sie mit ihrer fundamentalen Reinterpretation der Päpstingeschichte eine eindeutig feministisch orientierte Richtung und sprachen damit, tendenziell zumindest, ein ebenfalls feministisch orientiertes Publikum an.
Donna Woolfolk Cross löst sich dahingehend mit »Pope Joan« eindeutig von
ihren Vorgängerinnen. Sie präsentiert einen leserfreundlichen, gut durchstrukturierten Stoff, der sich, wie es die Kritik ganz richtig erkannt hat, dadurch auszeichnet, dass er alles bietet, was landläufig von einem Historienroman verlangt
wird: »Pope Joan has all the elements one wants in a historical drama – love, sex,
violence, duplicity and long-buried secrets.«127 Insgesamt betrachtet ist diese
bislang letzte, höchst erfolgreiche literarische Bearbeitung des Päpstin-JohannaStoffs weniger als feministisch, denn als frauenfreundlich zu bezeichnen.
Woolfolk Cross sieht sich selbst und das Ziel ihres Buchs jedoch in einem
ganz anderen Licht. Sie weist zwar in ihrem author’s note eindeutig darauf hin,
dass sie teilweise historische Fakten zugunsten einer good story verändert und in
einen anderen Zusammenhang gestellt hat. Auch die Tatsache, dass die Wahrheit
über die Päpstin wahrscheinlich nie ganz dargelegt werden kann, habe sie dazu
veranlasst, einen Roman zu schreiben und keine historische Untersuchung. Auf
der anderen Seite tritt sie jedoch mit einem völlig verfehlten Historizitätsan124
125
126
127
Wie bereits im Abschnitt zu Rhoidis erwähnt, haben sowohl der Aufbau Taschenbuch Verlag,
als auch Bastei Lübbe im Jahr 2000 Neuauflagen von I Papissa Ioanna herausgebracht, ATV
unter dem Titel »Die Päpstin Johanna von Ingelheim«, BL als »Päpstin Johanna. Ihre wahre
Geschichte« (mit dem Aufkleber Spitzentitel des Monats auf dem Cover). Der >Audio< Verlag
hat indes »Die Päpstin zum Hören« (Sprecherin Angelika Domröse) im Programm, während
Volker Schlöndorff plant, Woolfolk Cross’ Roman zu verfilmen.
Gössmanns Rezeptionsgeschichte erschien erstmalig unter dem Titel »Mulier Papa. Der Skandal eines weiblichen Papstes. Zur Rezeptionsgeschichte der Gestalt der Päpstin Johanna« im
Jahr 1994 als fünfter Band des »Archiv[s] für philosophie- und theologiegeschichtliche Frauenforschung«, dann ebenfalls im Jahr 2000 bei ATV, nun unter Aufnahme des Romans von
Woolfolk Cross. Im selben Jahr erschien ebenfalls bei ATV auch Stanfords journalistischhistorische Recherche »Die wahre Geschichte der Päpstin Johanna«, deren englisches Original
1998 unter dem unschönen Titel »The She-Pope« publiziert wurde. Die amerikanische Ausgabe aus dem Jahr 1999 trug dann den Titel »The Legend of Pope Joan. In search of the truth«.
Im Jahr 1999 bei Peter Owen Publishers, London.
Kritik der Los Angeles Times, abgedruckt in der von mir verwandten Ausgabe des Romans.
74
spruch auf, der sich, obwohl sie diesen Eindruck gerne erwecken möchte, nicht
im geringsten mit dem aktuellen Stand der Dinge deckt, noch allein ihren
Quellenforschungen entspringt. Sie rezipiert bereits altbekannte Ansätze, wie
sie sich schon in anderen, ebenfalls oben behandelten Texten finden, ohne
jedoch auf ihre, besonders im Roman selbst offensichtlich werdende, Lektüre
anderer literarischer Texte hinzuweisen. In ihren acknowledgements dankt sie
zwar einem ganzen Stab wissenschaftlicher Mitarbeiter; ältere Romane oder gar
die Arbeiten der besprochenen Autorinnen des späten 20. Jahrhunderts finden
keinerlei Erwähnung.
Gleich zu Beginn des author’s note findet sich jedoch bereits dieselbe (Fehl-)
Annahme, von der schon Gould Davis ausging, »Yet for hundreds of years – up
to the middle of the seventeenth century – Joan’s papacy was universally known
and accepted as truth. In the seventeenth century, the Catholic Church, under
increasing attack from rising Protestantism, began a concerted effort to destroy
the embarrassing historical records on Joan. Hundreds of manuscripts and
books were seized by the Vatican.« (Woolfolk Cross, S. 412) Auch sie geht von
einem absichtlichen Auslassen der Päpstin aus dem »Liber pontificalis« aus,
ebenso wie von der Absicherung der Historizität durch »no fewer than five hundred ancient manuscripts containing accounts of Joan’s papacy« (ebd., S. 414).
Dass sie allerdings »such acclaimed authors such as Petrarch and Boccaccio«
(ebd.) dazu zählt, wirkt im höchsten Maße entlarvend, denn erstens sind deren
Texte natürlich keine ancient manuscripts im Sinne einer historischen Quelle, da
sie selbst bereits die Legende rezipieren, andererseits spricht der von ihnen
transportierte Misogynismus von allem anderen als von einer positiven Akzeptanz. Des weiteren behauptet die Autorin, »little is known about Joan’s early
life, except that she was born in Ingelheim of an English father and that she was
once a monk at the monastery of Fulda. I have necessarily had to fill in some
missing pieces of her story.« (ebd., S. 418) Dass sie sich jedoch in dem Moment,
in dem sie den Geburtsort Ingelheim, den englischen Vater und ihren Aufenthalt in Fulda aufnimmt, bereits in einer literarischen, fiktionalen Tradition
befindet, scheint sie selbst nicht zu ahnen.
Des weiteren nimmt sie auch die sedes stercoraria, ebenso wie den bekannten
Umweg bei den Prozessionen als ›Beweismittel‹ für eine nicht zu leugnende
Historizität der Päpstin an. Woolfolk Cross hängt somit einerseits der wirklich
überkommenen These an, die Verunglimpfung der Päpstin sei eine Folge der
Reformation, wobei sie völlig außer acht lässt, dass selbst die vor-reformatorischen Texte stets gegen die Figur der Päpstin gerichtet waren, auch wenn sie
deren Existenz tatsächlich in Betracht zogen; andererseits beschwört sie in
pseudo-feministischer Manier eine Verschwörungstheorie von der patriarchalen
Katholischen Kirche, die systematisch über dreihundert Jahre die Spuren der
Päpstin vernichtet habe. Diese Sicht der Dinge ist zwar verführerisch, da sie dem
Roman noch einen zusätzlichen Reiz verschafft, besonders differenziert ist sie
jedoch nicht, und schon gar nicht durch eine fundierte Untersuchung, wie sie
angeblich vor der Niederschrift des Romans stattgefunden hat, zu stützen.
Letzten Endes verlangt man eine solche geschichtswissenschaftliche Arbeit ja
75
gar nicht von der Autorin eines Historienromans. Würde Woolfolk Cross selbst
nicht so vehement auf ihrem Standpunkt verharren, wären etwaige Unstimmigkeiten nicht der Rede wert. So jedoch fordert sie selbst eine Leistung und
Wirkung von ihrem Buch, die der Roman nicht erbringen kann, nämlich den Beweis der Existenz der Päpstin.
Der Roman selbst ist unter den Bearbeitungen der letzten Jahre eine der am
stärksten fiktional ergänzten Versionen der Päpstinnenlegende. Aber auch traditionelle Elemente der Geschichte, und sogar Details aus den Bearbeitungen ihrer
direkten Vorgängerinnen aus den letzten Jahrzehnten128, werden von der Autorin neu variiert. Speziell bei der Beschreibung der Jugend Joans hängt Woolfolk
Cross einer tendenziellen Polarisierung nach, die einer differenzierten Betrachtungsweise entgegenwirken. So werden ihre Eltern stellvertretend für die Prinzipien des Guten und des Bösen geschildert. Der Vater, ein englischer Missionar,
wird als schwarzhaarig und stämmig, »with his thick English neck and wide jaw«
(ebd., S. 11) beschrieben, während Joans Mutter, eine nur aus ihrer Notsituation
heraus zum Christentum übergetretene Sachsin, sich vor allem durch ihr »extraordinary white-gold hair« (ebd., S. 3) auszeichnet, das auch Joan von ihr geerbt
hat. Diese förmliche Schwarzweißmalerei setzt sich in den Charakterisierungen
der Eltern der späteren Päpstin fort. So führt der Priester seine Familie, zu der
neben der Mutter und Joan auch noch zwei Jungen gehören, mit harter Hand,
wobei er viele seiner brutalen Übergriffe stets durch seine Bibeltreue rechtfertigt. Joans Mutter Gudrun jedoch symbolisiert die alten germanischen Religionen, die hier für Humanität und eine Tradition weiblicher Werte stehen.129
Diese gibt ihr auch einen Ratschlag, den Joan für den Rest ihres Lebens gebetsmühlenartig wiederholen wird: »Never give yourself to a man.«130
Die Autorin entwirft von Beginn des Romans an eine streckenweise sehr bemüht wirkende Atmosphäre der totalen, vernichtenden Ablehnung alles Weiblichen, sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich, gegen die sich Joan
ab dem Moment, da sie andere Lebensziele verfolgt als die durch ihr biologisches Geschlecht vorgegebenen, mit aller Macht wehren muss. Ausnahmen
dieser Regel gibt es nur wenige, im Rahmen der Jugendgeschichte Joans sind
dies vor allem Joans älterer Bruder Matthew, der ihr das Lesen und Schreiben
beibringt und ihr ein Medaillon der heiligen Katharina schenkt, die ihr fortan als
weibliche Gelehrtenfigur zum Vorbild dient.131 Matthew stirbt jedoch schon
bald darauf, und als der Vater entdeckt, dass Joan lesen kann, macht er sie für
den Tod des Jungen verantwortlich. Fortan steht Joan in eifersüchtiger Konkurrenz zu ihrem Bruder John, der zwar älter, aber bei weitem nicht so lernfreudig
ist wie sie. In der Charakterisierung der Joan als Kind herrscht vor allem eine
gewisse Starrköpfigkeit vor, die die Figur permanent Fragen wie »Why should it
128
Vgl. hierzu insbesondere die Abschnitte zu Hope und Rubess.
Vgl. hierzu die Konstellation bei Hope, wo es Joan ist, die altes Wissen an ihre Tochter weitergibt.
130
Ebd., S. 64; 184; 299.
131
Woolfolk Cross ist damit die einzige, die die Idee einer möglichen Verbindung zwischen den
Figuren der Päpstin und der heiligen Katharina aufnimmt, die eingangs als möglicher, jedoch
unwahrscheinlicher Kern der Legende angesprochen wurde.
129
76
matter that I am a girl?« (ebd., S. 27) oder »I am smarter than John. Why should
he be able to study and learn and not me?« (ebd., S. 35) äußern lässt. Mit
Nachdruck soll der Effekt erzielt werden, dass der/die LeserIn sich mit Joans
berechtigtem Wunsch nach Gleichberechtigung identifiziert und die Hintergründe einseitig negativ bewertet. Da sowohl Joans Vater als auch ihre Mutter,
die sich dem gewalttätigen Mann nicht widersetzen kann, sich permanent pejorativ über und zu Joan als Mädchen äußern, lässt die Autorin keine zweite Interpretation zu.
So kommt auch der nächste positiv gezeichnete Charakter aus einem ganz
anderen Umfeld. Es ist der griechische Lehrer Aesculapius, der nach zähen Verhandlungen mit Joans Vater erreicht, dass er neben John auch Joan unterrichten
darf, da er ein außergewöhnliches Talent in ihr entdeckt habe, »a rare intelligence« (ebd., S. 52). Als er sie wieder verlässt, verspricht er ihr, einen neuen
Lehrer für sie zu finden, und hinterlässt ihr eine Kopie des Homer. Dieses Buch
wird jedoch von Joans Vater entdeckt, als diese nachts darin liest. Zuerst will er
das Buch, mit dem sie seiner Ansicht nach Magie ausgeübt hat und infolge
dessen nun vom Dämon besessen sei, verbrennen, besinnt sich dann jedoch auf
den Wert des Papiers und befielt Joan, die Schrift abzukratzen. Als sie sich
jedoch seinem Befehl widersetzt, peitscht er sie zu den Worten des Vaterunser
aus, bis sie ohnmächtig wird. Spätestens nach dieser Szene ist die Gewichtung
des Romans klar: das Männliche, speziell das Männliche mit klerikalem Hintergrund, ist schlecht, ebenso die christliche Religion in ihrer patriarchalen Auslegung. Diesen Ansatz verfolgt Woolfolk Cross im gesamten Roman, besonders
jedoch im Fortgang der ersten Hälfte der Geschichte.
Als der Bischof von Dorstadt, angeregt durch Aesculapius, einen Gesandten
zu Joans Vater mit dem Auftrag schickt, dessen Tochter in die schola zu bringen, widersetzt sich dieser mit dem Argument, es handele sich um eine Verwechslung und sein Sohn John sei doch offensichtlich gemeint. Joan, die sich
auch von ihrer Mutter verraten fühlt, die dieser Version zustimmt, flieht in der
Nacht nach dem Abschied ihres Bruders aus ihrem Elternhaus und erreicht
schließlich, gemeinsam mit ihrem Bruder, die Schule von Dorstadt. Dort werden
die Geschwister aufgenommen, und außer dem höchst unangenehmen Lehrer
Odo132 begegnet sie dort ebenfalls dem Grafen Gerold, der im weiteren Verlauf
der Geschichte die Rolle ihres Liebhabers einnehmen wird. Die Zeit in Dorstadt
ist geprägt durch das gewissenhafte Studium Joans, die sich selbst von der
offenen Feindseeligkeit Odos, der anderen Schüler und selbst ihres eigenen
Bruders, der sich völlig gegen sie stellt, nicht verunsichern lässt.
Joan wohnt in dieser Zeit im Hause Gerolds und zwischen ihnen entwickelt
sich, sehr zum Missfallen der Ehefrau Gerolds, Richild, eine wachsende Zuneigung, die vorerst noch auf geistiger Ebene basiert und beispielsweise durch die
gemeinsame Lektüre von »De rerum natura« von Lukrez genährt wird, einem
Buch, das bereits Churchill der Päpstin zu Seite gestellt hatte. Dass Joan jedoch
alles andere als glücklich ist mit ihrem Geschlecht, zeigt die kleine einge132
Vgl. Hope, die diesen Namen erstmals in der Päpstingeschichte etabliert hat.
77
schobene Beschreibung ihrer Reaktion auf das Einsetzen ihrer Menstruation.
(ebd., S. 102f.) Sie verabscheut dieses offenkundige Zeichen ihrer Weiblichkeit
ebenso wie ihren Busen, den sie abbindet. »Her gender had been a source of
misery and frustration for as long as she could remember, and she meant to
fight this emerging evidence of her femininity as long as possible.« (ebd., S. 103)
Woolfolk Cross schließt hier an den Gedankengang an, bei der Päpstin handele
es sich um eine von sich selbst entfremdete Frau, die in Ablehnung gegen ihren
Körper lebt, wie er bereits in den Texten von Churchill und Maitland zu finden
war. Den anderen Mädchen erscheint sie deshalb auch als »a third, amorphous
sex.« (ebd.) Die Ablehnung des Mädchens gegen ihren sich verändernden
Körper, der ihr Anderssein nur noch betont, setzt sich jedoch nicht in einem
Selbsthass fort, wie er ansatzweise von Maitland beschrieben wurde.
Im Erwachsenenalter wirkt Joan, besonders in ihrer Beziehung zu Gerold,
zwar unsicher. Sie lehnt ihren Körper und dessen Empfindungen jedoch nicht
ab, sondern steht dem allenfalls kritisch gegenüber, da es eine Beeinflussung
ihres, von allen für Frauen üblichen Repressionen befreiten, Lebens bedeuten
könnte. So fragt sie sich an einer Stelle, »What would it be to live as a woman
again? she wondered. She was accustomed to being responsible for herself, to
having complete control of her destiny.« (ebd., S. 299)
Bei einer Reise zu einem Jahrmarkt widerfährt Joan die Weissagung über ihre
Zukunft von einer alten Schaustellerin. Darin lässt Woolfolk Cross die traditionellen Weissagungen verschmelzen, die in früheren Texten entweder durch Dämonen, Engel oder andere Boten überbracht wurden und die von keiner der hier
besprochenen Autorinnen (außer Rubess) übernommen wurde. Die Wahrsagerin prophezeit ihr, »Changeling child, you are what you will not be; what you
will become is other than you are. […] You aspire to that which is forbidden.
[…] You will not be disappointed. Greatness will be yours, beyond your
dreams, and grief, beyond your imaginings.« (ebd., S. 126) Die Hochzeit einer
Tochter Gerolds nimmt Woolfolk Cross zum Anlass, die ebenfalls ausschließlich aus traditionellen Texten bekannte Anekdote über die Unkenntnis der
lateinischen Sprache bei Mitgliedern des Klerus aufzugreifen. So beginnt Bischof
Fulgentius seinen Segen mit »In nomine Patria et Filia …« (ebd., S. 129) Bei ihr
gerät dies jedoch zum running gag, und an späterer Stelle wird auch Benedict,
der Bruder von Papst Sergius, Joans Widersacher Anastasius mit den Worten
»Pax vobiscus« (ebd., S. 249) begrüßen.
Nachdem es zwischen Joan und Gerold eine erste, zaghafte Annäherung gab
und sie dabei von Odo beobachtet wurden, wird Joan auf Betreiben Richilds in
Abwesenheit Gerolds von der Schule genommen und soll verheiratet werden.
Bei dieser arrangierten Hochzeit, die in aller Eile vorbereitet wurde, rettet Joan
jedoch der (von der Autorin laut author’s note um einige Jahre vorgezogene)
Normanneneinfall vor dem, was Bischof Fulgentius »your fate, which is, after
all, natural enough for a woman« (ebd., S. 143) nennt. Bei dem daraufhin entstehenden Gemetzel rettet John zwar seiner Schwester das Leben, stirbt jedoch
selbst wie fast alle Besucher der Kirche. Joan kann sich verstecken und überlebt.
Nachdem Ruhe eingekehrt ist und sie ihren toten Bruder findet, reift ihr Plan,
78
an seiner statt ins Kloster Fulda zu ziehen, in einem theatralischen Akt schneidet sie sich auf dem Altar mit dem alten Messer ihres Vaters die Haare ab und
verkleidet sich mit der Kutte ihres Bruders als Mönch. Im Kloster Fulda wird sie
nun als Brother John Anglicus aufgenommen und verlebt einige Jahre in relativer
Ruhe. In dieser Zeit widmet sie sich weiter ihren Studien und absolviert eine
Ausbildung zum Arzt. Doch auch jetzt, da sie als Frau nicht mehr erkennbar ist,
begegnet Joan im Kloster Fulda einem omnipräsenten Misogynismus, der besonders durch den Abt Raban[us] Maur[us] repräsentiert wird. Joan dagegen
kann sich vor dem Hintergrund von Hungersnöten, Pest und Lepra weiter als
herausstechend positiver Charakter etablieren. Diese Charakterisierung der Joan
als in ihrem Wissen und Können herausragend und sogar alle Männer in ihrer
Umgebung übertrumpfend geht zwar absolut konform mit der ursprünglichen
Ausrichtung der Legende, bei Woolfolk Cross läuft sie jedoch Gefahr, in der allgemeinen Schwarzweißmalerei unterzugehen und so ihre Wirkung zu verlieren.
Doch bald darauf ist Joan gezwungen, das Kloster Fulda zu verlassen. Sie erkrankt an der Pest und muss ihre Entdeckung fürchten. Sie wird bewusstlos von
dem Sohn einer Frau, der sie das Leben rettete, gefunden und gesund gepflegt.
In der Zeit, da sie sich von ihrer Krankheit erholt, unterrichtet sie die kleine
Tochter Arns, Arnalda. Als sie sich von der kleinen Familie verabschiedet, um
nach Rom zu pilgern, schenkt sie Arnalda das Katharinenmedaillon, das ihr Bruder einst für sie gefertigt hatte. In einem dem Roman angefügten Epilog führt
Woolfolk Cross die Figur der Arnalda nochmals ein: 42 Jahre nach Joans Tod
lebt ihre einstige Schülerin unter dem Namen Arnaldo als Erzbischof in Paris
und fügt bei der Abschrift des »Liber pontificalis« des Anastasius, der seine verhasste Widersacherin Joan auch hier mit keinem Eintrag erwähnt, den Namen
der Joan hinzu. Woolfolk Cross folgt hierbei der Idee von Hope und führt diese
weiter im Sinne einer auch nach dem Tod der Päpstin weitergeführten Tradition
von Frauen, die in der Männerdomäne des Klerus wirken.
Anastasius wurde von der Autorin bereits an einem frühen Punkt in die
Erzählung eingeführt. (ebd., S. 40) Zu dem Zeitpunkt, als Joan nun Rom erreicht, ist er bereits in einer umfassenden Charakterisierung als machthungriger
und intriganter, gebildeter und aufstrebender Spross einer reichen und einflussreichen römischen Familie etabliert. Joan hat sich gleich nach ihrer Ankunft in
der Schola Anglorum niedergelassen, wo sie in kurzer Zeit aufgrund ihrer hohen
Bildung und geschliffenen Rhetorik als beliebter und geschätzter Gelehrter gilt.
Daneben werden auch ihre Fähigkeiten als Arzt anerkannt und in Anspruch genommen. Ihrem Ruf als Heiler verdankt sie auch die Tatsache, dass sie schließlich zum Leibarzt Papst Sergius’ ernannt wird. Sie konnte ihm nicht nur das
Leben retten, als er schwer an einem Gichtanfall litt, sondern schafft es auch,
den ehemals verfressenen und versoffenen, an allen päpstlichen Aufgaben uninteressierten Sergius, dessen Bruder Benedict die eigentliche Macht im päpstlichen Palast ausübte, zu neuer Stärke und Eigenständigkeit aufzubauen. Auch
bei Woolfolk Cross intrigiert Joan nicht im geringsten gegen den amtierenden
Papst. Sie hegt auch keinerlei Ambitionen, die über ihre Tätigkeit als Gelehrter
und Arzt hinausgehen, und trägt somit keine der negativen Charakteristika wie
79
Machthunger oder Verschlagenheit, die der Figur in vielen traditionellen Texten
anhingen. Von den herrschenden Männerfiguren des Romans wird sie dennoch
als Gefahr angesehen, allen voran von Benedict, der eine zu starke Einflussnahme des jungen Arztes auf seinen Bruder, und seinen daraus resultierenden
Machtverlust, fürchtet.
Er stellt Joan eine Falle, indem er sie, unter dem Vorwand, es handele sich um
einen medizinischen Notfall, in das Haus der Marioza133, einer stadtbekannten
Kurtisane, schickt. (ebd., S. 262ff.) Diese hat den Auftrag, Joan zu verführen,
auf dass sie von den Wachen inflagranti erwischt würden. Joan widersetzt sich
zwar den Zugriffen Mariozas, diese kann jedoch eine ausreichend kompromittierende Situation vortäuschen, worauf Joan von den Wachen zum Lateran geführt wird. Ohne von Sergius selbst gehört zu werden, wird Joan von Benedict
eingekerkert. Erst als Kaiser Lothar vor den Toren Roms steht, um Satisfaktion
dafür zu fordern, dass mit der Einsetzung Sergius’ als Papst nicht bis zu seiner
Zustimmung gewartet wurde, und Benedict angesichts dieser Bedrohung mit
dem zur Beschwichtigung des Kaisers vorgesehenen Geld aus Rom geflüchtet
ist, wird Joan aus dem Kerker geholt. Sie kann Sergius von ihrer Unschuld überzeugen und ist rehabilitiert.
An dieser Stelle führt Woolfolk Cross die Figur des Gerold wieder in die
Haupthandlung ein. Dieser hat auf dem Weg nach Rom Benedict auf seiner
übereilten Flucht gestellt und bringt ihn nun zurück in den päpstlichen Palast.
Dort treffen beide unerwartet in der Kapelle aufeinander. Gerold erzählt Joan,
dass er damals, als die Normannen einfielen und alle außer Joan töteten, gerade
auf dem Rückweg von seiner Reise und fest entschlossen gewesen sei, Joan zu
heiraten. Die heimliche Liebesgeschichte, die sich von diesem Punkt an zwischen Joan und Gerold entwickeln wird, ist, im Gegensatz zu den früheren
Schilderungen, die von einer hauptsächlich auf geistiger Ebene basierenden Zuneigung sprachen, eher von einer seichten, unterschwelligen Erotik, die sich
letztendlich in einer einzelnen tatsächlichen Liebesszene entladen wird. Generell
jedoch fällt Joan eine charakteristische Entscheidung, als Gerold sie bittet, ihren
Dienst als Leibarzt aufzugeben und mit ihm aus Rom fortzuziehen und ein
ordentliches Leben als Mann und Frau zu führen. (ebd., S. 301ff.) Sie geht dieser
Bitte nicht nach, obwohl sie Gerold offensichtlich immer noch liebt, sondern
entscheidet sich für ihr Leben als Arzt und Kleriker. Diese Entscheidung
präsentiert Joan einerseits als willensstarke Frau, die für ihr Leben als Gelehrte
und Mann der offen gelebten Liebe entsagt. Andererseits dient die unglückliche
Liebesgeschichte zwischen Joan und Gerold natürlich auch der Spannungssteigerung, verleiht dem Roman jedoch einen trivialen Touch, der als Zugeständnis
an ein breites Publikum gewertet werden kann, das sich vielleicht für eine reine
Gelehrtengeschichte nicht erwärmen könnte.
Ziel der Autorin ist es hierbei vermutlich, eine speziell für weibliche Leserinnen leicht annehmbare Identifikationsfigur zu schaffen, eine Qualität, die
133
Dies die altbekannte Figur der Marozia in etwas abgeänderter Schreibweise. Vgl. auch Rubess,
die diese Figur ihrerseits wieder einführte, ebenso die Verführungsszene zwischen Marozia und
Joan.
80
aus der bloßen Schilderung der Joan als Gelehrte und als Mann verkleidete
Klerikerin nicht so leicht zu erlangen wäre. Nach Papst Sergius’ Tod und der
Wahl Papst Leos, der sich gegen Anastasius durchsetzen konnte, welcher den
Posten für sich in Anspruch nehmen wollte, wird Joan zum Nomenclator ernannt, während Gerold den Posten des Superista einnimmt. Im weiteren Verlauf
der Geschichte werden Joan und Gerold als die beiden wichtigsten Mitarbeiter
Papst Leos etabliert, die gemeinsam eine Atmosphäre des Aufbruchs und der
Innovationen in Rom erzeugen, wie beispielsweise durch den Bau einer neuen
Mauer.134 Durch diese Beschreibung wird an späterer Stelle die Wahl Joans als
Leos Nachfolger (vgl. ebd., S. 356) und ihre breite Unterstützung im Volk
plausibel erscheinen. Anastasius sabotiert jedoch den Bau der Mauer, indem er
ein Feuer legen lässt, das nicht nur einen Teil der Mauer zerstört, sondern auch
viele Menschenleben kostet und deshalb Leos, und damit Joans, Reputation
kurzzeitig erschüttert. Der Urheber der Katastrophe ist jedoch bald entlarvt,
und während Anastasius aus der Stadt flieht, wird er von Papst Leo exkommuniziert. (ebd., S. 342) Infolge dessen lässt Anastasius’ Vater Arsenius – nomen est
omen – Papst Leo vergiften.
Als Joan zu seinem Nachfolger ernannt ist, nimmt sie die Wahl an, reflektiert
jedoch über ihr bisheriges Leben, speziell seit der Zeit, da sie sich als Mann
verkleidete, und fragt sich, »When she had first diguised herself as a man, when
she had been accepted into the Fulda brotherhood, God had not raised His hand
against her. But would He truly allow a woman to ascend the sacred Throne of
St. Peter? The question spun her mind.« (ebd., S. 357) Diese Selbstreflexion ist
einerseits Beweis dafür, dass sich Joan hier permanent ihres biologischen
Geschlechts bewusst ist, auch wenn sie stark in ihrer Männerrolle und der rein
männlichen Umgebung aufgeht. Andererseits lässt sie die Autorin hier konservativ-männliche Werte annehmen und auf deren Basis die Rechtmäßigkeit ihres
Tuns vor Gott anzweifeln. Die Erwartung einer göttlichen Bestrafung für ihre
Geschlechtszugehörigkeit spricht nicht von großer Selbstüberzeugung und indiziert auch hier das Maß der Übernahme männlicher Vorstellungen, wie es
schon bei Churchill der Fall gewesen ist.
In ihrer Funktion als Päpstin zeichnet sich Joan hauptsächlich durch ihre unorthodoxen Regierungsmethoden aus. Sie beweist große Nähe zum Volk, versucht, die starre Bürokratie des päpstlichen Palastes aufzulockern, um handlungsfähiger zu werden und setzt sich außerdem stark für die Bildung der
Frauen ein. Sie lässt eine Schule für Frauen gründen, die sie zum Andenken an
das Geschenk ihres Bruders nach der heiligen Katharina benennt. Hierin und in
der Art, wie sie im Geiste Leos weiterregiert – so beauftragt sie Gerold, der von
ihr erneut zum Superista ernannt wurde und bereits unter Leo den Bau der
Mauer beaufsichtigt hatte, mit der Rekonstruktion eines Aquädukts, um arme
Stadtteile von Rom wieder mit Wasser versorgen zu können – erinnert sie
wiederum stark an die Joan Hopes, ohne jedoch deren eindeutige Züge einer
utopischen Heldin zu tragen. Woolfolk Cross’ Joan wird vor demselben Hinter134
Vgl. Hope, die ebenfalls den Mauerbau unter Leo und Joans Weiterarbeit daran als positive
Errungenschaften ihrer Tätigkeit thematisierte.
81
grund geschildert, vor dem ihre Vorgänger und Nachfolger agierten, und sie tut
nichts anderes als diese – sie tut es nur besser. Dadurch jedoch, dass dieses
Bessersein als logische Weiterführung dessen beschrieben wird, was ihr direkter
Vorgänger Leo bereits angefangen hatte, sieht die Autorin in diesen Punkten
zumindest von ihrer anfänglichen Schwarzweißmalerei ab und entwickelt so im
letzten Teil des Romans das stimmigste und plausibelste Bild der Päpstin.
Einen der Höhepunkte der zweiten Hälfte des Romans, besonders in Bezug
auf die Beziehung zwischen Joan und Gerold, bildet das Szenario der Flutwelle,
die nach tagelangem Regen135 über Rom hereinbricht und dessen ärmsten Stadtteil zu überschwemmen droht. Joan beweist hier erneut ihre außergewöhnliche
Qualität als papa populi (ebd., S. 379), als sie nicht nur eine Rettungsaktion für
die Bewohner des Campus Martius anordnet, sondern diese auch persönlich
leitet. Gerold denkt, »Not Sergius, not even Leo, would have showed such concern for the wretched population of the Campus Martius. Joan was different;
seeing no distinction between rich and poor, she made none. In her eyes, all
people were equally deserving of her care and attention.« (ebd., S. 369f.) Am
Beispiel dieser Fürsorge für die Armen wandelt sich das Bild der Joan vollends
von der Gelehrten- zur Mutterfigur. Hier zeichnet sie sich nicht mehr durch ihr
hervorragendes Wissen, ihre rhetorischen Fähigkeiten oder ihr medizinisches
Können aus, sondern vor allen Dingen durch caritas und agape. Im Gegensatz zu
Hope charakterisiert Woolfolk Cross ihre Joan damit nicht als mythische
Mutterfigur, die in einer utopistisch gefärbten Genealogie zu einer Urmutter
oder der Großen Göttin steht, sondern versieht sie vielmehr mit realistischen
und identifikationsstiftenden Attributen.
Die von Gerold und Joan vorgenommene Rettungsaktion dient jedoch auch
als Hintergrund für die bereits erwähnte, erste und einzige Liebesszene
zwischen den beiden Liebenden. Bei dem Versuch, einen Jungen aus einem der
einstürzenden Häuser zu bergen, wird das Boot, in dem Joan und Gerold sitzen,
in eines der halb zerstörten Häuser gespült. Joan rettet den bewusstlosen und
unterkühlten Gerold, indem sie ihn und sich entkleidet und ihn unter einer
Decke wärmt. Der sich daraus entwickelnde Geschlechtsakt wird von der
Autorin als Joans weibliches Erwachen geschildert, bei dem sie sie denken lässt,
»Dear God! […] I didn’t know, I didn’t know! Was this what her mother had
warned her against, what she had run from all these years? This wasn’t
surrender; it was a wondrous, glorious expansion of self – a prayer not of words
but of eyes and hands and lips and skin.« (ebd., S. 374) In dieser Nacht
empfängt Joan ihr Kind. Anders als in den meisten anderen Texten steht Joan
ihrer Schwangerschaft nicht unwissend oder hilflos gegenüber in dem Sinne,
dass sie nicht einordnen könnte, in welchem exakten Zustand sie sich
befindet.136 In ihrer Eigenschaft als Arzt gewinnt sie in dem Moment, in dem sie
die Symptome der Schwangerschaft realisiert, schnell Klarheit.
135
136
Eine mögliche Zitierung der petrarkischen Plagen?
Wiederum den von Hope ausgenommen, da Joan dort bereits zwei Kinder vorher zur Welt
gebracht hatte.
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Aber auch diese Päpstin hatte nicht mehr damit gerechnet, schwanger werden
zu können, da sie bereits jenseits der Vierzig sei, »well past the normal time of
childbearing.« (ebd., S. 388) Der Gedanke an ihre Mutter, die in ebenso hohem
Alter bei der Geburt ihres letzten Kindes gestorben war, lässt sie um ihr Leben
fürchten. Diese Erkenntnis bringt Joan ihren alten Leitspruch Never give
yourself to a man noch einmal ins Gedächtnis. Der/dem LeserIn wird damit
suggeriert, dass es tatsächlich der männliche Einfluss ist, der Joan zu Fall
bringen wird – selbst wenn es ein so positiv gezeichneter Männercharakter ist
wie Gerold. Als Joan diesem von ihrer Schwangerschaft erzählt, drängt er sie
erneut, mit ihm Rom zu verlassen. Doch Joan entscheidet sich wieder gegen
einen raschen Abschied von ihrem Leben als Papst. Sie vertröstet ihn aus ihrem
Pflichtgefühl dem Volk und der Kirche gegenüber auf die Zeit nach Ostern.
Auch in diesem Roman ereilt Joan ihr Ende während einer Prozession. Kurz
bevor sie und Gerold in einen Hinterhalt von Papstgegnern geraten, trifft sie ein
zweites Mal auf Marioza. Diese, nun eine entstellte, schnell gealterte Frau, bittet
die Päpstin um Vergebung, die ihr diese unter Sympathiebekundungen aller
Umstehenden gewährt (ebd., S. 404). Bei dem Versuch, Joan gegen den Angriff
zu beschützen, stirbt Gerold vor Joans Augen. Kurz darauf setzen bei ihr die
Wehen ein, woraufhin man annimmt, sie sei vom Teufel besessen. Ein Exorzist
wird herbeigerufen, doch anstatt des erwarteten »evil spirit to issue forth from
her mouth« (ebd., S. 407), gebiert sie »the tiny blue body of a premature infant.«
(ebd.) In dieser letzten Szene verschwimmen sowohl die Versionen von Rhoidis
als auch von Hope. Der Passus um den Exorzisten und die Umstehenden, die
darauf warten, dass der Teufel aus Mund oder Ohr entweicht, findet sich in
genau dieser Ausformulierung bei Rhoidis.137 Mit Hope hingegen hat Woolfolk
Cross die Konzeption der frühzeitigen Geburt gemein, eine Konzeption, die
sich gegen die Versionen wendet, die von einer Unkenntnis der Päpstin in Bezug auf ihre Schwangerschaft ausgeht. Woolfolk Cross thematisiert die Funktion dieser Version jedoch, im Gegensatz zu Hope, nicht. Donna Woolfolk
Cross erspart ihrer Joan jedoch einen brutalen Tod, wie sie ihn in so vielen
Varianten dieser Legende zu erleiden hat. Sie fährt vielmehr aus ihrem Körper,
indem sie sich lächelnd dem um sie herrschenden, heller werdenden Licht zuwendet und auf dieses zugeht.
Donna Woolfolk Cross erreicht mit ihrer Darstellung der Päpstin Johanna
ein hohes Maß an Identifikation bei ihren LeserInnen. Sie zeichnet Joan zuerst
als Mädchen, später als Frau mit modernen, nachvollziehbaren Charakterzügen,
die sich nicht nur durch ihre hohe Bildung, sondern vor allem durch ihre
Emotionalität auszeichnet. Die Autorin versucht jedoch besonders in der ersten
Hälfte des Romans, der die Jugendzeit der späteren Päpstin beschreibt, die
eindeutig zugunsten der weiblichen Hauptfigur ausgelegte Charakterisierung
noch positiver erscheinen zu lassen, indem sie ihr eine durchweg feindliche und
misogyne Umwelt gegenüber stellt, die sich nicht nur gegen Frauen allgemein
137
Bei Arnim findet sich ebenfalls ein aus dem Mund herausfahrender Teufel in Form einer Fledermaus, allerdings handelte es sich dabei um den Teufel, der aus Spiegelglanz in dem Moment
fährt, da Johanna ihm als Frau gegenüber steht.
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richtet, sondern sie speziell als weibliches Individuum bekämpft. Somit wirkt die
starke Polarisierung, die nicht nur die Oppositionen gut-böse und männlichweiblich, sondern auch christlich-germanisch entwirft, an vielen Stellen zu bemüht und auf den Effekt des Mitleids und des Mitfühlens beschränkt. Generell
sind die Figuren dieser ersten Hälfte des Romans noch weitaus überzeichneter
als es die der zweiten Hälfte sind.
»Pope Joan« entwirft die Päpstin, ebenso wie die meisten anderen Autorinnen
des späten 20. Jahrhunderts, als Heldinnenfigur, geht dabei jedoch weder in der
tragischen, noch in der utopischen Richtung so weit wie es beispielsweise
Maitland oder Hope getan haben. Dieses Heldentum bezieht sich vielmehr auf
Joans Kampf um ihre eigene Gleichberechtigung und ihr Recht auf Wissen und
freie Entfaltung. Im Gegensatz zu Maitlands und auch Churchills Text ist diese
Joan auch keine Frau, die an der Diskrepanz zwischen ihrem biologischen,
weiblichen Geschlecht und ihrer sozialen, männlichen Rolle zerbricht, sondern
durchaus die Vorteile sieht, die ihr ein solcher Lebenswandel bietet.
In vielen Punkten orientiert sich Woolfolk Cross von allen besprochenen
Autorinnen des späten 20. Jahrhunderts am ehesten an der männlichen Erzähltradition; so greift sie beispielsweise Details auf, die kaum eine ihrer Vorgängerinnen verarbeitet hat, die Wahrsagung ihres Schicksals, die Anekdote der des
Latein unmächtigen Kirchenmänner, die Figur der Marioza und den an Joan
vollzogenen Exorzismus kurz vor ihrem Ende. Dennoch ist die Gesamtwirkung
keineswegs so verheerend wie die des Stücks »Pope Joan« von Banuta Rubess, in
dem ebenfalls viele dieser Details wieder aufkamen, das sich aber insgesamt in
die männliche Erzähltradition einreihte und aus diesen Gründen nicht zu den
Texten weiblicher Autorschaft gezählt werden kann, die eine neue Sichtweise
auf die Päpstin anbieten. Woolfolk Cross’ Roman hingegen tut dies, jedoch in
einer breitenwirksamen Art, die zu dem Schluss kommen lässt, dass es sich hier
zwar um einen frauenfreundlichen Roman handelt, nicht jedoch um einen explizit feministischen Versuch, die Geschichte der Päpstin Johanna radikal umzuschreiben.
»Pope Joan« ist, was an der Vermischung alter und neuer Erzähltraditionen
erkennbar wird, ein Mittelweg zwischen einer, wenn auch plakativen, feministisch orientierten Darstellung der Legende und einer an ein breitgestreutes
Publikum gerichteten, gefälligen Darstellung. Und hat Woolfolk Cross auch
keine feministische Heldin geschaffen, so kreierte sie dennoch eine weibliche
Figur, die durchaus heroische Züge in sich trägt.
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4. RESÜMEE
Die hiermit abgeschlossenen stoffgeschichtlichen Untersuchungen von literarischen Bearbeitungen des Päpstin-Johanna-Stoffs haben demonstrieren können,
dass sich sowohl in Hinblick auf die jeweilige Entstehungsepoche als auch auf
die unterschiedlichen Funktionalisierungen der Legende erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Texten zeigen. Diese hängen in erster Linie jedoch
weniger vom biologischen Geschlecht des/der AutorIn ab, obschon die Einteilung dieser Arbeit in ›männliche‹ vs. ›weibliche‹ AutorInnen von Bearbeitungen
des Stoffs einen solchen Ausgangspunkt nahe legen könnte. Bewusst habe ich
den offenkundigen Beispielen feministisch orientierter Umdeutung der Legende
die Texte von Dunan und Rubess gegenübergestellt. Sie zeigen, dass auch Texte
weiblicher Autorschaft durchaus der männlichen Interpretation der Päpstin
Johanna folgen können, da allein die Tatsache, dass eine Frau literarisch auf die
Päpstin Bezug nimmt, noch keine Garantie für eine neue Perspektive auf diese
Figur ist. Das gilt unabhängig von einer eindeutigen Tendenz zur feministischen
Reinterpretation der durch eine beinahe ausschließlich männliche Erzähltradition geprägten Legende.
Besonders bei der Interpretation des Romans von Hope habe ich den engen
Bezug zwischen Entmythisierung einerseits, Remythisierung traditioneller,
männlicher Frauenlegenden oder -bilder andererseits, aufgezeigt. Dieser stand
speziell zu Ende der 1970er und frühen 1980er Jahre in engster Verbindung mit
der Rückbesinnung auf eine spezifisch weibliche Tradition und Genealogie im
Sinne von Mythos, Mystik und New-Age. Ihre Relektüre und die daraus resultierende Umformulierung der Päpstin-Legende weist jedoch als einzige Behandlung der letzten Jahrzehnte starke Elemente einer feministischen Utopie auf.
Andere Autorinnen waren weniger an dem Entwurf einer solchen Matriarchatsfiktion interessiert, die neben ihrem rein utopischen Charakter die von mir angesprochene Gefahr der einfachen Wiederholung dualistischer Einordnungen
aufgrund von biologischer Geschlechtszugehörigkeit in sich birgt. Den Texten
von Hope, Churchill, Maitland und, in bedingtem Maße, auch von Cross ist jedoch eine allgemeinere Tendenz der Relektüre und Umformulierung einer
›männlichen‹ Frauenlegende gemeinsam, die bewusst signifikante Kernelemente
der Legende aufnimmt und sie in einer fundamentalen Reinterpretation mit neuen Inhalten besetzt. Dadurch wird jedoch weitaus weniger als bei Hope ein
Inszenierung der Johanna als feministische Heldin verfolgt. Vielmehr werden
die Elemente, die in der traditionellen, männlichen Erzähltradition von den Tabubrüchen und der Verurteilungswürdigkeit der Päpstin einerseits und der gebildeten Frau als Typus andererseits sprachen, durch Einnahme einer neuen Perspektive zu Identifikationsaspekten umgeschrieben. Dies geschieht bei Churchill und Maitland unter Verwendung der Erzählperspektive in der ersten Person, bei Hope durch die Schilderung der Geschichte aus der Perspektive einer
anderen Frau. Cross bildet nicht nur hier eine gewisse Ausnahme, da sie ihrer
Hauptfigur nur vereinzelt eine eigene Stimme verleiht und ihr Roman durch
aufgesetzt wirkende Polaritäten mit plakativem Feminismus durchsetzt ist.
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